Inspektion «Bestimmung und Überprüfung ärztlicher Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung» Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats vom 26. Januar 2009

Sehr geehrter Herr Bundespräsident Sehr geehrte Damen und Herren Bundesräte In Anbetracht verschiedener Fragen zur Leistungsbestimmung und -überprüfung in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) hatte die nationalrätliche Geschäftsprüfungskommission (GPK-N) in ihrem Jahresprogramm 2007 eine entsprechende Inspektion beschlossen und die Parlamentarische Verwaltungskontrolle (PVK), der Fachdienst der Bundesversammlung für Politikevaluation, mit einer vertieften Abklärung zu diesem Thema beauftragt.

Das Untersuchungsmandat der PVK beschränkte sich auf die ärztlichen Leistungen im Krankheitsfall ohne den Sonderfall der zahnärztlichen Leistungen. Die Untersuchung sollte die Strukturen und Prozesse der Leistungsbestimmung und -überprüfung beurteilen und die Frage beantworten, ob das bestehende System insgesamt die Voraussetzungen für eine leistungsgerechte, transparente und rasche Beurteilung des Pflichtleistungscharakters ärztlicher Leistungen schafft.

Die PVK hat ihre Untersuchung inzwischen abgeschlossen und die Ergebnisse in einem Bericht festgehalten (vgl. Anhang). Die GPK-N hat von diesem Bericht an ihrer Sitzung vom 23. Januar 2009 Kenntnis genommen und folgende Schlussfolgerungen gezogen.

Die GPK-N würdigt den Umstand, dass die Bezeichnung und Überprüfung ärztlicher Leistungen in der OKP seit dem Inkrafttreten des neuen Krankenversicherungsgesetzes (KVG) ständig weiter entwickelt wurden. Das System trägt dem dynamischen Charakter der Medizin grösstenteils Rechnung, indem es den Versicherten unbestrittene Innovationen vergleichsweise rasch zugänglich macht. Die wichtigsten Akteure sind aus Sicht der GPK-N im Verfahren vertreten und haben die Möglichkeit, ihre Standpunkte einzubringen. Die verantwortlichen Instanzen, namentlich die Eidgenössische Kommission für allgemeine Leistungen und Grundsatzfragen (ELGK) und das Bundesamt für Gesundheit (BAG), entscheiden trotz teilweise erheblichen Druckversuchen interessierter Kreise in der Regel auf der Grundlage der im Verfahren aufbereiteten Fakten.

Trotz dieser positiven Punkte stellt die GPK-N im System der Bestimmung und Überprüfung ärztlicher Leistungen in der OKP auch beträchtlichen Optimierungsbedarf fest, und zwar namentlich in den folgenden Bereichen:

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Identifikation von Evaluationsgegenständen und Auslösung von Evaluationen Die GPK-N erachtet das Vertrauensprinzip nach Artikel 33 Absatz 1 KVG1 bei den ärztlichen Leistungen als grundsätzlich angemessen. Nach diesem Prinzip wird die Kassenpflicht ärztlicher Leistungen bis zum Beweis des Gegenteils automatisch angenommen. Die Kommission sieht aber in der Umsetzung dieses Prinzips verschiedene Schwachstellen. Aufgrund des Vertrauensprinzips wird nur ein sehr geringer Teil aller medizinischen Innovationen bzw. Indikationenerweiterungen evaluiert. Trotz einzelner neulich vollzogener Verbesserungen auf der Inputseite des Prozesses, welche die GPK-N hiermit würdigt, ist aus Sicht der Kommission noch nicht sichergestellt, dass fragliche Innovationen bzw. Indikationenerweiterungen systematisch, frühzeitig und prioritätengerecht einer Evaluation zugeführt werden.

Dies, weil namentlich im stationären, aber auch im ambulanten Bereich ein Überblick über das weite Spektrum der in der klinischen Praxis erbrachten Leistungen fehlt und weil seitens der Hersteller/Leistungserbringer und Versicherer nur schwache Anreize bestehen, Evaluationen aktiv auszulösen. Auch die staatlichen Behörden verfügen im Gegensatz zu ausländischen Systemen wie etwa Australien, Deutschland oder Grossbritannien nur über eine relativ rudimentäre Funktion der Früherkennung und Priorisierung von Evaluationsgegenständen. Das System ist stark von den eingehenden Anträgen der Leistungserbringer/Hersteller getrieben und setzt kaum eigene Akzente. Damit hat die Auswahl der Gegenstände, die von der ELGK evaluiert werden, teilweise arbiträren Charakter.

