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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung, betreuend das Begnadigungsgesuch des Jules Oberli, von Genf.

(Vom 21. März 1899.)

Tit.

Sonntag den 13. Dezember 1896 ist der zwischen Bern und Lausanne verkehrende Jura-Simplonschnellzug Nr. 10 auf der Station C h é n e n s, wo er laut Fahrplan die Kreuzung mit dem in umgekehrter Richtung kursierenden Zug Nr. 25 hätte abwarten sollen, ohne Anhalten durchgefahren und hat trotz dem geschlossenen .Ausfahrtssignal seine Fahrt auf der offenen Linie gegen VillazSt. Pierre fortgesetzt.

Zug Nr. 25 war in Villaz-St. Pierre bereits abgefahren ; die beiden Züge fuhren daher zwischen den zwei genannten Stationen auf dem nämlichen Geleise gegeneinander.

Der dadurch drohende Zusammenstoß wurde nur durch das rechtzeitige Eingreifen des Lokomotivpersonals von Zug Nr. 25 verhindert, welch letzteres mit seinem Zug sofort anhalten und dem immer noch vorrückenden Gegenzug durch Rückwärtsfahren ausweichen konnte.

Die Schuld an dieser erheblichen Eisenbahngefährdung trifft das Lokomotivpersonal des Zuges Nr. 10, Lokomotivführer Oberli und Heizer Lüthi, die bei dem Passieren der Station Chenens sich mit dem Feuer beschäftigten, die vorgesehene Kreuzung vergaßen und auf die Signale nicht achteten.

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Durch Urteil des korrektionellen Gerichtes de la Sarine, d. d.

13 Juli 1897., wurden Jules Oberli und Adolf Lüthi der fahrlässigen Gefährdung von Eisenbahnzügen schuldig erklärt und der erstere in eine Gefängnisstrafe von 6 Monaten und Fr, 100 Geldbuße und der letztere in eine Gefängnisstrafe von 15 Tagen und Fr. 20 Geldbuße verurteilt.

Eine von den Verurteilten . erhobene Kassationsbeschwerde wurde laut Urteil der Cour de Cassation des Kantons Freiburg?

d. d. 12. Januar 1898, als unbegründet abgewiesen.

Mit Eingabe vorn 30. Januar 1899 sucht J. Oberli im Wege der Begnadigung um Erlaß der Gefängnisstrafe nach und führt, zur Begründung seines Gesuches wesentlich Folgendes an: Bei der gerichtlichen Verhandlung sei er nicht durch einen Anwalt verbeistandet gewesen, infolgedessen weder seine Verteidigung besorgt, noch geltend gemacht worden sei : daß er nur einfacher Heizer und ausnahmsweise mit der Aufgabe des Lokomotivführers betraut gewesen ; er habe im Momente der Gefahr kaltes Blut und lobenswerte Geistesgegenwart gezeigt.

Irgend ein Unfall sei nicht eingetreten. Er bekleide zur Zeit einen bescheidenen Posten als Lokomotivführer, den er zur Zufriedenheit seiner Vorgesetzten besorge, aber verlieren werde, wenn er die Gefängnisstrafe absitzen müsse.

Er sei verheiratet und Vater von vier unmündigen Kindern.

Er habe keine anderen Einnahmen als seinen täglichen Lohn, der zürn Unterhalt seiner Familie unbedingt notwendig sei, und trotz dieser bescheidenen Mittel habe er- nach und nach die Buße bezahlt.

Das Urteil des Gerichtes erscheint im Hinblick auf das Vergehen, das zu ahnden war, nicht als ein hartes.

Der Zusammenstoß zweier gegeneinander fahrender Schnellzüge auf offener Linie hätte namenloses Unglück zur Folge gehabt, und es war nur der Geistesgegenwart und dem energischen Eingreifen des Lokornotivpersonals von Zug 25 zu verdanken, daß die drohende Gefahr gehoben und der Zusammmenstoß im letzten Augenblick noch verhütet werden konnte. Andererseits war die Fahrlässigkeit von Lokomotivführer Oberli eine sehr große; nicht nur hat er vorschriftswidrig auf der Station Chénens nicht angehalten, sondern in unverantwortlicher Weise bei der Durchfahrt der Station seinen Posten verlassen und sich mit der Feuerung beschäftigt, statt sorgfältig auf die Signale zu achten.

Es liegt einer der schwersten Fälle fahrlässiger Eisenbahn gefährdung vor-.

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Eine Begnadigung sollte, nach unserer Ansicht, nur gewährt ' werden, wenn die Vollziehung eines Strafurteils als ein materielles Unrecht empfunden wird; dies trifft aber in casu nicht zu. Wir stellen deshalb den ' : Antrag: Es sei auf das Begnadigungsgesuch des Jules Oberli nicht einzutreten.

B e r n , den 21. März 1899.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Müller.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend das Begnadigungsgesuch des Jules Oberli, von Genf. (Vom 21. März 1899.)

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22.03.1899

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