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Schweizerische Bundesversammlung.

Die vereinigte Bundesversammlung bat am 14. Dezember 1899 den Bundesrat für die a c h t z e h n t e , vom 1. Januar 1900 bis 31. Dezember 1902 gehende Amtsperiode neu gewählt.

Die Wahlen erfolgten in nachstehender Reihenfolge : Herr D e u c h e r , Adolf, von Steckborn, Frauenfeld und Genf ; H a u s e r , Walther, von Wädensw und St. Gallen; ., Z e m p , Joseph, von Entlebuch ; ,, M ü l l e r , Eduard, von Nidau; ,, B r e n n e r , Ernst, von Basel ; C o m t e s s e , Robert, Nationalrat, von La Sagne, in Neuenburg ; R u c h e t, Marc-Emile, Ständerat, von Bex, in Lausanne; letztere zwei an Stelle der zurückgetretenen Herren Lachen und Ruffy Zum Bundespräsidenten für das Jahr 1900 wurde der Vizepräsident des Bundesrates, Herr H a u s e r , und zum nächstjährigen Vizepräsidenten Herr B r e n n e r gewählt.

Als Kanzler der Eidgenossenschaft für die neue Amtsperiode ist der gegenwärtig im Amt stehende Herr Gottlieb R i n g i e r , von Zofingen (Aargau) bestätigt worden.

In der nämlichen Sitzung wurden, nach stattgehabter Wahl, die Mitglieder des Bundesrates und der Bundeskanzler beeidigt.

Zum Mitglied des Bundesgerichtes, an Stelle des verstorbenen Herrn Jean Broye, wurde gewählt: Herr Emil P e r r i e r , Staatsanwalt, in Frei bürg.

Nachdem Herr Nationalratspräsident G e i l i n g e r von dem Rücktritte der Herren Bundesräte Lachenal und Ruffy Kenntnis gegeben, widmete er den beiden aus dem Amte Scheidenden folgende Worte : Meine Herren Ständeräte und Nationalräte !

Ich kann die Erklärung des Rücktrittes aus dem Bundesrate der Herren Lachenal und Ruffy nicht entgegennehmen, ohne im Namen der Bundesversammlung ungesäumt zu antworten.

1011 Weno die Herren Lachenal und Ruffy mit dem Ausdrucke ··des Dankes aus der hohen Behörde scheiden, so ist die Bundesversammlung und sind weiteste Kreise einig in dem Gefühle des Bedauerns über den Rücktritt und der Anerkennung der ausgezeichneten Leistungen im Dienste des Landes.

Sehr jung waren die beiden Juristen der romanischen Schweiz und beseelt von lebhaftem Interesse für die öffentlichen Angelegenheiten ; vor beinahe zwei Jahrzehnten schon wurden sie, getragen von dem allgemeinen Vertrauen, als Mitglieder der Bundesversammlung gewählt, ziemlich gleichzeitig, wie sie auch bald nacheinander -- 1892 und 1893 -- in den Bundesrat eintraten und nun zusammen zurücktreten. Das Verlassen des Berufes eines Rechtsanwaltes bedeutete -- für Herrn Ruffy bereits vor 15 Jahren ·durch Annahme der Stelle eines waadtländischen Regierungsrates -- bei aller Anziehungskraft der höchsten Ämter, Opfer in verschiedener Hinsicht, und so sollte denn auch die Wirksamkeit im Bundesrate ·eine verhältnismäßig nur kurze sein. Nichtsdestoweniger haben sich die beiden Vertreter der romanischen Schweiz im Bundesrate ·das höchste Ansehen erworben, dank ganz außergewöhnlicher Begabung, unbedingter Rechtlichkeit, seltener Arbeitskraft und Ar'beitslust und dem redlichen Bestreben, auch die Anschauungen der deutschen Schweiz möglichst zu berücksichtigen, in Übereinstimmung mit allen denjenigen, welche in einer angemessenen Verständigung allein die Grundlage für gedeihliches Wirken und ·wahren Fortschritt erblicken.

Zwar blieben auch ihnen Angriffe nicht erspart ; allein sie kamen von einer Seite, die zuweilen das Wort vergißt: ,,Die großen Geister schaffen nur, ohne zu tadeln."

