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des Bundesrathes

an den schweiz. Ständerath, betreffend den

Rekurs der Binder Guer-Perez von Cossonay gegen die Binder Guer-Schellenberg von Pfäffikon.

(Vom 7. Oktober 1861.)

Tit. l Mit Schlussnahme vom 13. Juli 1861 hat der hohe Ständerath uns eingeladen, über den Rekurs des Herrn Eh. E on o d , in Lausanne, in Sachen der Kinder Guez-Berey von Cossonay, gegen die Kinder Guerz-Schellenberg von Vfäfsikon, wohnhast in Eossoua..., Bericht zu erstatten.

Jndem wir uns dieses Aufustrages entledigen , glauben wir eine wiederholte einlässliche Darstellung der faktischen Verhältnisse um so cher unterlassen zu dürfen, als dieselben in den gedrnkten Varteischriften des ....ähern erörtert und im Uebrigen in den wesentlichen Buukten unbestritten sind. Wir beschränken uns desshalb auf eine kurze Zusammenfassung der Hauptmomente, von denen der Entscheid des Rekurses uns abzuhängen scheint.

Jm Jahre 1846 perstarb ein zürcherischer Bürger, Ramens Heinrich Schellenberg, in Eossona..., Kts. Waadt, mit Hinterlassung von Familie und Vermogensobjekten. Es fragte sich, unter welcher Vormundschaft die Hinterlassenen fallen. Die waadtländischen Behorden entschieden gemäss ihren Gesezen, dass die Vormundschaft durch die waadtländischen Behorden zu bestellen sei, und handelten darnach. Mittlerweile fiel den Kindern Sehellenberg in ihrem Heimathkantone ein Erbe zu , worauf auch die züreheriseheu Behorden, ebenfalls ihren Gesezen gemäss, nach welchen die Vormundschaft von den heimathlichen Behorden zu bestehen ist, einen züreherischen Vormund ausstellten und ihm das Erbe zur Verwaltung über

67 gaben. Ein Versuch, die ^üreherischen Behorden zu zwingen, den waadtlandischen Behorden die gesammte vormundschaftliche Verwaltuug sammt dem Objekte derselben zu ex^tradiren, wurde vom Bundesrathe unterm 26. Mai 1857 abschlägig beschieden, und es fan.^ gegen diesen Beschluß

eine Weiters^iehuug nicht statt.

Die unter waadtlandischer Vormundschast stehenden Vermogensverhältnisse der Kinder Schellenberg nahmen bald eine ungünstige Wendung.

Ein Schwager des verstorbenen Schellenberg, Herr Franz Gue^Berer^, hatte für ihn gebürgt, a..s dieser Bürgschaft Fr. 11,308. 73 bezahlen müssen, und forderte diese Summe nun von den Kindern Schellenberg zurük. Das in Eossoua.^ liegende Vermogen der lezter.. reichte hiefür nicht aus, und Herr Guer^Bere^, beziehungsweise seine Erben versuchten nun, auf das unter zürcherischer Vormundschaft liegende Erbe der Kindex Schellenberg zu greifen und sich daraus bezahlt zu machen.

Zu diesem Zweke zitirten sie zuerst den waadtiän^ischen Vormund der Kinder Schellenberg in Eossona.^ vor Gericht, und als dieser nicht erschien, verurtheilte das Gericht in contumaciam die Kinder Schellenberg zur Bezahlung der obbezeichneten Schuld sammt Ziusen. Alsdann aber wendeten sich jene Kläger an die zürcherischen Gerichte und verlangten Zahlung der gerichtlieh festgestellten Schuld aus dem in ^ürich liegenden Vermögen.

Das Bezirksgericht Bsäffikon, Kts. ^ürich, wies ^ie Kläaer ein-

müthig, das Obergericht desselben Kantons mit Stiehentscheid des Brasideuten ab, und es verlangt nunmehr der waadtlandische Vormund der Kinder Guex^Bere^ von der h. Bundesversammlung die Annullirung der von den zürcherischen Gerichten in dieser Sache ansgesällten Urtheile.

Diess ist in Kurzem der materielle Sachverhalt.

