09.097 Botschaft zum Seearbeitsübereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation über die Arbeitsbedingungen in der Hochseeschifffahrt vom 27. November 2009

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrte Frau Ständeratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf eines Bundesbeschlusses zu dem am 23. Februar 2006 angenommenen Seearbeitsübereinkommen sowie eine dadurch bedingte Änderung des Schweizerischen Seeschifffahrtsgesetzes.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, geehrte Frau Ständeratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

27. November 2009

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Hans-Rudolf Merz Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2009-1904

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Übersicht Die Internationale Arbeitsorganisation (IAO), welche die federführende Organisation in der Ausarbeitung des Seearbeitsübereinkommens war, ist eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen. Sie verfügt über eine dreigliedrige Struktur, die im UN-System einzigartig ist: Die 182 Mitgliedsstaaten sind durch Vertreterinnen und Vertreter sowohl von Regierungen als auch von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite in den Organen der IAO vertreten. Schwerpunkte der Arbeit der IAO sind die Formulierung und Durchsetzung internationaler Arbeits- und Sozialnormen, insbesondere der Kernarbeitsnormen, die soziale und faire Gestaltung der Globalisierung sowie die Schaffung von menschenwürdiger Arbeit als einer zentralen Voraussetzung für die Armutsbekämpfung.

In Anbetracht der globalen Natur der Seeschifffahrtsindustrie bedürfen die Seeleute eines besonderen Schutzes. Die bis dato bereits zahlreich bestehenden maritimen Abkommen der IAO über die Regelung der Arbeitsbedingungen der Seeleute sind aus verschiedenen Gründen unbefriedigend. Einerseits sind die 40 maritimen Übereinkommen und 29 Empfehlungen nicht mehr zeitgemäss und andererseits enthalten sie detaillierte unflexible Vorschriften, was dazu führte, dass eine Vielzahl von Staaten eine Ratifikation ablehnte. Aus diesen Gründen bestand das Bedürfnis, ein einziges, in sich geschlossenes Vertragswerk zu schaffen, das soweit wie möglich alle aktuellen Normen der bestehenden internationalen Seearbeitsübereinkommen und -empfehlungen sowie die grundlegenden, in anderen internationalen Arbeitsübereinkommen enthaltenen Prinzipien, umfasst. Durch das Inkrafttreten des Seearbeitsübereinkommens werden die entsprechenden Übereinkommen der IAO fortlaufend abgeschafft. Das Seearbeitsübereinkommen stellt eine Stärkung der Arbeitnehmerrechte für 1,2 Millionen Seeleute dar; es legt weltweite Mindeststandards fest. Das Übereinkommen umfasst eine verbindliche Definition des Mindestalters und der Seediensttauglichkeit von Seeleuten sowie einheitliche Standards für ihre Ausbildung und Befähigung. Es werden faire Beschäftigungsbedingungen für die Seeleute, die Heuer, die Arbeits- und Ruhezeiten, den Urlaubsanspruch und auch die erforderliche Besatzungsstärke der Schiffe verbindlich festgelegt. Weiter schreibt das Übereinkommen vor, dass die Schiffe als Arbeits- und Lebensraum
der Seeleute bestimmten Mindestanforderungen in Bezug auf Verpflegung, Unterkunft und Freizeiteinrichtungen genügen müssen. Zusätzlich stellt es sicher, dass auf den Schiffen ein Mindestmass an Gesundheitsschutz und an medizinischer und sozialer Betreuung der Seeleute angeboten wird. Die unterzeichnenden Staaten verpflichten sich ausserdem zu Massnahmen, die allen Seeleuten Zugang zu den Systemen der sozialen Sicherheit gewähren. Die Staaten, die das Übereinkommen ratifizieren, verpflichten sich damit, die Einhaltung der Seearbeitsvorschriften auf den Schiffen unter ihrer Flagge zu überprüfen und zu bescheinigen.

Ungewöhnlich sind die Kontrollmöglichkeiten Dritter auf Einhaltung der verbindlichen Bedingungen des Seearbeitsübereinkommens. Die Regelungen des Übereinkommens sollen im Rahmen von Hafenstaatskontrollen auch auf Schiffen von Drittstaaten angewandt werden, die das Übereinkommen nicht ratifiziert haben. Jedes ausländische Schiff, das den Hafen eines Staates anläuft, der das Übereinkommen

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ratifiziert hat, wird somit an den Anforderungen des Übereinkommens gemessen werden. Damit wurde ein globaler Prüfungsmassstab festgelegt, der verhindert, dass sich «Billigflaggenschiffe» (flag of convenience) durch Unterschreitung internationaler Mindeststandards bei der Schiffsicherheit, bei den Arbeitsbedingungen und bei der sozialen Sicherung Wettbewerbsvorteile verschaffen können.

Mit der Ratifikation des Seearbeitsübereinkommens stützt die Schweiz ihre Wirtschaft, ermöglicht den freien Fluss von Import- und Exportgütern und sichert die wirtschaftliche Landesversorgung auch in Krisenzeiten. Schiffe unter der Flagge eines Nichtmitglieds des Übereinkommens würden in den Häfen nicht beförderlich behandelt, was bei der Löschung und beim Laden der Fracht zu Verzögerungen und damit zu Einbussen führen würde.

Mit einer Ratifizierung des Seearbeitsübereinkommens unterstreicht auch die Schweiz ihr Bekenntnis zu fairen Arbeitsbedingungen für Arbeitnehmer und -geber.

Beide Sozialpartner haben in enger Zusammenarbeit an der Ausarbeitung vorliegender Botschaft mitgewirkt. Inhaltlich ist sowohl die Arbeitgeber- als auch die Arbeitnehmerseite einverstanden, was die politische Akzeptanz des Übereinkommens erhöht. Zusätzlich bedeutet die Ratifikation eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit hiesiger Reedereien, da das Abkommen unfairen Arbeitsbedingungen und damit einem Wettbewerb auf Kosten der Anstellungsbedingungen bei Seeleuten effektiv einen Riegel vorschiebt. Schiffe, die unter Schweizer Flagge fahren, müssen sich an das Bundesgesetz vom 23. September 19531 über die Seeschifffahrt unter der Schweizer Flagge (SSG) sowie an die Seeschifffahrtsverordnung vom 20. November 19562 halten, die der Arbeitnehmerin und dem Arbeitnehmer auf Schweizer Seeschiffen im internationalen Vergleich gute Bedingungen garantieren. Aus diesem Grund sind im Landesrecht nur wenige Anpassungen vorzunehmen. Aus der Ratifikation des Seearbeitsübereinkommens erwachsen der Schweiz keine Nachteile.

Das Seearbeitsübereinkommen wurde kurz im Bericht vom 30. Mai 2008 (08.048) über die anlässlich der 94., 95. und 96. Session der Internationalen Arbeitsorganisation angenommenen Instrumente vorgestellt und es wurde die Absicht angekündigt, das Übereinkommen möglichst zeitnahe zu ratifizieren.

Die vorliegende Botschaft wurde der Dreigliedrigen
Eidgenössischen Kommission für Angelegenheiten der IAO, einer extraparlamentarischen konsultativen Kommission, die sich aus Vertretern und Vertreterinnen der Verwaltung und der schweizerischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände zusammensetzt, vorgelegt. Die Kommission hat vom Bericht Kenntnis genommen und ihn genehmigt.

1 2

SR 747.30 SR 747.301

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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1 Grundzüge des Übereinkommens 1.1 Ausgangslage 1.2 Übersicht und Entstehung 1.3 Schweizerische Interessen

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2 Erläuterung zu einzelnen Artikeln des Übereinkommens 2.1 Übersicht 2.2 Einleitungsartikel 2.3 Titel 1 Mindestanforderungen für die Arbeit von Seeleuten auf Schiffen 2.4 Titel 2 Beschäftigungsbedingungen 2.5 Titel 3 Unterkunftsräume, Erholungseinrichtungen, Nahrungsmittel und Verpflegung 2.6 Titel 4 Gesundheitsschutz, medizinische Betreuung, soziale Betreuung und soziale Sicherheit 2.7 Titel 5 Erfüllung und Durchsetzung der Anforderungen

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3 Finanzielle und personelle Auswirkungen

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4 Verhältnis zur Legislaturplanung

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5 Änderungen der innerstaatlichen Vorschriften 5.1 Änderungen oder Ergänzungen des Seeschifffahrtsgesetzes 5.2 Änderungen der Seeschifffahrtsverordnung

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6 Rechtliche Aspekte 6.1 Verfassungsmässigkeit 6.2 Verzicht auf eine Vernehmlassung

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7 Konsultation der Dreigliedrigen Eidgenössischen Kommission für Angelegenheiten der IAO

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Bundesbeschluss über die Genehmigung des Seearbeitsübereinkommens (Entwurf)

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Seearbeitsübereinkommen, 2006

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Botschaft 1

Grundzüge des Übereinkommens

1.1

Ausgangslage

Die Seeschifffahrt gilt als der am meisten globalisierte Arbeitssektor der Welt. Rund 1,2 Millionen Seeleute aus allen Teilen dieser Erde leben und arbeiten auf Hochseeschiffen. Ebenso viele Seeleute befinden sich auf Landurlaub. Alleine auf Hochseeschiffen unter Schweizer Flagge sind 659 Seeleute aus 17 verschiedenen Nationen beschäftigt, darunter sind lediglich acht Personen schweizerischer Nationalität.

Ungefähr die gleiche Anzahl von Seeleuten befinden sich auf Landurlaub.

Die Seeschifffahrt hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen. In den letzten drei Jahren wurden 6500 neue Seeschiffe zugelassen. Die Frachtraten haben sich im gleichen Zeitraum um 100 Prozent erhöht. Es ist auch in den kommenden Jahren mit einem moderaten Wachstum zu rechnen, zumal aufstrebende Länder wie China einen enormen Hunger nach Rohstoffen haben. Die aktuelle Finanzkrise wird die Transportraten im Warenverkehr auf hoher See vorübergehend verringern. Diese Entwicklung wird unzweifelhaft den Druck auf die Arbeitsbedingungen der Seeleute erhöhen. Der Arbeitsdruck wächst bei gleichzeitigem Kostendruck der Reeder, die sich infolge der verstärkten Globalisierung einem harten Wettbewerb ausgesetzt sehen. Dieser Trend birgt deshalb die Gefahr einer Kostenersparnis zulasten der Angestellten auf Hochseeschiffen. Diese Entwicklung ist kaum wünschenswert; längere Arbeitszeiten bei tiefen Löhnen haben, wie vergangene Unfälle immer wieder gezeigt haben, eine Auswirkung auf die Sicherheit. Unfälle auf hoher See, die Leben kosten und unter Umständen verheerende ökologische Folgen haben, sind die mögliche unerwünschte Konsequenz dieser Entwicklung. Die gegenwärtigen Arbeitsbedingungen in der Seeschifffahrt haben zur Folge, dass der Beruf des Seemannes nicht mehr attraktiv ist. Gerade in westlichen Ländern verzeichnet man einen massiven Rückgang beim Nachwuchs. Gut ausgebildete Personen bilden aber gerade das Rückgrat der weltweiten Versorgung der Bevölkerung und damit die Basis für den Wohlstand. Das Seearbeitsübereinkommen leistet auch einen Beitrag für stabile Arbeitsbedingungen und angemessene Konditionen, sodass eine Attraktivitätssteigerung des Berufes zu erwarten ist.

