09.425 Parlamentarische Initiative Artikel 64a KVG und unbezahlte Prämien Bericht der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates vom 28. August 2009

Sehr geehrte Frau Präsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Bericht unterbreiten wir Ihnen den Entwurf zu einer Änderung des Bundesgesetzes vom 18. März 19941 über die Krankenversicherung. Gleichzeitig erhält der Bundesrat Gelegenheit zur Stellungnahme.

Die Kommission beantragt, dem beiliegenden Entwurf zuzustimmen.

28. August 2009

Im Namen der Kommission Der Präsident: Jürg Stahl

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SR 832.10

2009-2173

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Bericht 1

Entstehungsgeschichte

Angesichts der Zunahme nicht bezahlter Prämien für die soziale Krankenversicherung und der wachsenden Zahl von Leistungssistierungen befasste sich die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-NR) bereits am 22. Februar 2007 ein erstes Mal mit den Auswirkungen des seit dem 1. Januar 2006 in Kraft gesetzten Artikels 64a KVG2 und beauftragte die Verwaltung mit der Ausarbeitung von Lösungsvarianten für die nächste Sitzung. Am 27. April 2007 entschied sie sich auf Vorschlag des Eidgenössischen Departements des Innern mit 12 zu 12 Stimmen und Stichentscheid des Präsidenten für eine Lösung auf Verordnungsstufe, welche vom Bundesrat auf den 1. August 2007 in Kraft gesetzt wurde3.

Am 25. März 2009 prüfte die SGK-NR die Pa. Iv. Fraktion S «KVG. Änderung von Artikel 64a (07.452 n)» vor. An dieser Sitzung legte die Verwaltung einen Text für die Revision von Artikel 64a und Artikel 65 KVG vor, auf den sich das Departement und die Schweizerische Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren unter teilweiser Zustimmung von Santésuisse geeinigt hatten. Auf dieser neuen Grundlage beschloss die SGK-NR einstimmig eine Kommissionsinitiative, der die Schwesterkommission am 11. Mai 2009 ebenfalls einstimmig zustimmte.

Nachdem die Verwaltung für die folgende Sitzung mit einem Zusatzbericht beauftragt wurde, verabschiedete die Kommission am 25. Juni 2009 einen Erlassentwurf, für den es nur noch die Inkraftsetzungsbestimmungen zu klären galt. Der vorliegende Bericht und der Erlassentwurf wurden dann am 28. August 2009 von der Kommission mit 13 zu 7 Stimmen bei 4 Enthaltungen angenommen. Da die Positionen der Hauptbeteiligten (Kantone, Versicherer) nach langen Verhandlungen ausreichend bekannt waren, beschloss die Kommission, auf eine Vernehmlassung zu verzichten.

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Grundzüge der Vorlage

Die geltende Regelung im Falle der Nichtbezahlung von Prämien und Kostenbeteiligungen im Rahmen der sozialen Krankenversicherung wurde von den eidgenössischen Räten am 18. März 2005 mit der Einführung von Artikel 64a KVG in der Schlussabstimmung angenommen4. Absatz 2 sieht den Aufschub der Kostenübernahme für Leistungen («Leistungsaufschub», «Leistungssistierung» vor, wenn die versicherte Person trotz Mahnung nicht bezahlt und im Betreibungsverfahren bereits ein Fortsetzungsbegehren gestellt ist. Seit der Inkraftsetzung von Artikel 64a am 1. Januar 2006 sind gemäss Schätzungen der GDK inzwischen rund 150 000 Personen von einem Aufschub der Kostenübernahme betroffenen. Die Leistungserbringer sitzen entsprechend auf unbezahlten Rechnungen (bei den Spitälern betragen die unbezahlten Rechnungen rund 80 Millionen Franken).

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AS 2005 3587 Art. 105a ff. KVV (AS 2007 3573; SR 832.102) AB 2005 N 471; AB 2005 S 393

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An der Sitzung vom 27. April 2007 verzichtete die nationalrätliche Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit darauf, eine Gesetzesrevision einzuleiten, und folgte den Argumenten von Bundesrat Pascal Couchepin, der eine rasche Lösung der Probleme auf Verordnungsebene favorisierte. Mit den neuen Artikeln 105a­e wurde eine Revision der Verordnung über die Krankenversicherung (KVV)5 bereits auf den 1. August 2007 in Kraft gesetzt.6 Sie sollte in erster Linie vertragliche Vereinbarungen zwischen Kantonen und Versicherern erleichtern. Diese Verhandlungen zwishen Kantonen und Versicherern führten bis heute nicht zu massgeblichen Fortschritten bei der Lösung der anstehenden Probleme.

