09.060 Botschaft zur Volksinitiative «für die Ausschaffung krimineller Ausländer (Ausschaffungsinitiative)» und zur Änderung des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer vom 24. Juni 2009

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft beantragen wir Ihnen, die Volksinitiative «für die Ausschaffung krimineller Ausländer (Ausschaffungsinitiative)» Volk und Ständen mit der Empfehlung auf Ablehnung zur Abstimmung zu unterbreiten. Gleichzeitig unterbreiten wir Ihnen mit dem Antrag auf Zustimmung einen indirekten Gegenvorschlag, nämlich eine Änderung des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

24. Juni 2009

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Hans-Rudolf Merz Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2008-2451

5097

Übersicht Die vorgeschlagene Änderung des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer ist ein indirekter Gegenvorschlag zur Ausschaffungsinitiative. Einerseits soll vor der Erteilung der unbefristeten und mit keinen Bedingungen verbundenen Niederlassungsbewilligung die Integration der Ausländerinnen und Ausländer berücksichtigt werden. Andererseits werden die Gründe für den Widerruf von ausländerrechtlichen Bewilligungen präzisiert, was zu einer einheitlicheren und konsequenteren Praxis führen soll.

Die Volksinitiative «für die Ausschaffung krimineller Ausländer (Ausschaffungsinitiative)» will erreichen, dass Ausländerinnen und Ausländer, die wegen bestimmter Straftaten verurteilt wurden oder die missbräuchlich Leistungen der Sozialversicherungen oder der Sozialhilfe bezogen haben, alle Aufenthaltsansprüche verlieren und ausgewiesen werden. Die betroffenen Personen sollen zudem mit einem Einreiseverbot belegt und bei einer Missachtung dieses Einreiseverbots oder bei einer anderen illegalen Einreise bestraft werden. Der bestehende Ermessensspielraum der Behörden bei der Anordnung solcher Massnahmen soll abgeschafft werden.

Die Volksinitiative verstösst nach der Auffassung des Bundesrats nicht gegen zwingendes Völkerrecht. Sie kann so ausgelegt werden, dass insbesondere das zum zwingenden Völkerrecht gehörende «Non-Refoulement-Prinzip» respektiert wird.

Eine Annahme der Initiative würde indessen bei der Umsetzung zu erheblichen Kollisionen mit rechtsstaatlichen Garantien der Bundesverfassung führen, insbesondere mit dem darin enthaltenen Schutz des Privat- und Familienlebens sowie mit dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit behördlicher Massnahmen. Darüber hinaus könnten auch wichtige Bestimmungen des nicht zwingenden Völkerrechts, zum Beispiel der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) oder des Personenfreizügigkeitsabkommens mit der EU, nicht mehr eingehalten werden.

Die Volksinitiative enthält eine eher zufällige Auflistung von einzelnen Straftatbeständen, die unabhängig vom Strafmass im Einzelfall automatisch zu einem Widerruf der ausländerrechtlichen Bewilligungen führen sollen. Dies könnte bei einer Annahme der Initiative zum Beispiel dazu führen, dass eine geringfügige Strafe wegen eines einmaligen kleinen Einbruchs automatisch zu einem Bewilligungswiderruf führt, nicht jedoch
eine mehrjährige Freiheitsstrafe wegen eines sehr schweren Betrugs mit einer hohen Deliktssumme. Dies steht in offensichtlichem Widerspruch zum rechtsstaatlichen Grundsatz der Verhältnismässigkeit.

Die Volksinitiative soll dem Parlament daher zur Ablehnung empfohlen werden.

Zudem soll ihr ein indirekter Gegenvorschlag gegenübergestellt werden.

Der vorgeschlagene indirekte Gegenvorschlag beinhaltet eine Anpassung des geltenden Ausländergesetzes. Er soll das Anliegen der Initiantinnen und Initianten aufnehmen, ohne dass ein Widerspruch zu den Grundrechten der Bundesverfassung oder zum Völkerrecht entsteht.

5098

Die Niederlassungsbewilligung ist unbefristet und kann mit keinen Bedingungen verbunden werden. Sie soll generell nur noch erteilt werden, wenn eine gute Integration vorliegt. Dies betrifft auch die ausländischen Ehegatten, die im Rahmen des Familiennachzugs zugelassen wurden.

Eine gute Integration setzt die Respektierung der Rechtsordnung, das Bekenntnis zu den Grundwerten der Bundesverfassung sowie den Willen zur Teilhabe an Arbeit und Bildung voraus. Von grosser Bedeutung sind daneben auch die Sprachkenntnisse.

Mit dieser gesetzlichen Anforderung an die Erteilung der Niederlassungsbewilligung soll für Ausländerinnen und Ausländer ein Anreiz zur besseren Integration und insbesondere zum Erlernen einer Landessprache geschaffen werden. Eine bessere Prüfung der Integration vor der Erteilung der Niederlassungsbewilligung führt auch dazu, dass später langwierige Widerrufsverfahren vermieden werden können, wenn eine mangelhafte Integration zu Rechtsverletzungen führt.

Nach dem geltenden Recht ist es bereits möglich, bei schweren oder wiederholten Straftaten die ausländerrechtlichen Bewilligungen zu widerrufen oder nicht zu verlängern sowie Einreiseverbote zu erlassen. Mit dem indirekten Gegenvorschlag sollen die Widerrufsgründe präzisiert und der Integrationsgrad bei den Entscheiden vermehrt berücksichtigt werden. Wird die Ausländerin oder der Ausländer wegen eines Delikts rechtskräftig verurteilt, für welches eine Mindeststrafe von einem Jahr angedroht wird, oder liegt eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren vor, soll das Ermessen der Behörden beim Entscheid über den Widerruf der Bewilligung eingeschränkt werden. Vorbehalten bleiben das verfassungsmässige Gebot der Verhältnismässigkeit behördlicher Massnahmen und das Völkerrecht.

Der vorgeschlagene indirekte Gegenvorschlag soll zu einer einheitlicheren und konsequenteren Praxis der Kantone führen.

5099

Inhaltsverzeichnis Übersicht

5098

1 Formelle Aspekte und Gültigkeit der Initiative 1.1 Wortlaut der Initiative 1.2 Zustandekommen und Behandlungsfristen 1.3 Gültigkeit 1.3.1 Anforderungen an die Gültigkeit 1.3.2 Vereinbarkeit mit den zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts

5101 5101 5102 5102 5102

2 Ausgangslage für die Entstehung der Initiative 2.1 In der Schweiz vollzogene Freiheitsstrafen 2.2 Entfernungs- und Fernhaltemassnahmen nach geltendem Recht 2.3 Handlungsbedarf aus Sicht der Initiantinnen und Initianten

5103 5103 5105 5106

3 Ziele und Inhalt der Volksinitiative

5106

4 Würdigung der Initiative 4.1 Verhältnis zur Bundesverfassung und zum nicht zwingenden Völkerrecht 4.1.1 EMRK und UNO-Pakt II 4.1.2 Kinderrechtskonvention 4.1.3 Freizügigkeitsabkommen 4.2 Auswirkungen der Initiative bei einer Annahme

5106 5106 5108 5110 5111 5113

5 Grundzüge des indirekten Gegenvorschlags 5.1 Erteilung der Niederlassungsbewilligung nur bei guter Integration 5.2 Konsequenter Widerruf von Bewilligungen bei schweren Straftaten

5113 5113 5115

6 Vernehmlassungsverfahren 6.1 Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens 6.2 Überarbeitung des Vorentwurfs 6.2.1 Widerruf der Bewilligung bei schweren Straftaten 6.2.2 Kantonswechsel von Ausländerinnen und Ausländern mit Aufenthaltsbewilligung

5116 5116 5117 5117

7 Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

5118

5102

5118

8 Finanzielle und personelle Auswirkungen

5127

9 Verfassungsmässigkeit

5127

Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG) (Entwurf)

5129

Bundesbeschluss betreffend die Volksinitiative «für die Ausschaffung krimineller Ausländer (Ausschaffungsinitiative)» (Entwurf)

5133

5100

Botschaft 1

Formelle Aspekte und Gültigkeit der Initiative

1.1

Wortlaut der Initiative

Die Volksinitiative hat den folgenden Wortlaut: I Die Bundesverfassung vom 18. April 1999 wird wie folgt geändert: Art. 121 Abs. 3­6 (neu) Sie (= die Ausländerinnen und Ausländer) verlieren unabhängig von ihrem ausländerrechtlichen Status ihr Aufenthaltsrecht sowie alle Rechtsansprüche auf Aufenthalt in der Schweiz, wenn sie:

3

a.

wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts, wegen einer Vergewaltigung oder eines anderen schweren Sexualdelikts, wegen eines anderen Gewaltdelikts wie Raub, wegen Menschenhandels, Drogenhandels oder eines Einbruchsdelikts rechtskräftig verurteilt worden sind; oder

b.

missbräuchlich Leistungen der Sozialversicherungen oder der Sozialhilfe bezogen haben.

Der Gesetzgeber umschreibt die Tatbestände nach Absatz 3 näher. Er kann sie um weitere Tatbestände ergänzen.

4

Ausländerinnen und Ausländer, die nach den Absätzen 3 und 4 ihr Aufenthaltsrecht sowie alle Rechtsansprüche auf Aufenthalt in der Schweiz verlieren, sind von der zuständigen Behörde aus der Schweiz auszuweisen und mit einem Einreiseverbot von 5­15 Jahren zu belegen. Im Wiederholungsfall ist das Einreiseverbot auf 20 Jahre anzusetzen.

5

Wer das Einreiseverbot missachtet oder sonstwie illegal in die Schweiz einreist, macht sich strafbar. Der Gesetzgeber erlässt die entsprechenden Bestimmungen.

6

II Die Übergangsbestimmungen der Bundesverfassung werden wie folgt geändert: Art. 197 Ziff. 8 (neu) 8. Übergangsbestimmung zu Art. 121 (Aufenthalt und Niederlassung von Ausländerinnen und Ausländern) Der Gesetzgeber hat innert fünf Jahren seit Annahme von Artikel 121 Absätze 3­6 durch Volk und Stände die Tatbestände nach Artikel 121 Absatz 3 zu definieren und zu ergänzen und die Strafbestimmungen bezüglich illegaler Einreise nach Artikel 121 Absatz 6 zu erlassen.

5101

1.2

Zustandekommen und Behandlungsfristen

Die Volksinitiative «für die Ausschaffung krimineller Ausländer (Ausschaffungsinitiative)» wurde am 26. Juni 2007 von der Bundeskanzlei vorgeprüft1 und am 15. Februar 2008 mit den nötigen Unterschriften eingereicht.

Mit Verfügung vom 7. März 2008 stellte die Bundeskanzlei fest, dass die Initiative mit 210 919 gültigen Unterschriften zu Stande gekommen ist.2 Die Initiative hat die Form des ausgearbeiteten Entwurfs. Der Bundesrat unterbreitet dazu einen indirekten Gegenentwurf. Nach Artikel 97 Absatz 2 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 20023 hat der Bundesrat somit spätestens bis zum 15. August 2009 einen Beschlussentwurf und eine Botschaft zu unterbreiten. Die Bundesversammlung hat nach Artikel 100 des Parlamentsgesetzes bis 15. August 2010 über die Volksinitiative zu beschliessen.

1.3

Gültigkeit

1.3.1

Anforderungen an die Gültigkeit

Die Initiative erfüllt die Anforderungen an die Gültigkeit nach Artikel 139 Absatz 2 der Bundesverfassung (BV): a.

