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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung auf die Eingabe des Herrn Professor Zürcher, betreffend die Ausweisung des Ettore Jotti, Eugen Ciacchi und Francesco Speroni.

(Vom 12. Juni 1899.)

Tit.

Mit Eingabe vom 30. Mai 1899 führt Herr Professor Z ü r c h e r in Zürich, namens und mit Vollmacht von E t t o r e J o t t i , E u g e n C i a c c h i und F r a n c e s c o S p e r o n i , welche mit Beschluß des Bundesrates vom 7. März 1899 aus der schweizerischen Eidgenossenschaft ausgewiesen worden, B e s c h w e r d e gegen diesen A u s w e i s u n g s b e s c h l u ß und bittet die Bundesversammlung, die Beschwerde begründet zu erklären und die Ausweisung gegenüber den Beschwerdeführern, oder gegenüber einzelnen derselben, aufzuheben.

Vorerst wird geltend gemacht, daß eine Beschwerde gegen Verfügungen des Bundesrates, die derselbe in Anwendung des Art. 70 der Bundesverfassung getroffen, zulässig sei. Ein Gesetz, das die Ausübung des Ausweisungsrechtes einer bestimmten Behörde zuweise, sei noch nicht erlassen worden. Wenn Art. 102, Ziff. 9 und 10, der Bundesverfassung als Obliegenheiten des Bundesrates aufzähle, daß er für die äußere Sicherheit zu wachen und daß er für die innere Sicherheit der Eidgenossenschaft zu sorgen habe, so werden in Art. 85, Ziff. 6 und 7, der Bundesverfassung als Gegenstände, welche insbesondere in den Geschäftskreis beider Räte fallen, Maßregeln für die äußere Sicherheit und Maßregeln

1003 für die innere Sicherheit aufgezählt. Daraus ergebe sich mit aller Deutlichkeit, daß die Anordnungen, welche vom hohen Bundesrate nicht in Anwendung eines besondern Verwaltungsgesetzes, sondern lediglich in Anrufung des obersten Landesinteresses der innern und äußern Sicherheit getroffen werden, der Nachprüfung der obersten Bündesbehörden unterstellt werden dürfen. Wenn aber die hohe Bundesversammlung zu einer solchen Entscheidung durchaus zuständig sei, so ergebe sich daraus auch das Recht der von der Maßnahme zunächst Betroffenen, diese Entscheidung anzurufen.

Die Sache selbst betreffend wird zugegeben, daß die Ausgewiesenen an der Abfassung und Verbreitung des Aufrufes, der als Grund des Ausweisungsbeschlusses genannt werde, sich beteiligt haben, indem sie als Mitglieder des Centralkomitees der Partei (Commissione Esecutiva dell' unione socialista di lingua italiana in Isvizzera) den ihnen von Lausanne zugestellten Aufruf genehmigt, zum Parteimanifest erhoben und die weitere Verbrei- c tung angeordnet haben. Dagegen habe es sich bei diesem Manifest lediglich darum gehandelt, die Diskussion über die Vorlage der italienischen Regierung betreffend Preßfreiheit etc. anzuregen, um Stellungnahme gegen dieselbe und um Proteste zu Händen des italienischen Parlamentes, -- ein solches Handeln sei überall gestattet. Eine Befehdung der Regierung eines Nachbarstaates liege überall nicht vor, und ebensowenig könne von einer Gefährdung der innern oder äußern Sicherheit gesprochen werden; der Gedanke an die Gefährdung der äußern oder innern Sicherheit der Eidgenossenschaft sei auch der Absicht und der Voraussicht der Beschwerdeführer fern gelegen.

Die Ausgewiesenen hätten sich bis jetzt klaglos in der Schweiz aufgehalten, und Speroni sei zudem im Besitz ordentlicher Ausweisschriften gewesen.

Die Beschwerde schließt mit folgenden Sätzen: ,,Die Ausweisung des Speroni ist, wenn sie sich nicht aus dem Gesichtspunkte des Art. 70 der Bundesverfassung rechtfertigen läßt, eine Verletzung des schweizerisch-italienischen Niederlassungsvertrages. Wir rufen Ihren Entscheid an als oberste Instanz gemäß Art. 85, Ziff. 12, und 113 der Bundesverfassung.

Die Ausweisung der beiden ändern ist, unter gleicher Voraussetzung, ein Bruch völkerrechtlicher Gepflogenheit und ein Preisgeben des schweizerischen Asylrechtes. Wir rufen Sie an als oberste Hüter dieser Gepflogenheit und Rechte.

