Inspektion «Bestimmung und Überprüfung ärztlicher Leistungen in der obligatorischen Krankenversicherung»; Schreiben der GPK-N vom 26. Januar 2009 Stellungnahme des Bundesrates vom 24. Juni 2009

Sehr geehrter Herr Kommissionspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Der Bundesrat hat den Bericht der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle (PVK) vom 21. August 2008 sowie die Empfehlungen der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK-N) vom 26. Januar 2009 zur Kenntnis genommen. Er nimmt zu den 19 Empfehlungen nachfolgend wie folgt Stellung:

1

Einleitung

1.1

Rechtliche Grundlagen

Die obligatorische Krankenpflegeversicherung (OKP) bezweckt den solidarisch finanzierten Zugang zu einer qualitativ hochstehenden medizinischen Versorgung für die ganze Bevölkerung. Damit die Vorgaben der Kontrolle der Kostenentwicklung einerseits und des Zugangs zu den Möglichkeiten der modernen Medizin andererseits miteinander vereinbar sind, sind im Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG; SR 832.10) die Voraussetzungen für Leistungen zulasten der OKP vorgegeben: Leistungen müssen wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sein (WZW-Kriterien). Die Wirksamkeit muss nach wissenschaftlichen Methoden nachgewiesen sein (Art. 32 Abs. 1 KVG).

Der Bundesrat kann die von Ärzten und Ärztinnen oder von Chiropraktoren und Chiropraktorinnen erbrachten Leistungen bezeichnen, deren Kosten von der OKP nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen übernommen werden (Art. 33 Abs. 1 KVG).

Zudem bestimmt er, in welchem Umfang die OKP neue oder umstrittene Leistungen zu vergüten hat, deren Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit sich noch in Abklärung befinden (Art. 33 Abs. 3 KVG). Weiter bezeichnet er die von der OKP zu übernehmenden Analysen, Mittel und Gegenstände, die der Untersuchung und Behandlung dienen, sowie die für die Rezeptur verwendeten Präparate, Wirk- und Hilfsstoffe (Art. 52 Abs. 1 KVG). Der Bundesrat lässt sich dabei von Kommissionen beraten (Art. 33 Abs. 4 KVG). Er hat diese Aufgaben gestützt auf Artikel 33 Absatz 5 KVG an das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) delegiert (Art. 33 der Verordnung über die Krankenversicherung [KVV; SR 832.102]).

Der für die Kranken-, Unfall- und Militärversicherung zuständige Direktionsbereich des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) bzw. dessen Abteilung Leistungen betreut den Entscheidungsprozess fachlich und administrativ und führt die Sekretariate der beratenden Kommissionen. Diese Kommissionen sind die Eidgenössische Leistungsund Grundsatzkommission (ELGK; zuständig für allgemeine medizinische Leistun2009-1505

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gen und Grundsatzfragen), die Eidgenössische Kommission für Analysen, Mittel und Gegenstände (EAMGK; zuständig für die Bezeichnung der Analysen sowie der Mittel und Gegenstände, die der Untersuchung und Behandlung dienen) sowie die Eidgenössische Arzneimittelkommission (EAK; zuständig für die für die Rezeptur verwendeten Präparate, Wirk- und Hilfsstoffe sowie die konfektionierten Arzneimittel, welche gemäss Art. 52 Abs. 1 Bst. b KVG vom BAG in der Spezialitätenliste aufgeführt werden).

Gegenstand der Empfehlungen der GPK-N sind die von Ärzten und Ärztinnen oder von Chiropraktoren und Chiropraktorinnen erbrachten Leistungen. Diese fallen in die Zuständigkeit der ELGK und der Sektion Medizinische Leistungen des BAG.

Die Sektion verfügt aktuell über 1020 Stellenprozente, wovon rund 400 Stellenprozente für die ELGK zur Verfügung stehen.

Das Konzept der Umschreibung der Leistungspflicht nach Artikel 33 Absatz 1 KVG bedeutet, dass grundsätzlich alle ärztlichen Leistungen vergütet werden, wenn nicht etwas anderes bestimmt wird. Der Pflichtleistungscharakter von diagnostischen und therapeutischen Arztleistungen wird damit implizit vermutet (Vertrauensprinzip).

Der Verordnungsgeber kann neue oder umstrittene Behandlungen von den Pflichtleistungen ausschliessen, bis sie einer methodischen Überprüfung auf Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit standhalten (Art. 33 Abs. 3 KVG). Er hat auch die Möglichkeit, die neue Technik oder Methode lediglich für bestimmte Indikationen zuzulassen, wenn nur in diesem Bereich Artikel 32 Absatz 1 KVG erfüllt ist, oder deren Zulassung von einer bestimmten fachlichen Kompetenz des Leistungserbringers abhängig zu machen (Art. 58 Abs. 3 Bst. b KVG). Er kann schliesslich die sich noch in Abklärung befindliche Leistung auf Zusehen hin und unter der Auflage des definitiven Nachweises der Voraussetzungen von Artikel 32 KVG zulassen. Neue oder umstrittene Leistungen können durchaus wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sein, obwohl es ihnen lediglich noch an einem ausreichenden Beweis dieser Eigenschaft fehlt.

Die ärztlichen Leistungen der Krankheitsbehandlungen werden in einer offenen Liste bzw. einem offenen und beschränkten «Ausschluss- oder Voraussetzungskatalog» geführt1. Diese offene Liste ist in der Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV; SR 832.112.31)
in Anhang 1 integriert. Sie nennt bei vielen Leistungen die Voraussetzungen für die Kostenübernahme wie Limitationen auf bestimmte Indikationen, Vorgaben, die die Leistungserbringer erfüllen müssen oder (für Leistungen gemäss Art. 33 Abs. 3 KVG) zeitliche Befristungen der Leistungspflicht mit Auflage der Evaluation durch die Leistungserbringer. Im Gegensatz dazu werden für Arzneimittel, Analysen, Mittel und Gegenstände, präventivmedizinische Leistungen, Leistungen bei Mutterschaft sowie für Leistungen von nichtärztlichen Leistungserbringern abschliessende Listen geführt (sog. Positivlisten, Art. 33 Abs. 2 KVG)2.

1 2

Botschaft über die Revision der Krankenversicherung, BBl 1992 I 93 159.

Leistungen der nichtärztlichen Therapeuten und der Pflege (Art. 5 ff. der KrankenpflegeLeistungsverordnung [KLV]), Leistungen der Prävention (Art. 12 KLV), bei Mutterschaft (Art. 13 ff. KLV), den zahnärztlichen Leistungen (Art. 17 ff. KLV), Leistungen der Chiropraktoren und Chiropraktorinnen zur Untersuchung und Behandlung (Art. 4 KLV), Leistungen der Ärzteschaft zur Untersuchung, Behandlung, Rehabilitation und Palliation (Anhang 1 KLV), den Mittel und Gegenständen, die der Untersuchung oder Behandlung dienen (Art. 20 ff. KLV, Anhang 2 KLV), Laboranalysen (Art. 28 KLV, Anhang 3 KLV), Wirkstoffen (Art. 29 ff. KLV, Anhang 4 KLV) sowie konfektionierten Arzneimittel (Spezialitätenliste).

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2

Würdigung der Schlussfolgerungen der Geschäftsprüfungskommission

2.1

Vorbemerkungen

Die GPK-N beauftragte die PVK mit der Evaluation der Leistungsbestimmung und -überprüfung in der OKP. Die Untersuchungen der PVK fanden im Jahre 2008 statt, wobei als Untersuchungszeitraum die Jahre 2006 und 2007 gewählt wurden. Vorauszuschicken ist, dass der Untersuchungszeitraum in eine Übergangszeit fällt, während der nach längeren Vakanzen ein Führungswechsel sowohl auf Sektions- als auch auf Direktionsebene des zuständigen Bereiches vollzogen wurde. Weiter fanden seit 2007 aufgrund einer umfassenden Situationsanalyse konzeptionelle und prozedurale Weiterentwicklungen statt: ­

neues Antragsformular3 und zusätzliches Meldeformular per Anfang 2008

­

deutliche Zunahme der Umstrittenheitsabklärungen

­

systematische Unterscheidung von Assessment4 und Appraisal5 (es werden von Seiten des BAG keine Empfehlungen mehr an die ELGK abgegeben)

­

Klärung offener rechtlicher Fragen im Prozess (rechtlicher Status von als umstritten befundenen Leistungen, rechtlicher Rahmen für die Einschränkung der Leistungspflicht auf bestimmte Anbieter)

­

formale Triagekriterien in Erarbeitung

­

Reviewervertrag in Ausschreibung

­

Aufstockung der Personalressourcen: Die Sektion Medizinische Leistungen des BAG verfügt aktuell über insgesamt 200 Stellenprozente mehr als im Untersuchungszeitraum, davon 100 Stellenprozente für die ELGK.

