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ständeräthlichen Commission, betreffend Nachlaß der genfer Okkupationskosten

(Vom 9. Juli 1866.)

Tit..

Die ..kommission, welcher Sie den Austrag gegeben, das Gesuch der Regierung von Genf, beziehungsweise den Antrag des Bundesrathes betreffend Rachlass der Geuser Okkupatiouskosten , zu begutachten , ist

mit Gegenwärtigem im Falle, dieses ihres Auftrages sich zu entledigen.

Sie wird Jhnen zuerst das Wesentliche ans den vorliegeuden Akten mittheilen, dann ihren Antrag stellen, und diesen ihren gestellten Antrag zu begründen sncheu.

Die Veranlassung und der Verlaus derjenigen Ereignisse , welche die Dazwischeukunft unserer bewassueten Macht in Gens nothig machten, ist bekannt. Wir kouuen sie hier süglieh übergehen.

Auch die G r o s s e der in Frage liegenden Summe bedarf einer nähern Erorteruug nicht. Sie beträgt nach der Reehnungsstellung des

Bundesrathes Fr. 433,614. 2l , ....elehe Rechnung die Regierung von Genf laut Bericht vom 30. September 1865 als richtig anerkauut hat.

Vergl. Botschaf.. des Bundesrathem vom 7. Juli 1866, Bd. II, S. 292.

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Bundesblatt 1866,

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Anbetreffend die Restitutionspflicht von Seite des Standes Genf an die Eidgenossenschaft , so ist diese von Genf selbst als solche nicht in Zweifel gezogen und hätte auch angesichts des Art. 16 der Bundespersassung nicht in Zweifel gezogen werden tonnen, welcher die Kosten eines militärischen Einschreitens ausdrücklich jenem Kantone überbindet, der dasselbe veranlag hat.

Genf verlangt aber dennoch Rachlass der Kosten, weil der Art. 16 der Bundesverfassung der Bundesversammlung das Recht einräumt, dem schuldigen Theile die Kosten des militärischen Einschreitens zu erlassen, w e n n b e s o n d e r e Gründe v o r h a n d e n sind, nnd als solche bes o n d e r e G r ü n d e führt das Gesuch der Regierung von Gens auf: 1) Die geographische Lage Genss , welche eine weit umfassendere Überwachung von Seite der Eidgenossenschaft nothig machte, als wenn die Ereignisse vom 22. August 1864 in irgend einem andern Kanton der Mittelsehweiz stattgesunden hätten ; und welcher Umstand selbst auch ohne solche Ereignisse für Genf die Ursache einer beständigen MehrAusgabe sür sein Volizeiwesen bilde.

2) Hätte Genf geglaubt , die Kosten fielen aus seine Rechnung, so würde es nicht angestanden haben, wenige Tage nach dem 22. August aus eine Reduktion zu dringen. Das eidgenosfisehe Ansehen sei nie in .^rage gestanden, und die Genfertruppen selbst wären nach den ersten Vorgängen genügend gewesen , die innere Ruhe ausrecht zu erhalten.

3) Der eidgenossische Richter habe in Genf keine Verbrechen gesunden.^ ohne Verbrechen gebe es aber keine Schuldige, und wo kein Kantonsbewohner schuldig sei , konne auch nicht von eiuer Schuld des Kantons die Rede sein. Habe aber nicht wegen einem Verschulden Genfs, sondern wegen seiner exzeptionellen ^age eine längere Besetzung nothig geschienen , so salle dieses so wenig als andern Gren^kantonen dem Kanton Genf zur ...^ast.

4) Schließlich weist der ...^.taatsrath daraus hin , wie viel das industrielle Gens den eidgenossischen ^oll- und Vostkassen jährlich bei-

trägt, wie die Eidgenossenschaft andere bedürftige Kantone mit Millio-

neu uuterstül^t, und wie schwierig in Genf die Mission einer allgemeinen Versohnung , und wie dringend dock. das Gelingen dieser Misston sei. Rie habe Genf noch eidgenossische Subsidien verlangt, aber bnndesbrüderlieh immer sür solche zu Gunsten anderer, bedrängter Kantone eingestanden.