1004 ,,Wir bitten Sie um Ihr Wohlwollen, und wir hoffen, daß Sie einen Entscheid treffen werden, der den schönen Traditionen der Schweiz und der Menschlichkeit entspricht, der, über augenblickliches Mißbehagen eines ephemeren Ministeriums hinaus, geeignet ist, der Schweiz die bleibenden Sympathien der Völker zu sichern.a Bezüglich Speroni wollen wir gleich hier bemerken, daß derselbe ebenfalls in Anwendung des Art. 70, Bundesverfassung, ausgewiesen wurde. Dieser Artikel findet auf alle Fremde, ohne Unterschied, Anwendung, auf die mit vollkommen regelmäßigen Papieren versehenen sowohl, als auf die, welche keine solche besitzen ; die mit den internationalen Angelegenheiten beauftragten Behörden haben das Recht, auf polizeilichem Wege jeden Fremden aus dem Lande zu entfernen, der durch sein Verhalten, seine Handlungen oder aus irgend einer Ursache die Sicherheit und die Beziehungen der Schweiz zum Ausland gefährden sollte.

Und was unsere völkerrechtliche Gepflogenheit anbetrifft, so bestand sie von jeher darin, die freundschaftlichen Beziehungen zu ändern Staaten aufrechtzuhalten und gegen jedes Vorgehen Fremder, welches geeignet wäre, diese Beziehungen zu trüben, einzuschreiten; auch galt von jeher als Grundsatz: das A s y l w i r d den politisch Verfolgten aller Parteien gew ä h r t , w e n n s i e s i c h d u r c h r u h i g e s V e r h a l t e n desselben w ü r d i g zeigen, dagegen nicht gewährt, wenn sie auf unserm Gebiet die Umtriebe und Angriffe gegen den f r e m d e n Staat f o r t s e t z e n .

V e r a n l a s s u n g z u d e r A u s W e i s u n g s v e r f ü g u n g gaben folgende Vorgänge: Von der C o m m i s s i o n e E s e c u t i v a d e l l ' u n i o n e s o c i a l i s t a S v i z z e r a , d. h. vom Centralkomitee · der italienischen socialistischen Union in der Schweiz, wurde Ende Februar oder Anfang März 1899 an die verschiedenen Sektionen ein mit ihrem Stempel versehenes Manifest versandt, das in deutscher Übersetzung folgendermaßen lautet: ,,Italiener !

,,Noch ist das schmerzliche Echo der Ereignisse vom letzten Mai nicht verhallt, noch ist das zur Genugthuung elender Geheim-

1005 gesellschaften vergossene Blut nicht getrocknet, noch ist dem Volkswunsch nach Amnestie nicht Genüge geleistet, und schon schickt sich die italienische Regierung zu einem eigentlichen Staatsstreiche an.

,,Die italienische Regierung will zerstören, was unsere Väter um den Preis ihres Blutes erobert, was ruhmvolle Märtyrer unter Einsetzung ihres Lebens angestrebt haben, -- die Regierung will auch die Verfassung, jene armselige, freiheitliche Garantie, die der Wille des Volkes dem Könige entrissen hat, wieder vernichten, die Verfassung, welche während fünfzig Jahren schändlicher Regierung mißhandelt worden ist, die Verfassung, deren fünfzigjährige Jubelfeier man letztes Jahr in Turin mit Cynismus feierte, zur nämlichen Zeit, als in ganz Italien zum Schütze des Vorrechtes das Blut des Volkes vergossen wurde.

,,Die italienische Regierung hat bemerkt, daß das Volk auch nach den Metzeleien vom letzten Mai, den Masseneinkerkerungen, dem Zwangsdomicil, den Mut noch nicht ganz verloren hat und noch nicht willenlos geworden ist; sie nimmt nun zu den schandbarsten Mitteln Zuflucht, indem sie dem Parlamente infame Gesetze gegen die Freiheit und die Volksparteien vorlegt. Man will die Preßfreiheit abschaffen, um den Zeitungen, welche die Schandthaten der Regierung enthüllen, den Mund zu stopfen, sie wollen das Versammlungsrecht unterdrücken, damit die Bürger sich nicht mehr verständigen und ihrem Willen Ausdruck geben können, das Vereinsrecht soll aufgehoben werden, damit das Volk und die Arbeiter der Willkür der Polizei und der Ausbeuter wehrlos ausgeliefert seien. Man will Eure politischen Organisationen, Eure Verbände, Eure Gewerkschaften zu Grunde richten, man will die ganze Arbeit zerstören, die für die Erziehung des Volkes gethan worden ist, mit einem Worte, man will die rohe Gewalt, die Willkür zum Gesetz erheben, man will, daß das Volk, von allen Seiten bedrückt, den Weg des gesetzlichen, auf dem Boden der bürgerlichen Ordnung geführten Kampfes verlasse, um es dann niederzuschießen, wenn es sich in blindem, ordnungslosem Aufruhr erhebt.