Empfehlung 1: Früherkennung fraglicher Leistungen und Auslösung von Evaluationen Der Bundesrat stärkt die Voraussetzungen des Vertrauensprinzips nach Artikel 33 Absatz 1 KVG, indem er dafür sorgt, dass fragliche neue Leistungen oder Indikationenerweiterungen im ambulanten wie im stationären Bereich systematisch und frühzeitig erkannt und prioritätengerecht einer Evaluation zugeführt werden.

Umstrittenheitsabklärung Angesichts der Vielzahl potenzieller Evaluationsgegenstände erachtet die GPK-N eine Selektion der Fälle, die der ELGK vorgelegt werden, für sinnvoll. Auf diese Weise können die knappen Ressourcen der ELGK auf die prioritären Gegenstände gelenkt werden. Dieser wichtige Vorselektionsprozess ist jedoch im BAG, das hier die Federführung innehat, zu wenig formalisiert und dokumentiert. Es ist nicht hinreichend transparent, auf welchen Grundlagen und anhand welcher Kriterien die fraglichen Fälle einer Umstrittenheitsabklärung zugeführt bzw. direkt der ELGK unterbreitet werden. Auch das Ergebnis der Umstrittenheitsabklärung, also die Triage in unbestrittene Fälle und solche, die der ELGK unterbreitet werden, ist besonders in Grenzfällen nicht immer transparent.

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Bundesgesetz vom 18.3.1994 über die Krankenversicherung (KVG; SR 832.10)

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Empfehlung 2: Kriterien und Grundlagen der Umstrittenheitsabklärung Der Bundesrat sorgt dafür, dass die Grundlagen und Kriterien, die im Rahmen der Umstrittenheitsabklärung zur Anwendung kommen, angemessen dokumentiert sind, und der entsprechende Vorselektionsprozess im BAG transparent abläuft.

Antragstellung Die GPK-N würdigt den Umstand, dass das neulich revidierte Formular für die Antragstellung auf Kostenübernahme medizinischer Leistungen zulasten der OKP die erforderliche Information gezielter abfragt als das frühere Handbuch für Antragsteller. Das revidierte Formular ist jedoch stark auf Einzelleistungen und einzelne Indikationen ausgerichtet. Dies erschwert die Antragstellung und Beurteilung von Leistungen ohne klaren Indikationenbezug bzw. von komplexen, oft mehrere Leistungsbereiche umfassenden Therapiesystemen, wie sie etwa in der Rehabilitationsmedizin tendenziell immer häufiger vorkommen.

Empfehlung 3: Beantragung von Leistungen ohne klaren Indikationenbezug Der Bundesrat sorgt dafür, dass auch Evaluationsanträge für Behandlungsmethoden ohne klaren Indikationenbezug innerhalb klarer, berechenbarer Rahmenbedingungen gestellt werden können.

Empfehlung 4: Beantragung komplexer Behandlungssysteme Der Bundesrat sorgt dafür, dass neben Einzelleistungen auch komplexe Leistungen, die den kombinierten Einsatz von ärztlichen Leistungen, Analysen, Mitteln, Gegenständen und Arzneimitteln umfassen können, adäquat beantragt und evaluiert werden können.

Rollen und Ausstattungen des BAG und der ELGK im Beurteilungsprozess Die GPK-N begrüsst die im internationalen Vergleich schlanken behördlichen Strukturen bei der Beurteilung des Pflichtleistungscharakters ärztlicher Leistungen.

Sie ist aber auch der Meinung, dass ein gewisses Mass an institutioneller Differenzierung nötig ist, um ein unabhängiges, evidenzbasiertes und transparentes Verfahren sicherzustellen. In diesem Zusammenhang erachtet die Kommission die Mehrfachrolle, die das BAG im hier untersuchten Prozess innehat, als problematisch. Das Amt führt das Sekretariat der ELGK, präsidiert diese in der Person des Bereichsleiters Kranken- und Unfallversicherung und nimmt im gesamten Ablauf eine zentrale Stellung ein: Es spielt bei der Früherkennung fraglicher Leistungen und der Vorselektion der Evaluationsgegenstände eine wichtige Rolle, moderiert den Antrags- und Evaluationsprozess, bestellt bei Bedarf externe Reviewer, ergänzt die Unterlagen der Antragsteller mit eigenen Abklärungen und bereitet diese für die Behandlung in der ELGK auf. Das BAG unterstützt das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) 5579

bei der Entscheidungsfindung und der Formulierung des entsprechenden Textes im Anhang 1 der Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV2) und spielt auch bei der Reevaluation bestehender Leistungen eine wichtige Rolle.