Meine Herren ! Mit voller Befriedigung, mit Genugthuung können die Herren Lachenal und Ruffy auf die Erfolge ihrer bisherigen Thätigkeit im öffentlichen Leben, auf bleibende Verdienste zurückblicken. Und so freuen wir uns denn aufrichtig, daß der Rücktritt aus dem Bundesrate nicht auch ein Abschied ist. Herr Lachenal wird sich als Mitglied der Bundesversammlung dem Lande fernerhin widmen, und Herr Ruffy wird das internationale Amt in der hohen Auffassung verwalten, die der internationalen Aufgabe der Schweiz überhaupt entspricht.

In dpr Sitzung vom 16. Dezember 1899 gedachten die Präsidien 2>eider Räte des am 15. Dezember abends in Bern nach kurzer

1012 Krankheit verstorbenen alt Bundesrates Numa D r o z, Direktors des internationalen Amts für Eisenbahntransport.

Herr Nationalratspräsident G e i l i n g e r sprach sich wie folgt aus: Meine Herren Nationalräte!

Zu meinem großen Bedauern habe ich Ihnen heute noch eine Trauerbotschaft zu übermitteln. Gestern abend ist Herr Numa Droz aus La Chaux-de-Fonds im Alter von 55 Jahren zu Bern gestorben.

Während Männer, die in öffentlichen Stellungen, welche er bekleidete, wirken, gewöhnlich ihre Bildung an der langen und vollständigen Reihe der Unterrichtsanstalten erhalten haben, erlangte er, der nur die Primarschule zu besuchen die Gelegenheit hatte, allerdings bei ganz außergewöhnlicher Begabung und unwiderstehlichem Drange die allbekannten und hochgeschätzten reichen Kenntnisse durch eisernen Fleiß und durch Ausnützung der letzten Minute zur Selbsterziehung: der Graveur im hohen Jura ist Lehrer> Zeitungsredaktor, mit 27 Jahren Großrat und kurz darauf Staatsrat des Kantons Neuenburg, mit 28 Jahren Ständerat und schon nach drei Jahren Vizepräsident desselben, als solcher, also 1875, Bundesrat und 1881 Bundespräsident geworden. 1893 übernahm er die Leitung des Centralamtes für internationalen Bisenbahntransport.

In all diesen Stellungen hat er sein ganzes Wesen und Wirken dem Amte geweiht, die allerschönsten Erfolge erzielt und hohe Verdienste sich erworben. Auf einzelnes hier einzugehen, ist nicht möglich, ohne lückenhaft zu sein, und heute, am Tage der Trauer um ihn, wollen wir dem Menschen und Manne in seiner ganzen großartigen Gestalt und als vorbildliches Beispiel den schmerzlichen Abschiedsgruß und den Dank des Vaterlandes entbieten.

Meine Herren, ich lade Sie ein, sich zu Ehren des Verblichenen zu erheben.

Herr Ständeratspräsident R o b e r t geschiedenen folgenden Nachruf:

widmete

dem Dahin-

Hochgeehrte Herren und Kollegen !

Von dem schmerzlichen Vorrechte der Präsidenten unserer Kate Gebrauch machend, wünsche ich heute für einige Augenblicke Ihre Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen, um Ton einem der ausgezeichnetsten meiner neuenburgischen Mitbürger zu

1013 sprechen, der lange die ersten Beamtungen der Eidgenossenschaft bekleidet hat. Nach kurzer Krankheit starb gestern abend um 7 Uhr Herr Numa Droz, alt Bundesrat und Bundespräsident.

Nurna Droz ist am 27. Januar 1844 in La Chaux-de-Fonds geboren. Er wurde Graveurlehrling; aber da er am Studium Freude hatte, so füllte er durch selbständige Arbeit die Lücken seiner Bildung aus, und es gelang ihm, das Lehrerpatent zu erwerben, worauf er zwei Jahre lang als Lehrer wirkte. Da einig« von ihm verfaßte Zeitungsartikel die Aufmerksamkeit auf ihn geaogen, trat er 1864 in die Redaktion des ^National suissea ein und hatte sich bald den Ruf eines glänzenden Kämpen erworben ; von diesem Zeitpunkte an widmete er sich ausschließlich den öffentlichen Angelegenheiten.

