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Bundesrathsbeschluss in

der Rekurssache des Hrn. Giovanni Battista Tognacca, von Lugano, betreffend eine im .Danton Graubünden verhängte Kuratel.

(Vom 7. Februar 1866.)

D e r s ch w e i z e r i s eh e B u n d e s r a t h hat in Aachen des Giovanni Battista T o g n a e e a , von ùngano, wohnhast in Belliu..ona , betreffend eine im Kanton Granbünden verhängte Euratel ; nach augehortem Berichte des Justiz- und Bolizeidepartements und nach Einsicht der Akten, woraus steh ergeben : 1) Giovanni Battista T o g n a e e a , von Lngano, verehelichte sich seinerzeit mit der Giovanna Sonanini in Roveredo. Diese Ehe sührte zn Zwistigkeiten und endlich zur tenipor.iren Trennung der Ehegatten, ohne dass jedoch die vermögensrechtliche Seite (Gütergemeinsehast) zwischen ihnen geregelt worden wäre. Während dieser Zeit wohnte der Ehemann Tognaeea meistens in Bellinzona, die Frau in Roveredo. Gegenwärtig (seit 1862) haben sie st.h wieder vereinigt und wohnen in Bellinzona.

Während jener Trennungszeit starb in Roveredo die Mutter der Frau Tognaeea und hinterliess dieser, ihrem einigen Kinde, ein ziemliches Vermog..n, meistens in Liegenschaften bestehend. Die Frau Tognaeea

329 gelangte daher an das Preisgericht von Roveredo , als der hiesür kompetenten Behorde, mit dem Gesuche, es mochte dasselbe eine amtliche Verwaltung über das ihr zugefallene Vermogen einsehen, welcher namentlieh auch die Besorgung der drohenden Brousse mit ihrem Vater Demenieo ^ o n ^ n i u i obliegen würde.

Jn Folge dessen ..nd gestüzt anf die Betrachtung, dass Tognaeea von seiner Frau getrennt lebe und im Kanton keine gesezliehe ..^tellvertretung eingesät habe, verordnete das Kreisgericht von Roveredo am 3. April 1860. es sei die der Frau Tognaeea anfalle Erbschaft unter

die gerichtliche Euratel des Herrn Vittorio ^ a lei o la gestellt.

2) Jm Jul^ l ^64 erh^ Tognaeea eine Klage gege.. Falciola, dahin gel^en^, dass erwähnte Euratel wegen Jnk.^mpetenz der. granbündnerisehen Behorde^ gegenüber einem Tessinerbürger als nichtig und alle aus dieser Euratel entsprungenen Rechtsgeschäfte als uugültig erklärt werden mochten.

Das Bezirksgericht der Moesa, Kts. Granbüuden, wies jedoeh mit

Urteil vom 12. Oktober 1864 die Klage ab, und erklärte sowohl die Euratel,

gültig.

als auch die vom Eurator

abgeschlossenen Rechtsgeschäste

als

Dieses Urtheil wurde zwar von Tognaeea an das Kantonsgericht von .^.raubüuden appellirt, er zog jedoch am 27.. September 1865 die Appellation znrük, mit dem Bemerken, er sei gesonnen, gegen jenes Urtheil eine Besehwerde bei dem Bundesrathe einzureichen.

3) Mittelst einer Eingabe d. d. Ehnr 2^. Oktober 1865 wurde diese Beschwerde von Herrn ^ürspreeh B ir t s eh, Ramens der Eheleute Tognaeea, dem Bundesrathe eingereicht und im Wesentlichen be..^

gründet wie folgt:

.^ognaeea habe allerdings gegen die Ernennung des Herrn ^aleiola.

resp. g.^gen die Verwaltungsakt.^ desselben nicht sofort den Rechts,

weg betreten, indem er einerseits angenommen, dass derselbe zur Austragung der Erbsehaftsstreitigkeiten mit seinem Schwiegervater besser sieh eigne und andererseits in der Vorausseznng gestanden sei, .^aleiola werde seine Th^tigkeit nicht über die in ^rage stehenden Vrozesse ausdehnen.

Als er aber gesehen, dass Faleiola, unterstt^t durch die Kreisbehorde in Roveredo, daraus ansgehe, unter dem Titel eines gerichtlichen Eurators die Verwaltung seines ganzen Vermogens an sich zu reissen, so habe er schriftlich und mündlieh dagegen protestirt, allein ohne Erfolg.