Die Empfehlungen der GPK stützen sich auf eine Analyse der Bezeichnung der von Ärzten und Ärztinnen oder von Chiropraktoren und Chiropraktorinnen erbrachten Leistungen und konzentrieren sich auf den entsprechenden Verwaltungsprozess und die dafür zuständige Kommission. Für die Bezeichnung der Analysen, Mittel und Gegenstände, die der Untersuchung und Behandlung dienen, sowie der Arzneimittel sind ähnliche Prozesse etabliert worden. Auch diese Bezeichnungen stützen sich auf beratende Kommissionen (EAMGK, EAK). Offene Fragen zu allgemeinen Aspekten der Leistungsbeurteilung und -bezeichnung und zur Organisation der Kommission sind noch nicht abschliessend beantwortbar. Die nachfolgenden Stellungnahmen zu solchen allgemeinen Aspekten sind deshalb erst vorläufiger Natur.

Die Leistungen, die schliesslich in Anhang 1 der KLV näher geregelt werden, betreffen einen vergleichsweise kleinen Teil der Leistungen der OKP. In den letzten 10 Jahren bewegten sich die Kosten der Leistungen, die neu in Anhang 1 als leistungspflichtig aufgeführt wurden, jeweils lediglich im Promille-Bereich der gesamten Aufwendungen der OKP. Nicht zu unterschätzen ist aber die präventive Wirkung der Existenz eines Prozesses, welcher Leistungen identifiziert, die die WZWKriterien nicht erfüllen und diese von der Vergütung durch die OKP ausschliesst.

3 4 5

Abzurufen unter: http://www.bag.admin.ch/themen/krankenversicherung/00263/00264/ 04853/index.html?lang=de Transparente, nachvollziehbare Beurteilung.

Bewertung unter Berücksichtigung der regionalen und nationalen Rahmenbedingungen.

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2.2

Stellungnahme zu den einzelnen Empfehlungen

Empfehlung 1: Früherkennung fraglicher Leistungen und Auslösung von Evaluationen Der Bundesrat stärkt die Voraussetzungen des Vertrauensprinzips nach Artikel 33 Absatz 1 KVG, indem er dafür sorgt, dass fragliche neue Leistungen oder Indikationenerweiterungen im ambulanten wie im stationären Bereich systematisch und frühzeitig erkannt und prioritätengerecht einer Evaluation zugeführt werden.

Das EDI lässt sich bei der Bezeichnung der Leistungen nach Artikel 37d KVV von der ELGK6 beraten. Der Beurteilungsprozess führt zu regelmässigen Anpassungen der KLV.

Das Vertrauensprinzip impliziert einen Mechanismus zur Identifizierung von Leistungen, die umstritten und damit zu prüfen sind. Im Interesse von schlanken und effizienten Verwaltungsstrukturen erfolgt die Beurteilung von neuen Leistungen auf Antrag und die für die Beurteilung notwendige Antragsdokumentation ist von den Antragstellenden zu erstellen (Bringschuld). Grundsätzlich sind alle interessierten Personen und Organisationen berechtigt, Antrag auf Kostenübernahme für eine neue Leistung zu erstellen. Im Durchschnitt werden jährlich 15­20 Anträge in der ELGK behandelt.

Der offene Leistungskatalog hat zur Folge, dass Versicherern neue Leistungen und Methoden im Rahmen bestehender Tarife verrechnet werden. Dieser Umstand erschwert es, die fraglichen neuen Leistungen zu erkennen. Dieses Problem stellt sich insbesondere im stationären Bereich, wo neue Leistungen unter bestehenden Tages- oder Fallpauschalen verrechnet werden. Für die Kostenträger sind die neuen Leistungen oft nicht als solche erkennbar (insbesondere wenn Implantate und besonders kostspielige Einzelpositionen nicht separat verrechnet werden, was nur in Verträgen mit einzelnen Grossspitälern der Fall ist). Allgemein geht man davon aus, dass die Einführung der leistungsbezogenen Vergütung im Spitalbereich (DRGSystem im akutstationären Bereich) im Rahmen der Neuordnung der Spitalfinanzierung mehr Transparenz über den Einsatz neuer Methoden schaffen sollte. In welchem Masse und wie rasch sich der Systemwechsel auswirken wird, bleibt allerdings abzuwarten. Das Vertrauensprinzip bewirkt zusätzlich, dass in der Praxis lediglich ein kleiner Teil medizinischer Innovationen evaluiert wird.

Der Bundesrat anerkennt den Handlungsbedarf zur Stärkung der frühzeitigen Erkennung und Evaluation von
neuen Technologien, die sich in Entwicklung befinden oder bereits am Beginn der Implementierung stehen. Er will deshalb ein Konzept zur Stärkung der Früherkennung erarbeiten lassen. Auf Seiten des BAG ist die systematische Früherkennung und Auslösung von Evaluationen bis zum heutigen Zeitpunkt ressourcenbedingt nur rudimentär erfolgt, obwohl vorgesehen ist, dass der Bund 6

Die ELGK resultiert aus einer Zusammenlegung der Eidgenössischen Kommission für Grundsatzfragen der Krankenversicherung (EGK) mit der Eidgenössischen Kommission für allgemeine Leistungen (ELK) per 1. Januar 2008 im Rahmen des Projektes Bundesverwaltungsreform 2005­2007. Im Untersuchungszeitraum 2006­2007 war die ELK beratende Kommission für die Bezeichnung der Leistungen.

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subsidiär einspringen kann, wenn wertvolle Innovationen nicht von den Akteuren selbst beantragt werden können. Zwar wurde per Anfang 2008 ein Meldeformular eingeführt, welches bei Hinweisen aktiv an mögliche Leistungserbringer, Fachgesellschaften, Hersteller usw. versandt wird. Auch die Vernetzung mit nationalen Organisationen (Vertrauensärztinnen und -ärzten, Fachgesellschaften, Universitätsund Kantonsspitälern, Patientenorganisationen, Industrie) und internationalen Netzwerken (Euroscan) ist grundsätzlich vorhanden. Jedoch fehlen zurzeit personelle Ressourcen, um einen systematischen, institutionalisierten Prozess zur frühzeitigen Identifizierung und Evaluation neuer Technologien aufbauen zu können.

In Rahmen der DRG-Einführung müssen die Prozesse der Leistungsbezeichnung im KVG-Kontext und die Pflege des DRG-Systems (Integration neuer Leistungen in das Tarifwerk) durch die Tarifpartner aufeinander abgestimmt werden. Die für die Leistungsbezeichnung zuständige Sektion Medizinische Leistungen ist in der Projektorganisation, die die DRG-Einführung seitens des BAG begleitet, vertreten.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Voraussetzungen für eine Früherkennung von umstrittenen Leistungen beim BAG in Ansätzen vorhanden sind. Mit dem im Auftrag des Bundesrates zu erarbeitenden Konzept zur Stärkung der Früherkennung inklusive Abstimmung auf die DRGProzesse bis 2010 wird der Empfehlung 1 Rechnung getragen.

Empfehlung 2: Kriterien und Grundlagen der Umstrittenheitsabklärung Der Bundesrat sorgt dafür, dass die Grundlagen und Kriterien, die im Rahmen der Umstrittenheitsabklärung zur Anwendung kommen, angemessen dokumentiert sind und der entsprechende Vorselektionsprozess im BAG transparent abläuft.

