17.024 Botschaft zur Volksinitiative «Für die Würde der landwirtschaftlichen Nutztiere (Hornkuh-Initiative)» vom 15. Februar 2017

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft beantragen wir Ihnen, die Volksinitiative «Für die Würde der landwirtschaftlichen Nutztiere (Hornkuh-Initiative)» Volk und Ständen zur Abstimmung zu unterbreiten mit der Empfehlung, die Initiative abzulehnen.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

15. Februar 2017

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Doris Leuthard Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2016-2140

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Übersicht Die Volksinitiative «Für die Würde der landwirtschaftlichen Nutztiere (HornkuhInitiative)» will erreichen, dass weniger Nutzviehhalterinnen und Nutzviehhalter ihre Tiere enthornen, und damit der Würde ihrer Tiere besser Rechnung tragen.

Da die Haltung von Tieren mit Hörnern aufwendig ist, soll diese finanziell unterstützt werden. Der Bundesrat beantragt dem Parlament, die Volksinitiative Volk und Ständen ohne direkten Gegenentwurf und ohne indirekten Gegenvorschlag zur Ablehnung zu empfehlen. Die zwingende finanzielle Unterstützung horntragender Kühe und Ziegen soll nicht in der Verfassung festgeschrieben werden, da dadurch der Handlungsspielraum für eine ausgewogene Förderung aller Aspekte des Wohlergehens der Tiere verkleinert wird.

Inhalt der Initiative Die Volksinitiative «Für die Würde der landwirtschaftlichen Nutztiere (HornkuhInitiative)» verlangt, dass die Würde der Tiere geachtet wird, indem die Haltung von behornten Kühen, Zuchtstieren, Ziegen und Zuchtziegenböcken mit wirtschaftlich lohnenden Anreizen des Bundes unterstützt wird. Konkret soll in der Bundesverfassung eine finanzielle Unterstützung für die Haltung behornter Nutztiere festgelegt werden.

Vorzüge und Mängel der Initiative Vorzüge Die Ansicht der Initiantinnen und Initianten, dass das Enthornen ein unverhältnismässiger Eingriff in die Würde der Tiere ist, wird vermutlich von breiten Kreisen der Bevölkerung geteilt. Die Initiative will insbesondere verhindern, dass beim Entscheid, ob Tiere mit oder ohne Hörner gehalten werden, wirtschaftliche Gründe einen zu hohen Stellenwert haben.

Mängel Die Initiative nimmt ein Anliegen auf, das mit der bestehenden Grundlage in Artikel 104 Absatz 3 der Bundesverfassung bereits heute umgesetzt werden könnte. Zudem besteht mit Artikel 75 des Landwirtschaftsgesetzes seit 2014 eine Rechtsgrundlage, die dem Bundesrat die Kompetenz gibt, besonders tierfreundliche Produktionsformen mit einem Beitrag zu unterstützen.

Der Bundesrat lehnt es aber ab, spezifische Beiträge für behornte Tiere einzuführen, da er die Haltung horntragender Tiere als einen unternehmerischen Entscheid der Landwirtinnen und Landwirte ansieht. Diese müssen für ihre Situation entscheiden, wie sie mit dem Zielkonflikt zwischen dem Enthornen der Tiere auf der einen Seite sowie dem Aufwand für die Haltung und dem
höheren Unfallrisiko auf der anderen Seite umgehen.

Eine Änderung der Bundesverfassung in diesem Punkt könnte zur Folge haben, dass andere wichtige Themen in Bezug auf das Wohlergehen der Tiere in den Hinter-

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grund gedrängt werden. Die Initiative fordert Beiträge für behornte Tiere, unabhängig vom Haltungssystem. Freilaufsysteme mit behornten Tieren erfordern jedoch einen wesentlich höheren Platzbedarf und verursachen entsprechende Mehrkosten.

Wird die Haltung horntragender Tiere unabhängig vom Haltungssystem gefördert, ist mit einer Zunahme der Anbindehaltung zu rechnen, da bei dieser Haltungsform die Hörner kaum Mehrkosten verursachen. Dies wäre jedoch eine unerwünschte Entwicklung, da die Haltung in Freilaufsystemen von meist unbehornten Tieren der Anbindehaltung von horntragenden Tiere vorzuziehen ist.

Die Zucht von genetisch hornlosen Tieren liegt im Trend und ermöglicht den Landwirtinnen und Landwirten, in Zukunft auf das Enthornen zu verzichten.

