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Bundesratbsbeschluß in

Wirth in Subingen,. betreffend Vollzug eines

Jnjurien-

Urtheils.

(Vom 27. Juli 1866.)

Der s c h w e i z e r i s c h e

Bundesrath

hat i Kts. Solothurn, betreffend V o l l z u g e i n e s J n j n r i e n n r t h e i l s , nach angehortem Berichte des Justiz- und Volizeidepartements und nach Einsicht der Ulkten, woraus sich ergeben :

...

seiner

Reise mit der Eisenbahn von Solothurn nach Subingen aus

dietw...l , Kts. Bern , und aus seiner Weiterreise von Subingen nach Jnkwyl, ebenfalls aus dem Territorium ^ des Kantons Solothurn, von reichen Publikums, iujurirt. d. h. der Tötung eines Mannes, (Polizeidirektor V e r r e t von Chaux-de-Fonds) verdächtig gemacht, welcher por einigen Jahren aus dem Bahnhose zu Subingen todt gesunden worden, jedoch nach einem einstimmigen Gutachten des Sanitatskol.legiums des

348 Cantons Solothurn in Folge eines Schlagansa.lles gestorben war, wesshalb der damals in Untersuchung gezogene heutige Rekurrent Jakob Studer mit Entschädigung freigesprochen worden war.

Rekurrent reichte deshalb am 30. Mai 1865 gegen diese beiden Jnjurianten bei dem solothnrnischen Amtsgerichte Bueheggberg ^ Kriegstetten eine Klage ein mit sollendem Rechtsbegehren: Die Beklagten seien zur Satisfaktion zu verurteilen , und zwar: 1) sei die Ehrbeleidigung gerichtlich anzuheben , 2) seien die Beklagten angemessen zu bestrasen .

3) seien dieselben zu einer Entschädigung von je Fr. 500 an den Kläger zu verfallen unter Kostenssolge.

Die Beklagten wurden hieraus aus den 20. Juni 1865 vor die

Audienz des Amtsgerichtspräsidenten von Bucheggberg -Kriegstetten in

Solothurn zur Jnstrnktion des Brozesses peremtorisch vorgeladen ^laut Bescheinigung vom 10. Jnni 1865^., erschienen aber nicht, in Folge dessen Tag zum Abspruch auf den 28. Juni 1865 angesezt wurden allein auch dieser zweiten peremtorischen Vorladung leisteten die Beklagten keine Folge , worauf das Amtsgericht an diesem Tage, in An-

weudung von ^ 1394 des Zivilgesezbuches und von ^ 90 und 167

der Brozessordnung, die Beklagten in contumaciam verurtheilte wie folgt: 1) den Jakob R.^ser zu einer Geldbusse von Fr. 100 zuhanden des Staates Solothurn, ^.. Fr. 500 Entschädigung und Fr. 45. 50 Kosten an den Kläger .

2) den Gottlieb Eggimann zu einer solchen Busse von Fr. 50 ;

ebenfalls zu einer Entschädigung von Fr. 500 uud^ ^r. 47. 40 Kosten gegenüber dem Kläger.

Bei der Beurtheilung der Kompetenzsrage zog das Amtsgericht in

Betracht: Die Brozessordnung des^ Kantons Solothurn schreibe sür Jnjurienstreitsaehen ein gemischtes Versahren vor in der Form eines Zivil-

professes mit Klagrecht aus Bestrafung (^ 102, 103 usf. der Vro-

^essordnung und ^ 1398 des solothurnisehen Zivilgesezbuehes). Ferner nach ^ 24 der Brozessordnuug sei der Gerichtsstand naeh Wahl des Klägers bei derjenigen Gerichtsbehörde , in deren Bezirk der Verantwortex wohne oder wo die Jnjurie stattgefunden habe. Diese Vorsehrist stehe nieht im Widerspruche mit Art. 50 der Bundesverfassung , indem derselbe bloss für persönliche Ansprachen das lornm domicilii als ^orm ausstelle, während nach der solothurnischen Gesezgebung bei prozessnaliseher Geltendmachung der Jnjurienklagen die mit dem Satissaktions- und Bestxafungsbegehren verbundene Entschädignngssorderung , welch' l.eztere allerdings eine personliehe Ansprache bilden würde, als konner^ u^it jenem

349 Begehren betrachtet werden müsse, indem ein getrenntes Forum für gefezlich gestattete zusammengehörige Rechtsbegehren wohl nicht im Sinn...

der zitirten Verfassungsbestimmung liege, und endlich in Betracht , dass die Jnjurie im Kanton Solothurn, und zwar in der Einung Subingen stattgefunden habe.

