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Minderheit der ständeräth lichen Kommission in Aachen des Rekurses von Thurgau, betreffend die Patenttaxen der schweiz. Handelsreisenden.

(Vom

12. Dezember 1860.)

Tit. l Mit Rücksicht auf den Jnhalt des Berichtes der Mehrheit d..r Kommission kann sich die Minderheit - ..m nicht zu wiederholen - euthalten, Wesen und Zweck des Rekurses der Regierung Thurgau's, beziehungsweise auch derjenigen von Zug, Jh.ten ebenfalls vorzuführen.

Dass die Kommission in dieser Angelegenheit nicht einstimmig den thurgauischen Rekurs verwirft , darf Jl..nen keineswegs auffallen , wenn Sie bedenken, dass schon im Juli 185.) eine nicht geringe Anzahl von Ständeabgeordneten dem damals aufgestellten Grundsatze über Befreiung der Handelsreisenden von Patenttaxen von B u n d e s w e g e n widersprach; wenn Sie daher bedenken, dass moglichst restriktive Auslegung eines Beschlusses. dessen Redaktion heute allerdings als keine ganz geluugene erseheint, von Seite derjenigen, die auch dem Wesen desselben nicht huldigen, ein Verhalten ist, das lediglich auf Konsequenz Anspruch macht, und wenn Sie endlich erwägen, dass es denn doch dem S t ä n d e r a t h e v o r a u s

geziemt, der Wächter über die Artikel 3 und 2.) der Bundesverfassung

zu Gunsten und im Sinne der Wahrung der Kantonalsouveränität zu sein.

Der, vom philanthropischen Wunsche völliger Handelsfreiheit, d. l,.

Aufhebuug aller Einschränkungen nnd Hemmungsmittel des Handelsverkehrs der Kantone untereinander, diktirte Bundesbeschluß vom 2.). Juli

185.) besteht allerdings zu Recht.

Würde derselbe nur lauten: ,,Die Kantone dürsen keine Gebühren beziehen für Ausnahme von Bestellungen mit oder ohne Muster, wenn keine Waaren mitgeführt werden, so könnte man allerdings folgern, die

^56 Bundesversammlung hatte - wenn aueh schwer zu begreifen ...-- nicht nur geleitet vom Brmzip der Handelsfreiheit, sondern hingerissen von der Theorie des Einbruchs jeglicher Gewerbeordnung, auch in die ausdrücklich und verfassungsgemäss freigegebenen Gewerbeordnungen der Kantone hineinregieren wollen, und es würde sonach schwer halten, der Ansicht der Kommissionsmehrheit entgegen zn treten.

Dem ist jedoch nicht so.

Der .^ueftionirliche Bundesbeschluß spricht an mehr als nur einer Stelle ausdrücklich von H a n d e l s r e i s e n d e n und gibt daher die Berechtignng, anzunehmen, dass er mit bester Absicht eine Scheidelinie zog zwischen e i g e n t l i c h e m H a n d e l und b l o s s e m G e w e r b e .

Derjenige, welcher aus die im Bundesbeschluße vom 2..). Juli 1859 gelegene Vergünstigung Ans^rnch machen will, muss also durchaus die Eigenschaft eines H a n d e l s r e i s e n d e n haben. ^a.h allen Begriffen über Handel gehort nun der Handelsreisende den. Grosshandel oder dem Detailhandel, doch mehr der erstern Gattung an, wo Käufer und Verkaufer nur in grosseru Quantitäten mit einander handeln und es a..f die Beforderung des Verkehres innerhalb eines Landes und deu Austausch der Brodul.te des Jn- und Auslandds abgesehen ist. Der . Handelsreisende hat dabei die einzige und alleinige Ausgabe : die Jnteressen des Handelshauses, dem er dient, aus Reisen wahrzunehmen , alte Geschäfte zu erhalten, neue anzuknüpfen und allfällig anch -- jedoch nur von Handelsmanu zu Handelsmann ..--. Anerbietungen von Waaren zu macheu.

