zu 04.430 Parlamentarische Initiative Regulierung der Bücherpreise Bericht vom 20. April 2009 der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates Stellungnahme des Bundesrates vom 20. Mai 2009

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht vom 20. April 2009 der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates nehmen wir nach Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes (ParlG) nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

20. Mai 2009

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Hans-Rudolf Merz Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2009-1097

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

1.1

Parlamentarische Initiative

Am 13. Mai 2004 gab die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates (WAK-N) der parlamentarischen Initiative von Nationalrat Maître (04.430 Regulierung der Bücherpreise) Folge. Die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates (WAK-S) stimmte diesem Beschluss am 23. Mai 2005 zu. Die WAK-N setzte eine Subkommission ein, die Grundlagen für eine gesamtschweizerische Regulierung der Bücherpreise erarbeitete. Der Vorentwurf eines Buchpreisbindungsgesetzes wurde von der WAK-N am 13. Oktober 2008 angenommen, worauf bei den interessierten Stellen ein Vernehmlassungsverfahren durchgeführt wurde.

Am 20. April 2009 stimmte die WAK-N dem redaktionell überarbeiteten Entwurf des Buchpreisbindungsgesetzes mit 13 zu 10 Stimmen bei einer Enthaltung zu.

1.2

Ausnahmegesuch nach Artikel 8 des Kartellgesetzes

Der Bundesrat hat sich im Rahmen eines Ausnahmegesuches nach Artikel 8 des Kartellgesetzes vom 6. Oktober 1995 (KG; SR 251) mit der Buchpreisbindung befasst.

Zur Vorgeschichte: Das Sekretariat der Wettbewerbskommission hatte am 28. September 1998 eine Untersuchung über die Preisbindung im Buchhandel eröffnet, worauf die Wettbewerbskommission mit Verfügung vom 6. September 1999 feststellte, die Buchpreisbindung in der Form des Sammelrevers bilde eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung im Sinne des Kartellgesetzes. Das Bundesgericht wies die dagegen gerichtete Beschwerde am 6. Februar 2007 letztinstanzlich ab.

Der Schweizerische Buchhändler- und Verlegerverband und der Börsenverein des Deutschen Buchhandels stellten darauf beim Bundesrat das Gesuch um ausnahmsweise Zulassung der Wettbewerbsabrede nach Artikel 8 des Kartellgesetzes. Nach dieser Bestimmung kann der Bundesrat auf Antrag Wettbewerbsabreden, die von der zuständigen Behörde für unzulässig erklärt wurden, in Ausnahmefällen zulassen, wenn sie notwendig sind, um überwiegende öffentliche Interessen zu verwirklichen.

In seinem Entscheid vom 2. Mai 2007 hat der Bundesrat das Gesuch abgelehnt. Zur Begründung hat er namentlich ausgeführt (Recht und Politik des Wettbewerbs RPW 2007/2, S. 341, Ziff. 18 f): Sämtliche Argumente, welche für die Leistungen der Buchpreisbindung im kulturund bildungspolitischen Sinne angeführt werden, sind indessen bereits im wettbewerblichen Verfahren als Gründe für den Nachweis der wirtschaftlichen Effizienz der Buchpreisbindung ins Feld geführt worden. Wie die umfangreiche und einlässliche Effizienzprüfung durch die Wettbewerbskommission und die ebenso eingehende Überprüfung durch die Rekurskommission für Wettbewerbsfragen ergeben haben ­ und welche das Bundesgericht seinerseits nicht beanstandet hat ­ lässt sich eine Kausalität zwischen Buchpreisbindung einerseits und Titelvielfalt, Sortimentsbreite und Buchhandelsdichte andererseits nicht nachweisen, sodass sich damit weder das 4170

Argument der wirtschaftlichen Effizienz noch das der kulturpolitischen Leistung begründen lässt. Es kann daher erst recht nicht unterstellt werden, dass die Preisbindung notwendig ist, um die im Gesuch hervorgehobenen Leistungen auf der Ebene der Autoren, der Verlage, des Handels und für die Konsumentinnen und Konsumenten zu erzielen. Die Gesuchstellerinnen bringen dafür denn auch keine neuen oder zusätzlichen Argumente vor. Das Erfordernis, dass die Preisbindung für die Erzielung dieser Leistungen geeignet und notwendig ist, ist nicht nachgewiesen.

