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Schweizerisches Bundesblatt.

XVIII. Jahrgang. .l.

Nr. 10.

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10. März 1866.

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des

schweizerischen Bundesgerichtes an die h Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Jahr 1865.

(Vom

7. Februar 1866.)

Tit. l Unsere Geschäfte habeu sieh im Jahr 1865 gegenüber dem vorhergehenden Jahre abermals vermindert. Wir hielten daher bloss zwei Zessionen mit 10 Sitzungstagen, die eine nach gesetzlicher Vorschrist in Bern, die andere in Zürich. Diese Abnahme der Geschäfte erklärt sich wesentlich dadnrch , dass in dem Bau der schweizerischen Eisenbahnen seit einiger Zeit ein Stillstand eingetreten ist und damit die Zahl der Erpropriationsproeesse , welche uns früher in bedeutendem Masse beschästigten , sich sehr vermindert hat.

Die Gesehäste, welche das Gericht in seiner G e s a m m t h e i t während des Berichtsjahres zu erledigeu hatte, waren aussehliesslieh e ivi lr e c h t l i c h e r Ratur. Von Denselben wurden 8 dnreh Urtheil erledigt,

nämlich 3 Erpropriationsstreitigkeiten (2 betreffend die Rordostbahn und

1 betretend die Eisenbahn Lausanne-Freiburg) , l Vindieationsklage gegen die Eentralbahn, 3 Ehescheidungsproeesse und 1 Heimatlosenproeess.

Unter diesen Broeessen hat keiner eine hohe Wichtigkeit, weder rücksichtlich der Grosse der streitig gewesenen Jnteressen , noch wegen der dabei zum Entscheide geladen Rechtsfragen ; doch mogen einige Angaben über die Rechtsans.hanungen . welche uns bei mehreren Urtl.eilen geleitet haben , nicht ausser Platz sein.

Bundesblatt. Jahrg. XvIII Bd.I.

2l

254 Bei einem der drei E x p r o p r i a t i o n s p r o e e s s e lag die Frage vor, ob Entsch..diguugsansprachen an Eisenbahnunternehmungen, welche rechtzeitig angemeldet, aber in den Entscheiden der Schäl^nugseommissioueu mit Stillschweigen übergaugen worden sind, spater von den E^propriaten neuerdings erhoben werden konnen, auch wenn sie gegen den ^chä^ungsentscheid binnen der angesehen Frist den Reeurs an das B....desgeruht nicht ergriffen haben. Wir beantworteten die Frage verneinend.

Die E^propriaten haben ^die Mogli .hkeit, ans dem Wege des Reenrses an das

Bundesgericht sich gegen Beeinträchtigungen durch das Stillschweigen der

Schä^.....gseommisston zu schüfen, und eine nachträgliche Zulassung derartiger Reklamationen stände im Widerspruche mit dem Streben des eid^ genossisehen E^propriatiousgesetzes, die Verhältnisse zwischen den Bauuuternehmnna.eu und den Espropriate^ möglichst rasch und einfach zu ordnen.

Der Viudieationsprozess gegen die Eentralbahn suhrte zu einer fur die Eisenbahn.....ter..elmm..gen nicht unwichtigen Jnterpretation von Art. 4^

des eidgenössischen E^propriationsgesetzes, wonach die Espropriata. ^ie

von ihnen abgetretenen Rechte zurückfordern Tonnen, wenn sie binnen zwei.

Jahren nach ersolgter Abtretung zu dem Ab.rel..ngszwecke nicht be..^t worden sind, ohne dass fi.^h hiefür hinreichende gründe anführen lasse...