Leistungen müssen nach Artikel 32 KVG wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sein, damit deren Kosten von der OKP übernommen werden. Das BAG hat über die Jahre einen Beurteilungsprozess für Leistungen etabliert und verfeinert, der sicherstellen soll, dass die letztlich begrenzten personellen und finanziellen Ressourcen nur für Leistungen eingesetzt werden, die einen ausgewiesenen Nutzen für die Versicherten bzw. Patientinnen und Patienten haben. Das seinerzeit zuständige Bundesamt für Sozialversicherungen hat bereits Ende der 90er-Jahre die Grundsätze in einem Handbuch für Antragstellende festgehalten. Dieses Handbuch7 ist Anfang 2008 vollständig überarbeitet und zu kommentierten Antragsformularen umgearbeitet worden.

Der Beurteilungsprozess ist Teil eines klar definierten Entscheidungsprozesses, der zu regelmässigen Anpassungen der KLV und von deren Anhängen führt. Er basiert auf dem wissenschaftlichen Nachweis der Wirksamkeit und auf der Transparenz über Risiken, Nebenwirkungen und Kostenfolgen, die mit der potenziellen Einführung der neuen Leistung verbunden sind. Die Informationen werden durch die

7

Bundesamt für Gesundheit: Handbuch zur Antragstellung auf Kostenübernahme bei neuen oder umstrittenen Leistungen, Mai 2008.

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ELGK bewertet. Solche Beurteilungen werden international als «Health Technology Assessments» (HTA) bezeichnet.

Angesichts der Breite der medizinischen Möglichkeiten muss sich der Beurteilungsprozess auf Leistungen konzentrieren, deren Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit in Frage gestellt und deshalb (re-)evaluiert werden müssen. Der Prozess trägt diesen Einschränkungen in einem zweistufigen Verfahren Rechnung.

Zunächst wird die Leistung dem richtigen Beurteilungsprozess zugeteilt. Erst anschliessend folgt der eigentliche Antragsprozess. Das Meldeformular dient der Klärung, ob das Anliegen überhaupt einen Antrag auf Anpassung der KLV oder eines der Anhänge erfordert (Umstrittenheitsabklärung). Nach Eingang des Meldeformulares erfolgt durch die beim BAG zuständige Sektion Medizinische Leistungen eine Triage: ­

Werden die WZW-Kriterien als umstritten beurteilt, wird den Antragsstellenden das Antragsformular zugestellt.

­

In umstrittenen Fällen wird bei der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH) bzw. beim Branchenverband der schweizerischen Krankenversicherer im Bereich der sozialen Krankenversicherung (santésuisse) eine Stellungnahme eingeholt (Umstrittenheitsabklärung): ­ Sofern aufgrund der Angaben auf dem Meldeformular bzw. der Stellungnahmen von santésuisse und der FMH die WZW-Kriterien erfüllt sind, bildet das Meldeformular (inklusiv eventuell ergänzende Informationen) die Basis für den (fakultativen) Eintrag in Anhang 1 KLV. Diesfalls wird die ELGK informiert und gibt bei anvisiertem Eintrag in Anhang 1 eine Empfehlung ab.

­ Sofern aufgrund der Angaben auf dem Meldeformular bzw. der Stellungnahmen von santésuisse und der FMH die WZW-Kriterien nicht erfüllt sind, eröffnet das BAG ein Evaluationsverfahren.

Die Prüfung, ob bei einer Leistung die Umstrittenheitsabklärung zur Anwendung gelangt, ist bisher, auch aufgrund fehlender personeller Ressourcen, pragmatisch gehandhabt worden. Eine Anpassung des Prozesses mit entsprechender Dokumentation erachtet der Bundesrat deshalb als sinnvoll. Entsprechende Arbeiten sind bereits im Gange. So sind zur Zeit formale Triagekriterien zur Ermittlung, welche Fälle einer Umstrittenheitsabklärung zugeführt und welche direkt der ELGK unterbreitet werden sollen, in Erarbeitung. Andererseits hat die ELGK diesbezüglich an der ausserordentlichen Sitzung vom 30. März 2009 den Einsatz eines Ausschusses thematisiert, welcher eine Priorisierung vornehmen und die komplexen Sachverhalte zuhanden der Kommission aufbereiten würde.

In diese Richtung geht auch das vom BAG in Auftrag gegebene Gutachten von Markus Moser8 vom 20. Februar 2009. Der Gutachter empfiehlt die Einführung eines summarischen Verfahrens, in welchem beim Auftauchen von Zweifeln rasch entschieden werden könne, ob eine bestimmte Untersuchung oder Behandlung die Kriterien von Artikel 32 Absatz 1 KVG erfüllt. Würden die Zweifel nicht ausgeräumt, sei dem EDI der Antrag zu einer Ergänzung von Anhang 1 der KLV zu unterbreiten und ein Evaluationsverfahren einzuleiten.

8

Markus Moser: Die Feststellung der Leistungspflicht der obligatorischen Krankenpflegeversicherung bei ärztlichen Leistungen.

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Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Anpassung des Prozesses sowie die Erarbeitung von Triagekriterien in Zusammenarbeit mit der ELGK bereits in Erarbeitung sind. Die Entwicklungsarbeiten (inklusive Konsultation der ELGK und der Stakeholder) und die anschliessende Umsetzung und Einführung sind bis 2010 möglich. Der Bundesrat hält fest, dass mit den eingeleiteten Massnahmen der Empfehlung 2 Rechnung getragen wird.

Empfehlung 3: Beantragung von Leistungen ohne klaren Indikationenbezug Der Bundesrat sorgt dafür, dass auch Evaluationsanträge für Behandlungsmethoden ohne klaren Indikationenbezug innerhalb klarer, berechenbarer Rahmenbedingungen gestellt werden können.

Das Problem der Beantragung von Leistungen ohne klaren Indikationenbezug stellt sich vor allem für den Bereich der Komplementärmedizin. Bundesrat und Parlament haben sich anlässlich der Abstimmung über das Krankenversicherungsgesetz im Jahre 1994 dahingehend geäussert, dass der bis dahin einzig massgebende (natur-) wissenschaftliche Nachweis der Wirksamkeit ersetzt werden sollte durch die kumulativ zu erfüllenden Leistungsvoraussetzungen «Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit». In der Folge wurden nicht nur die Beurteilungskriterien für standardisierte medizinische Leistungen konkretisiert, sondern auch spezifische Kriterien für die Beurteilung von individualisierten Behandlungsmethoden entwickelt, die den Eigenheiten komplementärmedizinischer Verfahren und Wirkprinzipien besser Rechnung tragen. Im revidierten Beurteilungs- und Bewertungsprozess, welcher Anfang 2008 implementiert wurde, sind speziell auf komplementärmedizinische Leistungen zugeschnittene Prozessschritte vorgesehen. Das Antragsformular enthält spezifische Fragen zu Leistungen ohne klaren Indikationsbezug. Fünf komplementärmedizinische Ärzteorganisationen haben gemäss diesem neuen Prozess Vor-Anträge eingereicht.

Volk und Stände haben am 17. Mai 2009 mit 67 Prozent Ja-Stimmen den Verfassungsartikel zur «Komplementärmedizin» angenommen. Nach dem neuen Verfassungsartikel sollen Bund und Kantone im Rahmen ihrer Zuständigkeiten bei der Wahrnehmung der Aufgaben im Gesundheitswesen die Komplementärmedizin berücksichtigen. Es ist Aufgabe der zuständigen Behörden auf Bundes- und Kantonsebene zu bestimmen, wie die Komplementärmedizin zu berücksichtigen ist. Das BAG und die ELGK, welche einschlägige Erfahrungen mit der Beurteilung und Bewertung von komplementärmedizinischen Leistungen aufweisen, können hiezu allenfalls Hilfestellung leisten.

