17.046 Botschaft zur Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)» vom 5. Juli 2017

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft beantragen wir Ihnen, die Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)» Volk und Ständen zur Abstimmung zu unterbreiten mit der Empfehlung, die Initiative abzulehnen.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

5. Juli 2017

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Doris Leuthard Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2017-0458

5355

Übersicht Die «Selbstbestimmungsinitiative» will den Vorrang des Verfassungsrechts vor dem Völkerrecht verankern. Zudem sollen die Behörden verpflichtet werden, der Verfassung widersprechende völkerrechtliche Verträge anzupassen und nötigenfalls zu kündigen. Die Initiative tritt mit dem Anspruch an, für Klarheit im Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht zu sorgen. Diesen Anspruch kann sie jedoch in der Praxis nicht einlösen. Die Initiative weist innere Widersprüche auf und droht die für die Schweiz und ihre Unternehmen zentrale Rechts- und Planungssicherheit zu untergraben. Die vorgeschlagenen Verfassungsänderungen halten die Behörden an, sich über bestehende vertragliche Verpflichtungen hinwegzusetzen. Das widerspricht unserer Rechtskultur und schwächt die Position der Schweiz im Verkehr mit anderen Staaten. Die Annahme der Initiative hätte negative aussenpolitische und (aussen-)wirtschaftliche Auswirkungen. Der Bundesrat empfiehlt, die Initiative abzulehnen.

Inhalt der Initiative Mit der sogenannten Selbstbestimmungsinitiative sollen die Artikel 5 und 190 der Bundesverfassung ergänzt und es soll ein neuer Artikel 56a in die Verfassung eingefügt werden. Eine Übergangsbestimmung soll festhalten, dass die geänderten Verfassungsbestimmungen auf alle bereits bestehenden völkerrechtlichen Verpflichtungen des Bundes und der Kantone anwendbar sind.

Neu würde der Bundesverfassung ein genereller Vorrang eingeräumt gegenüber dem Völkerrecht. Vom Vorrang ausgenommen wären einzig die zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts. Im Falle eines Normenkonflikts müssten Bund und Kantone für eine Anpassung (Neuverhandlung) der völkerrechtlichen Verpflichtungen an die Vorgaben der Bundesverfassung sorgen. Würden die Verhandlungen und damit die Anpassung scheitern, beispielsweise weil die Vertragspartner der Schweiz mit einer vorgeschlagenen Vertragsänderung nicht einverstanden sind, so wäre der widersprechende völkerrechtliche Vertrag nötigenfalls zu kündigen.

Nach geltendem Verfassungsrecht ist das Völkerrecht für das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden massgebend. Völkerrecht ist also grundsätzlich auch dann anzuwenden, wenn es mit dem Verfassungsrecht im Konflikt steht.

Laut Selbstbestimmungsinitiative wären künftig nur noch diejenigen völkerrechtlichen Verträge massgebend, deren
Genehmigungsbeschluss dem Referendum unterstanden hat. Übriges Völkerrecht dürfte bei einem Widerspruch zur Bundesverfassung nicht mehr angewendet werden.

Würdigung der Initiative Gewisse Regelungen der Selbstbestimmungsinitiative beziehen sich auf Probleme, die sich in der Praxis gar nicht stellen. So ist bereits heute klar, dass die Bundesverfassung oberste Rechtsquelle der Schweizerischen Eidgenossenschaft ist. Ebenso klar ist das Verbot des Abschlusses völkerrechtlicher Verträge, die der Bundesverfassung widersprechen. Die in der Selbstbestimmungsinitiative angelegte Behaup-

5356

tung eines Gegensatzes zwischen (selbstbestimmt erlassenem) Landesrecht und (fremdem) Völkerrecht trifft nicht zu. Die direktdemokratische Beteiligung beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge ist sichergestellt. Völkerrechtliche Verpflichtungen einzugehen, bedeutet keine Einschränkung, sondern Ausübung der nationalen Souveränität.

Zwar ist das Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht nicht in allen Belangen spannungsfrei. So finden sich in der Verfassung keine generellen Lösungen für die Umsetzung von völkerrechtswidrigen Volksinitiativen. Die Offenheit in Bezug auf das Rangverhältnis zwischen der Bundesverfassung und dem Völkerrecht kann freilich auch als Vorteil angesehen werden. Sie ermöglicht nämlich pragmatische und breit abgestützte Lösungen. Die Selbstbestimmungsinitiative droht hingegen, diesen Weg zu verbauen. Sie fordert mit der Vorrangregel und der Pflicht zur Anpassung und nötigenfalls zur Kündigung völkerrechtlicher Verträge einen Schematismus, wo tatsächlich Differenzierungen geboten sind.

Darüber hinaus hätte die Annahme der Selbstbestimmungsinitiative mehrere nachteilige Auswirkungen für die Schweiz und würde eine Reihe neuer Probleme schaffen. Sie hätte negative Auswirkungen auf die Wirtschaft und würde den internationalen Menschenrechtsschutz schwächen. Die in der Selbstbestimmungsinitiative enthaltene Ermächtigung zum Vertragsbruch beeinträchtigt die Verhandlungsposition der Schweiz und erhöht das Risiko, dass sich die Schweiz völkerrechtlich verantwortlich macht und die entsprechenden Konsequenzen tragen muss (z. B. Suspendierung oder Kündigung durch die andere Vertragspartei, Retorsionen, Repressalien).

Die Selbstbestimmungsinitiative verspricht eine Klärung des Verhältnisses zwischen Landesrecht und Völkerrecht. Mit der Annahme dieser Initiative dürfte jedoch das Gegenteil eintreten. Denn die Selbstbestimmungsinitiative weist mehrere Unklarheiten und Widersprüche auf. So ist schwer durchschaubar, welche konkreten Rangverhältnisse zwischen dem Völkerrecht und den landesrechtlichen Erlassen im Einzelnen gelten würden. Für wichtige Fragen zum Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht würde die Deutungshoheit den Gerichten übertragen.

Antrag des Bundesrates Die mit der Selbstbestimmungsinitiative verfolgten Anliegen können weder im Ansatz noch in den konkreten
Lösungsvorschlägen unterstützt werden. Der Bundesrat beantragt deshalb dem Parlament, Volk und Ständen zu empfehlen, die Volksinitiative ohne direkten Gegenentwurf oder indirekten Gegenvorschlag abzulehnen.

5357

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

5356

1

Formelle Aspekte 1.1 Wortlaut der Initiative 1.2 Vorprüfung und Zustandekommen 1.3 Behandlungsfristen 1.4 Verfahren der Teilrevision

5360 5360 5361 5361 5361

2

Gültigkeit 2.1 Einheit der Form 2.2 Einheit der Materie 2.3 Vereinbarkeit mit den zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts 2.4 Durchführbarkeit

5363 5363 5363

3

Inhalt und Ziele der Initiative aus Sicht der Initianten 3.1 Inhalt der vorgeschlagenen Regelung 3.2 Von den Initiantinnen und Initianten angestrebte Ziele

5366 5366 5367

4

Grundsätzliches zum Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht 4.1 Drei Aspekte im Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht 4.2 Rang des Völkerrechts und Vorgehen bei Normenkonflikten mit dem Landesrecht nach geltendem Recht 4.2.1 Verhinderung von Normenkonflikten als Verfassungsauftrag 4.2.2 Weitere Verfassungsvorgaben 4.2.3 Verhältnis Völkerrecht ­ Bundesgesetz 4.2.4 Verhältnis Völkerrecht ­ Bundesverfassung 4.2.5 Bereinigung eines Normenkonflikts 4.3 Bisherige Diskussionen zum Verhältnis von Völkerrecht und Landesrecht

5

Erläuterung und Auslegung des Initiativtextes 5.1 Bundesverfassung als oberste und gegenüber dem Völkerrecht vorrangige Rechtsquelle (Art. 5 Abs. 1 und 4 E-BV) 5.1.1 Verfassung als oberste Rechtsquelle 5.1.2 Normenhierarchische Überordnung und Kollisionsregel 5.1.3 Begriffliches: «Bundesverfassung» und «Völkerrecht» 5.1.4 Vorbehalt der zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts 5.2 Umgang mit Widersprüchen zwischen der Bundesverfassung und völkerrechtlichen Verpflichtungen (Art. 56a E-BV)