Antrag des Bundesrates Mit Artikel 104 der Bundesverfassung und Artikel 75 des Landwirtschaftsgesetzes bestehen bereits heute die rechtlichen Grundlagen, um die Haltung von Tieren mit Hörnern zu fördern. Der Bundesrat lehnt spezifische Beiträge aber ab, da es keine Studien gibt, die belegen, dass das Enthornen das Wohlergehen der Tiere unverhältnismässig beeinträchtigt. Die Haltung horntragender Tiere sieht er deshalb als einen unternehmerischen Entscheid der Landwirtinnen und Landwirte. Diese müssen selbst entscheiden, wie sie mit dem Zielkonflikt zwischen dem Enthornen der Tiere auf der einen Seite sowie dem Aufwand für die Haltung und dem höheren Unfallrisiko auf der anderen Seite umgehen.

Mit einer Finanzhilfe, die das Wohlergehen nicht gesamtheitlich fördert, sondern allein auf den Aspekt Hörner ausgerichtet ist, könnte die Anbindehaltung, aufgrund der Mehrkosten für die Laufstallhaltung, zunehmen. Dies wäre eine unerwünschte Entwicklung.

Der Bundesrat beantragt den eidgenössischen Räten mit dieser Botschaft, die Volksinitiative «Für die Würde der landwirtschaftlichen Nutztiere (Hornkuh-Initiative)» Volk und Ständen ohne direkten Gegenentwurf oder indirekten Gegenvorschlag zur Ablehnung zu empfehlen.

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Botschaft 1

Formelle Aspekte und Gültigkeit der Initiative

1.1

Wortlaut der Initiative

Die Volksinitiative «Für die Würde der landwirtschaftlichen Nutztiere (HornkuhInitiative)» hat den folgenden Wortlaut: Die Bundesverfassung1 wird wie folgt geändert: Art. 104 Abs. 3 Bst. b Er der Bund richtet die Massnahmen so aus, dass die Landwirtschaft ihre multifunktionalen Aufgaben erfüllt. Er hat insbesondere folgende Befugnisse und Aufgaben: 3

b.

Er fördert mit wirtschaftlich lohnenden Anreizen Produktionsformen, die besonders naturnah, umwelt- und tierfreundlich sind; dabei sorgt er insbesondere dafür, dass Halterinnen und Halter von Kühen, Zuchtstieren, Ziegen und Zuchtziegenböcken finanziell unterstützt werden, solange die ausgewachsenen Tiere Hörner tragen.

1.2

Zustandekommen und Behandlungsfristen

Die Volksinitiative «Für die Würde der landwirtschaftlichen Nutztiere (HornkuhInitiative)» wurde am 9. September 2014 von der Bundeskanzlei vorgeprüft 2 und am 23. März 2016 mit den nötigen Unterschriften eingereicht.

Mit Verfügung vom 12. April 2016 stellte die Bundeskanzlei fest, dass die Initiative mit 119 626 gültigen Unterschriften zustande gekommen ist. 3 Die Initiative hat die Form des ausgearbeiteten Entwurfs. Der Bundesrat unterbreitet dazu weder einen direkten Gegenentwurf noch einen indirekten Gegenvorschlag.

Nach Artikel 97 Absatz 1 Buchstabe a des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 20024 (ParlG) hat der Bundesrat somit spätestens bis zum 23. März 2017 einen Beschlussentwurf und eine Botschaft zu unterbreiten. Die Bundesversammlung hat nach Artikel 100 ParlG bis zum 23. September 2018 über die Abstimmungsempfehlung zu beschliessen.

1 2 3 4

SR 101 BBl 2014 6665 BBl 2016 3461 SR 171.10

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1.3

Gültigkeit

Die Initiative erfüllt die Anforderungen an die Gültigkeit nach Artikel 139 Absatz 3 BV: a.

Sie ist als vollständig ausgearbeiteter Entwurf formuliert und erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Form.

b.

Zwischen den einzelnen Teilen der Initiative besteht ein sachlicher Zusammenhang. Die Initiative erfüllt die Anforderungen an die Einheit der Materie.

c.

Die Initiative verletzt keine zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts.

Sie erfüllt somit die Anforderungen an die Vereinbarkeit mit dem zwingenden Völkerrecht.