Bei den anderen Bereichen von Leistungen ohne klaren Indikationsbezug, die im Bericht der PVK genannt werden, handelt es sich um die Rehabilitation und die Psychiatrie. In der Rehabilitation gilt es die WZW-Kriterien von ganzen Programmen
zu beurteilen, deren Einzelkomponenten nicht indikationsspezifisch sein können, während die Programme selber ausdrücklich auf bestimmte Indikationen, z.B.

auf die Rehabilitation nach einem Schlaganfall, zugeschnitten sind (siehe auch Stellungnahme zu Empfehlung 4). In der Psychiatrie betrifft der indikationsunabhängige Anteil der Leistungen die interpersonalen Fähigkeiten der Therapeuten und Therapeutinnen und ist somit Gegenstand der Aus- und Weiterbildung und der 5655

Qualitätssicherung; daneben wird sehr wohl auch indikationsbezogene Forschung und Entwicklung betrieben.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich die Frage der Antragstellung für nicht indikationsbezogene Leistungen praktisch nur im Bereich der Komplementärmedizin stellt und die Antragstellung in den Anfang 2008 etablierten Prozessen möglich ist. Allfällige Konsequenzen des neuen Verfassungsartikels werden in der nächsten Zeit durch die Bundes- und Kantonsbehörden anzugehen sein.

Empfehlung 4: Beantragung komplexer Behandlungssysteme Der Bundesrat sorgt dafür, dass neben Einzelleistungen auch komplexe Leistungen, die den kombinierten Einsatz von ärztlichen Leistungen, Analysen, Mitteln, Gegenständen und Arzneimitteln umfassen können, adäquat beantragt und evaluiert werden können.

Für komplexe Leistungen (Behandlungsprogramme, kombinierte Leistungen, die mehr als eine Kommission bzw. eine Liste betreffen) sehen die heutigen Prozesse eine Koordination des Beurteilungsprozesses durch das BAG vor. Die Antragsstellenden reichen in diesen Fällen nur das ausgefüllte Meldeformular, eventuell ergänzt mit weiteren Informationen, ein. Die Sektion Medizinische Leistungen stellt in einem ersten Schritt fest, welche Leistungskategorie (Medizinische Leistung, Analyse, Mittel und Gegenstand, Arzneimittel) im Vordergrund steht und welche Kommission (ELGK oder EAMGK) den Antrag bewerten soll. Bei Leistungen, bei welchen Arzneimittel eine zentrale, aber nicht ausschliessliche Rolle spielen, gestaltet sich die Koordination aufwendiger, da sie in zwei Kommissionen beraten werden müssen9. Das Sekretariat der ELGK teilt den Antragsstellenden nach Eingang und Prüfung des Meldeformulars mit, welche weiteren Unterlagen für die Beratung in der ELGK eingereicht werden müssen.

Eine spezielle Herausforderung stellt die Beurteilung und Bewertung von Behandlungsprozessen mit einem hohen Anteil an «patientenfernen» Leistungen (z.B.

telemedizinisch unterstützte Behandlungsprogramme oder Disease Management Programme für Menschen mit bestimmten chronischen Krankheiten) dar. Bei diesen Leistungen gestaltet sich insbesondere die Beurteilung des Kriteriums der Wirtschaftlichkeit als sehr anspruchsvoll. Jedoch hat die ELGK im Jahre 2008 ein Zusatzformular für solche Behandlungsprogramme vorerst abgelehnt. Die ELGK ist der Meinung, das neue Antragsformular genüge den Anforderungen und hat eine zweijährige Evaluation des vorliegenden Formulars vorgeschlagen. Ein erster solcher Antrag ist bereits beraten worden, zwei weitere sind in Vorbereitung, so dass bald auswertbare Erfahrungen vorliegen werden. Die ELGK ist der Ansicht, dass dieser Bereich in Zukunft an Bedeutung zunehmen wird. Klärungsbedarf besteht allenfalls bezüglich der Abgrenzung solcher Behandlungsprogramme von der Patientensteuerung im Rahmen von alternativen Versorgungsmodellen (Managed Care).

9

Arzneimittel werden produktebezogen mittels einer Verfügung des BAG zugelassen (im Gegensatz zu den genannten übrigen Leistungen, die aufgrund einer produkteunabhängigen Verordnungsänderung zugelassen werden).

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Eigentliche Innovationen in der Versorgung sollen im Rahmen des bestehenden gesetzlichen Rahmens (u.a. mit den besonderen Versicherungsformen nach Art. 62 KVG) oder der künftigen gesetzlichen Bestimmungen zu Managed Care gefördert und umgesetzt werden.

Der Bundesrat ist der Ansicht, dass die etablierten Prozesse die Bewertung von komplexen Leistungen und Behandlungsprogrammen erlauben, weshalb kein Handlungsbedarf gegeben ist.

Empfehlung 5: Institutionelle Trennung von Assessment und Appraisal Der Bundesrat sorgt für eine klar definierte Rolle des BAG bei der Bestimmung und Überprüfung ärztlicher Leistungen zulasten der OKP. Er legt insbesondere dar, wie das Assessment und das Appraisal von Anträgen auf Kassenpflicht medizinischer Leistungen künftig institutionell klar getrennt werden können.

Mit den im Jahr 2008 eingeführten standardisierten Beurteilungs-, Bewertungs- und Entscheidungsprozessen auf der Grundlage der neuen Antragsformulare sind die Rollen des Assessments und Appraisals klar zugewiesen.

Im Kontext des «Health Technology Assessments» wird die Beurteilung von medizinischen Technologien im Hinblick auf Implementierungs- oder Finanzierungsentscheide in drei Phasen unterteilt, nämlich: ­

Assessment (transparente, nachvollziehbare Beurteilung)

­

Appraisal (Bewertung unter Berücksichtigung der regionalen und nationalen Rahmenbedingungen)

­

Decision (eigentlicher Entscheid).

Den Phasen Assessment und Appraisal entsprechen folgende Schritte im Prozess: Die Sektion Medizinische Leistungen sorgt für die Vollständigkeit der eingereichten Anträge, indem sie unvollständige Anträge zur Ergänzung oder Überarbeitung zurückweist. Anschliessend verfasst sie gestützt auf den eingereichten Antrag (welcher eine Literaturreview enthalten muss) eine Zusammenfassung und standardisierte Beurteilung der Qualität der Information im Antrag, allenfalls ergänzt durch Stellungnahmen von externen Experten und Expertinnen (Reviewern) zu einzelnen Elementen des Antrags. Der Antrag und die zusammenfassende Beurteilung umfassen die nachfolgenden Punkte: ­

quantitative Darstellung des Gesundheitsproblems («Burden of disease»)

­

rechtliche, ethische und gesellschaftliche Aspekte

­

Wirksamkeit: Studien-Wirksamkeit (Efficacy), Alltagswirksamkeit (Effectiveness)

­

Zweckmässigkeit: Sicherheit, Risiken, Fragen der Umsetzung

­

Wirtschaftlichkeit: Kosten der einzelnen Leistung, Mengengerüst, Kostenfolgen, Cost-Effectiveness anhand der Literatur; in Ausnahmefällen anhand von Cost-Effectiveness-Studien, die das BAG von den Antragstellenden eigens verlangt.

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Der Antrag und die zusammenfassende Beurteilung, welche in einem weiteren Schritt der ELGK zugestellt werden, entsprechen dem Assessment.

Ziel und Zweck der Beratung der ELGK ist es, eine Empfehlung an das EDI abzugeben. Die ELGK gewichtet dazu die einzelnen Fakten und bewertet auf der Grundlage der ausgewiesenen wissenschaftlichen Evidenz die Leistung im Hinblick auf eine Empfehlung an das EDI. Dabei werden auch die gesellschaftlichen und gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen in der Schweiz berücksichtigt. Dies stellt das Appraisal dar.

Mit der Einführung des neuen Antragsformulars per Anfang 2008 ist Empfehlung 5 somit bereits umgesetzt worden. Das Handbuch weist dem BAG und der ELGK ihre jeweilige Rolle klar zu: Das BAG beschränkt sich auf das Assessment (vollständiger Antrag und Deckblatt10) und die Prozessführung, die ELGK gibt eine Empfehlung zu den Anträgen ab (Appraisal). Appraisal und Assessment sind damit institutionell klar voneinander getrennt.

Die ELGK hat an der ausserordentlichen Sitzung vom 30. März 2009 festgehalten, dass sie ihre Rolle im Appraisal sieht und die zwei Phasen, Appraisal und Assessment, aus ihrer Sicht institutionell klar getrennt sind. Diesbezüglich ergibt sich kein Handlungsbedarf.