Im Allgemeinen sind die Seeleute gewerkschaftlich wenig organisiert und wissen daher in der Regel nicht, wie sie sich gegen einen Vertragsbruch des Reeders
zur Wehr setzen können. Die wohl bekannteste Gewerkschaft in der Seeschifffahrt ist die Internationale Transportarbeiter-Föderation (ITF), ein Zusammenschluss von über 600 Gewerkschaften im Bereich Transport. Sie ist in 135 Ländern vertreten und nimmt die direkten Interessen von ca. 193 000 Seeleuten wahr. Für die Kontrolle der Einhaltung der Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt sie 129 Inspektoren, die in 42 Seehäfen regelmässig Kontrollen durchführt. Die 1896 in London gegründete Gewerkschaft ist mächtig und bei den Reedern erst seit wenigen Jahren als Verhandlungspartner akzeptiert. Die Mitgliedschaft bedeutet aber nicht, dass die Seeleute automatisch in den vollumfänglichen Genuss ihrer mitgliedschaftlich verbrieften Rechte kommen. Oftmals weichen die Reeder vom vereinbarten Lohn oder anderen wichtigen Vertragsbedingungen ab und gestehen den Seeleuten weniger Rechte zu, als diesen gemäss dem zwischen den Vertretern der Arbeitgeber 8983

und -nehmer ausgehandelten Standardarbeitsvertrag zustünden. Die Gefahr, dass ein Seemann nach der Geltendmachung der eigenen Rechte auf der sogenannten schwarzen Liste auftaucht, ist gross. Wer einmal auf dieser Liste steht, wird kaum mehr eine Arbeit finden, da er oder sie in diesem Fall als querulatorisch gilt.

Eine globale Lösung, die den Arbeiterinnen und Arbeitern auf See umfassenden Schutz zukommen lässt und den Hafenbehörden Instrumente in die Hand gibt, die eine effektive Kontrolle der Arbeitsbedingungen ermöglichen, war angezeigt und hat damit den Grundstein zur Ausarbeitung des globalen Seearbeitsübereinkommens gelegt.

Gemäss Artikel IV Ziffer 5 des Seearbeitsübereinkommens kann dessen Umsetzung durch innerstaatliche Rechtsvorschriften, mittels Gesamtarbeitsvertrag, durch andere Massnahmen oder in der Praxis erreicht werden. Das Übereinkommen lässt somit bei der Umsetzung einen grossen Spielraum offen.

1.2

Übersicht und Entstehung

Im Februar 2006 wurde im Rahmen der 94. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz in Genf das Seearbeitsübereinkommen 2006 von den Vertretern von 106 Staaten, von Arbeitgebern und Arbeitnehmern angenommen. Ziel war, ein einziges in sich geschlossenes internationales Instrument zu schaffen, das alle aktuellen Normen der bestehenden internationalen Konventionen und Empfehlungen im maritimen Bereich der IAO umfasst. Als Grundlage dienten somit alle von der IAO seit ihren Anfängen angenommenen Erlasse zum Schutz der Arbeits- und Lebensbedingungen von Seeleuten. Die bestehenden Instrumente, die bedingt durch die Entwicklung der Technik zu einem erheblichen Teil obsolete Bestimmungen enthalten, sollen nicht mehr für zukünftige Ratifikationen offenstehen, sondern vom umfassenden Seearbeitsübereinkommen abgelöst werden. In einer Veröffentlichung aus dem Jahr 2006 bestätigt das Internationale Arbeitsamt, dass die existierenden Übereinkommen der IAO über maritime Arbeitsbedingungen mit der Ratifizierung des Seearbeitsübereinkommens allmählich ausser Kraft gesetzt werden. Staaten, die das Seearbeitsübereinkommen nicht ratifiziert haben, bleiben an die bisherigen Übereinkommen gebunden. Die abgelösten Übereinkommen können nicht mehr ratifiziert werden.

Die Schweiz hatte bei der Verabschiedung des SSG alle zu jenem Zeitpunkt bestehenden durch die Schweiz ratifizierten IAO-Instrumente im Bereich Arbeitsschutz der Seeleute berücksichtigt. Seit 1953, Jahr der Verabschiedung des Seeschifffahrtsgesetzes, wurden noch neun weitere Konventionen betreffend Seeschifffahrt verabschiedet, die fast ausschliesslich Erneuerungen von Bestimmungen bestehender Übereinkommen oder spezifische, für die Fischerei geltende Vorschriften enthielten.

Auf dieser Grundlage hat der grösste Teil der IAO-Instrumente in diesem Bereich in der schweizerischen Gesetzgebung oder zumindest im Gesamtarbeitsvertrag zwischen den Reedern und den Vertretern der Seeleute ihren Niederschlag gefunden.

Die Konvention soll die vierte Säule neben den drei Hauptkonventionen der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (International Maritime Organization ­ IMO) bilden. Es handelt sich dabei um das internationale Übereinkommen vom 17. Juni

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19603 zum Schutz des menschlichen Lebens auf See (SOLAS), das internationale Übereinkommen vom 7. Juli 19784 über Normen für die Ausbildung, die Erteilung von Befähigungszeugnissen und den Wachdienst von Seeleuten (STCW-Übereinkommen) und das internationale Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe (MARPOL). Letzteres ist für die Schweiz durch die Ratifizierung des Protokolls vom 17. Februar 19785 zu dem Internationalen Übereinkommen von 1973 zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe in Kraft getreten.

Das Kernmandat des Seearbeitsübereinkommens besteht darin, weltweit sowohl einheitliche als auch angemessene Arbeitsbedingungen für alle Seeleute zu schaffen.

In Anbetracht der globalen Natur der Schifffahrtsindustrie und auch der Tatsache, dass bei ca. 80 Prozent der maritimen Unfälle der Faktor Mensch eine wesentliche Rolle spielt, ist dieser besondere Schutz notwendig. Ausserdem kommt es wegen der globalen Natur der Arbeitsverhältnisse zur See immer wieder zu starken Ungleichheiten für Seeleute. Reeder, die sich auf Kosten ihrer Angestellten unfaire Wettbewerbsvorteile verschaffen, sollen künftig keinen Platz mehr in der Handelsschifffahrt haben. Des Weiteren besteht seit längerem der Bedarf, ein effektives System zur Durchsetzung der geltenden Normen und zur Eliminierung von sogenannten «Substandard»-Schiffen zu etablieren.

Die Mitgliedstaaten der IAO sind angehalten, die Ratifikation des Seearbeitsübereinkommens zügig voranzutreiben. Das Übereinkommen tritt nach Ablauf von zwölf Monaten in Kraft, nachdem 30 Länder, welche 33 Prozent der Welttonnage ausmachen, ratifiziert haben. Bisher haben es fünf Staaten (Liberia, Bahamas, Marshallinseln, Panama, Norwegen) ratifiziert. Die EU-Kommission hat ihre Mitgliedstaaten aufgefordert, das Übereinkommen bis Ende 2010 zu ratifizieren. Es könnte somit 2011 in Kraft treten. Besonders wirkungsvoll ist das Übereinkommen dadurch, dass auch Schiffe von Staaten, die das Abkommen nicht ratifiziert haben, in den Häfen anderer Länder auf Einhaltung der Bestimmungen der Konvention überprüft werden können. Verstösse gegen die Normen können dazu führen, dass fehlbare Seeschiffe von Staaten, die das Übereinkommen nicht ratifiziert haben, erhebliche Verzögerungen in der Abfertigung erleiden und schlimmstenfalls festgehalten werden,
was mit erheblichen Kosten für den Reeder und einem Imageschaden für den jeweiligen Flaggenstaat verbunden ist.

Für die unter Schweizer Flagge fahrenden Schiffe ändert sich durch das Übereinkommen wenig: Die schweizerische Seeschifffahrtsgesetzgebung deckt bereits heute die neuen Normen weitgehend ab und geht teilweise sogar darüber hinaus. Beispielsweise hat die Schweiz alle acht in der Präambel der neuen Konvention erwähnten internationalen Arbeitsübereinkommen ratifiziert.

Durch den Abschluss eines Gesamtarbeits- bzw. Kollektivvertrages mit der Vertretung der Seeleute (UNIA) durch sämtliche Reeder, die Schiffe unter Schweizer Flagge betreiben, konnten gewisse gesetzliche Bestimmungen ergänzt und teilweise nicht unwesentlich zugunsten der Seeleute erweitert werden. Zurzeit gewährt der Gesamtarbeitsvertrag auf sämtlichen Schiffen unter schweizerischer Flagge günstigere Bedingungen, beispielsweise in den Bereichen Lohn, Arbeits- und Ruhezeiten sowie Sozialversicherungen.

3 4 5

SR 0.747.363.32 SR 0.747.341.2 SR 0.814.288.2

8985

1.3

Schweizerische Interessen

Die Schweiz als Industrie- und Handelsnation ist in grossem Ausmass vom weltweiten Handel abhängig. Angesichts der internationalen Rolle der Seeschifffahrt ist eine wirkungsvolle Handelsflotte für die Schweiz von vitaler Bedeutung. Alle nennenswerten nationalen Handelsflotten werden durch die jeweiligen Staaten teilweise massiv gefördert, was deutlich macht, dass nebst rein versorgungspolitischen Gründen die Sicherung des eigenen Wirtschaftsstandortes ein wesentlicher Faktor ist. Die Schweizer Reedereien stärken den internationalen Dienstleistungsstandort, verdienen ihr Geld im Ausland, bezahlen die Steuern in der Schweiz und sichern Hunderte von Arbeitsplätzen. Ausserdem erfüllt die Flotte einen Versorgungsauftrag in Krisenzeiten.

Aufgrund der globalen Natur der Seeschifffahrt sowie deren vielfältiger Gefahrenanfälligkeit wurde von der internationalen Staatengemeinschaft schon früh erkannt, dass Sicherheit durch Koordination auf internationaler Ebene viel besser erreicht werden kann als durch selbstständig handelnde Einzelstaaten. Die IMO, eine UNOSpezialorganisation mit Sitz in London, hatte ursprünglich die Sicherheit der kommerziellen Seeschifffahrt zum Inhalt, befasst sich aber auch mit dem Schutz der Seeleute und in jüngster Zeit auch mit Anliegen des Meeresumweltschutzes. Sie hat seit ihrer Gründung rund 40 Konventionen angenommen und unzählige Kodizes erlassen. Das Seearbeitsübereinkommen der IAO soll neben den drei Hauptkonventionen der IMO die vierte zentrale Säule im Bereich Schiffssicherheit darstellen.

Für die Seeleute auf Schiffen unter Schweizer Flagge ergeben sich durch das Abkommen gewisse Verbesserungen. Festgeschrieben werden jetzt etwa der Abschluss einer Unfall- und Krankenversicherung, Mindestgrössen von Kabinen, 30 Tage Urlaub im Jahr und Arbeitszeiten von maximal 14 Stunden täglich und allenfalls 72 Stunden pro Woche. Bei allen diesen Kriterien handelt es sich um Mindestnormen. Die schweizerischen Instrumente zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen auf Schiffen unter schweizerischer Flagge bleiben ein zentrales Thema.

Mit der Ratifikation des Seearbeitsübereinkommens können die Arbeitsbedingungen noch weiter verbessert werden.

Aus wirtschaftlicher Sicht bringt eine Ratifizierung des Seearbeitsübereinkommens nur Vorteile; ein Abseitsstehen hätte hingegen Einbussen der
hiesigen Reedereien zur Folge, insbesondere bei der Warenabfertigung in den Seehäfen der Welt. Der Aufwand einer Umsetzung beschränkt sich auf wenige Änderungen technischer Natur auf Stufe Gesetz und Verordnung. Eine Ratifikation hat nicht nur wirtschaftliche Vorteile; sie verbessert auch das Ansehen der Schweiz im Bereich der internationalen Arbeitsrechte.

Gemäss langjähriger Praxis des Bundesgerichtes6 sollte das Seearbeitsübereinkommen direkt anwendbar sein. Einerseits betreffen die grosse Mehrheit der Bestimmungen Personen (Kapitän, Reeder, Seeleute) und weisen diesen Rechte und Pflichte zu. Gewisse Bestimmungen wenden sich an den Gesetzgeber, der den Teil B des Übereinkommens zur Interpretation hinzuziehen kann. Die Mehrheit der Bestimmungen sind justiziabel, das heisst konkret und klar genug, dass sie von einer Behörde oder einem Gericht direkt angewendet werden können. Die Behörden oder Gerichte können sich auf den Teil B des Übereinkommens stützen.

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BGE 124 III 90, 129 II 249

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Die Ausführungen in der vorliegenden Botschaft beschränken sich daher auf die wichtigsten Bestimmungen sowie auf diejenigen, die im Widerspruch zum schweizerischen Recht stehen und eine entsprechende gesetzliche Anpassung notwendig machen. Mit der Ratifizierung des Seearbeitsübereinkommens werden für die Schweiz die Einleitungsartikel sowie der Teil A des Übereinkommens verbindlich.