Sie ist als vollständig ausgearbeiteter Entwurf formuliert und erfüllt die Anforderungen an die Einheit der Form.

b.

Zwischen den einzelnen Teilen der Initiative besteht ein sachlicher Zusammenhang. Die Initiative erfüllt somit die Anforderungen an die Einheit der Materie.

c.

Die Initiative verletzt keine zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts.

Sie erfüllt somit die Anforderungen an die Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht (siehe dazu die Erläuterungen in Ziff. 1.3.2).

Die Initiative ist deshalb als gültig zu erklären.

1.3.2

Vereinbarkeit mit den zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts

Das zwingende Völkerrecht macht den fundamentalen Kern des Völkerrechts aus, von dem unter keinen Umständen abzuweichen ist. Der Grundsatz, wonach niemand in einen Staat ausgeschafft werden darf, in dem ihm Folter oder eine andere Art grausamer und unmenschlicher Behandlung oder Bestrafung droht, gehört zum zwingenden Völkerrecht (Non-Refoulement-Prinzip)4. Es ist zu prüfen, ob die Initiative diesem Prinzip entspricht. Weitere Normen des zwingenden Völkerrechts sind durch die Initiative nicht betroffen.

1 2 3 4

BBl 2007 4969 BBl 2008 1927 SR 171.10 BGE 109 Ib 64 E. 6b S. 72

5102

Die Verletzung des zwingenden Völkerrechts war bisher erst einmal Grund für die Ungültigerklärung einer Volksinitiative durch die Bundesversammlung (Volksinitiative «für eine vernünftige Asylpolitik», eingereicht 1992). Es wurde festgestellt, dass sie das Non-Refoulement-Prinzip verletzt.5 Die Ausschaffungsinitiative kann so ausgelegt werden, dass das Non-RefoulementPrinzip respektiert wird. Dieses Prinzip gewährt kein Aufenthaltsrecht, sondern lediglich einen verbindlichen Anspruch auf den Schutz vor einer Ausschaffung in bestimmte Staaten. Der vom Initiativtext vorgesehene Verlust aller Rechtsansprüche (Art. 121 Abs. 3 BV) und die damit verbundene Pflicht zur Ausweisung (Art. 121 Abs. 5 BV) verbieten es den Behörden nicht, im Rahmen des Vollzugs das NonRefoulement-Prinzip als vorübergehendes oder als dauerhaftes Vollstreckungsverbot zu beachten.

Die Initiative enthält ähnliche Lösungen wie die für ungültig erklärte Initiative «für eine vernünftige Asylpolitik». Sie ist aber zurückhaltender formuliert und ermöglicht damit eine mit dem zwingenden Völkerrecht konforme Umsetzung.

Dem im Internet publizierten Argumentarium zur Volksinitiative6 kann zudem entnommen werden, dass die Initiantinnen und Initianten einen Widerspruch zum zwingenden Völkerrecht nicht in Kauf nehmen wollen.

Die Ausschaffungsinitiative ist deshalb für gültig zu erklären. Blosse Zweifel an der Gültigkeit würden zudem keine Ungültigerklärung rechtfertigen.

2

Ausgangslage für die Entstehung der Initiative

2.1

In der Schweiz vollzogene Freiheitsstrafen

Bei in der Schweiz vollzogenen Freiheitsstrafen nimmt der Anteil der Ausländerinnen und Ausländer seit 1985 zu7:

5 6 7

BBl 1994 III 1498 f.

www.ausschaffungsinitiative.ch, Argumentarium, Stand 18.12.2008 Bundesamt für Justiz, Informationen zum Straf- und Massnahmenvollzug; «info bulletin» 1/2008.

5103

Bezüglich des aufenthaltsrechtlichen Status (Grundlage: Einweisungen im Jahr 2005), der Hauptdelikte und der Herkunftsländer ergibt sich Folgendes:

Im Jahr 2007 wurden insgesamt 4727 unbedingte und 398 teilbedingte Freiheitsstrafen angeordnet, davon 1003 mit einer Dauer von mindestens zwei Jahren8.

8

Bundesamt für Statistik, Freiheitsstrafen und Strafdauer nach den wichtigsten Gesetzen, 2007; Stand der Datenbank 15.9.2008.

5104

2.2

Entfernungs- und Fernhaltemassnahmen nach geltendem Recht

Nach dem geltenden Bundesgesetz vom 16. Dezember 20059 über die Ausländerinnen und Ausländer (AuG), das am 1. Januar 2008 in Kraft getreten ist, können als aufenthaltsbeendende Massnahmen die Wegweisung (Art. 64­66 AuG) und die Ausweisung (Art. 68 AuG) angeordnet werden.

Um eine erneute Einreise der betroffenen Personen zu verhindern, kann nach Abschluss des Widerrufs- und Wegweisungsverfahrens beim Bundesamt für Migration (BFM) der Erlass einer Fernhaltemassnahme (Art. 67 AuG, Einreiseverbot) beantragt werden.

Ausländerinnen und Ausländer werden von den zuständigen Behörden aus der Schweiz weggewiesen, wenn ihre Bewilligung verweigert, widerrufen oder nicht verlängert wird (Art. 66 Abs. 1 AuG).

Nach Artikel 62 AuG können Bewilligungen insbesondere widerrufen werden, wenn die Ausländerin oder der Ausländer: ­

falsche Angaben macht oder wesentliche Tatsachen verschwiegen hat;

­

zu einer längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde oder gegen sie oder ihn eine strafrechtliche Massnahme im Sinne von Artikel 64 oder Artikel 61 des Strafgesetzbuches angeordnet wurde;

­

erheblich oder wiederholt gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Schweiz oder im Ausland verstossen hat oder diese gefährdet oder die innere oder die äussere Sicherheit gefährdet;

­

eine mit der Verfügung verbundene Bedingung nicht einhält;

­

auf Sozialhilfe angewiesen ist.

Für den Widerruf einer Niederlassungsbewilligung gelten erhöhte gesetzliche Anforderungen (Art. 63 AuG).

Der Vollzug der Wegweisung fällt in die Zuständigkeit der Kantone. Zur Sicherstellung der Wegweisung können Zwangsmassnahmen angeordnet werden.

Bei der Anordnung dieser Massnahmen haben die zuständigen Behörden den Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu beachten (Art. 96 AuG). Das öffentliche Interesse an der Massnahme muss die privaten Interessen der betroffenen Personen überwiegen.

Die Regelungen zu den Entfernungs- und Fernhaltemassnahmen im neuen Ausländergesetz entsprechen grundsätzlich dem früheren Bundesgesetz über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG).

9

SR 142.20

5105

2.3

Handlungsbedarf aus Sicht der Initiantinnen und Initianten

Laut den Initiantinnen und Initianten habe die Schweiz wenn immer möglich unzähligen Flüchtlingen und Zuwanderern sowie ihren Familien geholfen. Die humanitäre Tradition der Schweiz sei zu Recht weltweit anerkannt.

Mit der Einwanderung aus immer ferneren Ländern und fremden Kulturen werde diese Tradition auf eine harte Probe gestellt. Zuwanderungsbeschränkungen würden zunehmend fallen gelassen, und selbst bei Straftaten oder bei Sozialhilfemissbrauch müssten Ausländerinnen und Ausländer nicht mit entsprechenden Sanktionen (z.B.

Landesverweis) rechnen. Der Ausländeranteil in den Gefängnissen, bei der Sozialhilfe, der Arbeitslosenversicherung und bei der Invalidenversicherung sei überdurchschnittlich hoch. Die teils schwierige Integration der Ausländerinnen und Ausländer werde zu einer zunehmenden Belastung für Schulen und Gemeinden.

Vor diesem Hintergrund ist es laut den Initiantinnen und Initianten unabdingbar, die in der Schweiz geltenden Regeln wieder durchzusetzen. Die schweizerische Rechtsordnung und die schweizerischen Sitten und Gebräuche müssten beachtet werden.

Wer sich nicht daran halte, habe die Schweiz zu verlassen. Die geltenden Bestimmungen im Bereich der Entfernungs- und Fernhaltemassnahmen seien nicht ausreichend.

3

Ziele und Inhalt der Volksinitiative

Die Initiative will erreichen, dass Ausländerinnen und Ausländer, die wegen bestimmter Straftaten verurteilt wurden oder die missbräuchlich Leistungen der Sozialversicherungen oder der Sozialhilfe bezogen haben, alle Aufenthaltsansprüche verlieren und ausgewiesen werden.

Die betroffenen Personen sollen zudem mit einem Einreiseverbot belegt und bei einer Missachtung dieses Einreiseverbots oder bei einer anderen illegalen Einreise bestraft werden. Der heute für solche Massnahmen bestehende Ermessensspielraum der Behörden soll abgeschafft werden.

4

Würdigung der Initiative

4.1

Verhältnis zur Bundesverfassung und zum nicht zwingenden Völkerrecht

Die vorliegende Initiative wirft auch Fragen zur Vereinbarkeit mit mehreren Bestimmungen des für die Schweiz geltenden nicht zwingenden Völkerrechts auf.

Im Vordergrund stehen dabei insbesondere von der Schweiz eingegangene Verpflichtungen im Rahmen der Europäischen Konvention vom 4. November 195010 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), des Internationalen Pakts vom 16. Dezember 196611 über bürgerliche und politische Rechte (UNO-

10 11

SR 0.101 SR 0.103.2

5106

Pakt II), des Übereinkommens vom 20 November 198912 über die Rechte des Kindes (KRK) sowie des Abkommens vom 21. Juni 199913 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (Freizügigkeitsabkommen).

Nähere Ausführungen dazu finden sich in den Ziffern 4.1.1 ff. unten.

Die Umsetzung der Volksinitiative greift insbesondere in den in Artikel 8 EMRK garantierten Schutz des Familien- und Privatlebens ein. Dieser Schutz ist auch in den Artikeln 10 und 13 BV enthalten. Demnach müssen in jedem Einzelfall die Interessen der Öffentlichkeit an einer Wegweisung und die persönlichen Interessen an einem weiteren Aufenthalt abgewogen werden.

Der mit der Initiative geforderte zwingende Verlust des Aufenthaltsrechts und aller Rechtsansprüche würde zudem dazu führen, dass die in der Verfassung vorgesehene Prüfung der Verhältnismässigkeit behördlicher Massnahmen (z.B. Art. 5 Abs. 2 BV) nicht stattfindet.

Nehmen Volk und Stände Initiativen an, die gegen nicht zwingendes Völkerrecht verstossen, ergeben sich Probleme bei der Umsetzung. Die Koexistenz sich widersprechender Verfassungs- und Völkerrechtsbestimmungen ist zu vermeiden. Das kann durch eine völkerrechtskonforme Auslegung und Umsetzung der neuen Verfassungsbestimmung erreicht werden. Ist dies nicht möglich, steht die Kündigung des widersprechenden völkerrechtlichen Vertrags im Vordergrund14. Es können jedoch nicht alle völkerrechtlichen Verträge gekündigt werden, entweder weil sie keine Kündigungsklausel enthalten15 oder weil die Kündigung aus politischen Gründen kaum in Betracht gezogen werden kann16.

Kann der Konflikt zwischen der neuen Verfassungsbestimmung und dem Völkerrecht nicht vermieden werden, wie im Fall der vorliegenden «Ausschaffungsinitiative», trägt zunächst die Bundesversammlung die Verantwortung dafür, wie damit umgegangen werden soll. Ein Entscheid für die Anwendung der Verfassungsbestimmung birgt die Gefahr, dass die Schweiz Völkerrecht verletzt, was ihre völkerrechtliche Verantwortlichkeit nach sich zieht. Dies kann zu entsprechenden Massnahmen der Vertragsstaaten oder zu einer Verurteilung einer internationalen Instanz führen, sofern eine solche vorgesehen ist.