Die Zulassung der Buchpreisbindung ist somit wegen des fehlenden Nachweises ihrer Notwendigkeit, überwiegende öffentliche Interessen zu verwirklichen, abzulehnen. Damit wird nicht gesagt, dass Titelvielfalt, Sortimentsbreite oder die Zugänglichkeit zu diesem Angebot nicht von öffentlichem Interesse wären. Diese Ziele können indessen auch ohne Preisbindung erreicht werden ­ und dies ohne ihre im wettbewerbsrechtlichen Verfahren festgestellten verschiedenen volkswirtschaftlich negativen Wirkungen (...).

Die kulturpolitischen Interessen, wie sie auch von den Gesuchstellerinnen angeführt werden, lassen sich auch mit anderen Mitteln verwirklichen als mit der Buchpreisbindung. Dass Bücher in einer möglichst grossen Anzahl und mit einer möglichst grossen Vielfalt produziert und nachgefragt werden und sie zu einem günstigen Preisniveau eine grösstmögliche Zahl von Leserinnen und Lesern finden, ist eine kulturpolitische Aufgabe erster Ordnung. Die Kulturpolitik im Bereich des Buches verfolgt das Ziel, Rahmenbedingungen zu schaffen, welche sowohl die Produktion von möglichst vielen und möglichst vielfältigen Büchern wie die Nutzung dieses breiten Angebotes durch möglichst viele Leserinnen und Leser zu günstigen Preisen begünstigen.

1.3

Entwicklungen seit der Ablehnung des Ausnahmegesuches

1.3.1

Wirtschaftliche und soziale Auswirkungen

Es stellt sich die Frage, welche Auswirkungen die Aufhebung der Buchpreisbindung in wirtschaftlicher oder sozialer Hinsicht bisher gezeitigt hat und ob sie das Anliegen der Kulturförderung beeinträchtigt.

Derzeit finden sich keine Anzeichen für wirtschaftlich oder sozial nachteilige Auswirkungen in der Zeit seit der Freigabe der Buchpreise. So hat sich das Umsatzvolumen der Branche gemäss Angaben des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels seit der Freigabe der Preise in der deutschsprachigen Schweiz positiv entwickelt. Die Bar-Umsätze im Sortimentsbuchhandel haben in der Schweiz im Jahr 2008 leicht zugenommen, während in Deutschland und Österreich eine Abnahme festzustellen war. Hinsichtlich der Anzahl Verkaufsstellen liegen keine gesicherten Angaben vor. Es ist davon auszugehen, dass sich der Konzentrationsprozess wie während der Buchpreisbindung in den Jahren zuvor fortsetzte.

Aus der bisherigen Entwicklung sind zwei wesentliche Folgerungen abzuleiten: ­

Die Buchhandlungen konnten sich auf das gewandelte regulatorische Umfeld einstellen ­ sie hatten beim Vertrieb anderer Kulturträger auch schon Erfahrungen mit der freien Preisbildung gewonnen.

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­

Für die Entwicklung des Netzes an Verkaufsstellen sind noch andere Faktoren massgebend als die Frage, ob Preise auf der Verlagsstufe oder der Endverkaufsstufe fixiert werden. Namentlich zu erwähnen sind die wachsenden Möglichkeiten des elektronischen Vertriebs.