Die Einleitungsartikel, Teil A und Teil B stellen eine Einheit dar. Teil B des Übereinkommens enthält jedoch Bestimmungen, die jeder Staat fakultativ anwenden kann. Für die rechtssprechenden Organe bedeutet dies, dass diese Bestimmungen allenfalls zur Interpretationshilfe für die verpflichtenden Bestimmungen hinzugezogen werden können.

2

Erläuterung zu einzelnen Artikeln des Übereinkommens

2.1

Übersicht

Das Übereinkommen legt in seinen Einleitungsartikel die allgemeinen Bestimmungen wie beispielsweise Geltungsbereich, Definitionen, Inkrafttreten, Kündigung fest.

Es folgen die fünf Titel des Übereinkommens, in denen jeweils ein Hauptthema der Konvention kodifiziert ist. Die einzelnen Titel unterteilen sich weiter in Regeln, Normen und Leitlinien. Die Regeln und Normen stellen den verbindlichen Teil des Übereinkommens dar, wohingegen die Leitlinien nicht verbindliche Verpflichtungen der Mitglieder beinhalten. Die Regel gibt jeweils generell eine Anforderung an die einzelnen Mitglieder vor, die durch die Normen weiter konkretisiert wird.

Die Regeln und der Kodex gliedern sich in verschiedene Bereiche unter fünf Titeln: Titel 1:

Mindestanforderungen an Seeleute für die Arbeit auf einem Schiff

Titel 2:

Beschäftigungsbedingungen

Titel 3:

Unterkunftsräume, Erholungseinrichtungen, Nahrungsmittel und Verpflegung

Titel 4:

Gesundheitsschutz, medizinische Betreuung, soziale Betreuung und soziale Sicherheit

Titel 5:

Erfüllung und Durchsetzung der Anforderungen.

Artikel 63 SSG muss dementsprechend angepasst werden.

2.2

Einleitungsartikel

Die Einleitungsartikel enthalten die wichtigen allgemeinen Grundsätze des Seearbeitsübereinkommens. Es werden die zahlreichen Übereinkommen, die durch das Inkrafttreten des neuen Übereinkommens ersetzt werden, einzeln benannt. Die Schweiz hat sämtliche in der Präambel genannten Übereinkommen ratifiziert. Im Gegensatz zu den bisherigen Übereinkommen der IAO, die nach dem Inkrafttreten nicht mehr modifiziert werden konnten, sieht die neue Konvention nach Artikel XIV und XV zwei Verfahren für die nachträgliche Änderung von Bestimmungen vor.

Artikel XV sieht ein beschleunigtes Verfahren vor für die Vorschriften des Codes vor. Es handelt sich dabei um technische und detaillierte Anordungen, die auf den 8987

neuesten Stand gebracht werden. Wichtige Bestimmungen sind nach den Voraussetzungen des Artikel XIV im Verfahren nach Artikel 19 der Verfassung der IAO abzuändern.

Artikel II enthält die Definitionen wichtiger Begriffe. Von besonderer Bedeutung ist der Begriff der Seeleute. Im Gegensatz zur Definition in anderen Übereinkommen, die primär auf die Art der Beschäftigung abstellen, wird der Begriff weiter gefasst.

Auf Schiffen, insbesondere Passagierschiffen, arbeiten etliche Personen, die sich unter Umständen nicht in diese Kategorie einordnen lassen (beispielsweise Kosmetikerinnen, Sportinstruktoren und Unterhalter). Damit diese Kategorien ebenfalls unter den weitreichenden Schutz des Seearbeitsübereinkommens fallen, wurde die Definition bewusst weit gefasst, sodass sämtliche Personen unabhängig von ihrer Funktion an Bord erfasst werden.

Ebenfalls von zentraler Bedeutung ist der Begriff des Reeders. Für die Seeleute ist es wichtig zu wissen, wer der Reeder ist, da sich ihre Ansprüche immer gegen diesen richten. Dies ist auch dann der Fall, wenn der Reeder eine Drittperson, beispielsweise eine Arbeitsagentur, dazwischenschaltet, die den Arbeitsvertrag abschliesst. Der Reeder haftet mit anderen Worten immer für Ansprüche der Seeleute aus dem Übereinkommen. Er ist gezwungen darauf zu achten, dass der Arbeitgeber die Vorschriften des Übereinkommens vollumfänglich einhält. Diese Regelung basiert auf der Erfahrung, dass skrupellose Reeder eine Drittperson als Arbeitgeber vorschieben können. Kommt diese ihren arbeitsrechtlichen Verpflichtungen nicht nach, so können die Seeleute keine Rechtsansprüche gegen den Reeder geltend machen, sondern sind gezwungen, sich an die inzwischen insolventen oder nicht mehr existierenden Drittpersonen zu halten. Um künftige Umgehungen der bestehenden Verantwortungen zu vermeiden, ist die Definition des Reeders sehr weit gefasst. Artikel 45 Absatz 1 SSG definiert für das schweizerische Recht den Begriff des Reeders. Da dieser weniger weit gefasst ist, soll die Definition des Seearbeitsübereinkommens übernommen werden.

Artikel III und IV legen die grundlegenden Rechte und Prinzipien sowie die Beschäftigungs- und Sozialrechte der Seeleute fest. Artikel IV Ziffer 5 verleiht den ratifizierenden Staaten eine grosse Flexibilität bei der Umsetzung dieser Bestimmungen. Die Staaten
haben die Möglichkeit, die Umsetzung des Übereinkommens auf unterschiedliche Art und Weise vorzunehmen. Einerseits kann dies durch die Schaffung innerstaatlicher Rechtsvorschriften und andererseits mittels Gesamtarbeitsverträgen oder anderer Massnahmen geschehen. Was unter anderen Massnahmen zu verstehen ist, wird indes offen gelassen und räumt den Staaten einen Ermessensspielraum ein.

Von besonderer Bedeutung ist ferner Artikel. V, der den Mitgliedsstaaten die Verantwortung überträgt, die Vorschriften der Konvention einzuhalten. Ziffer 1 und 2 werden durch die Artikel 8 und 13 SSG abgedeckt, die dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten, via Schweizerisches Seeschifffahrtsamt, die unmittelbare Aufsicht über die Seeschifffahrt unter Schweizer Flagge einräumt. Die in Ziffer 5 erwähnten Anwerbungs- und Arbeitsvermittlungsdienste für Seeleute sind einerseits durch das Bundesgesetz über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung (Arbeitslosenversicherungsgesetz vom 25. Juni 1982, AVIG7) und andererseits durch das Bundesgesetzes über 7

SR 837.0

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die Arbeitsvermittlung und den Personalverleih (Arbeitsvermittlungsgesetz vom 6. Oktober 1989, AVG8) gedeckt. Beide Bereiche stehen unter der Oberaufsicht des Bundesrates, zuständig für deren Handhabung sind das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement (EVD) respektive das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO).

Artikel X des Seearbeitsübereinkommens beschäftigt sich mit den Wirkungen auf die bisherigen im Rahmen der IAO in Kraft getretenen Übereinkommen. Die in Artikel X aufgeführten Übereinkommen werden durch das Seearbeitsübereinkommen neu gefasst, da sie entweder im Widerspruch zum Seearbeitsübereinkommen stehen oder letzteres über den Anwendungsbereich oder den Inhalt der Übereinkommen hinausgeht. Die Schweiz ist an insgesamt vier dieser Übereinkommen gebunden. Es handelt sich dabei um die Übereinkommen Nummer 8, 16, 23 und 163. Diese werden fortlaufend durch das Seearbeitsübereinkommen abgelöst.

2.3

Titel 1 Mindestanforderungen für die Arbeit von Seeleuten auf Schiffen

Titel 1 legt die Mindestanforderungen dar, die eingehalten werden müssen, bevor Seeleute auf einem Schiff arbeiten dürfen. Vorgeschrieben werden: das Mindestalter, der Besitz eines ärztlichen Zeugnisses, das die Tauglichkeit für die auszuführenden Aufgaben bescheinigt, eine Ausbildung und Befähigung für die an Bord auszuführenden Aufgaben und der Besitz eines Ausweises für Seeleute.

Die Gesundheit der Seeleute wird ebenfalls im ersten Titel behandelt. Neben dem Schutz des einzelnen Seemannes wird auch die Sicherheit der Besatzung, der Fracht und der Umwelt thematisiert. Der menschliche Faktor spielt bei Unfällen auf hoher See in einer Vielzahl von Fällen eine entscheidende Rolle. Dabei ist es wichtig, dass die Seeleute aus gesundheitlicher Sicht überhaupt in der Lage sind, den von ihnen bekleideten Posten auszuüben. Um die Verrichtung von Arbeit durch Personen, die nicht über die von der Position verlangte Gesundheit verfügen, zu verhindern, wird stets vor Antritt der Arbeit ein ärztliches Zeugnis verlangt. Es soll nicht nur der Reeder, sondern auch der Seemann vor sich selbst geschützt werden. Mit den Artikeln 17­19 der Seeschifffahrtsverordnung erfüllt die schweizerische Gesetzgebung die Anforderungen der Regel 1.2.

Die Regel 1.3 behandelt die Ausbildung und Befähigungen von Seeleuten. Zweck dieser Vorschrift ist die Schaffung einer Mindestausbildung für qualifizierte Berufe auf einem Hochseeschiff. Die Regel anerkennt ausdrücklich bereits bestehende Ausbildungsanforderungen wie diejenigen nach dem STCW-Übereinkommen.

Seeleute, die Positionen an Bord eines Schiffes innehaben, die eine Ausbildung oder Befähigungen erfordern, die durch das STCW-Übereinkommen nicht erfasst sind, müssen gemäss den innerstaatlichen Anforderungen, soweit vorhanden, für die Position ausgebildet oder befähigt werden. Beispielsweise würde von einer Person, die als Pflegeperson oder als Arzt auf einem Schiff eingestellt wird, erwartet, dass sie den innerstaatlichen Anforderungen für diese Position genügt. Die Schweiz hat vorgenanntes Übereinkommen ratifiziert und erfüllt dementsprechend die Anforderungen der Regel 1.3. Das STCW-Übereinkommen ist direkt anwendbar.

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SR 823.11

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Ebenfalls ein Anliegen der Vertreter der Seeleute war die Problematik der Anwerbung und der Arbeitsvermittlung von Seeleuten. In vielen Ländern existieren Vermittlungs- und Anwerbungsbüros, die sich auf Seeleute spezialisiert haben. In Drittweltländern ist der Beruf des Seemannes ein prestigeträchtiger Beruf. In ihrer Heimat gehören Seeleute dank der verhältnismässig hohen Entlöhnung zu den Besserverdienenden. Vornehmlich in diesen Ländern haben sich Anwerbungs- und Vermittlungsbüros niedergelassen, die für ihre Dienste hohe Gebühren verlangen.

Diesem Vorgehen tritt man entgegen, indem man den jeweiligen Mitgliedsstaaten die Kontrolle dieser Büros überträgt. Der Mitgliedsstaat hat eine innerstaatliche Kontrolle vorzusehen, indem er vorschreibt, dass bei der Vermittlung von Seeleuten grundsätzlich keine Gebühren verlangt werden dürfen. Das Abkommen geht aber noch einen Schritt weiter und schreibt den Ratifikationsstaaten vor, dass sämtliche Reeder, die Schiffe unter der Flagge eines Mitgliedes betreiben, nur noch Seeleute aus Ländern auf diesen Schiffen beschäftigen dürfen, die entweder das Übereinkommen ratifiziert haben oder deren innerstaatliche Vorschriften die Erhebung von Gebühren verbieten. Mit dieser Vorschrift soll sichergestellt werden, dass Länder, welche die Konvention nicht ratifiziert haben und deren innerstaatliche Rechtsordnung nicht derjenigen der Konvention entspricht, nicht bevorzugt werden und so eine Motivation erhalten, die Konvention entweder zu ratifizieren oder deren Normen zu befolgen. Die Regelung wird dessen ungeachtet darauf hinauslaufen, dass die Reeder keine Seeleute mehr aus Ländern rekrutieren werden, die dem Übereinkommen nicht beigetreten sind. Eine Überprüfung fremder innerstaatlicher Rechtsordnungen auf Einhaltung der Vorgaben des Seearbeitsübereinkommens wäre ein zu grosser Aufwand für den einzelnen Reeder.