Stellt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eine
Verletzung der EMRK fest, ist die Schweiz verpflichtet, dieses Urteil umzusetzen. Die Umsetzung des Urteils durch den betroffenen Staat wird durch das Ministerkomitee des Europarates überwacht. Gemäss ständiger Praxis des Ministerkomitees beschränken sich die zu ergreifenden Massnahmen nicht auf die Lösung des Einzelfalls. Gefordert 12 13 14

15

16

SR 0.107 SR 0.142.112.681 Siehe insbesondere: Botschaft über eine neue Bundesverfassung, BBl 1997 I 446, Fussnote 17, Botschaft zur Volksinitiative «Gegen den Bau von Minaretten», BBl 2008 7610, Botschaft über die Volksinitiative «für eine vernünftige Asylpolitik», BBl 1994 III 1495.

Botschaft betreffend den Beitritt der Schweiz zu den beiden internationalen Menschenrechtspakten von 1966 und zu einer Änderung des Bundesrechtspflegegesetzes; BBl 1991 I 1208. Dabei handelt es sich jedoch um einen juristischen Hinderungsgrund, dessen Bestehen in der Lehre umstritten ist.

Siehe die Botschaft «Für einen zeitgemässen Tierschutz (Tierschutz ­ Ja!)», BBl 2004 3291 ff., in der der Bundesrat deutlich darauf hinweist, dass die Kündigung des WTO-Abkommens, der EMRK oder des UNO-Pakts II keine realistische Option sei.

5107

sind auch Massnahmen allgemeiner Natur zur Verhinderung gleichartiger Verletzungen der EMRK, beispielsweise die Revision von Gesetzes- oder Verfassungsbestimmungen17.

4.1.1

EMRK und UNO-Pakt II

Der Grundsatz der territorialen Souveränität erlaubt es den Staaten, nicht nur über die Ein-, sondern auch über die Ausreise von Ausländerinnen und Ausländern grundsätzlich frei zu entscheiden18. Hält sich eine Person rechtmässig im Hoheitsgebiet eines Staates auf, haben die Behörden, welche sie ausweisen wollen, allerdings gewisse materielle Schranken sowie verfahrensmässige Garantien zu beachten.

Nach der verfahrensrechtlichen Schutzvorschrift von Artikel 1 des Protokolls Nr. 7 vom 22. November 198419 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und der Grundfreiheiten (ZP Nr. 7 zur EMRK) sind Ausweisungen nur zulässig, wenn zwei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind: 1.

Der Ausweisungsentscheid muss «rechtmässig» ergangen sein, das heisst in Übereinstimmung mit der nationalen Gesetzgebung stehen, und

2.

die betroffene Person muss die Gelegenheit gehabt haben, gegen die Ausweisung sprechende Gründe vorzubringen beziehungsweise die Entscheidung administrativ oder gerichtlich überprüfen und sich in diesem Verfahren vertreten zu lassen.

Diese Verfahrensbestimmungen des internationalen Rechts sind zwar rein formeller Natur und enthalten keine materiellen Garantien gegen Ausweisungen. Immerhin lässt sich daraus ableiten, dass die Entscheidung im Einzelfall auf ihre Rechtmässigkeit überprüfbar sein muss.

Materiellrechtlich gesehen kann in einem konkreten Fall eine Ausweisung von Ausländerinnen und Ausländern gestützt auf die Initiative im Widerspruch zu Artikel 8 EMRK stehen, welcher neben dem Recht auf Achtung des Privatlebens insbesondere auch das Recht auf ein Zusammenbleiben der Familie schützt20. Durch die Ausweisung eines Familienmitglieds wird nämlich die Fortsetzung des Familienlebens im ausweisenden Staat unmöglich; umgekehrt kann auch die Verweigerung der Einreise eines Familienmitgliedes die (Wieder-)Herstellung der räumlichen Familieneinheit verhindern21. In beiden Konstellationen ist das von Artikel 8 Absatz 1 EMRK geschützte Familienleben betroffen, was insbesondere dann problematisch erscheint, wenn ein enger Bezug der Familienmitglieder zum ausweisenden Staat besteht (sog. «connections approach»; z.B. Staatsangehörigkeit der anderen Familienmitglieder).

17 18 19 20

21

Botschaft zur Volksinitiative «Gegen den Bau von Minaretten», BBl 2008 7645.

EGMR, Urt. V. 2. 8. 2001, Boultif, RJD 2001-IX, Z. 29.

SR 0.101.07 Die Konventionsorgane haben Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen kaum unter dem Gesichtspunkt des Privatlebens geprüft, solange man sich plausiblerweise auf Familienleben stützen konnte. Vgl. dazu EGMR, Moustaquim, Urteil 18.2.1991, A/193.

EGMR, Urt. v. 9.10.2003 (GK), Slivenko, Nr. 48 321/99, Z. 97 (Ausweisung russischer Soldaten aus Lettland); siehe Fn. 1, §40.

5108

Die Rechtfertigung eines Eingriffs in das geschützte Privat- und Familienleben bedarf nach Artikel 8 Absatz 2 EMRK zunächst einer gesetzlichen Grundlage. Diese würde durch die Verfassungsrevision aufgrund der Initiative geschaffen. Weiter muss der Eingriff ein legitimes Ziel verfolgen. Darunter fallen auch die beiden hier relevanten Ziele der Verhütung von Straftaten und der Aufrechterhaltung der Ordnung. Schliesslich darf ein Eingriff in Artikel 8 Absatz 1 EMRK nur dann erfolgen, wenn er in einer «demokratischen Gesellschaft» notwendig ist, um die genannten Ziele zu erreichen. Die Ausweisung von straffällig gewordenen Ausländerinnen und Ausländern ist vor diesem Hintergrund grundsätzlich zulässig22. Allerdings muss in jedem konkreten Einzelfall beurteilt werden, ob eine solche Massnahme auch verhältnismässig ist. Zur Beantwortung dieser Frage stellt der EGMR auf eine Reihe Kriterien ab, die zur Gewichtung des Interesses der Allgemeinheit an der Ausweisung und den Interessen der betroffenen Person heranzuziehen sind. Dazu zählen die Natur und Schwere der Straftat; die Aufenthaltsdauer im ausweisenden Staat; die Zeit, welche zwischen der Straftat und der Anordnung einer behördlichen Massnahme verstrichen ist und wie das Verhalten der betroffenen Person während dieser Zeit gewesen ist; die Nationalität der betroffenen Person; das soziale, kulturelle und familiäre Umfeld einer Person im Gast- sowie im Herkunftsland; die Dauer der Ausweisung; die familiäre Situation (Eltern, Ehepartnerin oder -partner, Kinder); die Schwere der Probleme, die die Partnerin oder der Partner einer auszuweisenden Person im fremden Land zu erwarten hat; das Kindeswohl insbesondere in Bezug auf die Entwicklungsmöglichkeiten in beiden Ländern23.

Wie die EMRK enthält auch der UNO-Pakt II verfahrensrechtliche Garantien sowie materiellrechtliche Schranken betreffend die Ausweisung von Ausländerinnen und Ausländern.

So gewährt Artikel 13 UNO-Pakt II dieselben Verfahrensgarantien wie Artikel 1 ZP Nr. 7 zur EMRK. Konkrete materielle Schranken ergeben sich im vorliegenden Kontext insbesondere aus Artikel 17 UNO-Pakt II, welcher den willkürlichen oder rechtswidrigen Eingriff in das Familienleben verbietet und ebenfalls eine Verhältnismässigkeitsprüfung der entscheidenden Behörden verlangt24.

Zu beachten ist ferner Artikel 12 Absatz
4 UNO-Pakt II: Danach darf niemand «willkürlich das Recht entzogen werden, in sein eigenes Land einzureisen». Dieser Anspruch ist auch für Ausländerinnen und Ausländer bedeutsam geworden, seit der Menschenrechtsauschuss die Bedeutung dieser Bestimmung ausgeweitet hat. Im Fall Stewart v. Kanada25 stellte der Ausschuss fest, der Begriff «sein eigenes Land» sei weiter als der Begriff «Heimatstaat». Die Bestimmung könne auch Ausländerinnen und Ausländer gegen Ausweisungen schützen, welche ihr Leben seit früher Jugend im betreffenden Land verbracht und zum Land ihrer Staatsangehörigkeit kaum Beziehungen haben, falls sie keine Gelegenheit hatten, Bürgerinnen oder Bürger des Aufenthaltsstaates zu werden. Unzulässig ist nach dem Wortlaut von Artikel 12 Absatz 4 UNO-Pakt II jedoch lediglich der «willkürliche» («arbitrarily») Entzug des Rechts auf Einreise. Dies erfordert einerseits die Abstützung eines Entscheids auf 22 23 24

25

Siehe Fn. 2; Urt. v. 17.4.2003, Yilmaz, Nr. 52 853/99, Z. 41.

Siehe Fn. 1, Z. 48; EGMR, Maslov v. Austria, Urt. v. 22.3.2007, Nr. 1683/03.

MRA, Winata v. Australia, 930/2000 (2001), Ziff. 7.2 f.; Bakhtiyari and Family v. Australia, 1069/2002 (2003), Ziff. 9.6; Madafferi and Family v. Australia, 1011/2001 (2004), Ziff. 9.7 ff.

MRA, Stewart v. Canada, 538/1993 (1996), Ziff. 12.3 ff. Bestätigt in MRA, Canepa v.

Canada, 558/1993 (1997).

5109

eine generell-abstrakte Rechtsnorm und andererseits eine umfassende und gebührende Würdigung der entsprechenden Umstände im Einzelfall26.

Eine generelle, automatische Ausweisungspflicht ohne Möglichkeit einer individuellen Prüfung der Rechtmässigkeit sowie der Verhältnismässigkeit eines Entscheids ist somit unter dem Gesichtspunkt von Artikel 1 ZP Nr. 7 zur EMRK, Artikel 8 EMRK sowie den Artikeln 12 Absatz 4, 13 und 17 UNO-Pakt II unzulässig und kann im konkreten Einzelfall zu einer Verletzung der entsprechenden materiellen Rechte der Betroffenen führen.

4.1.2

Kinderrechtskonvention

Das Übereinkommen vom 20. November 198927 über die Rechte des Kindes hält in Artikel 3 als Grundsatz fest, dass bei allen Massnahmen, die das Kind betreffen, gleichviel ob sie von privaten oder öffentlichen Behörden, Gesetzesorganen etc.

getroffen werden, das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt ist, der vorrangig zu berücksichtigen ist.

Dies gilt, im Zusammenhang mit der vorliegenden Initiative, sowohl für die Situation, in welcher ein Kind sich selber strafrechtlich verantwortlich gemacht hätte und deshalb auszuweisen wäre, als auch für den Fall, dass die Eltern beziehungsweise die Erziehungsberechtigten des Kindes von der Ausweisungsverpflichtung gemäss Initiative betroffen wären. Eine automatische Ausweisungspflicht verhindert es im Einzelfall, das Wohl des Kindes vorrangig zu berücksichtigen.

Im Übrigen hat ein Kind, dessen Eltern ihren Aufenthalt in verschiedenen Staaten haben, aufgrund von Artikel 10 Absatz 2 KRK das Recht, regelmässige persönliche Beziehungen und unmittelbare Kontakte zu beiden Elternteilen zu pflegen. Diese Bestimmung muss im Fall einer Ausweisung des Kindes oder eines Elternteils sichergestellt werden, was je nachdem, in welches Land ein Kind oder dessen Eltern auszuweisen wären, zu Problemen führen kann.