Die Erfahrungen seit der Freigabe der Buchpreise in der Deutschschweiz sprechen dafür, dass die Akteure der Buchbranche ihre Möglichkeiten, auf Kundenbedürfnisse einzugehen und sich die besonderen Stärken ihres Angebotes gegebenenfalls auch abgelten zu lassen, nun freier nutzen. Gleichzeitig sieht sich der preisbewusste Buchkäufer durch die Freigabe der Preise bessergestellt.

Nach der Erhebung der Fachhochschule Nordwestschweiz1 zeigte sich im Frühjahr 2008 ­ ein Jahr nach Freigabe der Buchpreise ­ das folgende Bild für den typischen Verkaufspreis eines Buches (Angaben in CHF): ­

Durchschnittlicher Ladenverkaufspreis Schweiz

21.92

­

Durchschnittlicher Listenpreis Schweiz

22.37

­

Preis beim Einkauf im günstigsten Geschäft

18.29

­

Preis beim Einkauf im teuersten Geschäft

23.70

­

Durchschnittlicher Listenpreis Deutschland

19.40 bis 20.632

Während Bücher bei den günstigsten Händlern in der Schweiz nun offenbar sogar weniger kosten als in Deutschland, gibt es auch Läden, die gewisse Preise oberhalb der Listenpreise ansetzen. Der schweizerische Buchhandel konnte somit seine preisliche Wettbewerbsfähigkeit mit Angeboten aus dem Ausland herstellen. Die Freigabe der Preise ermöglicht so die Rückgewinnung von Kunden, die vormals ihre Bücher im günstigeren angrenzenden Ausland einkauften. Gleichzeitig können nun Händler für einzelne Titel auch höhere Preise verlangen, sofern sie im Markt aufgrund der gebotenen Dienstleistungsqualität oder Lage durchsetzbar sind.

Der Bundesrat sieht vor, diese Erhebung in 5 Jahren nach Freigabe zu wiederholen.

In diesem Zeitpunkt wird sich auch genauer feststellen lassen, wie sich die Freigabe der Preise auf die Zahl und Art der Verkaufsstellen, auf die Sortimentsbreite und auf das kulturelle Leben auswirkt. Aufgrund der bisherigen Entwicklung kann man allerdings annehmen, dass die eingetretene Bandbreite der Preise Bestand haben, dass der Konzentrationsprozess im Buchhandel wegen anderer Ursachen als der Preisfreigabe anhalten, dass die Titelvielfalt keine Beeinträchtigung erfahren und dass sich die Zugänglichkeit eines beschränkten Sortiments von Büchern für breite Bevölkerungskreise verbessern werden.

Die Anzahl der Buchhandlungen wird wesentlich von der technischen Entwicklung abhängen. Parallelen zu den verwandten Branchen der Musik- und Filmindustrie sind offensichtlich. Der Rückgang der Anzahl der reinen Läden in jenen Branchen wurde aus Konsumentensicht mehr als kompensiert durch neue, innovative Angebote wie Internetangebote, Abonnemente und andere automatisierte Lösungen. Im Buchmarkt ist mit der weiteren Entwicklung elektronischer Bücher und dem direkten Zugang zu eingescannten Büchern eine ähnliche Entwicklung wahrscheinlich.

1 2

http://www.seco.admin.ch/themen/00374/00459/00462/index.html?lang=de Die Spanne beim durchschnittlichen Listenpreis in Deutschland ist davon abhängig, welchen in der Untersuchungsperiode aufgetretenen -Kurs man verwendet.

4172

Die Situation für die Kundinnen und Kunden deutschsprachiger Bücher dürfte sich wegen der Branchenstruktur weiterhin besser darstellen als für Kundinnen und Kunden französischsprachiger Bücher. Die Beurteilung von Marktmachtproblemen und ein allfälliges Eingreifen obliegt der Wettbewerbskommission. Je nach Folgerung ist auch eine spätere Rolle für die Preisüberwachung nicht ausgeschlossen.