,,Das ist der Plan, den die italienische Regierung mit den dem Parlament vorgelegten Gesetzen verfolgt.

,,Italiener !

,,Wollt Ihr zugeben, daß diese Schandthat sich erfülle, wollt Dir verzichten auf Eure mühsam erworbenen Rechte? Nein, das werdet Ihr nicht wollen, auf! rühren wir uns, agitieren wir.'-

1006 Wie sich dann herausstellte, war dieser Aufruf von der S e k t i o n L a u s a n n e erlassen und verteilt worden, und zwar mit folgendem Schlußsatz, der auf den von der Exekutivkommission von Z ü r i c h aus versandten Exemplaren weggeschnitten worden war: ,, Diesen Zweck verfolgt die Volksversammlung, die Sonntags den 26. Februar auf der Esplanade Beaulieu stattfinden wird. Keiner fehle. Es handelt sich um Euer eigenes Wohl und Eure eigene Wurde.

,,Keiner fehle, Arbeitergenossen und Ihr Italiener alle; Eure Mitwirkung möge beweisen, daß wir nicht nur gesonnen sind, das uns von den Vätern hinterlassene Erbe zu bewahren, sondern auch fernerhin in Freiheit fortzuschreiten."

Die Lausanner Versammlung hat denn auch stattgefunden, und es wurde von derselben eine T a g e s o r d n u n g angenommen, welche alle diejenigen beglückwünschte : ,,die in Italien gegen eine blinde Reaktion ankämpfen, und diejenigen begrüßte, die im Bagno das Verbrechen sühnen, für die Freiheit gekämpft zu haben.tt Nachdem in Bezug auf dieses Flugblatt und die Versammlung von Lausanne bereits eine Untersuchung eingeleitet war, p u b l i z i e r t e d i e C o m m i s s i o n e E s e c u t i v a d e n I n h a l t ders e l b e n als s e l b s t ä n d i g e n A u f r u f , mit ihrer Unterschrift in Nummer 76 des in Lugano erscheinenden ,,S o ci al i s t a a vom 4. März 1899.

Derselbe war datiert Zürich 27. Februar, und der S c h l u ß lautete nun folgendermaßen : ,, rühren wir uns, agitieren wir, convocando comizi e conferenze e pubblicando fogli volanti -- durch Einberufung von Versammlungen und Konferenzen und Publikation von Flugblättern."

Die über die U r h e b e r s c h a f t d i e s e s M a n i f e s t e s angestellten Nachforschungen ergaben folgendes: Der bekannte A n t o n i o V e r g n a n i n i , zur Zeit in Bern, hierüber einvernommen, deponierte : ,,Das Manifest, welches Sie mir hier zeigen, ist das Werk der Commissione Esecutiva, welches Mitglied dieser Kommission dasselbe verfaßt hat, ist mir nicht bekannt.a Die M i t g l i e d e r der C o m m i s s i o n e E s e c u t i v a erklärten, die Sektion Lausanne habe das Manifest drucken lassen; C i a c c h i , Sekretär der Commissione Esecutiva behauptet, er habe von Lausanne 6 Exemplare zugeschickt erhalten, mit dem Stempel

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der Kommission versehen und weiter befördert; S p e r o n i , Mitglied der Kommission, sagte aus, es seien 45 Exemplare an die Kommission gesandt worden, C i a c c h i habe dann gefragt, ob er dieselben an die Sektionen versenden dürfe. J o t t i , Mitglied der Kommission, berichtet, das Manifest sei in einer Sitzung auf Anregung des Ciacchi besprochen worden, derselbe habe den Inhalt des Manifestes in seinen Hauptzügen skizziert, ,,wir überließen ihm die weitere Abfassung, und ist auch der Inhalt gemäß der Besprechung".

Dieser Aufruf hatte offenbar den Zweck, eine Bewegung der unter uns wohnenden Italiener zu provozieren und sie zu veranlassen, von unserem Boden aus eine politische Aktion gegen ihre heimatlichen Behörden ins Werk zu setzen. Welche Folgen das Gewährenlassen, nach sich gezogen, kann im voraus nicht gesagt werden, immerhin weisen die Vorgänge vom Mai 1898 darauf hin, schon den Anfängen zu wehren, und man konnte die Sache um so weniger leicht nehmen, als nicht nur eine vereinzelte Erscheinung vorlag. Denn seit den Maiunruhen w i r d von e i n zelnen Führern der italienischen Flüchtlinge eine f o r t w ä h r e n d e A g i t a t i o n u n t e r h a l t e n und durch Zeitungen, Broschüren, Versammlungen unter der bei uns wohnenden italienischen Bevölkerung eine feindselige Stimmung gegen ihr Heimatland hervorzurufen und zu erhalten gesucht, die italienische Regierung, die Institutionen des Landes angegriffen und denselben von unserm Boden aus der Krieg gemacht.