2

Ausgangslage für die Entstehung der Initiative

Artikel 104 Absatz 3 Buchstabe b BV sieht vor, dass der Bund mit wirtschaftlich lohnenden Anreizen Produktionsformen fördert, die besonders naturnah, umweltund tierfreundlich sind. Gestützt darauf sieht Artikel 75 Absatz 1 Buchstabe c des Landwirtschaftsgesetzes vom 29. April 19985 (LwG) vor, dass besonders tierfreundliche Produktionsformen mit Direktzahlungen gefördert werden. Damit wird das Wohlergehen der Tiere über die Minimalvorgaben des Tierschutzgesetzes vom 16. Dezember 20056 (TSchG) hinaus gefördert (zur Definition des Begriffs «Wohlergehen» vgl. Art. 3 Bst. b TSchG). Die Beiträge werden nach den Artikeln 72­76 der Direktzahlungsverordnung vom 23. Oktober 20137 (DZV) unabhängig davon ausgerichtet, ob ein Tier Hörner hat oder nicht. Es gibt heute also keine spezifischen Beiträge für das Halten von behornten Tieren.

Kühe mit Hörnern gehören bis heute zum Idealbild der Schweizer Milchwirtschaft.

Traditionsgemäss ist das Milchvieh behornt. Es gibt jedoch auch bei Milchkuh- aber insbesondere bei Mutterkuhrassen solche, die genetisch hornlos sind.

Tiere mit Hörnern können sich gegenseitig verletzten, wobei besonders die rangniedrigen Tiere in beengten Platzverhältnissen gefährdet sind. Auch für die Tierhalterin und den Tierhalter können Hörner ein erhöhtes Unfallrisiko darstellen. Insbesondere in Freilaufsystemen ist die Verletzungsgefahr für Mensch und Tier erhöht.

Die Haltung der Tiere in Freilaufsystemen hat durch die Förderung der freien Bewegung in der Gruppe grosse Verbreitung gefunden.

Dies sind Gründe dafür, dass heute viele Kälber in den ersten drei Lebenswochen enthornt werden. Die Enthornung ist nach Artikel 32 der Tierschutzverordnung vom 23. April 20088 (TSchV) explizit erlaubt. Beim Enthornen gilt es zwischen der Amputation gewachsener Hörner und dem Entfernen der Hornanlagen bei jungen Tieren durch Ausbrennen zu unterscheiden. Das Ausbrennen der Hornanlagen darf 5 6 7 8

SR 910.1 SR 455 SR 910.13 SR 455.1

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bei Jungtieren in den ersten drei Lebenswochen durch die Tierhalterin und den Tierhalter vorgenommen werden, sofern diese oder dieser eine entsprechende Ausbildung in Theorie und Praxis nachweisen kann (Art. 32 TSchV). Amputationen werden heute fast ausschliesslich im Fall von Verletzungen des Horns durchgeführt.

Sie sind zwingend durch eine Tierärztin oder einen Tierarzt vorzunehmen.

In der Milchviehzucht werden Anstrengungen unternommen, damit Zuchtstiere mit genetischer Hornlosigkeit zur Verfügung stehen. Seit 2016 weist Swissgenetics hornlose Stiere im Stierenkatalog mit einem Logo aus. Diese zeichnen sich nicht nur durch das Hornlos-Gen, sondern auch bezüglich Leistungs- und Exterieurmerkmalen aus. Da die Hornanlage rezessiv vererbt wird, ist es möglich, dass sich genetisch hornlose Kühe in kurzer Zeit ausbreiten.

Ein Teil der Bevölkerung und der Tierhalterinnen und Tierhalter empfindet das Enthornen aus wirtschaftlichen Überlegungen und teilweise auch die Zucht auf Hornlosigkeit als unzumutbaren Eingriff in die Würde des Tieres.

