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Schweizerisches Bundesblatt

XVIII. Jahrgang. .l.

Nr. 13.

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31. Marz1866.

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des

französischen Berichterstattern der Minderheit der nationalräthlichen .kommission fur Begutachtung der M o t i o n e n r ti, betreffend Abänderung des Reglements des Nationalraths.

(Vom 20. Februar 1866.)

Tit. l Der Artikel 4.) des Geschäftsreglements des schweiz. Nationalrathes

vom 9. Juli l 850 bestimmt:

,,Die Versammlung kann den Schluss der Berathung beschlossen; hiesür ist jedoch die Zustimmung von zwei Drittheilen der anwesenden

Mitglieder erforderlich." (Ges. S. Vd. Il, S. 21.)

Ein Mitglied dieser Versammlung stellte nun bereits im Anfang der gegenwärtigen Amtsperiode, d. h. unterm 17. Dezember l 863, die Motiou : Es sei der Art. 4.) des Reglements dahin abzuändern, dass jedem

Mitgliede des Rathes über jeden Gegenstand wenigstens einmal das Wort gestaltet werden soll.

Jn der Kommission, welche Jhr Büreau mit Prüfung dieser Motion betraute , schieden die bei der Verathung anwesenden Mitglieder sieh in eine Mehrheit *) und eine M i n d e r h e i t **).

*) Herren A l l e t . Widmer-hüni, Bavler.

**) Herren Meystre und Curti. - (Abwesend : Herren W a l l e r K a i s e r (^olo^hurn^.

Bunde^bla^. .^ah^.X^III. Bd.I.

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Rach Anhorung des Berichtes der Mehrheit mogen Sie nun auch der Minderheit einen Augenblik lang Gehor sehenken.

Die Minderheit verhehlte sich keineswegs, dass die vorliegende Motion sich gegen eine Bestimmung richtet , welche in den Gewohnheiten dieser Versammlung Wurzel gefasst hat und die , nachdem sie wahrend mehreren Legislaturen die Brobe bestanden , mit dem Geschäftsgang des Rathes eng ^erwachse.. ist.

Ja man wird sagen: Wenn der ..Schluss.^ nicht wäre, so müsste man ihn erfinden , diess ist die Pa..aeee gegen die endlosen Reden , die Weitschweifigkeiten, die nnnüzen Breittretereien (verbiages), die müssigen Wiederkauungen :.e. ; mit einem Worte, man beansprucht diese Einrichtung als ein Recht der Mehrheit der Versammlung.

Wäre diese Bestimmung eine wesentliche Bedingung sür die Existenz, die Konstituirung und den Organismus unserer Versammlung. und würde mit deren Aufhebung ein wichtiges Organ der Behorde angetastet, so wäre die Frage gelost schon bevor sie gestellt wurde.

Allein mit der fraglichen Bestimmung hat es nicht diese Bewandtniss ; mag dieselbe also auch noch so tiefe Wurzeln geschlagen haben , so ist dies doch kein Grund, es abzulehnen , ihre innerliche Berechtigung einer Feuerprobe, d. h. der Diskussion zu unterziehen.

Die in Rede stehende Bestimmung involvirt ..ine Verkümmerung der Redefreiheit; sie gibt einer gewissen Mehrheit die Handhabe, eine Minderheit , die gehört sein will , mnndtodt zu machen.

Die Geschichte der parlamentarischen Versammlungen, wel.he Grosses geleistet, die mit dem Lehenwesen ausgeräumt und der Welt Jmpulse der Freiheit und des Fortschritts gegeben haben, weiss nichts von einer solchen Massregel.

Wo finden wir dieselbe angewendet ^ Jn den Grossen Räthen der Kantone, in den Gemeindeversammlungen , in Vereinsversammlungen ist die Redesreiheit unbeschränkt. Jedem

Mitgliede steht die Jnitiative zu Vorschlägen und Abänderungen zu.

Jn der hochsten Versammlung der Schweiz dagegen , in einer Ver..

Sammlung, welche die heterogensten Elemente in sich schliesst, in der die drei Sprachen der Schweiz, die Religionen und Jnteressen von 24 Kantonen, das Gebirgsland nnd die Ebene, die ^tadt und das Land vertreten sind , in einer Versammlung , die ihrer ganzen Ratur naeh am meisten Freiheit im Meinungsausdruk erheischt --- : hier wird das Wort verstümmelt , geknebelt.