Demgegenüber hat die ELGK im Verfahren de facto eine schwache Stellung. Sie tagt höchstens dreimal jährlich auf der Basis einer vom BAG definierten Traktandenliste und verfügt lediglich über sehr bescheidene, vom BAG bereitgestellte Ressourcen. Es ist fraglich, ob die ELGK unter diesen Umständen eine adäquate und insbesondere unabhängige Beurteilung der oftmals hunderte von Seiten umfassenden Antragsunterlagen vornehmen kann. Das Milizprinzip stösst unter den gegebenen Bedingungen deutlich an seine Grenzen, sodass eine Professionalisierung der Arbeit der ELGK zu erwägen ist.

Im Gegensatz zu anderen Ländern wird die wissenschaftliche Bewertung eines Antrags anhand der gesetzlichen Zulassungskriterien («Assessment») nicht klar von der Beurteilung der Angemessenheit der Kassenpflicht einer Leistung im gesundheitspolitischen Kontext («Appraisal») getrennt. Das BAG nimmt durch seine dominierende Stellung im Verfahren auf das Appraisal, für das eigentlich die ELGK zuständig wäre, erheblichen Einfluss, während sich die ELGK mitunter auch um eher technische Details des Assessments kümmert. In Ermangelung eigener Ressourcen ist die ELGK heute nicht in der Lage, Prioritäten zu setzen und Mittel gezielt einzusetzen.

Empfehlung 5: Institutionelle Trennung von Assessment und Appraisal Der Bundesrat sorgt für eine klar definierte Rolle des BAG bei der Bestimmung und Überprüfung ärztlicher Leistungen zulasten der OKP. Er legt insbesondere dar, wie das Assessment und das Appraisal von Anträgen auf Kassenpflicht medizinischer Leistungen künftig institutionell klar getrennt werden können.

Empfehlung 6: Aufwertung und angemessene Ressourcenausstattung der ELGK Der Bundesrat sorgt dafür, dass die Stellung und die Unabhängigkeit der ELGK im Beurteilungsprozess gestärkt werden und die Kommission mit den für die Erfüllung ihres Auftrags erforderlichen Ressourcen ausgestattet wird.

Bezogen auf das heutige Aufgabenprofil stellt die GPK-N ein Missverhältnis zwischen den vielfältigen Aufgaben der zuständigen Sektion Medizinische Leistungen des BAG und den verfügbaren personellen und finanziellen Ressourcen fest. Dies führt zu strukturellen Überlastungen des Personals, zu Verzögerungen im operativen Tagesgeschäft3 und nicht zuletzt auch zur Vernachlässigung strategischer Aufgaben etwa im Bereich der Reevaluation bestehender Leistungen (vgl. auch Empf. 19).

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Verordnung des EDI vom 29.9.1995 über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (Krankenpflege-Leistungsverordnung, KLV; SR 832.112.31) Beispielsweise wiederholte, mehrmonatige Verspätungen bei der Erstellung der ELGKProtokolle.

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Empfehlung 7: Ressourcenausstattung der zuständigen Sektion im BAG In Abhängigkeit der zukünftigen Rolle der verantwortlichen Sektion Medizinische Leistungen des BAG im untersuchten Prozess stellen das Amt bzw. das Departement sicher, dass die Aufgaben und Ressourcen der Sektion in einem ausgewogenen Verhältnis stehen.

Grundlagen und Kriterien der Evaluation der Kassenpflicht Die Beurteilung der Leistungspflicht hat gemäss Artikel 32 Absatz 1 KVG anhand der Kriterien der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit (WZW) zu erfolgen. Zwar kann die Beurteilung der Erfüllung dieser Kriterien im Einzelfall angesichts der Komplexität der Gegenstände und des wissenschaftlichen Fortschritts nicht einem allzu eng definierten Algorithmus folgen und erfordert gewisse Ermessensspielräume für die Beurteilungsinstanzen. Dennoch sind aus Sicht der GPK-N die WZW-Kriterien in den Erläuterungen zum Antragsprozess auf Kassenpflicht ärztlicher Leistungen zu wenig konkretisiert und operationalisiert (messbar gemacht).