Geht er weiter, so hort er aus, Kansma.m beziehungsweise Handelsreisender zu sein, und stempelt sich zum unachten Kaufmann, d. h. znm H a u s i r e r, der von Ort zu Ort, von H a u s zu Haus zieht, um seine Waare zu verkaufen und in der Regel, mit Täuschung des Glaubens an natioualokonomischen Vorlheil von der Handelssreiheit in dieser Riehtnng, ^ dem Käufer gesährlicher wird, wenn er nur aus Muster verkamst, statt das

Kaufsobjekt in ^t.i.^ zu allseitiger Verifikation mitzubringen.

Der Handel wird daunzumal lediglieh zum Gewerbe, zu dessen Belastuug oder Einschränkung die Kantone zur Stunde noch freie Hand haben, so lange sie den ^chweizerbürger dem Eigenen gleichhalten.

Der Hausirhandel, oder was das gleiche ist , der Handel von Hans zu Hans, steht serners in engster Verbindung mit dem H a u s r e c h t selbst.

Die Uuverlel^lichkeit des Hausgebietes ist ein bei allen Volkern hoch angeschlagenes Recht. Das Haus ist die letzte Zuflucht, wo sich der Meuseh unter den ...^einigen frei fühlt. Rur Obrigkeiten ist gestattet, und zwar in der Regel nur in sehr schonender Weise, durch gesel^liehe Besehle darin Amtshandlungen vornehmen zu lassen. Die Minderheit warnt daher, dem Handelsreisenden mit salschem Titel Thür und Thor zu ossnen, während die dureh Art. 29 der Bundesverfassung ausdrücklich hiezu be-

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rechtigte kautonale Gesetzgebung sie dem Hausier mit Recht entweder verschließt, oder doch vermittelst Kontrolle oder Bolizei schulende Bestimmungen

aufstellt.

^ie Minderheit ersucht auch, nieht zu übersehen, dass eine ganz gleiche Ausl^una, wie sie solche dem Bundesbeschluße von 1859 gibt, demselben geworden ist, nicht nur in den Kantonen Thurgau und Zug, nm deren Rekurs gegenüber dem bundesr..thlichen Entscheide vom 25. Mai d. J. es sich handelt, sondern au.h noch in einer ansehnlichen Anzahl anderer Kautone, und zwar ohne irgend welche Verständigung oder Verabredung hierüber.

Reben den vorstehend entwickelten Hauptgesiehtspunkten mogen sie dabei wohl aneh denjenigen im Auge gehabt haben. dass bei einer Auslegung, analog derjenigen des Bundesrahes und der Kommissionsmehrheit, in der Vr.^is weder Verbot noch Beschränkung des Hausirhandels mehr gehandhabt werden konnten und demnach der Art. 29 der Bundesverfassung zur reinen Jllusion würde.

Es müsste nämlich nicht nur unbillig, ja ungerecht erseheinen, den gewohnlichen Hausirer in seinem mühsamen,. und in der Regel wenig er^ebigen Broderwerb zu tarnen oder ^u koutrolliren, den Musterreisenden aber, bei nicht besserer Garantie, in jeder Hinsicht unbeschwert und unbelästiget, und mit voraussichtlich lohnendem Erfolg seiner Bemühungen, d..r gleichen Kundsam... nachgehen ^u lassen; sondern es würde die Konvenienz, unta^rt und unkontrollirt unter dem etwas vornehmern Titel eines ^Handelsreisenden.^ mit Mastern ^u hausiren, so überwiegend, dass eine Umgehung der kantonalen Gewerbeordnungen auf jede molliche Weise angestrebt würde, und um so eher gelingen müsste, weil die unzulängliche . Beaufsichtigung der Bolizei von Ort ^u .^rt und von Haus zu Hans klar vorliegt. So ist z. B. jei^t schon der Fall vorgekommeu , dass name..tlieh in weniger voluminosa. Handelsartikeln sogenannte ^,Muster^ verkauft oder abgetreten und von ...^eite des Verkäufers sür stch täglich wieder .ans seinem ^.epot ergänzt und erneuert wurden.

