17.033 Botschaft zur Genehmigung und Umsetzung des Notenaustauschs zwischen der Schweiz und der Europäischen Union betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) 2016/1624 über die Europäische Grenz- und Küstenwache (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands) vom 17. Mai 2017

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf eines Bundesbeschlusses über die Genehmigung und Umsetzung des Notenaustauschs zwischen der Schweiz und der Europäischen Union betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) 2016/1624 über die Europäische Grenz- und Küstenwache (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands), mit dem Entwurf einer Änderung des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer, des Bundesgesetzes über die kriminalpolizeilichen Zentralstellen des Bundes und gemeinsame Zentren für Polizei- und Zollzusammenarbeit mit anderen Staaten und des Zollgesetzes.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

17. Mai 2017

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Doris Leuthard Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2017-0457

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Übersicht Es wird beantragt, den Notenaustausch zwischen der Schweiz und der Europäischen Union betreffend die Übernahme der Verordnung EU 2016/1624 über die Europäische Grenz- und Küstenwache, die eine Weiterentwicklung des SchengenBesitzstands darstellt, zu genehmigen. Mit der Übernahme dieser Verordnung setzt die Schweiz die Beteiligung an den Aktivitäten von Frontex fort, die weitergehende Kompetenzen bei der Überwachung der Aussengrenzen des SchengenRaums und bei der Rückkehr von rechtswidrigen Aufenthaltern aus Drittstaaten im Schengen-Raum erhält.

Ausgangslage Im Jahr 2015 war die Europäische Union (EU) an ihren Aussengrenzen mit aussergewöhnlichen Herausforderungen konfrontiert, weil zwischen Januar und November schätzungsweise 1,5 Millionen Menschen die Grenzen illegal überschritten haben.

Das Ausmass des Zustroms von Migrantinnen und Migranten in die EU und die dadurch ausgelöste Sekundärmigration haben deutlich gemacht, dass die auf Ebene der EU und der Schengen-Staaten vorhandenen Strukturen den Herausforderungen eines solchen Zustroms nicht gewachsen sind. In einem Raum ohne Binnengrenzen wirkt sich die illegale Einwanderung von Flüchtlingen sowie von Migrantinnen und Migranten, die die Aussengrenzen eines Schengen-Staats überschreiten, auf alle übrigen Staaten aus. Aufgrund der erheblichen Sekundärmigration sahen sich mehrere Schengen-Staaten veranlasst, an den Binnengrenzen wieder Grenzkontrollen einzuführen. Dies stellt das Funktionieren und den Zusammenhalt des SchengenRaums auf eine harte Probe.

Das Europäische Parlament und der Rat haben deshalb am 14. September 2016 die Verordnung (EU) 2016/1624 über die Europäische Grenz- und Küstenwache verabschiedet und der Schweiz am 22. September 2016 notifiziert. Der Bundesrat hat am 12. Oktober 2016 die Übernahme dieser Schengen-Weiterentwicklung unter Vorbehalt der Erfüllung der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen gemäss Artikel 7 Absatz 2 Buchstabe b des Schengen-Assoziierungsabkommens (SAA) gutgeheissen.

Die Europäische Grenz- und Küstenwache (Europäische Grenzwache) besteht zum einen aus der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Agentur), welche die Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Aussengrenzen (Frontex) ablöst, wobei die Kurzform Frontex beibehalten wird, und zum andern aus den für die Grenzverwaltung
zuständigen nationalen Behörden (einschliesslich Küstenwachen). Die Schaffung einer europäischen Grenz- und Küstenwache ist Teil eines umfassenden Massnahmenpakets für eine integrierte Grenzverwaltung an den EU-Aussengrenzen, um migrationsbedingte Herausforderungen wirksam zu bewältigen und ein hohes Mass an Sicherheit innerhalb der EU unter Wahrung der Freizügigkeit zu gewährleisten.

Die Schweiz ist durch das Grenzwachtkorps (GWK) seit 2011 aktiv an Frontex und ihren Operationen beteiligt und ist im Frontex-Verwaltungsrat vertreten.

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Inhalt der Vorlage Der zu genehmigende Notenaustausch bezweckt die Übernahme der Verordnung (EU) 2016/1624 über die Europäische Grenz- und Küstenwache. Die neue Verordnung stattet die Agentur mit erweiterten Kompetenzen aus. So ist die Schaffung eines der Agentur zur Verfügung stehenden Soforteinsatzpools von 1500 Grenzschutzexpertinnen und ­experten vorgesehen. Die Agentur soll die Möglichkeit erhalten, Schwachstellenbeurteilungen der Schengen-Staaten vorzunehmen. Ausserdem soll sie ­ als letztes Mittel und auf Beschluss des Rates ­ in Situationen, in denen dringendes Handeln geboten ist, in Zusammenarbeit mit dem betreffenden Staat Sofortmassnahmen an den Aussengrenzen der Schengen-Staaten ergreifen können. Die Rolle der Agentur im Rückkehrbereich wird ebenfalls verstärkt. Die Agentur wird unter anderem die Aufgabe haben, die Schengen-Staaten durch die Finanzierung von Sammelflügen, aber auch durch die Organisation eigener Rückkehraktionen aus ersuchenden Schengen-Staaten oder ab Brennpunkten (Hotspot-Gebiete) zu unterstützen. Das Budget und das Personal der Agentur werden verstärkt.

Diese Neuerungen haben Anpassungen des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer, des Bundesgesetzes über die kriminalpolizeilichen Zentralstellen des Bundes und gemeinsame Zentren für Polizei- und Zollzusammenarbeit mit anderen Staaten und des Zollgesetzes zur Folge.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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1

Grundzüge der Vorlage 1.1 Ausgangslage 1.2 Verlauf der Verhandlungen 1.3 Verfahren zur Übernahme der Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands 1.4 Kein Verhandlungsbedarf bei der Zusatzvereinbarung

4160 4160 4162

2

Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln der Verordnung 2.1 Wichtigste Neuerungen 2.2 Weitere Bestimmungen

4166 4166 4175

3

Vernehmlassungsergebnis und Haltung des Bundesrates 3.1 Allgemeine Bemerkungen zur Vorlage 3.1.1 Bemerkungen betreffend Situationen an den Aussengrenzen, in denen dringendes Handeln geboten ist 3.1.2 Bemerkungen zur finanziellen Beteiligung der Schweiz an die neue Agentur 3.1.3 Bemerkungen zu den Personalressourcen bei der EVZ 3.2 Bemerkungen zum Rückkehrbereich 3.2.1 Entschädigung der Kantone bei internationalen Einsätzen 3.2.2 Einbezug der KKJPD, der KKPKS und Beitrag der Kantone an den Pool

4177 4177

4

Auswirkungen 4.1 Auswirkungen auf den Bund 4.1.1 Finanzielle Auswirkungen 4.1.2 Personelle Auswirkungen 4.2 Auswirkungen auf die Kantone 4.2.1 Auswirkungen im Grenzkontrollbereich 4.2.2 Auswirkungen im Rückkehrbereich

4181 4181 4181 4183 4185 4185 4185

5

Gesetzliche Anpassungen 5.1 Ausländergesetz 5.2 Bundesgesetz über die kriminalpolizeilichen Zentralstellen des Bundes und gemeinsame Zentren für Polizei- und Zollzusammenarbeit mit anderen Staaten 5.3 Zollgesetz 5.4 Spätere Anpassung der Verordnung über die operative Zusammenarbeit mit den anderen Schengen-Staaten zum Schutz der Aussengrenzen des Schengen-Raums

4186 4186

Rechtliche Aspekte 6.1 Verfassungsmässigkeit

4192 4192

6

4158

4164 4165

4178 4178 4179 4180 4180 4181

4189 4190

4191

BBl 2017

6.2 6.3

Erlassform Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

4192 4193

Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung des Notenaustauschs zwischen der Schweiz und der Europäischen Union betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) 2016/1624 über die Europäische Grenz- und Küstenwache (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands) (Entwurf)

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Notenaustausch vom 14. Oktober 2016 zwischen der Schweiz und der Europäischen Union betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) 2016/1624 über die Europäische Grenz- und Küstenwache (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands)

4201

4159

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Botschaft 1

Grundzüge der Vorlage

1.1

Ausgangslage

Im Jahr 2015 war die Europäische Union (EU) an ihren Aussengrenzen ausserordentlichen Herausforderungen ausgesetzt, weil zwischen Januar und November schätzungsweise 1,5 Millionen Menschen die Grenzen illegal überschritten haben .

Das Ausmass des Zustroms von Migranten in die EU und die dadurch ausgelöste Sekundärmigration haben deutlich gemacht, dass die auf Ebene der EU und der Schengen-Staaten vorhandenen Strukturen den Herausforderungen eines solchen Zustroms nicht gewachsen sind. In einem Raum ohne Binnengrenzen wirkt sich die illegale Einwanderung von Flüchtlingen sowie von Migrantinnen und Migranten, die die Aussengrenzen eines Schengen-Staats überschreiten, auf alle übrigen Staaten aus. Aufgrund der erheblichen Sekundärmigration sahen sich mehrere SchengenStaaten veranlasst, an den Binnengrenzen wieder Grenzkontrollen einzuführen. Dies stellt das Funktionieren und den Zusammenhalt des Schengen-Raums auf eine harte Probe.

Die Europäische Kommission (Kommission) hat deshalb am 15. Dezember 2015 ein umfassendes Massnahmenpaket für einen besseren Schutz der Aussengrenzen der EU und den Schutz des Schengen-Raums ohne Kontrollen an den Binnengrenzen vorgelegt. Mit der Einführung eines integrierten Schutzes der Aussengrenzen sollen migrationsbedingte Herausforderungen wirksam bewältigt und ein hohes Mass an Sicherheit innerhalb der EU gewährleistet werden.

Die Kommission hat einen Vorschlag für eine Verordnung zur Einführung einer europäischen Grenz- und Küstenwache1 (Verordnung) erarbeitet, der den Schengener Grenzkodex (SGK)2 ändert und mit dem die Frontex-Verordnung3, die RabitVerordnung4 und die Entscheidung 2005/267/EG des Rates der Europäischen Union (Rat)5 aufgehoben werden. Mit der Verordnung soll eine Europäische Grenz- und 1

2

3

4

5

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Europäische Grenz- und Küstenwache und zur zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2007/2004, der Verordnung (EG) Nr. 863/2007 und der Entscheidung 2005/267/EG des Rates, KOM (2015) 671 endg.

Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) (kodifizierter Text), ABl. L 77 vom 23.3.2016, S. 1.

Verordnung (EG) Nr. 2007/2004 des Rates vom 26. Oktober 2004 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Aussengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. L 349 vom 25.11.2004, S. 1.

Verordnung (EG) Nr. 863/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über einen Mechanismus zur Bildung von Soforteinsatzteams für Grenzsicherungszwecke und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2007/2004 des Rates hinsichtlich dieses Mechanismus und der Regelung der Aufgaben und Befugnisse von abgestellten Beamten, ABl. L 199 vom 31.7.2007, S. 30.

Entscheidung 2005/267/EG des Rates vom 16. März 2005 zur Einrichtung eines sicheren webgestützten Informations- und Koordinierungsnetzes für die Migrationsbehörden der Mitgliedstaaten, ABl. L 83 vom 1.4.2005, S. 48.

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Küstenwache (Europäische Grenzwache) geschaffen werden. Diese soll zum einen aus der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Agentur), welche die Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Aussengrenzen (Frontex) ablöst, wobei die Kurzform Frontex beibehalten wird, und zum andern aus den für die Grenzverwaltung zuständigen nationalen Behörden (einschliesslich Küstenwachen) bestehen.

Die Frage gemeinsamer Standards und der Rolle von Frontex standen in den letzten Jahren regelmässig zur Debatte. In der Rede zur Lage der Union kündigte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker im September 2015 die Schaffung einer europäischen Grenz- und Küstenwache an, die auch Teil des Massnahmenplans der Europäischen Migrationsagenda ist. Zudem soll dem Erfordernis verstärkter Sicherheitskontrollen an den EU-Aussengrenzen entsprochen werden, wie dies von den EU Innenministern am 20. November 2015 nach den Attentaten in Paris vom 13. November 2015 gefordert wurde.

Zur Erreichung dieser Ziele stattet die neue Verordnung die Agentur mit erweiterten Kompetenzen aus. So ist die Schaffung eines der Agentur zur Verfügung stehenden Soforteinsatzpools von 1500 Grenzschutzexpertinnen und -experten vorgesehen. Die Agentur soll die Möglichkeit erhalten, Schwachstellenbeurteilungen der SchengenStaaten vorzunehmen. Ausserdem soll sie ­ als letztes Mittel und auf Beschluss des Rates ­ in Situationen, in denen dringendes Handeln geboten ist, in Zusammenarbeit mit dem betreffenden Staat Sofortmassnahmen an den Aussengrenzen der SchengenStaaten ergreifen können. Die Rolle der Agentur im Rückkehrbereich von rechtswidrigen Aufenthaltern aus Drittstaaten wird ebenfalls verstärkt. Die Agentur wird unter anderem die Aufgabe haben, die Schengen-Staaten durch die Finanzierung von Sammelflügen, aber auch durch die Organisation eigener Rückkehraktionen aus ersuchenden Schengen-Staaten oder ab Brennpunkten (Hotspot-Gebiete) zu unterstützen. Das Budget und das Personal der Agentur werden verstärkt.

Die Verordnung (EU) 2016/16246 (Verordnung) wurde am 14. September 2016 verabschiedet und der Schweiz am 22. September 2016 notifiziert. Sie stellt eine Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands dar. Die Schweiz ist durch das Grenzwachtkorps (GWK) seit 2011 aktiv an Frontex und ihren Operationen beteiligt und ist im Frontex-Verwaltungsrat vertreten.

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Verordnung (EU) 2016/1624 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. September 2016 über die Europäische Grenz- und Küstenwache und zur Änderung der Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 863/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 2007/2004 des Rates und der Entscheidung des Rates 2005/267/EG, Fassung gemäss ABl. L 251 vom 16.9.2016, S. 1.

