09.066 Botschaft über die Gewährleistung der geänderten Verfassungen der Kantone Bern, Thurgau, Waadt, Genf und Jura vom 26. August 2009

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Wir unterbreiten Ihnen hiermit den Entwurf zu einem einfachen Bundesbeschluss über die Gewährleistung der geänderten Verfassungen der Kantone Bern, Thurgau, Waadt, Genf und Jura mit dem Antrag auf Zustimmung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

26. August 2009

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Hans-Rudolf Merz Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2009-1266

5961

Übersicht Nach Artikel 51 Absatz 1 der Bundesverfassung gibt sich jeder Kanton eine demokratische Verfassung. Diese bedarf der Zustimmung des Volkes und muss revidiert werden können, wenn die Mehrheit der Stimmberechtigten es verlangt. Nach Absatz 2 des gleichen Artikels bedürfen die Kantonsverfassungen der Gewährleistung des Bundes. Die Gewährleistung wird erteilt, wenn die Kantonsverfassung dem Bundesrecht nicht widerspricht. Erfüllt eine kantonale Verfassungsbestimmung diese Anforderungen, so ist die Gewährleistung zu erteilen; erfüllt sie eine dieser Voraussetzungen nicht, so ist die Gewährleistung zu verweigern.

Die vorliegenden Verfassungsänderungen haben zum Gegenstand: im Kanton Bern: ­

Aufhebung der Amtsbezirksgarantie im Rahmen der kantonalen Wahlkreisreform 2010;

im Kanton Thurgau: ­

Anpassung der Unvereinbarkeitsbestimmungen bei Behördenwahlen;

im Kanton Waadt: ­

Verschiebung der Umsetzung des doppelten Instanzenzugs in Zivil- und Strafsachen;

­

Schutz vor Passivrauchen;

­

Anpassung des Wahlverfahrens für die beisitzenden Richter der sozialversicherungsrechtlichen Abteilung des Kantonsgerichts;

im Kanton Genf: ­

Einführung eines obligatorischen Referendums bei künftigen Gesetzesänderungen, die im Zusammenhang mit dem Mieterschutz stehen;

­

Führung des Staatshaushalts;

im Kanton Jura: ­

Umsetzung der neuen Straf- und der neuen Zivilprozessordnung des Bundes.

Die Änderungen entsprechen Artikel 51 der Bundesverfassung; sie sind deshalb zu gewährleisten.

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Botschaft 1

Die einzelnen Revisionen

1.1

Verfassung des Kantons Bern

1.1.1

Kantonale Volksabstimmung vom 30. November 2008

Die Stimmberechtigten des Kantons Bern haben in der Volksabstimmung vom 30. November 2008 der Änderung des Artikels 73 der Kantonsverfassung (Aufhebung der sog. Amtsbezirksgarantie im Rahmen der kantonalen Wahlkreisreform 2010) mit 213 637 Ja gegen 44 230 Nein zugestimmt.

Mit Schreiben vom 21. Januar 2009 ersucht die Staatskanzlei des Kantons Bern um die eidgenössische Gewährleistung.

1.1.2

Aufhebung der Amtsbezirksgarantie

Bisheriger Text Art. 73 Abs. 4 4 Die Sitzverteilung an die Listen richtet sich nach den in den Wahlkreisen erzielten Parteistimmen. In Wahlkreisen mit mehreren Amtsbezirken erhält jeder Amtsbezirk mindestens einen Sitz.

Neuer Text Art. 73 Abs. 4 4 Die Sitzverteilung an die Listen richtet sich nach den in den Wahlkreisen erzielten Parteistimmen.