Auf diesem Hintergrund ergriff der Vorsteher des EDI die Initiative und lud die Kantone und die Versicherer zu Gesprächen ein, welche zu einer Einigung in Bezug auf die wichtigsten Eckwerte führten. Diese Ergebnisse bilden denn auch die Basis für die vorliegende Revision.

Die Situation in den Kantonen und Gemeinden ist unterschiedlich und die Informationsbasis relativ schmal. Mehrere Kantone (BS, GE, NE, VS, VD) und drei Gemeinden des Kantons Freiburg inkl. die Stadt Freiburg haben Vereinbarungen abgeschlossen, die der Regelung des Problems mit den Versicherern dienen soll.

Demgemäss verzichten die unterzeichnenden Versicherer auf eine Leistungssitierung, wenn die Kantone das Verfahren für die Übernahme der Zahlungsausstände vereinfachen. Letzteres erfolgt in der Regel aber erst bei Vorliegen eines Verlustscheines nach Abschluss des Betreibungsverfahrens. Der Verlustschein belegt die Zahlungsunfähgeit des Versicherten. Der Beitritt zu solchen Vereinbarungen ist für die Versicherer aber freiwillig. Im Kanton Genf ist eine Versicherergruppe (Groupe Mutuel) bereits wieder ausgetreten, womit der Deckungsgrad der Vereinbarung von 80 auf weniger als 50 Prozent gesunken ist. Im Kanton Thurgau werden Prämienzahlende mit einem Aufschub der Kostenübernahme in eine Datenbank aufgenommen, zu der ein grosser Teil der Leistungserbringer, die Gemeinden, der kantonale Datenschutzbeauftragte, eine leitende Person des Gesundheitsamtes sowie das Amt für Informatik Zugriff haben. Mit Ausnahme von Leistungen der Notfallversorgung haben die erfassten Personen keinen Anspruch mehr auf Leistungen der sozialen Krankenversicherung. In den
Kantonen ohne Vereinbarung mit den Versicherern wird Artikel 64a KVG in der Regel angewandt. Zu welchen Gesundheitsleistungen die Personen mit einem Aufschub der Kostenübernahme noch Zugang haben, ist in den Kantonen wiederum unterschiedlich geregelt.

Diese Entwicklungen bringen Leistungserbringer zum Teil in finanzielle Schwierigkeiten und das Obligatorium der sozialen Krankenversicherung wird mit den Leistungssistierungen in Frage gestellt. Die Auswirkungen für die betroffenen Versicherten sind ebenfalls negativ, da sie keine adäquate Gesundheitsversorgung mehr erhalten.

Eine dauerhafte Lösung verlangt eine Gesetzesrevision, welche die Leistungssistierung nicht mehr vorsieht, die Verfahren klar regelt, die finanziellen Verantwortungen der Kantone und der Versicherer festhält und den Umgang mit den bis zum Inkrafttreten der Revision aufgelaufenen Forderungen regelt. Die Revision von Artikel 64a KVG wird dabei dem Status quo ante (vor dem 1.1.2006), wie ihn die Standesinitiative des Kantons Tessin «Bundesgesetz über die Krankenversicherung»

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SR 832.102 AS 2007 3573

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(08.323 s) verlangt, vorgezogen. Zusammengefasst müssen die Kantone den grössten Teil der Forderungen, die zu einem Verlustschein geführt haben, übernehmen.

Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie mit denjenigen Versicherten verfahren wird, die zwar zahlungsfähig aber zahlungsunwillig sind. Bei ihnen kann davon ausgegangen werden, dass sie unter dem Druck des Betreibungsverfahrens früher oder später ihren finanziellen Verpflichtungen gegenüber den Versicherern nachkommen, da in diesen Fällen keine Aussicht auf einen Verlustschein besteht. Die Kommission sieht davon ab, für diese Personen eine Spezialregelung im Rahmen dieser Vorlage einzuführen. Sie gab allerdings einer von Nationalrat Toni Bortoluzzi am 16. März 2009 eingereichten parlamentarischen Initiative «Eigenverantwortung statt Vollkasko bei säumigen Krankenkassenprämienzahlern» (09.406 n)7 Folge, welche die Einführung des so genannten Thurgauer Modells verlangt, um diese Fragestellung auf einer getrennten Schiene weiter zu bearbeiten.