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1.2

Verlauf der Verhandlungen

Gestützt auf Artikel 4 des Schengen-Assoziierungsabkommens (SAA)7 sowie auf die Artikel 2 und 3 der sogenannten Komitologie-Vereinbarung8 mit der EU ist die Schweiz im Rahmen ihres Mitspracherechts berechtigt, im Schengenbereich in den zuständigen Arbeitsgruppen des Rates der EU und in den Ausschüssen mitzuwirken, welche die Europäische Kommission bei der Ausübung ihrer Durchführungsbefugnisse unterstützen (Komitologie-Ausschüsse). Sie kann insbesondere Stellung nehmen und Anregungen anbringen. Über ein Stimmrecht verfügt die Schweiz jedoch nicht (vgl. Art. 7 Abs. 1 SAA bzw. Art. 5 Abs. 1 Komitologie-Vereinbarung).

Auf ausdrücklichen Wunsch der Minister der Schengen-Staaten wurde die Prüfung des Vorschlags anfangs Jahr vorangetrieben. Im ersten Halbjahr 2016 fanden unter niederländischer Ratspräsidentschaft mehrere Sitzungen in Brüssel, Luxemburg und Amsterdam statt. Die Beratungen wurden in den zuständigen Arbeitsgruppen des Rates, in der Arbeitsgruppe Grenze (Expertenstufe), im Strategischen Ausschuss für Einwanderungs-, Grenz- und Asylfragen (SCIFA, hohe Beamtenstufe), im Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten (COREPER, Botschafterstufe) und im Rat der Justiz- und Innenminister (JI-Rat, Ministerebene) geführt. Diese Gremien tagten als gemischter Ausschuss (COMIX), das heisst im Beisein der Vertreterinnen und Vertreter der bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands assoziierten Staaten (assoziierte Staaten). Die Vertreterinnen und Vertreter des Bundes und der Kantone konnten ihre Haltung zum Verordnungsentwurf im Rahmen dieser Sitzungen aktiv einbringen.

Dazu ist anzumerken, dass der erste Verordnungsentwurf weite Kompetenzen für die Agentur und die Kommission namentlich in Bezug auf Sofortmassnahmen an den Aussengrenzen eines Schengen-Staates vorsah. Aufgrund der Stellungnahme verschiedener Länder, unter anderem der Schweiz, wurden diese Kompetenzen im Hinblick auf grössere Legitimation und eine verstärkte Rolle der Schengen-Staaten auf den Verwaltungsrat der Agentur bzw. den Rat übertragen. Dadurch ergeben sich weitere Mitsprachemöglichkeiten für die Schweiz. Ausserdem wurde präzisiert, welches die Folgen sind, wenn ein Schengen-Staat einem Entscheid der Agentur oder des Rates über notwendige Massnahmen an seinen Aussengrenzen nicht nachkommt. So
kann der Rat der Europäischen Union (Rat) in Anwendung von Artikel 29 des SGK den Schengen-Staaten die Wiedereinführung der Grenzkontrollen an den Binnengrenzen (Art. 199) empfehlen. Mit dieser Präzisierung konnten die Vorbehalte verschiedener Schengen-Staaten (darunter der Schweiz) aufgehoben und sichergestellt werden, dass die Agentur in keinem Fall ohne die Zustimmung eines 7

8

9

Abkommen vom 26. Oktober 2004 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der Europäischen Union und der Europäischen Gemeinschaft über die Assoziierung dieses Staates bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands, SR 0.362.31.

Vereinbarung vom 22. September 2011 zwischen der Europäischen Union sowie der Republik Island, dem Fürstentum Liechtenstein, dem Königreich Norwegen und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Beteiligung dieser Staaten an der Arbeit der Ausschüsse, die die Europäische Kommission bei der Ausübung ihrer Durchführungsbefugnisse in Bezug auf die Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des SchengenBesitzstands unterstützen, SR 0.362.11.

Wo nicht anders vermerkt, handelt es sich um die Artikel der Verordnung.

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Schengen-Staats Grenzschutzexpertinnen und -experten an dessen Aussengrenzen entsenden kann.

Auch vom ursprünglichen Schlüssel für die Beteiligung der Schengen-Staaten am Soforteinsatzpool wurde abgesehen. Der vorgesehene Anteil von zwei bis drei Prozent des Grenzwachtpersonals trug den verschiedenen Struktur- und Organisationsformen des Grenzschutzes in den Schengen-Staaten zu wenig Rechnung.

Schliesslich wurde die Beteiligung nach Absprache zwischen den Schengen-Staaten und der Ratspräsidentschaft in bilateralen Gesprächen festgelegt. Die Schweiz hat sich zur Bereitstellung von 16 Grenzschutzexpertinnen und experten verpflichtet; diese dem Umfang ihrer Grenzwache und der Art ihrer Grenzen angemessene Beteiligung entspricht 0,8 Prozent des GWK-Bestands.

Die Artikel betreffend Rückkehraufgaben (Art. 27-33) wurden auf Expertenniveau unabhängig vom restlichen Verordnungstext im Rahmen der Arbeitsgruppe Integration, Migration und Rückführung (MIGR) sowie von Sitzungen der JI-Referentinnen und -Referenten besprochen. Die Schweiz konnte ihre Kommentare sowohl mündlich, an den Sitzungen, als auch schriftlich einreichen. Diese wurden zum Grossteil aufgenommen und in die Verordnung integriert. Am meisten diskutiert wurde dabei die Frage, wie die Schengen-Staaten angerufen werden sollen, zum europäischen Pool beizutragen.

Um den Fortschritt der Arbeiten und Einigungen im Grundsatz zu einzelnen Teilen des Entwurfs auf Ratsstufe festzuhalten, hat die Ratspräsidentschaft dem COREPER-Ausschuss regelmässig Kompromissvorschläge unterbreitet. An der COREPER-Sitzung vom 6. April 2016 hiessen die Schengen-Staaten die Einigung über den Kompromiss des Rates gut und beauftragten die Ratspräsidentschaft, so rasch wie möglich Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament aufzunehmen.

Das Europäische Parlament prüfte in der Folge den ersten Vorschlag der Kommission vom 15. Dezember 2015 und reichte verschiedene Änderungsvorschläge ein, die im Trilog zwischen Rat, Europäischem Parlament und Ratspräsidentschaft intensiv verhandelt wurden. Das Parlament forderte insbesondere eine jährliche Schwachstellenbeurteilung und die Entsendung von Verbindungspersonen in sämtliche Schengen-Staaten, auch solche ohne See- oder Landaussengrenze. Nachdem verschiedene Staaten, darunter die Schweiz, interveniert hatten, kam das Parlament
auf seine Position zurück. Am COREPER vom 22. Juni 2016 konnte schliesslich ein globaler Konsens gefunden werden.

Die Verordnung wurde am 14. September 2016 mit der Unterzeichnung des entsprechenden Rechtsakts durch die Präsidenten des Europäischen Parlaments und des Rates formell genehmigt.

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1.3

Verfahren zur Übernahme der Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands

Gestützt auf Artikel 2 Absatz 3 SAA hat sich die Schweiz grundsätzlich verpflichtet, alle Rechtsakte, welche die EU seit der Unterzeichnung des SAA am 26. Oktober 2004 als Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands erlassen hat, zu übernehmen und soweit erforderlich in das Schweizer Recht umzusetzen.

Artikel 7 SAA sieht ein spezielles Verfahren für die Übernahme und Umsetzung von Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands vor. Zunächst notifiziert die EU der Schweiz «unverzüglich» die Annahme eines Rechtsaktes, der eine Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands darstellt. Danach verfügt der Bundesrat über eine Frist von dreissig Tagen, um dem zuständigen Organ der EU (Rat der EU oder Kommission) mitzuteilen, ob und gegebenenfalls innert welcher Frist die Schweiz die Weiterentwicklung übernimmt. Handelt es sich wie vorliegend um einen Rechtsakt des Rats der EU und des Europäischen Parlaments, läuft die dreissigtägige Frist ab der Annahme des Rechtsakts durch die EU (Art. 7 Abs. 2 Bst. a SAA).

Soweit die zu übernehmende Weiterentwicklung rechtlich verbindlicher Natur ist, bilden die Notifizierung durch die EU und die Antwortnote der Schweiz einen Notenaustausch, der aus Sicht der Schweiz einen völkerrechtlichen Vertrag darstellt.

Im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben muss dieser Vertrag entweder vom Bundesrat oder vom Parlament und, im Fall eines Referendums, vom Volk genehmigt werden.

Die zur Übernahme anstehende Verordnung ist rechtsverbindlich und hebt drei EUVerordnungen und zwei EU-Entscheidungen auf, die von der Schweiz mittels Notenaustausch bereits übernommen worden sind. Die Übernahme der vorliegenden EU-Verordnung muss deshalb mittels Abschluss eines Notenaustauschs erfolgen.

Ist wie vorliegend die Bundesversammlung für die Genehmigung des Notenaustauschs zuständig, muss die Schweiz der EU in ihrer Antwortnote mitteilen, dass die betreffende Weiterentwicklung für sie erst «nach Erfüllung ihrer verfassungsrechtlichen Voraussetzungen» rechtsverbindlich wird (Art. 7 Abs. 2 Bst. b SAA). Ab der Notifizierung des Rechtsaktes durch die EU verfügt die Schweiz für die Übernahme und Umsetzung der Weiterentwicklung über eine Frist von zwei Jahren. Innerhalb dieser Frist muss auch eine allfällige Referendumsabstimmung stattfinden.

Ist das innerstaatliche Verfahren abgeschlossen
und sind alle verfassungsrechtlichen Voraussetzungen im Hinblick auf die Übernahme und Umsetzung erfüllt, so unterrichtet die Schweiz den Rat und die Kommission unverzüglich in schriftlicher Form hierüber. Wird kein Referendum ergriffen, erfolgt diese Mitteilung unverzüglich nach Ablauf der Referendumsfrist.

Im vorliegenden Fall erfolgte die formelle Verabschiedung der Verordnung am 14. September 2016 mit der Unterzeichnung durch die Präsidenten des Europäischen Parlaments und des Rates. Die Verordnung wurde der Schweiz anschliessend am 22. September 2016 notifiziert. Die Frist für die Übernahme und Umsetzung der Verordnung beginnt somit am 22. September 2016 zu laufen und endet am 26. September 2018.

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Der Bundesrat hat am 12. Oktober 2016 die Übernahme der Verordnung unter Vorbehalt der Erfüllung der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen gutgeheissen und am 14. Oktober 2016 dem Rat der EU seinen Beschluss notifiziert.

Eine allfällige Nichtübernahme einer Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands würde im äussersten Fall die Beendigung der Zusammenarbeit von Schengen insgesamt, und demzufolge auch von Dublin, nach sich ziehen (Art. 7 Abs. 4 SAA).

1.4

Kein Verhandlungsbedarf bei der Zusatzvereinbarung

Da die Schweiz nicht Mitglied der EU ist, wurde am 30. September 2009 eine Zusatzvereinbarung10 zwischen der Schweiz und dem Fürstentum Liechtenstein einerseits und der EU andererseits abgeschlossen. Sie legt die Modalitäten für die Beteiligung an den Tätigkeiten von Frontex und die Einsitznahme in ihren Organen fest.

Die Bestimmungen betreffen insbesondere den Umfang der Beteiligungsrechte der assoziierten Staaten (Stimmrecht im Verwaltungsrat), die finanzielle Beteiligung an Frontex und die Bedingungen für die Anstellung von Schweizer Staatsangehörigen bei Frontex. Hinzu kommen einige übliche Zusatzbestimmungen zur Rechtsstellung von Frontex in der Schweiz, Privilegien und Immunitäten sowie der Haftung.

Indem die Agentur die Rechtspersönlichkeit von Frontex beibehält, bleibt die Zusatzvereinbarung gültig und wirksam. In Erwägung 64 und Artikel 67 Absatz 4 der Verordnung wird im Übrigen auf die Beteiligung und das Stimmrecht der assoziierten Staaten verwiesen.

In Anbetracht der Erweiterung des Frontexmandats wurde die Frage einer Neuverhandlung der Zusatzvereinbarung insbesondere in Bezug auf den Umfang der Stimmrechte geprüft.

Aus den Gründungsverträgen der EU ergibt sich, dass es grundsätzlich nicht zulässig ist, Nichtmitgliedern der EU Stimmrechte in rechtsetzenden und budgetären Fragen zu gewähren, was die Bereiche einschränkt, in denen die Schweiz ihr Stimmrecht fordern kann. Zudem verfügt die Schweiz bei Entscheiden zu operativen Fragen im Zusammenhang mit der Durchführung bestimmter Massnahmen an den Aussengrenzen und mit der Bereitstellung von Personalressourcen und/oder Ausrüstung durch die Schweiz bereits über ein Stimmrecht bei Frontex. Das in Artikel 2 der Zusatzvereinbarung festgelegte Stimmrecht wird ­ direkt oder sinngemäss ­ auch für die Tätigkeiten der neuen Agentur gelten.

Was den Finanzbeitrag für die neue Agentur anbelangt, so bleibt die Berechnungsart nach Artikel 2 Absatz 1 der Zusatzvereinbarung unverändert.

10

Vereinbarung vom 30. September 2009 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Fürstentum Liechtenstein einerseits sowie der Europäischen Gemeinschaft andererseits zur Festlegung der Modalitäten der Beteiligung dieser Staaten an der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Aussengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union; SR 0.362.313.

4165

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In Anbetracht der obigen Ausführungen und da die Schweiz aktuell über ausreichende Stimmrechte verfügt, wurde auf die Aufnahme von Neuverhandlungen über die Zusatzvereinbarung verzichtet.

Einige formelle Fragen, wie die Aufdatierung von Verweisen auf durch die neue Verordnung ersetzte oder in der Frontex-Verordnung noch nicht bestehende Artikel (insbesondere zum Stimmrecht nach Art. 1 der Zusatzvereinbarung), werden voraussichtlich in einem Interpretationspapier zwischen der Schweiz und der Kommission geregelt. Ein Teil ist im Übrigen bereits durch Artikel 82 Absatz 2 geregelt, wonach Verweise auf die aufgehobene Frontex-Verordnung als Verweise auf die vorliegende Verordnung nach Massgabe des Anhangs gelten.