Vor der Reform der dezentralen kantonalen Verwaltung durch die Volksabstimmung vom 24. September 2006 waren die Amtsbezirke eine wichtige Struktureinheit des Kantons Bern. Die Stellung der Amtsbezirke insbesondere als Gerichts-, Verwaltungs- und Wahlkreise und die Struktur des Kantons Bern rechtfertigten es deshalb, den Amtsbezirken eine Mindestgarantie einzuräumen. Jeder Amtsbezirk sollte mit mindestens einem Mitglied im Grossen Rat vertreten sein (sog. Amtsbezirksgarantie). Aufgrund verschiedener vorangegangener Entscheide des bernischen Stimmvolks haben die Amtsbezirke nun bereits ihre angestammte Funktion als Gerichtsund Verwaltungskreise eingebüsst. Mit der Wahlkreisreform haben sie auch ihre Funktion als Wahlkreise verloren, weshalb einer Aufhebung der Amtsbezirksgarantie nichts entgegensteht, insbesondere auch nicht das übergeordnete Recht. Die kantonale Verfassungsänderung kann demnach gewährleistet werden.

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1.2

Verfassung des Kantons Thurgau

1.2.1

Kantonale Volksabstimmung vom 8. Februar 2009

Die Stimmberechtigten des Kantons Thurgau haben in der Volksabstimmung vom 8. Februar 2009 der Änderung des Paragrafen 30 der Kantonsverfassung (Änderung der Unvereinbarkeitsbestimmungen) mit 51 235 Ja gegen 16 004 Nein zugestimmt.

Mit Schreiben vom 16. Februar 2009 ersucht die Staatskanzlei des Kantons Thurgau um die eidgenössische Gewährleistung.

1.2.2

Änderung der Unvereinbarkeitsbestimmungen

Bisheriger Text § 30 Verwandtschaft 1 Dem Grossen Rat dürfen Verwandte in gerader Linie und Ehegatten nicht gleichzeitig angehören.

2 Den übrigen Behörden dürfen ausserdem Verwandte und Verschwägerte bis zum zweiten Grad der Seitenlinie nicht gleichzeitig angehören.

Neuer Text § 30 Verwandtenausschluss 1 Der gleichen Behörde dürfen nicht gleichzeitig angehören: 1. Ehegatten; 2. Eltern und Kinder sowie ihre Ehegatten; 3. Geschwister und ihre Ehegatten.

2 Personen in eingetragener Partnerschaft sowie Personen in faktischer Lebensgemeinschaft sind den Ehegatten gleichgestellt.

3 Der Verwandtenausschluss gilt nicht für den Grossen Rat und die Gemeindeparlamente.

4 Weitere Ausnahmen vom Verwandtenausschluss regelt das Gesetz.

Die Verfassungsänderung führt zum einen zur Ausdehnung des bisher nur für Ehegatten geltenden Verwandtenausschlusses auf eingetragene Partnerschaften und faktische Lebensgemeinschaften und stellt damit deren Gleichbehandlung sicher (Art. 8 Abs. 1 BV). Zum andern führt die Verfassungsänderung aber auch zu einer Einschränkung bzw. Aufhebung des Verwandtenausschlusses: Dieser gilt nicht mehr in Bezug auf Wahlen in Parlamente mit einer in der Regel grösseren Anzahl von Mitgliedern (Grosser Rat, Gemeindeparlamente). Hier kann sich eine eventuelle persönliche Nähe von einigen wenigen Parlamentsmitgliedern kaum entscheidend auswirken. Bestehen bleibt der Verwandtenausschluss hingegen für Wahlen in kleinere Behörden (z.B. Gemeinde- oder Schulbehörden, Gerichte), wo sich eventuelle Machtkonzentrationen oder persönliche Konflikte weit stärker auswirken können als bei Behörden mit grösserer Mitgliederzahl. Die Verfassungsänderung ist demnach vereinbar mit dem übergeordneten Recht und kann deshalb gewährleistet werden.