Endlich ist nicht zu übersehen, dass mit mehreren auswärtigen Staaten Verträge über Befreiung der Handelsreisenden von Vatenttar^en abgeschlossen worden sind. ^..er Wortlaut der Berechtigung in der Schweiz ist in diesen Verträgen im Allgemeinen mit dem Bundesbeschluße vou 1859 .

übereinstimmend. Als im gleichen Sinne gegenberechtiget sind ^. B. im

...^taatsvertrage mit ..^reusseu ausgewählt: die schweizerischen Fabrikanten, .Kausleute und deren Handelsreisende. ^o viel der Minderheit bekannt ist, wird nun aber in den meisten der hier mitbeteiligten auswärtigen Staaten der Handel von ..^aus zu ^aus in diejeuigen Schranken zurückverwiesen, die aueh mit der Etymologie des Wortes ,,Hausiren^ im Einklang.. stehen, und es konnten daher leicht hierorts Auslegungen Vlatz greifen, die a..s Rechnung unserer Bürger nur den Ausländern zu gut

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k..men, während im umgekehrten Falle hochstens Reziprozität eintreten konnte.

Die Kommissionsmehrheit beurtheilt die gewerbliche Gesetzgebung der rekurrirenden Kantone anch vom sogenannten p r a k t i s c h e n Standpunkte; ihr aus diesem Felde weiter , als die Minorität es bereits gethan , folgen, hiesse eine Materie eror.ern, die hente gar nicht in Frage steht. Abge-

sehen von ^vei hierinsalls sieh bekämpfenden Hauptprin^ipien, stellt sich der

sogenannte praktische Standpunkt schon ganz verschieden heraus sür agrikole o d e r industrielle Gegenden.

Ebenso übergeht die Minderheit, als in der porliegenden Frage der Jnterpretation eines zu Reeht bestehenden Bundesbeschlusses nieht ^ur Sache gehorend, die Erorterung der f i n a n z i e l l e n Konvenienz. Wenn sie in vorderster Linie auch sehr zu Gnnsten der Rekurrenten spricht, so darf hierauf nicht abgestellt werden, und es lässt sieh .sogar nicht läugnen, dass damit sogar in entgegengesehen. Sinne ebenfalls e^emplif^irt werden konnte.

Die Kommissionsminderheit resümirt daher das Gesagte dahin : Es ist nach den allgemeinen Begriffen über Handel und Gewerbe und als einzig praktisch und die Bedeutung des Art. 29 .^ der Bundesverfassung noch irgendwie si.herud, dem Bnndesbesehlnsse vom 29. Juli 1859 die Deutung ^u geben, dass als Handelsreisender und demnach patent- und kontrollsrei. nur derjenige Schwei^erbürger oder Angehörige eines konkordirenden Staates ^u betrachten ist, dessen direkter Verkehr aus den Handelsstand sich beschränkt und nicht , wie jenes des Hausirers, auf das Haus des Brivaten sich erstreckt, und beantragt : Die

schweizerische Bundesversammlung,

nach Einsicht einer Botsehast des Bundesrathes vom 27. Rovember 1860, beschließ : Der Rekurs der Regierungen der Stände Thurgau und Zug vom 27. Juui und 13. Juli d. J., betreffend Aushebung des V e r b o t s der A u s n a h m e v o n B e s t e l l u n g e n b e i P r i v a t l e u t e n durch Han-

de^lsreisende, wird als begründet erklärt.

Hochachtnngsvollst und ergebenst.

B e r n , den 7. Dezember 1860.

Die Minderheit der Kommission : ^. Arnold.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht der Minderheit der ständeräthlichen Kommission in Sachen des Rekurses von Thurgau, betreffend die Patenttaxen der schweiz. Handelsreisenden. (Vom 12. Dezember 1860.)

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14.01.1861

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