Einzuräumen ist, dass die zuständige Sektion Medizinische Leistungen des BAG im Beurteilungs-, Bewertungs- und Entscheidungsprozess tatsächlich eine Doppelrolle erfüllt: Einerseits hat sie die Prozessverantwortung inne (vom ersten Kontakt der Antragstellenden mit dem BAG bis zur Kommunikation und der Umsetzung des Entscheids des Departements), anderseits nimmt sie im Rahmen dieses Prozesses das Assessment vor. Diese Doppelrolle betrifft aber nicht das Assessment und das Appraisal. Trotzdem ist der Bundesrat bereit, eine Entflechtung der verschiedenen Rollen für alle drei beratenden Kommissionen zu prüfen (siehe dazu die Stellungnahme zu Empfehlung 6).

Zusammenfassend stellt der Bundesrat fest, dass die Zuteilung der Funktionen des Assessment und des Appraisal klar getrennt und die Rollen eindeutig bestimmten Akteuren zugeteilt sind. Vorbehältlich der Stellungnahme zu Empfehlung 6 sieht er keinen Handlungsbedarf in der Rollenverteilung und -klärung zwischen BAG und Kommissionen.

Empfehlung 6: Aufwertung und angemessene Ressourcenausstattung der ELGK Der Bundesrat sorgt dafür, dass die Stellung und die Unabhängigkeit der ELGK im Beurteilungsprozess stärker gestärkt werden und die Kommission mit den für die Erfüllung ihres Auftrags erforderlichen Ressourcen ausgestattet wird.

Der Bundesrat ist bereit, die Vor- und Nachteile anderer Organisationsmodelle für die ELGK und die anderen beratenden Kommissionen zu prüfen. Im Vordergrund stehen ein externes Präsidium und die Schaffung eines eigenständigen Kommis10

Das Deckblatt dient der Beurteilung der Qualität der Information und gegebenenfalls der Ergänzung; Beurteilung und Ergänzung evtl. unter Beizug externer Reviewer.

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sionssekretariats. Voraussetzung für die Schaffung eines externen Präsidiums ist, dass eine fachkundige, unabhängige und allseits anerkannte Persönlichkeit gefunden werden kann, die diese Funktion übernehmen kann. Denn anders als beispielsweise die Eidgenössische Kommissionen für Impffragen (EKIF) oder die Eidgenössische Kommission für Aidsfragen (EKAF), die ein externes Präsidium haben, ist die ELGK (und die beiden anderen beratenden Krankenversicherungskommissionen) aus Persönlichkeiten zusammengesetzt, die sowohl die Funktion von Expertinnen und Experten als auch von Vertreterinnen und Vertretern der verschiedenen Anspruchsgruppen erfüllen.

Der Vorteil dieser Lösung (externes Präsidium und eigenes Sekretariat) würde in der grösseren Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit der Kommission gegen aussen bestehen. Der hauptsächliche Nachteil dieser Lösung besteht darin, dass mehr Ressourcen erforderlich sind, da die Synergien der Integration des Sekretariats in die prozessverantwortliche Sektion wegfallen und der externe Präsident oder die externe Präsidentin durch die prozessverantwortliche Sektion sehr gut und mit einigem Zeitaufwand für die Sitzungen vorbereitet werden muss. Insbesondere in der Einführungsphase dieses Modells ist mit einer insgesamt längeren Bearbeitungszeit der Anträge zu rechnen.

Die ELGK selber sieht keinen Bedarf nach einem eigenen Sekretariat oder einer Aufstockung der eigenen Ressourcen. Hingegen hat sie an der ausserordentlichen Sitzung vom 30. März 2009 in Erwägung gezogen, ein Co-Präsidium (Vertretung BAG und Vertretung ELGK) oder die Funktion eines «Sprechers» oder einer «Sprecherin» zu schaffen.

Der Bundesrat ist bereit, mögliche alternative Organisationsformen der Kommissionen inklusive Schaffung eines von der Prozessverantwortung unabhängigen Sekretariats innerhalb des BAG (siehe Empfehlung 5) zu prüfen. Eine entsprechende Analyse ist frühestens auf 2010 zu erwarten. Gestützt darauf wird das EDI geeignete Massnahmen einleiten und ­ sofern die rechtlichen Grundlagen angepasst werden müssen ­ dem Bundesrat die entsprechenden Änderungen vorschlagen.

Empfehlung 7: Ressourcenausstattung der zuständigen Sektion im BAG In Abhängigkeit der zukünftigen Rolle der verantwortlichen Sektion Medizinische Leistungen des BAG im untersuchten Prozess stellen das Amt bzw. das Departement sicher, dass die Aufgaben und Ressourcen der Sektion in einem ausgewogenen Verhältnis stehen.

Die ELGK hat den Wunsch geäussert, dass das BAG die Anträge im Rahmen des Assessments systematischer kommentiert und auch die juristische Seite besser aufarbeitet. Weiter fordert sie gezielte Reviews von Expertinnen und Experten. Die Umsetzung der Forderung wird von Seiten des BAG geprüft. Der Bundesrat rechnet für Reviews der Anträge, Expertenaufträge zur Klärung spezifischer Fragestellungen oder zur Initiierung von ausgedehnten Evaluationen mit beträchtlichen Mehrkosten.

Es gilt allerdings zu berücksichtigen, dass systematische Reviews und Expertenaufträge den Beurteilungsprozess in die Länge ziehen können. Der personelle Ressour5659

cenbedarf für die Ausschreibung und Vergabe von Expertenverträgen ist ausgewiesen und wird im Rahmen eines laufenden Reorganisationsprozesses als Zusatzbedarf beantragt.

Nicht berücksichtigt ist ein eigentliches kleines HTA-Programm. Dies würde bedeuten, dass jährlich 1­3 Fragestellungen, welche im Rahmen des antragsgesteuerten Prozesses nicht evaluiert wurden, jedoch für die Bezeichnung von Leistungen von Bedeutung sind, extern durch eine neutrale Stelle aufgearbeitet würden.

Der Bundesrat anerkennt einen erhöhten Ressourcenbedarf der zuständigen Sektion des BAG und ist bereit, entsprechende Anträge für Projektmittel und für die Aufstockung von personellen Ressourcen zu prüfen.

Empfehlungen 8 und 9:

Konkretisierung und Operationalisierung der WZW-Kriterien / Stärkere Gewichtung des Kriteriums der Wirtschaftlichkeit

Der Bundesrat sorgt dafür, dass die dem Zulassungs- und Überprüfungsverfahren zugrunde liegenden WZW-Kriterien angemessen konkretisiert und optionalisiert werden.

Der Bundesrat sorgt dafür, dass das Kriterium der Wirtschaftlichkeit in der Beurteilung des Pflichtleistungscharakters ärztlicher Leistungen das erforderliche und im Gesetz verankerte Gewicht erhält.

Der Bundesrat teilt die Ansicht, dass die WZW-Kriterien zu konkretisieren und operationalisieren sind. Die Kriterien der Wirksamkeit und der Wirtschaftlichkeit sind in den Antragsdokumenten ansatzweise definiert und in Unterkriterien unterteilt. Der Begriff der Zweckmässigkeit ist dagegen derzeit nicht im gewünschten Ausmass definiert. Konkretisierungs- und Operationalisierungsbedarf besteht somit insbesondere in Bezug auf die Zweckmässigkeit (vergleichende Bewertung der Wirksamkeit mit Alternativen unter Berücksichtigung der Sicherheit und der Angemessenheit), der Wirtschaftlichkeit (siehe unten: Stellungnahme zu Empfehlung 10) und in der kombinierten Bewertung der drei Kriterien im Sinne eines Entscheidungsalgorhythmus. Entsprechende Modelle kommen im Ausland bereits zur Anwendung (z.B. im Rahmen der Entscheide über eine Aufnahme von neuen Impfungen in das öffentlich finanzierte Impfprogramm in den Niederlanden) und können diese Entwicklungsarbeiten inspirieren.