Im Jahre 1869 ordnete ihn La Chaux-de-Fonds in den Großen Rat ab; von 1871 bis 1876 war er Mitglied der Regierung des Kantons Neuenburg und in dieser Eigenschaft Direktor des öffentlichen Unterrichts und der kirchlichen Angelegenheiten, Ständerat im Jahre 1872, Präsident des Ständerates im Jahre 1875. Am 18. Dezember 1875 wurde er in den Bundesrat gewählt. Als Mitglied dieser Behörde stand er in hohem Ansehen und übte großen Einfluß aus, bis er, im Jahre 1892 am 18. Oktober, seinen freiwilligen Austritt aus dieser Behörde nahm.

Er hat ein großes Werk vollbracht. Zeit und Gelegenheit erlauben es mir nicht, Ihnen heute seine zahlreichen Arbeiten und Erfolge alle aufzuzählen. Die Departemente des Innern, des Handels vmd der Landwirtschaft, des Auswärtigen nahmen nacheinander seine Kräfte und seine bedeutenden Fähigkeiten in Anspruch. Von ihm stammt u. a. das Bundesgesetz über die Kontrollierung der Gold- und Silberwaren. Seine ganze Kraft setzte er ein für das ·Gelingen der Landesausstellung in Zürich im Jahre 1883, und er erreichte vollständig das Ziel. Er war zeitlebens ein überzeugter Anhänger des Freihandels und hat ohne Wanken dieses Prinzip vertreten und häufig in schwierigen diplomatischen Verhandlungen zur Anerkennung gebracht. In der diplomatischen Welt genoß er eines großen und verdienten Ansehens und der Erfolg, welchen er in der Wohlgemuth-Angelegenheit errang, lebt noch in dem Gedächtnisse aller.

Präsident der Eidgenossenschaft war er in den Jahren 1881 und 1887.

Familien Verhältnisse veranlaßten ihn 1892, zum großen Bedauern seiner zahlreichen Freunde, aus dem Bundesrate auszutreten

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und die Wahl zum Direktor des internationalen Eisenbahnamtes" anzunehmen. In dieser Stellung ist er bis zu seinem Tode ge-' blieben.

Seine litterarische Thätigkeit liât viele und schöne Früchte gezeitigt. Er hinterläßt namentlich zahlreiche Schriften über ökonomische Fragen, deren Studium er mit Vorliebe betrieb, und sein ^Handbuch des bürgerlichen Unterrichts" ist ebenso weisegedacht als schön geschrieben.

Eine seiner letzten selbstgestellten Aufgaben war die Vorbereitung eines Kurses über Eisenbahnfrachtverkehr für die Handelsschule von Neuenburg; er widmete sich dieser Aufgabe mit ganzem Eifer und sie hat ihm seinen letzten öffentlichen Erfolg eingetragen.

Geehrte Herren! Wenn ich in kurzen Zügen die Laufbahn Numa Droz' zusammenfassen soll, so darf ich sagen, daß, wenn sie auch verschieden beurteilt werden kann, sie zu denjenigen gehörtj welche in einer Demokratie bei jedem Bürger Ehrfurcht und Bewunderung wecken : weil sie das beständige und unermüdliche Ringen menschlicher Denk- und Arbeitskraft zeigt 5 weil sie ein schönes Zeugnis dafür ist, was aus einem Bürgerwerden kann, der aus den bescheidensten und kleinsten Verhältnissen hervorgegangen, indem sie zeigt, wie ein einfacher Arbeiter sich aus eigenem Willen, durch Arbeit und Intelligenz emporheben kann zu den höchsten öffentlichen Ämtern und einen wie großen.

Platz ein solcher Mann im Leben seines Volkes sich schaffen, wiegroßes Ansehen er seinem Lande gewinnen kann; weil sie die Laufbahn eines kampfbereiten, entschlossenen' Mannes ist, der seinem Vaterlande all seine Fähigkeiten, seina Kraft, sein Leben dargebracht.

Vor solchem Lebenswerk neigen wir uns. wie jedermann sich neigen soll vor der Arbeit, vor dem Talente wie vor dem tragischere Geschicke, das unerwartet und vorzeitig dieses so wertvolle Leben dahingerafft hat.

Ich lade Sie ein, meine Herren Kollegen, zu Ehren des hervorragenden Bürgers, den das Vaterland verloren, sich von Ihren Sitzen zu erheben.

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