09.051 Botschaft über die Genehmigung und die Umsetzung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der Europäischen Union betreffend die Übernahme der Verordnung und des Beschlusses über das Visa-Informationssystem (VIS) (Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands) vom 29. Mai 2009

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Wir unterbreiten Ihnen mit dieser Botschaft einen Entwurf zu einem Bundesbeschluss über die Genehmigung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der Europäischen Union betreffend die Übernahme der Verordnung (EG) Nr. 767/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das Visa-Informationssystem und den Datenaustausch zwischen den Mitgliedstaaten über Visa für einen kurzfristigen Aufenthalt sowie des Beschlusses 2008/633/JI des Rates über den Zugang der benannten Behörden der Mitgliedstaaten und von Europol zum Visa-Informationssystem (VIS) für Datenabfragen zum Zwecke der Verhütung, Aufdeckung und Ermittlung terroristischer und sonstiger schwerwiegender Straftaten (Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands). Der Bundesbeschlussentwurf enthält die für deren Umsetzung erforderlichen Änderungen des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer und des Bundesgesetzes über das Informationssystem für den Ausländer- und den Asylbereich.

Ausserdem unterbreiten wir Ihnen einen Entwurf zu Gesetzesänderungen, die aufgrund der Übernahme der genannten europäischen Rechtsakte erforderlich sind und im Sinn von Artikel 165 der Bundesverfassung dringlich erklärt werden müssen.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

29. Mai 2009

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Hans-Rudolf Merz Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2009-0556

4245

Übersicht Die vorliegende Botschaft betrifft die Genehmigung und die Umsetzung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der Europäischen Union betreffend die Übernahme der Verordnung und des Beschlusses über das Visa-Informationssystem (VIS). Sie beinhaltet ebenfalls die Umsetzung auf Gesetzesstufe, die für die Inbetriebnahme des VIS am 21. Dezember 2009 erforderlich ist.

Das Schweizer Volk hiess am 5. Juni 2005 an einer Volksabstimmung die Teilnahme der Schweiz an den Assoziierungsabkommen von Schengen und Dublin gut. Die Schweiz unterzeichnete das Schengen- sowie das Dublin-Assoziierungsabkommen am 20. März 2006. Sie hat sich im Grundsatz verpflichtet, auch die eventuellen Weiterentwicklungen des Schengen- und des Dublin-Besitzstands zu übernehmen.

Die VIS-Verordnung wurde der Schweiz am 16. Juli 2008 notifiziert. Der VISBeschluss, der die Zugangsberechtigungen der Behörden regelt, die in der Verhütung und Bekämpfung terroristischer und sonstiger schwerer Straftaten tätig sind, wurde der Schweiz am 25. September 2008 notifiziert. Der Bundesrat hat die Übernahme dieser beiden Rechtsakte vorbehältlich der definitiven Genehmigung durch das Parlament angenommen. Aufgrund der Verbindungen zwischen den beiden europäischen Rechtsakten ist es angezeigt, diese gleichzeitig in das schweizerische Recht umzusetzen.

A. Die VIS-Verordnung Die VIS-Verordnung legt die Zugangsberechtigungen zum zentralen europäischen VIS fest. Die Schweiz hat den Auftrag zu bestimmen, welche Behörden die Daten ­ einschliesslich der biometrischen Daten der Visumgesuchstellerinnen und -steller ­ erfassen dürfen, die anschliessend an das zentrale VIS übermittelt werden. Sie muss zudem regeln, welche Behörden diese Daten nach Massgabe der in der Verordnung vorgesehenen Zwecke abfragen dürfen. Der Zugang zu den VIS-Daten ermöglicht beispielsweise die Identifikation einer Person an einer Schengen-Aussengrenze oder auf dem Hoheitsgebiet der Schweiz anhand der Nummer der Visumvignette oder der Fingerabdrücke.

In einer ersten Phase werden die auf Grundlage der VIS-Verordnung erfassten Daten aus der aktuellen Datenbank EVA, einem Subsystem von ZEMIS, an das zentrale VIS übermittelt. Diese Datenbank wurde angepasst, um eine derartige Datenübermittlung zu ermöglichen. In einer zweiten Phase ist vorgesehen, ein neues nationales
Visa-Informationssystem einzuführen. Diese neue Datenbank ist zurzeit für 2011 geplant.

B. Der VIS-Beschluss Der Zugang der für die innere Sicherheit zuständigen Behörden zum zentralen VIS zur Verhütung und Bekämpfung des Terrorismus oder sonstiger schwerer Straftaten erfolgt auf folgende Weise: Die als zentrale Zugangsstelle benannte Einsatzzentrale des fedpol ist für die Prüfung der Anträge verantwortlich, die durch die betreffenden

4246

Behörden an sie gerichtet werden. Sie muss überprüfen, ob in einem konkreten Fall eine Einsicht in bestimmte Daten gerechtfertigt ist. Trifft dies zu, werden die Daten an die antragstellende Behörde übermittelt.

C. Besonderer Zeitplan Da die Inbetriebnahme des VIS für den 21. Dezember 2009 vorgesehen ist und die Teilnahme der Schweiz wie jene aller übrigen am VIS beteiligten Staaten erforderlich ist, müssen die Gesetzesänderungen, die im Dezember 2009 bereit sein müssen, dringlich erklärt werden. Damit das dringlich zu erklärende Gesetz in Kraft treten kann, müssen die entsprechenden Notenaustausche vorläufig angewendet werden.

Nur der Bundesrat ist ermächtigt, über eine vorläufige Anwendung eines völkerrechtlichen Vertrags zu entscheiden. Die Notenaustausche sowie die für 2011 vorgesehenen Gesetzesänderungen werden dem Parlament bereits im vorliegenden Gesetzesentwurf gemäss dem ordentlichen Verfahren zur Genehmigung unterbreitet.

4247

Inhaltsverzeichnis Übersicht

4246

1 Ausgangslage

4250

2 Notenaustausche betreffend die Übernahme der Verordnung (EG) Nr. 767/2008 und des Beschlusses 2008/633/JI 2.1 Übernahmeverfahren 2.2 Inhalt der VIS-Verordnung und des VIS-Beschlusses 2.2.1 Die VIS-Verordnung 2.2.2 Das Visa-Informationssystem 2.2.2.1 Übergangslösung 2.2.2.2 Ziellösung 2.2.3 Der VIS-Beschluss 2.3 Änderungen des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG) und des Bundesgesetzes über das Informationssystem für den Ausländer- und den Asylbereich (BGIAA) 2.3.1 Notwendigkeit der Anpassung 2.3.2 Beantragte Neuregelung für die Ziellösung 2.3.3 Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln 2.3.3.1 Erlass A: Bestimmungen des AuG 2.3.3.2 Erlass A: Bestimmungen des BGIAA 2.3.3.3 Erlass B: Bestimmungen des AuG 2.3.3.4 Erlass B: Bestimmungen des BGIAA

4251 4251 4252 4252 4253 4253 4254 4255

4256 4256 4257 4258 4258 4262 4262 4266

3 Begründung und Bewertung der vorgeschlagenen Lösung

4267

4 Auswirkungen auf den Bund und die Kantone 4.1 Finanzielle Auswirkungen 4.2 Andere Auswirkungen

4268 4268 4269

5 Verhältnis zur Legislaturplanung

4270

6 Rechtliche Aspekte 6.1 Verfassungsmässigkeit 6.2 Form der Erlasse 6.3 Vorläufige Anwendung der Notenaustausche

4270 4270 4271 4273

Bundesbeschluss über die Genehmigung und Umsetzung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der Europäischen Union betreffend die Übernahme der Verordnung und des Beschlusses über das Visa-Informationssystem (VIS) (Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands) (Entwurf)

4275

Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG) (Entwurf)

4283

4248

Notenaustausch vom 21. August 2008 zwischen der Schweiz und der Europäischen Gemeinschaft betreffend die Übernahme der Verordnung (EG) Nr. 767/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Juli 2008 über das Visa-Informationssystem (VIS) und den Datenaustausch zwischen den Mitgliedstaaten über Visa für einen kurzfristigen Aufenthalt (VIS-Verordnung) (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands) 4289 Notenaustausch vom 24. Oktober 2008 zwischen der Schweiz und der Europäischen Gemeinschaft betreffend die Übernahme des Beschlusses 2008/633/JI des Rates vom 23. Juni 2008 über den Zugang der für die innere Sicherheit zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten und von Europol zum Visa-Informationssystem (VIS) für Datenabfragen zum Zwecke der Prävention, Aufdeckung und Untersuchung terroristischer und sonstiger schwerwiegender Straftaten (VIS-Beschluss) (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands) 4291

4249

Botschaft 1

Ausgangslage

Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger haben am 5. Juni 2005 die bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union (EU) über die Assoziierung an Schengen und Dublin angenommen1. Die Schweiz hat alle EURechtsakte übernommen, auf die im Schengen-Assoziierungsabkommen (SAA)2 und im Dublin-Assoziierungsabkommen (DAA)3 Bezug genommen wird (sog.

Schengen- bzw. Dublin-Besitzstand)4. Am 1. März 2008 ist das SAA in Kraft getreten. Das Abkommen wird seit dem 12. Dezember 2008 angewendet. Die Schweiz hat sich zudem bereit erklärt, alle Rechtsakte, die den Schengen-Besitzstand weiterentwickeln, grundsätzlich zu übernehmen und soweit erforderlich in das schweizerische Recht umzusetzen (Art. 2 Abs. 3 und Art. 7 SAA). Die Übernahme einer Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands läuft im Rahmen eines bestimmten Verfahrens ab, gemäss welchem die Organe der EU der Schweiz den neuen Rechtsakt zuerst notifizieren und die Schweiz darauf eine Antwortnote übermittelt. Am 16. Juli 2008 ist der Schweiz durch den Rat der EU die Übernahme der Verordnung (EG) Nr. 767/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das VisaInformationssystem und den Datenaustausch über Visa für einen kurzfristigen Aufenthalt (VIS-Verordnung)5 notifiziert worden. Am 25. September 2008 ist der Schweiz durch die EU der Beschluss 2008/633/JI des Rates vom 23. Juni 2008 über den Zugang der benannten Behörden der Mitgliedstaaten und von Europol zum Visa-Informationssystem (VIS) für Datenabfragen zum Zwecke der Verhütung, Aufdeckung und Ermittlung terroristischer und sonstiger schwerwiegender Straftaten (VIS-Beschluss)6 notifiziert worden. Aus sachlichen Gründen ist es angezeigt, diese Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands gemeinsam in das Landesrecht zu übernehmen. Die Umsetzung und Übernahme der VIS-Verordnung sowie des VISBeschlusses sind Gegenstand dieser Botschaft.

