zu 02.440 Parlamentarische Initiative SchKG. Begrenzung des Konkursprivilegs für Arbeitnehmerforderungen Bericht vom 26. Juni 2009 der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates Stellungnahme des Bundesrates vom 11. November 2009

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht vom 26. Juni 2009 der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates betreffend Begrenzung des Konkursprivilegs für Arbeitnehmerforderungen nehmen wir nach Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes (ParlG) nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

11. November 2009

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Hans-Rudolf Merz Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Wir danken für die Gelegenheit, zum Entwurf einer Änderung des «Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)» der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates (RK-N) vom 26. Juni 2009 Stellung nehmen zu können.

Der vorliegende Entwurf geht zurück auf die parlamentarische Initiative Zanetti vom 21. Juni 2002 (02.440). Die aufgrund einer breiten Vernehmlassung bereinigte Vorlage zur vorliegenden Teilrevision des Bundesgesetzes vom 11. April 18891 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) wurde von der RK-N am 26. Juni 2009 verabschiedet. Mit Schreiben vom 28. August 2009 unterbreitet die RK-N dem Bundesrat den Entwurf zur Stellungnahme.

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Stellungnahme des Bundesrates

2.1

Grundsätzliche Zustimmung zum Vorschlag der Kommission

Der Bundesrat befürwortet die Stossrichtung der parlamentarischen Initiative und des vorgelegten Entwurfs der RK-N. Mit der vorgeschlagenen Begrenzung des in der ersten Klasse privilegierten Forderungsbetrages wird das auf einen gebührenden Sozialschutz abzielende Konkursprivileg der Arbeitnehmerin und des Arbeitnehmers auf seine ursprüngliche Funktion zurückgeführt; exzessive Löhne sollen der Privilegierung, welche primär den wirtschaftlich abhängigen Arbeitnehmer im Auge hat, nicht mehr in vollem Umfang unterliegen. Das nach geltendem Recht unlimitierte Privileg kann beschränkt werden, ohne dass es seines sozialen Charakters verlustig geht. Zu betonen ist ausserdem, dass ein Arbeitnehmer den darüber hinausgehenden Teilanspruch nicht verliert, sondern diesen weiterhin als gewöhnliche Kurrentforderung in der dritten Klasse geltend machen kann.

Die von der Kommission vorgeschlagene Plafonierung auf den Betrag des gemäss obligatorischer Unfallversicherung maximal versicherten Jahresverdienstes beläuft sich zurzeit auf 126 000 Franken. Dieser Betrag ist damit etwas höher als der von der Expertengruppe Nachlassverfahren in ihrem Bericht vom Juni 20082 vorgeschlagene Höchstbetrag von 100 000 Franken, bewegt sich aber in einer vergleichbaren Grössenordnung. Auch nach Ansicht des Bundesrates ist der vorgeschlagene Betrag angemessen, wobei anzumerken ist, dass der Fixierung solcher Grenzen immer auch ein erhebliches Ermessen innewohnt. Der Klarstellung halber ist ausserdem festzuhalten, dass sich die vorgeschlagene Obergrenze (wie bei der Insolvenzentschädigung, vgl. Artikel 52 Absatz 2 des Bundesgesetzes vom 25. Juni 19823 über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung, AVIG) von gegenwärtig 126 000 Franken auf den Bruttolohn bezieht, d.h. die Ar1 2

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SR 281.1 Der Bericht ist abrufbar auf der Website des Bundesamtes für Justiz, http://www.bj.admin.ch/etc/medialib/data/wirtschaft/gesetzgebung/schuldbetreibung_und.

Par.0004.File.tmp/ve-entw-d.pdf.

SR 837.0

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beitnehmerbeiträge für AHV und Pensionkasse mitumfasst. Diese Beiträge werden im Falle einer Dividendenauszahlung abgezogen und den berechtigten Kassen zugewiesen.

Im Weiteren erachtet der Bundesrat den von der Kommission vorgeschlagenen dynamischen Verweis auf den Betrag des gemäss obligatorischer Unfallversicherung maximal versicherten Jahresbetrages (Art. 22 Absatz 1 der Verordnung vom 20. Dezember 19824 über die Unfallversicherung) als sachgerecht; im Ergebnis führt diese Lösung zu einer regelmässigen Anpassung des privilegierten Höchstbetrages an die Teuerung.