Bezüglich einer höheren Gewichtung der Wirtschaftlichkeit und der systematischen Anwendung der Kosten-Nutzen-Relation in Form der maximal zulässigen Kosten pro gewonnenes qualitätskorrigiertes Lebensjahr hat der Bundesrat jedoch grosse Vorbehalte. Die Diskussion auf gesellschaftlicher und politischer Ebene über eine Prioritätensetzung aufgrund von Kosten-Nutzen-Überlegungen ist bisher in der Schweiz nicht geführt worden. Die ELGK hat sich ausser Stande erklärt, auf diese Diskussion einzutreten, solange von parlamentarischer Seite keine Budgetvorgaben im Sinne einer Ausgabenobergrenze gemacht werden. Im Rahmen des geltenden Gesetzes sind Budgetvorgaben jedoch systemfremd. Zudem stellen sich vielfältige methodische Probleme bei der Anwendung von Kosten-Nutzen-Werten, so die oft grosse statistische Streubreite entsprechender Schätzungen und die Nicht-Verfüg5660

barkeit von Kosten- und Wirksamkeitsangaben für die Schweiz, die mit entsprechend unsicheren Modellrechnungen kompensiert werden müssen.11 Angaben über die Kostenfolgen von Zulassungsentscheiden sind unbestritten und werden seit Jahren von der ELGK bei der Erarbeitung ihrer Empfehlungen beigezogen («cost impact»). Die Kommission empfiehlt oft die Einschränkung der Leistungspflicht auf Indikationen, für welche keine Alternativen existieren, oder auf Leistungserbringer, welche Gewähr für die erforderliche Qualität bieten. Im Rahmen des oben erwähnten Entscheidungsalgorhythmus soll das Kriterium der Wirtschaftlichkeit aber selbstverständlich einen angemessen Stellenwert erhalten.

Die Umsetzung der Empfehlungen 8 und 9 erfordert eine Analyse ausländischer Modelle und eine Abstimmung auf alle anderen Massnahmen zur Eindämmung des Kostenwachstums. Erste Empfehlungen gestützt auf eine Analyse liegen bis 2010 vor.

Der Bundesrat anerkennt den Bedarf nach einer Operationalisierung der WZW-Kriterien, insbesondere auch des Kriteriums der Wirtschaftlichkeit. Er erachtet es jedoch nicht als angezeigt, die Wirtschaftlichkeit in Form von Kosten-Nutzen-Grenzwerten isoliert von allen übrigen möglichen Massnahmen zur Kostenkontrolle und ohne vorgängige politische und gesellschaftliche Diskussion als prioritäres Kriterium zu bezeichnen.

Empfehlung 10: Massstäbe und Kriterien für das Appraisal Der Bundesrat sorgt für die Formulierung gesundheitspolitischer und budgetärer Kriterien und Massstäbe, die als Bezugsrahmen für das Appraisal fungieren.

Für die ELGK wären Leitlinien, welche sich zu gesundheitspolitischen Prioritäten (z.B. Prävention, Kuration, Palliation), zum Umgang mit sehr neuen Leistungen (Innovation) oder zum Umgang mit hochspezialisierten Interventionen äussern würden, als Rahmen für das Appraisal hilfreich. In diesem Sinne ist der Bedarf nach gesundheitspolitischen Vorgaben für das Appraisal anzuerkennen.

Soweit es sich um Versorgungsaspekte handelt, müssen solche Vorgaben von Seiten der Kantone (z.B. Planung der hochspezialisierten Medizin) kommen. Im Übrigen ist der allgemeine Grundsatz des haushälterischen Umgangs mit den Mitteln der Sozialversicherung massgebend, während zu einzelnen Bereichen Bundesgesetze den Bezugsrahmen abgeben (z.B. geplantes Bundesgesetz über die medizinisch unterstützte Fortpflanzung).

Anders sieht es in Zukunft möglicherweise für den Bereich der Prävention aus: Der Vorentwurf des Präventionsgesetzes12 sieht als strategisches Steuerungsinstrument eine bundesrätliche Strategie für Prävention und Gesundheitsförderung basierend auf nationalen Zielen vor. In der bundesrätlichen Strategie werden insbesondere die strategischen Vorgaben für die nationalen Programme, die strategischen Ziele für 11

12

Cleemput I, Neyt M, Thiry N, De Laet C, Leys: Threshold values for cost-effectiveness in health care Health Technology Assessment (HTA). Brussels: Belgian Health Care Knowledge Centre (KCE); 2008. KCE reports 100C (D/2008/10.273/96).

Informationen unter http://www.bag.admin.ch/themen/gesundheitspolitik/00388/01811/ 05047/index.html?lang=de

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das zu schaffende Schweizerische Institut für Prävention und Gesundheitsförderung sowie die strategischen Vorgaben für die Verwendung der Einnahmen aus den Präventionsabgaben festgelegt. Dies bedeutet, dass im Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung künftig Vorgaben vorgesehen sind, an welchen sich die ELGK beim Appraisal orientieren kann.

Der Bundesrat nimmt zur Kenntnis, dass ein Bedürfnis nach gesundheitspolitischen Vorgaben für das Appraisal besteht. Er weist darauf hin, dass für einzelne Bereiche solche Vorgaben bereits existieren und in anderen Bereichen der Erlass von strategischen Vorgaben nicht in seinem Kompetenzbereich liegt.

Empfehlung 11: Beizug externer Experten Der Bundesrat sorgt im untersuchten Prozess dafür, dass die Rolle der externen Experten klarer von jener des BAG abgegrenzt ist. Er sorgt ausserdem dafür, dass die Rekrutierungsbasis der externen Experten über die Landesgrenzen hinaus verbreitert, die Pflichtenhefte spezifiziert und die Vertragsmodalitäten optimiert werden.

Der Bundesrat sieht die Notwendigkeit, vermehrt externe Expertinnen und Experten im Rahmen des Assessments beizuziehen. Im Rahmen der bereits eingeleiteten und noch laufenden Standardisierung des Beurteilungs- und Bewertungsprozesses ist der Ausbau des Beizugs von externen Fachleuten aus dem In- und Ausland als Reviewer bereits eingeleitet (siehe auch Antwort auf Empfehlung 7). Der Bundesrat weist allerdings auf die Möglichkeit hin, dass der Beurteilungsprozess durch den Einbezug von externen Expertinnen und Experten erschwert bzw. verlangsamt werden könnte.

Auch ist festzuhalten, dass es teilweise sehr schwierig ist, Fachkräfte zu finden, welche innerhalb der angefragten Zeitspannen über freie Kapazitäten verfügen.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass mit der sich im Gang befindlichen Standardisierung des Beurteilungs- und Bewertungsprozesses der Ausbau des Expertennetzwerkes eingeleitet ist. Der Bundesrat sieht daher keinen Handlungsbedarf gegeben.

Empfehlung 12: Internationale Zusammenarbeit Der Bundesrat sorgt dafür, dass Potenziale der internationalen Zusammenarbeit insbesondere bei der Früherkennung und Identifikation fraglicher Leistungen sowie beim Assessment und der Re-Evaluation von neuen bzw. bestehenden Leistungen konsequenter ausgeschöpft werden. Er identifiziert allfällige rechtliche Hindernisse gegen eine verstärkte internationale Kooperation und entwickelt konkrete Vorschläge, wie diese überwunden werden können.

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Der Bundesrat weist darauf hin, dass das international vorhandene Fachwissen im Rahmen von Projekten und Netzwerken bereits genutzt wird. So ist das BAG im EU-Projekt EuNetHTA13 vertreten und Mitglied des internationalen Netzwerkes EUROSCAN14 zur Früherkennung neuer Technologien. Weiter ist das BAG Mitglied von HTAi15, des weltweiten Netzwerkes der Regierungsstellen INAHTA16, des Health Evidence Netzwerkes der WHO17 und pflegt regelmässige Kontakte mit der Europäischen Public Health Association / EUPHA18. Die Nutzung des internationalen Wissens hat allerdings da seine Grenzen, wo wissenschaftliche Evidenz namentlich aus klinischen Studien (im internationalen Rahmen in systematischen Literaturreviews und HTAs vorhanden) im schweizerischen Kontext bewertet werden muss. Es ist darauf hinzuweisen, dass die verschiedenen Gesundheitssysteme mit unterschiedlichen Organisations- und Kostenstrukturen, die unterschiedliche Epidemiologie sowie Patientenpräferenzen und kulturelle Aspekte die Vergleichbarkeit mit der Schweiz erschweren19.