Die GPK-N moniert namentlich, dass das für die Kostenentwicklung der OKP wichtige Zulassungskriterium der Wirtschaftlichkeit ungenügend operationalisiert ist. Die Kommission stellt ausserdem fest, dass die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit im Rahmen der Abklärung des Pflichtleistungscharakters von Leistungen im Vergleich zum Kriterium der Wirksamkeit eine untergeordnete Bedeutung hat.

Kosten und Nutzen werden nicht systematisch im Sinne einer Kosteneffektivitätsbetrachtung zueinander in Bezug gesetzt, und es bestehen insbesondere keine expliziten Mechanismen für den Umgang mit Zielkonflikten zwischen Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit.

Empfehlung 8: Konkretisierung und Operationalisierung der WZW-Kriterien Der Bundesrat sorgt dafür, dass die dem Zulassungs- und Überprüfungsverfahren zugrunde liegenden WZW-Kriterien angemessen konkretisiert und operationalisiert werden.

Empfehlung 9: Stärkere Gewichtung des Kriteriums der Wirtschaftlichkeit Der Bundesrat sorgt dafür, dass das Kriterium der Wirtschaftlichkeit in der Beurteilung des Pflichtleistungscharakters ärztlicher Leistungen das erforderliche und im Gesetz verankerte Gewicht erhält.

Während für die wissenschaftlich orientierte Bewertung einer medizinischen Leistung im Rahmen des Assessments zunehmend international geteilte Standards existieren, muss das Appraisal, also die Beurteilung der Angemessenheit des Pflichtleistungscharakters einer Leistung, vor dem Hintergrund spezifischer Gegebenheiten des Gesundheitssystems erfolgen. Typische Themen sind hier zum Beispiel die Kosteneffektivität einer Leistung auf der Ebene der Gesamtpopulation, Kosten5581

Nutzen-Abwägungen vor dem Hintergrund der Prämienentwicklung oder Gerechtigkeitsüberlegungen bei der Beurteilung sehr teurer Technologien mit grossem Patientennutzen. Für dieses Appraisal fehlen im Modell Schweiz klare Bezugsgrössen und Massstäbe. Es mangelt insbesondere an einer nationalen öffentlichen Gesundheitsstrategie und an budgetären Eckdaten, an denen sich die Beurteilung der Angemessenheit der Kassenpflicht von Leistungen orientieren könnte.

Empfehlung 10: Massstäbe und Kriterien für das Appraisal Der Bundesrat sorgt für die Formulierung gesundheitspolitischer und budgetärer Kriterien und Massstäbe, die als Bezugsrahmen für das Appraisal fungieren.

Zusammenarbeit mit externen Experten Da im schweizerischen Bringsystem der Nachweis, dass eine Leistung den gesetzlichen WZW-Kriterien genügt, in allererster Linie von den Leistungserbringern bzw.

Herstellern der Leistung erbracht werden muss, sind die Entscheidungsgrundlagen stark von der Optik der Antragsteller geprägt. Vor diesem Hintergrund könnte eine Review der Anträge durch unabhängige externe Experten die Entscheidungsgrundlage objektivieren und breiter abstützen. Der Beizug externer Reviewer durch das BAG wird in der Praxis aber uneinheitlich gehandhabt und hat ein eher geringes Gewicht. Aufgrund unvorteilhafter Vertragsbedingungen ist die Rekrutierung von Experten schwierig, diese erfolgte bisher ausschliesslich innerhalb der Schweiz und beschränkte sich auf eine Handvoll Personen bzw. Institutionen. Nicht zuletzt aufgrund des unzureichenden Budgetrahmens und nur rudimentärer Pflichtenhefte entsprechen die von der PVK im Rahmen von Fallstudien eingesehenen externen Reviews nicht den internationalen Standards.