Wir wiesen nämlich die Vindieation von Land beim Bahnhof Luzern,

welches gleichzeitig mit der Expropriation für das erste Geleise zu einer

zweiten Geleiseanlage e^propriirt worden war, bis jel^t aber hiefür nicht bennl^t worden ist, mit folgender Begründung ab: ^.Ein hinreichender Grund sür die einstweilige Ri^htverwendnng des Landes zn dem Abtretungszwecke wird darin gefunden , dass bis jel^t der Verkehr auf der Bahnlinie Olten-Lnzern und im Bahnl^ofe Luzern sich lmnier noch in Grenzen bewegt, welche eine einspurige Bahn als genügend erscheinen lassen. Ans diesem Umstande darf jedoch nicht gefolgert werden, es sei die Anlage eines zweiten Geleises beim ^ande des ^lagers ganz unwahrscheinlich, und es müsse d..r ursprüngliche Abtrelungszweck, soweit er eine solche Geleise.^.

anlage n.it ln^s Ange fasste, als dahingesallen betrachtet werden. ..^ieht man aueh von einer Entwicklung des Eisenbahnverkehres ab , welche die Anleguug eines zweiten Geleises anf der ganzen Linie Olten^Luzern nothig machen würde, so erseheint jedenfalls eiue zweite Geleiseaulage zunächst dem Bahuhofe Luzern nicht ausser dem Bereite der Mogli^keit.^ Bei einem E h e s c h e i d u n g s p r o z e s s e , welcher zwischen Eheleuten aus dem Kanton Thurgan , die il,.r Domieil i^u Kauton ^t. Galleu hatten , obwaltete, kam ein zweifelhafter Puul^t zur Besprechung. Rach dem eidgeno^sischen Rachtragsgese^e über die gemischten El^en fallen die Klagen aus Scheidung solcher Ehen nur daun in die Eompeteuz des BundesBerichtes , wenn die Eheleute unter einer die gänzliche Ehescheidung aussehliessenden Kantonalgese^ebnng stehen. Eine ^.heidnng gemischter Ehen

ist nach ^t. Gallischem Rechte allerdings nicht moglieh, wohl aber nach

255 thnrga..ischem ; das Bnndesgericht hatte sich also bei Beurtheilnng der Frage seiner Eompeten., für den erwähnten Ehescheidungsproeess z n. fragen, ob derselbe zunächst unter die Gerichtsbarkeit von ^t. Gallen oder von Thurgan gehore. Hierüber lassen sieh verschiedene ^lnsiehten .denken ; wi..

nahmen ^och die Eompeten^ des Bundesgerichtes als vorhanden an und sprachen uns dabei in solgender Weise aus : ,,Die Kompetenz des Bundesgeriehtes ist vom Beklagten nicht beftritleu worden; vielmehr hat dieser während der ganzen Dauer seines Eheseheidungsstreites angenommen, dass er für denselben den Gesezen und Gerichten. des Kantors St. Gallen als seines ^iederlassnngskantons unterworfen sei, beziehungsweise dass ^ darüber das Bnndesgerieht nach Massgabe des eidgenossischen Rach^ragsgesezes über die gemischten Ehen ^. erkennen habe, weil im Karton

^t. Gallen die Scheidung gemischter Ehen uicht möglich ist. allerdings

sind ^weisel darüber gede^.kbar, ob diese Auffassung richtig und nicht vielmehr die Geseze und Gerichte des Kantons Thurgau als ^es Heimatkantons der streitenden Eheleute anzuwenden und eompetent seien ; allein die erstere Auffassung entspricht den Grundsätzen, welche im Kanton St.

Gallen hierüber bestehen, und von Seite des Kantons Thnrgau ist ein...

Einsprache gegen die Behandlung des Prozesses durch das Bnndesgerieht nicht erfolgt. Unter solchen Umständen liegt kein Grund vor, die Behandlung des ^roeesses wegen mangelnder Kompetenz abzulehnen..^ Der von uns benrtheilte H e i m a t l o s e n p r o e e s s sehwebte zwischen den Kantonen Hessin und Graubünden und war seit dem Jal,.r 1^53 beim Bundesrathe, beim Bnndesgerlehte seit den. Jahre l 8.^4 anhängig; er betraf die ans 31 Bersonen bestehende Familie ....^ona nini in Roveredo.

Die Verhältnisse , .^etehe von .^eite des Bundesrathes ermittelt worden waren , liessen uns keinen Zweisel darüber, ^dass die genannte Familie zwar seit mehr als 150 Jahren in Roveredo, Kanton Granbiinden, wohn-

hast, hier aber nie in den Best.^ des wirkliehen Bürgerrechtes gelangt sei,

und da^ dieselbe aus der Gemeinde ^onog^.o ini Kanton Hessin abstan^me.

