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Bundesratsbeschluss über

die Beschwerde des Kaspar Imfeld-Michel, Bahnhofrestaurateur in Samen, betreffend Verletzung der Handelsund Gewerbefreiheit auf dem Gebiete des Wirtschaftswesens.

(Vom 14. März 1899.)

Der schweizerische Bundes rat

hat über die Beschwerde des K a s p a r I m f e l d - M i c h e l, Bahnhofrestaurateur in Sarnen, betreifend Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit auf dem Gebiete des Wirtschaftswesens, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt: A.

In thatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

L Art. 2 der Verordnung des Kantons Obwalden über Handhabung der Sonn- und Feiertagspolizei, vom 9. Februar 1885, bestimmt: .

; "Während des pfarramtlichen vor- und nachmittägigen Gottesdienstes dürfen in den Wirtschaften nur an Durchreisende und Kurgäste geistige Getränke verabfolgt werden. u

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Wegen Wirtens während des vormittägigen Gottesdienstes wurde der Bahnhofrestaurateur in Samen, Kaspar Imfeid-Michel, am 21. Juli 1898 durch regierungsrätlichen Strafbefehl in eine Konventionalstrafe von 10 Fr. verfällt. Er anerkennt, daß er zu verbotener Zeit, aber nur selten, nicht nur an Durch- oder Fortreisende, sondern auch an Einheimische geistige Getränke verabfolgt habe; er könne aber doch nicht jeden, der zu ihm ins Restaurant komme, fragen, ob er auch wirklich verreise; übrigens werde letzteres etwa von einheimischen Gästen behauptet. Soviel als möglich halte er sich immer an Gesetz und Vorschriften. Der als Belastungszeuge einvernommene Polizist Joseph Vogel hatte bestätigt, daß in der Bahnhofwirtschaft während des Sonntagmorgengottesdienstes an Leute aus Sarnen und Umgebung geistige Getränke verabfolgt worden waren.

U.

Das Polizeigericht von Obwalden hat den gegen den regierungsrätlichen Strafbefehl ergriffenen Rekurs durch Urteil vom 22./31. Dezember 1898 a.ls unbegründet abgewiesen, aus folgenden Gründen : Das mit der Bahn verkehrende Publikum darf allerdings auch wälirend des sonntäglichen Gottesdienstes in der Bahnhofwirtschaft bewirtet werden; dies ist jedoch nicht der Fall mit Bezug auf Einheimische, die, ohne die Bahn zu benutzen, nur um die Wirtschaft zu besuchen, dorthin kommen. Diese Auffassung entspricht nicht nur dem Art. 2 der Verordnung vom 9. Februar 1885, sondern auch der Antwort des eidgenössischen Eisenbahndoparternents vorn 12. August 1898 auf ein Auskunftsgesuch des Regierungsrates von Obwalden. In derselben wird festgestellt,"daß die Bahnhofrestaurants zur gleichen Zeit wie die Wartsäle dem mit der Eisenbahn verkehrenden Publikum offen stehen müssen, daß sie aber im übrigen den geltenden kantonalen Wirtschafte- und Polizeigesetzen unterstellt sind.

111.

Deri 21. Januar 1899 reichte Imfeld-Michel beim Bundesrate Beschwerde gegen dieses Urteil ein; er stellt den Antrag: Die RegierungsscJilußnahme vom 21. Juli 1898 und das daraufhin gegen den Rekvirrenten erfolgte Polizeiurteil vom 22./3l. Dezember 1898 seien als verfassungswidrig aufzuheben; er macht: insbesondere geltend:

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Der vom Polizeigericht bestätigte Strafbefehl der Regierung ist ein mit Art. 31 und 49 der Bundesverfassung im Widerspruch stehender Eingriff in den Gewerbebetrieb des Rekurrenten, zugleich eine verfassungswidrige Einmischung der Kantonsregierung in die Bundeskornpetenz in Sachen des Eisenbahnbetriebes. Die Maßregelung bezweckt im Grunde die Unterdrückung der Bahnhofwirtschaft im Interesse übertriebener Ternperenzbestrebungeri. Weil aber die ßahnhofwirtschaft nicht unterdrückt werden kann, soll sie in ihrem Betriebe ungebührlich beschränkt werden vermittelst der Sonn- und Feiertagspolizei ; giebt es doch in Obwalden nicht weniger als 22 Feiertage, so daß unter Zurechnung der 52 Sonntage die ßetriebsbeschränknng sich auf einen vollen Fünfteil des Jahres ausdehnen würde. Vom Standpunkt der Sonntagspolizei kann aber nichts anderes verlangt werden, als daß die sonntägliche Ruhe und Feier des Gottesdienstes nicht durch lärmende Gelage, Wirtshausskandal und dergleichen gestört werde. Dieser Anforderung hat der Rekurrent stets nachgelebt, der überhaupt; dafür wacht, daß in seiner Wirtschaft, die in den Wartsälen, also nur auf Bahngebiet, betrieben wird, strengste Ordnung herrscht.

Ein Mehreres kann aber von ihm nicht verlangt werden, namentlich kann auch nicht das Ansinnen gestellt werden, daß er oder seine Kellnerin alle Einwohner auf 2--3 Stunden Entfernung kenne; nur unter dieser Voraussetzung wäre die gegen ihn ergangene Straf verfugung zulässig.

IV.