5358

5364 5366

5368 5368 5369 5369 5370 5371 5372 5374 5375 5378 5378 5378 5379 5380 5382 5382

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5.2.1 5.2.2

Ausdrückliches Abschlussverbot Widerspruch zwischen völkerrechtlichen Verpflichtungen und Vorgaben der Bundesverfassung 5.2.3 Anpassung völkerrechtlicher Verpflichtungen 5.2.4 Nötigenfalls Kündigung des widersprechenden völkerrechtlichen Vertrags 5.2.5 Innerstaatliche Zuständigkeit zur Vertragskündigung 5.2.6 Vorbehalt der zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts Eingeschränkter Anwendungsvorrang (Art. 190 E-BV) 5.3.1 Tragweite und Regelungszweck von Artikel 190 BV 5.3.2 Erste Einschränkung: «Völkerrechtliche Verträge» anstatt «Völkerrecht» 5.3.3 Zweite Einschränkung: Anwendungsvorrang nur noch für referendumspflichtige völkerrechtliche Verträge 5.3.4 Auslegungsfragen zum Begriff der Referendumspflicht in Artikel 190 E-BV 5.3.5 Auswirkungen auf das Verhältnis Völkerrecht ­ Bundesgesetz Übergangsbestimmung (Art. 197 Ziff. 12 E-BV)

5382

Würdigung der Initiative und Auswirkungen bei einer Annahme 6.1 Unnötige Regelungsvorschläge 6.2 Ungeeignete Lösungsansätze 6.2.1 Problematik einer schematischen Konfliktregel 6.2.2 Eingeschränkter Handlungsspielraum 6.3 Schaffung neuer Probleme 6.3.1 Schwächung der Vertragstreue und des Geltungsanspruchs des Völkerrechts 6.3.2 Zunehmendes Risiko der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit 6.3.3 Negative (aussen-)wirtschaftliche Auswirkungen 6.3.4 Schwächung des internationalen Menschenrechtsschutzes 6.3.5 Im Initiativtext angelegte Widersprüche und Unklarheiten

5396 5396 5397 5397 5398 5399

7

Kein direkter Gegenentwurf und kein indirekter Gegenvorschlag

5406

8

Schlussfolgerungen

5406

5.3

5.4 6

5383 5385 5386 5388 5389 5389 5389 5390 5391 5392 5394 5395

5399 5400 5401 5402 5403

Literaturverzeichnis

5408

Verzeichnis mehrfach verwendeter Materialien

5409

Bundesbeschluss über die Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)» (Entwurf)

5411

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Botschaft 1

Formelle Aspekte

1.1

Wortlaut der Initiative

Die Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)» hat den folgenden Wortlaut: Die Bundesverfassung1 wird wie folgt geändert: Art. 5 Abs. 1 und 4 Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht. Die Bundesverfassung ist die oberste Rechtsquelle der Schweizerischen Eidgenossenschaft.

1

Bund und Kantone beachten das Völkerrecht. Die Bundesverfassung steht über dem Völkerrecht und geht ihm vor, unter Vorbehalt der zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts.

4

Art. 56a

Völkerrechtliche Verpflichtungen

Bund und Kantone gehen keine völkerrechtlichen Verpflichtungen ein, die der Bundesverfassung widersprechen.

1

Im Fall eines Widerspruchs sorgen sie für eine Anpassung der völkerrechtlichen Verpflichtungen an die Vorgaben der Bundesverfassung, nötigenfalls durch Kündigung der betreffenden völkerrechtlichen Verträge.

2

3

Vorbehalten bleiben die zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts.

Art. 190

Massgebendes Recht

Bundesgesetze und völkerrechtliche Verträge, deren Genehmigungsbeschluss dem Referendum unterstanden hat, sind für das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden massgebend.

Art. 197 Ziff. 122 12. Übergangsbestimmung zu Art. 5 Abs. 1 und 4 (Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns), Art. 56a (Völkerrechtliche Verpflichtungen) und Art. 190 (Massgebendes Recht) Mit ihrer Annahme durch Volk und Stände werden die Artikel 5 Absätze 1 und 4, 56a und 190 auf alle bestehenden und künftigen Bestimmungen der Bundesverfas1 2

SR 101 Die endgültige Ziffer dieser Übergangsbestimmung wird nach der Volksabstimmung von der Bundeskanzlei festgelegt.

5360

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sung und auf alle bestehenden und künftigen völkerrechtlichen Verpflichtungen des Bundes und der Kantone anwendbar.

1.2

Vorprüfung und Zustandekommen

Die Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)» wurde am 25. Februar 2015 von der Bundeskanzlei vorgeprüft3 und am 12. August 2016 mit den nötigen Unterschriften eingereicht. Im Rahmen der Vorprüfung hat die Bundeskanzlei festgestellt, dass die Unterschriftenbogen und der Titel der Selbstbestimmungsinitiative die gesetzlichen Formerfordernisse erfüllen.

Mit Verfügung vom 6. September 2016 stellte die Bundeskanzlei fest, dass die Initiative mit 116 428 gültigen Unterschriften zustande gekommen ist.4

1.3

Behandlungsfristen

Die Initiative hat die Form des ausgearbeiteten Entwurfs. Der Bundesrat unterbreitet dazu weder einen direkten Gegenentwurf noch einen indirekten Gegenvorschlag.

Nach Artikel 97 Absatz 1 Buchstabe a des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 20025 (ParlG) hat der Bundesrat somit spätestens bis zum 12. August 2017 einen Beschlussentwurf und eine Botschaft zu unterbreiten. Die Bundesversammlung hat nach Artikel 100 ParlG innert 30 Monaten nach Einreichung einer Volksinitiative und damit bis zum 12. Februar 2019 über die Abstimmungsempfehlung zu beschliessen. Fasst ein Rat Beschluss über einen Gegenentwurf oder über einen mit der Volksinitiative eng zusammenhängenden Erlassentwurf, so kann die Bundesversammlung die Behandlungsfrist um ein Jahr (bis zum 12. Februar 2020) verlängern (Art. 105 Abs. 1 ParlG).

1.4

Verfahren der Teilrevision

Die Artikel 193 und 194 der Bundesverfassung6 (BV) unterscheiden zwischen der Totalrevision und der Teilrevision der Bundesverfassung. Die Unterscheidung hat folgende Bedeutung:7 Erstens gelten unterschiedliche Verfahrensregeln (vgl.

Art. 193 Abs. 1­3 BV für die Totalrevision und Art. 194 Abs. 1 BV für die Teilrevision). Zweitens dürfen Volksinitiativen auf Totalrevision nur die Einleitung des Revisionsverfahrens vorschlagen (Art. 138 BV), während mit Volksinitiativen auf Teilrevision (sei es in der Form der allgemeinen Anregung oder des ausgearbeiteten Entwurfs) bestimmte Verfassungsinhalte verlangt werden können. Es ist denn auch folgerichtig, dass der Grundsatz der Einheit der Materie nur für die Teilrevision gilt und dafür sorgt, dass im Rahmen einer Teilrevision nur Änderungen beantragt 3 4 5 6 7

BBl 2015 1965 BBl 2016 7091 SR 171.10 SR 101 Vgl. Tschannen, § 44 N. 1.

5361

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werden können, die miteinander in einem sachlichen Zusammenhang stehen. Die Praxis der Bundesbehörden stellt für die Unterscheidung zwischen Total- und Teilrevision auf formelle und materielle Kriterien ab:8 ­

Formelle Kriterien: Eine Totalrevision liegt vor, wenn die alte Verfassungsurkunde durch eine neue ersetzt wird. Thematisch steht der ganze Verfassungsstoff und formal stehen alle Regelungen der «alten» Verfassung zur Disposition.9 Um eine Teilrevision geht es dagegen, wenn nur einzelne (eine oder mehrere) Verfassungsnormen geändert, aufgehoben oder neu in die bestehende Verfassung eingefügt werden.

­

Materielle Kriterien:10 Die Initiative auf Teilrevision muss sich auch inhaltlich auf eine partielle Revision beschränken; sie darf keine verkappte Totalrevision sein. Eine Totalrevision würde dann angestrebt, wenn die Initiative Grundprinzipien der Verfassung (z. B. Föderalismus, demokratische Grundlegung der Schweiz) ändern will. Eine solche Initiative könnte nicht mehr sinnvoll in die geltende Bundesverfassung eingefügt werden. Auf eine verkappte Totalrevision darf indessen nicht bereits dann geschlossen werden, wenn die Initiative auf die Änderung wichtiger Verfassungsvorschriften zielt.11

Die Selbstbestimmungsinitiative will zwei bestehende Verfassungsnormen ergänzen (Art. 5 und 190 BV) sowie eine neue Norm (Art. 56a E-BV) und eine Übergangsbestimmung (Art. 197 Ziff. 12 E-BV) in die Verfassung einfügen. Formal betrachtet erfasst die Selbstbestimmungsinitiative nur einzelne Verfassungsbestimmungen; sie ist gegenständlich klar begrenzt. Inhaltlich soll im Kern durch Änderung von Artikel 5 Absatz 4 BV der Vorrang des Verfassungs- gegenüber dem Völkerrecht verankert werden. Die übrigen Änderungen (Art. 5 Abs. 1, Art. 56a, 190, 197 Ziff. 12 E-BV) treffen weitere Festlegungen namentlich über die Rechtsfolgen der Vorrangregel. Die Selbstbestimmungsinitiative betrifft Fragen des Verhältnisses zwischen Völkerrecht und Landesrecht und damit gewiss wichtige Fragen unserer Rechtsordnung, die Verfassungsrang haben.12 Hingegen ändert die Selbstbestimmungsinitiative nichts an den «strukturbestimmenden Grundentscheidungen» der Bundesverfassung (Demokratie, Bundesstaat, Rechtsstaat und Sozialstaat). 13 Eine solche Tragweite wurde beispielsweise diskutiert bei der Neugestaltung des Finanzaus8 9 10

11 12

13

Botschaft nBV, S. 431.