..i.. Für die ihm durch diese Kontumazurtheile zugesprochenen Entschädigungs - und Kostenbeträge erliess der heutige Rekurrent Jakob

Studer am 2.l. Juli 1865 an beide Verurtheilte rechtliche Zahlungs-

Aufforderungen, worauf Widerspruch erfolgte.

Unterm 7,^9. August 1865 stellte dann Jakob Studer an den Appellations- und Kassationshof des Kantons Bern das Gesuch um Bewillignng des Vollzuges der erwähnten Urtheile, welches Gesuch gemäss ^ 391 des bernischen Zivilprozesses den Beklagten zur Vernehmlassung mitgetheilt wurde. Diese verlangten die .Abweisung des Ex^uaturbegehrens unter Hinweisung aus Art. 50 der Bundesverfassung, und gestüzt auf folgende weitere Begründung : Der ^ 1394 des solothurnischen Zivilgesezbuches bestimme allerdings, dass der Beleidigte vom Jnjurianten in den durch diese Gesezesstelle normirten Fällen Genugtuung verlangen konne. Allein diese Gesezesstelle sei eben nicht etwa im solothurnischen Strafgesezbuch, sondern im Zivilreeht, und zwar im dritten Titel , der von der Eut-

stehungzivilrechtlicher Forderungen und Verbindlichkeiten durch Beschädigung

handle, enthalten. Es gehe deshalb schon hieraus hervor, dass, wenn auch der Beleidigte die Verhängung einer Busse verlangen könne , der Zivilansprueh , resp. das Begehren auf Genugtuung , immerhin die Hauptsache bilde , und das damit verbundene Strafurtheil nur als ^.leeessorium betrachtet werden müsse. Der ^ 1398 des solothurnischen Sachenrechtes bestimme denn auch , dass in diesen Fällen der Richter vorerst die Beleidigung für aufgehoben zu erklären , sodann dem Beleidigten für den angeblich erlittenen Rachtheil einen Schadenersaz zuZusprechen und erst hieraus eine Strafe auszusprechen habe. Hätte der Ge^ezgeber die Strafe als das Wesentlichste betrachtet , so würde er vorerst das ganze .Kapitel über die Jnjurien im Strafkode^. aufgenommen oder doch wenigstens den Bönalfolgen den ^ivilrechtliehen Rachtheilen im Zivilkodex^ vorausgeschikt haben. Die im solothurnischen Gesezbuche vorgesehene Wahl des Gerichtsstandes durch den Kläger gelte offenbar nur für diejenigen Fälle , wo sowohl der Kläger als der Beklagte im gleichen Kanton, d. h. im Kanton Solothurn wohnen. für Auswärtig dagegen mache die Ratur der Genngthuung, das persönliche Forderungs-

recht , unwiderrufliche Regel für die Bestimmung des Gerichtsstandes.

Jn Uebereinstimmung mit den Vorschriften des Zivilrechts bestimme denn auch der ^ 24 des solothurnischen Zivilprozessversahrens , dass Ehr.Verlegungen auf dem Zivilwege und nicht aus dem Strafwege einzuklagen

^50 seien, woraus wieder hervorgehe, dass die ans einer Jnjurie herzuleitenden Ansprüche des Klägers als wesentlich personlieh aufgesasst werden, .^vie denn auch das solothurnisehe Amtsgericht selbst zugestehe , dass Jnjnrienftreitsachen in Forni eines Ziviiprozesses eingeklagt werden müssen.

^Jn Berüksichtiguug und Anerkennung dieser Grundsäze habe denn auch Studer seine Ansprüche gegen Eggimann und R...ser ebensalls aus dem ^ivilwege geltend zu machen gesucht und dadurch unzweideutig anerkanut . dass es sich dabei u ut die Realisirung einer personlichen Ansprache handle , wie der Art. 50 der Bundesverfassung dies vorsehe.

Die schweizerische Rechtspra^.is habe den Grundsaz , dass personliche Forderungen am Wohnorte des Beklagten geltend gemacht werden müssen, auch schon lauge in solchen Fällen angewendet , wo mit dem Zivilanspruch gleichzeitig strafrechtliche Folgen verbanden gewesen seien. Das

Amtsgericht Buch..ggberg..Keiegftetten sei daher nicht kompetent gewesen,

über die von Ja^ob Stnder erhobenen Zivilansprüch.. ein .rechtsverbindliches Urtheil zu erlassen. es perstosse dasselbe vielmehr gegen Art. 50 ....^r B .. n d e s v e r s a ss n n g und sei desshalb au.h nie e^nirbar im Kanton Bern.

