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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend das Begnadigungsgesuch der Witwe Elisabeth Stork, geborne Kniel, von Iggelheim bei Ludwigshafen, wohnhaft in Bern.

(Vom 5. Mai 1899.)

Tit.

Elisabeth Stork, geborne Kniel, Witwe, von Iggelheim bei Ludwigshafen, Wäscherin in Bern, hat zugestandenermaßen bei Privaten in der Stadt Bern und Umgebung einige Bestellungen auf ein litterarisches Werk, das gegen Abzahlungen geliefert wird, aufgesucht, ohne im Besitze einer Taxkarte zu sein ; sie wurde deshalb am 11. Oktober 1898 vom Polizeirichter in Bern, in Anwendung der Art. 2, 4 und 8, litt, a, des Bundesgesetzes betreffend die Patenttaxen der Handelsreisenden, vom 24. Juni 1892 (A. S.

n. F., XIII, 43), zu einer Buße von Fr. 30 und zur Nachzahlung einer halbjährlichen Patenttaxe von Fr. 100 nebst Kosten verurteilt.

An diese Buße zahlte die Verurteilte Fr. 10 und stellte mit Eingabe vom 25. März d. J. an den Großen Rat des Kantons Bern oder, im Falle der Unzuständigkeit desselben, an die Bundesversammlung das Gesuch um Erlaß des Restes der Buße.

Mit Schreiben vom 12. April übermittelte der Regierungsrat des Kantons Bern uns zu Ihren Händen jenes Begnadigungsgesuch, nachdem dasselbe der Polizeidirektion der Stadt Bern sowohl als auch dem Regierungsstatthalteramt von Bern zur Begutachtung vorgelegt worden war.

Zur Begründung ihres Gesuches macht die Petentin geltend, sie habe auf jenes Werk Bestellungen aufgesucht, weil sie damals fast keine Arbeit auf ihrem Berufe als Wäscherin gehabt, sich deshalb in großer Not befunden und nicht gewußt habe, daß sie dadurch mit dem erwähnten Bundesgesetz in Widerspruch gerate.

Alles was sie habe erübrigen können, nämlich Fr. 10, habe sie bezahlt; mehr könne sie nicht auf bringen, da ihre ganze Fahrhabe für Hauszins gepfändet sei.

940 Da nach den Berichten der städtischen Polizeidirektion und des Regiernngsstatthalteramtes der Leumund der Gesuchstellerin nicht ganz unbescholten ist, sieht sich der Regierungsrat des Kantons Bern nicht veranlaßt, ihre Begnadigung zu empfehlen.

Es ist nicht bestritten, daß die Gesuchstellerin zur Zeit der Übertretung des Patenttaxengesetzes sich in großer Not befand.

Auch geht aus den Akten nicht mit Sicherheit hervor, daß derselben ihre Pflicht, ein Patent zu lösen, v o r Einreichung der Strafanzeige bekannt war, daß sie also die strafrechtlichen Folgen ihrer Handlung kannte.

Da in Art. 8, Abs. l, des erwähnten Bundesgesetzes ein Strafminimum nicht vorgesehen, dem Richter daher ein großer Spielraum bei Ausmessung der Buße gegeben ist, so hätte, unter Berücksichtigung der vorliegenden Umstände, auf eine mildere, von der Angeschuldigten zu erschwingende Geldbuße erkannt werden dürfen.

Da die Gesuchstellerin infolge ihrer Mittellosigkeit nicht im stände ist, für den Rest der Buße aufzukommen, müßte nach Art. 8, Abs. 2 a. a. 0. eine Umwandlung der letztern in Gefängnis eintreten. Obwohl ihr Leumund nicht ganz unbescholten ist, erscheint es jedoch in Anbetracht der Geringfügigkeit des Handels, dem sie oblag, und der verhältnismäßig allzu hohen Buße zu hart, sie zu Gefängnis zu verurteilen.

Wir kommen demgemäß zu dem Schlüsse, Ihnen zu beantragen, der Gesuchstellerin den Rest der ihr durch das Urteil des Polizeirichters in Bern vom 11. Oktober 1898 auferlegten Geldbuße von Fr. 30 in Gnaden zu erlassen.

Genehmigen Sie, Tit., auch bei diesem Anlasse die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 5. Mai 1899.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, DerBundespräsident:

Müller.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Eingier.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung, betreffend das Begnadigungsgesuch der Witwe Elisabeth Stork, geborne Kniel, von Iggelheim bei Ludwigshafen, wohnhaft in Bern. (Vom 5. Mai 1899.)

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10.05.1899

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