Biaggini, Art. 192 N. 5.

Das Abstellen (auch) auf materielle Unterscheidungskriterien ist in der Doktrin nicht unbestritten. Kritisiert werden namentlich die schwierige Handhabung (wann ist eine Teilrevision so «grundlegend», dass sie als «materiell total» qualifiziert werden muss?) und das Risiko, die Figur der materiellen Totalrevision als Mittel zu missbrauchen, um politisch unerwünschte Initiativen mit radikalem Inhalt ungültig zu erklären (vgl. Tschannen, § 44 N. 5).

Vgl. mit Beispielen Hangartner/Kley, N. 814.

Vgl. dazu auch die Botschaft des Bundesrates vom 25. Mai 1988 über die Volksinitiative «für eine Schweiz ohne Armee und für eine umfassende Friedenspolitik», BBl 1988 II 967, hier 971. Der Bundesrat hielt dort fest, dass es sich bei der angestrebten Abschaffung der Armee zwar um eine «staatsgestaltende Grundentscheidung» handle, doch sei diese mit Rücksicht auf die seit Langem verfolgte Praxis im Verfahren der Teil- und nicht der Totalrevision zu behandeln.

Botschaft nBV, S. 14 ff.

5362

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gleichs und der Aufgaben zwischen Bund und Kantonen (NFA), die als Föderalismusreform konzipiert war.14 Auch im Vergleich dazu wird deutlich, dass die Selbstbestimmungsinitiative auf eine Teilrevision der Verfassung zielt und im entsprechenden Verfahren zu behandeln ist.15

2

Gültigkeit

2.1

Einheit der Form

Die Volksinitiative auf Teilrevision der Bundesverfassung kann die Form der allgemeinen Anregung oder des ausgearbeiteten Entwurfs haben (Art. 139 Abs. 2 BV).

Nach Artikel 75 Absatz 3 des Bundesgesetzes vom 18. Dezember 197616 über die politischen Rechte (BPR) sind Mischformen nicht zulässig.

Die Selbstbestimmungsinitiative hat die Form des ausgearbeiteten Entwurfs. Die Einheit der Form ist folglich gewahrt.

2.2

Einheit der Materie

In Ausführung von Artikel 139 Absatz 3 BV bestimmt Artikel 75 Absatz 2 BPR, dass eine Volksinitiative den Grundsatz der Einheit der Materie wahrt, wenn zwischen den einzelnen Teilen einer Initiative ein sachlicher Zusammenhang besteht.

Der Grundsatz soll sicherstellen, dass die freie und unverfälschte Stimmabgabe gewährleistet ist. Dies setzt voraus, dass Stimmbürgerinnen und Stimmbürger ihre Meinung über eine bestimmte thematisch eingegrenzte Frage äussern können. Der Grundsatz soll deshalb verhindern, dass mehrere vermischte Postulate in einem Begehren zusammengefasst werden mit dem Ziel, einfacher Unterstützung und damit die erforderliche Unterschriftenzahl zu erlangen. Ist die Initiative zustande gekommen, soll bei der Abstimmung sichergestellt werden, dass den Stimmberechtigten nicht verschiedene, innerlich unzusammenhängende Forderungen vorgelegt werden.

Die Bundesversammlung vertritt einen eher grosszügigen Einheitsbegriff. 17 Die Selbstbestimmungsinitiative wahrt die Einheit der Materie. Ihre einzelnen Regelungselemente stehen untereinander in einem sachlichen Zusammenhang: Artikel 5 Absatz 4 E-BV verankert den Vorrang des Verfassungs- gegenüber dem Völkerrecht, und Artikel 56a Absatz 2 E-BV normiert Rechtsfolgen (Anpassungs- und Kündigungspflicht) dieser Vorrangregel. Der in Artikel 5 Absatz 4 E-BV verankerte Geltungsvorrang (des Verfassungsrechts gegenüber dem Völkerrecht) hängt ferner hinreichend eng zusammen mit Artikel 190 E-BV; diese Bestimmung umschreibt die Tragweite des sogenannten Anwendungsvorrangs und legt fest, dass referendumspflichtige völkerrechtliche Verträge, die verfassungswidrig (geworden) sind, 14 15 16 17

Botschaft des Bundesrates vom 14. Nov. 2001 zur Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgaben zwischen Bund und Kantonen (NFA), BBl 2002 2291, hier 2323 f.

Vgl. demgegenüber Keller/Weber, S. 1020 f., die mit Verweis auf die inhaltliche Bedeutung ein Totalrevisionsverfahren bevorzugen.

SR 161.1 Botschaft nBV, S. 433.

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bis zu ihrer Anpassung bzw. Kündigung anwendbar bleiben. Schliesslich besteht auch ein enger Sachzusammenhang zur Übergangsbestimmung, die namentlich festlegt, dass auch bestehende völkerrechtliche Verpflichtungen von den neuen Vorrangs-, Anpassungs- und Kündigungsregeln erfasst wären.

Die einzelnen Regelungselemente der Selbstbestimmungsinitiative stehen nicht nur untereinander in einem Sachzusammenhang. Vielmehr beziehen sie sich allesamt auch auf ein einheitliches Thema, nämlich auf die Stellung des Völkerrechts in der Schweizer Rechtsordnung, und verfolgen damit das gleiche Ziel.

Der in der Lehre vereinzelt geäusserten Auffassung, wonach die Selbstbestimmungsinitiative die Einheit der Materie verletze, 18 ist Folgendes entgegenzuhalten: Weder sind Unklarheiten und Rechtsunsicherheiten einer Verfassungsinitiative ein (selbstständiger) Ungültigkeitsgrund (vgl. die Auflistung in Art. 139 Abs. 3 BV), noch kann von der Unklarheit einzelner Verfassungsbestimmungen auf eine Verletzung der Einheit der Materie geschlossen werden. Ferner fliesst aus dem Grundsatz der Einheit der Materie kein Anspruch der Stimmberechtigten, dass ihnen einzelne, allenfalls besonders wichtige Teile einer Vorlage gesondert zur Abstimmung unterbreitet werden. Verfassungsinitiativen beinhalten fast immer mehrere Massnahmen oder sogar ganze Massnahmenbündel, und Stimmberechtigte befinden sich regelmässig in der Situation, dass sie gewissen Massnahmen zustimmen und andere Massnahmen ablehnen möchten. Nach einer persönlichen Abwägung einzelner Vorund Nachteile müssen sie einen Gesamtentscheid fällen. Dieser Entscheidungsprozess führt nicht in eine (rechtserhebliche) Zwangslage, aus welcher unmittelbar auf das Fehlen des sachlichen Zusammenhangs geschlossen werden darf. Vielmehr ist umgekehrt zu untersuchen, ob die einzelnen Regelungselemente einen sachlichen Zusammenhang aufweisen. Wie soeben ausgeführt, sind die einzelnen Bestimmungen materiell und konzeptionell miteinander verbunden. Im Zentrum steht die Vorrangregel (Art. 5 Abs. 4 E-BV); die übrigen Änderungen (Art. 5 Abs. 1, Art. 56a, 190, 197 Ziff. 12 E-BV) treffen weitere Festlegungen namentlich über Rechtsfolgen aus der Vorrangregel. Aus dem Grundsatz der Einheit der Materie wird etwa abgeleitet, die Annahme einer inhaltlich eng formulierten Volksinitiative, die mit
einem breit gefassten völkerrechtlichen Vertrag punktuell im Widerspruch steht, dürfe nicht ohne Weiteres als Auftrag zur Kündigung der entsprechenden Vereinbarung verstanden werden, weil es dabei um zwei unterschiedliche Fragestellungen gehe. 19 Hier handelt es sich aber um eine andere Konstellation: Die Selbstbestimmungsinitiative formuliert explizit eine Konfliktregel, die gegebenenfalls auch zur Kündigung führen kann. Dies ist unter dem Gesichtswinkel der Einheit der Materie nicht zu beanstanden. Die Selbstbestimmungsinitiative wahrt daher die Einheit der Materie.