2

Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln der Verordnung

2.1

Wichtigste Neuerungen

Art. 4

Integrierte europäische Grenzverwaltung

Das Konzept der erstmals in einer europäischen Verordnung festgehaltenen integrierten europäischen Grenzverwaltung wird in Artikel 4 beschrieben. Es beinhaltet verschiedene Komponenten wie Grenzkontrollen, Such- und Rettungseinsätze für Menschen in Seenot, die Analyse des Risikos für die innere Sicherheit sowie die Analyse der Bedrohungen, die die Sicherheit der Aussengrenze beeinträchtigen können; weitere Komponenten sind die Zusammenarbeit auf der Ebene der für die Grenzaufgaben zuständigen nationalen und europäischen Behörden, die Zusammenarbeit mit Drittstaaten, die bessere Bekämpfung illegaler Einwanderung, die Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität sowie die Rückkehr von Drittstaatsangehörigen, gegen die Rückkehrentscheidungen von Schengen-Staaten ergangen sind.

Art. 5

Gemeinsame Verantwortung

Nach Artikel 5 Absatz 1 wird die integrierte europäische Grenzverwaltung in gemeinsamer Verantwortung von der Agentur und den für die Grenzverwaltung zuständigen nationalen Behörden wahrgenommen, wobei den Schengen-Staaten nach wie vor die vorrangige Zuständigkeit für den Schutz ihres Abschnitts der Aussengrenzen zukommt. Artikel 5 Absatz 2 hält weiter fest, dass die Schengen-Staaten den Schutz ihrer Aussengrenzen in ihrem eigenen Interesse und im Interesse aller Schengen-Staaten sicherzustellen haben.

Art. 12

Verbindungsbeamte in den Mitgliedstaaten

Nach Artikel 12 Absatz 1 stellt die Agentur mithilfe ihrer Verbindungspersonen eine regelmässige Überwachung der Verwaltung der Aussengrenzen aller SchengenStaaten sicher. Die Verbindungspersonen fungieren als Schnittstelle zwischen der Agentur und den für die Grenzverwaltung und die Rückkehr zuständigen nationalen Behörden. Sie erstatten dem Exekutivdirektor oder der Exekutivdirektorin Bericht 4166

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über die Lage an den Aussengrenzen und die Fähigkeit des betreffenden SchengenStaats, diese Lage im Griff zu behalten, und berichten über die Durchführung von Rückkehraktionen in die jeweiligen Drittstaaten. Ausserdem unterstützen die Verbindungspersonen die Sammlung von Informationen, die die Agentur für Schwachstellenbeurteilungen nach Artikel 13 benötigt, und verfolgen die Massnahmen, die der Schengen-Staat in Bezug auf eine Situation an den Aussengrenzen ergriffen hat, in der dringendes Handeln nach Artikel 19 geboten ist. Zur Erfüllung ihrer Aufgabe erhalten die Verbindungspersonen Informationen aus dem nationalen Koordinierungszentrum gemäss der EUROSUR-Verordnung11.

Es ist nicht vorgesehen, in jeden Schengen-Staat eine Verbindungsperson zu entsenden; vielmehr werden diese aufgrund einer Risikoanalyse gezielt eingesetzt. Die Agentur kann ausserdem entscheiden, dass eine Verbindungsperson für bis zu vier Schengen-Staaten zuständig ist. Den Entscheid darüber, in welchen SchengenStaaten eine Verbindungsperson eingesetzt wird, sowie über die Art und Dauer des Einsatzes trifft der Verwaltungsrat auf Antrag des Exekutivdirektors oder der Exekutivdirektorin und in Absprache mit dem betreffenden Schengen-Staat (Art. 12 Abs. 2). Dadurch erhält der Entscheid die nötige Legitimation. Ausserdem ist anzumerken, dass die Verbindungspersonen der Agentur unterstellt bleiben.

Art. 13

Schwachstellenbeurteilung

Nach Artikel 13 erstellt die Agentur auf der Grundlage eines gemeinsamen Schwachstellenbeurteilungsmodells und einer Risikoanalyse Schwachstellenbeurteilungen. Sie überwacht und bewertet, ob die technische Ausrüstung, die Systeme, die Kapazitäten, die Ressourcen, die Infrastruktur und das entsprechend geschulte Personal in den Schengen-Staaten verfügbar sind, die für die Grenzkontrollen erforderlich sind. Artikel 13 Absatz 4 hält das Ziel der Schwachstellenbeurteilung fest.

Sie soll der Agentur ermöglichen, die Kapazitäten und die Bereitschaft der Mitgliedstaaten zur Bewältigung anstehender Herausforderungen, einschliesslich aktueller und künftiger Bedrohungen und Herausforderungen an den Aussengrenzen, zu beurteilen.

Die für die Beurteilung nötigen Informationen stammen von den betreffenden Schengen-Staaten und den Verbindungspersonen der Agentur sowie von EUROSUR. Je nach Beurteilung und Bereitschaft des Schengen-Staats zur Zusammenarbeit ist ein Eskalationsmechanismus (Exekutivdirektor oder ­direktorin der Agentur, dann Verwaltungsrat) im Hinblick auf einen verbindlichen Beschluss über die vom jeweiligen Schengen-Staat zu treffenden Massnahmen vorgesehen.

Hierzu ist anzumerken, dass die Schwachstellenbeurteilung ­ anders als der punktuell stattfindende Schengen-Evaluierungsmechanismus ­ grundsätzlich, sofern der Exekutivdirektor oder die Exekutivdirektorin nichts anderes bestimmt, mindestens einmal jährlich stattfindet und somit ein auf Dauer angelegter präventiver Prozess ist. Die beiden Mechanismen sollten deshalb nicht zu Doppelspurigkeiten führen.

11

Verordnung (EU) Nr. 1052/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2013 zur Errichtung eines Europäischen Grenzüberwachungssystems (EUROSUR), ABl. L 295 vom 6.11.2013, S. 11.

4167

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Art. 19

Situationen an den Aussengrenzen, in denen dringendes Handeln geboten ist

Dieser Punkt ist eine der wichtigsten Neuerungen der Verordnung. Frontex-Einsätze erfolgten bisher nur auf Ersuchen der Schengen-Staaten. Artikel 19 erteilt dem Rat nun die Kompetenz, auf Antrag der Kommission, mittels Durchführungsrechtsakt einen Beschluss zu erlassen, der die von der Agentur durchzuführenden Massnahmen festlegt und die Grundlage bildet, um den betreffenden Schengen-Staat zur Zusammenarbeit mit der Agentur aufzufordern. Die Möglichkeit besteht aber nur, wenn die Wirksamkeit der Kontrollen an den Aussengrenzen so weit reduziert ist, dass das Funktionieren des Schengen-Raums gefährdet ist, weil: ­

ein Schengen-Staat nicht die in einem Beschluss des Verwaltungsrats nach einer Schwachstellenbeurteilung durch die Agentur angeordneten notwendigen Massnahmen ergreift;

­

ein Schengen-Staat besonderen und unverhältnismässigen Herausforderungen an den Aussengrenzen ausgesetzt ist und entweder nicht um ausreichende Unterstützung von der Agentur im Hinblick auf gemeinsame Aktionen oder Soforteinsätze an den Aussengrenzen ersucht hat oder nicht die zur Durchführung dieser Massnahmen erforderlichen Schritte unternimmt.

Kommt ein Schengen-Staat dem Entscheid des Rates nicht nach, sieht der neue Artikel 19 Absatz 10 die Anwendung des in Artikel 29 SGK vorgesehenen Vorgehens vor. Konkret hat der betreffende Staat dem Rat und der Kommission zunächst die Gründe für die mangelnde Zusammenarbeit darzulegen. Als letztes Mittel kann der Rat anderen Schengen-Staaten die Wiedereinführung von Grenzkontrollen an ihren Binnengrenzen empfehlen. Diese Bestimmung bringt insofern eine wichtige Klärung, als die Agentur in keinem Fall ohne Zustimmung eines Schengen-Staats auf dessen Hoheitsgebiet intervenieren kann. Es handelt sich somit nicht um ein «Interventionsrecht», wie dies von der Kommission bei der Präsentation ihres Vorschlags ursprünglich angekündigt worden war, sondern um die Umsetzung eines Gesamtpakets an notwendigen Massnahmen, um das Risiko einer Gefährdung des Schengen-Raums zu vermeiden.

Umsetzung allfälliger Sofortmassnahmen in der Schweiz Da die Schweiz keine Landes- oder Seeaussengrenze hat und an der Luftgrenze, das heisst an ihren internationalen Flughäfen, über eine gute Grenzüberwachung verfügt (wie die Schengenevaluationen bestätigen), besteht kaum ein Risiko, von dieser Massnahme als Ultima Ratio betroffen zu sein.

Im Übrigen sieht Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe a der Zusatzvereinbarung ­ in Bezug auf «normale» gemeinsame Aktionen ­ die Stimmberechtigung der Schweiz im Frontex-Verwaltungsrat bei Beschlüssen über besondere Massnahmen an ihren Aussengrenzen vor; zur Annahme solcher Beschlüsse ist ausserdem die Zustimmung ihrer Vertreterin oder ihres Vertreters im Verwaltungsrat erforderlich (d.h. es besteht eine Art Vetorecht). In Bezug auf Einsätze nach Artikel 19 kommen diese Bestimmungen der Zusatzvereinbarung zwar nicht zur Anwendung, denn sie beziehen sich auf die Mitsprache im Verwaltungsrat der Agentur, während Entscheide über Massnahmen nach Artikel 19 ­ weil die grösste politischeLegitimation notwendig ist ­ 4168

BBl 2017

vom Rat getroffen werden, in welchem die Schweiz zwar Mitsprache und Mitwirkung, aber kein Mitentscheidungsrecht hat. Da aber auch EU-Mitgliedstaaten nicht über ein «Vetorecht» in Bezug auf Massnahmen an ihren Aussengrenzen im Sinne von Artikel 19 verfügen, wird die Schweiz ihnen gegenüber hier nicht schlechtergestellt. Mit Absatz 10 von Artikel 19 ist in der Praxis im Übrigen ohnehin sichergestellt, dass ohne Kooperation und damit Zustimmung der Schweiz kein Einsatz der Agentur an den Aussengrenzen ihres Territoriums stattfinden kann.

Sofortmassnahmen in einem Schengen-Staat mit Schweizer Grenzschutzpersonal Wie die anderen Schengen-Staaten muss sich auch die Schweiz über die im Rahmen des Soforteinsatzpools bereitgestellten Grenzschutzexpertinnen und -experten an Einsätzen auf dem Hoheitsgebiet eines anderen Schengen-Staates beteiligen. Nach Artikel 19 kann der betreffende Schengen-Staat die Zusammenarbeit mit der Agentur auch ablehnen. Somit findet kein Einsatz mit Schweizer Grenzschutzpersonal auf dem Hoheitsgebiet eines Schengen-Staats ohne dessen Zustimmung statt.

Art. 20

Zusammensetzung und Einsatz europäischer Grenz- und Küstenwachteams

Nach Artikel 20 Absatz 5 soll ein Soforteinsatzpool von mindestens 1500 Grenzschutzexpertinnen und -experten als ständige Reserve geschaffen werden, die der Agentur von jedem Schengen-Staat aus innert fünf Arbeitstagen nach der Genehmigung des Einsatzplans durch die Exekutivdirektorin oder den Exekutivdirektor und den Einsatzstaat bereitgestellt werden kann. Diese Reserve kann im Rahmen eines Ersuchens eines Schengen-Staats um Einleitung eines Soforteinsatzes an der Grenze oder in Situationen, die Sofortmassnahmen der Agentur erfordern, entsandt werden.

Die einzelnen Schengen-Staaten beteiligen sich gemäss Übersicht im Anhang der Verordnung am Soforteinsatzpool. Die Beteiligungen wurden auf der Grundlage bilateraler Gespräche zwischen den einzelnen Schengen-Staaten und der Ratspräsidentschaft festgelegt. Die Schweiz hat sich zur Bereitstellung von 16 Grenzschutzexpertinnen und -experten verpflichtet; diese Zahl ist dem Umfang ihres Grenzschutzes und der Art ihrer Grenzen angemessen und entspricht 0,8 Prozent des GWK-Bestands. Zum Vergleich beteiligen sich unsere Nachbarländer und die anderen assoziierten Staaten12 wie folgt:

12

­

Deutschland: 225

­

Frankreich: 170

­

Italien: 125

­

Österreich: 34

­

Norwegen: 20

­

Island: 2

Liechtenstein beteiligt sich mit einem angemessen finanziellen Beitrag.

4169

BBl 2017

Ausserdem ist anzumerken, dass der Soforteinsatzpool befristet zum Einsatz kommt (vgl. Art. 24 der Verordnung). Die 16 GWK-Angehörigen werden somit voraussichtlich nicht gleichzeitig und laufend im Einsatz sein. Vielmehr ist eine Art Pikettsystem einzurichten, um im Rahmen eines Soforteinsatzes an den Aussengrenzen rasch die erforderlichen Grenzschutzexpertinnen und -experten (höchstens 16) entsenden zu können.

Die Zusammensetzung und der Einsatz europäischer Grenz- und Küstenwacheteams sind in Artikel 20 geregelt, der ausser den Bestimmungen zum Soforteinsatzpool die frühere Verordnung übernimmt. Dazu ist anzumerken, dass die personelle Beteiligung der Schengen-Staaten an gemeinsamen Aktionen jeweils in Absprache zwischen den Schengen-Staaten und der Agentur auf der Grundlage jährlich stattfindender bilateraler Verhandlungen bestimmt wird. Diese Teams können bei Bedarf auch zur Ergänzung des Soforteinsatzpools aufgeboten werden, es sei denn, der Schengen-Staat befindet sich in einer Ausnahmesituation, die die Erfüllung der nationalen Aufgaben erheblich beeinträchtigt. Ausserdem ist darauf hinzuweisen, dass für die europäischen Grenz- und Küstenwacheteams während des Einsatzes wie bisher die Anweisungen des Einsatzstaates gelten (vgl. Art. 21). Die Agentur trägt wie bis anhin gewisse Kosten für deren Einsatz wie Reise- und Unterbringungskosten, Impfund Gesundheitskosten sowie Kosten für besondere Versicherungen.