Empfehlung 11: Beizug externer Experten Der Bundesrat sorgt im untersuchten Prozess dafür, dass die Rolle der externen Experten klarer von jener des BAG abgegrenzt ist. Er sorgt ausserdem dafür, dass die Rekrutierungsbasis der externen Experten über die Landesgrenzen hinaus verbreitert, die Pflichtenhefte spezifiziert und die Vertragsmodalitäten optimiert werden.

Internationale Zusammenarbeit Angesichts der Komplexität und des grossen Aufwands der Beurteilung der Kassenpflicht ärztlicher Leistungen begrüsst es die GPK-N, dass das BAG in jüngerer Zeit die Zusammenarbeit mit ausländischen Partnerländern namentlich durch seine aktive Mitwirkung in verschiedenen internationalen Netzwerken verbessert hat. Die Kommission sieht aber noch Potenzial für weitergehende Kooperationen, insbesondere bei der Früherkennung und Identifikation fraglicher Leistungen sowie beim Assessment und der Reevaluation von neuen bzw. bestehenden Leistungen.

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Empfehlung 12: Internationale Zusammenarbeit Der Bundesrat sorgt dafür, dass Potenziale der internationalen Zusammenarbeit insbesondere bei der Früherkennung und Identifikation fraglicher Leistungen sowie beim Assessment und der Reevaluation von neuen bzw. bestehenden Leistungen konsequenter ausgeschöpft werden. Er identifiziert allfällige rechtliche Hindernisse gegen eine verstärkte internationale Kooperation und entwickelt konkrete Vorschläge, wie diese überwunden werden können.

Geschäftsordnung der ELGK Artikel 37b Absatz 2 der Verordnung über die Krankenversicherung (KVV4) verlangt, dass sich die ELGK eine vom Eidgenössischen Departement des Innern (EDI) zu genehmigende Geschäftsordnung gibt, die namentlich die Organisation und Arbeitsweise der Kommission, die Richtlinien und Verfahren zur Leistungsbezeichnung und den Beizug externer Experten näher regelt. Die GPK-N stellt fest, dass die per Anfang 2008 neu konstituierte ELGK bei Redaktionsschluss der PVK-Untersuchung im August 2008 nicht über eine gültige Geschäftsordnung verfügte.

Empfehlung 13: Geschäftsordnung der ELGK Die GPK-N verlangt, dass sich die ELGK umgehend eine Geschäftsordnung gemäss Artikel 37b Absatz 2 KVV gibt, welche die Organisation und die Arbeitsweise der Kommission und insbesondere die Richtlinien und Verfahren zur Leistungsbezeichnung und den Beizug externer Experten näher regelt.

Geschäftskontrolle Der Prozess der Bestimmung und Überprüfung medizinischer Leistungen ist beim BAG bzw. EDI nicht mit einer zeitgemässen Geschäftskontrolle hinterlegt. Grundlegende Daten zur Anzahl Anträge, zu den Bearbeitungsfristen und -aufwänden sowie zu den Erfolgs- bzw. Ablehnungsquoten der Anträge waren beim BAG nicht automatisch verfügbar, sondern mussten im Rahmen der PVK-Untersuchung ad hoc zusammengetragen werden. Dies mindert nicht nur die Transparenz nach aussen, sondern erschwert auch eine vorausschauende Geschäftsabwicklung und ein angemessenes Controlling des Prozesses auf Stufe Amt und Departement.

Empfehlung 14: Geschäftskontrolle Das Departement bzw. das Amt sorgen dafür, dass die Bestimmung und Überprüfung ärztlicher Leistungen zulasten der OKP mit einer zeitgemässen Geschäftskontrolle unterstützt werden. Diese gewährleistet eine effiziente Steuerung des Arbeitsflusses, ein angemessenes Controlling auf Stufe Amt und Departement und ermöglicht statistische Auswertungen zur Geschäftsentwicklung über längere Zeiträume.