Schliesslich bestimmt Artikel 40 KRK, dass ein Kind, welches eine Straftat begangen hat, so zu behandeln ist, dass sein Gefühl für die eigene Würde und den eigenen Wert, seine soziale Wiedereingliederung und die Übernahme einer konstruktiven Rolle in der Gesellschaft gefördert werden. Die Sicherstellung der sozialen Wiedereingliederung und die Übernahme einer konstruktiven Rolle in der Gesellschaft dürften bei einer automatischen Ausweisung schwierig zu erreichen sein.

Eine automatische Ausweisung, bei welcher nicht im Einzelfall geprüft werden kann, ob diese Rechte des Kindes gewahrt sind, kann somit zu einer Unvereinbarkeit zwischen der Kinderrechtskonvention und der Ausschaffungsinitiative führen.

26 27

Vgl. BGE 122 II 433 SR 0.107, KRK

5110

4.1.3

Freizügigkeitsabkommen28

Das Freizügigkeitsabkommen vermittelt individuelle Aufenthaltsansprüche. Diese Rechte dürfen nur durch Massnahmen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind, eingeschränkt werden. Gemäss Anhang I Artikel 5 Absatz 1 FZA sind dabei die Richtlinien 64/221/EWG29, 72/194/EWG30 und 75/35/EWG31 anwendbar.

Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) ist unter einer Massnahme im Sinne der Richtlinie 64/221 EWG jede Handlung zu verstehen, die das Recht auf freie Einreise und Aufenthalt berührt32. Dazu gehören unter anderem der Widerruf, die Nichtverlängerung oder die Verweigerung einer Bewilligung. Bei solchen Massnahmen sind die EMRK sowie der Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu beachten33.

Der EuGH hat festgehalten, dass der Begriff der «öffentlichen Ordnung» im Gemeinschaftsrecht, vor allem wenn er eine Ausnahme vom wesentlichen Grundsatz der Freizügigkeit der Arbeitnehmer rechtfertigen soll, eng zu verstehen ist. Daher dürfe seine Tragweite nicht von jedem Mitgliedstaat einseitig ohne Nachprüfung durch die Organe der Gemeinschaft bestimmt werden. Dennoch könnten die besonderen Umstände, die möglicherweise die Berufung auf den Begriff der öffentlichen Ordnung rechtfertigten, von Land zu Land und im zeitlichen Wechsel verschieden sein, so dass insoweit den innerstaatlichen Behörden ein Beurteilungsspielraum innerhalb der durch den Vertrag gesetzten Grenzen zuzubilligen sei34. Insgesamt stellen sich die Beschränkungen der ausländerrechtlichen Befugnisse der Mitgliedstaaten als eine besondere Ausprägung des in den Artikeln 8­11 EMRK verankerten Grundsatzes dar, dass die zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorgenommenen Einschränkungen der in den genannten Artikeln zugesicherten Rechte nicht den Rahmen dessen überschreiten dürfen, was für diesen Schutz in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist35.

Entfernungs- bzw. Fernhaltemassnahmen setzen somit eine tatsächliche, gegenwärtige und hinreichend schwere Gefährdung durch die betroffene Person voraus, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt36.

28

29 30 31 32 33

34 35

36

Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (mit Anhängen, Prot. und Schlussakte); SR 0.142.112.681; FZA.

ABI. L 56, vom 4.4.1964, S. 850 ABl. L 121, vom 26.5.1972, S. 32 ABI. L 14, vom 20.1.1975, S. 14 Urteil des EuGH vom 27. Oktober 1977, Rs. 30/77, Bouchereau, Slg. 1977, 1999, Rn. 21 ff.; vgl. BGE 129 II 215 E. 6.3 S. 221, bestätigt in BGE 130 II 176 E. 31 S. 179.

BGE 130 II 176 E. 3.4.2 S. 184 unter Bezugnahme auf die Urteile des EuGH vom 27. Oktober 1977, Rs. 30/77, Bouchereau, Slg. 1977, 1999, Rn. 29, und vom 11. Juli 2002, Rs. C-60/00, Carpenter, Slg. 2002, I-6279, Rn. 42 ff.

Vgl. dazu das Urteil des EuGH vom 4. Dezember 1974, Rs. 41/74, van Duyn, Slg. 1974, 1337, Rn. 18.

Urteil des EuGH vom 28. Oktober 1975, Rs. 36/75, Rutili, Slg. 1975, 1219, Rn. 32, vgl.

auch Urteil des EuGH vom 27. Oktober 1977, Rs. 30/77, Bouchereau, Slg. 1977, 1999, Rn. 33 ff.; zum Ganzen vgl. BGE 129 II 215 E. 6.2 S. 220 f.

Vgl. zur Rechtsprechung des EuGH z.B. die Urteile des EuGH vom 27. Oktober 1977, Rs. 30/77, Bouchereau, Slg. 1977, 1999, Rn. 33 ff.; vom 18. Mai 1982, Rs. 115/81 und 116/81, Adoui und Cornuaille, Slg. 1982, 1665, Rn. 8 sowie vom 19. Januar 1999, Rs. C-348/96, Calfa, Slg. 1999, I-11, Rn. 21 ff.

5111

Nicht jede Verletzung nationalen Rechts stellt eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung eines Grundinteresses der Gesellschaft dar. Eine solche liegt insbesondere dann vor, wenn der Aufnahmestaat gegenüber dem gleichen Verhalten eigener Staatsbürgerinnen und Staatsbürger ebenfalls Zwangsmassnahmen oder andere tatsächliche und effektive Massnahmen zur Bekämpfung dieses Verhaltens ergreift. Da aber die Vertragsstaaten eigene Staatsangehörige nicht ausweisen können, ist eine unterschiedliche Behandlung hinsichtlich der zu treffenden Massnahmen zulässig37.

Im Weiteren darf, soweit es nicht um Massnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit geht, ausschliesslich das persönliche Verhalten der in Betracht kommenden Einzelperson ausschlaggebend sein38. Die Massnahmen dürfen nicht aus generalpräventiven Gründen verfügt werden (Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG)39.

Eine (frühere) strafrechtliche Verurteilung darf bei der Anordnung von Entfernungsund Fernhaltemassnahmen nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihr zugrunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen liessen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt40.

Unter dem Aspekt der Gegenwärtigkeit der Gefährdung setzt eine Massnahme zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht voraus, dass weitere Straftaten der Ausländerinnen und Ausländer mit Gewissheit zu erwarten sind. Mit Blick auf die Bedeutung des Grundsatzes der Personenfreizügigkeit dürfen an die Wahrscheinlichkeit einer künftigen Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung aber keine zu geringen Anforderungen gestellt werden41.

Nach Ansicht des EuGH steht das Freizügigkeitsrecht nationalen Bestimmungen entgegen, die von der Annahme ausgehen, dass Angehörige anderer Mitgliedstaaten auszuweisen sind, die wegen bestimmter Delikte zu einer bestimmten Strafe verurteilt worden sind42.

Im Ergebnis verbietet das Freizügigkeitsabkommen die automatische Ausweisung und den Erlass von Einreiseverboten bei freizügigkeitsberechtigten Ausländerinnen und Ausländern, die bestimmte Straftaten verübt haben. Nur eine Verhältnismässigkeitsprüfung im Einzelfall, insbesondere unter Berücksichtigung der familiären Umstände, entspricht den Vorgaben des Freizügigkeitsabkommens. Die Initiative ist somit mit diesem Abkommen nicht vereinbar.

37 38 39 40 41 42

Vgl. unter anderem das Urteil des EuGH vom 18. Mai 1982, Rs. 115/81 und 116/81, Adoui und Cornuaille, Slg. 1982, 1665, Rn. 7­8.

Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG, vgl. Art. 5 Abs. 2 Anhang l FZA.

Vgl. das Urteil des EuGH vom 26. Februar 1975, Rs. 67/74, Bonsignore, Slg. 1975, 297, Rn. 6 f.

Vgl. zum Ganzen BGE 130 II 176 E. 3­4 S. 179 ff.; 130 II 493 E. 3 S. 497 ff.; 131 II 329 E. 3.2 S. 336 f.

Vgl. BGE 130 II 176 E. 4.3.1 S. 185 f.; 130 II 493 E. 3.3 S. 499 f.

Urteil des EuGH vom 7. Juni 2007, Rs. C-50/06, Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Königreich der Niederlande, Slg. 2007, I-4383, Rn. 44.

5112

4.2

Auswirkungen der Initiative bei einer Annahme

Wie dargelegt, würde eine Annahme der Initiative zu erheblichen Kollisionen mit rechtsstaatlichen Garantien der Bundesverfassung führen, und wichtige Bestimmungen des nicht zwingenden Völkerrechts könnten nicht mehr eingehalten werden.

Das geltende Recht erlaubt es bereits heute, bei schweren Straftaten oder bei einem erheblichen Betrug bei der Sozialhilfe die notwendigen Entfernungs- und Fernhaltemassnahmen zu ergreifen. Neben dem Widerruf von Bewilligungen und Wegweisungen gehören dazu auch Einreiseverbote. Die Missachtung eines Einreiseverbots ist ebenfalls heute schon strafbar.

Zudem wäre es bei einer Annahme der Initiative insbesondere bei Personen aus dem Asylbereich für die Behörden teilweise auch weiterhin sehr schwierig, die für den tatsächlichen Vollzug einer Wegweisung notwendigen heimatlichen Reisedokumente zu beschaffen.

Aus diesen Gründen lehnt der Bundesrat die Initiative ab. Im Hinblick auf eine sinnvolle Verbesserung der bestehenden rechtlichen Instrumente soll ihr jedoch ein indirekter Gegenvorschlag gegenübergestellt werden.

5

Grundzüge des indirekten Gegenvorschlags

5.1

Erteilung der Niederlassungsbewilligung nur bei guter Integration

Die Erteilung der unbefristeten und mit keinen Bedingungen verbundenen Niederlassungsbewilligung an Ausländerinnen und Ausländer soll auch nach einem Voraufenthalt von zehn Jahren oder im Rahmen des Familiennachzugs nur noch dann erfolgen, wenn eine gute Integration vorliegt.

Im Hinblick auf die Erteilung der Niederlassungsbewilligung nach einem Aufenthalt von zehn Jahren besteht heute lediglich eine Verordnungsbestimmung, wonach das bisherige Verhalten der Gesuchstellerin oder des Gesuchstellers sowie der Grad der Integration zu prüfen sind (Art. 60 der Verordnung vom 24. Oktober 200743 über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit, VZAE).

Ehegatten von Schweizerinnen und Schweizern (Art. 42 Abs. 3 AuG) sowie von Ausländerinnen und Ausländern mit Niederlassungsbewilligung (Art. 43 Abs. 2 AuG) haben heute nach einem ordnungsgemässen und ununterbrochenen Aufenthalt von fünf Jahren Anspruch auf die Erteilung der Niederlassungsbewilligung. Dieser Anspruch erlischt nur, wenn er rechtsmissbräuchlich geltend gemacht wird oder wenn Widerrufsgründe vorliegen. Neu soll auch hier zusätzlich eine gute Integration vorausgesetzt werden. Es ist nicht gerechtfertigt, die ausländischen Ehegatten bei der Erteilung der Niederlassungsbewilligung im Verhältnis zu den übrigen Ausländerinnen und Ausländern zu privilegieren.

