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Aus den Verhandlungen der schweiz. Bundesversammlung.

(Vom 2. Juli 1866.)

Unter vorstehendem Tage haben sich die gesellenden Räthe der Schweizerischen Eidgenossenschaft zu ihrer ordentlichen Sommersession in Bern versammelt.

Die abtretenden Präsidenten der Räthe erossneten die Session mit Anreden, welche also lauten : a. Anrede des Präsidenten vom Nationalräthe, Hrn.

in Samaden (Graubünden).

P. P l a n t a

,,Meine Herren Nationalräthe .

,,Während unsere Ausmerksamkeit und .unsere Arbeiten in den lezten Sizungen fast ausschließlich den fragen der innern Politik gewidmet waren, sind heute unser alier Vlike erwartungsvoll dem A u s l a n d e zugewendet, und es werden unsere wichtigsten Berathnngen vor Allem die Stellung der Schweiz nach Bussen und die entschlossene Wahrung all' unserer ererbten und bisher intakt erhaltenen Rechte und Freiheiten beschlagen.

., Ereignisse der ernstesten Ratur und von noch nicht klar zu berechnender Tragweite haben ganz Europa in Unruhe versezt und halten es in fieserhaster Spannung. Eine noch selten so grossartige Entfaltung militarischer Streitkräfte erinnert uns daran , dass unser Zeitalter , bei allem Rühmen seiner fortschreitenden Zivilisation und Humanität, leider immer noch die Blüthezeit der stehenden Heere ist, und dass bei allem schwung des menschlichen Wissens und Konnens, bei allen Exoberungen anf dem Felde der Wissenschaften und Künste, die natürlichste Quelle und Grundlage der Staatenbildung und Reehtsentwiklung , das Recht der freien Selbstbestimmung der Volker in Betreff ihrer Regierungsweise, sowie das Recht der möglichst freien Selbstentwiklung jedes einzelnen individuellen Lebens noch vielfach verkannt und von den Trägern der Gewalt allzuleicht beseitigt oder missbrancht wird.

,,Und doch müssen ohne die ausrichtige Anerkennung und ohne das siegreiche Durchdringen dieser Grundsäze sowohl eine gesundere Gestaltung der staatlichen Verhältnisse , als eine aus Dauer Anspruch machende Abgrenzung der einzelnen Ländergebiete stets nur fromme Wünsche bleiben. Glüklieh daher jedes Volk und jedes Land, dessen politisches

212 Leben auf dem festen Grunde des V o l k s w i l l e n s sieh stüzt, und in der grosstmoglichsten Freiheit all' seiner einzelnen Elemente wuselt.

,,Als am Ende des vorigen Jahrhunderts der Geist der Freiheit, gleich einem gewaltigen Sturme die morschen politischen Zustände Euxopa^s erschütterte, tras er die damalige Eidgenossensehast innerlieh krank und untreu geworden an ihrem eignen Lebensprinzipe. Daher brach dieselbe auch rasch in sich zusammen, tro^ einzelner Beweise der angestammten Tapferkeit ihrer Sohne.

^Freuen wir uns daher , dass die heutige S.hweiz in der Drangperiode dieser. Tage in sieh selbst einig dasteht und so wenig von Barteiungen gespalten ist, dass selbst die schrofseslen G^.nsäze politischer und konstitutioneller Anschauungen bei unsern lezten Versassungsberathungen am Ende sieh nur um wenige , an sich mehr sekundäre Artikel unsers Grundgese^es bewegen konnten, und dass das Volk selbst diese Veranderungen an den liebgewordenen Jnstitutioneu bis zu reiferer Abklärung aus sieh beruhen liess.

,,Aueh unsere Wehrkrast steht besser geordnet und ausgerüstet nnd weit umfangreicher und waffengeübter da, als in frühern Zeiten.

.,Unsere .^pser in dieser Richtung erlauben uns nun, mit Vertrauen ans ein Heer von 200,000 waffengeübter Männer hin.^ubliken nnd anf

sie zu zählen.

,,Dasselbe kann aber noch wesentlich verstärkt werden , wenn alle Kantone die Landwehrpflichtigen vollständiger einreihen, und namentlich durch die Organition des Landsturms eine weitere Hülfskrast von über 100,000 Mann rechtzeitig .in Bereitschast gehalten wird. Wo seder Bürger versassnngsgemäss S o l d a t ist und jede Generation einmal am militärischen Dienst gewohnt wurde, kann solch' ein Zuwachs an Reservemannsehast in gar manchen fällen, und insbesondere bei plo^lich anstauchenden lokalen Gefahren, nur hochst vortheilhaft nnd an der ^eit sein.