Das schweizerische Arbeitsvermittlungssystem ist aufgeteilt in eine private und eine öffentliche Vermittlung von Arbeitskräften. Letztere ist unentgeltlich und durch das AVIG geregelt. Im Rahmen der privaten Arbeitsvermittlung steht ein unentgeltliches System für Seeleute im Widerspruch zu Artikel 9 Absatz 1 AVG, der dem privaten Vermittler mit Sitz in der Schweiz erlaubt, eine Einschreibungsgebühr sowie eine Vermittlungsprovision zu verlangen. Aus
pragmatischen Gründen ist eine Revision des AVG aber nicht angezeigt. Die schweizerischen Reedereien rekrutieren ihre Seeleute weder durch private noch durch öffentliche in- oder ausländische Arbeitsagenturen. Im Ausland unterhalten die schweizerischen Reedereien zu diesem Zweck eigene Rekrutierungsstellen, um ausländische Seeleute anzuheuern. Demzufolge können schweizerische Reedereien Personen aus Ländern, die das Seearbeitsübereinkommen nicht ratifiziert haben, jedoch gesetzlich die Gebühren in der Arbeitsvermittlung verboten haben, einstellen. Auch in diesem Fall geschieht dies nicht über eine Arbeitsvermittlung, sondern der Vertrag wird ohne Kostenfolge für die Seeleute direkt zwischen dem Arbeitnehmer und der Reederei geschlossen.

Schweizerische oder ausländische Seeleute wenden sich direkt an die schweizerischen Reedereien. Auf Schiffen unter schweizerischer Flagge sind ohnehin nur sehr wenige Personen schweizerischer Nationalität beschäftigt. Aufgrund der geringen Anzahl von Personen, auf die Regel 1.4 anwendbar ist, wäre eine Anpassung des AVG unverhältnismässig.

Der Gesamtarbeitsvertrag sieht vor, dass in Zukunft der Arbeitgeber der Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer eine geleistete Gebühr oder eine vergleichbare Bezahlung an den Vermittler nach Antritt des Arbeitsverhältnis vergütet. Damit wird dem Wortlaut des Übereinkommens einer unentgeltlichen Arbeitsvermittlung genüge getan.

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2.4

Titel 2 Beschäftigungsbedingungen

Unter dem 2. Titel werden die Arbeitsbedingungen der Seeleute festgelegt. Geregelt werden hauptsächlich die Bedingungen für die Unterzeichnung des Beschäftigungsvertrags, die Mindestbeschäftigungsbedingungen, die Heimschaffung, die Besatzungsstärke sowie die Mindestanforderungen an die Qualifikation der Seeleute.

Vornehmlich dient der zweite Titel dem Schutz des einzelnen Seemannes vor unfairen Beschäftigungsbedingungen.

Das Schrifterfordernis des Heuervertrages gemäss der Regel 2.1 dient dem Schutz der Seeleute. Bei Unklarheiten sind die Vertragsbestandteile zur Überprüfung jederzeit verfügbar. Das Seerechtsübereinkommen geht noch weiter und schreibt den Vertragsparteien vor, welche Mindestbestandteile Aufnahme in den Vertrag finden müssen. Die wichtigsten essentialia negotii sind die Höhe der Heuer, die Tätigkeit, für welche der Seemann eingestellt wird, der Anspruch auf bezahlte Ferien, Kündigungsfristen, Kündigungsgründe, Leistungen des Gesundheitsschutzes und der sozialen Sicherheiten sowie der Heimschaffungsanspruch der Seeleute. Mit dem Festhalten der wichtigsten Vertragsbestandteile reduziert sich die Gefahr einer Übervorteilung der Seeleute. Diese haben ferner gemäss der Konvention das Recht, den Vertrag vor der Unterzeichnung durch eine Vertrauensperson prüfen zu lassen.

Auch damit wird ein wichtiger Schritt hin zu fairen Arbeitsverträgen getan, indem der Seemann die Möglichkeit hat, die Vertragsbestandteile vor der Unterzeichnung des Heuervertrages einer Expertin oder einem Experten zur Überprüfung vorzulegen. Das Obligationenrecht9 (OR), das SSG sowie der Gesamtarbeitsvertrag decken sämtliche Anforderungen des Übereinkommens in diesem Bereich ab.

Für sämtliche Seeleute muss in Zukunft ein Beschäftigungsvertrag auf dem Schiff vorhanden zu sein, der vom Reeder und vom Seemann unterzeichnet ist und Aufschluss über die Arbeits- und Lebensbedingungen an Bord gibt. Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen über ein unterschriebenes Original des Beschäftigungsvertrages verfügen. Der Vertrag muss für die Arbeitnehmerin oder den Arbeitnehmer zugänglich sein, sodass im Bedarfsfall Informationen über die Arbeitsbedingungen eingeholt werden können. Beruhen einzelne Vertragsbestandteile auf einem Gesamtarbeitsvertrag, so muss eine Kopie davon an Bord vorhanden sein. Musterverträge sowie ein allfälliger
Gesamtarbeitsvertrag sind zusätzlich in einer englischen Übersetzung an Bord mitzuführen. Damit soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass die Besatzung in der Regel aus Angehörigen von verschiedenen Nationen besteht. Auf sämtlichen Schiffen der schweizerischen Flotte ist bereits heute der geltende Gesamtarbeitsvertrag in englischer Sprache vorhanden, was im Einklang mit dem Seearbeitsübereinkommen ist.

Regel 2.2 Norm A2.2 befasst sich mit der Heuer und den Zahlungsbedingungen, die der Reeder zwingend einzuhalten hat. In der Praxis kommt es immer wieder vor, dass Seeleute mehrere Monate auf die Ausrichtung ihres Lohnes warten müssen. Da diese oft ganze Grossfamilien in ihrer Heimat finanziell unterstützen, trifft es nicht nur den Seemann, sondern auch dessen Familie hart, wenn der Reeder nicht innert Frist den Lohn ausrichtet. Gemäss der vorgeschlagenen Regelung hat der Reeder den Seeleuten monatlich ihre volle Heuer zu entrichten und gleichzeitig ein System 9

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vorzusehen, das es dem Einzelnen erlaubt, einen Teil seines Lohnes einem Drittbegünstigten zukommen zu lassen. Artikel 323 OR sieht die monatliche Lohnausrichtung vor, wie auch die Artikel 73 und 74 SSG sowie Artikel 3.3 des Gesamtarbeitsvertrages. Die Drittbegünstigten sind beschränkt auf die Familie, UnterhaltsUnterhaltsberechtigte sowie gesetzlich Begünstigte. Der Zweck dieser Regelung liegt darin, dass die Seeleute, die ausserhalb ihrer regulären Arbeitszeit keinen Zugang zu Bankdienstleistungen haben, diese wichtigen Zahlungsanweisungen an ihren Arbeitgeber delegieren können. Bereits der Gesamtarbeitsvertrag sieht in Artikel 3 Absatz 3 diese Möglichkeit vor. Die anfallenden Gebühren für die vorgenannte Dienstleistung müssen angemessen sein. Zusätzlich dürfen Wechselkurse, sofern nichts anderes bestimmt wird, für den Arbeitnehmer nicht unvorteilhaft sein, was nichts anderes bedeutet, als dass amtliche Wechselkurse zu berücksichtigt sind.

In Anbetracht der zunehmenden Sorge über die Auswirkungen von physischer Ermüdung auf die Sicherheit der Schifffahrt haben die Ratfikationsstaaten gemäss der Regel 2.3 die Arbeits- oder Ruhezeiten zwingend zu kodifizieren. Insbesondere müssen Höchstarbeits- oder Mindestruhezeiten festgelegt werden. Zwar sehen die Artikel 23 und 24 der Seeschifffahrtsverordnung eine Arbeitszeit von acht Stunden vor, für allgemeine Seeleute gilt nach Artikel 25 der Seeschifffahrtsverordnung jedoch eine Normalarbeitszeit von neun Stunden. Die Verordnung steht somit in Widerspruch zum Seearbeitsübereinkommen. Norm A2.3 Ziffer 5 Buchstabe b bestimmt, dass eine Mindestruhezeit von zehn Stunden innerhalb von 24 Stunden vorzusehen sei. Artikel 30 der Seeschifffahrtsverordnung sieht hingegen lediglich eine Mindestruhezeit von acht Stunden innerhalb eines Kalendertages vor. Auch diese Bestimmung steht im Widerspruch zum Seearbeitsübereinkommen. Die Ruhezeiten haben nebst der Erholung zum Ziel die sichere Aufrechterhaltung des Schiffbetriebes zu gewährleisten. Der menschliche Faktor ist immer wieder Ursache von Unfällen auf See. Nebst der Gefahr des Verlustes menschlichen Lebens können beträchtliche Verschmutzung von Land und Meer die Folge sein. Als Beitrag zur Minimierung dieses Risikos ist eine Erhöhung der Mindestruhezeit auf zehn Stunden angezeigt.

Die Regel 2.4 behandelt den
Jahresurlaubsanspruch und setzt diesen auf zweieinhalb Kalendertage je Monat fest, was einem jährlichen Ferienanspruch von sechs Wochen entspricht. Vorbehalten sind Gesamtarbeitsverträge. Der entsprechende Kollektivarbeitsvertrag, welcher für die Schweiz Gültigkeit hat, sieht gemäss Artikel 8 für Offiziere einen Anspruch von sechs Tagen je Monat und für die übrigen Seeleute einen Anspruch von fünf Tagen vor, was weit über dem Erfordernis des Seearbeitsübereinkommens liegt. Artikel 38 der Seeschifffahrtsverordnung verweist für den Ferienanspruch auf die Bestimmungen des Arbeitsrechts im OR. Artikel 329a OR sieht lediglich einen Urlaubsanspruch von vier Wochen vor. Da die Möglichkeit besteht, den Ferienanspruch mittels Gesamtarbeitsvertrag zu vereinbaren und dieser über den Vorgaben des Seearbeitsübereinkommens liegt, besteht kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf.

Die Entschädigung der Seeleute bei Schiffsverlust oder Schiffsbruch wird von der Regel 2.6 und der dazu gehörenden Norm A2.6 geregelt. Die Mitgliedsstaaten des Seearbeitsübereinkommens werden verpflichtet, eine Vorschrift zu einer angemessenen Entschädigung der Seeleute zu erlassen, die infolge Schiffsverlustes oder Schiffsbruches finanzielle Einbussen aufgrund von Verletzung, Schaden oder Arbeitslosigkeit erleiden. Die schweizerische Gesetzgebung schreibt in Artikel 86 SSG eine zweimonatige Entschädigung für die entgangene Heuer bei Schiffsverlust 8992

vor. Die Abdeckung der Entschädigung in den übrigen Fällen der Regel 2.6 wird in Ziffer 17.3 des Gesamtarbeitsvertrages festgehalten. Die Bestimmung im Übereinkommen sieht eine Entschädigung von einem Monat Heuer für alle Fälle vor, die nicht unter Artikel 86 SSG fallen. Mit Ziffer 17.3 des Gesamtarbeitsvertrages sowie Artikel 86 SSG bestehen ausreichende Grundlagen, um den Anforderungen der Regel 2.6 zu entsprechen.

Die Regel 2.7 und die damit zusammenhängenden Vorschriften des Arbeitsübereinkommens über die Besatzungsstärke tragen dem Anliegen Rechnung, dass die Besatzungsstärke die navigatorische Sicherheit insofern garantiert, als auch Faktoren wie die Ermüdung die Sicherheit beeinträchtigen können. Die Frage nach der richtigen Besatzungsstärke ist gemäss dem Dokument über die sichere Mindestbesatzungsstärke oder einem von der zuständigen Behörde ausgestellten Zeugnis beurteilt. Dabei sind übermässig lange Arbeitszeiten soweit wie möglich zu vermeiden oder auf ein Mindestmass zu beschränken, um eine ausreichende Erholung sicherzustellen und Ermüdung zu begrenzen; ferner sind die Grundsätze über die Besatzungsstärke des STCW-Übereinkommens zu berücksichtigen. Die in den Seehäfen durchgeführten Hafenstaatskontrollen zwingen jeden Flaggenstaat, sämtliche bis dato in Kraft getretenen internationalen Vereinbarungen unter der Schirmherrschaft der IMO anzuwenden.