5964

1.3

Verfassung des Kantons Waadt

1.3.1

Kantonale Volksabstimmungen vom 21. Oktober 2007 und vom 30. November 2008

Die Stimmberechtigten des Kantons Waadt haben in der Volksabstimmung vom 21. Oktober 2007 der Verschiebung der Umsetzung der doppelten Instanzenzugs in Zivil- und Strafsachen (neuer Art. 179 Ziff. 3bis) mit 151 697 Ja gegen 12 928 Nein zugestimmt.

In der Volksabstimmung vom 30. November 2008 haben die Stimmberechtigten des Kantons Waadt zudem den folgenden zwei Verfassungsänderungen zugestimmt: ­

Schutz vor Passivrauchen (neuer Art. 65a der Kantonsverfassung) mit 135 589 Ja gegen 53 736 Nein;

­

Wahl der beisitzenden Richter der verwaltungsrechtlichen und öffentlichrechtlichen Abteilung sowie der sozialversicherungsrechtlichen Abteilung des Kantonsgerichts (Änderung von Art. 131 Abs. 4 der Kantonsverfassung) mit 163 503 Ja gegen 16 919 Nein.

Mit Schreiben vom 14. Januar 2009 sowie vom 2. Februar 2009 ersucht der Staatsrat des Kantons Waadt um die eidgenössische Gewährleistung.

1.3.2

Verschiebung der Umsetzung des doppelten Instanzenzugs in Zivil- und Strafsachen

Neuer Text Art. 179 Ziff. 3bis (neu) 3bis Die nach Artikel 129 der Verfassung des Kantons Waadt erforderliche Ausführungsgesetzgebung muss spätestens bei Ablauf der in Artikel 130 des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht vorgesehenen Frist zur Anpassung der kantonalen Bestimmungen in Zivil- und Strafsachen erlassen sein.

Die Reform der Straf- und der Zivilprozessordnung des Bundes (StPO und ZPO) verpflichtet die Kantone zur Einführung des doppelten Instanzenzuges. Dies bedeutet, dass jeder rechtliche Entscheid an eine zweite richterliche Instanz weitergezogen bzw. von einer solchen überprüft werden können soll. Dieser Grundsatz ist bereits in Artikel 129 Absatz 1 der Waadtländer Kantonsverfassung enthalten. Gemäss deren Übergangsbestimmungen (Art. 177 Abs. 1) hätte die Reform bereits im April 2008 in Kraft treten sollen. Nachdem sich die Reformvorhaben des Bundes aber verzögert haben, drängt sich eine zeitliche Koordination der vom Bundesrecht und der vom kantonalen Recht vorgesehenen Fristen auf. Dies wird mit der neuen Ziffer 3bis von Artikel 179 ermöglicht. Einer Gewährleistung steht nichts im Wege.

1.3.3

Schutz vor Passivrauchen

Neuer Text Art. 65a (neu) Schutz vor Passivrauchen 1 Zum Schutz der Gesamtbevölkerung ist es verboten, im Innern von öffentlichen Anlagen oder in öffentlich zugänglichen geschlossenen Räumen zu rauchen.

5965

2

Dies gilt namentlich für: a. alle Gebäude oder öffentlichen Räume des Staates, der Gemeinden sowie aller anderen Institutionen mit öffentlichem Charakter; b. alle öffentlich zugänglichen Gebäude oder Räume, namentlich solche, die folgenden Zwecken dienen: medizinische Versorgung, Pflege in Spitälern oder anderen Gesundheitseinrichtungen, Kultur, Erholung, Sport, Bildung, Freizeit, Begegnung, Ausstellungen; c. alle öffentlichen Einrichtungen im Sinne der Gesetzgebung über die Beherbergung und den Getränkeausschank, unter Vorbehalt der Einrichtung abgeschlossener, unbedienter Raucherräume, die über ein geeignetes Belüftungssystem verfügen; d. den öffentlichen Verkehr sowie die übrigen gewerbsmässigen Personentransporte; e. andere öffentlich zugängliche Räume, die das Gesetz vorsieht.