2.3

Vereinbarkeit mit den zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts

Der Verstoss einer Volksinitiative gegen zwingende Bestimmungen des Völkerrechts führt gemäss Artikel 139 Absatz 3 BV zur (ganzen oder teilweisen) Ungül18 19

Keller/Weber, S. 1016 ff.

Künzli, S. 69; Blum/Naegeli/Peters, S. 556 f.

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tigerklärung. Der Verfassungstext selber konkretisiert diesen Begriff nicht. Allerdings haben Bundesrat und Bundesversammlung dazu eine Praxis entwickelt.

Demnach zählen die folgenden Normen zu den «zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts»:20 ­

Vorab Normen des zwingenden Völkerrechts (ius cogens), wie es Artikel 53 zweiter Satz des Wiener Übereinkommens vom 23. Mai 196921 über das Recht der Verträge (VRK) allgemein umschreibt. Ius cogens bezeichnet die fundamentalen Normen des Völkerrechts, von denen keine Abweichung zulässig ist.22

­

Der Bundesrat hat ferner wiederholt bestätigt, dass auch die notstandsfesten Garantien der Konvention vom 4. November 195023 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) unter den Begriff der zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts fallen (vgl. die Auflistung in Art. 15 Abs. 2): das Verbot willkürlicher Tötung (Art. 2), das Verbot der Folter (Art. 3), das Verbot der Sklaverei und der Leibeigenschaft (Art. 4 Abs. 1), der Grundsatz «Keine Strafe ohne Gesetz» (Art. 7) und ausserdem das Verbot der Doppelstrafe beziehungsweise der Grundsatz «ne bis in idem» (Art. 4 des Protokolls Nr. 7 vom 22. Nov. 198424 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten).

­

Die Praxis der Bundesbehörden hat einzelnen notstandsfesten Garantien des Internationalen Pakts vom 16. Dezember 196625 über bürgerliche und politische Rechte (UNO-Pakt II) den Gehalt von «zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts» zuerkannt.26

Gemäss ausdrücklichem Artikel 5 Absatz 4 zweiter Satz E-BV erstreckt sich der Vorrang des Verfassungsrechts nicht auf die zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts. Auch Artikel 56a Absatz 3 E-BV verankert den Vorbehalt der zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts. Damit ist auch dieses Gültigkeitserfordernis gewahrt.

20

21 22

23 24 25 26

Eingehend dazu Zusatzbericht Völkerrecht/Landesrecht, S. 3625 ff. Vgl. ferner Botschaft nBV, S. 433 f. sowie die Botschaft des Bundesrates vom 27. August 2008 zur Volksinitiative «Gegen den Bau von Minaretten», BBl 2008 7603, 7609 ff.

SR 0.111; in Kraft getreten für die Schweiz am 6. Juni 1990.

Art. 53 Satz 2 VRK: «Im Sinne dieses Übereinkommens ist eine zwingende Norm des allgemeinen Völkerrechts eine Norm, die von der internationalen Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit angenommen und anerkannt wird als eine Norm, von der nicht abgewichen werden darf und die nur durch eine spätere Norm des allgemeinen Völkerrechts derselben Rechtsnatur geändert werden kann.» Vgl. für eine Auflistung von Garantien und Rechten mit Ius-cogens-Charakter: Botschaft Durchsetzungsinitiative, S. 9468 f.

SR 0.101; in Kraft getreten für die Schweiz am 28. November 1974.

SR 0.101.07 SR 0.103.2 Vgl. für weitere Hinweise und eine inhaltliche Auflistung: Botschaft Durchsetzungsinitiative, S. 9469.

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2.4

Durchführbarkeit

Die offensichtliche faktische Undurchführbarkeit gilt als einzige ungeschriebene Schranke der Verfassungsrevision.27 Undurchführbarkeit setzt naturgesetzlich Unmögliches oder zeitlich Gegenstandsloses voraus. Gemessen an diesen Anforderungen erweist sich die Selbstbestimmungsinitiative als faktisch durchführbar.

Allerdings stellt sich die Frage nach dem Umgang mit völkerrechtlichen Verträgen, bei denen die Kündbarkeit allgemein verneint wird. Konkret wird die Frage der Kündbarkeit namentlich in Bezug auf den UNO-Pakt II diskutiert.28 Vor diesem Hintergrund könnte gefolgert werden, die Pflicht gemäss Artikel 56a Absatz 2 E-BV, nämlich nach einer gescheiterten Anpassung verfassungswidersprechende völkerrechtliche Verträge nötigenfalls zu kündigen, sei in Bezug auf unkündbare völkerrechtliche Verträge nicht erfüllbar (undurchführbar) und die Selbstbestimmungsinitiative folglich teilweise ungültig zu erklären. Eine solche Folgerung erscheint indessen nicht statthaft: ­

Artikel 56a Absatz 2 E-BV lässt sich so auslegen, dass die darin verankerte Kündigungspflicht nur Wirkung entfalten kann in Bezug auf kündbare völkerrechtliche Verträge. Darüber hinaus ist festzuhalten, dass die Kündbarkeit völkerrechtlicher Verträge die Regel ist. Die Vorgabe gemäss Artikel 56a Absatz 2 E-BV könnte also ­ im Widerspruchsfall und bei gescheiterter Anpassung ­ in den meisten Fällen erfüllt werden.

­

In Anknüpfung namentlich an die Praxis bei Volksinitiativen, die gegen Bestimmungen in unkündbaren völkerrechtlichen Verträgen verstossen,29 würde auch die Nichterfüllbarkeit der Kündigungspflicht gemäss Artikel 56a Absatz 2 E-BV keine faktische, sondern gegebenenfalls eine rechtliche Undurchführbarkeit bewirken. Die bloss rechtliche Undurchführbarkeit stellt jedoch keinen Grund dar, um eine Volksinitiative für ungültig zu erklären.

­

Im Übrigen steht die allfällige Unkündbarkeit eines völkerrechtlichen Vertrags der Vorrangregel gemäss Artikel 5 Absatz 4 E-BV nicht entgegen.

3

Inhalt und Ziele der Initiative aus Sicht der Initianten

3.1

Inhalt der vorgeschlagenen Regelung

Mit der Selbstbestimmungsinitiative soll der Vorrang des Verfassungsrechts gegenüber dem Völkerrecht in der Bundesverfassung verankert werden. Völkerrechtliche Verträge, die der Bundesverfassung widersprechen, sind anzupassen und nötigenfalls zu kündigen. Die Anpassungs- und Kündigungspflicht findet sowohl auf künftige wie auch auf bereits bestehende Konflikte zwischen völkerrechtlichen Verträgen und der Bundesverfassung Anwendung.

27 28 29

Botschaft nBV, S. 433.

Vgl. Bericht EMRK, S. 404 f. m.w.H.

Bericht Völkerrecht/Landesrecht, S. 2334 f.; Tschannen, § 44 Rz. 26b.

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Im Detail sollen mit der Selbstbestimmungsinitiative die Artikel 5 und 190 BV ergänzt und es soll ein neuer Artikel 56a in die Verfassung eingefügt werden. Eine Übergangsbestimmung soll festschreiben, dass die geänderten Verfassungsnormen auf alle bestehenden und künftigen Bestimmungen der Bundesverfassung und auf alle bestehenden und künftigen völkerrechtlichen Verpflichtungen des Bundes und der Kantone anwendbar sind (Art. 197 Ziff. 12 E-BV).

Inhaltlich zielt die Selbstbestimmungsinitiative im Wesentlichen auf die folgenden Änderungen (vgl. für die Erläuterung und Auslegung des Initiativtextes unten Ziff. 5): ­

Es soll in Artikel 5 Absätze 1 und 4 BV der Vorrang des Verfassungsrechts gegenüber dem Völkerrecht verankert werden (Vorrangregel).

­

Durch den neuen Artikel 56a BV würden Bund und Kantone verpflichtet, der Verfassung widersprechende völkerrechtliche Verträge anzupassen und nötigenfalls zu kündigen (Anpassungs- und Kündigungspflicht).

­

Die Tragweite des sogenannten Anwendungsvorrangs in Artikel 190 BV soll sich nicht mehr auf sämtliches Völkerrecht und auf sämtliche völkerrechtlichen Verträge erstrecken, sondern nur noch auf solche, deren Genehmigungsbeschluss dem Referendum unterstanden hat (Einschränkung des Anwendungsvorrangs).