Regel 2.8 Norm A2.8 regelt die Kontinuität der Beschäftigung sowie die berufliche Entwicklung der Seeleute. Die Staaten haben innenpolitisch vorzusehen, dass der Beruf des Seemannes gefördert wird. Mit der Verordnung vom 7. April 197610 über die Förderung der beruflichen Ausbildung schweizerischer Kapitäne und Seeleute hat der Bund diese Vorschrift des Übereinkommens bereits erfüllt. Der Bund gewährt Beiträge an die Aus- und Weiterbildung von Seeleuten in der Höhe von einem Drittel bis maximal zwei Dritteln der Kosten für Unterkunft, Verpflegung, Schulgeld, Schulmaterialien und Versicherungsprämien für die Kranken- und Unfallversicherung. Das Schweizerische Seeschifffahrtsamt (SSA) ist Auskunftsstelle für angehende Seeleute und steht diesen mittels Informationen zur Seite.

Ebenfalls leistet das SSA Öffentlichkeitsarbeit, indem es mittels Broschüren, Vorträgen etc. Interessierten einen Einblick in die Berufswelt auf hoher See ermöglicht.

2.5

Titel 3 Unterkunftsräume, Erholungseinrichtungen, Nahrungsmittel und Verpflegung

Der 3. Titel befasst sich zur Hauptsache mit den Spezifikationen der Unterkünfte.

Bestimmungen der Regel 3.1, die sich mit der Unterkunft und den Erholungseinrichtungen an Bord befassen, enthalten zahlreiche Anforderungen für die besonderen Aufgaben und Funktionen der Seeleute. Sie entsprechen mit wenigen Ausnahmen den Übereinkommen Nr. 92 und Nr. 133 über die Quartierräume der Schiffsbesatzungen sowie den dazugehörigen Empfehlungen Nr. 140 und 141. Einige Anpassungen wurden vorgenommen und entsprechen den heutigen Bedürfnissen. Da zahlreiche sich im Betrieb befindende Schiffe den Anforderungen des Übereinkommens nicht gerecht werden, gelten die Vorschriften nur für Schiffe, die zum oder nach dem Zeitpunkt des Inkrafttretens gebaut werden.

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SR 747.341.2

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Die Bestimmungen des 3. Titels des Seearbeitsübereinkommens sind direkt anwendbar. Aufgrund dessen kann der Anhang II der Seeschifffahrtsverordnung gestrichen werden.

Als Reaktion auf zum Teil widrige hygienische Zustände an Bord, die zu einer Beeinträchtigung der Gesundheit der Seeleute führen könnten, wurde mit der Ausarbeitung der Konvention auch vermehrt das Augenmerk auf das Wohlbefinden und die Gesundheit der Seeleute gerichtet. Mit Inkrafttreten des Übereinkommens müssen bei Neubauten die Kabinen und der jedem einzelnen zur Verfügung stehende Stauraum grösser konzipiert werden. Zwingend ist in Zukunft ebenfalls das Vorhandensein einer Lüftung sowie einer Heizung für die Schlafräume. Schiffe, die zusätzlich regelmässig tropische Gebiete befahren, sind mit einer Klimaanlage auszurüsten. Die Unterkünfte, Freizeit- und Verpflegungseinrichtungen haben sicher und der Gesundheit zuträglich zu sein. Ziel ist es, dass mittels durchdachter Konstruktion ein positiver Einfluss auf die Gesundheit der Seeleute erreicht wird, was auch mit dem Verweis auf den 4. Titel (vgl. Ziff. 2.6) unterstrichen wird. Was die Verpflegung gemäss der Norm A3.2 betrifft, so hat diese in ausreichender Menge und Qualität vorhanden zu sein. Die Kost hat dabei auch die religiöse Ausrichtung des Seemannes und dessen Kultur zu berücksichtigen. Der Schiffskoch muss über eine Ausbildung verfügen, die einer innerstaatlichen Ausbildung ebenbürtig ist. Da es in der Praxis schwierig ist, Schiffsköche anzuheuern, die über eine qualitativ vergleichbare Ausbildung verfügen, lässt das Übereinkommen genügend Spielraum und überlässt es dem Flaggenstaat zu bestimmen, welche Ausbildung den Anforderungen an eine innerstaatliche Ausbildung gerecht wird. So ist es auch beispielsweise möglich, berufliche Laien als Schiffsköche zu engagieren, die bereits eine mehrjährige Berufserfahrung haben.

2.6

Titel 4 Gesundheitsschutz, medizinische Betreuung, soziale Betreuung und soziale Sicherheit

Titel 4 behandelt den Zugang zu medizinischer Betreuung im weiteren Sinne, Gesundheitsschutz, soziale Betreuungseinrichtungen an Land und die soziale Sicherheit sowie deren finanzielle Regelung.

Die Konvention soll sicherstellen, dass die Seeleute sowohl an Land als auch an Bord eines Seeschiffes Zugang zu medizinischer Betreuung haben. Die medizinische Betreuung an Bord kann zweifelsohne nicht die gleiche Professionalität aufweisen wie die an Land. Während an Land ein Anspruch besteht, einen Arzt aufzusuchen, ist dies an Bord in den allermeisten Fällen nicht möglich. Gemäss dem Seearbeitsübereinkommen muss nur auf Schiffen mit einer Passagieranzahl von über 100 Personen, die während mehr als drei Tagen auf internationalen Reisen unterwegs sind, ein Arzt an Bord sein. Auf denjenigen Schiffen, auf denen nicht zwingend ein Arzt anwesend sein muss, hat zumindest eine Person zu sein, die medizinische Grundkenntnisse besitzt und erste Hilfe erteilen kann. Vorgängig hat die in der Verantwortung stehende Person einen nach dem STCW-Übereinkommen anerkannten Lehrgang zu absolvieren. Die Pflicht des jeweiligen Hafenstaates beschränkt sich darauf, den Zugang zu einem Arzt oder einer medizinischen Einrichtung zu ermöglichen. Weitere Pflichten werden dem Hafenstaat nicht auferlegt.

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Die Bestimmungen in der Norm A4.1 detaillieren die Bestimmungen der Regel 4.1, einschliesslich derjenigen, die sich auf Krankenräume an Bord, ärztliches Personal an Bord und den Inhalt der Schiffsapotheken und andere Angelegenheiten der medizinischen Betreuung beziehen.

Norm A4.1 Ziffer 1 Buchstabe d weist die Mitgliedsstaaten an, den Seeleuten beim Aufenthalt in einem Hafen unentgeltliche medizinische Betreuung und Gesundheitsschutz zu gewähren. Die Frage der Unentgeltlichkeit hat bei der Ausarbeitung der Konvention zu langen Diskussionen geführt. Die Verpflichtung, gratis medizinische Betreuung zu gewähren, ist durch die Hinzufügung des Wortes «grundsätzlich» in Absatz 2 der Regel 4.1 und die Verwendung der Formulierung «in dem Umfang, wie dies mit der innerstaatlichen Gesetzgebung und Praxis im Einklang steht» in der Norm A4.1 (Abs. 1 d) statt «gemäss der innerstaatlichen Gesetzgebung und Praxis» etwas flexibler gestaltet worden. In punkto Kosten werden Seeleute nicht besser gestellt als Angestellte, die im Mitgliedsstaat arbeiten. Wären die Arbeiterinnen und Arbeiter an Land arbeitsrechtlich, bzw. gesundheitsrechtlich benachteiligt worden, hätte dies mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu Schwierigkeiten bei der innenpolitischen Akzeptanz des Übereinkommens geführt. Im Übrigen wäre die Konvention widersprüchlich, da sie gleichzeitig eine allgemeine Gleichstellung mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern an Land postuliert (Regel 4.1, Abs. 4 in fine).

Sämtliche Seeleute auf schweizerischen Seeschiffen sind nach Artikel 84 Absatz 2 SSG vom Reeder gegen das Risiko von Krankheit und Berufsunfällen versichert.

Ein allfälliger Selbstbehalt oder eine Franchise bei Krankheit sind weiterhin von den Seeleuten zu tragen, zumal die Unentgeltlichkeit nur nach Massgabe der innerstaatlichen Gesetzgebung gewährt wird. Für die medizinische Betreuung bei Krankheit sieht Artikel 7 Anhang III der Seeschifffahrtsverordnung eine Vergütung von 80 Prozent der Heilungskosten, im Maximum 8000 Franken pro Fall vor, wobei im Rahmen dieser Versicherungsleistung der Selbstbehalt des Besatzungsmitgliedes maximal auf die Hälfte einer monatlichen Grundheuer begrenzt wird. Anhang III der Seeschifffahrtsverordnung enthält gemäss Artikel 42 Absatz 1 der Seeschifffahrtsverordnung Minimalanforderungen an die
Versicherungspflicht. In der Praxis sind die Seeleute auf Schiffen unter schweizerischer Flagge besser versichert. Der Kollektivvertrag sieht ebenfalls einen Anspruch der Seeleute auf die Kosten für die Heilbehandlung vor. Der Betrag ist gemäss Artikel 9 Ziffer 5 zurzeit auf 89 000 US-Dollar pro Fall beschränkt.

Zu den medizinischen Behandlungen zählen auch notwendige Zahnbehandlungen, welche ebenfalls grundsätzlich kostenfrei sein müssen. Die Zahnbehandlungen fallen gemäss nationaler Gesetzgebung nur in den Fällen nach Artikel 31 unter das Bundesgesetz vom 18. März 199411 über die Krankenversicherung (KVG). Alle übrigen Zahnbehandlungen fallen unter die Kategorie der Privatversicherung nach dem Versicherungsvertragsgesetz vom 2. April 190812 (VVG). Die schweizerische Gesetzgebung kennt keine unentgeltliche Zahnbehandlung für Seeleute. Sofern der Arbeitgeber keine Versicherung nach VVG für seine Arbeitnehmer abschliesst, haben die Arbeitnehmerinnen oder der Arbeitnehmer selbst und auf eigene Kosten eine entsprechende Versicherung abzuschliessen oder die Kosten für die Behandlung selbst zu übernehmen. Da die Konvention jedoch lediglich eine grundsätzliche 11 12

SR 832.10 SR 221.229.1

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Kostenfreiheit vorsieht, haben die Seeleute weiterhin keinen Anspruch auf unentgeltliche Zahnbehandlung, da die innerstaatliche Gesetzgebung eine solche nicht vorsieht. Einzige Ausnahme bildet Artikel 9 Absatz 7 des Gesamtarbeitsvertrages, welcher vorsieht, dass die Seeleute für Notfallbehandlungen eine Entschädigung von maximal 100 US-Dollar erhalten.

Die Norm A4.2 verdeutlicht die Massnahmen, die jeder Mitgliedsstaat zu ergreifen hat, um das Recht auf materielle Hilfe sowie Unterstützung hinsichtlich der finanziellen Folgen bei Krankheit, Verletzung oder Tod zu verwirklichen. In Ziffer 1 wird festgehalten, dass der Reeder die Kosten infolge Krankheit und Verletzung vom Dienstbeginn des Seemanns bis zu dessen ordentlicher Heimschaffung zu tragen hat.