So wurde kurz nach den Mailänder Unruhen in den in Lugano erscheinenden Zeitungen ,, I t a l i a Nu o va", diese ist inzwischen wieder eingegangen, und ,,Socialista" 1 gegen Italien eine Sprache "geführt, welche die Aufmerksamkeit des Bundesrates auf sich ziehen mußte.

In Nummer 41 des ,, S o c i a l i s t a " vom 25. Juni 1898 erschien unter der Aufschrift ,,un t r o n o che t r a b a l l a " -- ein Thron, der wackelt -- ein Artikel, in dem der König von Italien lächerlich gemacht und in gemeiner Weise angegriffen wurde.

In Nummer 42 der gleichen Zeitung, vom 2. Juli, erschien wieder ein längerer Artikel ,,Die e i s e r n e Fessel", der in scharfer Weise gegen König und Monarchie polemisierte.

Diese Artikel rührten offenbar von italienischen Flüchtlingen her, die, nachdem die Revolution im eigenen Lande mißglückt, von unserem Boden aus im Verein mit gleichgesinnten Landsleuten die Angriffe gegen die italienischen Zustände fortsetzen wollten.

1008 Einen derartigen Mißbrauch der in unserm Lande erscheinenden Presse konnten wir nicht dulden.

Mit Schreiben vom 19. Juli 1898 gaben wir dem S t a a t s rat des K a n t o n s Tessin von den in Frage stehenden, für Italien beleidigenden Artikeln Kenntnis und luden ihn ein, den ihm bekannten, im Kanton Tessin wohnenden F ü h r e r n dei' italienischen Flüchtlinge zu eröffnen: 1. Der Bundesrat dulde eine Befehdung eines Nachbarstaates durch politische Flüchtlinge nicht.

2. Für den Fall, daß sich die Angriffe und Ausfälle in dieser Presse gegen den König, die Regierung und die verfassungsmäßigen Zustände von Italien wiederholen sollten, wofür die Führer der F l ü c h t l i n g e und der ital i e n i s c h e n socialistischen U n i o n in de r Schweiz als v e r a n t w o r t l i c h b e t r a c h t e t w e r d e n , werde der Buudesrat die sofortige Ausweisung dieser Führer aus der Eidgenossenschaft verfügen.

Als Antwort auf diese Verwarnung erschien in der ,,Italia Nuovaa vom 5. August ein ,, o f f e n e r B r i e f an den H e r r n B u n d e s p r ä s i d e n t e n " , aus dem wir folgende Sätze hervorheben : nicht als ob wir Ihnen eine Entschuldigung überri machen wollten, auch nicht die Furcht vor der angedrohten Ausweisung drückt uns die Feder in die Hand. Wir wissen, da'ß auch noch über ändern Ländern, nicht nur über dem schönen helvetischen Boden, die Sonne der Freiheit strahlt und daß wir also weder zur Reue noch zur Furcht Veranlassung haben.

.,. . . . . Noch niemals, glauben wir, Herr Präsident, ist den Feinden und Verleumdern der Schweiz, welche die monarchische Regierung Italiens in so großer Anzahl in ihrem Solde unterhält, eine bessere Waffe und ein besseres Argument zur Herabsetzung der freien republikanischen Institutionen, der ganzen Schweiz und Ihrer selbst, der Sie der erste Bürger jenes großherzigen Landes sind, in die Hände geliefert worden.

,,Die italienischen Zeitungen werden nun verkünden, daß auch Sie, obwohl Republikaner, die Notwendigkeit gefühlt haben, die Flüchtlingspresse zu knebeln, und daß die V o r s t e l l u n g e n des i t a l i e n i s c h e n Gesandten in Bern, v e r s t ä r k t d u r c h die e n e r g i s c h e n N o t e n , die der Minister des A u s w ä r t i g e n , Canevaro, z w e i f e l s o h n e an Sie gerichtet habe, Sie zum Nachgeben v e r a n l a ß t habe.

1009 ,,Sie b e w i l l i g e n a l l e r d i n g s A s y l f r e i h e i t , w e i l Sie nicht gegen eine Jahrhundert alte Tradition zu vers t o ß e n w a g e n , aber Sie bewilligen sie nur unter der Bedingung, daß die Flüchtlinge sich strengsten Stillschweigens befleißen.