1.3.2

Kulturförderung

Die Kulturförderung im Bereich des Buches wird fortgeführt. Zu den obersten Zielen der Buchpolitik des Bundes gehören grundsätzlich Vielfalt und Qualität des Buchangebotes. Nur in einem vielfältigen Angebot kann sich das geistige und literarische Schaffen eines Landes in seiner ganzen Breite widerspiegeln; und nur die Vielfalt des Angebots erlaubt, verschiedenste Leserschichten anzusprechen. Die staatliche Buchpolitik ist bestrebt, Vielfalt und Qualität zu fördern.

Die Anzahl der in der Schweiz verlegten Buchtitel spricht dafür, dass die Verlage das Ziel eines vielfältigen Angebotes erfüllen. Im Jahr 2008 sind mehr als 11 000 neue Buchtitel erschienen, und die Zahl der Übersetzungen hat im Vergleich zum Vorjahr um weitere 3 Prozent zugenommen. Einen wichtigen Beitrag zur Erreichung des zweiten Zieles, dass das Angebot auch die Leserinnen und Leser erreicht, leisten die Bibliotheken. Da verfügt die Schweiz mit mehr als 6000 Bibliotheken über ein ausserordentlich dichtes Netz.

Als Mittel, um diese Leistungen zu fördern, werden in der Schweiz in erster Linie Finanzhilfen eingesetzt. 2009 stehen Pro Helvetia für die selektive Hilfe bei der Förderung des Schweizer Buches 2,8 Millionen Franken zur Verfügung. Selektive Hilfe setzt Anreize zu kultureller Leistung jenseits von Rentabilität. Damit werden die Elemente innerhalb der Wertschöpfungskette «Buch» unterstützt, die eine kulturelle Leistung darstellen, d.h. gesellschaftlich erwünscht sind, die aber ­ kämen rein ökonomische Grundsätze zur Anwendung ­ nicht geleistet würden. Diese Unterstützungen werden beispielsweise als Förderungsbeiträge für Autorinnen und Autoren ausgerichtet oder dienen der Verbreitung von Schweizer Büchern im Ausland oder der Durchführung von Anlässen wie den Solothurner Literaturtagen.

Für die Periode 2008­2011 setzt Pro Helvetia den Schwerpunkt auf die Unterstützung von Übersetzungen, weil damit der Zugang zum literarischen Schaffen der anderen Sprachregionen ermöglicht wird. Zur Verstärkung der Anstrengungen, die Pro Helvetia in diesem Bereich seit jeher unternimmt, stehen in diesen Jahren 2,4 Millionen Franken zusätzlich zur Verfügung. Sowohl die Autorinnen und Autoren wie die Verlegerschaft profitieren von diesen gezielten Anstrengungen, der schweizerischen Literatur den Marktzugang zu verschaffen und Publikationen über
Themen der Kultur des Landes zu ermöglichen.

Im Bereich Leseförderung und Kampf gegen Illettrismus kann das Bundesamt für Kultur 2009 Finanzhilfen im Betrag von 3,4 Millionen Franken ausrichten.

Um ein konkretes Beispiel der Fördermassnahmen zu nennen: Das Bundesamt für Kultur hat 2008 das Projekt «Né pour lire» von Bibliomedia und dem Institut Kinder- und Jugendmedien unterstützt, bei dem die Eltern bei der Geburt ihres Kindes zwei Bücher erhielten. Damit soll erreicht werden, dass Eltern vermehrt bereits Kleinkinder mit Büchern vertraut machen.

4173

2

Stellungnahme des Bundesrates

2.1

Materielle Einwände

Märkte sollten grundsätzlich nur bei Vorliegen eines Marktversagens reguliert werden. Das ist für den Buchhandel in der Schweiz nicht der Fall. Auch die Aufhebung des Sammelrevers im Jahre 2007 hat bis anhin keine Auswirkungen gezeitigt, welche auf ein Marktversagen hinweisen würden. Der Buchhandel ist auch jetzt kein Wirtschaftszweig, der in seiner Existenz gefährdet ist, sodass der Staat eingreifen müsste. Aufgrund der Erfahrungen im Ausland erscheint es zudem unwahrscheinlich, dass die Beibehaltung der ungebundenen Buchpreise zu einem Marktversagen führen könnte. Der Bundesrat erachtet einen Markteingriff des Gesetzgebers deshalb auch jetzt als sachlich ungerechtfertigt.