Ebenso hat er finanzielle Sicherheiten zu veranlassen, welche die Entschädigung bei Tod oder Erwerbsunfähigkeit der Seeleute aufgrund von Arbeitsunfällen, Krankheiten oder Gefährdungen sicherstellen. Die dafür vorgesehenen Vorschriften können auch im Beschäftigungsvertrag für Seeleute oder im Gesamtarbeitsvertrag festgehalten werden. Der Reeder hat nebst der medizinischen Betreuung und Behandlung auch die Kosten für die Medikamente, Verpflegung und die notwendige Unterkunft zu bezahlen. Zeitlich besteht die Leistungspflicht des Reeders bis zur Genesung oder der dauernden Erwerbsunfähigkeit der oder des Angestellten. Innerstaatliche Rechtsvorschriften können die vorgenannte Dauer der Leistungspflicht auf wenigstens 16 Wochen beschränken (Norm A4.2 Ziff. 2). Artikel 7 Anhang III der Seeschifffahrtsverordnung sieht eine maximale Bezugsdauer von 180 Tagen vor, was deutlich über die Minimalpflicht gemäss Seearbeitsübereinkommen hinausgeht. Im Todesfall sind ebenfalls die Bestattungskosten durch den Reeder zu tragen. Die Versicherung vergütet die Bestattungskosten gemäss Artikel 7 Anhang III der Seeschifffahrtsverordnung bis zu einem Betrag von maximal 600 Franken zurück.

Hinsichtlich der Folgen von Krankheit, Verletzung oder Tod verleiht das Seearbeitsübereinkommen den Anspruch auf materielle Hilfe gemäss Ziffer 3 und 4 der Norm A4.2 durch den Reeder. Voraussetzung ist das Bestehen eines Beschäftigungsvertrages und der Eintritt des Risikos. Bezahlen muss der Reeder hingegen nur unter der Voraussetzung, dass das Risiko zwischen Dienstbeginn und dem Tag
der ordnungsmässigen Heimschaffung eingetreten ist. Die Kosten umfassen die medizinische Betreuung, die Arzneimittel sowie die Verpflegung und Unterkunft ausserhalb des Wohnortes. Zeitlich sind die Kosten bis zur Heilung oder der Einstufung des Betroffenen als dauernd erwerbsunfähig auszurichten. Alternativ können die innerstaatlichen Rechtsvorschriften die Fürsorgeleistungen auf minimal 16 Wochen beschränken. Ziffer 5 nennt drei Tatbestände, bei deren Realisierung die Fürsorgepflicht des Reeders wegfällt, sofern die Tatbestände durch innerstaatliche Rechtsvorschriften abgedeckt wurden. Dazu gehören Verletzungen, welche ausserhalb des Schiffsdienstes eingetreten sind, Verletzungen oder Krankheiten, welche aufgrund vorsätzlichen Fehlverhaltens des Betroffenen eingetreten sind sowie Krankheiten oder Gebrechen, die bei Abschluss des Heuervertrages absichtlich verschwiegen worden sind.

Die Rechtsordnung der Schweiz sieht bereits heute einen weitreichenden Schutz der Seeleute im Bereich finanzielle Folgen bei Krankheit, Verletzung oder Tod vor, der in einigen Fällen über die Verpflichtungen der Konvention hinausgeht. Der Reeder ist verpflichtet, die gesamte Schiffsbesatzung in Übereinstimmung mit Artikel 84 SSG und Artikel 42 der Seeschifffahrtsverordnung gegen Krankheit und Berufsunfälle zu versichern.

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Die Regel 4.3 behandelt den Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie die Unfallverhütung. Sie zielt darauf ab sicherzustellen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf den Schiffen ein geeignetes Arbeitsumfeld vorfinden, das es ihnen ermöglicht, ihre Aufgaben möglichst sicher zu verrichten. Dazu zählt nebst geeigneter Ausbildung und Hygiene auch ein Arbeitsschutzsystem. Für die Sicherstellung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes sind die Mitgliedsstaaten gemäss der Norm A4.3 verpflichtet, die entsprechenden Bestimmungen zu erlassen und andere Massnahmen zu ergreifen. Im Detail verlangt die Norm A4.3 die Umsetzung und Förderung von Programmen im Bereich des Arbeitsschutzes, hauptsächlich durch eine Schulung der Seeleute. Ebenso sind Vorkehrungen zu treffen, die Arbeitsunfällen und Erkrankungen vorbeugen sollen. Dabei spielen vor allem Sicherheitsmassnahmen gegen berufsbedingte Risiken auf dem Schiff eine zentrale Rolle. Ebenfalls Teil der Schutzmassnahmen soll die Regelung von Anforderungen für die Überprüfung, Meldung und Beseitigung von Arbeitsunfällen an Bord werden. Die zuständige Stelle hat die Meldungen über Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten zu erfassen und statistisch festzuhalten. Arbeitsunfälle sind dabei gesondert zu untersuchen. Die Verpflichtung zum Erlass präventiver Normen wird bereits durch Artikel 328 Absatz 2 OR abgedeckt. Der Arbeitgeber hat gemäss dieser Vorschrift zum Schutz von Leben, Gesundheit und persönlicher Integrität der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Massnahmen zu treffen, die nach der Erfahrung notwendig, nach dem Stand der Technik anwendbar und den Verhältnissen des Betriebes oder Haushaltes angemessen sind, soweit es ihm mit Rücksicht auf das einzelne Arbeitsverhältnis und die Natur der Arbeitsleistung billigerweise zugemutet werden kann. Das System der Sozialleistungen, die durch das SSG und den Gesamtarbeitsvertrag implementiert wurden entsprechen somit den Anforderungen des Seearbeitsübereinkommens.

Die Bestimmungen der Regel 4.4 und Norm A4.4 befassen sich mit den Sozialeinrichtungen in den jeweiligen Hafenstaaten und ergeben sich aus dem Übereinkommen Nr. 163 über die soziale Betreuung von Seeleuten, welches auch von der Schweiz ratifiziert wurde. Da auf dem Hoheitsgebiet der Schweiz kein Seehafen existiert, ist die Schweiz von diesem Regelungsabschnitt
nicht betroffen.

Über den Zugang der Seeleute zu den Systemen der sozialen Sicherheit und der dazugehörigen Bestimmungen des Kodex ist ausgiebig debattiert worden. Im Mittelpunkt der Verhandlungen stand die Entwicklung eines annehmbaren Textes, um das komplexe Problem der auf Schiffen unter fremder Flagge tätigen Seeleute anzugehen, die nach dem System der sozialen Sicherheit des Flaggenstaats möglicherweise keinen Anspruch auf Schutz haben und deren Aufenthaltsland oder Land der Staatszugehörigkeit unter Umständen auch keinen sozialen Schutz gewährt. Insgesamt geht es vor allem darum, zu vermeiden, dass Seeleute oder ihre Unterhaltsberechtigten deshalb keinerlei Schutz geniessen, weil der durch die innerstaatliche Gesetzgebung gebotene Schutz nicht für Gebietsfremde oder Ausländer gilt oder weil es in dem Aufenthaltsland oder dem Land der Staatszugehörigkeit überhaupt kein System der Sozialversicherung gibt. Diese Lücke beim Schutz mancher Seeleute wirft Fragen im Zusammenhang mit der Universalität von menschenwürdiger Arbeit auf; sie unterläuft auch eines der Ziele dieses Übereinkommens, nämlich sicherzustellen, dass die Beschäftigungsbedingungen der Seeleute soweit wie möglich weltweit gleich sind.

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Die im Seearbeitsübereinkommen getroffene Lösung sieht einen generellen Zugang der Seeleute eines Hochseeschiffes zu den sozialen Einrichtungen des Flaggenstaates vor. Einschränkend sieht die Konvention in der Regel 4.5 allerdings vor, dass der Zugang zum System des jeweiligen Flaggenstaates lediglich in dem Umfang vorgesehen ist, wie es das innerstaatliche Recht vorsieht. Die Konvention gewährt weiter einen gewissen Handlungsspielraum bei der Umsetzung dieser Regel. So bestimmt Ziffer 7, dass der zu gewährende Schutz durch Rechtsvorschriften, private Systeme, Gesamtarbeitsverträge oder eine Kombination dieser Instrumente erfolgen kann.

Grundsätzlich sollten den Seeleuten bei einem Inkrafttreten des Übereinkommens der Zugang zur ärztlichen Betreuung, Krankengeld, Leistungen bei Arbeitslosigkeit, Leistungen bei Alter, Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, Familienleistungen, Leistungen nach Mutterschaft, Leistung bei Invalidität und Leistungen an Hinterbliebene offenstehen. Als Kompromiss für den vorgenannten umfangreichen Anspruch der Seeleute wurde festgehalten, dass im Zeitpunkt der Ratifizierung der Zugang zu drei der insgesamt neun Zweige der sozialen Einrichtungen gewährt werden muss. Auf eine allfällige Ausweitung auf die übrigen Sozialeinrichtungen geht das Übereinkommen nicht ein, sodass nur ein partieller Anspruch auf Zugang zu den Systemen der sozialen Sicherheit besteht.

Gemäss der schweizerischen Gesetzgebung gilt an Bord von Schiffen unter der Flagge der Schweiz das schweizerische Arbeits- und Sozialversicherungsrecht (Art. 63 Abs. 1 SSG). Zudem legt Artikel 84 Absatz 2 SSG fest, dass der Reeder eines schweizerischen Seeschiffes die Schiffsbesatzung gegen Krankheit und Berufsunfälle zu versichern hat. Damit sind zwei Anforderungen der Norm A4.5, nämlich die Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie die ärztliche Betreuung, erfüllt. Darüber hinaus ermutigen die Reeder seit 1998 die Seeleute schweizerischer Nationalität oder mit Wohnsitz in der Schweiz, dem schweizerischen System der sozialen Sicherheit beizutreten. Auch der Gesamtarbeitsvertrag enthält Bestimmungen mit Bezug zur Sozialversicherung. Im Prinzip erfüllt das gegenwärtige System also die Anforderungen der Konvention, da Folgendes bereits gewährleistet bzw. reguliert ist: Zugang zur ärztlichen
Betreuung (SSG und Seeschifffahrtsverordnung, GAV), Krankengeld (idem), Leistungen bei Arbeitslosigkeit (für Seeleute schweizerischer Nationalität oder mit Wohnsitz in der Schweiz), Leistungen bei Alter (idem), Leistungen bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten (SSG und Seeschifffahrtsverordnung, GAV), Familienleistungen (für Seeleute schweizerischer Nationalität oder mit Wohnsitz in der Schweiz), Leistungen bei Invalidität (für Seeleute schweizerischer Nationalität oder mit Wohnsitz in der Schweiz; SSG und Seeschifffahrtsverordnung, GAV) und Leistungen an Hinterbliebene (idem). Obwohl es nicht Bestandteil des Systems der sozialen Sicherheit der Schweiz ist, muss hier zudem erwähnt werden, dass weibliche Angestellte mit der Unterstellung unter das schweizerische Arbeitsrecht Leistungen des Arbeitgebers nach Artikel 324a Absätze 1 und 3 OR erhalten; einer Arbeitnehmerin, die wegen Schwangerschaft an der Arbeitsleistung verhindert ist, hat der Arbeitgeber für eine beschränkte Zeit den darauf entfallenden Lohn zu entrichten, sofern das Arbeitsverhältnis drei Monate gedauert hat oder von vornherein für mehr als drei Monate eingegangen wurde. Nach der Niederkunft besteht seit dem 1. Juli 2005 ein Anspruch auf Lohn nach dem Erwerbsersatzgesetz vom 25. September 195213 (EOG). Nach Artikel 16b ff EOG haben erwerbstätige Mütter, sofern sie für eine bestimme Zeit erwerbstätig waren und ihren Wohnsitz in der Schweiz haben, 13

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Anspruch auf Taggelder in der Höhe von 80 Prozent des durchschnittlichen Erwerbseinkommen für den Zeitraum von maximal 98 Tagen. Artikel 324a OR findet Anwendung, wenn eine Arbeitnehmerin die Voraussetzungen des EOG nicht erfüllt und deswegen keinen Anspruch auf Lohn gemäss EOG hat. Die Schweiz erfüllt mit der aktuellen Rechtsordnung die Anforderungen des Seearbeitsübereinkommens gemäss der Norm A4.5 Ziffer 2. Die Ziffer 3 der Norm verlangt für Seeleute, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz haben, ergänzenden Schutz der sozialen Sicherheit gemäss Ziffer 1. Durch den gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz erhalten die betreffenden Seeleute Zugang zur Alters- und Hinterbliebenenversicherung (Bundesgesetz vom 20. Dezember 194614 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung, AHVG), der Invalidenversicherung (Bundesgesetz vom 19. Juni 195915 über die Invalidenversicherung, IVG) und der Arbeitslosenversicherung (Arbeitslosenversicherungsgesetz vom 25. Juni 198216, AVIG). Auf diese Weise erhält diese Gruppe von Seeleuten einen erweiterten Zugang zu den sozialen Institutionen der Schweiz. Damit wird, wie es das Seearbeitsübereinkommen verlangt, der Zugang zu drei Sozialeinrichtungen gewährt. Nach Artikel 22 der IAO-Verfassung sind diese in der Berichterstattung an die IAO aufzuführen und zu genehmigen.