Er, Tognaeea, habe sich daher endlieh im Jahre 1864 genöthigt gesehen, den Rechtsweg zu betreten und aus Ungültigkeit aller durch Falciola vollzogenen Veräusserungen von Tognaeea^schem Vermögen, resp. aus Annul^ lirung aller Verwaltungsakte zu klagen, so weit sie nicht auf den er-

wähnten Erbsehastsprozess Bezug gehabt. Das Bezirksgericht Moesa habe indess das Ernennungsdekret des Faleiola vom 3. April 1860

ausreeh...

330 erhalten und den seitherigen Zustand, so wie alle auf diesen Gegenstand bezüglichen Dekrete der Kreisbehorde , als legale Konsequenzen desselben erklärt. Hiegegen nun glaube er mit Recht bei dem Bundesrathe sieh beschweren zu konnen.

Zunächst sei Tognaeea ausreehtstehender Bürger des Kantons ......essin und in seinem Heimatkanton wohnhast. Er stehe somit in keiner Riehtung unter . graubündnerischer Judikatnr. Dnreh den zeitweiligen Ansenthalt seiner Frau in Roveredo sei oie eheliche Gütergemeinschaft nicht ausgehoben worden. Somit sei der Mann, als Haupt der Familie, der einzig reehtmässige Verwalter und Besser des jeweiligen Vermögens seiner Frau. Es habe im Spezialsalle nicht von einem Vermogen sme cura geredet werden können, weil einerseits, da keine hereditas jacens bestehe, wo nur e i n Erbe sei, dessen Eigenschaft nicht bestritten werde, und der aueh die Erbsehaft sosort angetreten habe. Ueberdies sei im vorliegenden Falle der Erbe und dessen Wohnort bekannt gewesen.

Die am 3. April l 860 eingesezte und dnreh das rekurrirte Urtl.eil vom Oktober l 864 bestätigte Eura ^ualisi^ire sich somit vom Standpnnkte des Bnndesrechtes aus (Art. 5, 50 und^ 53 der Bundesverfassung) als eine Kompetenzüberschreitung von Seite der granbündnerischen Behorden.

Es konne sieh z.var noeh fragen , ob die Ebeleute Tognaeea dureh ihr Verhalten das Beschwerderecht an den Bundesrath verwirkt haben.

Allein ein an und für sich versassnngswi.^riger Znstand konne nicht dnreh Präjudizien legitimirt werden und jedenfalls nicht sür alle Zeiten aufrecht erhalten bleiben. Das Bezirksgericht Moesa habe auch den Grund entgegengehalten, dass Tognaeea gegen das Dekret vom ^3. April t860 nicht nach Vorschrift des bündnerischen Zivilversahrens den Weiterung an den be^irksgerichtliche.. Auss.huss ergriffen habe, jenes Dekret somit in Rechtskraft erwachsen sei. Es konne aber der Entfeheid eines inkompetenten

Richters nicht rechtskräftig werden. Zudem finde die be^ügliehe bündne-

risehe Gese.,gebnng aus einen Ausbürger keine Anwendung.

Ferner sei entgegengehalten worden, Toguaeea habe das ganze Verfahren anerkannt. Es ergebe sieh aber nichts anderes, als dass er, der Verfügung über sein ganzes Vermogen beraubt und daher in eine Rothklage versezt, ein oder mehrere Male Herrn ^aleiola brieflich um Geld angegangen und ein anderes Mal, als Herr Faleiola der Kreisbehorde Rechnung habe ablegen wollen, dagegen protestirt l,abe, indem lezterer zuerst den ^rozess mit seinem Schwiegervater zu beendigen und sodann an ihn, Tognaeea, Rechnung abzulegen habe. Aueh in dieser, aus der damaligen Lage der Eheleute Tognaeea gan.^ erklärliehen Beziehung zu demjenigen, der ihr Eigenthum faktisch in Händen gehabt, tonne nicht eine a u s d r ü k l i eh e und u n z w e i f e l h a f t e E i n w i l l i g u n g ^u einer von i n k o m p e t e n t e r Behorde verhängten Beogtnng erblikt werden. Tognaeea habe vielmehr überall direkten und indirekten Widerstand geleistet und bei jedem Anlass seine Ansieht geltend gemacht, dass

.

331 er den Herrn Falciola keineswegs als gerichtlichen Eurator und Vormund anerkenne, sondern einfach als seinen Mandatar, resp. n.^.otiorum ^e...tor betrachte.

Aus diesen Gründen stellt der Rekurrent das Gesuch, dass da.^ Dekret des Preisgerichtes Roveredo vom 3. April 1860 als nichtig erklärt werden mochte.