Die genannten Verfassungsbestimmungen würden den betroffenen Behörden von Bund und Kantonen Handlungs- und Unterlassungspflichten auferlegen, ohne dass dafür der Erlass eines Ausführungsgesetzes notwendig wäre. 30

3.2

Von den Initiantinnen und Initianten angestrebte Ziele

Laut den Initiantinnen und Initianten haben in den letzten Jahren das Bundesgericht und der Bundesrat mit Unterstützung von Vertreterinnen und Vertretern der Rechtswissenschaft den Vorrang des Völkerrechts gegenüber dem Landesrecht (Verfassungsrecht) verwirklicht. Häufig würden sich Bundesrat und Parlament mit Verweis auf völkerrechtliche Verpflichtungen weigern, angenommene Volksinitiativen (vollständig) umzusetzen. Vorläufiger Höhepunkt dieser Entwicklung bilde das Urteil BGE 139 I 16. Darin habe das Bundesgericht die fundamentale Frage, wer die oberste rechtsetzende Gewalt im Staat sei, im Sinne des Völkerrechts und vor allem im Sinne der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) beantwortet. Diese Entwicklung müsse umgekehrt werden. Deshalb erkläre die Selbstbestimmungsinitiative die Bundesverfassung zur obersten Rechtsquelle der Schweizerischen Eidgenossenschaft und stelle damit sicher, dass Normenkonflikte zugunsten des Landesrechts gelöst würden. Damit wird es laut den Initiantinnen und Initianten künftig möglich, Entscheide von Volk und Ständen vollständig umzusetzen. Das Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht könne

30

Vgl. so auch Argumentarium Selbstbestimmungsinitiative, S. 34.

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mit der Selbstbestimmungsinitiative geklärt und damit Rechtssicherheit und Stabilität hergestellt werden.31

4

Grundsätzliches zum Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht

Zum besseren Verständnis der Erläuterungen zum Initiativtext (Ziff. 5) und der Würdigung der Selbstbestimmungsinitiative (Ziff. 6) werden nachfolgend die wichtigsten Aspekte im Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht und die geltende Rechtspraxis dargelegt (Ziff. 4.1 und 4.2). Dazu gehört auch ein Abriss über die zu diesem Thema in der jüngeren Zeit relativ intensiv geführten Diskussionen.

4.1

Drei Aspekte im Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht

Das Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht umfasst drei verschiedene Aspekte.32 Demnach ist zu unterscheiden zwischen Geltung, Anwendbarkeit und Rang des Völkerrechts.

In der Schweiz erlangen völkerrechtliche Verträge mit ihrer völkerrechtlichen Verbindlichkeit automatisch auch landesrechtliche Geltung (monistisches System). Es braucht also, anders als in Staaten, die ein dualistisches System kennen, keine Umformung (Transformation) des Völkerrechts in das nationale Recht. 33 Der Systementscheid für den Monismus hat keinen Einfluss auf den Rang des Völkerrechts. Auch die Verbindlichkeit völkerrechtlicher Verpflichtungen im Aussenverhältnis (vgl. Ziff. 4.2.1 und 6.3.1) besteht unabhängig von dieser Systemfrage. 34 Die Selbstbestimmungsinitiative ändert nichts am Entscheid zugunsten des monistischen Systems.

Völkerrechtliche Normen sind dann direkt anwendbar («self-executing»), wenn sie genügend konkret und bestimmt sind, sodass Private (natürliche und juristische Personen) daraus unmittelbar Rechte und Pflichten ableiten und vor Verwaltungsund Gerichtsbehörden geltend machen können.35 Demgegenüber sind völkerrechtliche Normen, die sich an staatliche Rechtsetzungsorgane richten, bloss indirekt anwendbar («non-self-executing»); insbesondere verschaffen solche Rahmen- oder Programmbestimmungen keine individuellen Rechtsansprüche und bedürfen einer gesetzlichen Ausführung. Auf diese Grundsätze der Anwendbarkeit des Völkerrechts hat die Selbstbestimmungsinitiative keinen direkten Einfluss. Wenn allerdings eine Verfassungsbestimmung einer direkt anwendbaren Völkerrechtsnorm wider31 32

33 34 35

Argumentarium Selbstbestimmungsinitiative, S. 4 f., 12 und 14.

Vgl. dazu und zum Folgenden Bericht Völkerrecht/Landesrecht, S. 2284 ff. (im Allgemeinen) und S. 2301 ff. (betreffend das Schweizer Recht); Bericht BR zum Po. 13.3805, S. 4 f.

BGE 127 II 177 E. 2c S. 181.

Vgl. auch die Stellungnahme des Bundesrates vom 28. Mai 2014 zur Mo. 14.3221 Reimann «Dualismus statt Monismus».

BGE 142 II 161 E. 4.5.1; 140 II 185 E. 4.2.

5368

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spricht, richtet sich die Anwendbarkeit der Völkerrechtsnorm nach Artikel 190 BV (vgl. dazu Ziff. 5.3).

Mit der Selbstbestimmungsinitiative soll indessen neu eine Regel in die Bundesverfassung aufgenommen werden, die den Vorrang des Verfassungsrechts vor dem Völkerrecht verankert. Damit soll die heutige Rechtslage (vgl. dazu die nachstehende Ziff. 4.2) hinsichtlich des Rangs des Völkerrechts und des Vorgehens bei Normenkonflikten geändert werden.

4.2

Rang des Völkerrechts und Vorgehen bei Normenkonflikten mit dem Landesrecht nach geltendem Recht

4.2.1

Verhinderung von Normenkonflikten als Verfassungsauftrag

Bund und Kantone sind auch in ihren Aussenbeziehungen an die Verfassung gebunden. Aus dieser Bindung ergibt sich für Bundesrat und Parlament die Pflicht, keine neuen völkerrechtlichen Verträge abzuschliessen, die dem Landesrecht widersprechen. Nötigenfalls ist widersprechendes Verfassungs- oder Gesetzesrecht vor dem Vertragsabschluss anzupassen. Artikel 141a BV sieht dafür auch die Möglichkeit sogenannter Paketlösungen vor: Verfassungs- oder Gesetzesänderungen, die der Umsetzung eines völkerrechtlichen Vertrags dienen, können in den (dem obligatorischen oder fakultativen Referendum unterstehenden) Genehmigungsbeschluss aufgenommen werden. Die Schweiz als Vertragspartei kann ferner, soweit nötig und zulässig, Vorbehalte anbringen, um damit die rechtliche Wirkung bestimmter Vertragsbestimmungen ihr gegenüber auszuschliessen oder abzuändern. Das Verfahren zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge enthält also mehrere wirksame Instrumente und Sicherungen, die darauf abzielen, dass gar nicht erst ein Normenkonflikt zwischen völkerrechtlichen und landesrechtlichen Bestimmungen auftritt.

Normenkonflikte haben daher ihren Ursprung in aller Regel darin, dass eine Verfassungsänderung oder der Erlass eines Bundesgesetzes einen Konflikt mit bestehendem Völkerrecht herbeiführt. Zwar dürfen Verfassungsvorlagen die zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts nicht verletzen (Art. 193 Abs. 4, Art. 194 Abs. 2 BV); eine entsprechende Volksinitiative muss die Bundesversammlung für ganz oder teilweise ungültig erklären (Art. 139 Abs. 3 BV; vgl. auch Ziff. 2.3). Hingegen kann über Volksinitiativen abgestimmt werden, die gegen nicht zwingende Bestimmungen des Völkerrechts verstossen. Mit ihrer Annahme durch Volk und Stände wird auch eine solche Volksinitiative zu gültigem Verfassungsrecht. Dabei kann der Normenkonflikt im Verhältnis zwischen Bundesverfassung und Völkerrecht zutage treten (wenn das völkerrechtswidrige Verfassungsrecht direkt anwendbar ist) oder im Verhältnis zwischen Bundesgesetz und Völkerrecht (wenn das völkerrechtswidrige Verfassungsrecht mit Gesetzesrecht umzusetzen ist).

In vielen Fällen lässt sich ein Normenkonflikt durch völkerrechtskonforme Auslegung des Verfassungs- oder Gesetzesrechts abwenden. Diese Auslegungsmethode hat die Funktion, die völkerrechtliche und die landesrechtliche Norm in Einklang zu 5369

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bringen. Dabei wird der landesrechtlichen Norm unter mehreren vertretbaren Lesarten jene Bedeutung beigemessen, die dem Sinn der völkerrechtlichen Norm entspricht. Es handelt sich also nicht um eine Regel, die eingetretene Konflikte zwischen völker- und landesrechtlichen Normen löst; vielmehr geht es darum, solche Konflikte bereits im Ansatz zu verhindern. Denn solange eine landesrechtliche Norm völkerrechtskonform ausgelegt werden kann, besteht kein Normenkonflikt.