,,So werden die italienischen Zeitungen schreiben versuchen Sie dann, Herr Präsident, bei König Umberto oder auch nur bei seinem Premierminister zu erwirken, daß sie ihre Presse verhalten, Ihrem Lande und Ihnen selbst gegenüber Rücksichten zu tragen, und Sie werden sehen, welche Antwort Ihnen tt zu teil werden wird Unterzeichnet war dieser offene Brief: ,,Die Redaktoren der ,,Italia Nuova1'".

« a Die Wirkung unserer Verwarnung war nicht von langer Dauer.

In Nummer 64 des ,, S o c i a l i s t a " vom S.Dezember 1898 erschienen wieder zwei Artikel, die das Maß des Zulässigen bei weitem überschritten.

Der eine derselben war betitelt ^ D u n q u e '· -- A l s o --und behandelte in höchst abfalliger Weise das vom italienischen Finanzminister aufgenommene Projekt einer Progressivsteuer.

In Italien sei alles überschwer besteuert, heißt es da, m i t A u s n a h m e , w o h l v e r s t a n d e n der 16, sage sechzehn Millionen in Gold, die sich der König als Civilliste zu G e m u t e f ü h r t für seine Reisen, für die Thronrede, welche die Minister machen und er verliest, für P r ä m i e n an d i e j e n i g e n , d i e das V o l k n i e d e r k n a l l e n .

Am Schlüsse des Artikels wird der in Rom erscheinende ,, A v a n t i " ' mit folgenden Worten citiert : ,,Deshalb A l s o , wollen wir, sagt der ,,Avanti" nicht nur keine neuen Steuern, sondern wir verlangen eine herzhafte Herabsetzung der bestehenden. Nur unter dieser Bedingung können wir, dann aber mit lebhafter Agitation, für die Progressivbesteuerung eintreten.

,,Überdies aber verlangen wir Freiheit für alle, namentlich Vereinsfreiheit und Streikfreiheit, damit die Arbeiter im stände seien, a ihre Löhne gegen eine Steuerüberwälzung zu verteidigen

1010 Daran knüpfte nun die Redaktion des ,,Socialista* folgende weiteren Ausführungen : ,,'Also!

,,Also, sagen wir, von diesem nicht königlichen Boden aus, -- muß die M o n a r c h i e g e s t ü r z t w e r d e n , die bei dem Militarismus und bei den Resten des italienischen Feudalismus ihre Stütze sucht, die ihren Ministern eine antifreiheitliche Politik, ein ungerechtes, ruinöses Steuersystem aufzwingt.

,,Uns Socialisten, die wir als solche schon auch feurige Republikaner sind, mag1 es gestattet sein, auf r e p u b l i k a n i s c h e m Boden diesen Heerruf auszustoßen, der früher oder später durch die Gefilde Italiens t r i u m p h i e r e n d erschallen wird: ,,Nieder mit der Monarchie!11 Der andere Artikel war überschrieben: ,, E i n e P r o v o k a t i o n a , er lautet in deutscher Übersetzung: ,,Unmittelbar vor Drucklegung erhalten wir ein Telegramm aus L o c a m o mit der verblüffenden Notiz, daß bei der Einweihung der Fahne der Società i t a l i a n a mutua educativa der K ö n i g s m a r s c h -- la marcia reale -- gespielt worden sei.

,,Wir kennen die leitenden Häupter dieser Gesellschaft, die nach ihren Statuten sich jeder politischen Demonstration enthält, nicht, aber es müssen sicher k a s t r i e r t e R a u c h f a ß t r ä g e r d e s K o n s u l s M ar a z z i , e l e n d e S p e i c h e l l e c k e r dieses schmutzigen, italienischen .^Polizeilings" se.in.

.,,Die Thatsache, daß sie die s c h a n d b a r e H y m n e d e r Volksniedermetzler spielten, jene Hymne, welche heute in den civilisierten Städten Italiens nicht m e h r g e s p i e l t w e r d e n d a r f , spricht für sich allein genug.

