zu 09.475 Parlamentarische Initiative Vorübergehende Erhöhung der Richterstellen am Bundesverwaltungsgericht Bericht vom 14. September 2009 der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates Stellungnahme des Bundesrates vom 18. September 2009

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht vom 14. September 2009 der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates betreffend die vorübergehende Erhöhung der Richterstellen am Bundesverwaltungsgericht nehmen wir nachfolgend gemäss Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 2002 Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

18. September 2009

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Hans-Rudolf Merz Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2009-2181

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

1.1

Anzahl Richterstellen am Bundesverwaltungsgericht

Am Bundesverwaltungsgericht bestehen nach Artikel 1 Absatz 3 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 (VGG, SR 173.32) 50-70 Richterstellen. Die Bundesversammlung hat die Zahl der Richterstellen mit der Richterstellenverordnung vom 17. Juni 2005 (SR 173.321) auf höchstens 65 Vollzeitstellen festgelegt.

Weiter sieht Artikel 1 Absatz 5 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vor, dass die Bundesversammlung zur Bewältigung aussergewöhnlicher Geschäftseingänge zusätzliche Richterstellen auf jeweils längstens zwei Jahre bewilligen kann.

1.2

Abkommen mit den USA über ein Amtshilfegesuch in Sachen UBS

Der Bundesrat hat am 19. August 2009 ein Abkommen über ein Amtshilfegesuch des Internal Revenue Service (IRS) der Vereinigten Staaten von Amerika (USA) betreffend UBS unterzeichnet. Das am selben Tag in Kraft getretene Abkommen verpflichtet die Schweizerische Eidgenossenschaft, gestützt auf das geltende Doppelbesteuerungsabkommen mit den USA ein Amtshilfegesuch des IRS zu bearbeiten. Das Amtshilfegesuch, das am 31. August 2009 bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung (EStV) eingetroffen ist, betrifft ungefähr 4450 Konten. Die EStV muss innert 90 Tagen nach Eingang des Gesuchs in den ersten 500 Fällen und innert 360 Tagen in allen übrigen Fällen mit einer Schlussverfügung entscheiden, ob Amtshilfe geleistet und die ersuchten Kontoinformationen herausgegeben werden können.

Diese Schlussverfügungen sind beim Bundesverwaltungsgericht mit einer Beschwerdefrist von 30 Tagen anfechtbar. Für die Erledigung der Beschwerdefälle vor Bundesverwaltungsgericht ist im Abkommen keine Erledigungsfrist vorgesehen.

In den meisten Fällen dürfte gegen die Schlussverfügung der EStV eine Beschwerde eingelegt werden - zumindest so lange, als das Bundesverwaltungsgericht noch keine Entscheide im Sinne von Präjudizien in den verschiedenen zu erwartenden Fallkategorien gefällt hat. Demzufolge ist damit zu rechnen, dass im Zusammenhang mit dem Amtshilfegesuch der USA bereits gegen Ende des Jahres 2009 bis zu 500 Beschwerden beim Bundesverwaltungsgericht eingehen werden und dass je nach Ausgang der ersten Beschwerdeverfahren Tausende weiterer Beschwerden im Laufe des Jahres 2010 nachfolgen könnten.

2

Vorlage der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates

Die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats (RK-N) beantragt gestützt auf Artikel 1 Absatz 5 VGG den Erlass einer Verordnung über eine vorübergehende Erhöhung der Anzahl Richterstellen. Darin ist vorgesehen, dass die Zahl der Richterstellen am Bundesverwaltungsgericht vorübergehend auf höchstens 70 Vollzeit6646

stellen erhöht wird (Art. 1). Die Verordnung soll bereits am 1. November 2009 in Kraft treten und ist auf zwei Jahre befristet (Art. 3). Für die Amtsdauer von zusätzlichen Richterinnen und Richtern hat dies zur Folge, dass diese spätestens am 31. Oktober 2011 enden wird (Art. 2 Abs. 1). Diese Befristung gilt analog für eine vorübergehende Erhöhung des Beschäftigungsgrades von Richterinnen und Richtern mit ordentlicher Amtsdauer (Art. 2 Abs. 2).