Die Pflicht zur völkerrechtskonformen Auslegung fusst auf Artikel 5 Absätze 3 und 4 BV. Es handelt sich dabei um das landesrechtliche Gegenstück zu den in den Artikeln 26 und 27 VRK verankerten und auch gewohnheitsrechtlich anerkannten36 völkerrechtlichen Pflichten, wonach die Vertragsparteien einen Vertrag nach Treu und Glauben zu erfüllen haben (Grundsatz pacta sunt servanda) und sich nicht auf innerstaatliches Recht berufen dürfen, um die Nichterfüllung eines Vertrags zu rechtfertigen.37 Die völkerrechtskonforme Auslegung fusst ferner auf der Vermutung, wonach der (ebenfalls an Art. 5 Abs. 4 BV gebundene) Gesetzgeber grundsätzlich kein völkerrechtswidriges Landesrecht schaffen will. Im Ergebnis stärkt die völkerrechtskonforme Auslegung ­ ebenso wie die verfassungskonforme Auslegung ­ die Einheit der Rechtsordnung.38 Es kann indessen nicht ausgeschlossen werden, dass die Vorrangregel gemäss Artikel 5 Absatz 4 E-BV die Tragweite der völkerrechtskonformen Auslegung zurückdrängen würde (vgl. Ziff. 5.1.2).

4.2.2

Weitere Verfassungsvorgaben

Normenkonflikte zwischen völkerrechtlichen und landesrechtlichen Bestimmungen sind in der Praxis selten. Wenn doch ein solcher Normenkonflikt auftritt, handelt es sich in der Regel um den Widerspruch zwischen einem völkerrechtlichen Vertrag und einer bundesgesetzlichen Bestimmung. Die Verfassung enthält zum Rang des Völkerrechts und zum Umgang mit Normenkonflikten die folgenden allgemeinen Vorgaben: Zunächst ist der Bundesverfassung39 sowie Artikel 53 VRK zu entnehmen, dass die zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts innerhalb der landesrechtlichen (und innerhalb der völkerrechtlichen) Normenhierarchie zuoberst stehen.

Gemäss Artikel 5 Absatz 4 BV beachten Bund und Kantone das Völkerrecht. Die Pflicht zur Beachtung verankert den Grundsatz, wonach völkerrechtliche Normen entgegenstehenden landesrechtlichen Normen prinzipiell vorgehen. Die Begründung für den grundsätzlichen Vorrang des Völkerrechts ergibt sich insbesondere aus den (auch gewohnheitsrechtlich geltenden) Artikeln 26 und 27 VRK (vgl. zum Inhalt dieser Bestimmungen Ziff. 4.2.1). Aus Artikel 5 Absatz 4 BV ergibt sich jedoch kein vorbehaltloser Vorrang des Völkerrechts.40 Auch lässt sich aus dieser Ver36 37 38 39 40

Vgl. etwa BGE 142 II 35 E. 3.2 S. 39.

Der Grundsatz des Handelns nach Treu und Glauben ist auch im Zivilrecht bedeutsam (vgl. Art. 2 Abs. 1 ZGB; SR 210) und durchzieht die ganze Rechtsordnung.

Bericht Völkerrecht/Landesrecht, S. 2306 f.

Vgl. die Art. 139 Abs. 3, 193 Abs. 4 und 194 Abs. 2 BV.

Vgl. demgegenüber Art. 49 Abs. 1 BV, der einen strikten Vorrang des Bundesrechts gegenüber dem kantonalen Recht verankert.

5370

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fassungsnorm keine Regel zur Lösung von Konflikten zwischen Völkerrechts- und Landesrechtsnormen ableiten.41 Artikel 190 BV erklärt Bundesgesetze und Völkerrecht für das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden als «massgebend». Dabei äussert sich Artikel 190 BV nur zur Frage, wie im Rahmen der Rechtsanwendung zu verfahren ist, wenn ein Normenkonflikt auftritt zwischen Bundesgesetz oder Völkerrecht einerseits und Bundesverfassung andererseits. In solchen Fällen gilt ein Anwendungsvorrang zugunsten des Bundesgesetzes und zugunsten des Völkerrechts. Artikel 190 BV äussert sich indessen nicht zu Normenkonflikten und zum Rangverhältnis zwischen Bundesgesetz und Völkerrecht (vgl. eingehender dazu die nachstehende Ziff. 4.2.3 sowie Ziff. 4.2.4 zur Rechtslage in der Konstellation Verfassung vs. Völkerrecht).

Bei einem Normenkonflikt mit einer Bestimmung in einer Verordnung des Bundes, welche die Bundesversammlung, der Bundesrat, ein Departement oder ein Amt erlassen hat, geht das Völkerrecht vor (Art. 5 Abs. 4 BV). Das Anwendungsgebot von Artikel 190 BV kommt in einer solchen Konstellation nicht zum Tragen, weil Verordnungen nicht zu den massgebenden Erlassen im Sinne dieser Bestimmung zählen.

Mit Blick auf kantonales Recht gilt Folgendes: Die vom Bund abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge werden mit ihrem Inkrafttreten Teil der schweizerischen Rechtsordnung auf Bundesebene. Der Vorrang des Völkerrechts gegenüber dem kantonalen Recht ergibt sich damit aus Artikel 49 Absatz 1 BV.42

4.2.3

Verhältnis Völkerrecht ­ Bundesgesetz

In Anknüpfung an die erwähnten Verfassungsbestimmungen geht das Bundesgericht vom grundsätzlichen Vorrang des Völkerrechts aus, anerkennt aber gewisse Ausnahmen zugunsten des Landesrechts. Seine Rechtsprechung kann als gefestigt betrachtet werden, auch wenn nicht sämtliche damit verbundenen Einzelfragen abschliessend geklärt sind.43 Sie lautet in Bezug auf Normenkonflikte zwischen einem Bundesgesetz und dem Völkerrecht in den Grundzügen wie folgt:44

41 42 43 44

­

Grundsätzlich geht Völkerrecht dem Gesetzesrecht vor; dieser grundsätzliche Vorrang gilt auch gegenüber späteren (also nach Inkrafttreten der völkerrechtlichen Norm erlassenen) Bundesgesetzen.

­

Ausnahmsweise ­ wenn die Bundesversammlung bewusst ein völkerrechtswidriges Gesetz erlassen hat ­ ist dieses (spätere Gesetz) für das Bundesgericht massgebend (auf BGE 99 Ib 39 zurückgehende sog. «Schubert-Praxis»). Dabei kann aber eine allfällige Abweichung von staatsvertraglichen Vgl. Epiney, BS-BV-Kommentar, Art. 5 N. 85; Tschannen, § 9 N. 15.

Häfelin/Haller/Keller/Thurnherr, Rz. 1928; Tschannen, § 9 N. 26; Tschumi/Schindler, SG-BV-Kommentar, Art. 5 N. 76.

Vgl. etwa die Relativierung des Vorrangs internationaler Menschenrechtsgarantien in BGE 136 III 168 E. 3.3.4. Siehe dazu auch die Übersicht bei Schürer.

Statt vieler BGE 142 II 35 E. 3.2 S. 39; 139 I 16 E. 5.1.

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Verpflichtungen «von vornherein nur in jenen Fällen oder beabsichtigt sein, in denen anlässlich der Beratung des Bundesgesetzes die völkerrechtlichen Aspekte und Auswirkungen [...] resp. der mögliche Verstoss gegen Völkerrecht eingehend thematisiert» wurden.45 ­

Im Sinne einer Gegenausnahme gehen internationale Menschenrechtsgarantien, wie sie etwa die EMRK verankert, dem Bundesgesetz stets vor (auf BGE 125 II 417 zurückgehende sog. «PKK-Praxis»).46 Die Begründung für diese Gegenausnahme liegt insbesondere am Durchsetzungsmechanismus der EMRK: Die Schweiz hat mit dem Beitritt zur EMRK auch die Pflicht übernommen, im Nachgang zu den Urteilen des EGMR die jeweils erforderlichen individuellen und allgemeinen Massnahmen zu treffen, um künftige ähnliche Konventionsverletzungen ­ nötigenfalls auch durch eine Anpassung des nationalen Rechts ­ zu verhindern.47 Würde das Bundesgericht trotz festgestellter Konventionsverletzung dem Bundesgesetz den Vorrang einräumen, so würde es mit Blick auf die Beschwerdemöglichkeit beim EGMR zur blossen Durchlaufinstanz degradiert.48 Damit werden Bundesgesetze im Ergebnis einer Art «Verfassungsgerichtsbarkeit» zugeführt, nämlich insoweit, als internationale Menschenrechtsgarantien den gleichen Gehalt aufweisen wie die Grundrechte der Bundesverfassung.