Die Initiantinnen und Initianten haben am 6. Dezember 2010 im Vorfeld der Vernehmlassung zur Agrarpolitik 2014­20179 in einem offenen Brief an das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) einen Vorschlag für einen finanziellen Anreiz für horntragende Tiere unterbreitet: « Das ergibt ein Betrag von 365 Franken im Jahr für ein wertvolles Kulturgut, das nicht ganz verloren gehen sollte.»10 In der Vernehmlassung zur Agrarpolitik 2014­2017 unterstützten einige Organisationen das Anliegen der Initiantinnen und Initianten. Agrarallianz, Schweizer Tierschutz, Bio Suisse, Demeter, KAGfreiland, Kleinbauernvereinigung und die Interessengemeinschaft Hornkuh haben spezifische Beiträge für behornte Tiere gefordert. 11 Der Bundesrat ist jedoch nicht auf diese Forderungen eingetreten. 12 Im Rahmen der Beratungen zur Agrarpolitik 2014­2017 haben es der Nationalrat mit 102 zu 63 Stimmen 13 und der Ständerat mit 19 zu 16 Stimmen14 abgelehnt, Artikel 75 Absatz 1 Buchstabe c LwG mit dem Zusatz «einschliesslich Belassung von Hörnern» zu ergänzen. Nicht zur Debatte stand damals, ob der Bund gestützt auf Artikel 75 LwG Beiträge ausrichten könnte. Deshalb beschränkte sich der Bundesrat darauf aufzuzeigen, dass wissenschaftliche Grundlagen fehlen, die eine massgeb9

10 11

12 13

14

Die Unterlagen zur Vernehmlassung sind abrufbar unter: www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2011 > Eidgenössisches Volkswirtschaftsdepartement.

Abrufbar unter www.hornkuh.ch > Briefe (Stand: 8. November 2016).

Zusammenfassung der Vernehmlassungsantworten abrufbar unter www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2011 > EVD > Agrarpolitik 2014-2017: Weiterentwicklung der Agrarpolitik in den Jahren 2014 bis 2017 > Bericht (Stand: 21. November 2016).

Botschaft vom 1. Februar 2012 zur Weiterentwicklung der Agrarpolitik in den Jahren 2014­2017; BBl 2012 2075, hier 2221 ff.

Protokoll der Debatte im Nationalrat zum Minderheitsantrag Schelbert zu Art. 75 Abs. 1 Bst. c; AB 2012 N 1681­1691, zu finden unter: www.parlament.ch, Geschäftsnummer 12.021.

Protokoll der Debatte im Ständerat zum Antrag Eberle zu Art. 75 Abs. 1 Bst. c; AB 2012 S 1211­1212, zu finden unter: www.parlament.ch , Geschäftsnummer 12.021.

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liche Beeinträchtigung des Wohlergehens der Tiere durch das Enthornen belegen würden. Zudem gab er zu bedenken, dass mit der Förderung horntragender Tiere indirekt die Anbindehaltung gefördert werden könnte.

3

Ziel und Inhalt der Initiative

3.1

Ziel der Initiative

Die Initiantinnen und Initianten sind der Ansicht, dass das Enthornen die Tierwürde verletzt. Da die Haltung behornter Tiere aufgrund des grösseren Platzbedürfnisses und des anspruchsvolleren Herdenmanagements höhere Kosten verursacht, wollen sie mit einer Finanzhilfe erreichen, dass Nutzviehhalterinnen und Nutzviehhalter auf das Enthornen aufgrund wirtschaftlicher Überlegungen verzichten. Das Initiativkomitee betont, dass es mit der Initiative kein Enthornungsverbot15 verlangt.

3.2

Inhalt der vorgeschlagenen Regelung

Die Initiative verlangt die Förderung der Haltung von behornten Kühen, Zuchtstieren, Ziegen und Zuchtziegenböcken mit wirtschaftlich lohnenden Anreizen des Bundes. Konkret wird die Verankerung einer finanziellen Unterstützung der Haltung behornter Nutztiere in der Bundesverfassung verlangt.

3.3

Erläuterung und Auslegung des Initiativtextes

Bei einer Annahme der Initiative müsste der Bund sämtliche horntragenden Tiere der entsprechenden Tiergattungen unterstützen und könnte zum Beispiel nicht mehr vorsehen, dass nur bestimmte Formen der Haltung von behornten Tieren unterstützt werden. Er hätte «insbesondere» dafür zu sorgen, dass «Halterinnen und Halter von Kühen, Zuchtstieren, Ziegen und Zuchtziegenböcken finanziell unterstützt werden, solange die ausgewachsenen Tiere Hörner tragen». Mit den Formulierungen «insbesondere» und «solange die ausgewachsenen Tiere Hörner tragen» würde in der Bundesverfassung die Belassung der Hörner gegenüber anderen wichtigen Faktoren für das Wohlergehen der Tiere priorisiert. Der Initiativtext schliesst gewisse Tiergattungen und gewisse Tiere einer Tiergattung von der finanziellen Unterstützung aus; so sind horntragende Schafe nicht erwähnt. Im Initiativtext ist nicht festgelegt, wie hoch der einzelne Beitrag für die genannten Tiere sein soll.