Diese Regelung erweist sich als schwierig umzusetzen. Der Zugang zur sozialen Sicherheit bleibt Seeleuten aus Entwicklungsländern aus pekuniären Gründen versperrt ­ die Konvention sieht nämlich nicht vor, dass der Zugang kostenlos zu sein braucht.

2.7

Titel 5 Erfüllung und Durchsetzung der Anforderungen

Der 5. Titel konkretisiert die Durchsetzungsinstrumente des Artikels V. Dieser ist in drei Hauptregeln unterteilt: die Regel 5.1 über die Verantwortlichkeiten des Flaggenstaats, die Regel 5.2 über die Verantwortlichkeiten des Hafenstaats und die Regel 5.3, die sich mit den Verantwortlichkeiten von Ländern beschäftigt, die Seeleute für die Arbeit auf Schiffen zur Verfügung stellen.

Über die Grundzüge des 5. Titels wurde in den Verhandlungen im Wesentlichen Einigung erzielt, noch bevor die materiellen Bestimmungen der Konvention in den Titeln 1 bis 4 überhaupt behandelt wurden. Nach allgemeiner Meinung der Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter sowie der Staaten machte es nicht viel Sinn, mit der detaillierten Ausarbeitung des Übereinkommens fortzufahren, ohne einen Konsens über die Frage der Erfüllung und Durchsetzung der Anforderungen erzielt zu haben. Die Verhandlungspartner wollten zuerst einmal klar machen, dass es sich bei diesem völkerrechtlichen Vertrag um ein Instrument handelt, dessen Vorschriften auch durchgesetzt werden können.

Die Bestimmungen des 5. Titels lehnen sich eng an die traditionelle Durchsetzungspraxis im Seeschifffahrtssektor und zeichnen sich durch Überprüfungs- und Durchsetzungsmassnahmen der Flaggen- und Hafenstaaten aus. Die Erfüllung der Anforderungen zwischen den Überprüfungen soll dauerhaft sein, weshalb ein auf 14 15 16

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Zeugnissen beruhendes System eingeführt wurde. Dieses System wird bereits erfolgreich von der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation angewandt und hat Eingang in bedeutende internationale Übereinkommen wie etwa internationale Übereinkommen vom 17. Juni 196017 zum Schutz des menschlichen Lebens auf See (SOLAS) und ins Protokoll vom 17. Februar 197818 des internationale Übereinkommens von 1973 zur Verhütung der Meeresverschmutzung durch Schiffe (MARPOL), und seine verschiedenen Anhänge gefunden. Das in Titel 5 angeführte Zertifizierungssystem kann somit mit den bereits bestehenden maritimen Zertifizierungen eng koordiniert werden.

Die Implementierungsbestimmungen des 5. Titels enthalten Weiterentwicklungen von Massnahmen, die in bestehenden internationalen Arbeitsübereinkommen bereits vorgesehen sind, insbesondere die Erweiterung des Überprüfungssystems durch ein Zertifizierungssystem, nach dem Schiffe im Rahmen der Hafenstaatenkontrolle festgehalten werden können, und die Verfahren für die Behandlung von Beschwerden oder Streitigkeiten von Seeleuten. Die wohl grösste Stärke des Übereinkommens liegt jedoch in der Tatsache, dass alle drei Parteien des Übereinkommens, die Arbeitgeber, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie der Flaggenstaat in die Pflicht genommen werden. Die Seeleute müssen gemäss dem Übereinkommen über ihre Rechte und die entsprechenden Rechtsmittel ordnungsgemäss informiert werden. Die Reeder sind gehalten, dass die Vorschriften oder sonstigen Massnahmen zur Durchführung des Übereinkommens tatsächlich befolgt werden. Die Kapitäne der betreffenden Schiffe sind nicht nur für die Durchführung der an Bord geltenden Vorschriften verantwortlich, sondern auch für die Führung ordnungsgemässer Aufzeichnungen als Nachweis der Umsetzung des Übereinkommens. Dem Flaggenstaat wird neben der traditionellen Aufgabe der Schiffsüberprüfung auch die Pflicht auferlegt, das Vorhandensein und die Durchführung der Pläne durch die Reeder zu kontrollieren. Darüber hinaus müssen die Flaggenstaaten periodisch qualitative Bewertungen der Wirksamkeit ihrer nationalen Erfüllungssysteme vornehmen und die auf dieser Basis verfassten Berichte nach Artikel 22 der Verfassung an die IAO übermitteln. Staaten mit einem Seehafen haben die Berechtigung und die Verpflichtung, mittels Hafenstaatkontrollen die
Einhaltung der Konvention durchzusetzen.

Der Flaggenstaat ist die zentrale Stelle für die Verantwortung zur Erfüllung und Durchsetzung sämtlicher Vorschriften, die das Schiff betreffen. Die Verpflichtungen des Flaggenstaats in Bezug auf Schiffe unter seiner Flagge beschränken sich nicht auf die Arbeits- und Lebensbedingungen, sondern erstrecken sich auf alle in dem Übereinkommen behandelten Angelegenheiten. Daneben hat der Flaggenstaat die Verpflichtung zur Schaffung eines wirksamen Überprüfungs- und Zertifizierungssystems, was ebenfalls die Verpflichtung einschliesst, der IAO über dieses System und die Methoden zur Beurteilung dessen Wirksamkeit Bericht zu erstatten. Der Flaggenstaat hat jedoch die Möglichkeit, diese Aufgabe an eine unabhängige Einrichtung oder Institution zu delegieren. Die Behörde muss jedoch genau überprüfen, ob die beauftragte Institution über die notwendige Qualifikation verfügt. Für diese Aufgaben kommen vor allem die Klassifikationsgesellschaften in Frage. Artikel 30 Absatz 2 SSG sieht vor, dass schweizerischen Seeschiffen die Zulassung nur erteilt wird, sofern diese von einer anerkannten Klassifikationsgesellschaft klassifiziert worden sind. Zurzeit werden sechs dieser weltweit operierenden Gesellschaften vom 17 18

SR 0.747.363.32 SR 0.814.288.2

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SSA anerkannt. Aufgrund mangelnden Fachwissens und unzureichendem Personalbestand, um die Aufgaben, die sich aus den Regeln 5.1.1­5.1.4 ergeben zu bewältigen, ist es erforderlich, Artikel 9 SSG anzupassen. Erst mit der Anpassung wird die Umsetzung des Seearbeitsübereinkommens möglich. Die Kosten der Klassifikationsgesellschaften werden durch die Reeder getragen.

Als Nachweis dafür, dass das Schiff eines Mitgliedsstaates überprüft worden ist und die Anforderungen des Seearbeitsübereinkommens erfüllt, dienen das Seearbeitszeugnis sowie die Seearbeits-Konformitätserklärung, welche auf jedem Schiff vorhanden sein müssen. Der Flaggenstaat hat mindestens alle drei Jahre zu überprüfen, ob das Seearbeitszeugnis sowie die Seearbeitskonformitätserklärung erneuert werden können. Auch diese Aufgabe kann gemäss der Norm A5.1.3 an eine qualifizierte Organisation übertragen werden. Der Flaggenstaat hat überdies angemessene Zwangsmassnahmen vorzusehen, sofern die Arbeit der Inspektoren behindert wird, oder die Vorschriften des Übereinkommens verletzt werden.

Das Seearbeitszeugnis bescheinigt, dass der Flaggenstaat oder eine von ihm autorisierte Institution die Arbeits- und Lebensbedingungen auf dem Schiff überprüft hat, und diese den Anforderungen der innerstaatlichen Gesetzgebung des Flaggenstaats zur Durchführung des Übereinkommens entsprechen. Das Seearbeitszeugnis ist Beweis dafür, dass der Reeder Massnahmen zur Sicherstellung der dauerhaften Erfüllung der Anforderungen nach dem Übereinkommen ergriffen hat. Das Seearbeitszeugnis und die Erklärung über die Erfüllung der einschlägigen Vorschriften müssen dem im Anhang aufgeführten Musterformular entsprechen.

Die Regel 5.1.5 schreibt dem Flaggenstaat vor, dass die Seeleute über Beschwerdeverfahren an Bord verfügen müssen. Inhalt der Beschwerden sowie die Antworten darauf sind zu dokumentieren. Dies soll dazu beitragen, die stete Beachtung der Anforderungen an Bord der Schiffe sicherzustellen. Es soll darüber hinaus dem Zweck dienen, dass Streitigkeiten auf der untersten Stufe beigelegt werden. Gemäss Artikel 37 der Seeschifffahrtsverordnung können die Seeleute Beschwerde beim Kapitän einreichen. Da Regel 5.1.5 auch den gleichzeitigen direkten Zugang zur geeigneten externen Stelle vorschreibt, wurde Artikel 37 SSV angepasst.

Ein wichtiges Instrument für die
Wahrung der Arbeitnehmerrechte stellt das sogenannte Verbot von Benachteiligungen oder Schikanen jeglicher Art gemäss der Regel 5.1.5 Ziffer 2 dar. Die Mitgliedsstaaten müssen die Verletzung dieser Vorschrift unter Strafe stellen. Mit Artikel 150a SSG wurde ein Generalstraftatbestand eingeführt, der allgemein Zuwiderhandlungen gegen die Vorschriften des Seearbeitübereinkommens mit Busse ahndet und damit dieses Erfordernis abdeckt.

Der Hafenstaat kann die sich in seinem Hafen aufhaltenden Schiffen jederzeit einer Kontrolle auf die Einhaltung des Seearbeitsübereinkommens unterziehen. Die Hafenstaaten sind verpflichtet, ein gültiges Seearbeitszeugnis und eine gültige Erklärung über die Erfüllung der einschlägigen Vorschriften als «Anscheinsbeweis» für die Einhaltung des Übereinkommens anzuerkennen. Die Überprüfung ist, mit Ausnahme der im Kodex angegebenen Umstände, auf eine Kontrolle des Seearbeitszeugnisses und der Erklärung über die Erfüllung der einschlägigen Vorschriften zu beschränken. Bei einer mutmasslichen Verletzung einer Konventionsvorschrift hat der Hafenstaat das Recht, eine vertiefte Überprüfung durchzuführen. Bei Gefahr für die Sicherheit oder die Gesundheit der Seeleute sowie bei vermuteten schweren Verletzungen des Übereinkommens ist eine genauere Überprüfung zwingend.

9001

3

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Mit ihrem Beitritt zum Seearbeitsübereinkommen entstehen der Schweiz keine Kosten. Die zusätzlichen Überprüfungskosten durch die Klassifikationsgesellschaften werden von den Reedern getragen.

4

Verhältnis zur Legislaturplanung

Die Vorlage ist weder in der Botschaft vom 23. Januar 200819 über die Legislaturplanung 2007­2011 noch im Bundesbeschluss vom 18. September 200820 über die Legislaturplanung 2007­2011 angekündigt.

5

Änderungen der innerstaatlichen Vorschriften

5.1

Änderungen oder Ergänzungen des Seeschifffahrtsgesetzes

Die vorliegende unterbreitete Revision zielt darauf ab, das Bundesrecht mit dem Seearbeitsübereinkommen in Einklang zu bringen.