1

2

3

4 5

6

Vgl. Bundesbeschluss vom 17. Dezember 2004 über die Genehmigung und die Umsetzung der bilateralen Abkommen über die Assoziierung an Schengen und Dublin (BBl 2004 7149).

Abkommen vom 26. Oktober 2004 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Union, der Europäischen Gemeinschaft über die Assoziierung dieses Staates bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands (AS 2008 481; SR 0.360.268.1).

Abkommen vom 26. Oktober 2004 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über die Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat oder in der Schweiz gestellten Asylantrags (AS 2008 515; SR 0.142.392.68).

Vgl. Anhänge A und B SAA (BBl 2004 6458) und Art. 1 DAA (BBl 2004 6481).

Verordnung (EG) Nr. 767/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Juli 2008 über das Visa-Informationssystem (VIS) und den Datenaustausch zwischen den Mitgliedstaaten über Visa für einen kurzfristigen Aufenthalt (ABl. L 218 vom 13.8.2008, S. 60).

ABl. L 218 vom 13.8.2008, S. 129.

4250

2

Notenaustausche betreffend die Übernahme der Verordnung (EG) Nr. 767/2008 und des Beschlusses 2008/633/JI

Mehrere durch die EU notifizierte Weiterentwicklungen im Bereich des Ausländerrechts müssen aufgrund ihrer Wichtigkeit und Tragweite vom Gesetzgeber genehmigt werden (Art. 166 Abs. 2 Bundesverfassung, BV7). Dies gilt auch für die VISVerordnung, welche die Funktionen des Visa-Informationssystems (VIS) regelt, sowie für den VIS-Beschluss, welcher den Zugang der Behörden im Bereich der inneren Sicherheit zum VIS regelt.

2.1

Übernahmeverfahren

Nach dem SAA muss die Schweiz entscheiden, ob sie einen ihr notifizierten Rechtsakt akzeptiert und gegebenenfalls in ihre innerstaatliche Rechtsordnung umsetzt.

Nach Artikel 7 Ziffer 2 Buchstabe a SAA ist die EU gehalten, der Schweiz die Annahme des betreffenden Rechtsakts «unverzüglich» zu notifizieren, und die Schweiz ist gehalten, innerhalb von 30 Tagen nach Annahme des Aktes zu antworten.

Der Rat der EU liess der Schweiz die Notifikation der VIS-Verordnung am 16. Juli 2008, also 23 Tage nach deren Annahme am 23. Juni 2008, zukommen. Dadurch war es der Schweiz nicht mehr möglich, die Frist von 30 Tagen nach Artikel 7 Ziffer 2 Buchstabe a SAA einzuhalten. Die Frist musste demnach ab der Notifikation des Rechtsaktes und nicht ab dessen Annahme beginnen. Am 20. August 2008 hat der Bundesrat die Übernahme dieser Verordnung vorbehältlich der definitiven Genehmigung durch das Parlament angenommen. Daraufhin übermittelte die Schweiz am 21. August 2008 dem Rat der EU ihre Antwortnote zur VIS-Verordnung.

Der VIS-Beschluss ist der Schweiz am 25. September 2008 notifiziert worden, also mehr als drei Monate nach dessen Annahme am 23. Juni 2008. Am. 24. Oktober 2008 übermittelte die Schweiz dem Rat der EU ihre Antwortnote vorbehältlich der definitiven Genehmigung durch das Parlament.

Die Notifikation durch die EU sowie die Antwortnote der Schweiz bilden einen Notenaustausch, der für die Schweiz einen völkerrechtlichen Vertrag darstellt.

Dieser Vertrag muss gemäss den Bestimmungen der BV entweder durch den Bundesrat oder das Parlament und, bei einem Referendum, durch das Volk genehmigt werden. In letzterem Fall verfügt die Schweiz für die Übernahme der notifizierten Rechtsakte und deren Umsetzung in schweizerisches Recht über eine Frist von höchstens zwei Jahren ab der Notifikation durch die EU (Art. 7 Ziff. 2 Bst. b SAA), d.h. bis Juli bzw. September 2010. Angesichts der Dringlichkeit des Projekts, in dessen Rahmen die Schweiz am 21. Dezember 2009 an das zentrale Visa-Informationssystem angeschlossen werden soll, muss die Schweiz bereits bis zu jenem Zeitpunkt bereit sein und über die erforderlichen Gesetzesgrundlagen verfügen.

7

SR 101

4251

Die Notenaustausche treten zu jenem Zeitpunkt in Kraft, an dem die Schweiz die EU über die Erfüllung der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen unterrichtet. Verweigert die Schweiz die Übernahme einer Weiterentwicklung des Besitzstands, wird ein besonderes Verfahren angewandt. Die Parteien haben im Rahmen eines Gemischten Ausschusses die Möglichkeiten zur Fortsetzung der Abkommen zu prüfen. Führt dieses Verfahren zu keinem Resultat, wird das Schengen-Assoziierungsabkommen als beendet angesehen (Art. 7 Ziff. 4 SAA).

2.2

Inhalt der VIS-Verordnung und des VIS-Beschlusses

2.2.1

Die VIS-Verordnung

Mit der Entscheidung 2004/512/EG8 des Rates vom 8. Juni 2004 wurde das VIS als Informationssystem für Visadaten geschaffen. In der Verordnung (EG) Nr. 767/2008 werden der Zweck, die Funktionen und die Zuständigkeiten für das System festgelegt. Des Weiteren werden die Voraussetzungen und Verfahren für den Austausch von Visadaten zwischen den Schengen-Staaten beschrieben. Um eine zuverlässige Identifikation der Visumgesuchstellerinnen und -steller zu ermöglichen, sind im System die biometrischen Daten (Fotografie und Abdrücke der zehn Finger) erfasst.

Die VIS-Verordnung sieht ausserdem vor, dass die Schengen-Staaten die zuständigen Behörden bestimmen, deren Angestellte die Daten des zentralen Systems (zentrales VIS) abfragen dürfen, soweit dies für die Erfüllung ihrer Aufgaben nötig ist.

Die Eingabe, Änderung oder Löschung von Daten im zentralen VIS über die nationale Datenbank ist ausschliesslich den dazu ermächtigten Angestellten der Visumbehörden vorbehalten. Die Abfrage der Daten des zentralen VIS, d.h. der Daten aller Schengen-Staaten, ist ausschliesslich den dazu ermächtigten Angestellten der Visumbehörden sowie der mit der Kontrolle der Aussengrenzen beauftragten Behörden und der Einwanderungs- und Asylbehörden vorbehalten, soweit die Daten zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich sind. Des Weiteren werden die Mitgliedstaaten in der Verordnung beauftragt, Bestimmungen über Sanktionen für die missbräuchliche Verwendung der im Informationssystem enthaltenen Daten zu erlassen.

Die technische Umsetzung des VIS, derzeit am 21. Dezember 2009 vorgesehen, wird durch die Schweiz bereits vorbereitet. Das System zur elektronischen Visumausstellung und -kontrolle (EVA) wurde angepasst, damit es mit dem zentralen VIS verbunden werden kann. Dabei handelt es sich jedoch um eine vorübergehende Massnahme. Im Jahr 2011 wird EVA, ein Subsystem des Informationssystems für den Ausländer- und Asylbereich (ZEMIS)9, durch eine neue nationale Visumdatenbank ersetzt.

8 9

ABl. L 213 vom 15. Juni 2004, S. 5.

Verordnung vom 12. April 2006 über das Zentrale Migrationsinformationssystem (ZEMIS-Verordnung; SR 142.513).

4252

2.2.2

Das Visa-Informationssystem

2.2.2.1

Übergangslösung

Am 21. Dezember 2009 wird eine Hybridlösung eingeführt, damit die schweizerischen Behörden bereits Zugang zu den Daten des zentralen VIS, also den Daten der Schengen-Staaten, haben. Die Anwendung «nationales VIS» (N-VIS) wird die Übermittlung der erheblichen, von den schweizerischen Behörden auf Grundlage der VIS-Verordnung erfassten Daten vom Subsystem EVA in das zentrale Visumsystem (CS-VIS oder C-VIS) ermöglichen. Die Benutzerinnen und Benutzer werden über eine Zugangsstelle namens CVC Zugang zu den Daten des zentralen VIS haben.

Dank der Plattform für die elektronischen Dokumente (eDoc), die ab März 2010 insbesondere für die Reisepapiere für Ausländerinnen und Ausländer sowie für die biometrischen Schweizer Pässe zur Verfügung stehen sollte, wird auch die Erfassung biometrischer Daten möglich sein. Die Schweiz sieht vor, sich auf Grundlage von Teil II Punkt 1.2 Buchstabe b der Gemeinsamen konsularischen Instruktion an die diplomatischen Missionen und konsularischen Vertretungen, die von Berufskonsularbeamten geleitet werden10, vertreten zu lassen, um vom 21. Dezember 2009 bis Ende Februar 2010 die Erfassung biometrischer Daten zu gewährleisten.

Die Anwendung VISION ist hingegen lediglich ein Kommunikationsmittel, das es insbesondere erlaubt, von den anderen Schengen-Staaten bestimmte Daten über die Gesuchstellerinnen und -steller von Schengen-Visa zu erhalten, wenn die Schweiz wünscht, konsultiert zu werden, bevor bestimmten Drittstaatsangehörigen ein Schengen-Visum erteilt wird. Das System VISION wird in gleicher Weise dazu verwendet, den anderen Schengen-Staaten, die vor der Erteilung von Schengen-Visa durch die Schweiz konsultiert werden möchten, Daten zu übermitteln. VISION ist bereits seit dem 12. Dezember 2008 in Kraft und hat keine direkten Auswirkungen auf die vorliegenden Gesetzesänderungen.

10

ABl. C 326 vom 22.12.2005, S. 1

4253

Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement EJPD Bundesamt für Migration BFM

ISC-EJPD

EU

Schweiz

Benutzer

Hybridlösung

2.2.2.2

N-VIS

Biometrie

VISION

VIS-Mail

N-VIS

eDoc

Client

Client

EVA-Client

lokal

VISION

N-VIS

CVC

eDoc

Konsultation

EVA-Server

Central VIS Comp

zentral

VIS-Mail Mailaustausch

Visa-DB

ZEMIS

Antragsdaten

Pers.daten

BiometrieDB

VISION

VIS-Mail

CS-VIS

Mail Server

Mail Server

Zentralsystem

MS1

MS2

Server

Server

...