So weit die Regierung von Genf. -

Die Gründe, welche die

Botschaft des Bundesrathes sür Gewährung dieses Gesuch^ anbringt, sind Jhnen aus der gedruckten Botschaft bekannt. wir konnen fie deshalb hier übergehen.

456 Raeh dem Gesagten stellt sich nun die von der Bundesversammlung ^u entscheidende Frage ^ einfach so dar: sind die im Art. 16 der Bundesverfassung vorgesehenen b e s o n d e r n G r ü n d e vorhanden, uni die von Geus als richtig und als s c h u l d i g anerkannten Fr. 433,614. 21 nachzulassen , und diese aus Rechnung der Eidgenossenschaft zu stellen, oder nicht ^ Je nachdem man das Vorhandensein solcher b e son der n Gründe annimmt oder deren E^sten^ verwirft, wird man zum Raehlass oder zum Riehtuachlass kommen.

Jhre kommission bejaht nun diese ^Frage, und zwar in dem Sinne, das. sie Jhneu Zustimmung zum Antrage des Bundesrathes beantragt.

Die Gründe , welche sie, abgesehen von denen der Regierung von Gens , sowie von denjenigen , welche in der bundesräthlieheu Botschaft entwickelt find, ^u diesem Schlusse geleitet, sind folgende: ^.s lässt sich uieht verkennen : wir leben in einem Momente der grossartigsten Krisen, wie sie nur nach gewissen längern Ber.oden Mitteleuropa zu sehen gewohnt ist. Die Ex^steu^ von Staaten und Gemeinwesen in unserer nächsten Rähe ist in Frage gestellt. Formen brechen zusammen , um neuen Gestaltungen die Möglichkeit zu geben , sich zu bilden. Der Glaube au den Fortbestand eines sesten Völkerrechtes beginnt wieder einmal ^u Banken und au die Stelle de.r Theorie und des Vertragsrechts tritt die Büchse und Kanone. Jn solchen Zeiten sehe jeder und namentlich ein ^kleiner Staat sich vor , dass die Jdee der geträumten und geglaubten Unverle^lichkeit ihn nicht lahme, und ^war doppelt, wenu er weiss, dass sein Bestand als solcher mit seiner durchgehenden Demokratie ein beständiger Protest ist gegen Bildungen, wie sie aus grossen Kämpfen so regelmässig hervorgehen , welche den Volkern wenig, den Regiernngen dagegen um so grossere Macht bringen.

Und in solchen Zeiten wird ein solcher Staat nicht nur jeden Grund innerer Entzweiung zu entfernen suchen, .falls er seiue welthistorische Mission hat und diese begreift ; sondern er wird anch mit einer gewissen Aengstlichkeit jede Erinnerung an kleinen .^ader, dieser notwendigen LebensBedingung der politischen Parteien und somit jeder Demokratie, zu entfernen suchen. Und als Erinnerung an einen ^solchen Streit erscheinen Jhrer Kommission die Genferischen .^kkupationsi.osten.

Man braucht die Vorgänge vom August 1864 gar nicht ^u
bes.honigen : die Thatsaehe genügt , dass sie eben ein unseliger innerer ^ader war.^n, und dass erst die Liquidation der daherigen Kosten denselben gan^ verDessen machen kann. Richt eine Auslandspartei stand zudem damals in Gens gegen eine. schweizerische , nein , gnte ^ehwei^er gegen gnte Schweizer, leicht erregbar freilich und fieberhast nach geglaubten guten Zielen ringend. Trügeu nicht alle Anziehen, so haben sich in lester ^eit die Leidenschaften in Gens bedeutend gemassigt . an die Stelle der

457 Ausregung ist eine gewisse gegenseitige Achtung getreten und darum wird die Eidgenossenschaft sicher wohl thun , durch einen hochherzigen Akt dem Volke Genfs zu diesem Umschwunge ein Bravo zuzurufen.