Um künftig zu verhindern, dass diejenigen Versicherten, denen die Prämienverbilligung direkt ausgerichtet wird, diese Gelder für andere Zwecke einsetzen, sollen mit einer Revision von Artikel 65 KVG alle Kantone verpflichtet werden, die Prämienverbilligungen direkt an die Versicherer auszurichten. Bisher kennen 13 Kantone diese Praxis. Diese Änderung steht auch im Einklang mit der von der ständerätlichen Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit eingereichten Motion «Auszahlung der Prämienverbilligung» (07.3275 s), welche vom Ständerat am 13. Juni 2007 und vom Nationalrat am 4. Dezember 2007 angenommen wurde.

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Erläuterungen zu den einzelnen Bestimmungen

Art. 64a Abs. 1 Diese Bestimmung sieht zwei zeitlich gestaffelte Massnahmen vor, die der Versicherer im Falle der Nichtzahlung der fälligen Prämien oder Kostenbeteiligungen treffen muss. In einem ersten Schritt mahnt der Versicherer die versicherte Person ein- oder mehrmals. Zu diesem Zeitpunkt kann der Versicherer versuchen, Vereinbarungen mit den Versicherten zu treffen. Hat die versicherte Person nach Ablauf der im Mahnverfahren gewährten Frist nicht bezahlt, so stellt ihr der Versicherer eine Zahlungsaufforderung mit einer Nachfrist von 30 Tagen zu. Er informiert sie darüber, dass sie betrieben werden wird, wenn sie nicht fristgerecht zahlt.

Da die Prämie im Voraus zu begleichen ist (Art. 90 der Verordnung über die Krankenversicherung; KVV), fällt das Fälligkeitsdatum der Forderung auf den letzten Tag des Monats, welcher dem Monat, für den die Prämie geschuldet ist, vorausgeht.

Art. 64a Abs. 2 Wenn die versicherte Person innerhalb der eingeräumten Frist die geschuldeten Prämien und Kostenbeteiligungen sowie die Verzugszinse nicht bezahlt, muss der Versicherer die Betreibung gemäss dem Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) anheben. Die Verzugszinse sind in Artikel 26 des Bundesgesetzes über den allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) und Artikel 7 der 7

Ständerat Philipp Stähelin reichte am 12. März 2009 eine Motion mit dem gleichen Titel ein (09.3101).

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Verordnung über den allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSV) geregelt. Der Satz für den Verzugszins beträgt gegenwärtig 5 Prozent im Jahr.

Die zuständige kantonale Behörde muss ebenfalls die Möglichkeit haben, zugunsten der versicherten Person tätig zu werden, bevor das Betreibungsverfahren mit der Ausstellung eines Verlustscheins endet. Aus diesem Grund kann sie den Versicherer ersuchen, ihr die Schuldner und Schuldnerinnen bekannt zu geben, die betrieben werden. Wenn das kantonale Recht es vorsieht, gibt der Versicherer von Amtes wegen der zuständigen kantonalen Behörde die Schuldner und Schuldnerinnen bekannt. Als Schuldner und Schuldnerinnen gelten jene Personen, die in der Regel die Prämien und anderen Rechnungen für sich und andere Personen bezahlen, zum Beispiel der Vater für seine Kinder und seine Ehefrau im Rahmen seiner Unterhaltspflicht.

Art. 64a Abs. 3 Der Versicherer muss der zuständigen kantonalen Behörde die betroffenen Versicherten sowie, pro Schuldner oder Schuldnerin, den Gesamtbetrag der Forderungen aus der obligatorischen Krankenpflegeversicherung, die zur Ausstellung des Verlustscheins oder des gleichwertigen Rechtstitels geführt haben, bekannt geben. Der Versicherer wird ihr ebenfalls die Bestätigung der vom Kanton bezeichneten Revisionsstelle über die Richtigkeit der bekannt gegebenen Beträge vorlegen müssen. So wird die kantonale Behörde den Betrag berechnen können, den sie gemäss Absatz 4 an den Versicherer zu bezahlen hat. Die Regelmässigkeit der Datenbekanntgabe und die Festsetzung der Fristen werden auf Versorgungsstufe geregelt. Ebenfalls auf Verordnungsebene wird der Bundesrat die Dokumente bezeichnen, welche einem Verlustschein gleichzusetzen sind (Abs. 7). Dabei handelt es sich um Dokumente, welche die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners oder der Schuldnerin offiziell bestätigen und den Kantonen erlauben, ihren Beitrag gestützt auf eine glaubwürdige Grundlage auszurichten.