MS1

MS2

N-VIS

N-VIS

...

Ziellösung

Für das Jahr 2011 ist vorgesehen, eine neue nationale Datenbank zu schaffen, welche insbesondere die Daten enthält, die in Anwendung der VIS-Verordnung zwingend in das zentrale VIS übertragen werden müssen. Diese Datenbank wird als «nationales Visumsystem» bezeichnet. Der Zugang der schweizerischen Behörden zu dieser neuen Datenbank muss, wie jener auf das zentrale VIS, auf Gesetzesstufe geregelt werden. Die Benutzerin oder der Benutzer greift direkt über die Zugangsstelle CVC auf die Daten des zentralen VIS zu, ohne über das neue nationale Visumsystem gehen zu müssen.

Sämtliche Änderungen oder Löschungen von Daten, die in Anwendung der VISVerordnung im nationalen Visumsystem erfasst wurden, müssen unverzüglich an das zentrale VIS übermittelt werden.

4254

Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement EJPD Bundesamt für Migration BFM

EU

2.2.3

ISC-EJPD

Schweiz

Benutzer

Ziellösung N-VIS

Biometrie

VISION

VIS-Mail

N-VIS

eDoc

Client

Client

Client

lokal

VISION

N-VIS

CVC

eDoc

Konsultation

Server

Central VIS Comp

zentral

VIS-Mail Mailaustausch

Visa-DB

- Personendaten - Antragsdaten - Biometriedaten

VISION

VIS-Mail

CS-VIS

Mail Server

Mail Server

Zentralsystem

MS1

MS2

Server

Server

...

MS1

MS2

N-VIS

N-VIS

...

Der VIS-Beschluss

Im VIS-Beschluss ist festgelegt, unter welchen Bedingungen die für die innere Sicherheit zuständigen Behörden das zentrale VIS abfragen können. Der Beschluss ergänzt die VIS-Verordnung und ist Teil der Massnahmen zur Verhütung und Aufdeckung von schweren, insbesondere terroristischen Straftaten. Die Datenabfrage wird den Behörden im Rahmen ihrer Befugnisse und unter den im VIS-Beschluss festgehaltenen Bedingungen gewährt. Die Behörden können bestimmte Daten des zentralen VIS von zentralen Zugangsstellen erhalten, die dafür verantwortlich sind, dass die im VIS-Beschluss bestimmten Zugangsbedingungen eingehalten werden.

Die Behörden reichen bei den Zugangsstellen einen für jeden einzelnen Fall hinreichend begründeten schriftlichen ­ brieflich oder elektronisch verfassten ­ Antrag ein. Die Zugangstelle oder die Zugangstellen führen eine Suche anhand der im Beschluss genannten Daten durch. Im Fall eines Treffers bei der Suche im System werden der antragstellenden Behörde nur die im VIS-Beschluss genannten Daten übermittelt. Die Schweiz muss die Behörden, die solche schriftliche Anträge stellen können, sowie die zentralen Zugangsstellen benennen.

4255

2.3

Änderungen des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG) und des Bundesgesetzes über das Informationssystem für den Ausländer- und den Asylbereich (BGIAA)

2.3.1

Notwendigkeit der Anpassung

Die VIS-Verordnung enthält zum Teil direkt anwendbare Bestimmungen. Bestimmte Punkte müssen hingegen auf formellgesetzlicher Ebene konkretisiert werden. So sind die Schengen-Staaten verpflichtet, Bestimmungen über Sanktionen auf Basis der VIS-Verordnung (Art. 36) zu erlassen. Diese für die Ahndung der entsprechenden Widerhandlungen erforderlichen Bestimmungen sind im Schweizerischen Strafgesetzbuch (StGB)11 bereits enthalten. Bei missbräuchlicher Verwendung besonders schützenswerter Daten etwa wird meistens Artikel 179novies StGB (unbefugtes Beschaffen von Personendaten) in Verbindung mit Artikel 35 des Bundesgesetzes vom 19. Juni 199212 über den Datenschutz (DSG) (Verletzung der beruflichen Schweigepflicht) zur Anwendung kommen. Weitere Artikel des Strafgesetzbuches wie die Artikel 143 StGB (unbefugte Datenbeschaffung) und 143bis StGB (unbefugtes Eindringen in ein Datenverarbeitungssystem) kommen ebenfalls in Frage. Etwas weniger wahrscheinlich ist der Fall, dass für die Verwendung der Daten verantwortliche Beamte das Amtsgeheimnis im Sinn von Artikel 320 StGB verletzen. Im Zusammenhang mit der Dublin-Assoziierung der Schweiz wurde hingegen im Asylgesetz vom 26. Juni 199813 (AsylG) eine besondere Strafbestimmung eingeführt, nach welcher die unrechtmässige Bearbeitung von Daten des EurodacSystems geahndet wird (Art. 117a AsylG14). Es ist sinnvoll, diese Sanktion zu übernehmen, also eine Busse bis 10 000 Franken für Personen, die Personendaten des zentralen VIS zu einem anderen als dem in der VIS-Verordnung oder im VISBeschluss vorgesehenen Zweck bearbeiten oder die Personendaten der nationalen Datenbank zu einem von ihren gesetzlichen Aufgaben abweichenden Zweck bearbeiten (siehe zukünftige Verordnung über das zentrale VIS und über das nationale Visumsystem).

Des Weiteren muss der Europäischen Union mitgeteilt werden, welche von der Schweiz benannten Behörden auf Basis der VIS-Verordnung und des VISBeschlusses berechtigt sind, im zentralen VIS Daten einzugeben oder Daten abzufragen. Die Benennung der betreffenden Behörden muss zudem formellgesetzlich erfolgen, falls diese besonders schützenswerte Daten bearbeiten oder übermitteln müssen (Art. 17 Abs. 2 und 19 Abs. 3 DSG). Das zentrale Visa-Informationssystem und die neue nationale Visumdatenbank umfassen besonders schützenswerte Daten wie z.B. die
Gründe für die Ablehnung der Visumerteilung (Art. 12 Abs. 2 der Verordnung). Dementsprechend ist vorgesehen, insbesondere eine neue Gesetzesbestimmung für die nationale Visumdatenbank zu schaffen. Zudem müssen neue Gesetzesgrundlagen geschaffen werden, in denen die Behörden aufgeführt werden, die berechtigt sind, die Daten des nationalen Visumsystems einerseits und jene des zentralen VIS andererseits abzufragen. Es muss ebenfalls geregelt werden, welche Behörden berechtigt sind, im Rahmen des zentralen VIS erforderliche Daten nach Massgabe der VIS-Verordnung im nationalen Visumsystem einzugeben.

11 12 13 14

SR 311.0 SR 235.1 SR 142.31 AS 2008 458

4256

2.3.2

Beantragte Neuregelung für die Ziellösung

Die neuen Artikel werden in das Bundesgesetz vom 16. Dezember 200515 über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG) aufgenommen, da zurzeit feststeht, dass das Visa-Informationssystem nicht Teil des Informationssystems für den Ausländer- und Asylbereich (ZEMIS)16 sein wird. Da es um Daten im Bereich Visumerteilung oder -verweigerung geht, ist das AuG aus inhaltlichen Gründen das richtige Gesetz. Eine Bestimmung (Art. 109a AuG) bezieht sich auf die Behörden, die das zentrale VIS abfragen können. Es muss festgelegt werden, welche Behörden nach Massgabe der europäischen Vorschriften zu welchem Zweck Zugang zum System haben. Des Weiteren wird die zentrale Zugangsstelle bestimmt (Art. 109a AuG), bei der die Polizei- und Strafverfolgungsbehörden schriftlich Daten aus dem zentralen VIS beantragen können. Artikel 109b AuG bietet die Gesetzesgrundlage für die neue nationale Visumdatenbank ­ das schweizerische Visumsystem für die Eingabe der Daten zu den Visumgesuchstellerinnen und -stellern, durch welches ein Teil dieser Daten gleichzeitig in das zentrale VIS übermittelt wird. Eine weitere Bestimmung regelt die Abfrage der Daten der neuen nationalen Visumdatenbank, also der ausschliesslich schweizerischen Daten (Art. 109c AuG).

Nach dem VIS-Beschluss sind in einem Artikel ausserdem die Behörden zu benennen, die von den europäischen Staaten kontaktiert werden können, für die die VISVerordnung noch nicht in Kraft getreten ist und die zur Verhütung oder Bekämpfung des Terrorismus oder anderer schwerer Straftaten Informationen aus dem System erhalten möchten (Art. 109d AuG).

In Artikel 109e AuG werden die Ausführungsbestimmungen geregelt. Es ist insbesondere vorgesehen, die verschiedenen Behörden mit einer Berechtigung zur Dateneingabe oder -abfrage auf Verordnungsebene genau zu benennen. Die Übertragung der entsprechenden Befugnisse an den Bundesrat wird auf Gesetzesstufe festgeschrieben.

Ferner ist eine Sanktion für das zweckwidrige Bearbeiten der Daten des zentralen oder nationalen VIS vorgesehen (Art. 120d AuG).

Schliesslich müssen aufgrund der Umsetzung des VIS die Fingerabdrücke der Visumgesuchstellerinnen und -steller erfasst werden. Diese Erfassung wird zurzeit nicht von allen Botschaften durchgeführt und wird zu einer Überlastung führen.

Daher ist es notwendig, im Rahmen des Visumverfahrens in den
Botschaften die Übertragung bestimmter Aufgaben auf Dritte vorzusehen (Art. 98b AuG).

Eine weitere Änderung betrifft den zukünftigen, der Schweiz noch nicht notifizierten Visakodex der Gemeinschaft (Art. 6 AuG).

Ausserdem sind einige Anpassungen im Bundesgesetz vom 20. Juli 200317 über das Informationssystem für den Ausländer- und den Asylbereich (BGIAA) erforderlich.

15 16 17

SR 142.20 Verordnung vom 12. April 2006 über das Zentrale Migrationsinformationssystem (ZEMIS-Verordnung; SR 142.513).

SR 142.51

4257

2.3.3

Erläuterungen zu den einzelnen Artikeln

2.3.3.1

Erlass A: Bestimmungen des AuG

Bei Erlass A handelt es sich um das Bundesgesetz, das nach Ziffer 6.2 dringlich erklärt werden muss. Im folgenden Kapitel werden die Bestimmungen des AuG erläutert.