Rach dem Bundesgese.^e uber die Heiumtlosen sällt bei Heimatlosenprozessen das Moment der Abstammung in erster .Linie in^s Gewicht; wir bestätigten daher den Beschluß des Bundesrathes, wonaeh der Kauton Hessin zur Einbürgerung der genannten Familie verpflichtet wurde, wenn schon manche andere Momente vorlagen, welche in Ermangelung eines ^aehweises uber die .^lbstannnung der einzubürgernden Familie zu Ungnnsten des Kautons Graubünden gesprochen hätten.

^wei weitere Geschäfte wurden dnreh B e s eh l u ss des Gerichtes erledigt, nämlieh eine Klag.^ von Bern gegen ^olothurn betreffend ein Bürgerrechtsverhältuiss, und eine Beschwerde über die eentral....ropäische Eisenbahn im Kanton Hessin von Seite der dortigen ^ehä^ungskommisfion.

Die Klage des Kantons Bern gegen ..^olothurn wiesen wir nach ...lrt. .)3 ^ des Eivi.proeessgese^es von der Hand, weil .^olotlmrn die Eon^petenz des Bundesgeriehles bestritt und somit vom Kanton Bern, falls er ans der

256 Klage besteht, vorerst der Entscheid der Bundesversammlung über die Eompeten^frage einzuholen ist. die Bundesversammlung wird alsdann auch darüber zu entscheiden haben, ob Solothurn seine Einrede der Jneompeten^ rechtzeitig erhoben hat.

Die Beschwerde der Sehä^ungseommission im Danton Hessin wurde dadurch veranlagt, .^ass ihr die Eisenbahngesellsehast die Bezahlung einer Rechnung deshalb verweigerte, weil sie nach einem Vertrage mit ihrer Rechtsvorfahrin , der Gesellschaft Pillar und Eomp. , für die betretenden Bemühungen der kommission nicht eiuzustehen habe . wir gabeu der Schät^ungseo^mission Recht , aus folgenden Gründen: ,.Eiue Gesellsehast, welche die Eoneession znm Bau einer^ Eisenbahn und damit das Recht zur Expropriation erhält, übernimmt mit der Eone...ssion auch die Verpflichtung , die ^...rch das Gese^ aufgestellte Schäl^ungseommission nach Massgabe des bestehenden Tarifes zu ents^hadigen. Ueberträgt die Gesellschaft ihre Eoueession an einen andern Uebernehmer, so übernimmt dieser mit dem Recht anch die Bsli.l.t zur Ent-

sehädiguug der Eommissiou , welche si..h diesssalls an den jeweiligen

Jnhaber der Eoneession zu halten berechtigt ist.^ ^

Reben den durch Urtheil oder Beschlnss erledigten Streitsällen halten wir noch verschiedene andere Gesehäste zu besorgen, namentlich mehrere Wahlen in .....^.h.^ungskommissionen vorzunehmen und die Kammern des Gerichtes für das Jahr 1866 ^u bestellen.

Von den Kammern trat im Berichtsjahre lediglieh die A n k l a g e k a m m e r ^u einer ..^it^ung zusammen. Der ^Bundesrath hatte sich nämlieh durch die Erfahrungen, welche bei d...r Strafuntersnehnug uber die Genser-Ereignisse vom 22. August l 864 gemacht worden waren, veranlasst gesehen, bei uns den Erlass einiger reglementarischer Vorsehristen über das Rechnungswesen der eidgenossi^hen Untersnchungsrichter anzuregen. diese Zuschrist überwieseu wir der Anklagekammer als Auffichtsbehorde über die Untersuchungsrichter ^ur Erledigung. Die genannte Kammer hat nun am 22. Deeen.ber 1865 ein Reglement^ betreffend das Rechnungswesen der eidgeuossis.hen Untersnehungsrichter ausgestellt, welches geeignet seiu dürfte, den zu Tage getretenen Uebelsl.änden für die Zukunst vorzubeugen. Raeh dem Reglement liegt die Besorgung des Kassa- uud Reehunngsweseus der Uutersuehnngsriehter, so ost sie in Funktion treten, dem ii,.nen beigeordneten Geriehtsehrei^er ob. de^u Geriehtschreiber wird die chronologische Führung eines Kassabu.hes zur ^flieht geu^aeht uud ausgegeben, sür die von ihm ^u stellende Rechnung gel,.orig ^nittirte Rechnungen. beizubriugen ; die Entschädigungen an den Untersuchungsrichter, dessen Geriehtsehreiber und deren Angestellte sind naeh den gese^liehen Vorschriften zu berechnen , in der Meinung , dass der Bundesrath bei ausnahmsweisen Verhältnissen Gehaltszulagen oder Gratifikationen bewilligen kann.