Die Kontrollen der vom Kanton bezeichneten Revisionsstellen werden dazu dienen, die Richtigkeit der Datenbekanntgabe der Versicherer zu überprüfen. Es wird insbesondere zu überprüfen sein, ob die gemeldeten Daten Prämien und Kostenbeteiligungen der sozialen Krankenversicherung sowie Betreibungskosten betreffen. Alle anderen Kosten, welche beispielsweise die Zusatzversicherungen
betreffen, sind auszuscheiden. Die Einrichtung einer Revisionsstelle wird somit die Bearbeitung der von den Versicherern gemeldeten Verlustscheine sowie gleichwertiger Rechtstitel erleichtern, und den Kantonen erlauben, ohne Verzögerung zu handeln.

Art. 64a Abs. 4 Gestützt auf die Bekanntgabe des Versicherers gemäss Absatz 3, wird die zuständige kantonale Behörde 85 Prozent des Gesamtbetrags der Forderungen (Prämien, Kostenbeteiligungen, Verzugszinse), welche zur Ausstellung eines Verlustscheins geführt haben, übernehmen.

Art. 64a Abs. 5 Der Versicherer behält die Verlustscheine und die gleichwertigen Rechtstitel in seinem Besitz, um diese Rechtstitel unabhängig von der in Absatz 4 vorgesehenen Kostenübernahme durch den Kanton weiterhin geltend machen zu können. Er 6621

bewahrt diese Titel gemäss den Bestimmungen des SchKG so lange auf, bis die versicherte Person die im Verlustschein oder gleichwertigen Rechtstitel ausgewiesenen Prämien oder Kostenbeteiligungen, sowie die Verzugszinse und Betreibungskosten vollständig bezahlt hat.

Sobald die versicherte Person ihre Ausstände teilweise oder vollständig bezahlt hat, erstattet der Versicherer die Hälfte der von der versicherten Person bezahlten Beträge an den Kanton zurück. Da der Versicherer Gläubiger gegenüber seinen Versicherten bleibt, ist nur er berechtigt, weitere Zahlungen der Versicherten aufgrund neuer Betreibungen oder einer Vereinbarung zu erhalten. Es ist deshalb gerechtfertigt, dass der Versicherer angesichts der Kosten die Hälfte der Zahlungen behält, und dass der Kanton einen Teil der für die versicherte Person erfolgten Zahlungen wieder eintreiben kann.

Art. 64a Abs. 6 Die Versicherer sind verantwortlich für das Inkasso der Prämien. Solange eine säumige Person die geschuldeten ausstehenden Beträge nicht vollständig bezahlt hat, soll sie unter Vorbehalt von Artikel 7 Absätze 3 und 4 KVG den Versicherer nicht wechseln können. Mit dieser Bestimmung sollen zahlreiche, aus finanzieller und verwaltungstechnischer Sicht aufwändige Verfahren bei den Versicherern vermieden werden. Es sollen nicht mehrere Versicherer gegenüber einer und derselben versicherten Person ein Verfahren einleiten müssen. Damit soll auch das Betreibungsverfahren des betroffenen Versicherers vereinfacht werden. Würde der Versichererwechsel für säumige Versicherte zugelassen, würde sich der Zeitpunkt der Ausstellung des Verlustscheines und damit zusammenhängend die Zahlung der Prämien durch den Kanton verzögern. Dies ist weder für die Versicherer noch für die Versicherten wünschenswert. Es ist sinnvoll, diese Bestimmung, die im geltenden Artikel 64a in Absatz 4 geregelt ist, leicht umformuliert im revidierten Artikel 64a wiederum aufzunehmen.