,,An die wahren und freigesinnten Italiener, die nur aus zu großer Gutmütigkeit d i e s e B e l e i d i g u n g für die Maigefallenen und für die unschuldig Verurteilten g e s c h e h e n l i e ß e n , richten wir die Bitte, in Zukunft etwas klüger zu sein. a Wie wir bereits angedeutet, beschränkte sich die Agitation der italienischen Socialisten nicht nur auf heftige Zeitungsartikel, dieselbe wurde noch in anderer Weise geführt. So bildete sich in Lugano ein aus Italienern zusammengesetztes . , R e p u b l i k a -

1011 n i s c h e s K o m i t e e 1 1 , das nach Italien Cirkulare versandte mit dem Ersuchen, für die ,, R e p u b l i k a n i s c h e K a s s e " Gelder zu senden. Ein T h e a t e r s t ü c k , eine Satire auf die italienischen Kriegsgerichte, sollte in L u g a n o aufgeführt werden, bereits wurde von Extrazügen gesprochen, welche die Gesinnungsgenossen aus Italien zu den Aufführungen bringen sollten; auf den 1. März 1899 wurde eine in C h i a s s o abzuhaltende G e d ä c h t n i s f e i e r z u E h r e n C a v a l o t t i s angeordnet; was man von dieser Feier zu erwarten hatte, ging daraus hervor, daß in den socialistischen Zeitungen erklärt wurde, es würden an derselben Reden gehalten werden, die, wenn in Italien gehalten, den Rednern Zuchthausstrafe einbringen würden. Das Theaterstück wurde schließlich nicht aufgeführt und .die Gedächtnisfeier nicht abgehalten, indem wir uns veranlaßt sahen, den Staatsrat von Tessin einzuladen, dafür zu sorgen, daß das erstere nicht geschehe ; in Bezug auf die Cavalottifeier in Chiasso hatten wir demselben die Erwartung ausgesprochen, daß diese Feier in einem geschlossenen Lokale stattfinden und an derselben nichts vorkommen werde, was unsere guten Beziehungen zu Italien stören könnte.

Von den im Kanton Tessin hergestellten Broschüren wollen wir nur eine, ,,La storia di un delitto1' (die Geschichte eines Verbrechens), erwähnen, auf deren Umschlag -- um die Einführung in Italien zu ermöglichen -- der Titel des bekannten Romans von Alessandro Manzoni, ,,I Promessi sposi11, aufgedruckt worden ist.

Diese Publikation veranlaßte uns, den beiden hauptsächlichsten Mitarbeitern an derselben, dem Professor C ab r i ni in Mendrisio und dem bekannten socialistischen Agitator D e l l ' A v a l l e , eine Verwarnung zukommen zu lassen, in dem Sinne, daß ihnen die Ausweisung aus der Schweiz angedroht werde, für den Fall sie sich in Zukunft nicht aller Umtriebe gegen Italien enthalten würden.

In Nr. 73 des ,, S o c i a l i s t a " vom 21. Januar 1899 wurde eine von der i t a l i e n i s c h - s o c i a l i s t i s c h e n S e k t i o n L a u s a n n e angenommene Tagesordnung mitgeteilt, worin unter anderai gesagt wurde, ,,daß sie -- die genannte Sektion -- die Propag a n d a der T ha t zurückweise, wohl wissend, daß diese dem unwissenden Proletariat zur Falle gereiche". Im fernem wurde die ,,Propaganda der That" als ein Mittel vergangener Zeiten, als die einzige Ursache blutiger und unheilbarer Niederlagen bezeichnet, und schließlich wurde der Wunsch ausgesprochen, die ,,Agitation

1012 des italienischen Volkes" möge die Opfer der Reaktion aus seinen Kerkern reißen.

An diese ,,Tagesordnung" knüpfte nun die Redaktion des ,,Socialista" unter ändern folgende Bemerkungen: ,,Wir publizieren gerne diese von der Sektion Lausanne in der außerordentlichen Sitzung vom 8. Januar angenommene Tagesordnung, weil sie die erste offene Meinungsäußerung einer unserer Sektionen seit den Maivorkommnissen ist.

,,Wir müssen sie jedoch ein wenig näher beleuchten, da sie einen Satz enthält, der mißverstanden werden könnte."

Dann wurde der auf die P r o p a g a n d a d e r T hat bezügliche Satz wiederholt und weiter gesagt: .

,,Dies ist der Satz : Er giebt zu verstehen, daß es die Socialisten als närrisch betrachten, zur Gewalt aufzufordern, besonders da sie durch eine solche Aufforderung der erwarteten Revolution nicht im geringsten näher gebracht würden und auch weil die Gewalttätigkeit dem Volke antipathisch ist und unsern Absichten nur hinderlich wäre.

,,Sollte jedoch jemand glauben, daß dieser Satz von Seiten der italienischen Socialisten die Annahme der gegenwärtigen Zustände in ihrem Lande bedeute, dem sagen wir, daß die Gefühle der italienischen Socialisten andere sind und sein müssen.

,,Angesichts der Regierungsgewalt, der Herabwürdigung der Bürgerehre, der Unterdrückung jedweden Volksrechtes, kann die Haltung der Socialisten nur die eine sein: W i d e r s t a n d .