Die Kommissionsmehrheit begründet ihren Antrag mit der zu erwartenden zusätzlichen hohen Geschäftslast am Bundesverwaltungsgericht im Zusammenhang mit dem Amtshilfegesuch der USA in Sachen UBS. Mit der vorgeschlagenen vorübergehenden Erhöhung der Richterstellenzahl soll dieser Ausnahmesituation Rechnung getragen werden. Eine Kommissionsminderheit lehnt die neue Verordnung wegen grundsätzlicher Bedenken betreffend Rechtsschutz im Amtshilfeverfahren gemäss Abkommen mit den USA ab. Das Bundesgericht als Aufsichtsbehörde hat keine Einwände gegen die vorübergehende Erhöhung der Richterstellen am Bundesverwaltungsgericht. Das Bundesverwaltungsgericht begrüsst den Vorschlag der RK-N.

3

Stellungnahme des Bundesrates

Die möglichst effiziente Erledigung von Beschwerden gegen die Schlussverfügungen der EStV im Amtshilfeverfahren ist im Hinblick auf die Erfüllung des Abkommens mit den USA unabdingbar, auch wenn darin aus Gründen der Unabhängigkeit der Justiz keine zeitlichen Vorgaben an die Adresse des Bundesverwaltungsgerichts gemacht worden sind. Es soll so bald wie möglich Rechtssicherheit darüber geschaffen werden, ob die Amtshilfefähigkeit in den vom Amtshilfegesuch der USA betroffenen Fällen tatsächlich besteht. Dies ist die Voraussetzung dafür, dass die EStV ihre Frist für den Erlass der ca. 4450 Schlussverfügungen von 360 Tagen tatsächlich einhält und dass die Schweiz das Abkommen mit den USA erfüllen kann, ohne dass es zu neuen Konsultationen oder Verhandlungen im Fall UBS kommt.

Im Jahr 2008 verzeichnete das Bundesverwaltungsgericht 8357 eingehende Geschäfte und 8907 Erledigungen. Gemessen an den ca. 4450 Schlussverfügungen der EStV könnte in einem Worst-Case-Szenario ungefähr die gleich hohe Zahl von Beschwerden hinzukommen, d.h. das Bundesverwaltungsgericht wäre innerhalb ungefähr eines Jahres mit einer Beschwerdezunahme von bis zu 50 Prozent gegenüber der heutigen Situation konfrontiert. Zwar ist es durchaus möglich, dass sich die Zahl der eingehenden Beschwerden nach ersten Präjudizien in bestimmten Fallkategorien verringern wird, sei es durch Beschwerderückzug in hängigen Fällen bzw. durch Beschwerdeverzicht bei Schlussverfügungen, die nach ersten beschwerdeablehnenden Entscheiden des Bundesverwaltungsgerichts erlassen werden, oder sei es infolge einer Änderung der Verfügungspraxis der EStV nach ersten Beschwerdegutheissungen. Trotzdem wird mit Sicherheit eine grosse Zahl von zusätzlichen Beschwerden zu behandeln sein.

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Damit liegt ein eindeutiger Anwendungsfall von Artikel 1 Absatz 5 VGG vor. Der besonderen Situation im Zusammenhang mit dem Abkommen mit den USA trägt die vorgeschlagene Verordnung in angemessener Form Rechnung, indem sie die Grundlage dafür bietet, dass die Bundesversammlung flexibel je nach der Entwicklung des Amtshilfeverfahrens bis zu fünf zusätzliche Richterstellen für längstens zwei Jahre besetzen kann.

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Antrag des Bundesrates

Der Bundesrat beantragt Zustimmung zur Verordnung über eine vorübergehende Erhöhung der Richterstellen am Bundesverwaltungsgericht.

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