Zu einer guten Integration gehören die Respektierung der Rechtsordnung, das Bekenntnis zu den Grundwerten der Bundesverfassung sowie der Wille zur Teilhabe am Wirtschaftsleben und zum Erwerb von Bildung (Art. 4 AuG; Art. 4 der Verord-

43

SR 142.201

5113

nung vom 24. Oktober 200744 über die Integration von Ausländerinnen und Ausländern, VintA). Wichtig sind insbesondere auch Kenntnisse einer Landessprache.

Mit der vorgeschlagenen generellen Erhöhung der Anforderungen an die Erteilung der Niederlassungsbewilligung wird ein Anreiz zum Erwerb der für eine gute berufliche und gesellschaftliche Integration unabdingbaren Sprachkenntnisse geschaffen.

Das Niveau der verlangten Sprachkenntnisse ist dabei so anzusetzen, dass Effekte vermieden werden, welche dem übergeordneten Ziel der Sprach- und Integrationsförderung entgegenstehen. Lernen nur für das Bestehen obligatorischer Tests bringt aus sprachwissenschaftlicher Sicht wenig. Zudem trägt eine sichere Rechtstellung zum Engagement und zur Verbundenheit mit der Schweiz bei und fördert damit wiederum die Motivation zum weiteren Erwerb von Sprachkenntnissen.

Eine bessere Prüfung der Integration der Gesuchstellerinnen und Gesuchsteller vor Erteilung der Niederlassungsbewilligung führt auch dazu, dass diese Bewilligung später nicht in einem langwierigen Verfahren widerrufen werden muss, wenn wegen einer mangelhaften Integration Rechtsverletzungen begangen werden.

Gute Sprachkenntnisse werden heute im AuG lediglich für die vorzeitige Erteilung der Niederlassungsbewilligung nach einem Aufenthalt von fünf Jahren verlangt (Art. 34 Abs. 4 AuG). Diese vorzeitige Erteilung soll auch weiterhin möglich sein; allerdings sollen hier im Vergleich zur Erteilung der Niederlassungsbewilligung nach zehn Jahren erhöhte Anforderungen an die Anstrengungen zur Integration und an die Sprachkenntnisse gelten. Vorausgesetzt wird auch hier, dass die weiteren, oben erwähnten Voraussetzungen für eine gute Integration gegeben sind. Die konkreten Anforderungen an die Sprachkenntnisse wird der Bundesrat in der Ausführungsverordnung zum AuG festlegen.

Aufgrund von Niederlassungsvereinbarungen, Erklärungen des Bundesrates oder aus Gegenrechtserwägungen erhalten die Angehörigen einzelner Staaten die Niederlassungsbewilligung nach einem ordnungsgemässen und ununterbrochenen Aufenthalt von fünf Jahren in der Schweiz (Belgien, Deutschland, Dänemark, Frankreich, Fürstentum Liechtenstein, Griechenland, Italien, Niederlande, Österreich, Portugal, Spanien, Finnland, Grossbritannien, Irland, Island, Luxemburg, Norwegen, Schweden, Vereinigte
Staaten von Amerika, Kanada, Andorra, Monaco, San Marino, Vatikanstadt). Besteht eine Niederlassungsvereinbarung, ist es nicht möglich, zusätzliche Bedingungen wie zum Beispiel Sprachkenntnisse für die Erteilung der Niederlassungsbewilligung einzuführen. Der Rechtsanspruch auf eine Niederlassungsbewilligung bestimmt sich in diesen Fällen nach Massgabe der jeweiligen Vereinbarung.

Das Freizügigkeitsabkommen enthält dagegen keinen Anspruch auf ein unbefristetes und mit keinen Bedingungen verbundenes Aufenthaltsrecht im Sinne der Niederlassungsbewilligung45. Die vorgeschlagene Regelung für die Erteilung der Niederlassungsbewilligung findet daher auch auf EG/EFTA-Angehörige Anwendung, sofern nicht die günstigeren Regelungen einer Niederlassungsvereinbarung Vorrang haben.

Da das Freizügigkeitsabkommen bereits ein sehr weitgehendes Aufenthaltsrecht gewährt, kommt der Erteilung der Niederlassungsbewilligung an EU/EFTA-Angehörige nicht die gleiche Bedeutung zu wie bei Personen aus Drittstaaten.

44 45

SR 142.205 Vgl. dazu auch BGE 129 II 249 E. 3.3 S. 257; 130 II 49 E. 4 S. 55; 2A.98/2003 vom 28. August 2003, E. 2.2.

5114

5.2

Konsequenter Widerruf von Bewilligungen bei schweren Straftaten

Mit der Einführung des AuG am 1. Januar 2008 wurden die Gründe für den Widerruf von Bewilligungen neu formuliert (Art. 62 und 63 AuG); inhaltlich wurde dabei die frühere Regelung übernommen (siehe Botschaft zum AuG46). Aufgrund der unterschiedlichen Praxis der Kantone sowie eines neueren Grundsatzentscheides des Bundesgerichts47 über die Berücksichtigung der Integration beim Widerruf von Bewilligungen ist es sinnvoll, die heutige Regelung zu verbessern.

Der Verstoss gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung, falsche Angaben beim Bewilligungsgesuch, Straftaten sowie der Bezug von Sozialhilfe werden im geltenden Recht als Widerrufsgründe erwähnt. In der Praxis werden bei schweren Straftaten die Bewilligungen widerrufen und die betroffenen Personen weggewiesen. Die Kantone sind dazu allerdings nicht verpflichtet. Der grosse Ermessensspielraum führt zu einer uneinheitlichen Praxis.

Bei der Aufenthaltsbewilligung wird zudem oft auf einen Widerruf verzichtet und eine Nichtverlängerung der Bewilligung verfügt. Besteht kein Anspruch auf die Erteilung der Aufenthaltsbewilligung, ist dieses Verfahren einfacher durchzuführen und eine Beschwerde an das Bundesgericht ist ausgeschlossen.

Die angestrebte Praxisvereinheitlichung soll durch eine neue Bestimmung erreicht werden, wonach ein Bewilligungswiderruf erfolgt, wenn eine schwere Straftat begangen wurde, für die eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr angedroht wird, oder wenn bei einer anderen Straftat eine mindestens zweijährige Freiheitsstrafe ausgesprochen wurde (Art. 63 E-AuG; Änderung gegenüber Vernehmlassungsentwurf siehe Ziff. 6.2.2).

In diesen Fällen wird davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Wegweisung das private Interesse an einem weiteren Aufenthalt regelmässig überwiegt. Vorbehalten bleiben der verfassungsmässige Grundsatz der Verhältnismässigkeit und die Bestimmungen des Völkerrechts. Die Behörden sollen durch die vorgeschlagene Bestimmung verpflichtet werden, die Fälle genau zu prüfen und einen Verzicht auf den Widerruf der Niederlassungsbewilligung zu begründen.

Auch bei geringfügigeren Verurteilungen ist jedoch ein Widerruf der Bewilligung weiterhin möglich, wenn ein erheblicher oder wiederholter Verstoss gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorliegt (Art. 62 Abs. 1 Bst. b E-AuG). Der Entscheid über
den Widerruf liegt hier im Ermessen der Behörden.

Die Bestimmungen über den Widerruf der Bewilligungen gelten wie bereits heute grundsätzlich auch für Personen, die sich auf das Freizügigkeitsabkommen berufen können. Dabei sind die Grundsätze dieses Abkommens zu beachten. Demnach ist hier ein Entzug des Aufenthaltsrechts insbesondere nur möglich, wenn eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch die betroffene Person besteht (siehe z.B. BGE 130 II 176).

Die Ausschaffungsinitiative enthält eine im Ergebnis eher zufällige Auflistung einzelner Straftatbestände, die unabhängig vom Strafmass im Einzelfall automatisch zu einem Widerruf der Bewilligungen führen sollen. Dies könnte bei einer Annahme 46 47

BBl 2002 3709 3760 BGE 134 II 1

5115

der Initiative zum Beispiel dazu führen, dass eine geringfügige Strafe wegen eines kleinen Einbruchs automatisch zu einem Bewilligungswiderruf führt, nicht jedoch eine mehrjährige Freiheitsstrafe wegen eines sehr schweren Betrugs mit einer hohen Deliktssumme. Das Konzept der Ausschaffungsinitiative führt so zu Konflikten insbesondere mit dem verfassungsmässigen Grundsatz der Verhältnismässigkeit behördlicher Massnahmen und mit dem nicht zwingenden Völkerrecht.

6

Vernehmlassungsverfahren

6.1

Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens

Der Bundesrat hat am 14. Januar 2009 das Vernehmlassungsverfahren zu einem indirekten Gegenvorschlag zur Ausschaffungsinitiative eröffnet. Es dauerte bis am 15. April 2009.

Die grosse Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer stellte sich gegen die Volksinitiative, die als unverhältnismässig, im Ergebnis willkürlich sowie verfassungs- und völkerrechtswidrig beurteilt wird. Die Wegweisung von schwer straffälligen Ausländerinnen und Ausländern wird jedoch von allen Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmern grundsätzlich befürwortet.

Der Gegenvorschlag wird insbesondere von einer deutlichen Mehrheit der Kantone, der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD), dem Städte- und Gemeindeverband sowie von den Arbeitgeberorganisationen im Interesse einer einheitlicheren und konsequenten Praxis und einer besseren Integration befürwortet. Demgegenüber erachten insbesondere die Arbeitnehmerorganisationen, die Kirchen-, Hilfs- und Entwicklungsorganisationen eine Verschärfung des geltenden Rechts nicht als notwendig; es bestünden bereits genügend Möglichkeiten, um bei schweren Straftaten einen Widerruf der Bewilligungen zu erreichen, und für die Erteilung der Niederlassungsbewilligung sollten keine zusätzlichen Integrationsvoraussetzungen geschaffen werden.

Die meisten Kantone (20) stimmen den zentralen Punkten des Gegenvorschlags zu (Erteilung der Niederlassungsbewilligung bei guter Integration sowie Präzisierung der Widerrufsgründe). Sie weisen jedoch darauf hin, dass eine umfassende Integrationsprüfung bei der Erteilung der Niederlassungsbewilligung einen bedeutenden Mehraufwand für die Migrationsbehörden mit sich bringen würde. Zudem müsse der Bund ein geeignetes Prüfungskonzept bereitstellen, das einen raschen und fundierten Entscheid ermögliche.

Für die SVP geht der Gegenvorschlag des Bundesrats zu wenig weit; sie bevorzugt ihre Volksinitiative.

Die SP will diese Volksinitiative als ungültig erklären; damit erübrige sich auch ein indirekter Gegenvorschlag. Sie lehnt den Inhalt des Gegenvorschlags grundsätzlich ab, wäre aber alleine mit einer Bestimmung über die Wegweisung von Straftäterinnen und Straftätern bei einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren unter Berücksichtigung der Verfassung und des Völkerrechts einverstanden.

5116

Die FDP befürwortet den Gegenvorschlag grundsätzlich, sie spricht sich jedoch für eine eigene Liste mit Straftatbeständen aus, die ungeachtet der Strafzumessung im Einzelfall zum Widerruf der Bewilligungen führen sollen.48 Die CVP befürwortet den Gegenvorschlag, möchte aber zusätzlich die richterliche Landesverweisung wieder einführen49.

Die EVP ist mit dem Gegenvorschlag teilweise einverstanden (Erteilung der Niederlassungsbewilligung nur bei guter Integration). Eine Konkretisierung der Widerrufsgründe für Bewilligungen und eine Vereinheitlichung der Praxis wird grundsätzlich ebenfalls begrüsst, die vorgeschlagenen Bestimmungen gingen jedoch deutlich zu weit.