Die Anliegen, welche die Kommission ihrer Vorlage zu Grunde legt, nämlich ein breites und tiefes Sortiments an Büchern sowie der Zugang möglichst vieler Konsumentinnen und Konsumenten zum Buchangebot, und zwar zu einem Angebot zu angemessenen Preisen, sicherzustellen, teilt auch der Bundesrat. Sie stehen für ihn jedoch in keinem nachweisbaren Kausalzusammenhang mit der Buchpreisbindung.

Abgesehen von diesen grundsätzlichen Einwänden weist der Entwurf des Buchpreisbindungsgesetzes in verschiedenen Punkten Schwächen auf. Es soll nach verbreiteter Auffassung die Situation, wie sie unter dem Regime des Sammelrevers bestanden hat, wiederherstellen. Dies wäre jedoch in mehrfacher Hinsicht nicht der Fall: Der Sammelrevers zwang keinen Verlag, einen Preis zu binden. Beim Buchpreisbindungsgesetz ist der Verleger oder der Importeur zur Preisfestsetzung verpflichtet. Sie müssen auch für spezielle Editionen einen Preis festlegen. Wenn Preise im Ausland wegen Ablaufs der Preisbindungsfrist fallen, kann der Schweizer Buchhandel nicht nachziehen, weil er davon abhängig ist, dass der Verleger oder der Importeur die Preisbindung in der Schweiz ausdrücklich für beendet erklärt. Die Buchhandlungen können auch bei Neuausgaben nicht auf die Preise im Ausland reagieren. Das trifft Buchhandlungen unterschiedlich; benachteiligt sehen sich Geschäfte in Grenznähe, insbesondere aber wissenschaftliche Buchhandlungen mit einer Kundschaft, die laufend das Internet konsultiert. Es ist damit zu rechnen, dass mittelfristig neue technische Entwicklungen das gedruckte Buch vermehrt an den Rand drängen, namentlich wenn es nicht über den Preis konkurrenzfähig
gehalten werden kann. Auch in einem solchen Fall kann die Branche nicht selber reagieren (wie unter dem Regime des Sammelrevers, wo keine Verpflichtung zur Preisbindung bestand) und das Korsett des Preisbindungsgesetzes lockern. Anpassungen werden Sache des Gesetzgebers. Letztlich wird auf diese Weise das Angebot in der Schweiz nachteilig beeinflusst.

2.2

Verfassungsrechtliche Einwände

Der Gesetzesentwurf, wie die Kommission ihn vorschlägt, ist schon in seinem Grundkonzept (obligatorische, staatliche Preisbindung) aus zwei voneinander unabhängigen Gründen unter der geltenden Bundesverfassung nicht zulässig: Erstens hat der Bund nicht die nötigen Kompetenzen, und zweitens ist der Entwurf mit der Wirtschaftsfreiheit nicht vereinbar. Dies wurde der Kommission bereits in einer

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Stellungnahme des Bundesamtes für Justiz vom 31. Juli 2007 ausführlich dargelegt.

Es folgt eine Zusammenfassung der Begründung: Die Kommission leitet die Rechtsetzungskompetenz im Bereich der Buchpreisbindung aus den Artikeln 69 Absatz 2 und 103 BV ab.