.^) .^idg. GesezsammIung Bd. ^III, S. ..^1.

257 Für d.e J n st r n k t i o n v o n B r o e e s s e n waren eine Mehrzahl von Mitgliedern des Gerichtes in ...lnsprnch genommen , und es gelang denselben wie in den früheren Jahren , eine grossere Zahl von Broeessen von sich aus zum Abschluss.. zu bringen.

Die G e s ch ä s t s ü b e r s i eh t ergibt für das Berichtsjahr nachstehende ^..l^leu: Die Zahl der von 1864 als pendent übergetragenen Geschäfte

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3 3

^ Ren giengen ein : ^E^propriationsreeurse^ der Rordostbahn . . . . . . 3 ,,

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Weftbal.n

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eentraleuropäischen Bahn

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1

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Ehescheidungen: .

aus ,.

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St.

Gallen

Ludern

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2

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1

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1

Graubündeu . . . . . . . . .

Brousse

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Summe der neu eingegangeneu Geschäste .

Gesammtzahl der vorgelegenen Geschäfte. .

.^ievou wurden erledigt .

1

^-- 5 4

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-^.^^ ^

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47

durch llrtheil des Gerichtes . . . . . . . . . .

,, Beschluß des Gerichtes . . . . . . . .

., ,,

Abstand v o m Vroeesse . . . . . . . . .

die Jnstrnktionsriehter . . . . . . . . .

Summe der erledigten Vroeesse . . . . .

Vendent blieben sur das Jahr 186l..

8 2 ^ 8 17 ^^^^ ^^

...

12

Genehmigen ^ie die Versicherung unserer vollkommenen Ho.hachtnng und Ergebenheit.

W ei u se l de n, den 7. Februar 1866.

Jm Rameu des Bundesgeriehtes , D er P r ä s i d e n t:

Ed. .^aberlin.

Der Gerichtschreiber :

Dr. ^. Ascher.

258

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Botschaft des

Bundesrathes an die h. Bundesversammlung auf die RekursBeschwerde des Hrn. Hauptmann Philipp Massiv in Genf, betreffend ein Pulverfabrikat.

(Vom .). Februar 1866.)

Tit..

Herr Philipp M a s s i p in Gens, Hauptmaun im eidg. Artilleriestabe, nennt si.h Gründer einer chemischen Komposition, die er als Sprengmaterial für den Betrieb von Steinbrüchen und die Ausführung von Tunnelbauten oder ähnlicher Unternehmungen zu verwerthen gedenkt. J.n Laufe des vorigen Jahres langte Hr. Massip zuerst mit einem Gesnche an das Finanzdepartement ein , es mochte ihm die Fabrikation und der Verkauf seiner Komposition gestattet werden ; als aber dasselbe das Gesuch anwies, wandte er sich an den Bundesrath, und in Folge dessen ablehnenden Entscheides hat Hr. Massiv eine Rekursbeschwerde *) ...ei der h. Bundesversammlung eingegeben, welche unterm 18. November v. J.

dem Bundesrath zur Berichterstattung überwiesen worden ist, die hier nun solgt :

l.

Massgebend für die Rechtsverhältnisse des Bnlverregals ist zunaehst der Art. 38 der Bundesverfassung : "Fabrikation und Verkauf des Schiesspnlvers im Umfange der Eidgenosseusehaft stehen ausschliesslieh dem Bunde

zu"

An diesen Versassnugsartikel reiht si..h das Bundesgesez über das

*) Verfasst vom Büreau Nig g e l e r und Vogt

ln Bern.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des schweizerischen Bundesgerichtes an die h. Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Jahr 1865. (Vom 7. Februar 1866.)

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10.03.1866

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