Für die CSP geht der Gegenvorschlag viel zu weit. Die einzige akzeptable Massnahme sei die Bestimmung über den Widerruf der Bewilligung bei schweren Straftaten (Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren).

Für die Grünen ist der Gegenvorschlag überhastet und unnötig und entbehrt einer sachlichen Grundlage. Er sei aus grund- und menschenrechtlicher Sicht klar abzulehnen.

6.2

Überarbeitung des Vorentwurfs

Aufgrund der eingegangen Stellungnahmen wurde der Vernehmlassungsentwurf in den folgenden Punkten angepasst:

6.2.1

Widerruf der Bewilligung bei schweren Straftaten

Der Vernehmlassungsentwurf sieht vor, dass Bewilligungen widerrufen werden, wenn die betroffene Person zu einer Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt wurde (Art. 63 E-AuG).

Einige Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer machen darauf aufmerksam, dass mit dieser Lösung die Gefahr besteht, dass die Strafgerichte bei der Festlegung des Strafmasses bis zu einem gewissen Grad auch den Bewilligungswiderruf durch die Migrationsbehörden beeinflussen könnten. Teilweise wird auch gefordert, dass bei bestimmten schweren Delikten das Ermessen der Behörden beim Widerruf von Bewilligungen eingeschränkt wird.

Ein Widerruf der Bewilligung soll daher zusätzlich auch unabhängig von der Dauer der im Einzelfall ausgesprochenen Strafe erfolgen, wenn eine Straftat begangen wurde, für die eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr angedroht wird. Dabei 48

49

Das gleiche Ziel verfolgt die parlamentarische Initiative 08.449, FDP-Liberale Fraktion, Kein Missbrauch des Gastrechts. Am 22.1.2009 hat die SPK-N beschlossen, dieser parlamentarischen Initiative keine Folge zu geben. Am 30.4.2009 ist der Nationalrat diesem Antrag gefolgt.

Siehe auch folgende parlamentarischen Initiativen: 06.484, SVP, Wiedereinführung der strafrechtlichen Landesverweisung. Zurückgezogen am 22.1.2009 im Hinblick auf die Ausschaffungsinitiative.

08.426, Darbellay, Wiedereinführung des Landesverweises als Nebenstrafe. Am 22.1.2009 hat die SPK-N beschlossen, dieser parlamentarischen Initiative keine Folge zu geben. Am 12.3.2009 ist der Nationalrat diesem Antrag gefolgt.

5117

handelt es sich immer um sehr schwere Straftaten insbesondere gegen die physische, psychische oder sexuelle Integrität (v.a. Mord, vorsätzliche Tötung, Vergewaltigung, qualifizierter Raub, Geiselnahme, Brandstiftung, qualifizierter Menschenhandel, Völkermord).

Auf einen Widerruf der Bewilligung wird jedoch auch in diesen Fällen ausnahmsweise verzichtet, wenn die privaten Interessen der Ausländerin oder des Ausländers besonders gewichtig sind und sie die öffentlichen Interessen an einem Widerruf überwiegen. Die entsprechende Ausnahmebestimmung gilt auch hier (Art. 63 Abs. 2 E-AuG).

Artikel 63 E-AuG findet bei Versuch (Art. 22 StGB) oder Gehilfenschaft (Art. 25 StGB) keine Anwendung, weil das Strafgesetzbuch in diesen Fällen eine fakultative beziehungsweise obligatorische Strafmilderung vorsieht und die drohende Mindeststrafe daher nicht mehr zwingend ein Jahr Freiheitsstrafe beträgt. In diesen Fällen muss gegebenenfalls geprüft werden, ob sich ein Widerruf gestützt auf Artikel 62 E-AuG rechtfertigt.

6.2.2

Kantonswechsel von Ausländerinnen und Ausländern mit Aufenthaltsbewilligung

Nach geltendem Recht haben Personen mit einer Aufenthaltsbewilligung Anspruch auf den Kantonswechsel, wenn keine Widerrufsgründe nach Artikel 62 AuG vorliegen und sie nicht arbeitslos sind (Art. 37 Abs. 2 AuG). Diese zweite Bedingung ist durch die neue Formulierung des Artikels im Vernehmlassungsentwurf weggefallen; sie soll nun gemäss der Forderung einiger Kantone wieder aufgenommen werden (Art. 37 Abs. 2 E-AuG).

7

Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

Änderung des Bundesgesetzes über die Ausländerinnen und Ausländer: Art. 33 Abs. 3, 34 Abs. 2, 35 Abs. 4, 37 Abs. 2 und 3, 51 und 83 Abs. 7 Diese Anpassungen erfolgen im Hinblick auf die Neuregelung des Widerrufs von Bewilligungen. Insbesondere soll aus systematischen Gründen sowohl auf Artikel 62 als auch auf Artikel 63 verwiesen werden. Es ist dabei vorausgesetzt, dass im Einzelfall weder ein Widerrufsgrund nach Artikel 62 noch ein Widerrufsgrund nach Artikel 63 vorliegen darf.

5118

Art. 34

Niederlassungsbewilligung

Abs. 2 Bst. c (neu) Bei der Erteilung der Niederlassungsbewilligung im Rahmen des ordentlichen Verfahrens nach einem Aufenthalt von zehn Jahren sollen die Behörden neben der Einhaltung der Fristen (Abs. 2 Bst. a) und dem Vorliegen von Widerrufsgründen (Abs. 2 Bst. b) zusätzlich auch den Grad der Integration prüfen50.

Der Grad der Integration misst sich an der Einhaltung der Rechtsordnung, an der Respektierung der Werte der Bundesverfassung, am Erlernen einer Landessprache sowie am Willen zur Teilnahme am Wirtschaftleben und zum Erwerb von Bildung (Art. 4 VIntA). Dem weiteren Aspekt der «Auseinandersetzung mit den Lebensbedingungen in der Schweiz» ist angemessen Rechnung zu tragen.

Eine Verletzung der Werte der Bundesverfassung liegt beispielsweise bei einem Verhalten einer Ausländerin oder eines Ausländers vor, das die fundamentalen Grundsätze der Demokratie, der Toleranz, der Selbstbestimmung oder der Gleichstellung von Mann und Frau eindeutig missachtet. Massgebend sind aktenkundige Ereignisse.

Die Einhaltung der Rechtsordnung setzt einen einwandfreien Leumund voraus. Bei hängigen Strafverfahren ist der Entscheid über die Erteilung der Niederlassungsbewilligung bis zur allfälligen Einstellung des Strafverfahrens zu sistieren.

Neben der verlangten sozialen Integration sollen Kenntnisse einer Landessprache eine selbstständige Kontaktaufnahme im Alltag ermöglichen (beispielsweise mit den Arbeitsmarktbehörden, den Lehrerinnen und Lehrern der Kinder, bei der Berufsberatung oder bei einer ärztlichen Konsultation). Der Bundesrat hat im Rahmen des Massnahmenpakets zur Integrationsförderung (Bericht Integrationsmassnahmen 2007) unter anderem beschlossen, dass das BFM in Zusammenarbeit mit den im Bereich der Sprachförderung bei Ausländerinnen und Ausländern tätigen Institutionen und Behörden ein Rahmenkonzept für die Sprachförderung erarbeitet. Es sollen dabei auch Standards für die Sprachstanderfassung und geeignete Überprüfungsverfahren (z.B. Tests) entwickelt werden, welche auf unterschiedlichen Profilen beruhen. Bis zum Abschluss dieser Arbeiten sind die verlangten Sprachkenntnisse durch bestandene Sprachtests anerkannter Bildungsinstitutionen oder Ausbildungsbestätigungen besuchter Schweizer Schulen nachzuweisen. Unverschuldete Erschwernisse beim Spracherwerb wie beispielsweise Analphabetismus,
starke gesundheitliche Beeinträchtigung, ausserordentliche Arbeitsauslastung oder Lebensumstände werden angemessen berücksichtigt.

Die Einschätzung sprachlicher Fähigkeiten soll soweit wie möglich im Rahmen einer Gesamtbeurteilung der Integrationssituation und der Kommunikationsfähigkeiten erfolgen.

50

Vergleichbare Ziele verfolgen die parlamentarischen Initiativen 08.406, Rückstufung eines niedergelassenen integrationsunwilligen Ausländers zum Jahresaufenthalter und 08.420, Integration gesetzlich konkretisieren, eingereicht von Pfister Gerhard. Am 27.6.2008 hat die SPK-N beschlossen, den parlamentarischen Initiativen Folge zu geben.

Die SPK-S hat am 28.8.2008 dem Vorgehen zugestimmt.

5119

Der Bund und die Kantone subventionieren bereits heute Sprachausbildungen für bestimmte Zielgruppen, für welche im Rahmen der Regelangebote keine geeigneten Ausbildungsmöglichkeiten bestehen. Im Rahmen dieser subventionierten Sprachkurse werden zum Teil auch Sprachkompetenznachweise erteilt.

Wie bereits heute bei der frühzeitigen Erteilung der Niederlassungsbewilligung (Abs. 4) sollen jedoch in der Regel die Kosten des Sprachkompetenznachweises durch die Gesuchstellerinnen und Gesuchsteller getragen werden.

Der Wille zur Teilnahme am Wirtschaftsleben und zum Erwerb von Bildung misst sich schliesslich am Nachweis von Arbeits- oder Bildungsverhältnissen oder zumindest an aktiven Bemühungen, solche einzugehen. Unverschuldete Verhinderung der Arbeitsaufnahme oder des Erwerbs von Bildung beispielsweise durch starke gesundheitliche Beeinträchtigung oder das Erleiden psychischer oder physischer Gewalt wird angemessen berücksichtigt.

Abs. 4 Ausländerinnen und Ausländern, die besondere Anstrengungen zu ihrer Integration unternommen haben, kann die Niederlassungsbewilligung schon nach einem ununterbrochenen Aufenthalt von fünf Jahren mit Aufenthaltsbewilligung erteilt werden (Art. 34 Abs. 4 E-AuG).

Diese Möglichkeit besteht bereits nach dem geltenden Recht; Absatz 4 wird jedoch im Hinblick auf den geänderten Absatz 2 neu formuliert. Bisher wurde für die frühzeitige Erteilung der Niederlassungsbewilligung eine «erfolgreiche Integration» vorausgesetzt. Um Auslegungsprobleme im Zusammenhang mit dem Begriff «gute Integration» in Absatz 2 zu vermeiden, sollen für die frühzeitige Erteilung der Niederlassungsbewilligung besondere Anstrengungen für die Integration vorausgesetzt werden. Grundsätzlich soll die bisherige Praxis fortgeführt werden.

Mit Artikel 34 Absatz 4 AuG soll ein zusätzlicher Anreiz zur Integration gesetzt werden. Im Vergleich mit der Erteilung der Niederlassungsbewilligung nach zehn Jahren (Abs. 2) gelten erhöhte Anforderungen an die Anstrengungen zur Integration und an die Sprachkenntnisse (siehe auch Ziff. 5.1).

Art. 42

Familienangehörige von Schweizerinnen und Schweizern

Abs. 3 Nach geltendem Recht haben die ausländischen Ehegatten von Schweizerinnen und Schweizern nach einem Aufenthalt von fünf Jahren Anspruch auf Erteilung der Niederlassungsbewilligung, ohne dass eine gute Integration vorliegen muss. Dieser Rechtsanspruch erlischt nur, wenn ein Widerrufsgrund für die Niederlassungsbewilligung vorliegt (Art. 51 Abs. 1 i.V. mit Art. 63 AuG; v.a. qualifizierter Verstoss gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung, erheblicher und dauerhafter Bezug von Sozialhilfeleistungen).