Vorbemerkungen zu den Art. 27 ­ 33 Die Agentur verfügt über neue Kompetenzen im Rückkehrbereich. Sie hat unter anderem die Aufgabe, die Schengen-Staaten sowohl durch die Finanzierung von Sammelflügen als auch durch die Organisation eigener Rückkehraktionen aus ersuchenden Schengen-Staaten oder ab Brennpunkten (Hotspot-Gebieten) zu unterstützen.

Die Agentur soll auch europäische Rückkehrpools (Begleitpersonal für Rückkehr und Rückkehrsachverständige) zur Unterstützung von Schengen-Staaten mit Schwierigkeiten beim Vollzug von Rückkehraktionen insbesondere aufgrund zeitweilig besonderer und unverhältnismässiger Herausforderungen bilden können.

Es ist vorgesehen, dass die Schengen-Staaten auf Ersuchen der Exekutivdirektorin oder des Exekutivdirektors entsprechende Personalressourcen zur Verfügung stellen.

Die Agentur hat zum Ziel, ein ganzheitliches Rückkehrsystem unter Einbezug der
Schengen-Staaten, der Drittstaaten sowie anderer Stakeholder (z. B. UNHCR, IOM etc.) aufzubauen und entsprechende Synergien zu nutzen.

Die Agentur soll für die Durchführung von Sammelrückkehraktionen ab einem oder mehreren Schengen-Staaten, die zeitweilig besonderen migrationsbedingten Herausforderungen ausgesetzt sind, europäische Rückkehrteams beiziehen können. Diese Aktionen werden in Absprache mit den betreffenden Staaten durchgeführt, die darum ersuchen oder einem entsprechenden Vorschlag der Agentur zustimmen. Die europäischen Rückkehrteams werden aus Sachverständigen für die Identifikation der Personen und die Beschaffung von Reisedokumenten sowie aus Begleitpersonen gebildet. Ein Einsatz auf dem Hoheitsgebiet eines Schengen-Staats kann nur im Einvernehmen zwischen dem betreffenden Staat und der Agentur erfolgen.

4170

BBl 2017

Der Verwaltungsrat der Agentur legt die Anforderungsprofile sowie die Zahl der für den jeweiligen Pool insgesamt benötigten Personen fest (Art. 29 Abs. 2, Art. 30 Abs. 2 und Art. 31 Abs. 2).

Der Einsatz von personellen Ressourcen für die verschiedenen Pools auf dem Hoheitsgebiet eines Schengen-Staats kann nur auf der Grundlage einer Vereinbarung zwischen dem betreffenden Staat und der Agentur erfolgen. Die Schengen-Staaten handeln die Anzahl und die Profile der von ihnen bereitgestellten Sachverständigen jährlich aus.

Für alle Rückkehraktionen, an denen Kinder beteiligt sind, stellt die Agentur Rückkehrbeobachterinnen oder -beobachter, Begleitpersonal für Rückkehr und Rückkehrsachverständige mit besonderer Erfahrung im Bereich Kindesschutz bereit.

Eine Schutzklausel sieht vor, dass die Schengen-Staaten die angeforderten Personalressourcen in einer Ausnahmesituation, die die Erledigung nationaler Aufgaben erheblich beeinträchtigt, nicht bereitstellen müssen. Ein solches Ersuchen muss mindestens 21 Arbeitstage oder, im Falle eines Soforteinsatzes, mindestens 5 Arbeitstage vor dem geplanten Einsatz gestellt werden.

In der Schweiz käme die Bereitstellung von Personalressourcen den Kantonen (Begleitpersonal) und dem Staatssekretariat für Migration ([SEM] (Rückkehrsachverständige) zu sowie unabhängigen Dritten, die als Sachverständige mit der Überwachung der Rückkehr beauftragt sind. Auf nationaler Ebene übt derzeit die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) diesen Auftrag aus.

Art. 27

Rückkehr

Die Agentur ist mit der Koordination, Unterstützung und Kofinanzierung von Rückkehrtätigkeiten im Hinblick auf eine integrierte Rückkehrverwaltung bei freiwilligen Ausreisen und Rückkehreinsätzen betraut. Sie soll die Identifikation von Drittstaatsangehörigen und die Beschaffung der notwendigen Reisedokumente erleichtern sowie die Entwicklung von «Best Practices» unterstützen (Abs. 1).

Die technische und operative Unterstützung umfasst die Zurverfügungstellung von Übersetzungsdiensten, länderspezifischen Informationen, Hilfe bei der Umsetzung der Verfahren gemäss der sog. Rückführungsrichtlinie13 und der Umsetzung der Massnahmen zur Verhinderung des Untertauchens der zur Rückkehr verpflichtete Personen (Abs. 2).

Art. 28

Rückkehraktionen

Von den Schengen-Staaten organisierte Sammelfüge (z. B. durch das Chartern von Flugzeugen) werden durch die Agentur koordiniert und kofinanziert.

Dazu melden die Schengen-Staaten ihre vorgesehenen Rückkehraktionen monatlich an die Agentur unter Angabe der Zahl der zur Rückkehr verpflichteten Personen, der Destinationen, in welche die Rückkehraktionen erfolgen sollen, sowie der Informa13

Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger, ABl. L 348 vom 24.12.2008, S. 98.

4171

BBl 2017

tion, dass die Unterstützung durch die Agentur notwendig ist. Gestützt darauf erstellt die Agentur die rollende Planung, um die Rückkehraktionen wenn möglich zu verbinden.

Die Agentur kann von sich aus oder auf Antrag eines Schengen- oder Drittstaats Sammelflüge organisieren. Die Rückkehraktionen können ab einem Schengen-Staat oder ab einem Nicht-Schengen-Staat erfolgen (sog. «gemischte Rückkehraktionen»).

Alle Rückkehraktionen haben unter Berücksichtigung der in der Europäischen Menschenrechtskonvention vom 4. November 195014 (EMRK) festgelegten Grundrechte zu erfolgen. Der Einsatz von Zwangsmitteln muss verhältnismässig sein.

Die Rückkehraktionen sind gemäss der Rückführungsrichtlinie (Art. 8 Abs. 6) zu überwachen.

Art. 29

Pool von Rückkehrbeobachtern

Es ist vorgesehen, dass sich die Schweiz an diesem Pool beteiligt und für diese Aufgabe unabhängige Beobachterinnen und Beobachter, welche internationale Rückkehraktionen oder Rückkehreinsätze begleiten, zur Verfügung stellt. Die Mitgliedstaaten haben einen Beitrag an den Pool zu leisten, indem sie Rückkehrbeobachterinnen und -beobachter nach dem festgelegten Profil bestimmen Es handelt sich dabei jedoch nicht um eine absolute Verpflichtung (Art. 29 Abs. 2).

Die Rückkehrbeobachter haben die Aufgabe, Rückkehraktionen im Sinne der Rückführungsrichtlinie (Art. 8 Abs. 6) zu überwachen.

In der Schweiz ist seit Juli 2012 die NKVF zuständig für das sogenannte «Rückführungsmonitoring».

Art. 30

Pool von Begleitpersonen für die Rückkehr

Die Rückkehraktionen werden durch Polizeieskorten der beteiligten SchengenStaaten begleitet (Abs. 1).

Es ist vorgesehen, dass speziell ausgebildete Begleitpersonen der kantonalen Polizeibehörden diese Rolle wahrnehmen werden. Bei den zur Rückkehr verpflichteten Drittstaatsangehörigen handelt es sich um ausländische Personen, die eine Wegweisungsverfügung aus einem Schengen-Staat (z. B. Hotspot-Gebiet Italien oder Griechenland in die Türkei) erhalten haben (also nicht zwingend aus der Schweiz).

Art. 31

Pool von Rückkehrsachverständigen

Die Spezialistinnen und Spezialisten im Bereich Rückkehr leisten Unterstützung bei der Identifikation der zur Rückkehr verpflichteten Drittstaatsangehörigen und bei der Beschaffung der für die Rückkehr notwendigen Reisedokumente; sie arbeiten hierzu mit den zuständigen Konsulaten zusammen (Abs. 1).

Für die Schweiz werden Rückkehrspezialistinnen und -spezialisten des SEM diese Rolle wahrnehmen.

14

SR 0.101

4172

BBl 2017

Art. 32

Europäische Rückkehrteams

Aus den Pools nach den Artikeln 29-31 werden europäische Rückkehrteams zusammengestellt.

Art. 33

Rückkehreinsätze

Rückkehreinsätze sollen auf Ersuchen eines Schengen-Staats, der einer Belastung in Sachen Rückkehr ausgesetzt ist, als Unterstützung für die nationalen Behörden zum Einsatz kommen (Art. 33). Die Agentur soll auch von sich aus einem SchengenStaat ihre Unterstützung vorschlagen können. Der Einsatz des Rückkehrteams erfolgt nach Absprache mit dem Einsatzstaat und mit den an den Pools beteiligten Schengen-Staaten.

Die Bestimmungen zu den Abläufen der Missionen der Agentur und den in diesem Zusammenhang anfallenden Kosten (Art. 21, 22, 24- 26) gelten ebenfalls für die europäischen Rückkehrteams.

Es ist vorgesehen, dass sich die Schengen-Staaten nach einem von der Exekutivdirektorin oder vom Exekutivdirektor vorgeschlagenen und vom Verwaltungsrat genehmigten Verteilschlüssel an den Pools beteiligen.

Art. 38

Technische Ausrüstung

Die Artikel 38 (Erwerb oder Leasing technischer Ausrüstung) und 39 (Pool für technische Ausrüstung) übernehmen inhaltlich Artikel 7 der Frontex-Verordnung, der im Sinne der Klarheit in zwei Artikel aufgeteilt wurde. Die Agentur kann künftig technische Ausrüstung erwerben oder leasen und führt einen Ausrüstungspool einschliesslich für Rückkehraktionen nach dem mit der neuen Verordnung erweiterten Auftrag. Der Ausrüstungspool umfasst auch einen Ausrüstungspool für Soforteinsätze mit einem begrenzten Bestand an Ausrüstungsgegenständen, die für Soforteinsätze benötigt werden.

Die Beteiligung der einzelnen Staaten am Ausrüstungspool wird wie bisher auf der Grundlage jährlicher bilateraler Verhandlungen und Vereinbarungen zwischen der Agentur und den Schengen-Staaten geplant. Die Schengen-Staaten müssen ihre Ausrüstungsgegenstände der Agentur für einen Einsatz zur Verfügung stellen, es sei denn, sie befinden sich in einer Ausnahmesituation, die die Erfüllung nationaler Aufgaben erheblich beeinträchtigt. Diese Ausnahmeregelung gilt nicht für Ausrüstungsgegenstände des Ausrüstungspools für Soforteinsätze.

Art. 44 ­ 50

Datenschutz

Wie bereits nach der heute geltenden Frontex-Verordnung wendet die Agentur bei der Verarbeitung personenbezogener Daten die Verordnung (EG) Nr. 45/200115 an.

Diese gilt in Bezug auf Frontex auch für die Schweiz (vgl. Art. 3 Abs. 2 der Zusatz15

Verordnung (EG) Nr. 45/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2000 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft und zum freien Datenverkehr, ABl. L 8 vom 12.1.2001, S. 1.

4173

BBl 2017

vereinbarung). Für die übrigen Bereiche legen Artikel 44-50 der neuen Verordnung die Regeln für den Informationsaustausch und den Datenschutz insbesondere bezüglich der Verarbeitung personenbezogener Daten umfassender als bisher geregelt fest.

Artikel 47 hält fest, welche personenbezogenen Daten durch die Agentur verarbeitet werden können. Künftig können auch Daten von rechtswidrig eingereisten Personen bearbeitet werden, die von den europäischen Grenz- und Küstenwacheteams erfasst wurden.

Die neue Verordnung hat beschränkte Auswirkungen auf die Datenmeldung des SEM bei Rückkehraktionen und -einsätzen. Das SEM übermittelt die persönlichen Daten der zur Rückkehr verpflichteten Person sowie der an den internationalen Rückkehreinsätzen teilnehmenden Schweizer Sachverständigen an die Agentur, soweit diese Daten für die Organisation des Rückkehreinsatzes notwendig sind (Art. 105 des Ausländergesetzes vom 16. Dezember 2005 [AuG]16 und neuer Art. 71a AuG). Personendaten zur Rückkehr verpflichteter Personen werden der Agentur gestützt auf Artikel 47 der Verordnung auf Ersuchen bekannt gegeben.

Art. 54

Zusammenarbeit mit Drittstaaten

Bereits in der heutigen Frontex-Verordnung ist vorgesehen, dass die Agentur mit Drittstaaten in zu ihrer Tätigkeit gehörenden Bereichen zusammenarbeiten kann.

Artikel 54 Absatz 3 der neuen Verordnung führt insofern eine Neuerung ein, als die Agentur künftig die technische und operative Zusammenarbeit zwischen den Schengen-Staaten und Drittstaaten im Bereich Grenzverwaltung koordinieren und Aktionen an den Aussengrenzen, einschliesslich auf dem Gebiet benachbarter Drittstaaten, durchführen kann. Hierzu ist anzumerken, dass in diesem Fall die Beteiligung der Schengen-Staaten auf freiwilliger Basis erfolgt. Zwischen der EU und dem betreffenden Drittstaat wird ein Statusabkommen abgeschlossen, das sämtliche für die Durchführung der Massnahmen erforderlichen Aspekte abdeckt. Die Statusvereinbarung legt insbesondere Angaben zum Umfang der Aktion, der zivil- und strafrechtlichen Haftung sowie die Aufgaben und die Befugnisse der Teammitglieder fest.