4) Das Preisgericht von Roveredo hat mit einem Memorial d. d.

28. Dezember 1865 (eingegangen den 14. Januar 1866) vorstehende Besehwerde mit dem Antrage auf Abwei ung beantwortet, und zur Be^ Gründung folgende Gesichtspunkte ausgeführt : Die Trennung der Ehelente Tognaeea sei keineswegs eine blo^ vorübergehende gewesen. sie habe bis in das Jahr 1862 gedauert.

Da der Ehemann die Besorgung der ih.n Angefallenen Liegenschaften in Roveredo nicht übernommen und an..h keinen Steilvertreter bezeichnet habe, so würde das Kreisgericht sogar ex oklicio berechtigt gewesen sein,.

s.hü^ende Massregeln ^.. treffen, und zwar gemäss ^ 5, Litt. ... des damal^ bestandenen Gesezes über die Enratel, welcher vorschreibe, dass da.^ Vermogen derjenigen Schweizerbürger, welche sieh ausser dem Kanton be-^ finden, unter Euratel gestellt werden soll, sobald der Abwesende nicht.

durch irgend eine Vertretung bezüglich der Verwaltung des im Kanton.

liegenden Vermögens gesorgt habe. Die durch Beschluss vom 3. April 1860 eingesezte Euratel sei nicht zu verwechseln mit einem m^ndatnm ad lnem. Wenn es sieh bloss um ein solches Mandat gehandelt hätte, s.^ würden die Eheleute Tognaeea am 9. Mai 186.^ nicht veranlasst gewesen sein, Herrn ^aleiola noch eine besondere Vollmacht auszustellen ^ur Führung des oft erwähnten Vrozesses gegen den Vater der Frau Tognaeea. Auf der andern ...^eite habe es sieh aueh nicht uni die Bevogtung des Togn..ee.. als persona sni juris gehandelt, dessen personliehe Rechte weder entzogen noeh beeinträchtigt .vorden seien. Es sei bloss eine rein vermogensrechtliche Massregel getroffen worden zur Verwaltung und Erhaltung eines im Kanton Granbünden liegenden und, wie der Rekurrent selbst anerkennen müsse , sme cnr^.. gewesenen Vern.ogens.

Unter diesen Umständen sei nach dem bereits ermähnten Geseze und nach Art. 3 der Bundesversassung das Kreisgericht vou Roveredo ^u der angeordneten Euratel die a l l e i n kompetente Behorde gewesen. Die Art. 50 und 53 der Bundesverfassung finden aus das vorliegende
Verhältniss keine Anwendung.

Dass Reknrrent um die Verwaltung der fraglichen Vermögens objekte in Roveredo sieh gar nicht bekümmert habe, .^erde indessen bewiesen dnr^ den Empsangschein vom 20. September 186l , dahin lautend : ^ Dichiaro io sottoscritto a nome di mia moglie dovere ricevuto^ ..^dal ^i^re. Visorio falciola il fruuo dell' ^nno I860 e del 186.^ ^dei fondi ereditan d^ll^ dekunta di Lei Cemtorie M.^.ria Decristokori.^ ^maritata ^onanini e per fede.

.^i.^ Gio. Bau. To^.cca.

.332 Hierin liege auch zugleich die Anerkennung der Stellung und der ^Funktionen des angeblich imkompetent ernannten Kurators. Daran reihen sich aber noch andere Akte, die eine nachträgliche Anerkennung involviren.

Namentlich gehoren dahin : 1) eine Verhandlung vom 21. Mar^ l861 vor dem Kreisgerichte Rovereto, wobei Tognaeea erklärt habe , es sei die Zeit noch nicht gekommen, um dem ^rn. Falciola die Euratel abzunehmen, weil die durch

Dekret vom 3. April 1860 ihm übertragene Ausgabe noch nicht ersüllt

sei, womit er den Wnusch verbunden habe , es mochte derselbe vielmehr .ermäehtigt werden, ein Darleihen zu erheben, um den Weitergang der Kuratel ^usichern.

2^ eine ähnliche Verhandlung vor Kreisgerieht vom 20. September l 86l , wobei Tognaeea den Antrag zur Ermächtigung eines weitern Anleihens von Fr. 240 gestellt habe, 3) zwei Priese von Tognaeea an Faleiola vom 2l. Mai 1861 und 19. Rovember 186l, worin er diesen um Geld ersuchte. und 4) ein anderes Schreiben vom 3l. Oktober t 86t, worin Tognaeea den Falciola ersuchte, eine Wirthshausschuld in Roveredo ^u befahlen.