Neu soll auch in diesen Fällen die Niederlassungsbewilligung nur dann erteilt werden, wenn die betroffenen Personen gut integriert sind und namentlich über die für den Alltag notwendigen Sprachkenntnisse verfügen. Dabei gelten die gleichen Kriterien wie bei der ordentlichen Erteilung der Niederlassungsbewilligung nach einem Aufenthalt von zehn Jahren (siehe Kommentar zu Art. 34 Abs. 2 Bst. c AuG).

5120

Art. 43

Ehegatten von Personen mit Niederlassungsbewilligung

Abs. 2 Nach geltendem Recht haben die ausländischen Familienangehörigen von Personen mit einer Niederlassungsbewilligung nach einem Aufenthalt von fünf Jahren Anspruch auf Erteilung der Niederlassungsbewilligung, ohne dass eine gute Integration vorliegen muss. Dieser Rechtsanspruch erlischt nur, wenn ein allgemeiner Widerrufsgrund vorliegt (Art. 51 Abs. 2 Bst. b i.V. mit Art. 62 AuG; v.a. Verstoss gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung, Bezug von Sozialhilfe).

Für Ehegatten von Personen mit Niederlassungsbewilligung sollen bezüglich der Integrationsvoraussetzungen für die Erteilung der Niederlassungsbewilligung die gleichen Voraussetzungen gelten wie für Familienangehörige von Schweizerinnen und Schweizern (siehe Kommentar zur Änderung von Art. 34 Abs. 2 Bst. c und 42 AuG).

Art. 50

Auflösung der Familiengemeinschaft

Sprachlich wird Artikel 50 E-AuG an Artikel 34 Absatz 2 E-AuG angepasst. Der Begriff «erfolgreiche Integration» wird durch den Begriff «gute Integration» ersetzt, da hier grundsätzlich die gleichen Kriterien zur Beurteilung des Integrationsgrades wie bei der Erteilung der Niederlassungsbewilligung gelten sollen. Die bisherige Praxis zu dieser Bestimmung soll fortgeführt werden.

Art. 62

Widerruf von Bewilligungen und anderen Verfügungen

Zusammenlegung der bisherigen Artikel 62 und 63 AuG Die Regelungen für den generellen Widerruf von Bewilligungen und Verfügungen (bisheriger Art. 62 AuG) sowie für den Widerruf der Niederlassungsbewilligung (bisheriger Art. 63 AuG) sollen vereinheitlicht und damit vereinfacht werden. In der Praxis hat sich gezeigt, dass die Tragweite der unterschiedlichen Formulierungen in den heutigen Artikeln 62 und 63 AuG oft nicht klar ist. Bei der Prüfung der Verhältnismässigkeit eines Bewilligungswiderrufs sollen jedoch weiterhin die persönlichen Umstände im Einzelfall berücksichtigt werden; dazu gehört die Schwere des Verschuldens, die Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Art der erteilten Bewilligung (Art. 96 AuG).

Für den Widerruf einer Bewilligung wird ein erheblicher oder wiederholter Verstoss gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorausgesetzt (Bst. b; bisher Art. 62 Bst. c AuG). Dies bedeutet, dass beispielsweise eine geringfügige Busse nicht zu einem Widerruf der Bewilligung führen kann. Andererseits kann aber wiederholter, gewerbsmässiger Drogenhandel auch bei jeweils geringen Mengen zu einem Widerruf führen. Dies gilt auch für mehrere kleinere Einbrüche, die gewerbsmässig verübt wurden. Ein erheblicher Verstoss gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung liegt generell dann vor, wenn das zu beurteilende Verhalten nach überwiegender Auffassung den grundlegenden Wertvorstellungen widerspricht und deswegen der weitere Aufenthalt in der Schweiz nicht mehr toleriert wird.

Auch hier ist jedoch der Grundsatz der Verhältnismässigkeit im Einzelfall zu beachten (Dauer des bisherigen Aufenthalts, Art der erteilten Bewilligung, familiäre Situation, Verschulden der betroffenen Person).

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Der mit dem AuG eingeführte Verzicht auf den Widerruf der Niederlassungsbewilligung bei dauerhafter und erheblicher Sozialhilfeabhängigkeit oder bei falschen Angaben im Gesuch nach einem Aufenthalt von 15 Jahren soll nach den ersten Erfahrungen aufgehoben werden (geltender Art. 63 Abs. 2 AuG)51. Diese Bestimmung hat in der Praxis teilweise dazu geführt, dass sozialhilfeabhängige Ausländerinnen und Ausländer keine persönlichen Anstrengungen mehr unternehmen, um selber für ihren Unterhalt aufzukommen. Sie wissen, dass ihre Anwesenheit in der Schweiz nicht mehr in Frage gestellt werden kann. Die Behörden sind auch gemäss dem Vorschlag des Bundesrates im Einzelfall verpflichtet, die Verhältnismässigkeit und die Angemessenheit eines Widerrufs der Niederlassungsbewilligung wegen einer erheblichen Sozialhilfeabhängigkeit zu prüfen. Dies gilt insbesondere bei einer unverschuldeten Sozialhilfeabhängigkeit (z.B. wegen einer Scheidung oder wegen eines zu geringen Einkommens). Dabei ist auch die Dauer der bisherigen Anwesenheit in der Schweiz zu berücksichtigen (Art. 96 AuG).

Oft liegen auch mehrere Gründe gleichzeitig für einen Widerruf der Niederlassungsbewilligung (wiederholte Straftaten, Sozialhilfeabhängigkeit, Schulden etc.) vor. Bei einem Aufenthalt über 15 Jahren kann heute die Sozialhilfeabhängigkeit nicht mehr mitberücksichtigt werden, auch wenn die Integration insgesamt als sehr schlecht einzustufen ist.

Abs. 2 Die «öffentliche Sicherheit und Ordnung» bildet den Oberbegriff der polizeilichen Schutzgüter: ­

Die öffentliche Sicherheit bedeutet die Unverletzlichkeit der Rechtsgüter der Einzelnen (Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum usw.) sowie der Einrichtungen des Staates.

­

Die öffentliche Ordnung umfasst die objektive Rechtsordnung sowie die Gesamtheit der ungeschriebenen Ordnungsvorstellungen, deren Befolgung nach der herrschenden sozialen und ethischen Anschauung als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens anzusehen ist.

Ein massgeblicher Verstoss gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung kann auch dann vorliegen, wenn die einzelnen Handlungen für sich allein noch keinen Widerruf rechtfertigen, deren kombinierte oder wiederholte Begehung aber klar darauf hinweist, dass die betreffende Person nicht bereit ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu respektieren.

Bst. a Diese Bestimmung entspricht weitgehend dem geltenden Artikel 62 Buchstabe b AuG. Eine «längerfristige Freiheitsstrafe» wird jedoch nicht mehr separat als Widerrufsgrund aufgeführt. Das Verhältnis zum Widerrufsgrund «Verstoss gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung» war nicht klar (geltende Art. 62 Bst. c und 63 Abs. 1 Bst. b AuG). Bei der Beratung des AuG im Parlament wurde ein Kommis-

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Das gleiche Ziel verfolgt die parlamentarische Initiative 8.450; Mehr Handlungsspielraum für die Behörden; eingereicht durch Philipp Müller. Am 22.1.2009 hat die SPK-N beschlossen, der parlamentarischen Initiative Folge zu geben. Die SPK-S hat am 27.3.2009 dem Vorgehen zugestimmt.

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sionsantrag abgelehnt, der den Begriff «längerfristige Freiheitsstrafe» genau definieren wollte.

Voraussetzung des Widerrufs nach Artikel 62 Absatz 2 Buchstabe a E-AuG bildet ein Schuldspruch wegen einer Straftat. Nicht vorausgesetzt wird, dass der Schuldspruch in einem schweizerischen Strafurteil enthalten sein muss. Wie bisher kann vielmehr auch eine Verurteilung im Ausland einen Widerruf rechtfertigen52. Im Zusammenhang mit dem Widerruf nach Artikel 62 (bzw. Art. 63 E-AuG) gilt dies insbesondere, wenn der Schuldspruch in einem Staat erfolgte, in welchem die Beachtung der grundlegenden rechtsstaatlichen Verfahrensgrundsätze und Verteidigungsrechte im Strafprozess als garantiert erscheint.

Im Gegensatz zu Artikel 63 E-AuG setzt der Widerrufsgrund nach Artikel 62 Absatz 2 Buchstabe a E-AuG nicht zwingend eine rechtskräftige Verurteilung voraus. Ein strafbares Verhalten kann zum Widerruf einer Bewilligung führen, sofern unbestritten ist oder aufgrund der Akten keine Zweifel bestehen, dass es der betroffenen Person zur Last zu legen ist.

Bst. b­d Im Interesse einer transparenten Regelung sollen die bisher in Artikel 80 Absatz 1 VZAE enthaltenen beispielhaften Konkretisierungen für einen Verstoss der «öffentlichen Sicherheit und Ordnung» oder deren Gefährdung im Gesetz aufgeführt werden53.

Als Verbrechen gegen den Frieden (Bst. d) gelten die Straftatbestände nach den Artikeln 258­263 des Strafgesetzbuches54 (StGB; zwölfter Titel: Verbrechen und Vergehen gegen den öffentlichen Frieden).

Ein für den Widerruf der Bewilligung relevanter Verstoss gegen die öffentliche Ordnung liegt zudem etwa dann vor, wenn eine Ausländerin oder ein Ausländer ihre oder seine Familienangehörigen im klaren Widerspruch zu den herrschenden Werten und Geboten so unter Druck setzt, dass sie gegen ihren Willen eine Ehe eingehen (Zwangsehe). Dabei ist es nicht erforderlich, dass dieses Verhalten zu einer strafrechtlichen Verurteilung führt (BGE 134 I E. 4.3). Dies gilt auch bei vergleichbaren Handlungen, die die persönliche Freiheit bestimmter Personen offensichtlich verletzen.

Abs. 3 Entspricht dem geltenden Artikel 80 Absatz 2 VZAE.

Abs. 4 Es wird konkretisiert, welche Elemente im Einzelfall bei der Prüfung eines Widerrufs zu berücksichtigen sind.

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Zur bisherigen Rechtsprechung vgl. etwa die bundesgerichtlichen Urteile 2C_609/2008 vom 8. Januar 2009, E. 2 und 3; 2C_381/2008 vom 14. Januar 2009, E. 2; 2A.57/2000 vom 17. April 2000, E. 3; 2A.127/1994 vom 17. Oktober 1995, E. 3a; 2A.315/2005 vom 18. Oktober 2005, E. 3.2.1; ferner: BGE 134 II 25 E. 4.3.1 S. 29.

Dieses Ziel verfolgt auch die parlamentarische Initiative 08.420, Integration gesetzlich konkretisieren, eingereicht von Pfister Gerhard. Am 27.6.2008 hat die SPK-N beschlossen, der parlamentarischen Initiative Folge zu geben. Die SPK-S hat am 28.8.2008 dem Vorgehen zugestimmt.

SR 311.0

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Der Vorrang des Völkerrechts bei der Anwendung des AuG ergibt sich bereits aus Artikel 2 Absatz 1 AuG; eine ausdrückliche Wiederholung dieses Grundsatzes ist in diesem Artikel nicht notwendig.

Beim Widerruf einer Bewilligung ist insbesondere die Praxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Artikel 8 EMRK (Schutz des Familien- und Privatlebens) zu beachten. Der EGMR hat in ständiger Rechtsprechung betont, dass bei Wegweisungen die besondere Situation von Ausländerinnen und Ausländern zu berücksichtigen sei, die die überwiegende oder die gesamte Zeit ihrer Kindheit im Gastland verbracht haben (vgl. z.B. die Urteile Üner55, Rn. 58 und Maslov56, Rn. 73).