Im Rückkehrbereich ist vorgesehen, dass die Agentur und die Schengen-Staaten die Rückkehr ausländischer Staatsangehöriger, die von einem Rückkehrentscheid betroffen sind, an die Behörden des Herkunftsstaats der Betroffenen übertragen können. Diese Bestimmung ist nicht grundsätzlich neu; einige Schengen-Staaten greifen bereits auf die Zusammenarbeit mit Drittstaaten im Rückkehrbereich zurück. Im Übrigen deckt die aktuell geltende Frontex-Verordnung die Aspekte der organisatorischen und finanziellen Übernahme dieser Aktionen bereits ab. Die neue Verordnung sieht nun vor, dass die Agentur künftig von sich aus von Drittstaaten durchgeführte Rückkehraktionen organisieren und Schengen-Staaten, die einen diesbezüglichen Bedarf aufweisen, eine Teilnahme daran vorschlagen kann. Diese neuen Bestimmungen der Verordnung betreffen jedoch die Agentur und nicht die Schengen-Staaten und begründen somit keine neuen Pflichten für die Schweiz. Sie verbessern die Unterstützungskapazität der Agentur beim Vollzug der Rückkehraktionen und -einsätze.

16

SR 142.20

4174

BBl 2017

2.2 Art. 1

Weitere Bestimmungen Gegenstand

Artikel 1 errichtet die Europäische Grenz- und Küstenwache, die auf europäischer Ebene für eine integrierte Grenzverwaltung an den Aussengrenzen sorgen soll, um das Überschreiten der Aussengrenzen effizient zu steuern. Dies schliesst die Bewältigung durch Migration bedingter Herausforderungen sowie potenzielle künftige Bedrohungen an diesen Grenzen ein. Gleichzeitig soll zur Bekämpfung schwerer Kriminalität mit grenzüberschreitender Dimension beigetragen werden und, unter uneingeschränkter Achtung der Grundrechte und der Wahrung der Freizügigkeit, innerhalb der EU ein hohes Mass an Sicherheit gewährt werden.

Art. 3

Europäische Grenz- und Küstenwache

Artikel 3 Absatz 1 hält fest, dass die Europäische Grenzwache zum einen aus der Agentur und zum andern aus den für die Grenzverwaltung zuständigen nationalen Behörden der Schengen-Staaten besteht.

Art. 8

Aufgaben

Die umfassenden Aufgaben der Agentur sind in Artikel 8 festgelegt. Dazu gehören auch neue Aufgaben wie die Schwachstellenbeurteilung, die Entsendung von Verbindungspersonen zur Überwachung des Aussengrenzschutzes, die Entsendung von Teams im Rahmen von Situationen, die Sofortmassnahmen an den Aussengrenzen erfordern sowie zusätzliche Aufgaben im Rückkehrbereich.

Die Agentur ist ebenfalls beauftragt, auf Beschluss des Verwaltungsrats ein gemeinsames integriertes Risikoanalysemodell (Art. 11) zu erarbeiten, um die Migrationsströme in die und innerhalb der EU sowie Trends und sonstige mögliche Herausforderungen an den Aussengrenzen zu beobachten. Sie nimmt die Schwachstellenbeurteilung vor.

Art. 15

Einleitung von gemeinsamen Aktionen und Soforteinsätzen zu Grenzsicherungszwecken an den Aussengrenzen

Nach Artikel 15 können die Schengen-Staaten wie bisher die Agentur um die Einleitung gemeinsamer Aktionen namentlich im Zusammenhang mit Bedrohungen an den Aussengrenzen oder mit Soforteinsätzen zu Grenzsicherungszwecken ersuchen.

Das Verfahren ist in Artikel 17 geregelt. Insbesondere ist vorgesehen, dass Entsendungen aus dem Soforteinsatzpool innert fünf Tagen nach der Genehmigung des Einsatzplans stattfinden. Der Einsatzplan wird zwischen der Agentur und dem Einsatzstaat bestimmt (vgl. Art. 16), was der heutigen Regelung entspricht.

Art. 18

Teams zur Unterstützung der Migrationsverwaltung

Artikel 18 betrifft die Bildung von Teams zur Unterstützung der Migrationsverwaltung. Formell handelt es sich dabei um eine Neuerung, wobei der Artikel lediglich 4175

BBl 2017

die aktuelle Praxis in Krisengebieten übernimmt (erkennungsdienstliche Behandlung mit Identifikation, Registrierung und Befragung von Drittstaatsangehörigen, Bereitstellung von Informationen für Personen, die internationalen Schutz benötigen, sowie technische und operative Unterstützung im Rückkehrbereich). Die Teams umfassen Sachverständige aus den Bereichen Kindesschutz, Menschenhandel, Schutz vor geschlechterspezifischer Verfolgung und Grundrechte (Abs. 5).

Art. 34 ­ 79

Allgemeine Bestimmungen

Ausser den bereits erwähnten Bestimmungen (Erwerb von technischer Ausrüstung und Ausrüstungspool, Datenschutz, Rückkehrbereich) übernehmen die allgemeinen Bestimmungen der Verordnung) im Wesentlichen die bisherigen Bestimmungen, die unter Berücksichtigung des gemeinsamen Konzepts im Anhang zur gemeinsamen Erklärung für die dezentralen Agenturen der EU vom 12. Juni 201217 an die neuen Aufgaben der Agentur angepasst werden.

Die Agentur ist eine Einrichtung der EU, die Rechtspersönlichkeit besitzt (Art. 56 Abs. 1), die sie im Übrigen von Frontex übernimmt. Sie hat ihren Sitz weiterhin in Warschau. Sie verfügt über einen Verwaltungsrat, eine Exekutivdirektorin oder einen Exekutivdirektor, ein Konsultationsforum und eine Grundrechtsbeauftragte oder einen Grundrechtsbeauftragten (Art. 61).

Der Verwaltungsrat ist das Hauptorgan der Agentur. Seine vielen und wichtigen Aufgaben sind in Artikel 62 aufgeführt. Der Verwaltungsrat setzt sich aus je einem Vertreter der Teilnehmerstaaten einschliesslich der assoziierten Staaten wie der Schweiz (Art. 63 Abs. 3) zusammen. Die Verordnung erlässt die wichtigsten Regeln für das Stimmrecht im Verwaltungsrat. Was das Stimmrecht der assoziierten Staaten anbelangt, so präzisiert Artikel 67 Absatz 4 die bisherige Regelung insofern, als neu das eingeschränkte Stimmrecht der assoziierten Staaten wie der Schweiz im Verwaltungsrat ausdrücklich erwähnt wird (vgl. dazu vorstehend Ziff. 1.4).

Die Exekutivdirektorin oder der Exekutivdirektor leitet und vertritt die Agentur; sie oder er nimmt ihre oder seine Aufgaben völlig unabhängig wahr (Art. 68 Abs. 1 und Art. 56 Abs. 4). Die Aufgaben und Befugnisse der Exekutivdirektorin oder des Exekutivdirektors sind in Artikel 68 festgehalten. Sie oder er Exekutivdirektor nimmt an Sitzungen des Verwaltungsrats teil, verfügt jedoch über kein Stimmrecht (Art. 67 Abs. 2).

Mit Artikel 72 wird ein Beschwerdeverfahren eingeführt, um die Einhaltung der Grundrechte bei allen Tätigkeiten der Agentur sicherzustellen und zu kontrollieren.

Es sind zwei Arten von Beschwerdefällen vorgesehen: zum einen diejenigen, die die Teammitglieder betreffen (die vom Herkunftsstaat des betreffenden Mitglieds geprüft werden) und zum andern solche, die die Agentur betreffen (die vom Exekutivdirektor geprüft werden). In beiden Fällen können Disziplinarmassnahmen
getroffen werden. Die oder der Grundrechtsbeauftragte wird über die Folgemassnahmen informiert. Anzumerken ist weiter, dass das Beschwerdeverfahren die Möglichkeit der Betroffenen, sich an die ordentlichen Gerichte zu wenden, unberührt lässt.

17

www.europa.eu > de > Über die EU > Agenturen der EU > Dezentrale Agenturen > Politischer Rahmen: dezentrale Agenturen ­ Reform 2012

4176

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Wie bisher sieht Artikel 75 vor, dass die Einnahmen der Agentur einen Zuschuss der EU, einen Beitrag der assoziierten Staaten, Gebühren für Dienstleistungen und freiwillige Beiträge der Mitgliedstaaten umfassen. Hinzu kommen nach Artikel 75 Absatz 1 Buchstabe c Mittel der EU in Form von Übertragungsvereinbarungen oder Ad-Hoc-Zuschüssen.

3

Vernehmlassungsergebnis und Haltung des Bundesrates

Gestützt auf Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c des Vernehmlassungsgesetzes vom 18. März 200518 wurde vom 13. Oktober 2016 bis zum 27. Januar 2017 ein ordentliches Vernehmlassungsverfahren 19 durchgeführt.

3.1

Allgemeine Bemerkungen zur Vorlage

Von den 43 Vernehmlassungsteilnehmern begrüsste die überwiegende Mehrheit im Grundsatz die Übernahme und Umsetzung der Verordnung (AG, AI, BL, BE, FR, GE, GL, GR, JU, LU, NE, SH, SZ, SO, SG, TG, UR, VD, ZG, KKJPD, VKM, CVP, FDP, GPS, SP, Centre Patronal, CHANCE Schweiz, EKM, Fédération des enterprises romandes, SEK, SGB, SGV). Ein Vernehmlassungsteilnehmer (SVP) sprach sich ausdrücklich gegen die Übernahme und Umsetzung der Verordnung aus. Zwei Vernehmlassungsteilnehmende (SFF, SFH) sprachen sich nur bedingt für eine Übernahme und Umsetzung aus. Fünf Vernehmlassungsteilnehmende (OW, NW, BS, Schweizerische Städteverband und ASO) haben auf eine Stellungnahme verzichtet. ZH nimmt indes den Inhalt bzw. die Auswirkung der umzusetzenden Verordnung auf die kantonalen Polizeikorps zur Kenntnis.

Die Beteiligung der Schweiz an der verstärkten Kontrolle und Überwachung der Schengener Aussengrenzen und damit auch am neuen Soforteinsatzpool der Agentur wird von den Vernehmlassungsteilnehmern (Kantone, Parteien, interessierte Kreise) nicht bestritten. Im Grundsatz sind sich die Vernehmlassungsteilnehmer einig, dass die Schweiz ein Interesse daran hat, dass die Schengen-Aussengrenzen angemessen geschützt und überwacht werden. Kontrollen von Personen, die diese überschreiten, müssen entsprechend zuverlässig und rechtskonform erfolgen können. Einige Vernehmlassungsteilnehmer begrüssen entweder ausdrücklich (wie z. B. CVP, FR, AI) den von der Schweiz zu leistenden finanziellen und personellen Beitrag oder halten diesen zumindest für vertretbar (BL, SP, FR, VKM, Centre Patronal). Andere wiederum geben zu bedenken, dass der zu leistende personelle Beitrag nicht zu einer schlechteren Überwachung der Schweizer Grenzen führen dürfe (FDP, SFF, sgv).

Schliesslich weisen einige Vernehmlassungsteilnehmer darauf hin, dass die Kosten der Beteiligung der Schweiz an Frontex vom Bundesrat im Auge behalten werden müssen.

18 19

SR 172.061 www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2016 > EFD

4177

BBl 2017

Haltung des Bundesrates Eine Anpassung der Vorlage war aufgrund der positiven Stellungnahmen nicht erforderlich; die Übernahme dieser Schengen-Weiterentwicklung wird gutgeheissen.

3.1.1

Bemerkungen betreffend Situationen an den Aussengrenzen, in denen dringendes Handeln geboten ist

Aus Sicht einiger Vernehmlassungsteilnehmer (FDP, SGB, sgv, SFF und SFH) dürfe die Übernahme und Umsetzung der Verordnung nicht dazu führen, dass die Überwachung der Schweizer Grenzen vermindert wird. Die SFH möchte dies zum Anlass nehmen, um die Rolle und die Aufgaben des GWK, die im Zollgesetz vom 18. März 200520 geregelt sind, klarer zu fassen und zu klären, welche grenzpolizeilichen Befugnisse das GWK hat. Aus Sicht der SFH genügen daher die vorgeschlagenen Änderungen in Artikel 92 Zollgesetz nicht, um diesen neuen Aufgaben ausreichend Rechnung zu tragen.

Haltung des Bundesrates Der Bundesrat sieht keine Veranlassung, die Vorlage zum Anlass für eine derart weitreichende Überprüfung der Kompetenzen des GWK zu nehmen. Tatsächlich erhält das GWK aufgrund der neuen Verordnung keine neuen grenzpolizeilichen Kompetenzen. Wie in der Botschaft unter Ziffer 3.1.2 erwähnt, führt die Beteiligung der Schweiz an der Agentur zu keiner Erhöhung des Personalbestands der Eidgenössischen Zollverwaltung (EZV).

3.1.2

Bemerkungen zur finanziellen Beteiligung der Schweiz an die neue Agentur

Zwar sind sich die meisten Vernehmlassungsteilnehmer (wie beispielsweise BL, FR, SO) sowie die VKM, die CVP, die SP und das Centre Patronal) bewusst, dass die Erweiterung der Aufgaben der Agentur eine Erhöhung der finanziellen Beteiligung der Schweiz an die Agentur mit sich bringt. Dennoch mahnen einige Vernehmlassungsteilnehmer (BL, VKM, FDP und Fédération des entreprises romandes) ausdrücklich zur Vorsicht in Zusammenhang mit der zu erwartenden Beteiligungserhöhung. Die SVP stimmt dieser Erhöhung nicht zu.

Haltung des Bundesrates Der Bundesrat ist sich bewusst, dass die Beteiligungskosten der Schweiz in den nächsten Jahren stark ansteigen werden; er wird die betreffenden Budgetgeschäfte entsprechend kritisch und mit der nötigen Sorgfalt behandeln. Weiterer Handlungsbedarf sieht er hier nicht. Die zu erwartenden Beitragszahlungen sind unter Zif-

20

SR 631.0

4178

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fer 4.1.1 ausführlich erklärt; sie werden wie bisher nach dem Verhältnis des nationalen BIP zum BIP aller Teilnehmerländer der Agentur berechnet.