4.2.4

Verhältnis Völkerrecht ­ Bundesverfassung

Der Umgang mit Normenkonflikten zwischen Verfassungsrecht und Völkerrecht wurde in der Rechtsprechung und in der Doktrin während langer Zeit kaum thematisiert. Denn zum einen ist die Problematik der völkerrechtswidrigen Volksinitiativen ein vergleichsweise junges Phänomen. Zum anderen tritt in der Rechtsanwendung ein Normenkonflikt nur in seltenen Fällen auf, nämlich nur dann, wenn die fragliche Verfassungsbestimmung direkt anwendbar ist. Das setzt eine hinreichend klare Formulierung von Tatbestand und Rechtsfolge voraus, sodass die zuständigen Behörden unmittelbar gestützt auf die Verfassungsbestimmung ­ also ohne Dazwischentreten des Gesetzgebers ­ Rechte und Pflichten der Bürgerinnen und Bürger im Einzelfall regeln müssen49 (vgl. zur direkten Anwendbarkeit des Völkerrechts Ziff. 4.1).

Im Rahmen einer allgemeinen Untersuchung zum Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht hat sich der Bundesrat im Jahr 2010 zu verschiedenen Lösungsansätzen geäussert.50 Er hat zunächst den Vorrang verfassungsrechtlicher Grundprinzipien oder Kerngehalte der Grundrechte gegenüber dem Völkerrecht bestätigt. 51 Ferner hat der Bundesrat zum Ausdruck gebracht, es sei vorstellbar, dass die rechts45 46

47 48 49 50 51

BGE 138 II 524 E. 5.3.2.

In BGE 142 II 35 E. 3.2 und 3.3 hat das Bundesgericht seine Rechtsprechung bestätigt, wonach die Schubert-Praxis im Freizügigkeitsrecht zwischen der Schweiz und der EU ­ ebenfalls im Sinne einer Gegenausnahme ­ keine Anwendung findet.

BGE 139 I 16 E. 5.2.3.

Botschaft nBV, S. 508.

Vgl. zu den Kriterien der direkten Anwendbarkeit BGE 139 I 16 E. 4.2.3 und 4.3.2.

Bericht Völkerrecht/Landesrecht, S. 2309 f., und 2321 ff.

Bericht Völkerrecht/Landesrecht, S. 2310 und 2322

5372

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anwendenden Behörden grundsätzlich gehalten sind, völkerrechtswidrige Verfassungsbestimmungen anzuwenden, wenn diese jünger als die völkerrechtliche Bestimmung und Artikel 190 BV sowie direkt anwendbar sind (Anwendung der Lexposterior- bzw. der Lex-specialis-Regel). Als Beispiel könne Artikel 72 Absatz 3 BV (Minarett-Verbot) angeführt werden. Der Bundesrat hat aber ausdrücklich auch auf die Problematik eines solchen Lösungsansatzes hingewiesen (mögliche Auslösung der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit). Diese Konsequenz lasse sich zwar durch Neuaushandlung oder Kündigung des widersprechenden Völkervertragsrechts vermeiden. Doch seien solche Schritte rechtlich oder politisch nicht immer möglich bzw. wünschbar, und deshalb sei das Verhältnis zwischen Völkerrecht und Bundesverfassung differenzierter anzugehen als mit einer schematischen Vorrangregel.

Die Bundesversammlung geht nicht von einem generellen Vorrang des (jüngeren) Verfassungsrechts vor dem Völkerrecht aus. Diese Haltung wird ausgedrückt durch kürzlich gefällte Beschlüsse zur Umsetzung von neuen Verfassungsbestimmungen.

So werden beispielsweise im bereits in Kraft stehenden Ausführungsgesetz zu Artikel 121 Absätze 3­6 BV (Ausschaffung krimineller Ausländerinnen und Ausländer)52 neben weiteren Vorgaben der Bundesverfassung auch Vorgaben der EMRK berücksichtigt. Das von der Bundesversammlung am 16. Dezember 2016 verabschiedete Ausführungsgesetz zu Artikel 121a BV (Steuerung der Zuwanderung)53 trägt dem Freizügigkeitsabkommen (FZA) 54 Rechnung.

Das Bundesgericht ist zurückhaltend in der Annahme der direkten Anwendbarkeit von Verfassungsbestimmungen.55 Es hat sich zum Umgang mit Normenkonflikten zwischen verfassungsrechtlichen und völkerrechtlichen Bestimmungen nicht abschliessend festgelegt; auch in der Doktrin herrscht dazu keine einhellige Meinung.56 Unter anderem wird vertreten, solche Normenkonflikte seien analog zu behandeln wie Normenkonflikte zwischen dem Gesetzesrecht und dem Völkerrecht (sinngemässe Anwendung der bundesgerichtlichen Schubert- bzw. PKK-Praxis).57

52 53 54

55

56

57

Vgl. insbesondere die sog. Härtefallklausel gemäss Art. 66a Abs. 2 des Strafgesetzbuchs (StGB; SR 311.0).

BBl 2016 8917 Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit, in Kraft getreten für die Schweiz am 1. Juni 2002 (SR 0.142.112.681).

Vgl. für eine Übersicht über die Rechtsprechung des Bundesgerichts und für eine Unterscheidung zwischen direkt anwendbaren Verfassungsbestimmungen und solchen mit zwingenden Vorgaben: Tschannen, § 4 N. 16a ff.

Vgl. BGE 133 II 450 E. 6 und die spätere Relativierung in BGE 139 I 16 E. 5.2 und 5.3.

Vgl. für eine Übersicht über die Lehrmeinungen den Bericht Völkerrecht/Landesrecht, S. 2308 f. sowie Tschumi/Schindler, SG-BV-Kommentar, Art. 5 N. 85.

Vgl. die Hinweise im Bericht Völkerrecht/Landesrecht, S. 2309 f. Nach dieser Auffassung könnte folglich unter gewissen Voraussetzungen auf einen Vorrang des Verfassungsrechts gegenüber dem Völkerrecht geschlossen werden, wenn der Verfassungsgeber die klare Absicht hatte, völkerrechtswidriges Verfassungsrecht zu schaffen.

5373

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4.2.5

Bereinigung eines Normenkonflikts

Weil Normenkonflikte zwischen dem Völkerrecht und dem Landesrecht relativ selten sind, gibt es auch nur wenige Urteile, in denen das Bundesgericht von der vorrangigen Anwendung des völkerrechtlichen Vertrags gegenüber einem Bundesgesetz ausgegangen ist.58 Wenn im umgekehrten Fall das bewusste Abweichen des Gesetzgebers vom völkerrechtlichen Vertrag geschützt wird, ist zu klären, ob im gesetzgeberischen Handeln gleichzeitig der Auftrag zu erblicken ist, Verhandlungen über eine Anpassung des widersprechenden völkerrechtlichen Vertrags aufzunehmen oder sogar ihn zu kündigen.59 Der Bundesrat erachtet es als wichtig, dass die Bundesversammlung jeweils vor der Verabschiedung eines Bundesgesetzes bzw. vor der Genehmigung eines völkerrechtlichen Vertrags darüber Rechenschaft ablegt, ob es dadurch zu einem Konflikt zwischen dem Völkerrecht und einem Bundesgesetz kommen kann. Dies würde es zum einen erlauben, die mögliche Anwendung der Schubert- bzw. PKK-Praxis auf eine zuverlässigere Grundlage zu stellen (bewusster Erlass eines völkerrechtswidrigen Gesetzes). Zum andern könnte so auch erreicht werden, dass bereits bei der Verabschiedung Klarheit besteht, mit welchen Mitteln die Unvereinbarkeit beseitigt werden soll. Die entsprechende Willensäusserung würde idealerweise direkt im betreffenden Bundesgesetz verankert.60 Eine vergleichbare Problematik besteht bei völkerrechtswidrigem Verfassungsrecht, das aufgrund einer angenommenen Volksinitiative zustande gekommen ist. Lässt die neue Verfassungsnorm dem Gesetzgeber keinen Weg zur völkerrechtskonformen Umsetzung offen, so bleiben im Wesentlichen die folgenden Möglichkeiten, um den Normenkonflikt zu bereinigen:61 Erstens kann der Versuch unternommen werden, Verhandlungen über eine Anpassung des völkerrechtlichen Vertrags aufzunehmen, oder es kann die Vertragskündigung erwogen werden. Aus der Annahme einer Volksinitiative, die mit einem völkerrechtlichen Vertrag im Widerspruch steht, kann aber nicht automatisch die Pflicht abgeleitet werden, diesen Vertrag zu kündigen. Je nach Konstellation stünde eine solche Pflicht gar im Widerspruch zum Grundsatz der Einheit der Materie.62 Zweitens steht Volk und Ständen der Weg offen, die völkerrechtswidrige Verfassungsnorm wieder zu ändern oder aufzuheben. Denn gemäss Artikel 192 Absatz 1 BV ist die Verfassung jederzeit
revidierbar. Drittens schliesslich ist nicht ausgeschlossen, dass die Schweiz den Normenkonflikt (vorderhand) in Kauf nimmt und die sich daraus ergebenden Konsequenzen trägt, die je nach Art des betroffenen Vertrags und je nach Art der konkreten Vertragsverletzung ganz unterschiedlich sein können (z. B. Suspendierung oder Kündigung durch die andere Vertragspartei, Retorsionen, Repressalien usw.).63

58 59 60 61

62 63

So etwa in BGE 133 II 445 E. 2.2 und 133 V 367 E. 11.