Jndess muss, um den Entscheid der zürcherisehen Gerichte ganz zu verstehen, noch ein Blik auf die Brozessführung vor den züreherisehen Gerichten geworfen werden. Aus der Rekursbesehwerde , welche gegenwärtig vorliegt, konnte man nämlich glauben, es hätte sich der Vormund der Kinder Guer^Bere,... vor den zürcherisehen Gerichten einfach präsentirt, um Vollstrekung des von dem waadtländisehen Gerichte Eossouay ausgefällten Urtheils auf im Kanton Zürich liegende Güter der Kinder Schellenberg ^n fordern , und es haben nun die züreherischen Gerichte jenem Urtheil eines waadtländisehen Gerichtes im Kauton Zürich die Exekution verweigert. Dem ist aber nicht so. sondern das Urtheil des waadtländischen Gerichts wurde von den zürcherischen Gerichten vielmehr nur produzirt, um zu beweisen, dass die gestellte Forderung au sich im Rechte feststehe, mit andern Worten, dass sie liquid sei, was dann in der That auch die züreherischen Gerichte annahmen.

68 Statt jenen einfachen Weg zu gehen, schlug vielmehr de... Anwalt der

Binder Guex^Vere^ d..n sehr komplizirten Weg ein, die Rechtmässigkeit

der gestellten Forderung und des von den waadtlandisehen Vormund^ schaftsbehorden eingehaltenen Versahrens vor den zürcherischen Berichten darzulegen, um dadurch zu einem günstigen Urtheil der züreherischen Ge^ richte zu gelangen, welches dann unmittelbar aus das im Kanton ^ürich liegende Gut der Kinder Sehellenberg ex^uirbar gewesen wäre. Die Erwägungen des zürcherischen Obergerichtes beweisen, und zum Ueberflusse erklärt solches sich auch noch ausdrüklich dahin, dass es sieh gerade wegen dieser Art der Brozessführung mit der ersten Frage gar nicht beschäl ..^

tigt habe.

Würdigt man die Urtheile der zürcherisehen Gerichte aus diesem Standpunkte, von welchem sie ausgefällt worden sind, so lässt sich in der That nicht wohl ein Grund für deren Annullirung auffinden. Die zürcherischen Gerichte hatten die Berechtigung, ganz frei darüber zu ent^ scheiden , ob eine vor ihrem Forum angebrachte Rechtsfrage zu bejahen oder zu verneinen sei, und es steht dem Kläger das Recht nicht zu, die Sentenz des Gerichtes als null und nichtig anzufechten, welches er selbst angerufen hat.

Anders scheint sich uns freilich die Sache zu gestalten, wenn man mit Beseitigung dieses prozessualischen Standpunktes aus die Materie selbst eintritt. Zwar konnen wir die Brätension , dass die Vormundschaft der Heimathsbehorde ohne weiteres vor derjenigen des Wohnortes zurük..

zutreten habe, keineswegs billigen. Der Bundesrath hat in seinem Ent-

scheide vom 26. Mai 1857 sich schon dahin ausgesprochen, dass durch die

Bestellung einer Vormundschaft von Seite der zürcherischen Behorden keinerlei Verlegung weder der Bundesverfassung und der Bundesgesezgebung, noch der Konkordate und der Verfassung des Kantons Zürich, stattgesunden hat, und er glaubt diesen Entscheid neuerdings bekräftigen zu sollen. Man mag zwar aus Zwekmässigkeitsgründen es wünsehbar finden, dass nur eine Vormundschaft bestellt werde, und dass es die Behorden des Wohnorts und nieht diejenigen des Heimathortes sein sollen, welche die Vormundschaft zu bestellen haben, dass mit einem Worte auch hier das Territorialprinzip allmählig in der gesammten Schweiz zur Herr-

schast gelange. Allein es ist jedenfalls kein rechtlicher Grund vorhanden,

um ein förmliches Verbot des in der grössten Zahl der Kantone noch gültigen und durch Konkordate bekräftigten Grundsazes der Vormundschaft der Heimathbehorden zu erlassen.

Hätte der Rekurrent statt weitläufiger Erörterungen über diesen Vunkt sich von Anfang an einfach aus ^lrt. 4..) der Bundesverfassung gestuft und demgemäss die Exekution des Urtheiles des Gerichtes von Eossona...

verlangt, so wäre damit wohl die Angelegenheit auf den richtigen Boden

69 gestellt worden, und es wäre vielleicht anch der Entscheid der züreherisehen Gerichte em anderem gewesen. Obschon erst im Rekurse selbst dieser Standpunkt betont wurde, so soll uns das dessen ungeachtet nicht hindern, auf die Eroberung dieses Vunktes noch etwas näher einzutreten.