3.1.3

Bemerkungen zu den Personalressourcen bei der EVZ

In der Vernehmlassung zeigten sich FDP sowie SFF, SGB und SGV zwar einverstanden, dass die Schweiz für befristete Einsätze 16 zusätzliche Grenzschutzexpertinnen oder -experten sowie Rückkehrspezialistinnen und -spezialisten bereitstellt.

Jedoch sollte daraus keine personelle Schwächung des Schweizer GWK resultieren oder die Bekämpfung des Warenschmuggels an der Schweizer Grenze geschwächt werden. Auch SZ verlangte, dass die eigenen nationalen Grenzüberwachungsmassnahmen weiterhin gewährleistet bleiben müssten, und zwar ungeachtet einer möglichen Übernahme der Verordnung. Die FDP und der SGV befürworteten sodann im Interesse der öffentlichen Sicherheit und zur Bekämpfung der illegalen Immigration sogar eine Aufstockung der Ressourcen für die Grenzkontrolle.

Haltung des Bundesrates Im Zuge der Erarbeitung der Vernehmlassungsvorlage ging die EZV noch davon aus, dass sie eine Beteiligung der Schweiz an der Agentur aus eigener Kraft bewältigen könne und keinen Antrag um Erhöhung des Personalbestands der EZV stellen müsse.

Zwischenzeitlich muss diese Lageeinschätzung als zu optimistisch bezeichnet werden. Ab Mitte 2016 fand eine substanzielle Änderung der Migrationslage statt, die sich seither nicht verändert hat. Grund dafür war eine tiefgreifende Veränderung im Verhalten der Migrantinnen und Migranten. Während in früheren Jahren der grösste Teil der vom GWK aufgegriffenen rechtswidrigen Aufenthalter um Asyl nachsuchte, versuchten im Jahr 2016 die meisten Migrantinnen und Migranten, die Schweiz lediglich zu durchqueren, um an eine Destination ihrer Wahl in Europa weiterzureisen. Rechtswidrige Aufenthalter, die kein Asylgesuch stellen, müssen unter einem bilateralen Rückübernahmeabkommen an den zuständigen Nachbarstaat ­ in der überwiegenden Zahl der Fälle an Italien ­ übergeben werden. Daraus ergeben sich für das GWK ein höherer administrativer Aufwand und die Notwendigkeit, die Personen ausserhalb der etablierten Asylstrukturen zu betreuen. Die Schweiz will und muss es vermeiden, zum Transitstaat ­ namentlich in Richtung Deutschland ­ zu werden. Deutschland hat von der Schweiz bereits verstärkte Kontrollen an der Nordgrenze verlangt.

In Anbetracht der obigen Ausführungen wurde eine neue Lagebeurteilung vorgenommen. Demnach ist nicht mehr auszuschliessen, dass die Beteiligung der Schweiz an der
Agentur mit den vorgesehenen Ressourcen in Zukunft eine Erhöhung des GWK-Bestands erfordern könnte. Ob dies der Fall ist, wird vom Migrationsdruck und insbesondere davon abhängig sein, ob das GWK einem anhaltend hohen Bedarf für die Erfüllung sowohl seiner Beteiligung an der Agentur als auch seiner Aufgaben auf nationaler Ebene gerecht werden muss. Diese beiden Bedarfsbereiche sind im Übrigen nicht gegenläufig, sondern komplementär und miteinander verknüpft. Die 4179

BBl 2017

Herausforderungen, mit denen die Schweiz an den Binnengrenzen konfrontiert ist (Sekundärmigration), stehen in direktem Zusammenhang mit denen, die die Schengen-Staaten an den Aussengrenzen bewältigen müssen.

3.2

Bemerkungen zum Rückkehrbereich

Die vorgeschlagenen Änderungen wurden von den Vernehmlassungsteilnehmern grossmehrheitlich befürwortet. Die wichtigsten Bemerkungen betreffen die Umsetzung der Rückkehraktionen der Agentur (Art. 72 E-AuG; Art. 71a und 71abis).

3.2.1

Entschädigung der Kantone bei internationalen Einsätzen

Die neuen Aufgaben, die den Kantonen im Rahmen der internationalen Rückkehreinsätze nach der Verordnung (EU) 2016/1624 zufallen, stiess bei allen Kantonen auf Zustimmung. Mehrere Kantone (z. B. BL, FR, GE, JU, SG, SH, TG, VD, ZG) sowie die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und ­ direktoren (KKJPD) wiesen jedoch darauf hin, dass diese Einsätze eine Mehrbelastung für die kantonalen Polizeikorps darstellen und forderten eine Entschädigung des Bundes der Kosten für polizeiliche Begleitung. In diesem Zusammenhang verlangt LU eine Erhöhung der diesbezüglichen Pauschalentschädigung, oder dass dem Bund die tatsächlichen Kosten in Rechnung gestellt werden können.

Haltung des Bundesrates Eine Anpassung der Vorlage war aufgrund der positiven Stellungnahmen nicht erforderlich. Der Bundesrat erinnert daran, dass die Kosten für die Entsendung polizeilicher Begleitung im Rahmen der Einsätze ­ wie insbesondere die Reisekosten zum und vom Einsatzort und die Unterbringungskosten ­ von der Agentur übernommen werden. Der Lohn wird nicht von der Agentur übernommen. Auch der Bund richtet keinen Lohn aus. Es wird deshalb geprüft, ob der Bund den Kantonen für die Einsätze Begleitpauschalen wie bei der schweizerischen Rückreisebegleitung (Art. 58 Abs. 2 der Asylverordnung 2 vom 11. August 199921 über Finanzierungsfragen, AsylV 2) ausrichten kann. So könnte eine Pauschale von 300 Franken pro Tag und Begleitperson für Rückkehraktionen der Agentur vergütet werden. Dieser Beitrag wird in einer Vereinbarung zwischen Bund und Kantonen festgelegt, welche insbesondere die finanziellen Modalitäten für die Bereitstellung von Polizeiangehörigen durch die Kantone (Art. 71a Abs. 3 AuG) regelt.

21

4180

SR 142.312

BBl 2017

3.2.2

Einbezug der KKJPD, der KKPKS und Beitrag der Kantone an den Pool

Aus Sicht einiger Vernehmlassungsteilnehmer (GE und SH) sollte die KKJPD eine Mittlerrolle zwischen den Kantonen und dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) bei der Organisation der Entsendung polizeilicher Begleitung spielen. BE, GE und die KKJPD fordern den Einbezug der Konferenz der Kantonalen Polizeikommandanten (KKPKS), die über entsprechende Kenntnisse in Bezug auf die Qualifikation des Personals für diese Art Einsätze verfüge. Einige Kantone (BE und GE) stellen die Frage nach den Modalitäten dieser Entsendungen für internationale Einsätze unter den Kantonen. Namentlich BE schlägt die Bildung überkantonaler Pools für die polizeiliche Begleitung vor, insbesondere um die Qualität der Ausbildung diese Einsatzkräfte und ein hohes Mass an Flexibilität bei der Mobilisierung sicherzustellen.

Haltung des Bundesrates Das konkrete Vorgehen bei der Entsendung kantonaler Polizeikräfte wird, wie gesagt, in einer Vereinbarung mit der KKJPD geregelt. Der vorgeschlagene Einbezug der KKPKS wird begrüsst und umgesetzt. In Bezug auf die Modalitäten der Verteilung der Einsatzkräfte unter den Kantonen wird das EJPD mit der KKPKS prüfen, welches Modell den Anforderungen für internationale Einsätze am besten entspricht. Nach Ansicht des Bundesrats ist die Frage, ob ein überkantonalen Pool gebildet werden soll, jedoch nicht ausschliesslich im internationalen Kontext, sondern auch im Rahmen der nationalen Strategie des Rückkehrvollzugs zu prüfen.

Zudem misst die Agentur der Ausbildung der Einsatzkräfte im internationalen Rückkehrbereich grosse Bedeutung bei; sie bietet Weiterbildung an, an der auch die Schweiz teilnehmen kann.

4

Auswirkungen

4.1

Auswirkungen auf den Bund

4.1.1

Finanzielle Auswirkungen

Artikel 75 Absatz 1 Buchstabe b führt die geltende Regelung weiter, wonach die assoziierten Staaten einen Beitrag nach den jeweiligen Zusatzvereinbarungen leisten, in denen der Finanzbeitrag festgelegt ist. Der Schweizer Beitrag wird wie bisher nach dem Verhältnis des nationalen BIP zum BIP aller Teilnehmerländer der Agentur berechnet (vgl. Art. 11 Abs. 3 SAA, der aufgrund des Verweises von Art. 2 der Zusatzvereinbarung anwendbar ist)22.

Die Struktur, Mittel und Aufgaben der Agentur werden verstärkt. Die Agentur muss den künftigen migrationsbedingten Herausforderungen wirksam begegnen und die 22

Der Anteil wurde für 2015 auf 3,85 Prozent und für 2016 auf 3,59 Prozent festgesetzt. Ab 2017 dürfte er infolge der angepassten Berechnungsmethode etwas stärker auf 4,4 Prozent steigen. Der Grund für die Anpassung: Da Grossbritannien und Irland nicht dem Schengen-Raum angehören, werden diese beiden Länder künftig nur zu den Ausgaben der Aktionen beitragen, an denen sie teilnehmen.

4181

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Schengen-Staaten bei ihren Aktionen unterstützen können. Das Budget der Agentur wird sich entsprechend erhöhen, im Hinblick auf: ­

die Weiterführung der operativen Massnahmen im Rahmen der gemeinsamen Aktionen auf See in grösserem Umfang;

­

die Weiterführung der Beteiligung der Agentur an Teams zur Unterstützung der Migrationsverwaltung in Brennpunkten (Hotspot-Gebiete);

­

den Ausbau der Rolle der Agentur im Rückkehrbereich zur Unterstützung der Schengen-Staaten bei Rückkehraktionen sowie in Bezug auf andere Tätigkeiten, die sich aus dem neuen Mandat ergeben, welches der Agentur erlaubt, ihre Unterstützung der Schengen-Staaten namentlich bei der Erleichterung, Organisation und Finanzierung von Rückkehraktionen zu verstärken;

­

die Bildung einer operativen Reserve zur Finanzierung der Entsendung des Soforteinsatzpools und von Rückkehreinsätzen;

­

den Erwerb, Unterhalt und das Leasing eigener Ausrüstung;

­

Die Wahrnehmung der neuen Aufgaben bei der Zusammenarbeit der Agentur mit der Europäischen Fischereiaufsichtsagentur und der Europäischen Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs;

­

die verstärkte Zusammenarbeit der Agentur mit Drittstaaten, einschliesslich der Beteiligung an operativen Massnahmen mit benachbarten Drittstaaten;

­

mehr Verbindungspersonen der Agentur in Drittländern;

­

den zusätzlichen Personalbedarf (602 Personen), damit die Agentur ihre neuen Aufgaben erfüllen kann.

Die Budgeterhöhung der Agentur wird sich proportional auf den Schweizer Beitrag auswirken.

Die folgende Tabelle bietet einen Überblick über das Frontex-Budget und den Schweizer Beitrag (in Mio. Euro): Jahr

Beitrag EU Beiträge Dritter Budget Frontex23 Beitrag CH24

2015

2016

2017

2018

2019

2020

106.1 7.9 114.0

133.5 14.7 148.2

281.3 20.7 301.9

298.3 21.9 320.2

310.3 22.8 333.1

322.2 23.7 345.9

4.6

9.9

12.4*

13.2*

13.7*

14.2*

*Schätzungen

23

24

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Europäische Grenz- und Küstenwache und zur zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2007/2004, der Verordnung (EG) Nr. 863/2007 und der Entscheidung 2005/267/EG des Rates, KOM (2015) 671 endg.; ad Finanzbogen zu Rechtsakten.

Auf der Basis eines Wechselkurses von 1.05 für 2016 und 1.10 für die Folgejahre beträgt der Beitrag der Schweiz in Schweizer Franken 2016 10,4 Mio., 2017 13,7 Mio., 2018 14,5 Mio., 2019 15,01 Mio., 2020 15,7 Mio.

4182

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Dazu ist anzumerken, dass nach den geltenden finanziellen Modalitäten ein Teil der Reisekosten des abgerufenen Schweizer Personals von Frontex übernommen wird.

Die diesbezüglichen Erstattungen beliefen sich 2014 auf rund 420 000 Euro, 2015 auf etwas über 550 000 Euro und 2016 auf 1,7 Millionen Euro.

Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Erhöhung des finanziellen Beitrags, mit dem sich die Schweiz an der Agentur beteiligt, im Bereich der Rückkehr zu Minderausgaben führen wird. So werden beispielsweise bei europäischen Rückkehreinsätzen (EU-Sammelflüge) die Flugkosten vollumfänglich durch die Agentur übernommen.

Die Schweiz hat 2014 von Frontex für Rückkehraktionen über 100 000 Franken, 2015 rund 155 000 Franken und 2016 1,4 Millionen Franken rückvergütet erhalten.

Die neue Agentur wird noch mehr EU-Sammelflüge finanzieren bzw. selbst organisieren, sodass im Bereich der Rückkehr mit weiteren Einsparungen zu rechnen ist.

Schliesslich wirken sich die Frontex-Einsätze an den Aussengrenzen des SchengenRaums auch auf den Migrationsstrom in die Schweiz aus und führen zu Minderkosten für den Bundeshaushalt, die nicht beziffert werden können.

4.1.2

Personelle Auswirkungen

Personelle Auswirkungen bei der EZV Beim gegenwärtigen Stand führt die Beteiligung der Schweiz an der Agentur zu keiner Erhöhung des Personalbestands der EZV. Idealerweise wird sich die Schweiz in Zukunft mit Berücksichtigung der Beanspruchung der Expertinnen und Experten für den Soforteinsatzpool weiterhin im Umfang von 1700 Tagen an den Einsätzen von Frontex beteiligen. Die Einsatzdauer für den Soforteinsatzpool wird vom Herkunftsstaat abhängen, sollte aber 30 Tage nicht überschreiten, weshalb die EZV eine Einsatzdauer von 30 Tagen wie bei den normalen Einsätzen vorsieht.