^Dabei wird jeder Milizmann gut thuu , sieh daran zu erinn^

dass ein allfalliger Angriff ans unsere Unabhängigkeit oder .die V^.rl.^u^ unsers Gebietes in seindseliger Absieht nicht nnr durch kräftig^ Wi.^er-

stand an den Grenzen , sondern noch weit besser durch ein^n raschen Ofsensivstoss nach des Rindes Land hin abgeleitet wird. D^ tapf^^ Haltung unserer Väter bei ^raubrunn..n, am Roth^.nthurm, in Rid^ald.^^ und bei Ehiamut vermochten das Vaterland nieht mehr vor d.^ Jno^^ sion fremder Heere zu schüfen. Dagegen begründeten die kühnen Vormärsehe nach ^rastenz , nach Rane^ , naeh Mnsso und Rovara s. ^ den Ruhm der schweizerischen Waffen.

,,Die gleiche Entschlossenheit wird aber, wenn es Roth thnt, anch heute wieder uus die gleichen Erfolge siehern.

213 ,,Unter solchen verhältnissmässig günstigen Umständen und beim festen Villen, unsere Jntegrität und Freiheit nothigensalls in einer neuen Feuerprobe wieder zu befestigen, kann das .^.h.veizervolk ruhig den Er^.

eignissen entgegen sehen , zumal bis zur Stunde seine Unabhängigkeit und seine neutrale Stellung von keiner Seite beanstandet, noch gesähr^ det erscheint.

fassen Sie uns daher , meine Herren Nationalräthe . in vollem Vertrauen aus die waltende Einigkeit im ganzen Volke , so.vie unter seinen Vertretern und seinen Behorden, und mit den. festen Vorsage, die Ausgabe und die historische Bestimmung der ^ch.veiz im .^taatenleben Europa^ s Anhalten und zu wahren , nun unsere legislatorischen Ar.^ leiten wieder a..fzu..ehm...u und in gewohntem W..is. erl^.d^n.

,,Der Allmächtige aber, welcher die republikanische Schweiz, diesen

alten Hort der Freiheit und der politisch Verfolgten, gleichsam als Vor^

bild und Vermittlerin zwischen den Gegensäzen der auf der blossen Gleich^ Artigkeit des .^praehidioms beruhenden Nationalität.. hingestellt , und der sie von jeher in sichtlicher Weise besonders beschirmt und beschult hat, moge auch sürderhin unser Vaterland vor Ungluk bewahren und uns die Kraft verleihen, seinen providentielles Willen durchzuführen^ ,,Mit diesem warmen Wunsche erkläre ich hiemit die ordentliche

Sizung des Jahres .l 866 für erossnet.^

b. Anrede des Präsidenten vom Ständerathe, Hrn. Dr. J. J.

Rü t ti mann in .^ürieh.

,,Tit. l ..Unter den ganz ausserordentliehen Umständen, unter denen wir diesmal uns versammeln, werden ^ie mir wohl gestatten, noch einige Worte an ^ie zu richten, ungeachtet ich nur noch provisorisch, bis Sie einen neuen Präsidenten gewählt haben werden , Jhre Verhandlungen zu leiten habe.

,,Rach langem Ringen ist endlich im Jahr l 848 der Schweig der grosse Wurf gelungen , sich in einer Weise ^u konstitniren , welche sieh bleibend der Zustimmung aller Bürger erfreut hat.

,,Seither haben die Kantone, troz der Gegensäze der Nationalitäten, ^der Konsessionen, der nationalokonomischen Jnteress...n und der politischen Anschauungen, friedlich und sreundlich neben einander gelebt. Zwischen der Eidgenossenschaft und ihren Rachbarn besteht das beste Vernehmen.

Das Misstrauen und das Uebelwollen, mit welchem wir früher von allen Seiten her behandelt worden sind, ist gänzlich verschwunden, indem sieh überall ^ie Ueberzeugung Bahn gebrochen hat, dass unsere Justitutionen die Ruhe und die Wohlfahrt der in andern ^taatsformen sieh bewegenden Volker in keiner Weise gefährden.

Beider ist für das grosse europäische .^taaten-.^stem eine Grundlage, auf welcher alle Glieder eben so ungestort an ihrer innern ^ortbilduug

214 arbeiten konnten, wie die Kantone der Eidgenossenschaft, bis je.^t noch nicht gesunden worden. Den ungeheuren Erschütterungen , welche die mächtigsten Staaten Europa's in den Jahren 1848 und 1849 in ihren Grundfesten wanken machten, ist der Krimmkrieg, der Krieg in Jtalien, der Krieg gegen Dänemark und die Jnsurrektion in Polen gefolgt ^ und in diesem Augenblik stehen wir schon wieder mitten in einer Krisis, die unheimlicher und gefahrdrohender ist, als irgend eine der srühern Kollisionen.