Art. 9 Abs. 3bis SSG Das Seeschifffahrtsamt muss in der Lage sein, den anerkannten Klassifizierungsgesellschaften gewisse Aufgaben im Bereich der Inspektionen, der Kontrolle oder der Entscheidung, insbesondere diejenigen, welche im Seearbeitsübereinkommen vorgesehen sind, zu delegieren. Um die Delegation der Aufgabe der Inspektionen und der Zertifizierung an eine Klassifizierungsgesellschaft zu ermöglichen muss im SSG eine Norm geschaffen werden, die das Seeschifffahrtsamt direkt ermächtigt, gemäss den Vorgaben aus dem Seearbeitsübereinkommen, die Kompetenz zur Inspektion sowie zur Zertifizierung an Klassifikationsgesellschaften zu delegieren. Diese Klassifikationsgesellchaften müssen vorgängig durch das Seeschifffahrtsamt anerkannt (Regel 5.1.1, Ziff. 3) und mit öffentlicher Gewalt ausgestattet werden, welche unentbehrlich für die Wahrnehmung dieser Aufgaben ist. Diese Delegation erweist sich insbesondere im Hinblick auf die Norm A5.1.2 (Ermächtigung anerkannter Organisationen), der Norm A5.1.3 (Seearbeitszeugnis und Seearbeits-Konformitätserklärung) sowie der Norm A5.1.4, Ziffer 7, als notwendig.

Art. 45 Abs. 1 SSG Der im Seearbeitsübereinkommen verwendete Begriff des Reeders ist sehr weit gefasst, um zu vermeiden, dass sich ein Reeder gegenüber den Seeleuten seiner Verantwortung entziehen kann. Nach der entsprechenden Definition in der schweizerischen Gesetzgebung ist Reeder, wer ein Seeschiff als Eigentümer, Nutzniesser oder Mieter in seinem Besitz hat und damit den Betrieb der Seeschifffahrt ausübt.

Um die Konformität mit dem Seearbeitsübereinkommen zu erreichen, wird vorge19 20

BBl 2008 753 BBl 2008 8534

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schlagen , Artikel 45 Absatz 1 SSG entsprechend anzupassen. Die bisherige Definition des Reeders wird erweitert um jede Organisation oder Person, die eine Verantwortung für den Betrieb eines Schiffes übernommen hat. Beispielhaft nennt das Übereinkommen den Leiter, Agent und Bareboat-Charter. Beim Bareboat-Charterer wird das unbemannte Schiff für eine einzelne Reise oder einen definierten Zeitraum dem Charterer überlassen. Der Charterer hat selbst für die Bereederung zu sorgen und trägt während des Nutzungszeitraumes die Kosten für Wartung, Reparaturen und Betriebsstoffe.

Art. 59 Abs. 3 SSG Die Änderung von Artikel 59 Absatz 3 SSG steht im Zusammenhang mit Artikel 37 der Seeschifffahrtsverordnung. Diese Bestimmung musste aufgrund den Anforderungen des Seearbeitsübereinkommens im Bereich Beschwerde der Seeleute angepasst werden. Das Übereinkommen sieht in der Norm A5.2.2 vor, dass die Seeleute das Recht haben, bei einer Verletzung der Anforderungen des Seearbeitsübereinkommens bei der zuständige Stelle des jeweiligen Hafenstaates Beschwerde einzulegen. Kann die Beschwerde nicht beigelegt werden, so ist der Bericht des Hafenstaates der zuständigen Stelle des Flaggenstaates zur Stellungnahme zu übermitteln.

Die Arbeitnehmer- und die Arbeitgeberorganisation sind über den Bericht in Kenntnis zu setzen, damit diese allenfalls ihr Recht zum Einspruchsverfahren ausüben können. Dazu wird den vorher genannten Organisationen die Möglichkeit eingeräumt, über das jeweilige Konsulat um Rechtshilfe zu ersuchen. Bisher stand diese Befugnis nur dem Kapitän offen.

Art. 63 Abs. 2 SSG Das Seearbeitsübereinkommen sieht einige neue Instrumente vor. In den vom Übereinkommen geregelten Bereichen wird dem Bundesrat durch Artikel 63 Absatz 2 SSG eine umfangreiche Kompetenz zum Erlass von Vollziehungsverordnungen eingeräumt. Um materiell sämtliche im Übereinkommen genannten Bereiche abzudecken, sollen die Kompetenzen des Bundesrates erweitert werden. Diese geringfügige Ausweitung der Kompetenzen des Bundesrates gewährleistet die kompetente und rasche Umsetzung des Seearbeitsübereinkommens.

Art. 70 SSG Artikel 70 SSG zählt die essentialia negotii des Heuervertrages auf. Mit der Ratifizierung des Seearbeitsübereinkommens werden die Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet, die wesentlichen Rechte und Pflichten der Parteien eines
Heuervertrages vorzuschreiben. Im Gegensatz zu Artikel 70 SSG schreibt das Seearbeitsübereinkommen zusätzliche Mindestvertragsbestandteile vor. Es sind dies die Adresse des Reeders, der Heimschaffungsanspruch der Seeleute sowie gegebenenfalls die Verweisung auf den Gesamtarbeitsvertag. Das SSG wird dementsprechend ergänzt.

Art. 77 Abs. 2 SSG Das Übereinkommen verpflichtet die Mitgliedsstaaten zum Erlass von Mindestkündigungsfristen für die vorzeitige Beendigung des Beschäftigungsvertrages. Diese Frist darf nicht kürzer sein als sieben Tage und ist nach der Beratung mit den Verbänden der Reeder und der Seeleute festzulegen. Zugunsten der Seeleute können die 9003

Mitgliedsstaaten kürzere Kündigungsfristen vorsehen. Die innerstaatliche Regelung sieht in Artikel 77 Absatz 2 SSG eine kürzere Frist von 24 Stunden vor. Im internationalen Kontext ist die geltende Kündigungsfrist zu kurz bemessen, sie ist auf die längere Kündigungsfrist von sieben Tage anzupassen. Diese Frist ist kürzer als diejenige in Artikel 335c OR. Als lex specialis sind diese kürzeren Kündigungsfristen gerechtfertigt. Die verlängerte Frist gibt den Parteien die Möglichkeit, besser auf veränderte Verhältnisse infolge einer Kündigung zu reagieren. In der Praxis sehen die schweizerischen Heuerverträge längere Kündigungsfristen vor. Auch der Gesamtarbeitsvertrag enthält in Artikel 17 Absatz 1 eine Mindestkündigungsfrist von vier Wochen. Die geltende Regelung des schweizerischen Rechts entspricht somit nicht der Praxis, weshalb eine Änderung angezeigt ist. Die entsprechende innerstaatliche Vorschrift ist deshalb auf sieben Tage zu erhöhen.

Art. 82 Abs. 1 SSG Die Regel 2.5 enthält die Tragung der Heimschaffungskosten für den Fall, dass der Heuervertrag frühzeitig aufgelöst wird. Der bisherige Lösungsansatz des schweizerischen Rechts sieht in Artikel 82 Absatz 1 SSG vor, dass der Seemann, der an Land gesetzt wird, Anspruch auf Heimbeförderung auf Kosten des Reeders nach dem Ort hat, wo er angeheuert wurde, es sei denn, dass er selber den Heuervertrag gekündigt hat oder dass der Vertrag wegen eines von ihm zu verantwortenden wichtigen Grundes aufgelöst wurde. Regel 2.5 Norm A2.5 unterscheidet, im Gegensatz zum schweizerischen Recht, zwischen der berechtigten Kündigung und der unberechtigten Kündigung durch die Arbeitnehmerin oder den Arbeitnehmer. Nur im ersten Fall hat der Arbeitgeber die Kosten der Heimschaffung zu tragen. Diese Regelung scheint sachgerechter und entspricht auch dem Sinn und Zweck der arbeitsrechtlichen Regelung im Obligationenrecht, wonach der Arbeitgeber lediglich im Falle einer unberechtigten Kündigung durch den Arbeitnehmer keine Folgekosten zu tragen hat. Die Regelung im Seeschifffahrtsgesetz, wonach der Arbeitnehmer selbst dann die unter Umständen nicht unerheblichen Kosten einer Heimkehr zu tragen hat, wenn er aus berechtigten Gründen kündigt, bedeutet ein Hindernis für die Auflösung eines nicht mehr tragbaren Arbeitsverhältnisses. Diese Benachteiligung gilt es mittels
Änderung des Artikels 82 Absatz 1 SSG zu beseitigen und damit eine Verbesserung zugunsten der Seeleute zu erreichen. Die pragmatischste Lösung besteht darin, den ersten Ausnahmetatbestand in Artikel 82 Absatz 1 SSG auf die unberechtigte Kündigung des Heuervertrages zu limitieren.

Art. 150a SSG Nach Artikel V Ziffer 6 des Übereinkommens hat die innerstaatliche Rechtsordnung Verstösse gegen die Bestimmungen des Seearbeitsübereinkommens zu untersagen und entsprechende Zwangsmassnahmen festzulegen. Weiter hat der ratifizierende Staat gemäss der Norm A5.1.4 Ziffer 17 angemessene Massnahmen gegen eine Behinderung der Inspektoren bei der Erfüllung ihrer Aufgaben vorzusehen. Da Um Ziffer 6 des Art. V in Kraft zu setzen, der Sanktionen oder Abhilfemassnahmen zur Verhinderung des Verstosses gegen die Vorschriften des Übereinkommens vorsieht, reicht es aus, eine Geldbusse zu verhängen. Die Umsetzung der Norm A5.1.4 Ziffer 17 nicht gesondert vorzunehmen. Der 3. Abschnitt des SSG ist dementsprechend um eine Strafbestimmung, welche die Anforderungen des Artikel V Ziffer 6 erfüllt, zu erweitern.

9004

5.2

Änderungen der Seeschifffahrtsverordnung

Der Bundesrat wird die nötigen Änderungen der Seeschifffahrtsverordnung zusammen mit dieser Botschaft verabschieden, um die Ratifikation des Seearbeitsübereinkommens zu ermöglichen.

6

Rechtliche Aspekte

6.1

Verfassungsmässigkeit

Nach Artikel 54 Absatz 1 der Bundesverfassung21 (BV) sind die auswärtigen Angelegenheiten Sache des Bundes. Die Zuständigkeit der Bundesversammlung zur Genehmigung von völkerrechtlichen Verträgen ergibt sich aus Artikel 166 Absatz 2 BV. Ausgenommen sind diejenigen Verträge, für deren Abschluss aufgrund von Gesetz oder völkerrechtlichem Vertrag der Bundesrat zuständig ist. Im vorliegenden Fall verfügt der Bundesrat über keine entsprechende Kompetenz.

Nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffern 1­3 BV sind völkerrechtliche Verträge Gegenstand des fakultativen Referendums, wenn sie unbefristet und unkündbar sind, den Beitritt zu einer internationalen Organisation vorsehen oder wenn sie wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder solche, deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert.

Das Seearbeitsübereinkommen kann, wie sämtliche Konventionen der ILO, zehn Jahren nach der Ratifikation gekündigt werden (Art. IX). Es sieht keinen Beitritt zu einer internationalen Organisation vor. Das Übereinkommen enthält allerdings Bestimmungen, die eine Anpassung des SSG erfordern. Aus diesem Grund untersteht es dem Referendum nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV.

Der Bundesbeschluss zur Annahme des Seearbeitsübereinkommens untersteht deshalb dem Referendum und schliesst gemäss Artikel 141a Absatz 2 BV die Anpassungen des SSG, die mit der Implementierung dieses Übereinkommens verbunden sind und unter Ziffer 5.1 der Botschaft dargelegt sind, ein.

6.2

Verzicht auf eine Vernehmlassung

Die Bestimmungen des vorliegenden Übereinkommen sind in der Schweiz bereits weitgehend realisiert worden. Die wenigen technischen Gesetzesanpassungen rechtfertigen keine Durchführung eines Vernehmlassungsverfahrens im Sinne von Artikel 2 des Vernehmlassungsgesetzes vom 18. März 200522.

21 22

SR 101 SR 172.061

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Konsultation der Dreigliedrigen Eidgenössischen Kommission für Angelegenheiten der IAO

Die vorliegende Botschaft wurde der Dreigliedrigen Eidgenössischen Kommission für Angelegenheiten der IAO, einer extraparlamentarischen konsultativen Kommission, welche sich aus Vertretern und Vertreterinnen der Verwaltung und der schweizerischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände zusammensetzt, vorgelegt. Die Kommission hat vom Bericht Kenntnis genommen und ihn genehmigt.

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