Art. 64a Abs. 7 Aufgrund dieser Bestimmung wird der Bundesrat auf Verordnungsstufe insbesondere die Aufgaben der von den Kantonen beauftragten Revisionsstelle festlegen, die einem Verlustschein gleichzusetzenden Rechtstitel bezeichnen sowie die Einzelheiten der Datenbekanntgabe der Versicherer an die Kantone und die Zahlungen der Kantone an die Versicherer regeln (Form, Regelmässigkeit,
Fristen). Zudem wird er zum Mahn- und zum Betreibungsverfahren weitere Bestimmungen erlassen.

Art. 64a Abs. 8 Bei den versicherungspflichtigen Personen, die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft, in Island oder in Norwegen wohnen, handelt es sich vor allem um Grenzgängerinnen und Grenzgänger und Rentnerinnen und Rentner jeweils mit ihren nichterwerbstätigen Familienangehörigen und um die nichterwerbstätigen Familienangehörigen von Aufenthalterinnen und Aufenthaltern in der Schweiz.

Dabei geht es um eine kleine Personengruppe von rund 22 000 Versicherten, weil viele von ihrem Optionsrecht Gebrauch machen und sich im Wohnland versichern.

Da diese Personen ihren Wohnort nicht in der Schweiz haben, rechtfertigt es sich,

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dem Bundesrat die Kompetenz einzuräumen, für sie eine ihrer speziellen Situation angepasste Regelung auf Verordnungsstufe vorzusehen.

Art. 65 Abs. 1 Parallel zur Revision des Artikels 64a KVG wird vorgeschlagen, den Artikel 65 Absatz 1 KVG zu ändern. Diese Änderung ist die Folge einer Motion (07.3275), welche am 30. Mai 2007 durch den Bundesrat sowie am 13. Juni 2007 durch den Ständerat und am 4. Dezember 2007 durch den Nationalrat angenommen wurde.

Heute wird den Kantonen die Wahl überlassen, ob sie die Prämienverbilligung an die Versicherer oder die Versicherten ausrichten wollen. Mit dieser Änderung wird erreicht, dass alle Kantone spätestens innerhalb von zwei Jahren ab Inkrafttreten dieser Änderung die Prämienverbilligungsbeiträge direkt an die Versicherer, bei denen die unterstützungsberechtigten Personen versichert sind, bezahlen. Die direkte Ausrichtung der Prämienverbilligung an die Versicherten wird in Zukunft nicht mehr möglich sein.

Die direkte Ausrichtung der Prämienverbilligungsbeiträge an die Versicherer garantiert, dass diese Beiträge tatsächlich zum Zwecke der Prämienverbilligung für die Anspruchsberechtigten eingesetzt werden. Zudem vermindert dieses System das Risiko der Zahlungsausstände bei den Versicherten. Die enge Verbindung zwischen der Verfahrensproblematik bei Nichtbezahlung der Prämien und der Prämienverbilligung rechtfertigt, dass die Änderungen von Artikel 65 Absatz 1 und 64a KVG gleichzeitig beantragt werden.

Art. 65 Abs. 2 Der administrativen Vereinfachung halber und um Verwaltungskosten einzusparen, sieht diese Bestimmung für den Datenaustausch zwischen den Kantonen und den Versicherern einen einheitlichen Standard vor. Der Bundesrat regelt die Einzelheiten nach Anhörung der Kantone und der Versicherer in der Verordnung.

Art. 65 Abs. 4bis (neu) Damit die Versicherten, welche eine Prämienverbilligung erhalten, möglichst rasch darüber informiert sind, und damit die Prämienverbilligung tatsächlich weitergegeben wird, sobald der Anspruch und die Höhe bekannt sind, muss der Kanton den Versicherer genügend früh darüber in Kenntnis setzen, damit die Prämienverbilligung bei der Prämienfakturierung berücksichtigt werden kann. Spätestens bei der nächsten Prämienfakturierung muss der Versicherer die anspruchsberechtigte Person über die tatsächliche Prämienvergünstigung
informieren.

Art. 65 Abs. 5 Die Versicherer werden bei der Prämienverbilligung wie bis anhin verpflichtet werden, über die Bestimmungen von Artikel 82 KVG hinaus, welcher die besondere Amts- und Verwaltungshilfe regelt, mitzuwirken. Neu werden sie aber von den Kantonen dafür nicht mehr entschädigt werden, da die Kantone gemäss Absatz 1 verpflichtet sind, ihnen die Prämienverbilligungsbeiträge direkt auszuschütten. In Zukunft wird der Versicherer im Falle der Nichtbezahlung der Prämie durch die

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versicherte Person wenigstens den Teil der Prämie erhalten, welcher der Prämienverbilligung entspricht. Es gilt hier, diesen finanziellen Vorteil zu berücksichtigen.