Die schlanken Strukturen und die Möglichkeit der provisorischen Leistungspflicht ermöglichen einen im Vergleich zum internationalen Umfeld raschen Zugang für Versicherte zu neuen vielversprechenden Leistungen. Artikel 33 Absatz 3 KVG (Art. 33 Bst. c KVV) zeigt die Offenheit des KVG für den medizinischen Fortschritt und diesbezügliche Erwartungen. Auf der anderen Seite zeigt die Erfahrung, dass aufgrund des frühen medizintechnologischen Entwicklungsstadiums anlässlich des Horizon-Scannings in der Schweiz noch gar keine Assessments aus dem Ausland vorliegen. Es wäre mit dem Leitbild einer medizinischen Versorgung auf hohem medizinischen Niveau aber nicht vereinbar, vielversprechende neue Behandlungsmethoden in jedem Fall erst zuzulassen, wenn ein abschliessender Nachweis der Wirksamkeit und Zweckmässigkeit anhand von Langzeitresultaten vorliegt. Das Leistungsangebot des KVG ist deshalb mindestens teilweise auch für den noch nicht sicheren medizinischen Fortschritt offen. Die aktive Beteiligung in Netzwerken erfordert im Allgemeinen, dass den Netzwerkpartnern eigene Beurteilungen und Bewertungen ebenfalls zur Verfügung gestellt werden. Konkret bedeutet dies, dass das BAG die Anträge, seine Kommentare sowie die Bewertungen der Kommission in Kurzform und in englischer Sprache
zugänglich machen sollte. Dies erfordert einerseits entsprechende Ressourcen für die Übersetzung und anderseits Regeln für den Umgang mit vertraulichen Informationen im Rahmen der Antragstellung (Geschäftsgeheimnisse), allenfalls bereits vor dem Entscheid des Departements (siehe auch Stellungnahme zu Empfehlung 17).

13 14 15

16 17

18

19

EU-Projekt mit dem Ziel einer europäischen Harmonisierung der evidenzbasierten Bewertung von Medizinaltechnologien; Informationen unter: http://www.eunethta.net/ Weltweites Netzwerk zur Früherkennung neuer Technologien; Informationen unter: http://www.euroscan.bham.ac.uk Health Technology Assessment International, eine internationale Gesellschaft, die die Förderung und Weiterentwicklung von HTA zum Ziel hat; Informationen unter: http://www.htai.org/ Weltweites Netzwerk der Regierungsstellen, die sich mit der evidenzbasierten Bewertung von Medizinaltechnologien befassen; Informationen unter: http://www.inahta.org/ WHO-Netzwerk mit dem Ziel, der Politik verlässliche Aussagen zu verschiedensten Interventionen und strategischen Fragen der Gesundheitsversorgung zu liefern; Informationen unter: http://www.euro.who.int/hen Europäischer Zusammenschluss der nationalen Public Health Organisationen, die in zahlreichen Foren den Dialog zwischen Wissenschaft, Entscheidungsträgern und Politik pflegt. Informationen unter: http://www.eupha.org/ Eisenberg JM: Globalize the evidence, localize the decision: evidence-based medicine and international diversity. Health Aff (Millwood). 2002 May-Jun;21(3):166-8.

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Das international vorhandene Fachwissen wird im heutigen Zeitpunkt bereits genutzt. Der Bundesrat sieht deshalb in Bezug auf Empfehlung 12 keinen Handlungsbedarf gegeben. Die Kooperation mit internationalen Netzwerken kann allerdings eine über den Anwendungsbereich des Öffentlichkeitsgesetzes (BGÖ) hinausgehende Transparenz bezüglich Assessment und Appraisal erfordern (siehe Stellungnahme zu Empfehlung 17).

Empfehlung 13: Geschäftsordnung der ELGK Die GPK-N verlangt, dass sich die ELGK umgehend eine Geschäftsordnung gemäss Artikel 37b Absatz 2 KVV gibt, welche die Organisation und die Arbeitsweise der Kommission und insbesondere die Richtlinien und Verfahren zur Leistungsbezeichnung und den Beizug externer Experten näher regelt.

Der Bundesrat weist darauf hin, dass eine aktuell gültige Geschäftsordnung der ELGK nun vorliegt. Diese wurde Ende 2008 von der ELGK beschlossen und Anfang 2009 vom Vorsteher des EDI genehmigt. Sie ist rückwirkend per 1. Januar 2009 in Kraft gesetzt worden und wird ­ sofern notwendig ­ nach Massgabe der Umsetzung der vorliegenden Empfehlungen der GPK-N angepasst werden.

Der Bundesrat sieht aus den dargelegten Gründen keinen Handlungsbedarf gegeben.

Empfehlung 14: Geschäftskontrolle Das Departement bzw. das Amt sorgen dafür, dass die Bestimmung und Überprüfung ärztlicher Leistungen zulasten der OKP mit einer zeitgemässen Geschäftskontrolle unterstützt werden. Diese gewährleistet eine effiziente Steuerung des Arbeitsflusses, ein angemessenes Controlling auf Stufe Amt und Departement und ermöglicht statistische Auswertungen zur Geschäftsentwicklung über längere Zeiträume.

In Bezug auf Empfehlung 14 sieht der Bundesrat nur bedingt Handlungsbedarf gegeben. Der Prozess der Antragstellung auf Kostenübernahme bei neuen oder umstrittenen Leistungen ist in iGEKO20, überführt worden. Mit iGEKO werden die Arbeitsabläufe ganzheitlich vom Posteingang, dem DokumentenScanning, der Geschäftsfalleröffnung und -steuerung über die Geschäfts- und Dokumentenverwaltung bis hin zur Archivierung der relevanten Informationen unterstützt. Optimierungsarbeiten finden laufend statt.

20

Programm zur Unterstützung der Arbeitsabläufe, welches u.a. im EDI eingesetzt wird.

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Empfehlung 15: Transparenz hinsichtlich befristet aufgenommener Leistungen Der Bundesrat sorgt dafür, dass befristet aufgenommene Leistungen, die die gesetzlichen WZW-Kriterien nicht erfüllen, nach erfolgter Evaluation konsequent aus der Kassenpflicht ausgeschlossen werden. Er sorgt für eine Geschäftsstatistik, die über befristet aufgenommene Leistungen Aufschluss gibt.

Die Evaluationen und Re-Evaluationen laufen nach dem gleichen Prozess auf der Grundlage der WZW-Kriterien ab. Diesbezüglich kann auf die Stellungnahmen zu Empfehlungen 2 und 8 verwiesen werden. Es besteht somit Gewähr, dass befristet aufgenommene, vielversprechende Leistungen, die nach Ablauf der Evaluationsfrist die WZW-Kriterien nicht erfüllen, von der Kassenpflicht ausgeschlossen werden.

Mit der Integration des Beurteilungsprozesses in iGEKO sind die Voraussetzungen gegeben, mit geringem zusätzlichen Aufwand Transparenz über die befristet aufgenommenen Leistungen (sowie sinnvollerweise auch über alle anderen sich im Beurteilungsprozess befindlichen Leistungen) zu schaffen.

Der Bundesrat nimmt die Empfehlung 15 auf und veranlasst deren Umsetzung bis Ende 2009.

Empfehlung 16: Departementale Führung und Kontrolle Das EDI nimmt seine Führungs- und Aufsichtsfunktion gegenüber den nachgeordneten Behörden bei der Bestimmung und Überprüfung medizinischer Leistungen verstärkt wahr.

Der Bundesrat nimmt zur Kenntnis, dass ein Bedürfnis nach vermehrter Führung und Aufsicht bei der Bestimmung und Überprüfung medizinischer Leistungen formuliert wird. Er ist indessen der Ansicht, dass das EDI seine Führungs- und Aufsichtsfunktion gegenüber dem BAG angemessen wahrnimmt.

