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Kreisschreiben des

Bundesrates an sämtliche Kantonsregierungen, betreffend Erleichterung der Einbürgerung von Ausländern.

(Vom 28. März 1899.)

Getreue, liebe Eidgenossen !

In der Sitzung vom 9. Dezember 1898 hat der schweizerische Nationalrat ein Postulat folgenden Inhalts angenommen : ,,Der Bundesrat wird eingeladen, zu untersuchen und darüber Bericht zu erstatten, ob es nicht Mittel und Wege gebe, um die Einbürgerung in der Schweiz wohnender Ausländer zu erleichtern.a Zur Begründung dieses Postulates wurde im wesentlichen angebracht : Die bedenkliche Erscheinung, daß zufolge der letzten Volkszählung in der Schweiz rund eine Viertelmillion Ausländer dauernd sich aufhalten und daß, zumal in den größern Grenzstädten, die ausländische Bevölkerung die einheimische nachgerade zu überflügeln drohe, lasse auf Mittel und Wege zur Abhülfe denken.

Man dürfe füglich sagen, daß jeder neunte Mann ein Ausländer sei. Welch verderbliche Erwerbskonkurrenz von dieser Seite, d. h. von Seiten der vom persönlichen Militärdienst befreiten Ausländer den im wehrpflichtigen Alter befindlichen Schweizerbürgern drohe, liege auf der Hand, von politischen Gefahren gar nicht zu sprechen. Das einzig zulässige und zweckmäßige Mittel zur Abhülfe sei wohl das, durch Erleichterung der Bürgerrechtsaufnahme die sich dazu überhaupt eignenden Elemente der schweizerischen Nation zu assimilieren. Man sollte insbesondere danach trachten,

439 in der Schweiz geborene Kinder von Ausländern zu naturalisieren.

Es sei doch ein höchst beklagenswerter Mißstand, wenn Personen, die nach Geburt, Erziehung, Domizil und ganzer wirtschaftlicher Thätigkeit de facto Schweizer seien, vom Ausland als Bürger beansprucht und zum ausländischen Militärdienst herangezogen würden, weil, seien es zu hoch geschraubte Einbürgerungstaxen, sei es die Unmöglichkeit der Verlegung des Domizils in den Bereich einer liberaleren Gesetzgebung, ihrer Naturalisation schwer zu überwindende Hindernisse in den Weg legen. Angesichts von cirka 90,000 solcher in der Schweiz geborenen Ausländer lohne sich's wohl der Mühe, diesen Punkt speciell ins Auge zu fassen und im Zusammenhang mit der ganzen Frage einläßlich zu prüfen.

Im weitern wurde ausgeführt, daß ein wirksames Mittel, die Einbürgerungen in der Schweiz zu erleichtern, darin bestünde, die für die bundesrätliche Naturalisationsbewilligung festgesetzte Kanzleitaxe (Fr. 35) herabzusetzen.

Der Bundesrat versprach, diese Frage gründlich zu untersuchen und darüber Bericht zu erstatten. Er verfehlte indessen nicht, darauf hinzuweisen, daß Übelstände, wenn solche wirklich vorhanden seien, jedenfalls nicht der Bundesgesetzgebung noch auch der bundesrätlichen Praxis zugeschrieben werden dürfen. lu der That beschränkt sich die Kompetenz des Bundes auf diesem Gebiete auf die vorgängige Bewilligung zur Erwerbung eines Kantons- und Gemeindebürgerrechts, Sache der Kantone ist es, das Bürgerrecht selbst zu erteilen.

Zwei Bedingungen sind es, welche jeder Ausländer nach dem Bundesgesetz vom 3. Juli 1876 erfüllen muß, um die bundesrätliche Bewilligung zu erlangen : 1. Er muß seit mindestens zwei Jahren in der Schweiz seinen ordentlichen Wohnsitz haben.

2. Seine Verhältnisse gegenüber dem bisherigen Heimatstaate sollen so beschaffen sein, daß voraussichtlich aus seiner Einbürgerung der Eidgenossenschaft keine Nachteile erwachsen werden.