Bei der Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen ist nach der Rechtsprechung des EGMR beispielsweise auch eine psychische Erkrankung zu berücksichtigen, die die mit einer Rückkehr entstehenden Probleme verschärft (siehe Urteil Emre57 gegen die Schweiz).

Auch wenn die Verwurzelung im Gastland eine umfassende Abwägung der Interessen erfordert, so hat der Gerichtshof in den Urteilen Üner (Rn. 57) und Maslov (Rn. 74) festgestellt, dass allein der Umstand der Geburt im Gastland oder ein langjähriger Aufenthalt nicht dazu führt, dass eine Wegweisung ausgeschlossen ist. Aus Artikel 8 Absatz 1 EMRK könne kein uneinschränkbares Recht auf Nichtausweisung abgeleitet werden, da dessen Absatz 2 Einschränkungen vorsehe.

Selbst wenn ein ausländischer Staatsangehöriger einen unbefristeten Aufenthaltsstatus geniesse und ein hohes Mass an Integration erreicht habe, könne seine Situation in Bezug auf die Möglichkeit einer Ausweisung nicht mit derjenigen eines Staatsbürgers verglichen werden58. So wurde in der Rechtssache Kaya gegen Deutschland eine unbefristete Ausweisung eines 1978 in Deutschland geborenen türkischen Staatsangehörigen für verhältnismässig im Sinne von Artikel 8 EMRK angesehen, obwohl die betreffende Person in Deutschland aufwuchs, die Schule besuchte und eine Lehre abschloss59.

Art. 63

Widerruf von Bewilligungen bei schweren Straftaten

Dieser Artikel sieht bei schweren Straftaten eine Einschränkung des Ermessens der Behörden beim Widerruf von Bewilligungen vor. In diesen schweren Fällen überwiegen die öffentlichen Interessen an einem Widerruf der Bewilligung regelmässig die privaten Interessen an einem weiteren Aufenthalt.

Auch bei geringfügigeren Verurteilungen bleibt jedoch ein Widerruf der Bewilligung weiterhin möglich, wenn ein erheblicher oder wiederholter Verstoss gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorliegt und die Massnahme nach den Umständen des Einzelfalls verhältnismässig erscheint (Art. 62 Abs. 1 Bst. b E-AuG). Der Entscheid über den Widerruf liegt hier im Ermessen der Behörden; dabei ist insbesondere die Dauer des bisherigen Aufenthalts und die familiäre Situation zu beachten (Art. 62 Abs. 4 i.V. mit Art. 96 AuG).

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EGMR, Urteil vom 18. Oktober 2006 ­ 46410/99 EGMR, Urteil vom 23. Juni 2008 ­ 1683/03 EGMR, Urteil vom 22. Mai 2008 ­ 42034/04 EGMR, Urteil vom 18. Oktober 2006 ­ 46410/99 ­ Üner, Rn. 56 unter Hinweis auf Moustaquim, Urteil vom 18. Mai 1991, Serie A Bd. 193, S. 20, Rn. 49.

EGMR, Urteil vom 28. Juni 2007 ­ 31753/02

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Abs. 1 Bst. a Wird die Ausländerin oder der Ausländer wegen eines schweren Delikts rechtskräftig verurteilt, für welches eine Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe angedroht wird, soll das Ermessen der kantonalen Migrationsbehörde bei der Überprüfung des Widerrufs der Bewilligung eingeschränkt werden. Im Gegensatz zu Absatz 1 Buchstabe b erfolgt dies unabhängig von der Dauer der im Einzelfall ausgesprochenen Freiheitsstrafe.

In der Ausschaffungsinitiative werden ebenfalls einzelne Straftatbestände aufgeführt, die zu einem Bewilligungswiderruf führen. Im Gegensatz dazu orientiert sich der vorgeschlagene Katalog in Buchstabe a jedoch an einem objektiven Kriterium (Mindeststrafe von einem Jahr). Durch die Mindeststrafe hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass es sich hier um besonders verwerfliche Delikte handelt.

Im Gegensatz zur Ausschaffungsinitiative besteht zudem die Möglichkeit, im Hinblick auf die Verfassung und das Völkerrecht ausnahmsweise von einem Widerruf abzusehen (Abs. 2).

Im Strafgesetzbuch und im Betäubungsmittelgesetz (BetmG) bestehen für folgende Delikte Mindeststrafen von einem Jahr oder länger: 1. StGB Art. 111: Art. 112: Art. 113: Art. 118 Abs. 2: Art. 140 Ziff. 2: Art. 140 Ziff. 3 und 4: Art. 156 Ziff. 2: Art. 156 Abs. 3 und 4: Art. 157 Ziff. 2: Art. 182 Abs. 2: Art. 184: Art. 185: Art. 189 Abs. 3: Art. 190: Art. 221: Art. 223: Art. 224: Art. 227 Ziff. 1: Art. 228 Ziff. 1: Art. 231 Ziff. 1 Abs. 2: Art. 232 Ziff. 1 Abs. 2: Art. 233 Ziff. 1 Abs. 2: Art. 240 Abs. 1:

Vorsätzliche Tötung Mord Totschlag Schwangerschaftsabbruch ohne Einwilligung der schwangeren Frau Raub, mit Waffeneinsatz Raub, bandenmässig bzw. besondere Gefährlichkeit. Lebensgefahr für das Opfer Erpressung, fortgesetzt oder gewerbsmässig Erpressung mit Gewaltanwendung ( Art. 140), bzw. Gefahr für Leib und Leben Wucher, gewerbsmässig Qualifizierter Menschenhandel (Kinder oder gewerbsmässig) Qualifizierte Freiheitsberaubung und Entführung Geiselnahme Sexuelle Nötigung, qualifizierter Tatbestand Vergewaltigung Brandstiftung Verursachung einer Explosion Gefährdung durch Sprengstoff und giftige Gase in verbrecherischer Absicht Verursachung einer Überschwemmung oder eines Einsturzes (bei Vorsatz) Beschädigung von elektrischen Anlagen, Wasserbauten und Schutzvorrichtungen (bei Vorsatz) Verbreiten menschlicher Krankheiten (qualifiziert) Verbreiten von Tierseuchen (qualifiziert) Verbreitung von Schädlingen (qualifiziert) Geldfälschung

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Art. 244 Abs. 2: Art. 264: Art. 265: Art. 266: Art. 267 Ziff. 1: Art. 271 Ziff. 2: Art. 272 Ziff. 2: Art. 273 Abs. 3:

Einführung, Erwerben, Lagern falschen Geldes in grosser Menge (qualifiziert) Völkermord Hochverrat Angriffe auf die Unabhängigkeit der Eidgenossenschaft Diplomatischer Landesverrat Verbotene Handlungen für einen fremden Staat, qualifiziert Verbotener Nachrichtendienst, schwerer Fall Wirtschaftlicher Nachrichtendienst, schwerer Fall

2. BetmG Art. 19 Abs. 1: Art. 20:

Verstoss gegen das BetmG, qualifizierter Fall Gesuchstellung mit unwahren Angaben, um sich oder einem anderen eine Einfuhr-, Durchfuhr- oder Ausfuhrerlaubnis zu verschaffen, qualifizierter Fall

Abs. 1 Bst. b: Diese Bestimmung lehnt sich teilweise an die Praxis des Bundesgerichts zum Familiennachzug an. Ersucht der ausländische Ehegatte einer Schweizer Bürgerin oder eines Schweizer Bürgers erstmals um eine Aufenthaltsbewilligung oder beantragt er nach bloss kurzer Aufenthaltsdauer deren Erneuerung, nimmt das Bundesgericht in ständiger Rechtsprechung an, dass die Grenze, von der an in der Regel selbst dann keine Bewilligung mehr erteilt beziehungsweise eine Ausweisung ausgesprochen wird, wenn die Ausreise für die schweizerische Ehepartnerin oder den schweizerischen Ehepartner nicht oder nur schwer zumutbar erscheint, bei einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren liegt. Es bedarf in solchen Fällen aussergewöhnlicher Umstände, um die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung noch zu rechtfertigen (sog. RenejaPraxis, BGE 110 Ib 201, 130 II 176 E. 4.1 S. 185 mit Hinweisen). Diese Zweijahresregel soll neu generell beim Widerruf von Bewilligungen zur Anwendung kommen, und dies unabhängig vom geltend gemachten Aufenthaltsrecht und von der Dauer der bisherigen Anwesenheit. Dabei ist es auch unerheblich, ob die Freiheitsstrafe bedingt oder unbedingt ausgesprochen wurde.

Ein Widerruf der Bewilligung soll auch dann erfolgen, wenn wiederholte Verurteilungen mit einem geringeren Strafmass vorliegen. Die einzelnen Freiheitsstrafen während der letzten zehn Jahre werden zusammengezählt; dabei ist der Zeitraum vor der letzten rechtskräftigen Verurteilung massgebend. Die Zahl der Tagessätze bei Geldstrafen wird ebenfalls angerechnet (Art. 34 StGB), da Freiheitsstrafen in der Regel nicht für eine Dauer von weniger als sechs Monaten verhängt werden können (Art. 40 und 41 StGB).

Abs. 2 Beim Entscheid über den Widerruf einer Bewilligung sind die massgeblichen Bestimmungen der Verfassung und des Völkerrechts zu beachten. Dazu gehören insbesondere der Grundsatz der Verhältnismässigkeit behördlicher Massnahmen, das Non-Refoulement-Prinzip sowie das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens. In begründeten Einzelfällen kann demnach ausnahmsweise auf den Widerruf der Bewilligungen verzichtet werden.

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Der generelle Vorbehalt des Völkerrechts bei der Anwendung des AuG ergibt sich bereits aus Artikel 2 Absatz 1 AuG; eine ausdrückliche Wiederholung dieses Grundsatzes ist in diesem Artikel nicht notwendig (siehe auch Kommentar zu Art. 62 Abs. 4 E-AuG).

Änderung des Asylgesetzes Art. 60

Regelung der Anwesenheit

Abs. 2 Die Gründe für die Verweigerung der Niederlassungsbewilligung für Personen, denen Asyl gewährt wurde, sollen an die neu formulierten Artikel 62 und 63 AuG angepasst werden.

Übergangsbestimmungen Für Verfahren, die bereits vor dem Inkrafttreten der Gesetzesänderungen hängig waren, gilt weiterhin das alte Recht.

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Finanzielle und personelle Auswirkungen

Die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen haben für den Bund keine finanziellen oder personellen Auswirkungen. Für die Kantone ergibt sich im Hinblick auf die systematische Prüfung des Integrationsgrades vor der Erteilung der Niederlassungsbewilligung ein personeller Mehraufwand. Es ist daher ein geeignetes Prüfungssystem vorzusehen, das einen raschen und fundierten Entscheid ermöglicht (z.B.

Vorlage eines Testresultats).

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Verfassungsmässigkeit

Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes im Migrationsbereich ergibt sich aus Artikel 121 Absatz 1 BV. Die im Zusammenhang mit dem Widerruf von ausländerrechtlichen Bewilligungen und der Wegweisung von Ausländerinnen und Ausländern massgebenden verfassungsmässigen Grundsätze werden eingehalten (v.a.

Art. 25 Abs. 2 und 3 BV, Non-Refoulement-Prinzip; Art. 10 und 13 BV, Schutz des Privat- und Familienlebens).

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