,, A b e r n i c h t der s o g e n a n n t e g e s e t z l i c h e W i d e r s t a n d , der ja in einem Lande, das keine Gesetze kennt, in dem Hab und Gut und die Persönlichkeit der Bürger der polizeilichen Willkür anheimfallen, unmöglich ist, s o n d e r n de r W i d e r s t a n d , der nötig b e f u n d e n würde.

,,Es ist klar, daß der Aufstand des i t a l i e n i s c h e n Volkes zur Verteidigung der Verfassung, der Freih e i t , d e s R e c h t e s z u m L e b e n -- s o l l t e er m o r g e n ausbrechen und wir wünschen ihm Glück dazu -- k e i n e G e w a l t t ä t i g k e i t , s o n d e r n der W i d e r s t a n d gegen die G e w a l t t ä t i g k e i t wäre -- u n s e r n vollen B e i f a l l f ä n d e und das O p f e r u n se r es L e b e n s w e r t wäre.

,,Wir wollen hoffen, ja wir sind überzeugt davon, daß wir ct mit unseren Lausanner Genossen übereinstimmen

1013 Als Redaktor des ,, S o c i a l i s t a " - zeichnet seit dem 6. August 1898 ein Tessiner, Leo M a c c h i ; .,,Administrator"', d. h. der eigentliche Chef des Blattes war indes der Italiener Mario T e d e s c h i . Die Untersuchung hat ergeben, daß d i e s e r als Leiter des Blattes angesehen werden mußte -- Tedeschi selbst gab zu, die Druckbogen zu korrigieren, und als Vermittler zwischen den Autoren der Artikel und dem ,,offiziellen Hauptredaktora, Leo Macchi, zu dienen.

T e d e s c h i , dem seiner Zeit die Schlußnahme des Bundesrates vom 19. Juli 1898 ebenfalls eröffnet worden war, und der damals erklärt hatte, er beabsichtige, aus der Redaktion des ,,Socialista"1 auszutreten, um nicht mehr in die Lage zu kommen, wegen Werken Anderer Unannehmlichkeiten zu haben, gab ebenfalls zu, Verfasser der eben erwähnten Redaktionsnotiz zu der ,,Tagesordnung11 der Lausanner Sektion zu sein.

Die Autorschaft des Artikels .,,Dunqueu und ,,Una Provocazionea lehnte er ab, ebensowenig wollte er die ihm offenbar bekannten Verfasser derselben nennen.

In Rücksicht auf den Inhalt der genannten Artikel wurde T e d e s c h i mit Schlußnahme des Bundesrates vom 3. März 1899 aus der Schweiz ausgewiesen.

Diese Ausweisungen, namentlich diejenige von Jotti, C i a c c h i und S p e r o n i , den Mitgliedern der Commissione Esecutiva, sind lebhaft kritisiert worden. In einer, unmittelbar nach deren Verfügung, ebenfalls von Herrn Professor Zürcher an den Bundesrat gerichteten Eingabe wurde namentlich geltend gemacht: 1. Die Angeschuldigten sind nicht die Verfasser des inkriminierten Textes, wie das Ausweisungsdekret annimmt.

2. Sie haben lediglich eine Druckschrift nochmals abdrucken lassen, die schon acht Tage vorher, unter den Augen der Polizei, in Lausanne in Masse verbreitet worden war. -- Wir haben bereits damals festgestellt und wiederholen es hier: Die Versammlung in Lausanne, an welcher das Manifest verteilt wurde, fand Sonntag den 26. Februar statt. Durch die Untersuchung ist erhoben, daß die Mitglieder der Commissione Esecutiva am Mittwoch den 22. Februar, in der ,,Eintracht" in Zürich, eine Zusammenkunft hielten.

1014 In dieser Sitzung legte Ciacchi den von Lausanne erhaltenen Aufruf -- ob gedruckt oder im Manuskript, wissen wir nicht -- vor, in der Meinung, daß die Kommission für dessen weitere Verbreitung zu sorgen habe.

Die Mitglieder erklärten sich mit der Abfassung desselben einverstanden, und es wurde von ihr Text und Ausdrucksweiso für richtig befunden.

Mit der Genehmigung des Aufrufes hat die' Kommission denselben zu ihrem eigenen gemacht und auch in diesem Sinne gehandelt, indem sie denselben mit ihrer Unterschritt versehen in den ,,Socialista" einrücken ließ und auch anderswo verbreitete und so die italienischen Angehörigen aufforderte, im Sinne des Aufrufes zu handeln.

Herr Professor Zürcher macht zu gunsten der von ihm vertretenen Ausgewiesenen J o t t i , C i a c c h i und S p e r o n i deren guten bürgerlichen Leumund und ihr klagloses Verhalten geltend.