Rachdem diese Einrede dem Studer no^h znr V^r..ehmlassung mit-

getheilt worden und dieser am 14. Dezember 1865 eine Replik eiugereicht, hat der Appellations^ und Kassationshos des Kantons Bern das Gesuch um Bewilligung des Vollzugs sraglieh..n Urteils unter Kostensfolge abgewiesen, und zwar unter solgend.^r Begründung : 1) dass nach Art. 50 der Bundesverfassung der ausrecht stehende schweizerische Schuldner, welcher einen festen Wohnsiz hat, für personliehe Ansprachen vor dem Richter seines Wohnortes gesucht werden muss , 2) dass diese Qualifikationen bei Gottlieb Eggimann und Jakob R....ser zutreffen .

3) dass die Klage, welche Studer gegen dieselben bei dem Amtsgerichte Bucheggberg-Kriegstetten anhängig machte, eine Zivilklage ist und ihrem Hanpt^weke nach wegen sraglicher Jnjurie aus Entschädigung, resp. aus eine personli.he Ansprache gerichtet war.

4) dass wenn auch nach solothnrnischem Geseze dem Jnjnriaten fre^

gestellt wird, seine daherige Zivilklage bei der Gerichtsbel.^orde, in

deren Bezirk der Jninriant wohnt oder bei derjenigen, wo die Jnsurie stattfand, anzubringen, diese Vorschrift nur aus die ^älle Zuwendung siudet , wo der leztere selbst im Kanton ^olothurn seiuen Wohusiz hat.

5) dass demnach diese spezielle kantonale Gesezesbestimmung dem in Art. 50 der Bundesverfassung aufgestellten allgemeinen Grundsaze und dem durch diesen den Beklagten ^...gesicherten Gerichtsstande ihres Wohnortes nicht derogiren kann ^

351 6) da^ nicht nachgewiesen worden , dass dieselben sich vor dem solothurnischen Gerichtsstande eingelassen oder diesen als kompetent anerkannt haben.

3. Gegen diesen Entscheid des bernischen Obergerichtes vom 17.

Februar 1^66 rekurrirte dann Jakob Studer durch seiuen Anwalt, Hrn.

Fürsprecher A. Jäggi in Solothurn, mit Eingaben vom 28. März und 24. April 1866 an den .Bundesrath, und stellte unter Berufung^ auf Art. 4.) der Bundesverfassung das Gesuch : es sei das Urtheil des solothurnischen Amtsgerichtes Bucheggberg..Krlegstetten vollziehbar zu erklären.

Zur Begründung dieses Antrages verweist Rekurrent aus den Jnhalt seiner unterm 14. Dezember 1865 dem bernischen Appellationsund Kassationshofe eingereichten Replik, in welcher er im Wesentlichen

folgende Ansichten verteidigte.

Rach ^ 24 der solothurnischen Vrozessordnung bestehe bei Ehrverlezungeu zu Gunsten des Beleidigten ein alternativer Gerichtsstand beim Wohnorte des Beklagten oder bei dem Gerichte , in dessen Kreis die Jninrie begaugen worden. Da nun die ehrverlezenden Aeusserungen aus dem solothurnis.hen Territorium stattgesunden haben, so sei die Klage bis auf Weiteres am gehörigen Orte angebracht worden.

Rach Art. 3 der Bundesverfassung seien die Kantone souverän, so weit ihre Souveränität nicht durch die Bundesversassung beschränkt werde und üben als solche alle Rechte aus , welche nicht der Bundesgewalt übertragen seien. Run stehe das Versahreu des Amtsgerichtes

Bucheggl.erg-Kriegstetten mit Art. 50 der Bundesversassung in keinem

Widerspreche. Was unter dem Ausdrnke ,,personliche Ansprachen^ zu verstehen sei, lasse dieser Artikel unentschieden. Die daherige BegrisssBestimmung sei daher Sache der Kantonalsouveränität, resp. der Kantonalgese^ebung.