3 Das Gesetz bestimmt die Strafen für den Fall der Nichteinhaltung des Rauchverbots und regelt den Vollzug der vorliegenden Bestimmung.

Absatz 1 dieser Bestimmung weist über weite Strecken den gleichen Wortlaut auf wie Artikel 178B der Genfer Kantonsverfassung, den die Bundesversammlung mit Bundesbeschluss vom 28. Mai 2009 bereits gewährleistet hat (vgl. auch die entsprechende Botschaft in BBl 2009 1191 f.). Der einzige Unterschied findet sich in Absatz 2 Buchstabe c von Artikel 65a. Dieser sieht im Unterschied zur Genfer Regelung bereits auf Verfassungsstufe eine Ausnahme vor zugunsten von geschlossenen Raucherräumen, die nicht bedient sind und die eine geeignete Belüftung aufweisen.

Die Verfassungsbestimmung ist vereinbar mit dem übergeordneten Recht und kann deshalb gewährleistet werden.

Im Übrigen ist sie auch kompatibel mit dem vom Parlament am 3. Oktober 2008 verabschiedeten, voraussichtlich 2010 in Kraft tretenden Bundesgesetz zum Schutz vor Passivrauchen (BBl 2008 8243). Dieses ist in Bezug auf den Schutz des Servierpersonals weniger restriktiv, indem es in Artikel 2 Absatz 2 vorsieht, dass in abgetrennten Raucherräumen von Gastrobetrieben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Sinne einer Ausnahme beschäftigt werden dürfen, sofern diese ausdrücklich zustimmen. Die Kantone können indessen gemäss Artikel 4 dieses Bundesgesetzes auch strengere Vorschriften zum Schutz der Gesundheit erlassen, weshalb die vom Kanton Waadt getroffene restriktivere Lösung mit unbedienten Raucherräumen auch in Zukunft mit der kommenden Bundesregelung vereinbar sein wird.

1.3.4

Anpassung des Wahlverfahrens für die beisitzenden Richter der sozialversicherungsrechtlichen Abteilung des Kantonsgerichts

Bisheriger Text Art. 131 Abs. 4 4 Das Gesetz regelt die Wahl der beisitzenden Richter der verwaltungsrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Abteilung des Kantonsgerichts.

Neuer Text Art. 131 Abs. 4 4 Das Gesetz regelt die Wahl der beisitzenden Richter der verwaltungsrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Abteilung sowie der sozialversicherungsrechtlichen Abteilung des Kantonsgerichts.

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Diese Änderung von Artikel 131 Absatz 4 der Verfassung des Kantons Waadt ermöglicht es dem Gesetzgeber, die zuständige Behörde für die Wahl der beisitzenden Richter der sozialversicherungsrechtlichen Abteilung des Kantonsgerichts im Gesetz festzulegen, wie dies bereits für Wahlen in die verwaltungsrechtliche und öffentlich-rechtliche Abteilung gilt. Es handelt sich hier um eine Frage der Gerichtsorganisation, die unter die Organisationsautonomie der Kantone fällt. Die Bestimmung kann demnach gewährleistet werden.

1.4

Verfassung des Kantons Genf

1.4.1

Kantonale Volksabstimmungen vom 24. September 2006 und vom 30. November 2008

Die Stimmberechtigten des Kantons Genf haben in der Volksabstimmung vom 24. September 2006 einer Verfassungsänderung zum Wohnungswesen und zum Schutz der Mieterinnen und Mieter sowie der Quartierbewohnerinnen und -bewohner (neue Art. 53 A Abs. 2, Art. 160 F sowie Art. 182 Abs. 2 und 3) mit 72 500 Ja gegen 43 514 Nein zugestimmt.

In der Volksabstimmung vom 30. November 2008 haben sie ferner einer Verfassungsänderung betreffend die Führung des Staatshaushalts (neuer Art. 174 A) mit 59 474 Ja gegen 27 911 Nein zugestimmt.