Dieser politische Bedanke ist der wesentlichste Grund , warum Jhnen Jhre Kommission den Antrag des Bundesrathes zur Annahme

empfiehlt.

Hiezu kommt dann allerdings noch als unterstehendes Moment, dass Gens in lester Zeit im Jnteresse des allgemeinen Verkehrs auf eine ganz bedeutende Riederlassuugsgebühr verzichtet hat, welche nach eini-

gen Angaben jährlich 35,000, nach andern sogar 60,000 Fr. eintrug.

^.ie Abschaffung dieser Einnahme erfolgte ohne irgeud eine Entschädigung , und mag man an und sür sich über die ^weckmässigkeit dieser Gebühren so oder anders denken, so wird man jedenfalls zugeben, dass es feine Schwierigkeit hat, den Ausfall einer solchen indirekten Steuer durch direkte zu ersehen.

Zieht man sodann in Berücksichtigung, wie selten seit 1848 ein derartiges Einschreiten der Buudesbehorden nothig wurde, so perschwindet grosstentheils auch die Furcht , dass durch diesen Kostennachlass ein Vräzedens geschahen werde, wonach auch in jedem spätern Falle gleich gehandelt werden müsse.

Mit Aufzählung dieser Gründe, welche Jhre Kommission zur Annahme

des bundesräthlichen Eutwurses gesührt haben, ist selbstverstäudlich keineswegs gesagt , dass die Kommission auch alle andern von dem Genfer Staatsrath und dem Bundesrath angeführten Motive als .richtig an^uerkennen vermoge. Aber sie tritt absi^tlich^iu eine nähere Würdigung derselben nicht ein, u.^eil dieses Vorgehen eine polemische Kritik im Ge-

folge hätte und sie absichtlich Alles meiden mochte , n.as ^ dem hochher-

zigen Akte, den sie zu beschliessen anrathet, in irgendwelcher Weise Bitterkeit beimischen konnte.

Schliesslich werden Sie den Sprechenden als Vertreter eines ehemaligen Sonderbuudskantons entschuldigen, wenn er den Anlass benutzt, seine Freude auszuspreehen , dass ihm die Ehre gegonnt ist, gerade in dieser Frage den e i n s t i m m i g e n Antrag Jhrer Kommission zu Gunsten jenes Genfs zu vertreten , welches seiner Zeit hochherzig und edel die Jnitiative für Rachlass der Sonderbundsschuld ergriff, und zu dessen Verwirklichung recht wesentlich beigetragen hat.

458 Jndem die kommission Jhnen den Antrag auf Annahme des bun^desräthlichen Beschlussentwurses unterbreitet , benu^t sie den Anlass, Sie ihrer vollkommenen Hochachtung zu versichern.

B e r n , 7/9. Juli 1866.

Ramens der ständeräthliehen .kommission, ^er Berichterstatter.

^oft .^eber.

^.nntisfn.m de..^ .^tanderat^.

^.^....missi.^n de^ ^ati.^nalrat^.

Herren .

Weber (...uzern).

.^ermann.

Week.

I^.... J. .^üttimann.

Becker.

Herren .

.^. Narrer, in Sumlswald.

.^d. Suter, in Zürich.

L. Grandpierre, in ^euenburg.

Adr. de .^u^en. in Siders.

.^. Bruggisser, in Wohlen.

Beschluß des S^nderalh.^ .^om 9. Juli , nach Antrag des Bundes..

Der ^allonalralh hal am 1.). ^ull, auf den mündlichen Bericht des .^errn N a r r e r ^ beigestimmt.

ralhs.

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Bericht der ständeräthlichen Kommission, betreffend Nachlaß der Genfer Okkupationskosten*). (Vom 9. Juli 1866.)

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18.08.1866

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