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Verordnung vom 27.6.1995 über die Krankenversicherung (KVV; SR 832.102)

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Befristete Aufnahme von Leistungen Im Gegensatz zu anderen Systemen, wie etwa Deutschland, nimmt das Schweizer Modell neue Leistungen oft vergleichsweise früh in die Kassenpflicht auf, trifft den Zulassungsentscheid aber nicht selten auf einer relativ dünnen Faktenbasis, da im Frühstadium eines Technologiezyklus die für eine solide Beurteilung der WZWKriterien notwendigen Daten häufig fehlen. Die GPK-N begrüsst vor diesem Hintergrund, dass die ELGK in über einem Drittel der ihr vorgelegten Fälle lediglich die befristete Aufnahme der fraglichen Leistungen empfiehlt und von den Antragstellern eine vertiefte Evaluation der WZW-Kriterien verlangt. Befristet aufgenommene Leistungen werden nach Ablauf der Evaluationsfrist mehrheitlich unbefristet übernommen, was das BAG primär mit einer zielsicheren Vorselektion der befristet aufgenommenen Leistungen erklärt. Die PVK-Untersuchung zeigt aber auch, dass es schwierig ist, einmal zugelassene Leistungen aufgrund negativer Evaluationsergebnisse wieder aus der Leistungspflicht auszuschliessen, zumal sich die Evaluationen manchmal über Jahre erstrecken. Die GPK-N hält fest, dass in Ermangelung einer offiziellen Geschäftsstatistik über die Erfolgsquote befristet aufgenommener Leistungen zu wenig Transparenz besteht.

Empfehlung 15: Transparenz hinsichtlich befristet aufgenommener Leistungen Der Bundesrat sorgt dafür, dass befristet aufgenommene Leistungen, die die gesetzlichen WZW-Kriterien nicht erfüllen, nach erfolgter Evaluation konsequent aus der Kassenpflicht ausgeschlossen werden. Er sorgt für eine Geschäftsstatistik, die über die Erfolgsquote befristet aufgenommener Leistungen Aufschluss gibt.

Departementale Führung und Kontrolle Die GPK-N beurteilt die weitgehende Aufgabendelegation des Bundesrates bzw. des EDI an die ELGK und das BAG angesichts der sachlichen Komplexität der Leistungsbestimmung und -überprüfung grundsätzlich als sachgerecht. Diese Delegation darf aber nicht so weit gehen, dass eine eigentliche strategische Führung der unterstellten Einheiten und ein über das rein Finanzielle hinausgehendes Controlling seitens des EDI nicht mehr erkennbar sind. Im Rahmen der regelmässigen Führungsgespräche zwischen den Verantwortlichen von Amt und Departement werden offenbar vor allem einzelne umstrittene medizinische Leistungen, aber kaum übergeordnete Fragen der Strategie, der Strukturen und Abläufe der Leistungsbestimmung und -überprüfung erörtert.

Empfehlung 16: Departementale Führung und Kontrolle Das EDI nimmt seine Führungs- und Aufsichtsfunktion gegenüber den nachgeordneten Behörden bei der Bestimmung und Überprüfung medizinischer Leistungen verstärkt wahr.

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Transparenz der Zwischenschritte und -ergebnisse des Verfahrens Im Vergleich zu ausländischen Systemen sind die einzelnen Etappen und Zwischenergebnisse der Abklärung des Pflichtleistungscharakters von Leistungen für die Antragsteller und die interessierte Öffentlichkeit nicht ersichtlich. Dies betrifft namentlich die Empfehlung der ELGK zuhanden des EDI, aber auch die Stellungnahmen des BAG oder externer Reviewer zu den einzelnen Anträgen. Die Antragsteller erhalten nach Ablauf des Verfahrens lediglich eine summarische Begründung zum Verordnungsentscheid des EDI. Dies mindert aus Sicht der GPK-N die Transparenz des Verfahrens.

Empfehlung 17: Offenlegung der Zwischenergebnisse des Verfahrens Der Bundesrat prüft, inwiefern den Antragstellern und der interessierten Öffentlichkeit die Zwischenresultate des Verfahrens, namentlich die materiellen Stellungnahmen des BAG und der externen Experten sowie die Empfehlung der ELGK zuhanden des EDI, besser zugänglich gemacht werden können. Er identifiziert allfällige rechtliche Hindernisse gegen eine verstärkte Transparenz des Verfahrens und skizziert entsprechende Lösungen.

Zusätzliche Entscheidungsgrundlagen auf der Stufe des EDI Das EDI stützt seinen Verordnungsentscheid zum Anhang 1 der Verordnung des EDI vom 29. September 1995 über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (KLV) in aller Regel auf die Vorarbeiten der Antragsteller, des BAG und der ELGK. Es kommt aber auch vor, dass das EDI in umstrittenen Fällen zusätzliche Expertisen einholt. Die GPK-N hält es aus Transparenzgründen für wichtig, dass das EDI in solchen Fällen offen legt, um welche ergänzenden Informationen es sich dabei handelt und aus welchen Quellen diese stammen.