Mit zwei Schreiben vom 4. Februar 2009 ersucht der Staatsrat des Kantons Genf um die eidgenössische Gewährleistung. Die Verzögerung beim Gesuch um Gewährleistung des Bundes betreffend die bereits im September 2006 beschlossene Bestimmung ist auf eine Unterlassung seitens der Genfer Behörden zurückzuführen. Diese hat aber keine weiteren rechtlichen Folgen, weil der eine kantonale Bestimmung gewährleistende Bundesbeschluss lediglich deklaratorischen Charakter hat.

1.4.2

Einführung eines obligatorischen Referendums bei künftigen Gesetzesänderungen, die im Zusammenhang mit dem Mieterschutz stehen

Neuer Text Art. 53 A Abs. 2 (neu) 2 Ebenfalls dem Generalrat (den Stimmberechtigten) obligatorisch zur Genehmigung zu unterbreiten ist jede Änderung eines der in Artikel 160 F aufgezählten Gesetze zum Schutz der Mieter und der Quartierbewohner.

Titel X E (neu): Wohnungswesen sowie Schutz der Mieter und Bewohner Art. 160 F (neu) Obligatorisches Referendum Zur Durchsetzung des Volkswillens und zur Gewährleistung der Wirkungen des in der Vergangenheit ausgeübten Initiativrechts muss jede Änderung der nachstehenden Gesetze, die vom Volk aufgrund einer Volksinitiative angenommen oder vom Grossen Rat im Gefolge des Rückzugs einer Volksinitiative erlassen worden sind, obligatorisch dem Volk zur Abstimmung unterbreitet werden. Es handelt sich um die folgenden Gesetze in der Fassung am Tage der Einreichung der Volksinitiative, die dem vorliegenden Artikel zugrunde liegt:

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a.

b.

c.

d.

e.

das Gesetz vom 4. Dezember 1977 zur Änderung verschiedener Gesetze betreffend das Mietgericht, nämlich die Artikel 29, 30, 35 B sowie 56 M­56 P des Gerichtsorganisationsgesetzes und die Artikel 426­448 der Zivilprozessordnung; das Gesetz vom 4. Dezember 1977 über die Einrichtung einer Schlichtungsstelle in Mietsachen; das allgemeine Gesetz vom 4. Dezember 1977 über das Wohnungswesen und den Mieterschutz; das Gesetz vom 25. Januar 1996 über den Abbruch, den Umbau und die Renovation von Wohnhäusern (Unterstützungsmassnahmen zugunsten der Mieter und der Beschäftigung); das Gesetz vom 26. Juni 1983 über die Nutzungspläne, nämlich die Artikel 15 A­15 G des Gesetzes über den Ausbau der Verkehrswege und die Gestaltung der Quartiere und Ortschaften.

Art. 182 Abs. 2 und 3 (neu) Übergangsbestimmungen Die in Artikel 160 F bezeichneten Gesetzesänderungen, die zwischen der dem Artikel 160 F zugrunde liegenden Einreichung der Initiative und dem Inkrafttreten dieses Artikels angenommen worden sind, sind innerhalb von vier Monaten nach der Annahme der Initiative dem obligatorischen Referendum zu unterstellen. Andernfalls werden sie von Rechts wegen ungültig.

3 Führt die in Absatz 2 vorgesehene Volksabstimmung zu einer Ungültigkeit der Gesetzesänderung, so tritt sie am Abstimmungsdatum in Kraft. Sie findet auf die hängigen Verfahren vor den Verwaltungsbehörden Anwendung sowie auf die noch nicht in Kraft getretenen Verfügungen, namentlich auf solche in Beschwerdesachen. Gleiches gilt für den Fall der Ungültigkeit einer Gesetzesänderung von Rechts wegen.