Art. 98b

Übertragung von Aufgaben im Visumverfahren an Dritte

Abs. 1 Nach Artikel 178 Absatz 3 BV18 können Verwaltungsaufgaben durch Gesetz Organisationen und Personen des öffentlichen oder privaten Rechts übertragen werden, die ausserhalb der Bundesverwaltung stehen.

Aus praktischen Gründen müssen im Visumverfahren verschiedene Aufgaben an Dritte übertragen werden, die nicht zur Bundesverwaltung gehören. Folglich muss diese Aufgabenübertragung auf Gesetzesstufe festgehalten werden. In Artikel 98b wird festgelegt, welche Aufgaben im Kompetenzbereich des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) und der schweizerischen Botschaften im Ausland auf Dritte übertragen werden können. Dabei geht es vor allem um administrative Aufgaben.

Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass Dritte mit dem Erfassen biometrischer Daten beauftragt werden können. Bei der Umsetzung der VIS-Verordnung müssen zum gegebenen Zeitpunkt nämlich die Fingerabdrücke der Visumgesuchstellerinnen und -steller erfasst werden. Die schweizerischen Vertretungen im Ausland und die weiteren vom Bundesrat benannten Behörden werden ­ bei durchschnittlich 330 Gesuchen pro Tag und Spitzenwerten von bis zu 900 Gesuchen pro Tag während Perioden hohen Andrangs ­ diese Fingerabdrücke nicht allein erfassen können. Auch die Erhebung der Gebühren auf Grundlage der Gebührenverordnung AuG vom 24. Oktober 200719 muss Dritten übertragen werden können. Die gesuchstellende oder sie vertretende Person bezahlt beispielsweise die Gebühr bei einer externen Stelle, die auch die Dokumente für das Visumgesuch entgegennimmt.

Sobald die Zahlung erfolgt und das Dossier vollständig ist, fällt die Behörde einen Entscheid. Dadurch kann bestimmten schweizerischen Auslandvertretungen die Bearbeitung der Visumanträge wesentlich erleichtert werden.

Abs. 2 Aus Artikel 98b Absatz 2 AuG geht hervor, dass die schweizerischen Vertretungen im Ausland sowie das Bundesamt für Migration (BFM) dafür sorgen müssen, dass die Datenschutz- und -sicherheitsvorschriften von den beauftragten Dritten erfüllt werden.

Abs. 3 Der Bundesrat soll genauer bestimmen, welche Rahmenbedingungen erfüllt sein müssen, damit Aufgaben auf private Unternehmen im Ausland übertragen werden können.

18 19

SR 101 SR 142.209

4258

Art. 109a

Abfrage der Daten des zentralen Visa-Informationssystems

Abs. 1 In Artikel 109a Absatz 1 AuG wird dargelegt, welche Daten im zentralen VIS (C-VIS) enthalten sind.

Abs. 2 In Artikel 109a Absatz 2 AuG werden die Behörden aufgezählt, welche die Daten des zentralen VIS abfragen können. Mehrere Einheiten sind zur Abfrage der Daten des zentralen Systems berechtigt, wobei der Zweck der Abfrage jeweils eindeutig festgelegt ist. Die Abfrage ist teilweise auf bestimmte Daten beschränkt. Es wird sichergestellt, dass die Daten, die nach VIS-Verordnung in der Visumdatenbank der Schweiz eingegeben werden müssen, auch im zentralen VIS erfasst sind (siehe Art. 8a Abs. 2 BGIAA in Erlass A und Art. 109b AuG in Erlass B).

Bst. a Der Zweck des Systems besteht hauptsächlich darin, die Aufgaben der Bundes- und Kantonsbehörden zu erleichtern. Vor allem das Visumverfahren soll durch den Zugang zu eventuell bereits vorhandenen Informationen zu den Visumgesuchstellerinnen und Visumgesuchstellern erleichtert werden. Darum können das BFM, die schweizerischen Vertretungen im Ausland, die Missionen, die für die Visa zuständigen kantonalen Migrationsbehörden sowie das Staatssekretariat und die Politische Direktion des EDA im Rahmen des Visumverfahrens bestimmte Daten des zentralen VIS abfragen. Im Rahmen der Ausstellung von Ausnahmevisa haben auch das Grenzwachtkorps und die Grenzposten der kantonalen Polizeibehörden direkten Zugang zum zentralen VIS.

Bst. b Zweitens soll das zentrale System verhindern, dass die Kriterien zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Asylgesuchsprüfung zuständig ist, umgangen werden, und es soll die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin-Verordnung)20 erleichtern. Durch die Abfrage des zentralen VIS können die Asylbehörden überprüfen, ob eine Person bereits ein Visum von einem Schengen-Staat erhalten hat. Die Visumerteilung durch einen Dublin-Staat kann dazu führen, dass er nach Dublin-Verordnung (Art. 9 Dublin-Verordnung) für die Prüfung des Asylgesuchs verantwortlich und zuständig ist. Ist die Schweiz gegebenenfalls der Ansicht, dass ein anderer Dublin-Staat zuständig ist, wendet sie sich über das Dublin-Büro an ihn.

Erweist es sich, dass der betreffende Staat die Person wieder aufnimmt, so wird ein Nichteintretensentscheid zum Asylgesuch gefällt, und die Person wird in den Dublin-Staat rückgewiesen (Art. 34 Abs. 2 Bst. d
AsylG). Dementsprechend kann das BFM bestimmte Personendaten des zentralen VIS abfragen, um den Staat zu bestimmen, der auf Grundlage der Dublin-Verordnung für die Bearbeitung eines Asylgesuchs verantwortlich ist.

20

Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. L 50 vom 25.2.2003, S. 1).

4259

Zudem steht es dem BFM frei, das zentrale VIS im Rahmen der Prüfung eines Asylgesuchs abzufragen, wenn die Schweiz der zuständige Dublin-Staat ist (Art. 22 Dublin-Verordnung).

Bst. c Des Weiteren ermöglicht die Abfrage des Informationssystems eine optimale Kontrolle an den Schengen-Aussengrenzen und auf dem Hoheitsgebiet der Schweiz.

Deshalb sind das Grenzwachtkorps und die für die Kontrolle der SchengenAussengrenzen verantwortlichen kantonalen Polizeibehörden berechtigt, die Daten des zentralen VIS abzufragen.

Bst. d Das Grenzwachtkorps und die kantonalen Polizeibehörden, die Identitätskontrollen durchführen, um zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für die Einreise in das Hoheitsgebiet der Schweiz oder den Aufenthalt darin erfüllt sind, sind zu diesem Zweck ebenfalls zur Abfrage bestimmter Daten des zentralen VIS berechtigt.

Abs. 3 Das zentrale VIS bietet auch den benannten Polizei- und Strafverfolgungsbehörden die Möglichkeit, in bestimmten Fällen Zugang zu bestimmten Informationen zu erhalten. Ziel ist es, zur Verhütung, Aufdeckung und Ermittlung terroristischer oder sonstiger schwerer Straftaten beizutragen. Zu diesem Zweck muss ein schriftlicher, begründeter Antrag an eine benannte zentrale Zugangsstelle gerichtet werden. Nur wenn die in Artikel 5 des VIS-Beschlusses festgehaltenen Bedingungen erfüllt sind und die Suche im VIS zu einem Treffer führt, werden die genannten VIS-Daten den antragstellenden Behörden übermittelt. In dringenden Ausnahmefällen kann die zentrale Zugangsstelle auch mündlich gestellte Anträge entgegennehmen und unverzüglich bearbeiten. Sie überprüft erst nachträglich, ob alle Bedingungen nach Artikel 5 des Beschlusses erfüllt sind und ob tatsächlich ein dringender Ausnahmefall gegeben war. Die nachträgliche Überprüfung ist innerhalb einer nützlichen Frist nach der Bearbeitung des Antrags durchzuführen.

Die berechtigten Behörden im Sinn des VIS-Beschlusses (Art. 3) sind in Artikel 109a Absatz 3 AuG aufgeführt: das Bundesamt für Polizei (fedpol), der Dienst für Analyse und Prävention (DAP), die Bundesanwaltschaft, die kantonalen Polizeiund Strafverfolgungsbehörden und die Polizeikorps der Städte Zürich, Winterthur, Lausanne, Chiasso und Lugano. Die aufgeführten kommunalen Polizeibehörden sind ebenfalls berechtigt, da sie gleich wie die Kantonspolizeien kriminalpolizeiliche
Aufgaben im Rahmen der Verhütung, Aufdeckung und Ermittlung schwerer Straftaten im Sinne des VIS-Beschlusses wahrnehmen. Sie können ihre Anträge an die zentrale Zugangstelle richten.

Abs. 4 Zentrale Zugangsstelle mit direktem Zugang zu den Daten des zentralen VIS ist die Einsatzzentrale des fedpol (Art. 109a Abs. 4 AuG). Die Einsatzzentrale des fedpol beantwortet die Anträge, die durch die in Absatz 3 genannten Behörden an sie gerichtet werden.

4260

Art. 109b

Informationsaustausch mit EU-Mitgliedstaaten, für welche die Verordnung (EG) Nr. 767/2008 noch nicht in Kraft ist

Der Informationsaustausch im Sinn von Artikel 6 des Beschlusses 2008/633/JI des Rates vom 23. Juni 2008 zwischen der Schweiz und den Strafverfolgungsbehörden jener EU-Mitgliedstaaten, für die die VIS-Verordnung noch nicht in Kraft getreten ist, muss gewährleistet werden. Hier ist z.B. zu erwähnen, dass die VIS-Verordnung für das Vereinigte Königreich und Irland zurzeit nicht in Kraft getreten ist. Die im VIS-Beschluss festgehaltenen Bedingungen für den Zugang der benannten Behörden zu den Daten des Systems gelten gleichermassen. Ferner haben die Anfragen anhand eines hinreichend begründeten schriftlichen oder elektronischen Antrags an die in Artikel 109a Absatz 3 AuG genannten Behörden der Schweiz zu erfolgen. Diese richten ihren Antrag darauf an die Einsatzzentrale des fedpol.

Auf der anderen Seite kann die Schweiz bei Mitgliedstaaten, für die die VISVerordnung noch nicht in Kraft getreten ist, beantragen, ihr ihre Visadaten zu liefern. Diese Anträge sind ebenfalls hinreichend begründet und schriftlich oder elektronisch einzureichen. Der VIS-Beschluss sieht vor, dass diese Mitgliedstaaten der Schweiz die von ihr angefragten Daten übermitteln müssen, sofern die im Beschluss festgehaltenen Bedingungen erfüllt sind.