Übergangsbestimmungen der Änderung vom ...

Abs. 1 und 2 Diese zwei Absätze beziehen sich auf Artikel 64a dieser Änderung.

Mit den Übergangsbestimmungen werden die Fälle vor dem Inkrafttreten der Änderung von Artikel 64a KVG geregelt; es handelt sich hierbei um die bis zum Inkrafttreten dieser Änderung entstandenen Forderungen.

Bis heute gab es auf bundesrechtlicher Ebene keine Verpflichtung der Kantone, die uneinbringlichen Prämien und Kostenbeteiligungen zu übernehmen. Sie konnten diese Kosten übernehmen, wenn sie es wünschten, entweder aufgrund kantonalen Rechts oder insbesondere im Rahmen von Vereinbarungen, die mit einem oder mehreren Krankenversicherern eingegangen wurden. Die Praxis der Kantone ist somit unterschiedlich.

Die vorliegende Übergangsregelung berücksichtigt somit die kantonale Praxis unter dem bisherigen Artikel 64a KVG und erlaubt den Kantonen zwischen zwei Optionen zu wählen.

In einem ersten Fall können die Kantone die Prämien, Kostenbeteiligungen, Verzugszinse und Betreibungskosten übernehmen, die bis zum Inkrafttreten dieser Änderung fällig geworden sind, und die zur Ausstellung eines Verlustscheins geführt haben. Anschliessend erstatten die Versicherer die erbrachten Leistungen, die Gegenstand eines Aufschubs einer Kostenübernahme («Leistungsaufschub») waren, an den «Honorarschuldner» zurück. Die Schuldner sind je nach anwendbarem System die Versicherten, die Leistungserbringer oder die Kantone, wenn diese z.B. Leistungen im Rahmen der Sozialhilfe gewährt haben.

In einem zweiten Fall übernehmen die Kantone die Ausstände nicht. Die Versicherer erhalten dann die Aufschübe der Kostenübernahmen gemäss Artikel 64a KVG in der bisherigen Fassung aufrecht. Sie zahlen die bis zum Inkrafttreten dieser Änderung erbrachten Leistungen nicht zurück. Die Leistungen werden erst dann rückerstattet, wenn die versicherte Person die Prämien und Kostenbeteiligungen, die Gegenstand des Fortsetzungsbegehrens waren, sowie die angefallenen Verzugszinse und Betreibungskosten vollständig bezahlt haben wird.

Abs. 3 Dieser Absatz bezieht sich auf Artikel 65 dieser Änderung.

Diejenigen Kantone, welche die Prämienverbilligung direkt
an die Versicherten ausrichten, haben innert einer Frist von zwei Jahren ab Inkrafttreten dieser Änderung das System der Prämienverbilligung an die neue Bestimmung (Art. 65 Abs. 1 KVG) anzupassen. Bis der Kanton die neue Bestimmung zur direkten Ausrichtung der Prämienverbilligung an die Versicherer umgesetzt hat, wird die zuständige kantonale Stelle 87 Prozent anstatt 85 Prozent des Gesamtbetrags der Forderungen gemäss Absatz 4 übernehmen. Hierbei wird berücksichtigt, dass der Versicherer das Risiko trägt, den Teil der Prämie, welcher der Prämienverbilligung entspricht, von der versicherten Person nicht zu erhalten. Diesen Teil würde der Versicherer erhalten, wenn der Kanton die Prämienverbilligung direkt an den Versicherer ausrichten 6624

würde. Ausserdem ist es für den Kanton finanziell vorteilhafter, die Zahlungen für die Prämienverbilligung direkt an die versicherten Personen auszurichten. Dies muss ebenfalls berücksichtigt werden.

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Auswirkungen

4.1

Finanzielle und personelle Auswirkungen für den Bund

Die Regelungen der Nichtbezahlung der Prämien betreffen die Beziehungen zwischen den versicherten Personen, den Versicherern und den Kantonen. Soweit die Regelungen auf die Prämienverbilligung Anwendung finden, beziehen sie sich nur auf die Zahlungsmodalitäten der Prämienverbilligung durch die Kantone. Diese neuen Regelungen bewirken weder eine neue Verpflichtung noch eine Ausdehnung bestehender Verpflichtungen für den Bund. Es gibt somit keine finanziellen und personellen Auswirkungen für den Bund.