Artikel 69 Absatz 2 BV ermächtigt den Bund, kulturelle Bestrebungen von gesamtschweizerischem Interesse zu unterstützen sowie Kunst und Musik, insbesondere im Bereich der Ausbildung, zu fördern. Die Formulierung des ersten Halbsatzes schränkt den Bund darauf ein, förderungswürdige Aktivitäten Dritter zu unterstützen. Aufgrund des Wortlautes des ersten Halbsatzes kann der Bund die Buchpreisbindung nicht obligatorisch vorschreiben. Nach dem zweiten Halbsatz kann der Bund ganz pauschal die Kunst fördern. Fraglich ist, ob unter «Förderung» nur eine finanzielle Unterstützung zu verstehen ist oder ob auch eine Förderung mit dem Mittel der Preisbildung als zulässig erachtet werden kann. Ein Vergleich mit anderen Bundeskompetenzen, die primär als Förderungskompetenzen ausgestaltet sind, zeigt auf, dass der Verfassungsgeber dort, wo er neben der finanziellen Förderung auch eine Eingriffsgesetzgebung zulassen wollte, den Verfassungstext entsprechend formuliert hat (vgl. Art. 71 BV für die Filmförderung). Auch die Entstehungsgeschichte von Artikel 69 Absatz 2 BV spricht klar dagegen, dass dem Bund in diesem Bereich mehr als eine blosse Förderungskompetenz zukommt.

Artikel 103 BV (Strukturpolitik) kann keine Grundlage für ein Buchpreisbindungsgesetz bilden, weil der Wirtschaftszweig als solcher nicht in seiner Existenz gefährdet ist. Diese Bestimmung räumt dem Bund die Kompetenz ein, wirtschaftlich bedrohte Wirtschaftszweige und Berufe zu fördern, wenn zumutbare Selbsthilfemassnahmen zur Sicherung ihrer Existenz nicht ausreichen. Im konkreten Fall müsste plausibel gemacht werden, dass der Buchhandel in seiner Existenz bedroht ist und dass sich diese Bedrohung ohne die Intervention des Bundes tatsächlich realisiert, weil zumutbare Selbsthilfemassnahmen zur Existenzsicherung nicht ausreichen. Eine Konzentration in der Branche bedeutet jedoch nicht, dass die Existenz der gesamten Branche bedroht ist, sondern allenfalls bestimmte Unternehmen oder bestimmte Arten von Unternehmen dieser Branche.

Selbst wenn das Bestehen einer Bundeskompetenz bejaht würde, stellt
sich zusätzlich die Frage, ob das Buchpreisbindungsgesetz mit der Wirtschaftsfreiheit vereinbar ist. Artikel 94 Absatz 4 BV legt fest, dass der Bund vom Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit nur abweichen darf, wenn ihn die Verfassung dazu ermächtigt. Gemäss der Botschaft zum Verfassungsentwurf 1996 (BBl 1997 I 1) ist es dem Staat grundsätzlich «untersagt, Regelungen und Massnahmen zu treffen, die den Wettbewerb unter privaten Wirtschaftssubjekten verzerren oder den Wettbewerb sogar ganz verunmöglichen» (BBl 1997 I 294). Zu den grundsatzwidrigen Eingriffen in die Wirtschaftsfreiheit gehört ohne Zweifel eine staatliche Preisfestsetzung. Sie schaltet eines der wesentlichen Elemente im Wettbewerbsmechanismus, nämlich den Preiswettbewerb, aus. Eine staatliche obligatorische Buchpreisbindung weicht somit vom Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit ab. Zu beantworten ist deshalb die Frage, ob die Verfassung dem Bund die Einführung der gesetzlichen Buchpreisbindung erlaubt.

Selbst wenn Artikel 69 BV nicht als reine Förderungskompetenz zu verstehen wäre, gibt es keinen Hinweis darauf, dass diese Bestimmung dem Bund das Abweichen vom Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit ermöglicht. Zudem erfüllt die Buchpreisbindung auch die Anforderungen des Verhältnismässigkeitsprinzips an eine Einschränkung der Wirtschaftsfreiheit als Individualrecht wegen der fehlenden Eignung und

4175

der fehlenden Erforderlichkeit nicht ­ wie der Bundesrat bereits in seinem Entscheid zum Ausnahmegesuch nach Artikel 8 des Kartellgesetzes festgestellt hat.