Art. 109c

Ausführungsbestimmungen zum C-VIS

Der Bundesrat wird beauftragt, genauer zu bestimmen, welche Organisationseinheiten der Behörden nach den Artikeln 109a Absätze 2 und 3 AuG zuständig sind.

Diese werden in einer Ausführungsverordnung festgelegt.

Damit die VIS-Verordnung und der VIS-Beschluss angewendet werden können, muss der Bundesrat in Ausführungsbestimmungen zudem mehrere Punkte konkretisieren. In Bezug auf den VIS-Beschluss muss der Bundesrat insbesondere das Verfahren für den Erhalt der Daten des zentralen VIS durch die in Artikel 109a Absatz 3 AuG genannten Behörden festlegen (vgl. Erläuterungen Ziff. 2.3.3.1 Art. 109a Abs. 3 AuG). Schliesslich muss auch der Katalog der Straftaten nach Artikel 109a Absatz 3 AuG in einer Verordnung festgelegt werden.

Es muss ebenfalls geregelt werden, wie umfassend der Online-Zugang zum zentralen VIS ist. Auch das Verfahren für den Informationsaustausch nach Artikel 109b AuG muss genau bestimmt werden. Es ist angemessen, den Bundesrat diese Aspekte auf einer einem Bundesgesetz untergeordneten Ebene regeln zu lassen, da sie detaillierter sind und öfter geändert werden (z.B. Schaffung neuer Behörden). Die Übertragung auf den Bundesrat ermöglicht somit eine bestimmte Flexibilität innerhalb des gesetzlich festgelegten Rahmens.

Art. 120d

Zweckwidriges Bearbeiten von Personendaten im C-VIS

Die Regelung in Bezug auf das zweckwidrige Bearbeiten von Eurodac-Daten (Art. 117a AsylG) wird hier im Rahmen des VIS übernommen. Artikel 120d ist am 12. Dezember 2008, zum Zeitpunkt der Anwendung der Schengen-Abkommen, in Kraft getreten21. Artikel 120d wird zum neuen Artikel 120e AuG. Der neue Arti21

Änderungen des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer (Ergänzungen im Rahmen der vollständigen Umsetzung des Schengen- und Dublin-Besitzstands); BBl 2008 5287.

4261

kel 120d AuG betrifft das zentrale VIS und muss am 21. Dezember 2009 in Kraft treten. Eine ähnliche Bestimmung ist für die Gesetzesänderungen im Hinblick auf das neue nationale Visumsystem vorgesehen.

Art. 120e

Strafverfolgung

Der geltende Artikel 120d wird zu Artikel 120e AuG. Artikel 120e AuG muss nun mit einem Verweis auf den neuen Artikel 120d AuG zum zweckwidrigen Bearbeiten von Personendaten im Rahmen des zentralen VIS ergänzt werden. Diese Anpassung muss ebenfalls am 21. Dezember 2009 in Kraft treten.

2.3.3.2

Erlass A: Bestimmungen des BGIAA

Bei Erlass A handelt es sich um das Bundesgesetz, das nach Ziffer 6.2 dringlich erklärt werden muss. Im folgenden Kapitel werden die Bestimmungen des BGIAA erläutert.

Art. 4 Abs. 1 Bst. c Das BGIAA muss angepasst werden, um festzulegen, welche neuen Visadaten auf Grundlage der VIS-Verordnung von der Schweiz erfasst werden müssen. In dieser Bestimmung werden die in Artikel 109b AuG ­ der erst 2011 in Kraft treten wird ­ genannten Daten übernommen (Erlass B, Ziff. 2.3.3.3). Zu jenem Zeitpunkt muss der vorliegende Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe c aufgehoben werden.

Art. 8a

Daten über Visa

Artikel 8a BGIAA muss im Dezember 2009 in Kraft treten und wird bei Inbetriebnahme der neuen Visumdatenbank im Jahr 2011 aufgehoben.

Abs. 1 In Absatz 1 wird bestimmt, welche Behörden Daten nach Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe c BGIAA im Informationssystem für den Ausländer- und den Asylbereich eingeben, ändern oder löschen können.

Abs. 2 In Absatz 2 wird auf die VIS-Verordnung verwiesen.

Abs. 3 Der Bundesrat wird beauftragt die Einheiten der Behörden nach Artikel 8a Absatz 1 BGIAA zu bestimmen.

2.3.3.3

Erlass B: Bestimmungen des AuG

Bei Erlass B handelt es sich um den Bundesbeschluss über die Genehmigung der Notenaustausche, der die Gesetzesbestimmungen enthält, die für deren Umsetzung erforderlich sind (siehe Ziff. 6.2). Im folgenden Kapitel werden die Bestimmungen des AuG erläutert. Die Artikel 98b, 109a und 120e AuG müssen in derselben Form wie die ab Dezember 2009 geltenden Artikel übernommen werden. Daher wird 4262

in Bezug auf diese Artikel auf die Erläuterungen zu Erlass A unter Ziffer 2.3.3.1 verwiesen.

Art. 6 Abs. 2­4

Ausstellung des Visums

Nach Artikel 141a Absatz 2 BV können die Gesetzesänderungen im Zusammenhang mit der Umsetzung eines Vertrags in den Bundesbeschluss über die Genehmigung des entsprechenden Vertrags aufgenommen werden. Im vorliegenden Fall besteht eine indirekte Verbindung zwischen Artikel 6 AuG und der Übernahme der VISVerordnung. Im Hinblick auf die Übernahme des Visakodex der Gemeinschaft ist die Frage der Verweigerung der Visumerteilung zu regeln. Diese Frage wird im Rahmen der VIS-Verordnung nicht geregelt. Da es jedoch um ein Verfahren im Visabereich geht, das eng mit der VIS-Verordnung verbunden ist, ist es sinnvoll, die einzige im Rahmen des Visakodex durchzuführende Gesetzesänderung bereits hier einzuführen. Gemäss Visakodex ist vorgesehen, bei Verweigerung eines SchengenVisums systematisch das Formblatt in Anlage VI des Kodex abzugeben (Art. 32 Abs. 2 des Visakodex der Gemeinschaft)22. Im Visakodex der Gemeinschaft ist vorgesehen, dass diese neue Regelung 18 Monate und 20 Tage nach der Veröffentlichung im Amtsblatt der EU umgesetzt wird (vgl. Art. 58 des Visakodex der Gemeinschaft). Zurzeit ist es schwierig vorherzusagen, wann diese Veröffentlichung erfolgen und wann der Rechtsakt der Schweiz als Weiterentwicklung des SchengenBesitzstands notifiziert werden wird. Der Bundesrat wird zu gegebenem Zeitpunkt über das Inkrafttreten dieser Bestimmung befinden müssen.

Abs. 2 Das bisherige zweistufige Verfahren muss aus prozessökonomischen Gründen beibehalten werden. So muss die zuständige Auslandvertretung die Gesuchstellerin oder den Gesuchsteller mittels des Standardformulars über die Verweigerung des Visums informieren.

Abs. 3 Nur auf Antrag und gegen Entrichtung einer Gebühr erlässt die zuständige Behörde, entweder das BFM oder das EDA, eine begründete und beschwerdefähige Verfügung. Dieser Entscheid kann darauf beim Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der ordentlichen Verwaltungsprozessvorschriften angefochten werden.

Abs. 4 Artikel 6 Absatz 4 AuG entspricht dem geltenden Artikel 6 Absatz 3 AuG.

Art. 71 Einleitungssatz und Bst. c Dieser Artikel wird lediglich geändert, um das Kürzel des Eidgenössischen Justizund Polizeidepartements (EJPD) einzuführen.

22

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über einen Visakodex der Gemeinschaft, VISA 120, CODEC 491, COMIX 283, nicht im Amtsblatt veröffentlicht.

4263

Art. 109b

Nationales Visumsystem

Abs. 1 In Artikel 109b Absatz 1 AuG wird dargelegt, dass das BFM das nationale Visumsystem betreibt. Der Verwendungszweck des Systems wird darin ebenfalls erwähnt.

Die berechtigten Behörden können in diesem System die Personendaten, einschliesslich der besonders schützenswerten Daten, der Visumgesuchstellerinnen und -steller erfassen und nachführen.

Abs. 2 In Absatz 2 wird beschrieben, welche Datenkategorien im neuen nationalen System enthalten sind, d.h. alphanumerische Daten über die Gesuchstellerinnen und Gesuchsteller und über die beantragten, erteilten, abgelehnten, annullierten, aufgehobenen oder verlängerten Visa, die Fotografien und die Fingerabdrücke der Gesuchstellerinnen und Gesuchsteller sowie die Verbindungen zwischen bestimmten Visumgesuchen. Beim Erfassen werden die meisten Daten direkt an das zentrale VIS, welches die Daten sämtlicher Schengen-Staaten umfasst, übermittelt. Die nationale Visumdatenbank enthält weitere Daten, die nicht an das zentrale VIS übermittelt werden müssen. Diese Daten werden lediglich von den schweizerischen Behörden benötigt und beziehen sich auf von der Schweiz erteilte nationale Visa, d.h. Visa, die in Verbindung mit einer Aufenthaltsbewilligung stehen. Demnach werden Informationen zum Aufenthalt in der Schweiz sowie zur familiären Situation der betreffenden Personen erfasst. Diese spezifischen Daten werden heute bereits in EVA erfasst.

Abs. 3 Nur die zuständigen Visabehörden haben zum Zweck der Eingabe, Änderung oder Löschung von Daten Zugang zur nationalen Datenbank. Dieser Grundsatz wird in Absatz 3 von Artikel 109b AuG festgehalten. Zudem wird der Zugang zum obengenannten Zweck in Bezug auf die Daten für das zentrale VIS in der VIS-Verordnung analog geregelt (Art. 6 und 8­17 der VIS-Verordnung). Jede Eingabe oder Änderung von Daten, die in Anwendung der VIS-Verordnung in der nationalen Datenbank erfasst wurden, muss dem zentralen System übermittelt werden.