Der Initiativtext verlangt nicht, dass das geltende TSchG angepasst und dort ein Verbot der Enthornung vorgesehen wird. Das Enthornen und das Entfernen der Hornanlage unter Schmerzausschaltung würden bei einer Annahme der Initiative erlaubt bleiben.

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Die Ausführungen des Komitees sind abrufbar unter www.hornkuh.ch > HornkuhInitiative (Stand: 8. Nov. 2016).

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Würdigung der Initiative

4.1

Würdigung der Anliegen der Initiative

Der grösste Teil der Tiere der Rinder- und der Ziegengattung wird mit Hornanlagen geboren. Daneben gibt es auch genetisch hornlose Tiere. Die Hornanlage ist beim neugeborenen Kalb eine kleine Stelle am Kopf, an der die Haut leicht verdickt und haarlos ist. Das Horn beginnt wenige Wochen nach der Geburt zu wachsen. Es ist eine Bildung der Haut, in welche ein Knochenzapfen hineinwächst, der durchblutet, mit Nerven versehen und mit der Stirnhöhle verbunden ist. Das Horn wächst lebenslang.

Hörner dienen der Kommunikation und werden bei Rangkämpfen und zur Körperpflege eingesetzt. Deshalb gibt es vor allem bezüglich Sozialverhalten Unterschiede zwischen behornten und unbehornten Kühen (dazu gehören auch genetisch hornlose Kühe), beispielsweise bezüglich Ausweichverhalten oder der Art der Rangkämpfe.

Tiere der Rinder- und der Ziegengattung haben eine Individualdistanz und Beziehungen untereinander, die sie mit sogenannten Rangordnungskämpfen verteidigen.

Tiere mit Hörnern können sich dabei gegenseitig verletzen und halten deshalb mehr Abstand zueinander. Wegen der Verletzungsgefahr brauchen Tiere mit Hörnern allgemein mehr Platz, damit sie einander ausweichen können. Deshalb müssen sich die Ställe für die Haltung behornter Tiere eignen. Im Laufstall sind für Kühe mit Hörnern besonders grosszügige Verhältnisse im Laufbereich notwendig (z.B. grosszügige Laufgangbreiten, keine Sackgassen, genügend Ausweichmöglichkeiten).

Ausserdem erfordern Tiere mit Hörnern grössere Fressplatzbreiten und Fressgitter, die so konstruiert sind, dass die Tiere mit den Hörnern nicht hängen bleiben. Die Mehrkosten liegen bei durchschnittlich 10­20 Prozent für Laufstallbauten.

In Bezug auf die Bedeutung der Hörner für das Sozialverhalten und das Wohlbefinden von Kühen und Ziegen sind jedoch noch viele Fragen offen. Insgesamt ist die Verletzungsgefahr horntragender Tiere sowohl untereinander als auch für den Menschen höher im Vergleich zu hornlosen Tieren. Um diese Gefahr zu verringern, enthornen viele Rindviehhalterinnen und -halter ihre Kälber. 2014 lebten gemäss einer Umfrage der KAGfreiland16, deren Plausibilität durch das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen und das Forschungsinstitut für biologischen Landbau bestätigt wurde, 73 Prozent der Milchkühe hornlos.

Der Verzicht auf die Enthornung der Tiere
stösst bei der Bevölkerung auf grosse Sympathie. Die Milchkuh ist eine Sympathieträgerin, die in der Werbung oftmals mit Hörnern dargestellt wird. Diese sind denn auch für viele Menschen ein Erkennungsmerkmal der Tierart. Aufgrund der Sympathien der Bevölkerung für das Anliegen gibt es ein Marktpotenzial für Produkte horntragender Tiere. Mit der Verordnung vom 23. Oktober 201317 über die Förderung von Qualität und Nachhaltigkeit in der Land- und Ernährungswirtschaft wäre ein Unterstützungsinstrument vorhanden, um dieses Marktpotenzial besser erschliessen zu können.

16 17

Vgl. www.kagfreiland.ch > Kampagnen und Projekte > Horn auf! > Aktuell > «Mehr Hörner als angenommen» (Stand: 3. Nov. 2016).