Ein Buchpreisbindungsgesetz mit einer obligatorischen Preisbindung verstösst somit gegen die Verfassung, weil: ­

der Bund keine Kompetenz zum Erlass einer solchen Eingriffsgesetzgebung hat;

­

das Gesetz gegen die Wirtschaftsfreiheit verstösst ­ einerseits, weil es vom Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit abweicht, ohne dass dafür eine Verfassungsgrundlage besteht, und andererseits, weil es in unverhältnismässiger Weise die Freiheit der Wirtschaftsteilnehmer beschränkt.

Verfassungsrechtlich zulässig wäre es, auf Gesetzesebene ­ beispielsweise durch eine Revision des Kartellgesetzes ­ eine Erlaubnis für ein privates Kartell zu schaffen, wie es in der Deutschschweiz mit dem Sammelrevers existierte.

2.3

Folgerungen

Die Einwände gegen ein Buchpreisbindungsgesetz bedeuten nicht, dass die Vielfalt und die Qualität des Kulturgutes Buch nicht mit geeigneten und zulässigen Massnahmen gefördert werden soll. Tatsächlich ergreifen sowohl der Bund (Bundesamt für Kultur und Nationalbibliothek), Pro Helvetia, Kantone und Gemeinden vielfältige Förderungsmassnahmen, wie in Ziffer 1.3.2 dargelegt wurde.

Der Bundesrat erachtet hingegen einen Markteingriff des Gesetzgebers als sachlich ungerechtfertigt. Gegen ein Buchpreisbindungsgesetz sprechen zudem die verfassungsrechtlichen Einwände. Der Bundesrat unterstützt deshalb den Antrag der Minderheit der WAK-N, auf die Vorlage nicht einzutreten.

2.4

Einzeleinwände

Abgesehen von den grundsätzlichen Einwänden gegen das Grundkonzept des Gesetzes, die den Nichteintretensantrag begründen, ist der Entwurf mit schwerwiegenden Mängeln behaftet. Wir weisen nur auf einige Punkte hin: ­

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Beim Geltungsbereich (Art. 2) stellt sich die Frage, ob der grenzüberschreitende elektronische Handel mit Büchern ebenfalls dem Geltungsbereich des Gesetzes zu unterstellen ist. Einerseits ist für die Differenzierung zwischen dem traditionellen Versandhandel (Katalog mit Bestellkarte) und den Internetbestellsystemen keine Begründung ersichtlich, welche vor dem Rechtsgleichheitsgebot von Artikel 8 Absatz 1 BV standhalten würde. Die praktischen Probleme der Kontrolle und die wirtschaftliche und kulturelle Interessenlage sind in beiden Fällen dieselben. Andererseits könnte der Einbezug des grenzüberschreitenden elektronischen Bücherhandels das Funktionieren des Abkommens vom 22. Juli 1972 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (Freihandelsabkommen; SR 0.632.401) beeinträchtigen (Bücher fallen in den Geltungsbereich des Freihandelsabkommens). Daher müsste vertieft geprüft

werden, in welcher Form eine Buchpreisregulierung mit dem Freihandelsabkommen und der Bundesverfassung vereinbar wäre.

­

Die Berechtigung zum Festlegen der Preise importierter Bücher (Art. 4) ist unklar. Der Gesetzestext lässt offen, wer nach dem Willen der Kommission für die Festlegung der Preise importierter Bücher zuständig sein soll ­ der Importeur oder der ausländische Verleger?