Art. 109c

Abfrage des nationalen Visumsystems

Mit der Umsetzung des nationalen Visumsystems wird die Datenbank EVA, ein aktuelles Subsystem des Informationssystems für den Ausländer- und Asylbereich (ZEMIS), ersetzt. Um einen ähnlichen Zugang auf die nationalen Daten ­ d.h. auf das nationale Visumsystem ­ sicherzustellen, ist es angezeigt, hier im Wesentlichen die aktuellen Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 20. Juni 200323 über das Informationssystem für den Ausländer- und Asylbereich (BGIAA), namentlich Artikel 9 Absatz 1, zu übernehmen. Es muss klar festgelegt werden, welche Behörden in welchem Rahmen berechtigt sind, das nationale Visumsystem abzufragen.

23

SR 142.51

4264

Bst. a Das Grenzwachtkorps und die Grenzposten der kantonalen Polizeibehörden können direkt auf die neue Datenbank zugreifen, damit sie Personenkontrollen durchführen und Ausnahmevisa ausstellen können.

Bst. b Die schweizerischen Vertretungen im Ausland und die Missionen müssen Zugang zum Visa-Informationssystem haben, insbesondere zur Prüfung der Visumgesuche.

Bst. c Das Staatsekretariat und die Politische Direktion des EDA erhalten ebenfalls Zugang zu den schweizerischen Visadaten.

Bst. d Auch die zentrale Ausgleichsstelle ist berechtigt, das nationale Visumsystem abzufragen, damit sie Leistungsgesuche abklären sowie die AHV-Versichertennummern zuteilen und überprüfen kann.

Bst. e Die kantonalen und kommunalen Migrationsbehörden sowie die kantonalen Polizeibehörden sind zur Abfrage bestimmter Daten berechtigt, um ihre Aufgaben im Ausländerbereich zu erfüllen.

Bst. f Der Zugang des fedpol, des Bundesamtes für Justiz und des DAP zur nationalen Datenbank im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgaben muss sichergestellt sein. Heute kann das fedpol EVA zum Beispiel bei der Anordnung von Fernhaltemassnahmen konsultieren. Die anderen Dienste haben ebenfalls Zugang zu bestimmten Informationen. Diese Möglichkeit muss weiterhin bestehen.

Bst. g Die zuständigen Beschwerdeinstanzen des Bundes müssen für die Instruktion der bei ihnen eingegangenen Beschwerden das nationale Visumsystem ebenfalls abfragen können.

Art. 109d

Informationsaustausch mit EU-Mitgliedstaaten, für welche die Verordnung (EG) Nr. 767/2008 noch nicht in Kraft ist

Artikel 109d des Erlasses B entspricht Artikel 109b des Erlasses A. Daher wird auf obige Erläuterungen zu Artikel 109b verwiesen (Ziff. 2.3.3.1).

Art. 109e

Ausführungsbestimmungen zu den Visa-Informationssystemen

Dieser Artikel wird im Hinblick auf die Einführung des neuen nationalen Visumsystems in einer anderen Form verfasst. Auf Verordnungsstufe muss festgelegt werden, welche Daten des nationalen Visumsystems von den in Artikel 109c AuG genannten Behörden abgefragt werden können. Es muss ebenfalls geregelt werden, wie umfassend der Online-Zugang zum nationalen Visumsystem ist. Ausserdem müssen bestimmte Punkte im Hinblick auf den Datenschutz genauer geklärt werden. Das Auskunftsrecht ist zwar bereits in den Artikeln 111f und 111g AuG geregelt. Die 4265

Anträge um ein Auskunftsrecht müssen an den Inhaber der Datensammlung gerichtet werden, d.h. an das BFM ­ was formell auf Verordnungsstufe geregelt werden wird. Diese verschiedenen Punkte werden in der zukünftigen Verordnung über das nationale Visumsystem und über das zentrale VIS festgelegt werden. Der vorliegende Artikel wird den für Dezember 2009 vorgesehenen Artikel 109c AuG ersetzen (Erlass A).

Art. 120d

Zweckwidriges Bearbeiten von Personendaten in den Visa-Informationssystemen

Die für das zentrale VIS vorgesehene Sanktion muss für das später eingeführte nationale Visumsystem ebenfalls übernommen werden. Der vorliegende Artikel 120d wird jenen ersetzen, der am 21. Dezember 2009 in Kraft treten soll.

2.3.3.4

Erlass B: Bestimmungen des BGIAA

Bei Erlass B handelt es sich um den Bundesbeschluss über die Genehmigung der Notenaustausche, der die Gesetzesbestimmungen enthält, die für deren Umsetzung erforderlich sind (siehe Ziff. 6.2). Im folgenden Kapitel werden die Bestimmungen des BGIAA erläutert.

Art. 4 Abs. 1 Bst. c und Art. 8a Bei Inbetriebnahme des neuen nationalen Visumsystems müssen diese Artikel aufgehoben werden.

Art. 9 Abs. 1 Ab 2011 wird ZEMIS keine Daten zu den Visa mehr enthalten. Deshalb müssen die zurzeit im BGIAA vorgesehenen Zugangsrechte im Hinblick auf die Einführung des neuen nationalen Visumsystems angepasst werden.

Bst. e Der Verweis auf die Aufgaben im Zusammenhang mit der Erteilung von Ausnahmevisa wird in diesem Satz gelöscht, da die aufgeführten Behörden dafür Zugang zu den Visadaten der neuen nationalen Visumdatenbank haben werden.

Bst. f Die schweizerischen Vertretungen und Missionen im Ausland werden in Zukunft die Datenbank ZEMIS nur noch im Rahmen ihrer Aufgaben im Bereich des Schweizer Bürgerrechts abfragen dürfen. Im Rahmen der Visumerteilung werden diese Behörden direkt auf das nationale Visumsystem zugreifen können (siehe Art. 109c Bst. b AuG).

Bst. g Die unter diesem Buchstaben genannten Behörden werden künftig in Artikel 109c Buchstabe c AuG aufgeführt sein und direkt auf das nationale Visumsystem zugreifen können. Folglich muss Buchstabe g aufgehoben werden.

4266

3

Begründung und Bewertung der vorgeschlagenen Lösung

Die VIS-Verordnung und der VIS-Beschluss legen die Zugangsberechtigungen zum zentralen VIS und die Verwendung der Daten des Systems fest. Dabei geht es um praxisbezogene Details, die vor allem die Verwaltungsbehörden betreffen. Aus diesem Grund wurde auf eine Vernehmlassung verzichtet und eine Anhörung der betreffenden Behörden bevorzugt (Art. 10 Abs. 1 Vernehmlassungsgesetz, VlG)24.

Die Vertreterinnen und Vertreter der Kantone wurden im Voraus über die aktuelle Vorlage informiert. Die Anhörung fand vom 24. Februar bis zum 16. März 2009 statt.

Fast alle angehörten Organisationen haben sich positiv zur Einführung des zentralen Systems geäussert, das insbesondere eine bessere Kontrolle an den SchengenAussengrenzen ermöglicht.

Bundesweit ist eine einzige Zugangsstelle geplant, die für die Bekämpfung des Terrorismus und sonstiger schwerer Straftaten über einen direkten Zugang zu den Daten des zentralen VIS verfügt: die Einsatzzentrale des fedpol (Art. 109a Abs. 4 AuG). Die Zentrale muss die einzelnen Anträge der Polizei- oder Justizbehörden prüfen und diesen die Daten übermitteln, wenn dies gerechtfertigt ist. Sämtliche Polizeiverbände haben diesem Vorschlag zugestimmt.

Die Polizeibehörden sind auf Basis der VIS-Verordnung ausserdem berechtigt, Daten des zentralen VIS abzufragen, um Personen zu identifizieren oder um zu überprüfen, ob die Aufenthalts- oder Einreisebedingungen erfüllt sind (Art. 109a Abs. 2 Bst. d AuG). Mehrere Polizeiverbände (KKJPD, SVSP, KSPD und KKPKS) verlangen, dass die kommunalen Polizeibehörden Zugang zum zentralen VIS haben ­ d.h. auf sämtliche Schengen-Daten ­, um ausländische Personen schneller identifizieren zu können, ohne sich an den Kanton wenden zu müssen. Die kantonalen Polizeibehörden werden in einer ersten Phase in dem Umfang Zugang zum zentralen VIS haben, wie sie bereits heute Zugang zu den Visadaten in ZEMIS haben. Dies betrifft die kantonalen Polizeibehörden, die mit der Visumkontrolle (Flughäfen und internationale Bahnhöfe) betreut sind. In Anbetracht der Kosten und der technischen Schwierigkeiten, die aus einem solchen Zugang für alle Gemeinden resultieren würden, kann dem Wunsch der Verbände nicht entsprochen werden. Um die Fingerabdrücke im zentralen VIS vergleichen zu können, ist zurzeit mit Installationskosten von mindestens 30 000 Franken pro Zugang zu
rechnen. Im Übrigen werden in einer zweiten Phase die Zugangsberechtigungen der kantonalen Polizeibehörden erweitert, sofern sich dies als gerechtfertigt und technisch möglich erweist. Aus diesem Grund ist ein direkter Zugang der kommunalen Polizeibehörden nicht erforderlich.

Das nationale Visumsystem der Schweiz wird im Jahr 2011 eingerichtet werden. Es wird EVA, das aktuelle Subsystem von ZEMIS, ersetzen. Der Zugang zu diesem neuen schweizerischen Informationssystem muss ebenfalls geregelt werden. Auch diesbezüglich haben die Polizeibehörden einen direkten Zugang sämtlicher Gemeinden auf das nationale Visumsystem gewünscht (Art. 109c AuG). Aus den genannten Gründen kann dieser Wunsch jedoch nicht erfüllt werden. Die kommunalen Polizeibehörden können auch zurzeit nicht direkt auf die Visadaten zugreifen.

24

SR 172.061

4267

Einige Teilnehmer (Travail.Suisse, Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern, SVP, Sicherheitsdirektion des Kantons Zug) haben sich zur Bestimmung kritisch geäussert, die die Übertragung bestimmter Aufgaben an Dritte erlaubt, namentlich die Erfassung biometrischer Daten im Rahmen des Visumverfahrens (Art. 98b AuG). Die Beibehaltung dieser Bestimmung ist jedoch wichtig, denn für die effiziente Erfassung biometrischer Daten auf den Botschaften ist die Übertragung bestimmter Aufgaben an Dritte unerlässlich. Die Möglichkeit einer solchen Aufgabenübertragung ist im Übrigen in einer Weiterentwicklung des SchengenBesitzstands vorgesehen, die der Schweiz noch nicht notifiziert wurde25.