2

Die oben erwähnten Bestimmungen führen ein obligatorisches Gesetzesreferendum für fünf kantonale Gesetze ein, die ­ jeweils unter verschiedenen Blickwinkeln ­ den Schutz der Mieterinnen und Mieter sowie der Quartierbewohnerinnen und -bewohner zum Gegenstand haben. Diese Frage ist Teil der Autonomie, über welche die Kantone im Rahmen der Festlegung ihrer politischen Organisation verfügen. Die Bestimmungen stehen daher in Übereinstimmung mit dem übergeordneten Recht, wie dies auch das Bundesgericht festgestellt hat (BGE 130 I 185 E. 5). Die Gewährleistung kann demnach erteilt werden.

1.4.3

Führung des Staatshaushalts

Neuer Text Art. 174 A (neu) Haushaltsführung 1 Die Haushaltsführung muss wirtschaftlich und wirksam sein; sie beachtet das Subsidiaritätsprinzip, namentlich im Hinblick auf die Gemeinden und die Einzelnen.

2 Der Staat gibt sich eine vierteljährliche Finanzplanung.

3 Für die Genehmigung eines defizitären Voranschlags der laufenden Rechnung ist die absolute Mehrheit der Mitglieder des Grossen Rates erforderlich.

4 Jede staatliche Leistung oder Subvention muss auf einer Rechtsgrundlage beruhen.

5 Der Staat prüft periodisch, ob die von ihm erbrachten Leistungen und die von ihm gewährten Subventionen wirksam, notwendig und finanziell tragbar sind. Er verzichtet auf Leistungen und Subventionen, die diesen Erfordernissen nicht entsprechen.

Der bisherige Artikel 174 A wird neu zu Artikel 174 B

Artikel 174 A führt verschiedene Grundsätze und Instrumente in die Kantonsverfassung ein, welche die Führung des Staatshaushalts betreffen, namentlich eine viertel5968

jährliche Planung, eine qualifizierte Mehrheit für die Genehmigung eines defizitären Voranschlags und eine Kontrolle staatlicher Leistungen und Subventionen. Auch diese Bestimmung ist mit dem übergeordneten Recht vereinbar und kann deshalb gewährleistet werden.

1.5

Verfassung des Kantons Jura

1.5.1

Kantonale Volksabstimmung vom 30. November 2008

Die Stimmberechtigten des Kantons Jura haben in der Volksabstimmung vom 30. November 2008 den Anpassungen der Kantonsverfassung (Aufhebung von Art. 10 und Änderung der Art. 102 Abs. 1, 103, 104 Abs. 1, 106, 107 und 134 Abs. 3 sowie Art. 12 der Schluss- und Übergangsbestimmungen) im Hinblick auf die Einführung der neuen eidgenössischen Straf- und Zivilprozessordnung mit 19 781 Ja gegen 2 364 Nein zugestimmt.

Mit Schreiben vom 13. Januar 2009 ersucht der Regierungsrat des Kantons Jura um die eidgenössische Gewährleistung.

1.5.2

Umsetzung der neuen Straf- und der neuen Zivilprozessordnung des Bundes

Bisheriger Text Art. 10 Rechtsschutz in Strafsachen 1 Jeder Verhaftete muss innerhalb von 24 Stunden dem Richter vorgeführt werden.

2 Er kann von da an ausser in den vom Gesetz vorgesehenen Ausnahmefällen einen Anwalt beiziehen.

3 Jeder zu Unrecht Verhaftete erhält Schadenersatz.

4 Verhaftungen, Durchsuchungen und Beschlagnahmungen dürfen nur in den vom Gesetz vorgesehenen Fällen und Formen vorgenommen werden.

Art. 102 Abs. 1 Die erstinstanzliche Rechtsprechung erfolgt im ganzen Kantonsgebiet durch: a. den Zivilrichter, das Arbeitsgericht und das Mietgericht; b. den Strafrichter und das Strafgericht; c. den Verwaltungsrichter.