Das Bundesgesetz vom 3. Juli 1876 ist erlassen worden, um den schweren Übelständen zu steuern, welche bei dem Schacher, der früher mit dem Schweizerbürgerrecht getrieben wurde, zu Tage getreten waren. Wir verweisen diesfalls auf die Botschaft des ßundesrates vom 2. Juni 1876 (Bundesbl. 1876, II, 897).

Es könnte daher keine Rede davon sein, heute das Bundesgesetz vom 3. Juli 1876 abzuschaffen oder seine Bestimmungen wesent-

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lieh abzuschwächen, um damit den frühern Mißbrauchen Thür und Thor zu öffnen.

Wir glauben auch nicht, daß die für jede Bürgerrechtsbewilligung erhobene Kanzleigebühr von Fr. 35 viele davon abhalte, um die Erteilung des Schweizerbürgerrechts einzukommen.

Die Quelle des gerügten Mißstandes -- wenn und soweit überhaupt von einem Mißstand gesprochen werden darf -- wäre also jedenfalls auf kantonalem Gebiete zu suchen.

Wir sind nun gern bereit, die Frage nach allen Seiten hin gründlich zu prüfen, um eventuell Vorschläge darüber zu machen, wie Abhülfe zu schaffen sei. Zu diesem Zwecke gelangen wir an Sie mit dem Gesuche, Sie wollen uns über die Lage der Dinge in Ihrem Kanton und insbesondere über folgende Punkte Aufschluß geben : 1. Trifft das bei Begründung des erwähnten Postulates entworfene Bild für Ihren Kanton zu und in welchem Maße? Wie verhält sich insbesondere in Ihrem Kanton die Zahl der schweizerischen Bevölkerung zu der Zahl der ansäßigen Ausländer?

2. Wie viele Ausländer sind im Jahre 1898 um die Erteilung des Bürgerrechts in Ihrem Kanton eingekommen? Wie viele haben es erhalten, und wie verteilen sich die eingebürgerten Personen auf die einzelnen Gemeinden Ihres Kantons?

3. Welches sind die Bedingungen, die ein Ausländer in Ihrem Kanton erfüllen muß, um eingebürgert zu werden? Ist es wesentlich diesen Bedingungen zuzuschreiben, wenn so wenige Ausländer sich in Ihrem Kanton einbürgern lassen?

4. Halten Sie es für wünschenswert, daß die Erwerbung des Kantons- und Gemeindebürgerrechts in Ihrem Kanton den Ausländern erleichtert werde? Wenn ja, welches wären Ihrer Ansicht nach die hierzu geeigneten Mittel?

5. Auf welche Weise könnte nach Ihrem Dafürhalten auf dem Wege der B u n d e s g e s e t z g e b u n g die Erleichterung der Bürgerrechtserwerbung herbeigeführt werden?

Das sind einige Fragen, auf deren Beantwortung wir im Hinblick auf das die Erleichterung der Bürgerrechtsaufnahme bezweckende Postulat des Nationalrates Wert legen müssen. Damit wollen wir aber nicht das Thema erschöpft haben. Wenn Ihnen bei der Prüfung dieser Frage neue Gesichtspunkte auftauchen, so würden wir Ihnen sehr dankbar sein, wenn Sie dieselben in Ihrem Berichte einläßlich erörtern und uns überhaupt alle Auf-

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Schlüsse erteilen wollten, welche geeignet sind, den Gegenstand aufzuklären und Mittel und Wege zur Abhülfe zu zeigen.

Wir benutzen diesen Anlaß, Sie, getreue, liebe Eidgenossen, samt uns in Gottes Machtschutz zu empfehlen.

B e r n , den 28. März 1899.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Müller.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Eingier.

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Kreisschreiben des Bundesrates an sämtliche Kantonsregierungen, betreffend Erleichterung der Einbürgerung von Ausländern. (Vom 28. März 1899.)

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05.04.1899

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