Rach der Gerichtssazung des Kantons Bern vom ..). Dezember 1761 werden in diesem Kantone die Ehrverle^ungen als Uebertretung des ^trasgesezes behandelt, woraus folge , dass der Jujuriaut da gerichtlich ^u verfolgen sei , wo er die Jnjurie begangen habe. Da somit im Kanton Bern sur Jnjurien nur das kornm del^ti commisse anerkannt werde, so hätten die bernischen Gerichte sieh ^ offenbar für die Behandlung der ^trafklage inkompetent erkläreu müssen. Es wäre folglich hier der ^all vorhanden, dass eiu Kläger, der au und für sich im Rechte sei, nirgends ein kompetentes Gericht znr Verfolgung seiues rechtlichen An-

spruches fände.

Die Eutschädiguugsfordernng sei rein aeeessorischer Ratnr und eben

desshalb bezüglich der Kompetenzfrage unmaßgeblich.

1866

Der vom Bundesrathe ertheilte Rekurseutseheid vom 28. ^ebruar im Spezialsalle des J..geuieurs H e g n e r von Aachen (Sch.o^)

Bundes l.^. Jahrg. X^III. Bd. III.

^

2.^

352 contra Jngenieur S t a d li n in Zug ^ei vom vorliegenden darin verschieden, dass nach der Gesezgebung des Kantons Zug die Jnjurienklage als personliche Ansprache behandelt werde und demzufolge beim korum doniiciln des Beklagten anzubringen sei , während sie im Kanton Bern als Delikt ausgesasst werde, und weil die in Frage stehenden Urtheile

sowohl nach Vorschrift des Zivilgesezbnches , als nach der Zivilprozessordnung des Kantons Solothurn erlassen und überhaupt nach Form und Jnhalt Zivilurtheil.e seien.

4.

Die Regierung des Kantons Bern hat mit Sehreiben an den

Bundesrath vom 2. Juli 1866 diesen Rekurs zurükgesandt , mit dem Bemerken , der Appellations - und Kassationshof habe sich darauf beschränkt , die Antworten von den beiden Rekursbeklagten zn erheben, welche , und ^war Gottlieb Eggimann am 5. Juni und Jakob R.^ser am 14. Juni 1866, einfach geantwortet haben, dass sie im Hinblike

auf die Motive des obergerichtlichen Entscheides vom 17. Februar 1866 und die bundesrechtliche Bra^is eine nochmalige Erorterung dieses Falles für überflüssig erachten und auf Abweisung des Rekurrenten antragen.

Es fällt in Betracht: 1) Bei Jnjnriensachen steht es dem Kläger frei, eine Straf- oder Zivilklage zu erheben. Wählt er den erstern Weg, so steht der Beurtheiiung derselben am Orte des begangenen Deliktes keine Bundesvorschrist im Wege , hinwiedrum besteht aber auch keine Bundesvorsehrist, welche einen andern Kanton nöthigen würde , Beihilfe zur Vollziehung eines solchen Urtheils in dessen Gesammtheit oder in einzelnen Theilen eintreten zu lassen. Wählt der Kläger aber den zweiten Weg , so hat er seine Klage gemäss Art. 50 der Bundesverfassung am Wohnorte des Beklagten anzubringen.

2) Rekurrent hat nun diese klaren Grundsäze umgehen zu können geglaubt, und zwar dadurch, dass er vor dem forum delicti nur eine Zivilforderung stellte und nach erfolgter Zuspraehe diese als Zivilurtheil in einem andern Kantone gemäss Art. 4.) der Bundesverfassung vollziehbar erklären lassen wollte. Der Bundesrath hat jedoch in Sachen Hegner contra Stadlin , dessen Erwägungen dem Rekurrenten bereits mitgetheilt worden sind , sehon entschieden , dass er diese Versuche de.^ Umgehung der ..Forschriften der Bundesverfassung für unzulässig Brachte, beschlossen :

1. Es sei der Rekurs als unbegründet abgewiesen.

2. Sei dieser Beschlnss der Regierung von Bern zuhanden des Appellations^ und Kassationshofes und der beiden Rekursbeklagten, so-

353 wie dem Rekurrenten, diesem unter Rüksendung mitzutheilen.

seiner Rekursbelege,

Also beschlossen, Bern, den 27. Juli 1866.

Jm Ramen des schweizerischen Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

^. M. Knusel.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: ^ie^.

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Bundesrathsbeschluß in Sachen des Rekurses des Jakob Studer, Mezger und Wirth in Subingen, betreffend Vollzug eines Injurienurtheils. (Vom 27. Juli 1866.)

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1866

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15.12.1866

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