Empfehlung 18: Offenlegung zusätzlicher Entscheidungsgrundlagen auf Stufe EDI Wenn das EDI seinen Verordnungsentscheid zu medizinischen Leistungen ergänzend zu den Grundlagen der vorberatenden Stufen auf zusätzliche Expertisen abstützt, legt es offen, worum es sich dabei handelt.

Periodische Überprüfung bestehender Leistungen Artikel 32 Absatz 2 KVG verlangt, dass neben neuen auch bestehende Leistungen periodisch auf die Erfüllung der WZW-Kriterien überprüft werden. Neben der dreifachen Voraussetzung der Kostenübernahme wird diese periodische Überprüfung bestehender Leistungen in der KVG-Botschaft5 als zentraler Sicherheitsriegel gegen ein übermässiges Kostenwachstum in der OKP bezeichnet.

Die GPK-N begrüsst in diesem Zusammenhang, dass das revidierte Formular für die Beantragung der Kassenpflicht medizinischer Leistungen bessere Grundlagen für 5

Bundesrat, Botschaft über die Revision der Krankenversicherung vom 6.11.1991 (BBl 1992 I 93)

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den Vergleich von neuen mit bereits bestehenden Leistungen schafft. Trotz dieser Schritte in die richtige Richtung hält die Kommission fest, dass der gesetzliche Überprüfungsauftrag nach Artikel 32 Absatz 2 KVG im Bereich der ärztlichen Leistungen bisher nicht oder nur ansatzweise umgesetzt wurde. Die Ausmusterung medizinisch nicht mehr zweckmässiger Technologien funktioniert heute nicht in der vom Gesetzgeber vorgesehenen Weise. Das im Rahmen der PVK-Untersuchung oft vorgebrachte Argument, den zuständigen Stellen würden die Ressourcen für die Erfüllung dieser Aufgabe fehlen, mag für die zuständige Sektion im BAG in ihrer gegenwärtigen Ausstattung sicherlich zutreffen, ist aber aus einer übergeordneten Sicht nicht haltbar.

Empfehlung 19: Überprüfung bestehender Leistungen Die GPK-N fordert den Bundesrat auf, darzulegen, wie dem Auftrag der Überprüfung bestehender Leistungen nach Artikel 32 Absatz 2 KVG im Bereich der medizinischen Leistungen künftig systematisch und konsequent nachgelebt werden kann.

Insgesamt würdigt die GPK-N, dass das System der Bestimmung und Überprüfung ärztlicher Leistungen zulasten der OKP mit Innovationen flexibel und differenziert umgeht, die Zulassungsbehörden in der Regel sachorientiert agieren und die Evaluationen vergleichsweise rasch ablaufen. Die GPK-N sieht andererseits namentlich hinsichtlich der Früherkennung fraglicher Leistungen, der Dokumentation und Operationalisierung der Beurteilungsgrundlagen und -kriterien, der klaren Trennung von Assessment und Appraisal, der Professionalisierung der ELGK sowie der systematischen Reevaluation bestehender Leistungen klaren Verbesserungsbedarf.

Genehmigen Sie, sehr geehrter Herr Bundespräsident, sehr geehrte Damen und Herren Bundesräte, den Ausdruck unserer ausgezeichneten Hochachtung.

26. Januar 2009

Im Namen der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats Der Präsident: Pierre-François Veillon Die Sekretärin: Beatrice Meli Andres

Beilage: Bericht der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle vom 21. August 2008 5586

Abkürzungsverzeichnis BAG EDI ELGK GPK-N KLV KVG KVV OKP PVK WZW

Bundesamt für Gesundheit Eidgenössisches Departement des Innern Eidgenössische Kommission für allgemeine Leistungen und Grundsatzfragen Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats Verordnung des EDI vom 29. September 1995 über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (KrankenpflegeLeistungsverordnung), SR 832.112.31 Bundesgesetz über die Krankenversicherung vom 18. März 1994, SR 832.10 Verordnung vom 27. Juni 1995 über die Krankenversicherung, SR 832.102 Obligatorische Krankenpflegeversicherung Parlamentarische Verwaltungskontrolle Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit

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