Des Weiteren wurden den Polizeiverbänden im Rahmen der Anhörung zwei Fragen gestellt: einerseits zu den Behörden, die Anträge nach Artikel 109a Absatz 3 AuG einreichen können und andererseits zur erwarteten Anzahl der Anträge an die zentrale Zugangsstelle. Die Antworten haben einerseits gezeigt, dass alle Behörden ­ einschliesslich der Gemeindebehörden ­, die für die Ermittlung und Verhütung schwerer Straftaten zuständig sind, berechtigt sein sollten, bei der zentralen Zugangsstelle des Bundes einen Antrag um Daten einzureichen. Dementsprechend werden bestimmte grössere Städte im Gesetz (Art. 109a Abs. 3 AuG) explizit genannt. Andererseits hat sich gezeigt, dass sich die Anzahl Anträge seitens aller Kantone bei der Einsatzzentrale des fedpol auf schätzungsweise 500 pro Monat belaufen wird.

4

Auswirkungen auf den Bund und die Kantone

4.1

Finanzielle Auswirkungen

Das zentrale VIS ist über die nationale Schnittstelle im jeweiligen Mitgliedstaat mit dem nationalen System der einzelnen Mitgliedstaaten verbunden. Jeder Mitgliedstaat ist für die Entwicklung, den Aufbau, die Verwaltung, den Betrieb und die Wartung seines nationalen Systems und für die Tragung der Kosten für die Systeme verantwortlich. Die Initialkosten für die Umsetzung des VIS werden zum heutigen Zeitpunkt auf 25 Millionen Schweizer Franken angesetzt. Die für die Verwirklichung des laufenden Projekts erforderlichen Mittel sind im für Schengen und Dublin reservierten Kredit von 141,8 Millionen Franken des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements für die Periode 2008­2012 enthalten. Die entsprechenden Mittel sind im Budget sowie in der Finanzplanung vorgesehen. Die für das Jahr 2009 erforderlichen Mittel belaufen sich z.B. auf 13 Millionen Franken. Für die Umsetzung der Informatikkomponenten des Visa-Informationssystems sind keine weiteren Mittel erforderlich. Die Einrichtung eines direkten Zugangs der kantonalen Polizeibehörden zum zentralen VIS könnte zusätzliche Kosten nach sich ziehen. Wird beschlossen, Ende 2009 oder im Jahr 2010 Programme zu installieren, die einen Zugang zum zentralen VIS und zur Plattform mit den biometrischen Daten (eDoc) ermöglichen, muss mit einem Aufwand von 3,6 Millionen Franken gerechnet werden (60 Anschlüsse à 60 000 Franken). Die Ausbildungskosten für jede zweitätige 25

Verordnung (EG) Nr. 390/2009 vom 23. April 2009 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Gemeinsamen Konsularischen Instruktion an die diplomatischen Missionen und die konsularischen Vertretungen, die von Berufskonsularbeamten geleitet werden, zur Aufnahme biometrischer Identifikatoren einschliesslich Bestimmungen über die Organisation der Entgegennahme und Bearbeitung von Visumanträgen (ABl. L 131 vom 28.5.2009, S. 1­10)

4268

Ausbildung werden sich auf rund 35 000 Franken belaufen. Die Unterhaltskosten werden auf jährlich 0,72 Millionen Franken zu stehen kommen (20 % der Beschaffungskosten). Diese Kosten werden die Kantone tragen müssen. Diese Anschlüsse sind jedoch insofern nicht unabdingbar, als die Polizeibeamtinnen und -beamten das zentrale VIS im Einzelfall über den Zugang der kantonalen Migrationsdienste befragen können.

Die Wahrnehmung des Zugangsrechts auf bestimmte Daten mittels schriftlichen Antrags an die zentrale Zugangsstelle beim fedpol wird dort zusätzlichen personellen Bedarf generieren. Berechnungen aufgrund heutiger Erfahrungen zeigen, dass davon ausgegangen werden kann, dass jährlich rund 12 000 Anfragen seitens aller Bundes- und Kantonsbehörden getätigt werden. Seitens DAP werden 4000 Anfragen pro Jahr erwartet, seitens Bundesanwaltschaft rund 3000. Diese Zahlen richten sich nach der heutigen Anzahl Anfragen in EVA. Die Anfragen durch die Kantone werden auf rund 5000 pro Jahr beziffert. Eine rechtskonforme Bearbeitung der Anfragen der antragstellenden Behörden (1. Priorisierung resp. Triage der Anträge nach Dringlichkeit; 2. Prüfung der Zugangsbedingungen gemäss VIS-Beschluss; 3. Zugang zum zentralen System; 4. Antwort an die antragstellende Behörde) benötigt mindestens 30 Minuten pro Antrag. Bei 12 000 Anträgen pro Jahr macht das jährlich einen Aufwand von ca. 6000 Arbeitsstunden. Dies entspricht drei VollzeitArbeitsstellen (300 %). Somit werden beim fedpol mindestens drei zusätzliche Vollzeitstellen ­ eine für die Anträge des fedpol und der Bundesanwaltschaft, eine für den Ausländerdienst DAP und eine für die Anträge der Kantone resp. Gemeinden ­ generiert werden müssen. Ferner müssen hierzu die nötigen Betriebskosten eingestellt werden.

4.2

Andere Auswirkungen

Die für die Visumerteilung verantwortlichen kantonalen Migrationsbehörden sind in Zukunft berechtigt, das zentrale VIS abzufragen. Die Kantons- und Bundesbehörden, die für die Kontrolle der Schengen-Aussengrenzen verantwortlich sind oder die überprüfen müssen, ob die Voraussetzungen für den Aufenthalt erfüllt sind, werden über ein zusätzliches Hilfsmittel für die Identitätskontrolle verfügen. Die Abfrage des VIS kann ausserdem die Anwendung der Dublin-Verordnung erleichtern26 und die Festlegung des für die Bearbeitung eines Asylgesuchs zuständigen Staates ermöglichen. Seit die Dublin-Assoziierungsabkommen angewendet werden, wird nämlich der Schengen-Staat, der zum Zeitpunkt der Einreichung des Asylgesuchs ein gültiges Visum erteilt hat, für das Asylverfahren als zuständig erachtet.

Durch den VIS-Beschluss werden die Strafverfolgungsbehörden in Zukunft die Möglichkeit haben, Daten aus dem zentralen VIS zu erhalten. Dadurch werden die innere Sicherheit und die Terrorismusbekämpfung verbessert. Der Beschluss stellt sicher, dass die betreffenden Behörden in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich über möglichst umfassende und aktuelle Informationen verfügen.

26

Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. L 50 vom 25.2.2003, S. 1).

4269

5

Verhältnis zur Legislaturplanung

Die vorliegende Botschaft wird weder in der Botschaft vom 23. Januar 2008 zur Legislaturplanung 2007­201127 noch im Bundesbeschluss vom 18. September 2008 über die Legislaturplanung 2007­201128 ausdrücklich genannt. Der Bundesrat sieht darin jedoch die Umsetzung neuer Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands in das Landesrecht vor. Die Ankündigung der betreffenden Botschaften findet sich insbesondere unter Ziffer 4.2.2 der Botschaft über die Legislaturplanung, obschon es dort um ein Beispiel im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit im Justiz- und Polizeibereich geht29. Dasselbe geht aus dem Ziel des Bundesrates ­ der eine rasche Umsetzung der Abkommen von Schengen und Dublin wünschte ­ hervor, die Beziehungen zur EU zu konsolidieren (Ziff. 4.5.1 der Botschaft über die Legislaturplanung)30.

6

Rechtliche Aspekte

6.1

Verfassungsmässigkeit

Die verfassungsmässige Grundlage des Bundesbeschlusses zur Genehmigung der Notenaustausche betreffend die VIS-Verordnung und den VIS-Beschluss findet sich in Artikel 54 Absatz 1 BV31, der den Bund für die auswärtigen Angelegenheiten allgemein zuständig erklärt und ihn ermächtigt, völkerrechtliche Verträge abzuschliessen. Die Kompetenz der Bundesversammlung zur Genehmigung völkerrechtlicher Verträge ergibt sich aus Artikel 166 Absatz 2 BV.

Die Grundlage für die Änderung der beiden Gesetze, des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer und des Bundesgesetzes über das Informationssystem für den Ausländer- und den Asylbereich, findet sich in Artikel 121 Absatz 1 BV.

Nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d BV unterstehen völkerrechtliche Verträge dem fakultativen Referendum, wenn sie unbefristet und unkündbar sind, den Beitritt zu einer internationalen Organisation vorsehen, wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder wenn deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert.

Die vorliegenden Notenaustausche können unter den im Schengen-Assoziierungsabkommen vorgesehenen Bedingungen gekündigt werden (vgl. Art. 7 und 17 SAA).

Die Übernahme der VIS-Verordnung und des VIS-Beschlusses führt ausserdem nicht zum Beitritt zu einer internationalen Organisation. Bleibt also noch zu klären, ob die genannten Notenaustausche wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten, oder ob deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert. Nach Artikel 22 Absatz 4 des Bundesgesetzes vom 13. Dezember 200232 über die Bundesversammlung (Parlamentsgesetz, ParlG) sind unter rechtsetzenden Bestimmungen jene Bestimmungen zu verstehen, die in unmittelbar verbindlicher und generell-abstrakter Weise Pflichten auferlegen, Rechte verleihen oder Zuständigkeiten festlegen. Als 27 28 29 30 31 32

BBl 2008 753 BBl 2008 8543 BBl 2008 794 BBl 2008 804 SR 101 SR 171.10

4270

wichtig gelten Bestimmungen, die im innerstaatlichen Recht auf der Grundlage von Artikel 164 Absatz 1 BV in der Form eines Bundesgesetzes erlassen werden müssen.

Die Verordnung und der Beschluss sehen insbesondere den bestimmten Behörden vorbehaltenen Zugang zu besonders schützenswerten Daten vor. Sie enthalten direkt anwendbare Bestimmungen. Sie legen insbesondere fest, welche Daten erfasst und gespeichert werden können und welche Kategorien von Behörden unter welchen Umständen Zugang dazu haben. Diese Bestimmungen können als wichtig qualifiziert werden, da sie auf nationaler Ebene ausschliesslich in der Form eines Bundesgesetzes nach Artikel 164 Absatz 1 Buchstaben c und g BV erlassen werden können33. Ferner erfordert die Umsetzung der VIS-Verordnung und des VISBeschlusses eine Anpassung zweier Bundesgesetze. Aus diesen Überlegungen folgt, dass der Bundesbeschluss über die Genehmigung der Notenaustausche zwischen der Schweiz und der Europäischen Union betreffend die Übernahme der VISVerordnung und des VIS-Beschlusses dem fakultativen Staatsvertragsreferendum nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV untersteht.