SR 910.16

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4.2

Auswirkungen der Initiative bei einer Annahme

Bei einer Annahme der Initiative würde der Bund verpflichtet, die Haltung von horntragenden ausgewachsenen Kühen, Zuchtstieren, Ziegen und Zuchtziegenböcken gezielt zu fördern. Damit würde ein einzelner Aspekt des Wohlergehens der Tiere hervorgehoben. Eine Abwägung dieses Aspekts gegenüber anderen Aspekten wie Bewegungsfreiheit, Fütterungsmanagement oder Platzbedürfnisse würde erschwert.

Die zwingende Förderung horntragender Tiere hätte zur Folge, dass ein grösserer Anteil der Direktzahlungen für raufutterverzehrende Nutztiere eingesetzt werden müsste. Gerade bei horntragenden Tieren besteht jedoch die Möglichkeit, das Anliegen der Initiantinnen und Initianten über eine Differenzierung der Produkte zu den Konsumentinnen und Konsumenten zu tragen und die Mehrkosten über einen höheren Produktepreis abzugelten.

Auf der Webseite der Initiantinnen und Initianten18 wird klargestellt, dass mit der Initiative eine Entschädigung für die wirtschaftliche Ertragseinbusse wegen der zusätzlichen Haltungsanforderungen behornter Tiere gegenüber unbehornten Tieren verlangt wird. Dies hätte eine Konzentration der Beiträge auf einen Teil der raufutterverzehrenden Nutztiere zur Folge.

Es wird explizit festgehalten, dass die Finanzierung nicht durch mehr Finanzhilfen, sondern durch eine Umverteilung gedeckt werden soll. Wie und in welchem Umfang die Mittel umverteilt werden sollen, zeigen weder der Initiativtext noch das Komitee auf. Bei einer Annahme der Initiative müsste bestimmt werden, welche bestehenden Direktzahlungen gekürzt werden sollen. Dies hätte einen Einfluss darauf, welche Ziele mit der Agrarpolitik erreicht werden können.

Eine weitere Differenzierung der agrarpolitischen Massnahmen wird zudem zu einem grösseren administrativen Aufwand führen.

4.3

Vorzüge und Mängel der Initiative

Vorzüge Die Ansicht, dass das Enthornen ein unverhältnismässiger Eingriff in die Würde der Tiere ist, wird vermutlich von breiten Kreisen der Bevölkerung geteilt. Da wirtschaftliche Gründe eine wichtige Rolle beim Entscheid für oder gegen Tiere mit Hörnern spielen, ist die Forderung nach einem Beitrag für behornte Tiere ein nachvollziehbarer Lösungsvorschlag.

Durch die dominante Vererbung der genetischen Hornlosigkeit könnten Tiere mit Hörnern verdrängt werden. Diesem Zukunftsszenario würde mit der Annahme der Initiative entgegengewirkt.

18

Die Ausführungen des Komitees sind abrufbar unter www.hornkuh.ch > HornkuhInitiative (Stand: 8. Nov. 2016).

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Mängel Die Initiative nimmt ein Anliegen auf, das bereits mit der bestehenden Verfassungsgrundlage umgesetzt werden könnte. Zudem besteht mit Artikel 75 LwG seit 2014 eine Rechtsgrundlage, die dem Bundesrat die Kompetenz gibt, besonders tierfreundliche Produktionsformen mit einem Beitrag zu unterstützen.

Für den Zielkonflikt zwischen dem Wohlergehen der Tiere und ökonomischen Aspekten der Nutztierhaltung zeigt die Initiative keinen gesamtheitlichen Lösungsweg auf, da sie nur den Aspekt Hörner aufgreift. Mit der Initiative würde eine spezifische Förderung behornter Tiere auf Verfassungsebene verankert. Damit würde auf Verfassungsstufe ein einzelner Faktor, der auf das Wohlergehen der Tiere wirkt, gegenüber anderen bevorzugt. Dies könnte zur Folge haben, dass andere wichtige Aspekte, die für das Wohlergehen ebenfalls wichtig sind, in den Hintergrund gedrängt werden. Der Bundesrat möchte der Haltung in Freilaufsystemen gegenüber dem Belassen der Hörner den Vorzug geben. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass bisher keine Studien belegen, dass die Enthornung das Wohlergehen der Tiere massgeblich beeinträchtigt. Hingegen gibt es zahlreiche Faktoren, deren Wirkung auf das Wohlergehen besser mit Untersuchungen belegt sind, namentlich das Stallklima, die Bewegungsfreiheit, der Bewegungsanreiz, die Fütterung, die Gruppenhaltung, das Herdenmanagement oder der Weidegang.