Der Bundesrat ist allerdings der Ansicht, dass die von der RK-N vorgeschlagene Formulierung der Bestimmung, die auf dem geltenden Gesetzestext beruht, im Sinne des Vorschlages optimiert werden sollte, wie ihn die Expertengruppe Sanierungsrecht unterbreitet hat. Danach soll der Zusatz «sowie die Forderungen wegen vorzeitiger Auflösung des Arbeitsverhältnisses infolge Konkurses des Arbeitgebers» gestrichen werden und dafür der Passus «die in den letzten sechs Monaten vor der Konkurseröffnung entstanden oder fällig geworden sind» ersetzt werden mit «die nicht früher als sechs Monate vor der Konkurseröffnung entstanden oder fällig geworden sind.» Es handelt sich dabei um eine redaktionelle Umformulierung, mit welcher insbesondere die Verständlichkeit der neu gefassten Bestimmung erhöht würde. Zudem werden neben den Arbeitnehmern neu auch die Arbeitnehmerinnen erwähnt.

2.2

Behandlung von Ansprüchen aus Sozialplänen

Ein heikles Problem stellt sich im Rahmen der Geltendmachung von Forderungen aus Sozialplänen im Konkurs. Nach geltendem Recht werden solche Forderungen gleich wie die anderen Forderungen aus dem Arbeitsverhältnis behandelt. Dies bedeutet, dass sie nur dann in der ersten Konkursklasse kolloziert werden, wenn sie in den letzten sechs Monaten vor der Konkurseröffnung entstanden oder fällig geworden sind. Damit sind einmalige Austrittsabfindungen nur privilegiert, wenn sie diese Voraussetzung erfüllen, d.h. sie in den letzten sechs Monaten vor der Konkurseröffnung entstanden oder fällig geworden sind, während regelmässige Zahlungen, beispielsweise aus einer Frühpensionierung, nur beschränkt vom Privileg profitieren können: Wurde der Sozialplan in den letzten sechs Monaten vor der Konkurseröffnung vereinbart, fallen sämtliche daraus entstandenen Forderungen in die erste Klasse; andernfalls unterliegen der Privilegierung nur diejenigen Forderungen, die in den betreffenden sechs Monaten fällig geworden sind, d.h. hätten ausbezahlt werden müssen. In Bezug auf zukünftige Forderungen aus Sozialplänen, d.h.

Forderungen, die erst nach Konkurseröffnung entstehen, besteht nach geltendem Recht demgegenüber überhaupt kein Privileg. Solche Forderungen sind als gewöhnliche Forderungen in der dritten Konkursklasse zu kollozieren.

Die von der RK-N vorgeschlagene Begrenzung des Privilegs hätte zur Folge, dass sämtliche Forderungen aus Sozialplänen der betragsmässigen Limitierung unterliegen würden; da solche Forderungen (etwa bei einer Abgangsentschädigung) im Einzelfall auch bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit einem gewöhnlichen Lohn die vorgeschlagene Maximalgrenze überschreiten können, ist nicht auszu4

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schliessen, dass im Einzelfall ein Arbeitnehmer, der Leistungen aus einem Sozialplan bezieht, schlechtergestellt würde als nach geltendem Recht. Dieser Umstand wurde denn auch von verschiedenen Vernehmlassungsteilnehmern ausdrücklich kritisiert. Eine Minderheit der Kommission hat deshalb verlangt, dass Forderungen aus Sozialplänen nicht der Begrenzung zu unterstellen seien.