Es ist jedoch nicht mehr ganz auszuschliessen, dass die Beteiligung der Schweiz an der Agentur mit den vorgesehenen Ressourcen in Zukunft eine Erhöhung des GWKBestands nötig wird.

Im Falle einer nationalen Krisensituation kann sich die Schweiz zudem auf bestimmte Regelungen der Verordnung (Art. 20 Abs. 3 und Abs. 7) berufen, nach denen ein Schengen-Staat im Falle einer eigenen Ausnahmesituation, die die Erledigung nationaler Aufgaben erheblich beeinträchtigen würde, Frontex entweder keine oder, im Falle des Pools für Soforteinsätze, nur die Hälfte der vereinbarten Personalressourcen zur Verfügung stellen muss.

Das GWK beabsichtigt, den Expertenpool für Entsendungen im Rahmen von Frontex-Einsätzen in den kommenden Jahren stetig auszubauen. Die Teilnahme der Expertinnen und Experten an diesem Pool bleibt nach wie vor freiwillig.

4183

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Weiter ist anzumerken, dass derzeit keine Schweizer Grenzschutzexpertinnen und -experten an die Agentur entsandt sind. Einzig ein Verbindungsoffizier ist entsandt, der aber dem GWK unterstellt ist. Der Einsatz von ständigem Personal für die Agentur ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorgesehen.

Auswirkungen im Rückkehrbereich Die Bereitstellung von Ressourcen im Rahmen der Rückkehraufgaben der neuen Agentur hat Auswirkungen auf den Bund (SEM) sowie die Kantone (kantonale Polizeibehörden).

Die für die Bereitstellung von Sachverständigen für die Identifikation und die Beschaffung von Reisedokumenten zuständige Einheit ist das SEM, das die Kantone in diesem Bereich beim Vollzug der Rückkehrentscheidungen unterstützt.

Wie viele SEM-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter auf Abruf der Agentur zu entsenden sein werden, hängt von der Migrationslage und der Entwicklung von Jahr zu Jahr ab und ist deshalb nicht im Voraus bekannt. Die Schweiz wird das Kontingent an bereitzustellenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern jährlich mit der Agentur vereinbaren.

Das SEM benötigt nach eigenen Schätzungen zwei Vollzeitstellen zur Erfüllung des Auftrags. .Die Agentur übernimmt sämtliche Kosten im Zusammenhang mit der Entsendung dieser Mitarbeitenden. Die Personalbestimmungen des Bundes (Art. 25 Abs. 3bis Bst. a und Art. 104 der Bundespersonalverordnung BPV vom 3. Juli 200125) sehen solche Entsendungen bereits vor und müssen nicht angepasst werden.

Zudem wird der Abschluss einer besonderen Vereinbarung für Einsätze im Ausland zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer empfohlen.

Nach der Anfrage der Agentur hat das SEM drei Wochen Zeit, um die Rückkehrsachverständigen bereitzustellen und in den zu unterstützenden Einsatzstaat zu entsenden.

Schliesslich wird die Schweiz durch die neue Verordnung auch verpflichtet, sich am europäischen Pool von Rückkehrbeobachtern (Art. 29) zu beteiligen.

Bereits heute kann der Bundesrat Dritte mit Aufgaben im Rahmen der Überwachung von Rückkehraktionen betrauen. Derzeit begleiten Beobachterinnen und Beobachter der NKVF gestützt auf deren gesetzlichen Auftrag26 die Sonderflüge. In Zukunft sollen auch die internationalen Rückkehreinsätze der Agentur durch Rückkehrbeobachterinnen und Rückkehrbeobachter begleitet werden. Die NKVF kann als unabhängige Kommission aus rechtlicher Sicht nicht zur
Begleitung dieser Rückehraktionen verpflichtet werden. Deshalb soll die Möglichkeit bestehen, dass auch andere unabhängige Dritte diese Rolle übernehmen können, sofern die NKVF dies nicht selber kann. Das SEM soll hierzu entsprechende Vereinbarungen abschliessen können (siehe Art. 15g der Verordnung vom 11. August 199927 über den Vollzug der Weg- und Ausweisung von ausländischen Personen, VVWA). Da es sich jedoch 25 26 27

SR 172.220.111.3 Bundesgesetz vom 20. März 2009 über die Kommission zur Verhütung von Folter (SR 150.1) SR 142.281

4184

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nur um einzelne Kurzeinsätze handelt, beabsichtigt das SEM, die Modalitäten und Abläufe gemeinsam mit denjenigen für das Monitoring der nationalen Sonderflüge zu regeln.

4.2

Auswirkungen auf die Kantone

4.2.1

Auswirkungen im Grenzkontrollbereich

Die Kantone sind generell an der Anwendung des SAA und den Aufgaben und Kosten für die Umsetzung der Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands insbesondere im polizeilichen Bereich beteiligt. Alle Grenzkantone haben die Erfüllung bestimmter polizeilicher Aufgaben an der Grenze oder im Grenzbereich dem GWK übertragen. An den meisten Zollflugplätzen und den Flughäfen Bern und Zürich wird die Personenkontrolle jedoch durch die Kantonspolizei ­ getrennt von der Kontrolle des grenzüberschreitenden Warenverkehrs durch die EZV ­ vorgenommen. Flughäfen mit Destinationen von und nach Ländern ausserhalb des Schengen-Raums gelten als Schengen-Aussengrenze.

Kantone, die internationale Flughäfen und damit Aussengrenzen aufweisen, könnten potenziell von Schwachstellenbeurteilungen betroffen sein. Theoretisch könnte auf ihrem Gebiet auch eine Sofortmassnahme stattfinden; wie bereits dargelegt, ist dies aber nur theoretisch der Fall, da Sofortmassnahmen nur in Ausnahmesituationen und mit Zustimmung des betroffenen Schengen-Staats erfolgen können und die Schweiz keine See- oder Landaussengrenzen aufweist.

4.2.2

Auswirkungen im Rückkehrbereich

Ein Teil der für die Rückkehraufgaben benötigten personellen Ressourcen muss seitens der Kantone zur Verfügung gestellt werden. Dies betrifft die polizeilichen Begleitpersonen, die bei Rückkehraktionen eingesetzt werden.

In Bezug auf die Mitarbeiterinnen und des SEM ist die Anzahl der für diese Aufgabe benötigten Personen sowie deren Einsatzdauer vom aktuellen Migrationsdruck auf die europäischen Aussengrenzen abhängig; er wird deshalb jährlich bilateral zwischen den einzelnen Staaten und der Agentur festgelegt.

Die Kantone werden im Hinblick auf diese Verhandlungen jeweils mit einbezogen.

Der Bund geht davon aus, dass die Schweiz für den Begleiterpool etwa 25 kantonale Polizeibeamte zur Verfügung stellen muss, die jährlich gesamthaft für maximal 750 Einsatztage entsendet werden müssen.

Die betreffenden personellen Ressourcen müssen auf Ersuchen der Agentur innert dreier Wochen verfügbar sein. Sollte sich die Schweiz jedoch in einer Ausnahmesituation befinden, welche die Erfüllung nationaler Aufgaben erheblich beeinträchtigt, kann das betreffende Ersuchen abgelehnt werden.

4185

BBl 2017

Die Spesen, die den polizeilichen Begleitpersonen im Rahmen der Einsätze entstehen, werden wie bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des SEM vollständig durch die Agentur übernommen. Der Lohn ist nicht Bestandteil der von der Agentur übernommen Kosten.

Der Bund richtet ebenfalls keinen Lohn aus. Er möchte jedoch den Kantonen die erbrachten Leistungen vergüten. Hierzu überprüft er, ob die internationalen Einsätze im Bereich der Rückkehr vergütet werden können, wie das heute bereits Artikel 58 der Asylverordnung 2 auf nationaler Ebene vorsieht. Dadurch würden dem Bund Kosten von jährlich maximal 0,3 Millionen Franken entstehen. Die betreffenden Kosten können durch den Vollzugskredit des SEM abgedeckt werden.

Der Bund beabsichtigt, die konkreten Abläufe im Hinblick auf die Entsendung von kantonalen Polizeibeamten in einer Vereinbarung zwischen dem EJPD und der KKJPD zu regeln.

5

Gesetzliche Anpassungen

5.1

Ausländergesetz

Artikel 71 des AuG regelt die Unterstützung der Vollzugsbehörden durch den Bund.

Er ermächtigt das EJPD, die mit dem Vollzug der Weg- oder Ausweisung von Ausländerinnen und Ausländern betrauten Kantone zu unterstützen. Der Artikel gilt nur für von der Schweiz ausgeschaffte Personen. Er regelt ausschliesslich die internen Zuständigkeiten bei der Weg- oder Ausweisung von Ausländerinnen und Ausländern. Die Übernahme der neuen Verordnung hat keine Auswirkungen auf diesen Artikel.

Artikel 71a AuG regelt die Überwachung von Ausschaffungen und delegiert die Regelung des Verfahrens und der Zuständigkeiten zur Überwachung von Ausschaffungen an den Bundesrat. Dieser Artikel gilt nur für Ausschaffungen aus der Schweiz, unabhängig davon, ob diese mit schweizerischen Flügen oder mit europäischen Sammelflügen durchgeführt werden. Er findet keine Anwendung bei Rückführungsaktionen aus dem Ausland von Personen, die sich nicht in der Schweiz aufgehalten haben. Er muss nun auch für künftige internationale Einsätze der Schweiz im Rückkehrbereich gelten, weshalb der neue Artikel 71abis eingefügt wurde (siehe Erläuterung zu Art. 71abis unten).

Neu soll im AuG analog zu dem, was für die EZV gilt, vorgesehen werden, dass Einsätze des SEM und der Kantone im Ausland im Rahmen von Rückkehraktionen von Personen mit rechtswidrigem Aufenthalt im Schengen-Raum möglich werden.

Diese Aktionen dienen in erster Linie der Rückführung von abgewiesenen Asylsuchenden mit Aufenthalt ausserhalb der Schweiz in ihr Herkunfts- und Heimatland oder in ein sicheres Drittland unter anderem von Brennpunkten (Hotspot-Gebiete) der EU aus. Aus diesem Grund wird ein neuer Artikel 71a in das AuG aufgenommen.

Ferner wird im Rahmen der vorliegenden Revision die Gelegenheit wahrgenommen, einige Verweisungen auf den Schengener Grenzkodex im Gesetz nachzuführen.

Betroffen von dieser rein redaktionellen Nachführung, mit der keine materielle 4186

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Rechtsänderung einhergeht, sind Artikel 7 Absatz 3, Artikel 64c Absatz 1 Buchstabe b und Artikel 64d Absatz 2 Buchstabe e AuG. In diesen Bestimmungen wird aktuell noch auf eine alte Fassung des Schengener Grenzkodex (Verordnung (EG) Nr. 562/200628) verwiesen, die nicht mehr in Kraft ist. In der Zwischenzeit wurde diese durch eine neue konsolidierte Fassung (Verordnung (EU) 2016/39929) ersetzt und in der Folge auch durch weiterer Verordnungen geändert, zuletzt durch die Verordnung (EU) 2017/45830. Alle diese Verordnungen hat die Schweiz als Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands übernommen.

Art. 7 Abs. 3 Die Verweisung auf den Schengener Grenzkodex wird aus Gründen der Transparenz und Rechtssicherheit nachgeführt. Neu verweist Artikel 7 Absatz 3 auf die Artikel 27, 28 und 29 des kodifizierten Schengener Grenzkodex (Verordnung EU) 2016/399). Die Fussnote wird mit dem Hinweis auf die letzte für die Schweiz massgebende Fassung gemäss Verordnung (EU) 2017/458 ergänzt.

Art. 64c Abs. 1 Bst. b Die Verweisung auf den Schengener Grenzkodex wird aus Gründen der Transparenz und Rechtssicherheit nachgeführt. Neu verweist Artikel 64c Absatz 1 Buchstabe b auf Artikel 14 des kodifizierten Schengener Grenzkodex (Verordnung EU) 2016/399). Die Fussnote wird mit dem Hinweis auf die letzte für die Schweiz massgebende Fassung gemäss Verordnung (EU) 2017/458 ergänzt.

Art. 64d Abs. 2 Bst. e Die Verweisung auf den Schengener Grenzkodex wird aus Gründen der Transparenz und Rechtssicherheit nachgeführt. Neu verweist Artikel 64d Absatz 2 Buchstabe e auf Artikel 14 des kodifizierten Schengener Grenzkodex (Verordnung EU) 2016/399). Die Fussnote wird mit dem Hinweis auf die Verordnung (EU) 2017/458 ergänzt.

Art. 71 Einleitungssatz Im Einleitungssatz wird die Abkürzung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements EJPD eingeführt.

Art. 71a Internationale Rückführungseinsätze Der bisherige Artikel 71a AuG muss auch für internationale Rückführungsaktionen gelten, weshalb ein neuer Artikel 71abis AuG hinzugefügt wird.

Abs. 1 Diese Bestimmung hält den Grundsatz für Einsätze des SEM und der Kantone im Rahmen von Rückkehraktionen der Agentur fest.

28 29 30

ABl. L 105 vom 13.4.2006, S. 1 ABl. L 77 vom 23.3.2016, S. 1 ABl. L 74 vom 18.3.2017, S. 1

4187

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Das SEM und die Kantone haben für die internationalen Rückführungsaktionen das entsprechende Personal für den Pool von Begleitpersonal für die Rückkehr (Art. 30) und Rückkehrsachverständige (Art. 31) bereitzustellen. Dabei handelt es sich einerseits um speziell ausgebildete polizeiliche Begleitpersonen der Kantone und andererseits um Rückführungsspezialistinnen und -spezialisten des SEM.