Die Thatsache, dass ein rechtskräftig gewordenes Urtheil des Gerichtes Vexe^ die Summe von ^r. 11,308. 73 ^u bezahlen, liegt unbestritten pon Eossona.,. die Kinder Schellenberg verurtheilt hat, den Erben Guex^por.

Was kann nun Angesichts des Art. 49 der Bundesverfassung,

lautend : ,,Die rechtskräftigen Zivilurtheile , die in einem Kanton gefällt

^ sind, sollen in der ganzen Schweiz vollzogen werden konnen^, gegen die

Vollziehbarkeit dieses Urtheils eingewendet werden^ Der Anwalt des Rekursbeklagten sagt : ,,1) Das Urtheil des Distriktsgerichtes Eossona^ ist troz seiner Urtheils^ ,,form gar kein eigentliches Urtheil, sondern nur eine vom Bericht ,,einregistrixte Erklärung des waadtländischen Vormundes Heinrich ,,Gaulis, dass ex mit der klägerschen Forderung einverstanden sei.^ Dieser Einwurs hat wohl geringen Werth, da es gewiss der Rechtskrast eines Urtheils nicht schaden kann, wenn dasselbe auf

das Zugeständniss der beklagten Vartei sieh stuzt, mdem ja das Geständniss ein eben so gutes Beweismittel ist, wie Zeugen- oder Urkundenbeweis.

,,2) Als wirkliches Urtheil wäre dasselbe ungültig, weil die beklagten ,,Kindex Schellenberg auch rüksichtlich ihrer waadtländisehen Be,,vormundung nicht gese^lich vertreten waren. ^

Diese Einrede ist tatsächlich unrichtig, da der waadtländisehe Vormund Heinrieh Gaulis ins Recht gerufen wurde.

Dass er

nicht erschien, ändert an der Rechtskrast des Urtheils nichts, sondern konnte hochstens ^u Besehwerden über dessen vormundsehastliehe Verwaltung ...^tofs bieten.

,,3) Das Urtheil ist unwirksam gegenüber der durch bundesräthlichen Beschluss als reehtmässig anerkannten zürcherischen Vormundsehast über die Kinder Schellenberg, da diese in dem Brozefse überall gar nicht vertreten war.^ Dieser Einwurf beruht auf einer unrichtigen Aussassung des zitirten

bundesräthlichen Entscheides. Dieser anerkannte allerdings die Existenz

der züreherisehen Vormundschast als zulässig und rechtmässig ; allein er anerkannte ste keineswegs als a l l e i n reehtmässig. Die waadtlandisehe Vormundschaft wurde gerade eben so gesezmässig angeordnet, wie die zürcherische, und der Bundesrath entschied nicht, dass die waadtländische der ^ürcherischen ^u weichen habe, sondern nur, dass die leztere neben der erftexn bestehen könne. Wenn nun aber der waadtländische Vormund ein rechtmäßiger Vertreter der Kinder Sehellenberg war, so ist klar. dass ein

70 gegen ihn ausgefälltes Zivilurtheil in der ganzen Schweiz eben so gut auf Exekution Anspruch machen kann, als solches der Fall gewesen wäre, wenn die zürcherischen Berichte gegen den züreherischen Vormund ein Urtheil erlassen hätten, und Exekution desselben im Waadtlande nachgesucht worden wäre.

Unter solchen Umständen kamen wir zum Schlusse, es sei zwar kein Grund vorhanden, das Urtheil des Obergerichtes von Zürich zu annulliren,

dagegen habe dasselbe aus Gültigkeit allerdings nur in so weit Anspruch, als es kein Hindern^ sei für die E^ee.uirbarkeit des vom Distriktsgerichte

Eossona.... ausgefällten Urtheils, mit andern Worten, dass jenes Urtheil nur in so weit Gültigkeit habe, als es den Kläger angebraehtermassen abgewiesen habe.

Genehmigen Sie, Tit., die erneuerte Versicherung vollkommenster Hochachtung.

Bern, den 7. Oktober 1861.

.Jm Ramen des schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

^ M. Knusel.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: ^ie.^.

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Bericht des Bundesrathes an den schweiz. Ständerath, betreffend den Rekurs der Rinder Guer-Perez von Cossonay gegen die Rinder Guer-Schellenberg von Pfäffikon. (Vom 7.

Oktober 1861.)

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02.11.1861

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