Auch der Bundesrat ist der Ansicht, dass die vorgeschlagene Begrenzung der Privilegierung nicht dazu führen darf, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die einen Lohn in gewöhnlicher Höhe empfangen, die jedoch gestützt auf einen Sozialplan einen ausserordentlichen, den privilegierten Maximalbetrag überschreitenden Anspruch zugute haben, eine Begrenzung ihres Privilegs und damit in den meisten Fällen eine faktische Verminderung ihres Anspruchs hinnehmen müssen. Die vorgeschlagene Einführung einer Begrenzung des Arbeitnehmerprivilegs will exorbitante Löhne aus dem Anwendungbereich der Privilegierung ausnehmen, weil dort der dem Arbeitnehmerprivileg zugrunde liegende Sozialschutzgedanke nicht mehr spielt; keine Beschränkung des Arbeitnehmerprivilegs von Artikel 219 Absatz 4 Buchstabe a SchKG soll dagegen dort stattfinden, wo dieses sozial motiviert ist. Gerade Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die einem Sozialplan unterstehen, sind regelmässig besonders schutzbedürftig und können nicht mit Empfängern von hohen Löhnen verglichen werden, auf welche die vorliegende parlamentarische Initiative abzielt. Steht einem Arbeitnehmer im Einzelfall ein Anspruch aus einem Sozialplan zu, der den vorgeschlagenen privilegierten Höchstbetrag überschreitet, darf die Privilegierung des Anspruchs deshalb nicht mit dem gleichen Argument begrenzt werden wie beim gewöhnlichen Lohnanspruch. Um den Schutz von Forderungen aus Sozialplänen im Vergleich zum geltenden Recht nicht einzuschränken, sind die betreffenden Forderungen vielmehr aus dem Anwendungsbereich von Artikel 219 Absatz 4 Erste Klasse Buchstabe a SchKG herauszunehmen und neu einem separaten Privileg zu unterstellen, wobei (entgegen dem Antrag der Kommissionsminderheit) die nach geltendem Recht bestehende zeitliche Beschränkung auf Forderungen, die nicht früher als sechs Monate vor der Konkurseröffnung entstanden oder fällig geworden sind, beizubehalten ist.

Die vorgeschlagene neue
Bestimmung von Artikel 219 Absatz 4 Erste Klasse Buchstabe ater SchKG verwendet den Begriff des Sozialplanes, ohne diesen näher zu umschreiben. Auch wenn der Begriff gewisse Unschärfen aufweist, verzichtet der vorliegende Vorschlag bewusst auf eine Legaldefinition. Die Gerichte werden aufgrund der klar erkennbaren Intention des Gesetzgebers die nötigen Abgrenzungen im Einzelfall ohne Weiteres vornehmen können.

2.3

Verhältnis zu bestehenden internationale Verpflichtungen der Schweiz

Hinzuweisen ist zuletzt auf das Übereinkommen Nr. 173 vom 25. Juni 1992 über den Schutz der Forderungen der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit ihres Arbeitgebers (SR 0.822.727.3), welches für die Schweiz am 16. Juni 1996 in Kraft getreten ist. Gemäss Artikel 5 dieses Abkommens sind im Falle der Zahlungsunfähigkeit eines Arbeitgebers «die Forderungen der Arbeitnehmer aus ihrer Beschäftigung durch ein Vorrecht zu schützen, so dass sie aus dem Vermögen des zahlungsunfähigen Arbeitgebers befriedigt werden, bevor den nichtbevorrechteten Gläubigern ihr Anteil ausgezahlt werden kann.» Gemäss Artikel 7 Absatz 1 des Übereinkommens 7992

ist es allerdings zulässig, den Schutz der Forderungen der Arbeitnehmer auf einen vorgeschriebenen Betrag zu begrenzen, wobei jedoch eine «sozial vertretbare Schwelle» nicht unterschritten werden darf. Mit der von der Kommission vorgeschlagenen Obergrenze von zurzeit 126 000 Franken ist diese Voraussetzung erfüllt.

Artikel 7 Absatz 2 des Übereinkommens verlangt zusätzlich, dass eine allfällige Begrenzung des Vorrechts jeweils anzupassen ist, um dessen Wert zu erhalten. Auch dieser Voraussetzung wird der vorliegende Vorschlag gerecht.

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Anträge des Bundesrates

Der Bundesrat befürwortet die Stossrichtung der parlamentarischen Initiative. Im Sinne der vorstehenden Überlegungen beantragt er, die angepasste und ergänzte Fassung der Bestimmung im Sinne der nachfolgenden Formulierung anzunehmen: Art. 219 Abs. 4 Bst. a, abis (neu) und ater (neu) Die nicht pfandgesicherten Forderungen sowie der ungedeckte Betrag der pfandgesicherten Forderungen werden in folgender Rangordnung aus dem Erlös der ganzen übrigen Konkursmasse gedeckt:

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Erste Klasse a.

Forderungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aus dem Arbeitsverhältnis, die nicht früher als sechs Monate vor der Konkurseröffnung entstanden oder fällig geworden sind, höchstens jedoch bis zum Betrag des gemäss obligatorischer Unfallversicherung maximal versicherten Jahresverdienstes.

abis. Rückforderungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern betreffend Kautionen.

ater. Forderungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aus Sozialplänen, die nicht früher als sechs Monate vor der Konkurseröffnung entstanden oder fällig geworden sind.

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