Die Beschränkung, welche der Art. 4.) birgt, steht im grellsten Gegensaze zum politischen Znstande der .... chweiz, ^..r freien Entwikelung ihrer Jnstitntionen.

367 Sie verstösst selbst gegen den gemeinrechtlichen Grundsaz : audiatnr et altera p^.rs, dem alle eivilisirten Völker huldigen.

Sie

verlebt den Geist und den Buchstaben der Bnndesverfassung

(Art. 81):

a. Den Geist. --- Es ist klar, dass die Bundesverfassung in ihren organischen Grundbestimmungen eine R e p r ä s e n t a t i o n im Auge hatte , in deren Schooss sich die verschiedensten und widersprechendsten Vorschläge, Ansichten und ...Standpunkte geltend machen können ; dass sie einen Kamps der verschiedenen Meinungen wollte, damit ans ihrem Znsammenprall Lieht , d. h. die jeweilen bestmögliche Lösung hervorspriesse.

b. Den Buchstaben. -- Der Art. 81 der Bundesversassung räumt

jedem Mitgliede des Rathes das Vorschlagsreeht ein. Run muß aber die Ausübung dieses Rechtes durch die in Rede stehende beschränkende Bestimmung nothwendig paralhsirt werden. Ein Amendement, eine Modifikation gehört doch zum .^orschlagsreeht.

Die Rechte des Abgeordneten gehen vom Volke aus; diese Rechte find durch die Verfassung normirt und die Versammlung dars dieselben nicht antasten.

Der Abgeordnete, der sein Mandat annahm, gehört nicht mehr sich selbst an, sondern dem Volke, das ihn wählte und das er repräsentirt; dem Volke, dem er, innerhalb der Sehranken der Verfassung, verantwortlieh ist.

Der Abgeordnete e^iftirt bevor eine Versammlung ex.istirt; diese kann also nicht unter dem Vorschüben von Disziplinarversügungen den Abgeordneten verhindern, sein Mandat zu erfüllen, wann und wie er es für gut findet.

Die Versammlung kann die Ausübung des Rechtes zum Sprechen regeln und ins Gleichgewicht bringen, nieht aber erstiken. ^ie kann festfezen, dass ein Abgeordneter nur einmal sprechen dürfe ...e.

Die Freiheit rechtfertigt sieh immer, denn sie ist die Mutter des

Reehts; allein die Beschränkung der Freiheit wurzelt nur zu oft lediglich in der W i l l k ü r und ist mehr oder weniger verwandt mit dem Despo-

tismus.

Die Freiheit trägt das Eorrektiv ihres Missbrauchs in sich selbst; wird sie eingezwängt, so werden ihre Bewegungen nicht korrigirt, sondern e r st i k t.

368 Aus diesen Gründen beantragt die Minderheit der Kommission, unter Amendirnng der ursprünglichen Motion des Herrn Eurti, den Art. 4..)

des nationalräthlichen Reglements dahin abzuändern :

So lange em Mitglied des Rathes, das uoeh nicht gesprochen hat, das Wort verlangt über einen in Berathung liegenden Gegenstand, kann dieselbe nicht für geschlossen erklärt werden.

Bern, den 20. Februar 1866.

A. .^. .^stre.

Rote. Am 20. Februar 1866 beschloss der Nationalrath folgende veränderte Fassung vom

Art. 4.) des nationalräthlichen R e g l e m e n t s : ..Die Versammlung kann mit zwei Drittheilen der anwesenden Mitglieder den .^chluss der Berathung besehliessen; es dars jedoch der S.hlnss nieht erkannt werden, so lange noch ein Mitglied, welches noch nicht ge.^ sprochen hat, einen Antrag zu stellen und zu begründen wünscht.^

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Bericht des französischen Berichterstattern der Minderheit der nationalräthlichen Kommission für Begutachtung der Motionen Curti, betreffend Abänderung des Reglements des Nationalraths. (Vom 20. Februar 1866.)

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Jahr

1866

Année Anno Band

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Volume Volume Heft

13

Cahier Numero Geschäftsnummer

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

31.03.1866

Date Data Seite

365-368

Page Pagina Ref. No

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