Hierauf ist zu erwidern, daß diese Leute aus p o l i t i s c h e n G r ü n d e n ausgewiesen worden sind, wobei ihr bürgerliches Verhalten nicht in Frage kommt. Sie sind uns übrigens nicht erst durch die in diesem Berichte erwähnten Vorgänge bekannt geworden, sie haben sich schon früher bemerkbar gemacht.

Wir wollen in dieser Hinsicht nur erwähnen, daß J o t t i im Mai 1898 mit an die Grenze zog, bei welchem Anlaß er, wie auch T e d e s c h i , im Kanton Tessin verhaftet worden ist. Gegen J o t t i und C i a c c h i wurde von den Behörden des Kantons Zürich bereits im Oktober 1898 die Ausweisung aus der Eidgenossenschaft beantragt; S p e r o n i ist uns bereits seit dem Jahre 1895 als politischer Agitator bekannt. Bei seiner Verhaftung wurde auf ihm die Hälfte eines in italienischer Sprache gedruckten, anarchistisch-revolutionären Manifestes von geradezu verbrecherischem Inhalt gefunden.

Wir erachten es im Interesse des Landes als geboten, diese r f o r t w ä h r enden A g i t a t i o n d u r eh Ausw e i s u n g der v e r a n t w o r t l i c h e n F ü h r e r E i n h a l t zu thun. Wir werden auch in Z u k u n f t allen U m t r i e b e n F r e m d e r , d i e g e e i g n e t sein k ö n n t e n , d i e i n n e r e o d e r

1015 äußere Sicherheit der Eidgenossenschaft zu gefährden, mit E n t s c h i e d e n h e i t e n t g e g e n t r e t e n und nicht d u l d e n , d a ß u n s e r e B e z i e h u n g e n zu ä n d e r n S t a a t e n durch das Verhalten Fremder und durch Interessen, d i e n i c h t d i e u n s r igen s i n d , b e e i n f l u ß t w e r d e n können.

Nach Art. 102, Ziffer 8, 9 und 10, der Bundesverfassung, ist dem Bundesrat die Wahrung in völkerrechtlichen Beziehungen, sowie die Sorge um die äußere und innere Sicherheit der Eidgenossenschaft übertragen. Zu den Obliegenheiten, welche die angeführten Bestimmungen dem Bundesrate auferlegen, gehört auch die Aufsicht über die Fremden, das Recht, dieselben in Anwendung von Art. 70 der Bundesverfassung auszuweisen ; dieses Recht, das bis jetzt allgemein anerkannt und ausgeübt wurde, wird von den Beschwerdeführern nicht beanstandet, vielmehr wird ausdrücklich, zugegeben, daß der Bundesrat die Befugnis zum Erlaß der Ausweisungsverfügungen sich mit Recht beilege.

Da in solchen Sachen ein rasches Handeln notwendig und die Vollziehungsbehörde mit den einschlagenden Verhältnissen genau bekannt ist, so liegt es in der Natur der Sache, daß die letztere einzig verfugt. Es schließt dies nicht aus, daß die Bundesversammlung mit Bezug auf eine allfällige Praxis dem Bundesrat allgemeine Weisungen erteilen kann, dagegen halten wir eine Beschwerdeführung gegen Ausweisungsverfügungen nicht für zulässig. Die Bundesversammlung hat diese Auffassung durch ihren Entscheid im Falle G e h l s e n als eine richtige erklärt. (Vide v. Salis, schweizerisches Bundesrecht, Band IV, Nr. 1377, Bundesblatt 1879, II, 984, und m, 1241.)

Es handelt sich ja in solchen Fällen nicht um die Frage der Verletzung eines verfassungsmäßigen Rechtes des Bürgers oder eines Grundrechtes der Verfassung, welches allen Einwohnern des Landes garantiert ist, oder der Verletzung eines Staatsvertrages -- alles Sachen, die zum Gegenstand eines Rekurses gemacht werden können -- sondern um ein d e m Bundesrate verfassungsmäßig zustehendes Recht, von dem er nach s e i n e m E r m e s s e n und unter s e i n e r e i g e n e n V e r a n t w o r t l i c h k e i t Gebrauch macht und gegen dessen A u s ü b u n g d e m F r e m d e n eine B e s c h w e r d e nicht zusteht.

1016 Wir beantragen deshalb, auf die erhobene Beschwerde nicht einzutreten.

B e r n , den 12. Juni 1899.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Müller.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung auf die Eingabe des Herrn Professor Zürcher, betreffend die Ausweisung des Ettore Jotti, Eugen Ciacchi und Francesco Speroni. (Vom 12. Juni 1899.)

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1899

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24

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14.06.1899

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