6.2

Form der Erlasse

Auf Grundlage der offiziellen Mitteilungen der EU ist die Schweiz immer davon ausgegangen, dass das zentrale VIS im ersten Quartal 2010 in Betrieb genommen wird. Aus diesem Grund hat sie das Umsetzungsprojekt zu Beginn gemäss diesem Datum, d.h. März 2010, organisiert. Am 26. März 2009 unterrichtete die EU die Schweiz jedoch formell darüber, dass die Inbetriebnahme des zentralen VIS in Nordafrika34 bereits am 21. Dezember 2009 erfolgen muss. Aus technischen Gründen müssen alle am VIS teilnehmenden Staaten an das zentrale System angeschlossen sein, damit das VIS tatsächlich in Betrieb genommen werden kann. Fällt ein einziger Schengen-Staat aus, kann dies zu Verspätungen für das ganze Projekt führen. Somit muss auch die Schweiz entsprechend den Entscheiden der EU für die Arbeit mit dem neuen zentralen Visa-Informationssystem bereit sein. Die für die Inbetriebnahme des VIS erforderlichen Gesetzesgrundlagen müssen somit am 21. Dezember 2009 in Kraft sein. Die Schweiz muss die VIS-Verordnung und den VIS-Beschluss also in einer viel kürzeren Frist in ihr Landesrecht umsetzen als der im SAA vorgesehenen Frist von zwei Jahren ab der Notifikation der Rechtsakte. Die Frist zwischen der Notifikation der VIS-Verordnung am 16. Juli 2008 und dem 21. Dezember 2009 beträgt siebzehn Monate. Zudem hat die Schweiz erst spät ­ im März 2009 ­ erfahren, dass das Projekt am 21. Dezember 2009 abgeschlossen sein muss. Sie muss die VIS-Verordnung und den VIS-Beschluss demnach in einer kürzeren Frist als zu Beginn vorgesehen in das innerstaatliche Recht umsetzen. Nach Prüfung verschiedener Varianten zur Beschleunigung des Gesetzgebungsverfahrens wurde festgestellt, dass die erforderlichen Gesetzesgrundlagen nur am 21. Dezember 2009 in Kraft gesetzt werden können, wenn bestimmte Gesetzesbestimmungen nach Artikel 165 Absatz 1 BV dringlich erklärt werden.

33

34

Vgl. Botschaft zum Bundesbeschluss über die Genehmigung und Umsetzung des Notenaustauschs zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnung (EG) Nr. 2252/2004 über biometrische Pässe und Reisedokumente (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands), BBl 2007 5159.

Tunesien, Marokko, Algerien, Ägypten, Mauretanien, Libyen

4271

Ein Bundesgesetz kann gemäss Artikel 165 Absatz 1 BV durch die Räte dringlich erklärt und sofort in Kraft gesetzt werden, wenn dessen «Inkrafttreten keinen Aufschub duldet». Gefordert sind zeitliche und sachliche Dringlichkeit. Zeitliche Dringlichkeit ist gegeben, wenn nicht wiedergutzumachende Nachteile drohen und mit dem sofortigen Inkrafttreten des Gesetzes diese Nachteile verhindert oder zumindest verringert werden können. Sachliche Dringlichkeit liegt vor, wenn der Verzicht auf Dringlicherklärung wichtige öffentliche Interessen, insbesondere Polizeigüter, gefährden würde. Dabei ist eine Interessenabwägung vorzunehmen. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Inkraftsetzung des Erlasses muss das Interesse an der Wahrung der Volksrechte überwiegen. Um ein Bundesgesetz dringlich zu erklären, bedarf es der Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder jedes Rates (Art. 159 Abs. 3 BV und Art. 165 Abs. 1 BV). Zudem sind dringlich erklärte Bundesgesetze zu befristen (Art. 165 Abs. 1 Satz 2 BV).

Im vorliegenden Fall ist die zeitliche Dringlichkeit gegeben, da die Einführung des VIS in Nordafrika von der EU vorgezogen wurde und nun bereits für den 21. Dezember 2009 (statt März 2010) vorgesehen ist. Wie oben erwähnt, kann das VIS nur in Betrieb genommen werden, wenn alle teilnehmenden Staaten an das zentrale System angeschlossen sind. Wäre auch nur die Schweiz in juristischer oder technischer Hinsicht in Verzug, würde dies also die Inbetriebnahme des VIS zum geplanten Zeitpunkt verunmöglichen.

Die sachliche Dringlichkeit ist ebenfalls gegeben, denn wenn die Schweiz nicht rechtzeitig bereit ist, könnte dies die gute Zusammenarbeit im Bereich Schengen stören und hätte bestimmt Folgen für die Politik und die Sicherheit. Unter dem Aspekt der inneren Sicherheit ist es wünschenswert, dass die Schweiz so schnell wie möglich Zugang zu den Daten des zentralen VIS erhält. Denn dadurch ist eine bessere Kontrolle der Visumerteilung und eine bessere Steuerung der legalen Migration möglich. Aus den genannten Gründen überwiegt das öffentliche Interesse an der Inkraftsetzung der Gesetzesgrundlagen das Interesse an der Wahrung der Volksrechte. Folglich müssen die ab 21. Dezember 2009 anzuwendenden Gesetzesbestimmungen dringlich erklärt werden. Das dringlich erklärte Gesetz ist im Übrigen auf zwei Jahre befristet.
Im Allgemeinen tritt ein dringlich erklärtes Gesetz umgehend in Kraft. Doch in begründeten Fällen kann das Inkrafttreten um einige Tage oder Wochen verschoben werden. Im vorliegenden Fall ist es gerechtfertigt, dass die Gesetzesgrundlagen kurz nach der Genehmigung durch die Bundesversammlung am 11. Dezember 2009 in Kraft treten. Die Gesetzesgrundlagen für den Anschluss der Schweiz an das zentrale VIS und die Regelung des Zugangs zu diesem müssen ab dem 21. Dezember 2009 angewendet werden.

Der Entwurf zu den Gesetzesänderungen ist verfassungskonform. Er untersteht Artikel 165 Absatz 2 BV. Wird zu einem dringlich erklärten Bundesgesetz die Volksabstimmung verlangt, so tritt dieses ein Jahr nach Annahme durch die Bundesversammlung ausser Kraft, wenn es nicht innerhalb dieser Frist vom Volk angenommen wird. Das dringlich erklärte Gesetz untersteht nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe b BV dem fakultativen Referendum.

Dementsprechend gliedert sich der Gesetzesentwurf in zwei verschiedene Erlasse (A und B). Bei Erlass A handelt es sich um die Gesetzesänderung, die durch die Übernahme der VIS-Verordnung und des VIS-Beschlusses erforderlich wird und ab 21. Dezember 2009 angewendet werden muss. Er bezieht sich auf die Übergangs4272

lösung (siehe Ziff. 2.2.2.1) und enthält Änderungen des AuG und des BGIAA, die nach Artikel 164 Absatz 1 BV in der Form eines Bundesgesetzes erlassen werden müssen. Dieser Erlass fällt unter die Dringlichkeitsklausel.

Erlass B ist der Bundesbeschluss über die Genehmigung der Notenaustausche betreffend die Übernahme der VIS-Verordnung und des VIS-Beschlusses (Art. 163 Abs. 2 BV). Nach Artikel 141a Absatz 2 BV können der Genehmigungsbeschluss der Notenaustausche und die aufgrund der Übernahme der VIS-Verordnung und des VIS-Beschlusses notwendigen Gesetzesänderungen in denselben Erlass aufgenommen werden. In diesem Erlass sind demnach die Gesetzesbestimmungen enthalten, die bei der Inbetriebnahme des neuen nationalen Visumsystems, voraussichtlich im Jahr 2011, angewendet werden müssen (siehe Ziff. 2.2.2.2). Es handelt sich um Änderungen des AuG und des BGIAA, die nach Artikel 164 Absatz 1 BV ebenfalls in Form eines Bundesgesetzes erlassen werden müssen. Die Notenaustausche müssen vorläufig angewendet werden (siehe Ziff. 6.3).

6.3

Vorläufige Anwendung der Notenaustausche

Das dringlich erklärte Gesetz kann nur in Kraft treten, wenn die Notenaustausche, bei denen es sich um völkerrechtliche Verträge handelt, anwendbar sind. In Artikel 7 Ziffer 2 Buchstabe b in fine SAA ist die Möglichkeit vorgesehen, die Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands vorläufig anzuwenden. Auf Grundlage von Artikel 7b RVOG35 ist der Bundesrat ermächtigt, die vorläufige Anwendung zu beschliessen. In diesem Artikel ist nämlich vorgesehen, dass bei Zuständigkeit der Bundesversammlung für die Genehmigung eines völkerrechtlichen Vertrags der Bundesrat die vorläufige Anwendung beschliessen oder vereinbaren kann, wenn die Wahrung wichtiger Interessen der Schweiz und eine besondere Dringlichkeit es gebieten. Im vorliegenden Fall kann es sich die Schweiz nicht erlauben, sich dem zentralen VIS nicht gleichzeitig mit den übrigen Schengen-Staaten anzuschliessen, sonst würde sie die europaweite Inbetriebnahme des VIS blockieren. Die wichtigen Interessen der Schweiz bestehen darin, die Schengen-Zusammenarbeit unter denselben Voraussetzungen wie die anderen Schengen-Staaten weiterführen zu können.

Die Dringlichkeit ist gemäss den Erläuterungen unter Ziffer 6.2 gegeben.

Folglich wird der Bundesrat, falls Erlass A dringlich erklärt wird, beschliessen müssen, die Notenaustausche vorläufig anzuwenden, damit der Erlass in Kraft treten kann. Er wird die zuständigen parlamentarischen Kommissionen konsultieren müssen (Art. 152 Abs. 2 und 3bis ParlG). Des Weiteren ist der Entwurf des Bundesbeschlusses über die Genehmigung der betreffenden Verträge der Bundesversammlung binnen sechs Monaten ab Beginn der vorläufigen Anwendung zu unterbreiten (Art. 7b Abs. 2 RVOG). Im vorliegenden Fall werden die Notenaustausche der Bundesversammlung in Erlass B (Genehmigungsbeschluss) umgehend unterbreitet.

35

SR 172.010

4273

4274