Die europäischen Rückkehrteams werden von der Agentur als Unterstützung auf Ersuchen eines Schengen-Staates in einer schwierigen Rückehrsituation entsandt (Rückkehrteams; Art. 32 und 33).

Abs. 2 Zur Sicherstellung der in Absatz 1 vorgesehenen internationalen Massnahmen ermächtigt Absatz 2 das EJPD zum Abschluss von Vereinbarungen mit der Agentur auf dem Gebiet der Einsätze des Personals des SEM und der Kantone für internationale Rückkehraktionen.

Werden Dritte als Sachverständige für das Monitoring der internationalen Rückkehraktionen eingesetzt, umfassen diese Vereinbarungen auch sie.

Diese internationalen Abkommen sind vorwiegend technischer Natur; sie regeln unter anderem den Status des Personals, das an Einsätzen im Rahmen der operativen Zusammenarbeit teilnimmt.

Abs. 3 Die Einzelheiten der Bereitstellung von Polizeiangehörigen durch die Kantone und die finanziellen Abgeltungen werden in einer Vereinbarung zwischen dem Bund und den Kantonen festgelegt. So sieht Absatz 3 vor, dass die Modalitäten dieser Einsätze zwischen dem EJPD und den Kantonen vereinbart werden.

Art. 71abis

Überwachung von Ausschaffungen und internationalen Rückführungseinsätzen

Das heutige Monitoring der Artikel 71a AuG sowie 15h und 15i VVWA muss auch für die Bereitstellung von internationalen Rückkehrbeobachterinnen und -beobachtern gelten.

Abs. 1 Dieser Absatz sieht vor, dass der Bundesrat das Verfahren und die Zuständigkeiten nicht nur im Bereich der Überwachung der Ausschaffungen, sondern auch der internationalen Rückführungsaktionen regelt. Die vom Bundesrat in der VVWA vorgesehenen Regelungen werden entsprechend anzupassen sein.

Abs. 2 Mit diesem Absatz kann der Bundesrat auf dem Verordnungsweg Dritte mit der Aufgabe betrauen, auch internationale Rückkehraktionen im Rahmen der Agentur zu begleiten.

Heute begleiten Beobachterinnen und Beobachter der NKVF die Sonderflüge. Dies entspricht den Vorgaben der Rückführungsrichtlinie, die ein unabhängiges und wirksames System für das Rückführungsmonitoring vorsieht.

4188

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Art. 100 Abs. 5 Die in Artikel 71 eingeführte Abkürzung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements EJPD ist auch in diesem Artikel nachzuführen.

5.2

Bundesgesetz über die kriminalpolizeilichen Zentralstellen des Bundes und gemeinsame Zentren für Polizei- und Zollzusammenarbeit mit anderen Staaten

Artikel 5 des Bundesgesetzes vom 7. Oktober 199431 über die kriminalpolizeilichen Zentralstellen des Bundes und gemeinsame Zentren für Polizei- und Zollzusammenarbeit mit anderen Staaten (ZentG) soll dahingehend ergänzt werden, dass Polizeiverbindungsleute des Bundesamtes für Polizei (fedpol) mit Aufgaben von Verbindungspersonen der EZV nach Artikel 92 ZG betraut werden können (Abs. 1bis). Die Änderung hat keinen direkten Zusammenhang mit der zu genehmigenden Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstandes.

Der Einsatz von Personal im Ausland ist aufwendig und kostspielig. Aus diesem Grund gilt es, Synergien zu nutzen. Die Netzwerke von fedpol und der EZV sollen durch eine Verstärkung der Kooperation zugunsten aller Sicherheitsbehörden der Schweiz umfassender und flexibler nutzbar gemacht werden.

Die Mandatierung erfolgt im Einvernehmen mit der EZV für eine bestimmte Funktion und einen festgelegten Zeitraum durch fedpol und auch nur, sofern die Ressourcen der EZV dies zulassen.

Das Gegenstück dieser Regelung ist eine entsprechende Ergänzung im Zollgesetz.

Wichtiges Arbeitsinstrument der Polizeiverbindungsleute wie der Verbindungspersonen der EZV ist der Zugriff auf die jeweiligen Informationssysteme. In diesen werden (auch) besonders schützenswerte Personendaten bearbeitet. Mit der nun vorliegenden Neuregelung auf formell-gesetzlicher Ebene ist den Anforderungen von Artikel 19 Absatz 3 des Datenschutzgesetzes vom 19. Juni 199232 entsprochen.

Durch die gemeinsame Wahrung der Aufgaben lassen sich inskünftig nicht nur Synergien zwischen den beiden betroffenen Bundesämtern verstärkt nutzen, sondern auch Kosten einsparen. Insgesamt ist durch die verstärkte Zusammenarbeit ein operativer Mehrwert zu erwarten.

31 32

SR 360 SR 235.1

4189

BBl 2017

5.3

Zollgesetz

Die Mitwirkung der EZV an Einsätzen im Ausland und die Möglichkeit, dass der Bundesrat völkerrechtliche Zusammenarbeitsverträge mit der Agentur abschliessen kann, sind bereits im Zollgesetz vom 18. März 200533 (ZG) enthalten. Die neue Verordnung erfordert jedoch eine Präzisierung des ZG hinsichtlich der Bereitstellung von Material für die Agentur sowie eine formelle Anpassung bei der Bezeichnung der Agentur.

Aufgrund der Namensänderung der Agentur muss auch der Verweis im ZG angepasst werden. Um eine weitere Anpassung des ZG bei einer künftigen Namensänderung der Agentur zu vermeiden, soll neu nicht mehr die namentliche Bezeichnung der Agentur verwendet, sondern allgemein auf die für die Überwachung der Schengen-Aussengrenzen zuständige Agentur der Europäischen Union verwiesen werden.

Art. 92 Der Artikel erhält eine neue Sachüberschrift. Es geht nicht nur um internationale Massnahmen, sondern um Einsätze im Ausland.

Abs. 1 und 2 Die Absätze 1 und 2 bleiben unverändert. Die EZV kann im Rahmen internationaler Massnahmen bei Einsätzen im Ausland mitwirken, wobei der Einsatz für das Personal der EZV freiwillig ist.

Abs. 3 Zwar war schon in der Frontex-Botschaft34 die Möglichkeit festgehalten, dass die Schweiz der Agentur Material zur Überwachung der Grenze zur Verfügung stellt, aber ohne diese in Artikel 92 Absatz 3 ZG ausdrücklich zu erwähnen. Die Agentur soll nun explizit genannt werden.

Ausserdem soll in der deutschen Fassung analog zur französischen und italienischen «Zollgrenze» durch «Grenze» ersetzt werden.

Abs. 4 Absatz 4 hat keinen direkten Zusammenhang mit der zu genehmigenden Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstandes. Mit der Bestimmung soll eine Rechtsgrundlage geschaffen werden, damit die EZV Verbindungspersonen im Ausland einsetzen kann, was sie heute bereits tut. Zurzeit sind insgesamt drei Verbindungspersonen der EZV im Ausland eingesetzt, nämlich je eine auf bilateraler Ebene in Deutschland (Berlin) sowie bei Frontex und beim Europäischen Polizeiamt (Europol).

Der Einsatz von Verbindungspersonen ist ein wichtiges Element der internationalen Zusammenarbeit, die für die EZV unabdingbar ist. Die Verbindungspersonen der 33 34

SR 631.0 Vgl. Botschaft vom 13. Februar 2008 über die Genehmigung und Umsetzung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der Europäischen Gemeinschaft betreffend die Übernahme der Verordnung zur Errichtung von FRONTEX und der RABIT-Verordnung, BBl 2008 1455.

4190

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EZV, darunter fallen nicht nur Verbindungsoffiziere des GWK, sondern auch Vertreterinnen und Vertreter des zivilen Zolls, nehmen insbesondere drei Hauptaufgaben wahr: ­

Sammeln strategischer, taktischer und operativer Informationen;

­

Informationsaustausch;

­

Zusammenarbeit im Bereich der Amts- und Rechtshilfe;

Soweit sich der Informationsaustausch auf Personendaten bezieht, richten sich Inhalt und Voraussetzungen der auszutauschenden Informationen nach den jeweiligen völkerrechtlichen Verträgen, namentlich nach den Abkommen über die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich oder den Amtshilfeabkommen im Zollbereich (vgl.

Art. 113 ZG).

Abs. 5 Absatz 5 ist das Gegenstück zu Artikel 5 Absatz 1bis des ZentG. Danach sollen Verbindungsleute der EZV mit Aufgaben von Polizeiverbindungsleuten betraut werden können. Diese Änderung hat keinen direkten Zusammenhang mit der zu genehmigenden Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstandes.

Die Mandatierung erfolgt im Einvernehmen mit fedpol für eine bestimmte Funktion und einen festgelegten Zeitraum durch die EZV und auch nur, sofern die Ressourcen von fedpol dies zulassen.

Im Übrigen wird auf die Ausführungen in Ziffer 5.2 oben verwiesen.

Abs. 6 Statt der «Europäischen Agentur für die Zusammenarbeit an den Aussengrenzen» soll neu auf die «für die Überwachung der Schengen-Aussengrenzen zuständigen Agentur der Europäischen Union» verwiesen werden. Neu erhält der Bundesrat gestützt auf die Delegationsklausel in Buchstabe c die Befugnis, den Umfang der Aufgaben nach Absatz 4 zu regeln.

Ausserdem soll in den Fussnoten von Artikel 92 Absätze 3 und 6 auf den neuen Bundesbeschluss und die neue Verordnung verweisen werden.

5.4

Spätere Anpassung der Verordnung über die operative Zusammenarbeit mit den anderen Schengen-Staaten zum Schutz der Aussengrenzen des Schengen-Raums

Die Verordnung vom 26. August 200935 über die operative Zusammenarbeit mit den anderen Schengen-Staaten zum Schutz der Aussengrenzen des Schengen-Raums (VZAG) soll an die durch die Verordnung eingeführten Neuerungen angepasst werden. Diese Änderungen werden zu gegebener Zeit Gegenstand einer separaten Vorlage des Bundesrats sein. Dabei wird insbesondere festzuhalten sein, dass das 35

SR 631.062

4191

BBl 2017

GWK auch in Bezug auf alle Fragen bezüglich der Entsendung von Verbindungspersonen (insbesondere Ansprechstelle nach Art. 12 Abs. 4 Bst. b der Verordnung) zuständig ist sowie bezüglich der Schwachstellenbeurteilung und Entscheide im Zusammenhang mit Situationen an den Aussengrenzen, in denen dringendes Handeln geboten ist, für die Zusammenarbeit mit der Agentur zuständig ist.

6

Rechtliche Aspekte

6.1

Verfassungsmässigkeit

Die Verfassungsmässigkeit des Bundesbeschlusses über die Genehmigung des Notenaustauschs zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnung stützt sich auf Artikel 54 Absatz 1 der Bundesverfassung36 (BV), wonach der Bund für die auswärtigen Angelegenheiten zuständig ist. Artikel 184 Absatz 2 BV ermächtigt den Bundesrat, völkerrechtliche Verträge zu unterzeichnen und zu ratifizieren. Die Bundesversammlung ist nach Artikel 166 Absatz 2 BV für die Genehmigung völkerrechtlicher Verträge zuständig, sofern für deren Abschluss nicht aufgrund von Gesetz oder völkerrechtlichem Vertrag der Bundesrat zuständig ist (siehe auch Art. 24 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 13. Dezember 200237 über die Bundesversammlung [ParlG] und Art. 7a Abs. 1 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 199738 [RVOG]), was im vorliegenden Fall nicht zutrifft.

6.2

Erlassform

Wie bereits in Rahmen der Frontex-Botschaft dargelegt39, sieht die Teilnahme der Schweiz an der Agentur keinen Beitritt zu einer Organisation für kollektive Sicherheit oder zu einer supranationalen Gemeinschaft vor. Der Bundesbeschluss über die Genehmigung ist deshalb nicht dem obligatorischen Referendum nach Artikel 140 Absatz 1 Buchstabe b BV zu unterstellen.

Nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d BV unterliegen völkerrechtliche Verträge dem fakultativen Referendum, wenn sie unbefristet und unkündbar sind, wenn sie den Beitritt zu einer internationalen Organisation vorsehen, wenn sie wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder wenn deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert.

Der Notenaustausch kann unter den Bedingungen nach den Artikeln 7 und 17 SAA gekündigt werden. Die Übernahme der Verordnung sieht keinen Beitritt zu einer internationalen Organisation vor (siehe Ziff. 2.2).

36 37 38 39

SR 101 SR 171.10 SR 172.010 BBl 2008 1455 1475

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BBl 2017

Nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV unterliegen völkerrechtliche Verträge dem fakultativen Referendum, wenn sie wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder wenn deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert. Nach Artikel 22 Absatz 4 ParlG sind unter rechtsetzenden Normen jene Bestimmungen zu verstehen, die in unmittelbar verbindlicher und generell-abstrakter Weise Pflichten auferlegen, Rechte verleihen oder Zuständigkeiten festlegen. Als wichtig gelten Bestimmungen, die auf der Grundlage von Artikel 164 Absatz 1 BV in der Form eines Bundesgesetzes erlassen werden müssten.

Die vorliegend mittels Notenaustausch übernommene Verordnung enthält wichtige rechtsetzende Bestimmungen gegenüber der bisherigen Regelung (gemeinsame Verantwortung für die Aussengrenzen, Entsendung von Verbindungspersonen, der Schwachstellenbeurteilung, Sofortmassnahmen an den Aussengrenzen und Bildung eines Soforteinsatzpools). Zudem bedingt die Übernahme Anpassungen auf Gesetzesstufe (vgl. Ziff. 4 vorstehend). Der Bundesbeschluss über die Genehmigung ist deshalb dem Referendum nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV zu unterstellen.

Die Bundesversammlung genehmigt völkerrechtliche Verträge, die dem Referendum unterliegen, in der Form eines Bundesbeschlusses (Art. 24 Abs. 3 ParlG).

6.3

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Die Übernahme der Verordnung und die damit verbundenen gesetzlichen Anpassungen sind mit dem internationalen Recht vereinbar.

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