Diesen Anstand habe Tognaeea stets anerkannt. Einmal habe er zwar eine Demonstration gemacht, die den keineswegs loblichen Zwek gehabt, Hrn. Falciola um der ihm gemachten Vorschüsse willen im Stiehe ,^n lassen. Ein anderes Mal habe er allerdings auch das Dekret vom .3. April 1860 angegriffen^ allein er sei mit Erkanntniss des .BezirksBerichtes der Moesa von. l2. Rovember 1860 abgewiesen worden, weil .gesezlieh verspätet und weil überdies die Euratel anerkannt worden sei.

Hiegegen sei nach Art. 25l und 257 der Zivilprozessordnung der ...^..iter^ug an das Kaulousgerieht binnen einer peremtorisehen ^rist moglieh gewesen, allein nicht benn^t worden. Ganz gleich habe fich Relurent dem legten Urtheile vom 12. Oktober l 864 gegenüber verhalten. ^talt die Appellation vor ^en als kompetent anerkannten Gerichten des Kantons Graubünden sort^usezen, habe er sie zurükgezogen und somit abermals auch dieses Urteil anerkannt.

Rach all' dem Gesagten liege unzweideutig eine Prorogation vor.

Der prorogirte Gerichtsstand sei aber so vollkommen und unanfechtbar kompeteut, als der gesezliehe. Der Bundesrath müsse hierin das kantonale ^..esez als entscheidend anerkennen. Es ....äre anders, wenn Rekurrent, statt gerichtlich und anssergeriehtlieh die Euratel anzuerkennen, sogleieh die Jntervention des Bundesrathes angerufen hätte. Rnn seien aber in ^ 13 des Gesezes vom 2^. Mär.^ 1848 und in ^ 129 des Zivilgese.^buches peremtorisehe Fristen ausgestellt , inner welchen gegen vormnndsehastliche Beschlüsse eine Beschwerde erhoben werden müsse. Da dies nicht gefchehen, so sei auch nach Art. 224 der Zivilprozessordnung der Beschlnss .^om 3. April 1860 in Rechtskrast erwachsen^, und es seien nun gegen Dieses Forum keinerlei Einreden mehr zulässig.

333 Was die Funktionen des Hrn. ^aleiola betresse, so habe er ledig-

lieh nach Vorschrift der ^ 21 und 22 des Gesezes vom 25. März t 848 .nid der ^ 102 und 103 des Zivilgesezbuches gehandelt, wo die ObliegenReiten eines Enrators genau bezeichnet seien.

J n Erwägung: 1) ^ie .Bestellung einer Kuratel über das der Ehesrau des Rek..r^ ..enten angefallene Vermogen durch das Kreisgerieht Rovereto war ans den von diesem angefahrten Gründen im Jahr 1860 vollig gerechtfertigt, und es ist uni so weniger Grund vorhanden , jenes Dekret von Bundes wegen aufzuheben , als Rekurrent durch verschiedene Akte seine Znstimmnng zu jenem Versahreu ertheilt hat; 2) eine andere ^rage ist die, ob jene gerichtliche Euratel auch für die Zukunft fortzudauern habe, nachdem gegenwärtig die Ehegatten wieder vereinigt, mit festem Wohnsiz versehen uud Willens siud, die Verwaltung ihres ^rmogeus selbst zn übernehmen; 3) über diese zweite .^rage ist aber noch kein Entscheid der zuftändigen kantonalen Behorden gefasst worden. Reknrrent hat daher zunächst bei diesem iun Aufhebung der Enratel uaehzusu^en , wobei ihm im Falle der Riehteutspreehung das Recht der Beschwerde an die Bundesbehorden

gewahrt bleibt.

b e s ch l o s s e n ..

1. Es sei der Rekurs im ^inne der Erwägungen abgewiesen.

2. .^ei dieser Bes..hlnss der Regierung des Kantons Granbünden zuhanden des Kreisgeriehtes in Rovereto, sowie dem Reknrrenten unter

Rüksendung der Akten mitzutheileu.

Also beschlossen, B e r n , den 7. Februar 1866.

Jm Ramen des schwelz. Bundesrathes , ^er B u n d e s p r ä s i d e n t : ^. M. Knusel.

^er Kanzler der Eidgenossenschaft: Sti)ieß.

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Bundesrathsbeschluss in der Rekurssache des Hrn. Giovanni Battista Tognacca, von Lugano, betreffend eine im Kanton Graubünden verhängte Curatel. (Vom 7. Februar 1866.)

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16.07.1866

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