1

Art. 103 Kantonsgericht 1 Das Gericht besteht aus: a. dem Verfassungsgerichtshof; b. dem Zivilgerichtshof; c. der Anklagekammer, dem Strafgerichtshof, dem Kriminalgerichtshof und dem Kassationsgerichtshof, für Strafsachen; d. dem Verwaltungsgerichtshof.

2 Die Gerichtshöfe können sich in Kammern aufteilen.

3 Der Kriminalgerichtshof setzt sich aus fünf Richtern zusammen.

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Art. 104 Abs. 1 1 Auf Ersuchen und vor Inkrafttreten prüft der Verfassungsgerichtshof die Verfassungsmässigkeit von Gesetzen.

Art. 106 Strafuntersuchung und Staatsanwaltschaft Die bedeutenden Strafuntersuchungen werden von einem Untersuchungsrichter durchgeführt.

2 Die Staatsanwaltschaft wird vom Staatsanwalt oder von seinen Stellvertretern geleitet.

1

Art. 107 Organisation, Befugnisse und Verfahren Das Gesetz regelt die Organisation und die Befugnisse der richterlichen Behörden sowie das Verfahren.

Art. 134 Abs. 3 Gegen Steuerentscheide der anerkannten Kirchen oder ihrer Kirchgemeinden kann beim Verwaltungsgerichtshof des Kantonsgerichts Beschwerde geführt werden.

3

Art. 12 Schluss- und Übergangsbestimmungen Die Regierung bestimmt das Inkrafttreten dieser Änderung.

Neuer Text Art. 10 Aufgehoben Art. 102 Abs. 1 1 Die erstinstanzliche Gerichtsbarkeit wird für das ganze Kantonsgebiet vom Gericht erster Instanz ausgeübt.

Art. 103 Die zweitinstanzliche Gerichtsbarkeit wird vom Kantonsgericht ausgeübt.

Art. 104 Abs. 1 Der Verfassungsgerichtshof des Kantonsgerichts überprüft die Verfassungsmässigkeit der Gesetze auf Antrag und vor deren Inkrafttreten.

1

Art. 106 Strafuntersuchung und Staatsanwaltschaft Die Strafverfolgung wird von der Staatsanwaltschaft wahrgenommen.

Art. 107 Organisation, Befugnisse und Verfahren Das Gesetz regelt die Einzelheiten der Wahl der richterlichen Behörden, ihrer Organisation, ihrer Befugnisse sowie das Verfahrensrecht unter Vorbehalt des Bundesrechts.

Art. 134 Abs. 3 Entscheide der anerkannten Kirchen oder deren Kirchgemeinden in Steuersachen unterliegen der Beschwerde gemäss dem anwendbaren Recht.

3

Art. 12 (neu) Schluss- und Übergangsbestimmungen Die Regierung bestimmt das Inkrafttreten dieser Änderung.

Diese Revision gleicht die Kantonsverfassung der neuen Straf- und der neuen Zivilprozessordnung des Bundes an. Sie hat zwei wichtige Konsequenzen: Zum einen wird der Kriminalgerichtshof aufgrund der Einführung des Prinzips des doppelten Instanzenzugs aufgehoben, und zum andern werden die Untersuchungsrichter abgeschafft und deren Aufgaben einer erweiterten Staatsanwaltschaft übertragen. Die Revision setzt den Grundsatz der derogatorischen Kraft des Bundesrechts im kantonalen Recht um. Sie kann deshalb gewährleistet werden.

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2

Verfassungsmässigkeit

Die Prüfung hat ergeben, dass die geänderten Bestimmungen der Verfassungen der Kantone Bern, Thurgau, Waadt, Genf und Jura die Anforderungen von Artikel 51 der Bundesverfassung erfüllen. Somit ist die Gewährleistung zu erteilen.

Die Bundesversammlung ist nach den Artikeln 51 und 172 Absatz 2 der Bundesverfassung für die Gewährleistung der Kantonsverfassungen zuständig.

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