Zudem macht das EDI in der Koordination der verschiedenen Ansätze zur Kostenkontrolle klare Vorgaben und legt sein Schwergewicht auf die politisch und finanziell bedeutsamen Geschäfte. Dabei konzentriert es sich auf die strategische Ebene. Der Bundesrat ist daher der Ansicht, dass in Bezug auf Empfehlung 16 kein Handlungsbedarf gegeben ist.

Empfehlung 17: Offenlegung der Zwischenergebnisse des Verfahrens Der Bundesrat prüft, inwiefern den Antragsstellern und der interessierten Öffentlichkeit die Zwischenresultate des Verfahrens, namentlich die materiellen Stellungnahmen des BAG und der externen Experten sowie die Empfehlung der ELGK zuhanden des EDI; besser zugänglich gemacht werden können. Er identifiziert allfällige rechtliche Hindernisse gegen eine verstärkte Transparenz des Verfahrens und skizziert entsprechende Lösungen.

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Der Zugang zu amtlichen Dokumenten richtet sich nach dem am 1. Juli 2006 in Kraft getretenen Öffentlichkeitsgesetz (BGÖ, SR 152.3). Grundsätzlich gewährt das BGÖ jeder Person ein generelles Recht auf Zugang zu amtlichen Dokumenten.

Dieses Recht kann eingeschränkt, aufgeschoben oder verweigert werden, sofern überwiegende öffentliche oder private Interessen entgegenstehen. Das Gesetz sieht dafür Ausnahmebestimmungen vor. Entsprechende Gesuche werden gemäss den heute geltenden Bestimmungen geprüft und behandelt.

Die Informationen, die die Antragsstellenden auf dem Meldeformular liefern, werden im Verlauf des Antragsverfahrens lediglich Mitarbeitenden des BAG und der ELGK zugänglich gemacht. Die Antragstellenden haben die Möglichkeit, Informationen, welche Berufs-, Geschäfts- oder Fabrikationsgeheimnisse betreffen, auf dem Meldeformular als «vertraulich» zu bezeichnen. In diesem Falle bestätigt das BAG nach Eingang des Meldeformulars, dass diese Informationen nach dem Entscheid nicht an verwaltungsexterne Interessierte weitergegeben werden.

Eine andere Frage ist, ob über den Anwendungsbereich des BGÖ hinaus systematisch Zwischenergebnisse des Verfahrens öffentlich gemacht werden sollen. Anzumerken ist dazu, dass Reviewer und ELGK-Mitglieder von Druckversuchen von Seiten der Antragstellenden und weiterer interessierter Kreise so weit wie möglich geschützt werden sollen. Bereits heute finden entsprechende Kontaktaufnahmen statt. Bei einer systematischen Offenlegung ist mit vermehrter Einflussnahme auf die Mitglieder der ELGK von Seiten der Antragstellenden zu rechnen. Diesbezüglich weist eine internationale Studie darauf hin, dass in Systemen mit höherer Transparenz von Entscheidungsprozessen zur Finanzierung von Gesundheitsleistungen die Anbieter von Technologien einen grösseren Einfluss ausüben als in Systemen mit geringerer Transparenz.21 Auf der anderen Seite hätte eine Weitergabe der Zwischenergebnisse des Verfahrens eine positive Wirkung auf die Förderung der internationalen Zusammenarbeit (vgl. Stellungnahme zu Empfehlung 12) und auf die Glaubwürdigkeit des Verfahrens. Vor diesem Hintergrund prüft das BAG zurzeit, wie eine allfällige systematische Offenlegung gehandhabt werden könnte.

Der Bundesrat hält fest, dass gestützt auf das BGÖ grundsätzlich jede Person ein generelles Recht auf Zugang
zu amtlichen Dokumenten erhält, sobald ein Verfahren abgeschlossen ist. Während eines laufenden Verfahrens kann Transparenz jedoch einen Entscheidungsprozess verhindern oder wesentlich beeinträchtigen. Reviewer und ELGK-Mitglieder sollen unter allen Umständen von Druckversuchen von Seiten der Antragstellenden und weiterer interessierter Kreise geschützt werden. Der Bundesrat ist bereit, Vor- und Nachteile einer Transparenz, die über den vom BGÖ gegebenen Rahmen hinausgeht, bis 2010 zu prüfen.

21

«it would [...] seem that less transparent and participatory processes afford fewer openings for technology sponsors to exert pressure towards coverage, and thus are less driven by supporters of technology coverage»; Jost Timothy S: Health Care Coverage Determinants: An International Study. Open University Press: New York, 2005, p. 260.

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Empfehlung 18: Offenlegung zusätzlicher Entscheidungsgrundlagen auf Stufe EDI Wenn das EDI seinen Verordnungsentscheid zu medizinischen Leistungen ergänzend zu den Grundlagen der vorberatenden Stufen auf zusätzliche Expertisen abstützt, legt es offen, worum es sich dabei handelt.

Der Bundesrat weist darauf hin, dass gestützt auf das geltende BGÖ jedermann das Recht hat, amtliche Dokumente einzusehen, sofern nicht eine Ausnahme greift, die eine Beschränkung, einen Aufschub oder eine Verweigerung der Einsichtnahme ermöglichen. Das EDI ist in den letzten zwei Jahren immer den Empfehlungen der ELGK gefolgt, ohne dass es zusätzliche Expertisen beigezogen hätte. Sollte es in einem konkreten Fall beschliessen, ergänzend zu den Empfehlungen der ELGK eigene Erhebungen bzw. Studien durchführen zu lassen, würde das Einsichtsrecht gemäss BGÖ auch diese Unterlagen umfassen.

Der Bundesrat sieht daher keinen Handlungsbedarf gegeben.

Empfehlung 19: Überprüfung bestehender Leistungen Die GPK-N fordert den Bundesrat auf, darzulegen, wie dem Auftrag der Überprüfung medizinischer Leistungen nach Art. 32 II KVG im Bereich der medizinischen Leistungen künftig systematisch und konsequent nachgelebt werden kann.

Der Bundesrat ist bereit, mehr Ressourcen in die Überprüfung der bestehenden Leistungen zu investieren. In einem Vorprojekt sind zunächst die Kriterien für die Priorisierung zu erarbeiten und die Schnittstellen zu verwandten Bemühungen (z.B. Qualitätssicherung und Förderung der angemessenen Anwendung von medizinischen Leistungen, Aufwertung der Grundversorgung im Sinne eines Gatekeeping zu aufwändigen Behandlungen) zu klären. Entsprechende Arbeiten sind in Planung. Eine systematische Überprüfung medizinischer Leistungen erfordert indessen beträchtliche Ressourcen, deren Umfang im erwähnten Vorprojekt zu beziffern sind.

3

Zusammenfassung

Der Bundesrat würdigt die methodisch korrekte und seriöse Analyse des Beurteilungs- und Entscheidungsprozesses zur Kostenübernahme neuer medizinischer Leistungen durch die OKP und die daraus abgeleiteten Empfehlungen der GPK.

­

Der Bundesrat verweist darauf, dass etliche der Empfehlungen im Rahmen der kontinuierlichen Weiterentwicklung der Prozesse durch das BAG bereits umgesetzt oder in Umsetzung sind. Dabei handelt es sich um die Empfehlungen 1, 2, 11, 12, 14 und 15.

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­

Der Bundesrat ist bereit, die Empfehlungen 3, 6­9, 17 sowie 19 näher zu analysieren und eine Umsetzung zu prüfen.

­

Der Bundesrat sieht jedoch in Bezug auf die Empfehlungen 4, 5, 10, 13, 16 und 18 keinen Handlungsbedarf gegeben.

Die GPK-N macht auf die gegenwärtige ungenügende Ressourcenausstattung des BAG aufmerksam. Für die teils bereits eingeleitete Entwicklung und Umsetzung der GPK-Empfehlungen werden zusätzliche Ressourcen erforderlich werden. Das EDI prüft, wie hoch der Gesamtressourcenbedarf ist, wie die Mittel zur Verfügung gestellt werden können und wird dem Bundesrat einen entsprechenden Antrag unterbreiten.

24. Juni 2009

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Hans-Rudolf Merz Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

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