Wird die Haltung horntragender Tiere unabhängig vom Haltungssystem gefördert, ist mit einer Zunahme der Anbindehaltung zu rechnen, da bei dieser Haltungsform die Hörner kaum Mehrkosten verursachen. Dies wäre jedoch eine unerwünschte Entwicklung, denn wenn das Wohlergehen von angebundenen horntragenden Tieren und das Wohlergehen von hornlosen Tieren im Laufstall einander gegenübergestellt werden, ist letzteres aus ethologischer Sicht höher zu gewichten.

Werden mehr horntragende Kühe gehalten, so ist mit einem höheren Unfallrisiko für Mensch und Tier zu rechnen.

Aus raumplanerischer Sicht gibt es einen Zielkonflikt zwischen grösseren Laufställen und Laufhöfen für behornte Tiere und dem Planungsgrundsatz, dass sich Bauten und Anlagen in die Landschaft einordnen sollen (Art. 3 des Raumplanungsgesetzes vom 22. Juni 197919). Auch kann der grössere Flächenbedarf zu höheren Ammoniak-Emissionen führen.

Durch die Ausbreitung der genetischen Hornlosigkeit
ist das Entfernen der Hornanlage beim jungen Tier nicht mehr nötig. Umso mehr wird es ein unternehmerischer Entscheid der Tierhalterin oder des Tierhalters sein, ob er oder sie hornlose oder horntragende Tiere halten möchte. Da die Bevölkerung grosse Sympathien für behornte Tiere hat, ist eine Abgeltung des Mehraufwands über den Markt möglich.

So könnte allenfalls ein Label kreiert werden, das Produkte von horntragenden Tieren auslobt. Eine spezifische finanzielle Unterstützung von behornten Kühen, Zuchtstieren, Ziegen und Zuchtziegenböcken ist daher aus einer Gesamtsicht nicht sinnvoll.

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SR 700

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Aus administrativer Sicht bedeutet jede weitere Differenzierung der agrarpolitischen Massnahmen einen Mehraufwand und widerspricht dem Anliegen der administrativen Vereinfachung.

4.4

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Der Initiativtext ist mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz grundsätzlich vereinbar. Die Initiative zielt darauf ab, die naturnahe Haltung spezifisch zu fördern. In der Welthandelsorganisation (WTO) stehen insbesondere Massnahmen in der Kritik, die produktionsfördernd wirken. Ob dies bei der spezifischen Unterstützung behornter ausgewachsener Tiere zutreffen würde, hängt von der konkreten Ausgestaltung der Massnahmen ab.

5

Schlussfolgerungen

Mit Artikel 104 BV und Artikel 75 LwG bestehen bereits die rechtlichen Grundlagen, dass Tiere mit Hörnern gefördert werden können. Bundesrat und Parlament haben es bisher aber abgelehnt, die Haltung von Tieren mit Hörnern mit speziellen Beiträgen zu fördern. Die Initiative würde den Bund zwingen, solche Beiträge auszurichten.

Der Entscheid für oder gegen die Haltung horntragender Tiere ist aus Sicht des Bundesrats ein unternehmerischer Entscheid. Aufgrund der Sympathien der Bevölkerung sieht er ein Marktpotenzial für Produkte horntragender Tiere und deshalb keine Notwendigkeit für neue Beiträge. Zudem könnte mit einer Finanzhilfe, die das Wohlergehen nicht gesamtheitlich fördert, sondern nur auf den Aspekt Hörner ausgerichtet ist, die Anbindehaltung aufgrund der Mehrkosten für die Laufstallhaltung zunehmen. Dies wäre eine unerwünschte Entwicklung.

Da die zwingende finanzielle Unterstützung aller horntragenden Kühe und Ziegen weder notwendig ist noch einer gewünschten Entwicklung entspricht, beantragt der Bundesrat den eidgenössischen Räten mit dieser Botschaft, die Volksinitiative «Für die Würde der landwirtschaftlichen Nutztiere (Hornkuh-Initiative)» Volk und Ständen ohne direkten Gegenentwurf oder indirekten Gegenvorschlag zur Ablehnung zu empfehlen.

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