In diesem Zusammenhang sind Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu analogen Sachverhalten zu berücksichtigen, welche eine Verletzung des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) feststellen. Diese Rechtsprechung ist auch für die Auslegung des Freihandelsabkommens zu beachten, welches dem EGV entsprechende Garantien enthält. Der EuGH hat insbesondere erst kürzlich in einem Urteil vom 29. April 20093 festgestellt, dass das österreichische Gesetz über die Buchpreisbindung, welches eine Bindung der österreichischen Importeure an einen von einem Verleger im Ausland festgelegten Buchpreis vorschreibt, eine unzulässige Beschränkung des freien Warenverkehrs darstellt.

­

Der Kommissionsentwurf lässt die Problematik der nachträglichen Änderungen der gebundenen Preise ungeregelt, obwohl solche Preisänderungen praktisch relevant sind und Anlass zu Rechtsstreitigkeiten geben dürften.

­

Der Gesetzesentwurf sieht zur Preisfestsetzung weiter vor (Art. 4 Abs. 3 und 4), dass die Preisüberwachung die zulässige Preisdifferenz mittels Allgemeinverfügung branchenweit festlegt. Bei dieser Preisfestlegung handelt es sich jedoch nicht um einen generell-konkreten Entscheid, sondern um eine generell-abstrakte Norm. Die festzulegende Preisdifferenz würde für alle Verleger, Importeure und Buchhändler mindestens einer Sprachregion gelten und hätte Wirkung für alle und nicht nur für bestimmte Buchtitel.

Deshalb ist nicht eine (anfechtbare) Allgemeinverfügung, sondern eine Verordnung zu erlassen. Die Einzelheiten wären neu zu regeln.

­

Die vorgeschlagene Regelung der zulässigen Rabatte (Art. 7) privilegiert grosse Bibliotheken. Diese Benachteiligung kleiner Bibliotheken steht im Widerspruch zur Zielsetzung des Gesetzes, da gerade die vielen dezentralen, kleineren Bibliotheken einen besonders wertvollen Beitrag zur Versorgung der Bevölkerung mit Büchern leisten.

­

Hinsichtlich der Dauer einer Preisbindung (Art. 8) ermöglicht der Gesetzesentwurf eine zeitlich unbegrenzte Preisfestsetzung. Verlage könnten so noch nach Jahrzehnten den Preis bestimmen, zu dem ihre Bücher verkauft werden müssen. Das ist weniger aus rechtlichen als aus sachlichen Gründen problematisch.

­

Die Stellung des «Branchenvertreters» (Art. 13) ist in zentralen Punkten unklar. So ist insbesondere nicht ersichtlich, wessen Interessen er vertreten soll, denn die «Interessen der Branchenangehörigen» (Art. 13 Abs. 1) sind keineswegs homogen.

Für den Fall, dass der Rat Eintreten auf die Vorlage beschliesst, ist sie aufgrund dieser zahlreichen Mängel zur Überarbeitung an die Kommission zurückzuweisen.

3

Urteil des EuGH vom 30.4.2009, Fachverband der Buch- und Medienwirtschaft gegen LIBRO Handelsgesellschaft mbH, Rechtssache C-531-07.

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Dabei könnte die Kommission zunächst prüfen, ob sie allenfalls anstelle einer obligatorischen staatlichen Preisregulierung die verfassungsrechtlich zulässige Erlaubnis einer privaten, kartellmässig organisierten Preisbindung im Buchmarkt vorschlagen will. Falls die Kommission trotz aller sachlichen Bedenken eine obligatorische staatliche Preisregulierung einführen will, wäre parallel zu den Gesetzgebungsarbeiten eine Verfassungsrevision vorzubereiten, die dem Bund eine solche Gesetzgebungskompetenz verschafft.

3

Anträge

1.

Der Bundesrat beantragt, auf das Gesetz nicht einzutreten. Er unterstützt den entsprechenden Antrag der Kommissionsminderheit.

2.

Für den Fall, dass der Rat Eintreten beschliesst, beantragt der Bundesrat die Rückweisung der Vorlage an die Kommission.

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