4.2

Finanzielle und personelle Auswirkungen für die Kantone

Die Mehrheit der Kantone übernimmt bereits heute die Gesamtheit der unbezahlten und uneinbringlichen Forderungen von den Versicherern, damit der Aufschub der Kostenübernahme für die Leistungen, der im derzeitigen Recht vorgesehen ist, aufgehoben werden kann. Einige Kantone haben außerdem mit einigen Versicherern Übereinkommen abgeschlossen, nach denen es keinen Aufschub der Kostenübernahme gibt, wenn der Kanton die Zahlung garantierte. Diese heterogene Praxis wird von nun an durch eine einfache administrative Regelung ersetzt, welche für alle Kantone und alle Versicherer gilt. Diese Praxis kann so nicht als Berechnungsbasis für die derzeitige Regelung dienen.

Ausserdem wird das Volumen der Prämien und der Kostenbeteiligungen, welche Gegenstand von Verlustscheinen sind, nicht in den Statistiken des Bundes erfasst.

Die aktuelle Änderung schreibt zudem vor, dass sobald die versicherte Person ihre Schuld vollständig oder teilweise gegenüber dem Versicherer beglichen hat, dieser 50 Prozent des von der versicherten Person erhaltenen Betrages an den Kanton zurückerstatten muss, so dass es nicht möglich ist, die finanziellen Auswirkungen für die Kantone zu beziffern. Aber man kann dennoch annehmen, dass die finanziellen Auswirkungen geringfügig sein werden. Die Verwaltungserleichterungen müssten deutlich wahrnehmbar sein.

Auch beim System der Prämienverbilligung bleiben die bestehenden Grundsätze bestehen. Nur die Zahlungsmodalitäten sind betroffen: Sie werden von nun an auf nationaler Ebene vereint. Es dürften somit keine finanziellen und personellen Auswirkungen entstehen.

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4.3

Finanzielle Auswirkungen für die Krankenversicherung

Für die Krankenversicherer besteht der hauptsächliche Vorteil dieser Änderung darin, dass sie die Garantie haben, seitens der Kantone spätestens nach der Ausstellung des Verlustscheins 85 % des Gesamtbetrages der uneinbringlichen Forderungen zu erhalten. So können sie ihre finanziellen Verluste vermindern, was schlussendlich der Gesamtheit ihrer Versicherten zugute kommt. Die voraussichtliche wirtschaftliche Auswirkung dieses Vorteils ist schwierig zu ermessen. Die Vereinheitlichung des Vorgehens bei uneinbringlichen Prämien in der ganzen Schweiz stellt auch für die Versicherer eine administrative Vereinfachung dar, die ihnen eine Abnahme ihrer administrativen Kosten erlauben dürfte, selbst wenn es schwierig ist, den Einfluss zu beziffern.

5

Verhältnis zum europäischen Recht

Das europäische Recht (Recht der Europäischen Gemeinschaft und Recht des Europarates) sieht für den im vorliegenden Revisionsentwurf behandelten Bereich keine Normen vor. Die Staaten können die zu diesem Bereich gehörenden Aspekte nach eigenem Ermessen bestimmen.

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Rechtliche Grundlagen

6.1

Verfassungs- und Gesetzmässigkeit

Dieses Gesetz stützt sich auf Artikel 117 der Bundesverfassung, der dem Bund eine umfassende Kompetenz zur Einrichtung der Krankenversicherung verleiht.

6.2

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Die zur Durchführung der sozialen Krankenversicherung notwendigen Regelungskompetenzen (Erlass der Vollzugsbestimmungen) werden dem Bundesrat in Artikel 96 KVG delegiert. Im Rahmen dieser Vorlage ist der Bundesrat überdies befugt, in folgenden Bereichen Bestimmungen zu erlassen: Regelung der Aufgaben des Revisionsstelle, die Modalitäten der Bekanntgabe der Versicherer und zur Zahlung der Kantone (Art. 64a Abs. 7); Lage der versicherten Personen, die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft, in Island oder Norwegen wohnen (Art. 64a Abs. 8); Modalitäten des Datenaustausches nach einem einheitlichen Standard (Art. 65 Abs. 2).

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