Der Regierungsrat des Kantons Obwalden verlangt in seiner Vernehmlassung vom 7. Februar Abweisung der Beschwerde; er bemerkt folgendes : Dem Rekurrenten ist nur verboten, während des sonn- und festtäglichen Pfarrgottesdienstes an solche Personen geistige Getränke zu verabfolgen, deren Identität als Einheimische ihm bekannt ist, und von denen er ferner wissen kann, daß sie nicht zu verreisen beabsichtigen. Hinsichtlich dei1 Strafbarkeit kann es sich nur um solche Fälle handeln, in denen erwiesen ist, daß Einheimische, die nicht verreisten und nicht /.u verreisen beabsichtigten, bewirtet worden sind. Weder Regierung, noch sonst eine Behörde denken daran, den Rekurrenten derart zu bedrängen, daß, sobald in einem Einzelfall ein Einheimischer während des Gottesdienstes zu trinken erhalten hat, strafend eingeschritten

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werden soll. 'Wegen der fortgesetzten allgemeinen Gesetzesübertretung ist gegen Imfeid der Strafbefehl erlassen worden.

· Der Bundesrat hat keine Kompetenz, zu prüfen, ob die dein Urteil vom 22./3l. Dezember 1898 zu Grunde liegenden ïluitsachen richtig sind ; bundesrechtlich handelt es sich einzig um die Frage, ob Rekurrent als Bahnhofrestaurateur den Bestimmungen des kantonalen Sonntagspolizeigesetzes unterworfen sei oder nicht.

Über eine ausnahmsweise Behandlung beschwert der Rekurrent sich selber nicht, da die seine Strafe begründende Gesetzesbestimmung ganz allgemeiner Natur und für alle Wirte des Kantons verbindlich ist. Nur um eine möglichst rationelle Handhabung der Verordnung, nicht aber um eine chikanöse, handelt es sich.

Es ist auch darauf hinzuweisen, daß der Betrieb der ßahnhofwirtschaft auf großen Stationen naturgemäß ein ganz anderer ist, als auf kleinen, wie Samen u. a., wo die Zahl der Reisenden, die sich in der Bahnhofwirtschaft einfinden, eine so bescheidene ist, daß die Einheimischen leicht ermittelt werden können.

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht:

I.

Der Beschwerdeführer stützt seine Beschwerde, mit Unrecht darauf, daß er als Inhaber einer Bahnhofwirtschaft nicht dem kantonalen Gesetz über Wirtschaftspolizei unterworfen sei ; die Bahnhofwirtschaften stehen nur insofern unter der Oberaufsicht, des Bundes, als dies aus Gründen des Bahnbetriebes und der Bahnpolizei erforderlieh ist.

II.

Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung des Art. 49 der Bundesverfassung behauptet, kann der Bundesrat auf seine Beschwerde nicht eintreten ( v gl- Art. 189 des Organisationsgesetzes vom 22. März 1893).

IIJ.

Gegen die Art der Anwendung des Art. 2 der Verordnung des Kantons Obwalden über Handhabung der Sonn- und Feiertags-

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polizei vom 9. Februar 1885 hat der Beschwerdeführer keine ·ernsthaften Einwendungen gemacht. Der angefochtene Strafbefehl vom 21. Juli und das an denselben sich anschließende Polizeiurteil vom 22:/31. Dezember 1898 sind weder Wülkürhandlungen, noch Akte rechtsungleicher Behandlung der Bürger. Es steht deshalb dem Bundesrate eine Überprüfung des kantonalen Urteils nicht zu; übrigens giebt der Beschwerdeführer selbst zu, daß er in Übertretung der Vorschrift der Sonntagspolizei gewirtet hat und ·deshalb bestraft worden ist, und die Regierung hebt ihrerseits ausdrücklich hervor, daß ohne Schuldnachweis im einzelnen Falle keine Strafe verhängt werde.

IV.

Fragt es sich daher einzig noch, ob die Vorschrift des Art. 2 ·der Ob waldner Verordnung vom 9. Februar 1885 mit Art. 4 und 31 ·der Bundesverfassung vereinbar sei, so ist diese Frage zu bejahen.

Die relativ große Zahl von Feiertagen, an denen diese Vorschrift beobachtet werden muß, ist deshalb ohne Belang, weil an diesen Tagen der Wirtschaftsbetrieb nicht vollständig eingestellt werden muß, sondern nur während weniger Stunden eingeschränkt ist.

Sodann ist die rechtlich verschiedene Stellung der Durchreisenden und Kurgäste einerseits und der Einheimischen andererseits durch die Verschiedenheit der thatsächlichen Verhältnisse wohl begründet; daß aber etwa nur der Beschwerdeführer, nicht dagegen andere Wirte des Kantons Obwalden an die angefochtene Vorschrift gebunden seien, ist von jenem nicht behauptet worden.

Endlich kann nicht gesagt werden, daß wegen der Vorschrift ·des fraglichen Art. 2 eine Wirtschaft im Kanton Obwalden nicht in gewinnbringender Weise betrieben werden könne. Es ist aber Sache der Kantone, unter Beobachtung des Bundesrechts das festzusetzen, was sie im Interesse der Sonntagsruhe für notwendig und angemessen erachten. Und wenn ein Kanton, in Abweichung von der vom Beschwerdeführer vertretenen Auffassung, sich nicht damit begnügt, vorzuschreiben, daß die sonntägliche Ruhe nicht durch lärmende Gelage und dergleichen gestört werden dürfe, sondern direkt eine Einschränkung des Wirtschaftsbetriebes festsetzt, so ist hiergegen vom Standpunkte des Bundesrechts aus nichts einzuwenden.

Bundesblatt. 51. Jahrg. Bd. I.

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874 Demnach wird erkannt: Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B e r n , den 14. März 1899.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Müller.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Ringier.

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Bundesratsbeschluss über die Beschwerde des Kaspar Imfeld-Michel, Bahnhofrestaurateur in Sarnen, betreffend Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit auf dem Gebiete des Wirtschaftswesens. (Vom 14. März 1899.)

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22.03.1899

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