,.Allen diesen Ereignissen gegenüber hat die Schweiz unentwegt und konsequent den Standpunkt der Neutralität festgehalten.

,,Die Neutralität liegt nicht nur im J n t e r e s s e der Schweiz, sondern es ist dieselbe ein ^ e b e n s p r i n z i p für sie, welches ihrem innersten Wesen in der Art entspricht, dass sie dasselbe nicht ausgeben kann, ohue gewissermassen einen politischen Selbstmord zu begehen. Jhre geographische Lage zwischen Frankreich, Deutschland nnd Jtalien bringt es mit sich, dass s.e bei einen. aktiven Eingreifen in die europäischen Zerwürsnisse beständig in der Gefahr wäre, .Kriegsschauplaz zu werden. Jedenfalls würde sie in einen Strudel hineingerissen, in welchen. sie aus die .Länge den vielen theils verborgenen, theils ossen vorliegenden Klippen nicht entgehen konnte . und permoge der Gegensäze , die sie in ihrem Junern birgt , würde an die Stelle des einträchtigen Zusammenlebens sofort der heftigste Zwiespalt treten.

^G.uklicherweise ist auch Europa darüber einverstanden , ^ass die Schweiz ein As^l sei , welches in den Wechselsäl.len des hin und her wogenden Kampfes allen Parteien offen stehe ^ und dass ihr neutrales Gebiet eine Schranke bilde, welche unter allen Umständen die Kämpfenden trennen solle. Jn diesem ^inne bildet die Neutralität der Schweiz einen Bestandteil des europäischen Volkerreehts.

.,Auch gegenwärtig wird von allen Betheiligte.. unsere neutrale Stellnng anerkannt, und wir haben keinerlei Ursache, gegen irgend eine der

Mächte, welehe bei dem Kriege direkt oder indirekt interessirt sind, Miss-

trauen zu hegen. Dies entbindet uns aber keineswegs von der Pflicht, mit den Wafsen in der^ .^and ^eden , der unser Gebiet verleben will, ^urük^uweisen. .^ur. wenn ^ir feft entschlossen sind, der Neutralität mit der äussersteu Anstrengung Rachdruk zu geben , hat dieselbe Werth und Bedeutung.

,,Was ich soeben gesagt habe, konneu .^ie von jeden. fliehten Bauer oder Handwerker horen ; dies wird aber in Jhren klugen den Werth der von mir ausgestellten Säze nicht schmälern. Die Politik, welche die Bundesbehorden besolgen , muss eine einfache , Jedern..ann verständliche sein, damit das ganze Volk nothigeusalls mit Gnt und Blut für dieselbe einstehe.

.,Hiemit lade ich Sie ein, zu den uns vorliegenden Geschäften überzugehen.^

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^..ie Bureau^ beider Räthe sind bestellt worden wie folgt : 1) N a t i o n a l r a t h .

Präsident: Herr Riklaus Ri g gel er, von Ottisw..l, in Bern,

Vizepräsident:

., Jules philippin, von und in Reuenburg.

Stimmenzähler. .,

Karl S t ^ g e r , von und in Schwt.z.

,, Jakob A d a m , von Allsehwhl, in Liestal, ,, ,,

Jean Lou.s A n e r e n a z , von Bursins, inLausaune ,^ Dr. Heinrich H o n e g g e x , von Hinweil, in Zollikon

(Zürich). ^

2) Ständerath.

Präsident: Herr Emil W e l t i , von Zurzach, in Aaran,.

Vizepräsident: ,, Arnold Otto A e p l i , von und in St. fallen.

Stimmenzähler. ,, Jost W e b e r , von Hohenrain, in Lnzern.

,, Eugène B o r e l, von und in Reuenburg.

Als neugewählt.. Mitglieder der Räthe sind erschienen : Jm R a t i o n a l r a t h .

Herr Dr. Augnst v. G o n z e n b a e h , Grossrath , von Bern, in Muri bei Ber.. .

., Beter J e n u ^ , Rathsl.^err, von und in Schwanden (Glarus), ^ ^

,, August S ut er, Mitglied der ^t. ^alliseh..n Kassationsbehorde,^ von Krummenau, in St. fallen.

^ür Uri .

J ^u S t ä n d e r ath.

Herr ^arl Mnheim, Kantonsgerichtspräsident, von und

in Altdors.

,, Basel^tadt . Herr Alphons K o eh l i n , Mitglied des Kleinen Ra ths, von und in Basel.

., .......essin: Herr Dr. Agostino ^e Marchi, Grossrath, von und in Astano.

,, Reuenburg. ^e..x Brosessor Edouard ^ e s o r , Grossrath, von Les Bonts, in Reuchatel.

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Bundesblatt. .^..hrg. X^III. Bd. II.

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06.07.1866

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