Bericht Völkerrecht/Landesrecht, S. 2311.

Bericht BR zum Po. 13.3805, S. 21.

Vgl. allgemein zur Problematik Bericht Völkerrecht/Landesrecht, S. 2328 ff.; vgl. auch die Stellungnahme des Bundesrates vom 11. Mai 2016 zur Ip. 16.3043 Vogt «Handlungsfähigkeit von Parlament und Bundesrat sichern. Artikel 121a der Bundesverfassung umsetzen. Schubert-Praxis erhalten».

Vgl. für Näheres Ziff. 2.2.

Vgl. für Näheres unten Ziff. 6.3.2 sowie Bericht Völkerrecht/Landesrecht, S. 2288 ff.; Stellungnahme BJ/DV, S. 435.

5374

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4.3

Bisherige Diskussionen zum Verhältnis von Völkerrecht und Landesrecht

Das Verhältnis von Völkerrecht und Landesrecht im Allgemeinen und die Problematik völkerrechtswidriger Volksinitiativen im Besonderen ist vom Bundesrat und von der Bundesverwaltung wiederholt untersucht worden,64 insbesondere anlässlich der Totalrevision der Bundesverfassung (1999) und im Rahmen der Reform der Volksrechte (2003). Erneut wurden entsprechende Fragen im Jahr 2006 in einem Bericht des Bundesamts für Justiz (BJ) zuhanden der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats (RK-N) behandelt.65 Zwei Berichte des Bundesrates zum Verhältnis von Völkerrecht und Landesrecht Im Jahr 2010 hat der Bundesrat das Verhältnis von Völkerrecht und Landesrecht ausführlich beleuchtet und die Ergebnisse im gleichnamigen Bericht festgehalten.

Dabei machte ein in Auftrag gegebenes rechtsvergleichendes Gutachten deutlich, dass sich der Umgang der Schweiz mit dem Völkerrecht in einem Rahmen bewegt, der auch in anderen Staaten üblich ist (insb. in den untersuchten Staaten Deutschland, Frankreich, Grossbritannien, USA, Schweden und Indien). In Bezug auf die Rangfrage bekennt sich keine der untersuchten Staatsrechtsordnungen zu einem mechanisch anzuwendenden Primat des Landesrechts oder des Völkerrechts; immer spielen in der einen oder anderen Form Abwägungsprozesse eine zentrale Rolle, wobei die Gerichte jeweils den Problemlagen angepasste, pragmatische Lösungen suchen.66 Weiter hat der Bundesrat im Bericht auf Probleme aufmerksam gemacht, die sich ergeben, wenn Verfassungsvorlagen (Volksinitiativen) den nicht zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts widersprechen; er hat Lösungen untersucht, die bei den Ungültigkeitsgründen und beim Verfahren der Vorprüfung von Volksinitiativen ansetzen.67 In der Folge hat der Bundesrat drei konkrete Lösungsmöglichkeiten näher geprüft und die Ergebnisse im Jahr 2011 in einem Zusatzbericht dargelegt. 68 Er hat erstens für Volksinitiativen ein materielles Vorprüfungsverfahren empfohlen. Zweitens hat er als neue materielle Schranke für Verfassungsrevisionen die Wahrung der Kerngehalte der Grundrechte der Bundesverfassung vorgeschlagen. Drittens wurde die Möglichkeit untersucht, in der Bundesverfassung eine Konfliktregel zu verankern, die bei Widersprüchen zwischen Verfassungsrecht und Völkerrecht den Vorrang festlegt. Der Bundesrat erachtete indessen eine solche Lösung als zu starr und empfahl aus diesem Grund, von der Kodifikation einer Konfliktregel abzusehen.

64

65 66 67 68

Etwa in der im Jahr 1989 publizierten Stellungnahme BJ/DV. Vgl. mit Hinweisen auf länger zurück liegende Debatten zum Verhältnis von Völkerrecht und Landesrecht: Kley, S. 331 ff.

Siehe Bericht BJ.

Bericht Völkerrecht/Landesrecht, S. 2290 ff.; vgl. auch Auer/Beusch/Bucher, Rz. 14.

Bericht Völkerrecht/Landesrecht, insb. S. 2308 ff., 2313, 2328 ff.

Siehe Zusatzbericht Völkerrecht/Landesrecht.

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Abschreibung der Motionen 11.3468 und 11.3751 Die Staatspolitischen Kommissionen von National- und Ständerat haben nach Kenntnisnahme des bundesrätlichen Zusatzberichts die Motionen 11.3468 (SPK-N) und 11.3751 (SPK-S) eingereicht und damit den Bundesrat beauftragt, auf der Basis seiner beiden Vorschläge (Vorprüfungsverfahren und Erweiterung der Ungültigkeitsgründe) eine Vorlage mit den nötigen Verfassungs- und Gesetzesänderungen auszuarbeiten. In der Vernehmlassung wurde aber die Vorlage überwiegend kritisch aufgenommen.69 Aus diesen Gründen hat das Parlament auf Antrag des Bundesrates70 die genannten zwei Motionen im Juni 2016 abgeschrieben.

Reformbestrebungen der Staatspolitischen Kommissionen Die Staatspolitische Kommission des Ständerats (SPK-S) hat aufgrund von Schwierigkeiten bei der Umsetzung von angenommenen Volksinitiativen in den Jahren 2014 und 2015 geprüft, ob in Bezug auf die Anforderungen an die Gültigkeit von Volksinitiativen ein Reformbedarf besteht. Nach durchgeführten Anhörungen hat die Kommission beschlossen, punktuelle Reformen auf Gesetzesebene anzustreben; sie hat zu diesem Zweck mehrere parlamentarische Initiativen eingereicht. 71 Diese Vorstösse betreffen indessen nicht den Rang des Völkerrechts im innerstaatlichen Recht.72 Weitere parlamentarische Vorstösse und Initiativen In den vergangenen Jahren sind mehrere parlamentarische Vorstösse eingereicht worden, die einen Bezug zum Rang des Völkerrechts im innerstaatlichen Recht haben.73 Namentlich hat der Nationalrat in der Herbstsession 2014 beschlossen, drei

69

70

71 72

73

Die Vernehmlassungsunterlagen, die eingegangenen Stellungnahmen und der Bericht über die Ergebnisse der Vernehmlassung sind einsehbar unter: www.bj.admin.ch (Rubriken «Staat und Bürger»/«Völkerrecht und Volksinitiativen»).

Bericht des Bundesrates vom 19. Febr. 2014 zur Abschreibung der Motionen 11.3468 und 11.3751 der beiden Staatspolitischen Kommissionen über Massnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Volksinitiativen mit den Grundrechten, BBl 2014 2337.

Vgl. Bericht SPK-S, S. 7119 ff.

Pa. Iv. 15.475 «Strengere Praxis bei der Anwendung bzw. Präzisierung der Kriterien zur Prüfung der Einheit der Materie bei Volksinitiativen» (am 13. Jan. 2017 abgeschrieben); pa. Iv. 15.476 «Fristen für Volksinitiativen, die eine Verfassungsbestimmung ändern wollen, deren Frist für die gesetzliche Umsetzung noch nicht abgelaufen ist» (am 13. Jan. 2017 abgeschrieben); pa. Iv. 15.477 «Fakultative, unverbindliche formell- und materiellrechtliche Vorprüfung von Volksinitiativen»; pa. Iv. 15.478 « Publikation von indirekten Gegenentwürfen in den Abstimmungserläuterungen des Bundesrates».

Mo. 08.3249 Reimann «Verfassungsgrundlage für die Schubert-Praxis» (am 3. März 2010 abgelehnt); pa. Iv. 09.414 Fraktion SVP «Völkerrecht soll Landesrecht nicht brechen» (am 14. Sept. 2010 keine Folge gegeben); pa. Iv. 09.466 Fraktion SVP «Definition des zwingenden Völkerrechts» (am 28. Sept. 2010 keine Folge gegeben); Po. 09.3676 Fraktion SVP «Völkerrecht und Landesrecht. Systemwechsel vom Monismus zum Dualismus» (am 12. Juni 2013 abgeschrieben); Mo. 14.3221 Reimann «Dualismus statt Monismus» (am 18. März 2016 abgeschrieben); Ip. 16.3043 Vogt «Handlungsfähigkeit von Parlament und Bundesrat sichern. Artikel 121a der Bundesverfassung umsetzen.

Schubert-Praxis erhalten» (im Rat noch nicht behandelt); Mo. 16.3239 Reimann «Dualismus statt Monismus» (im Rat noch nicht behandelt).

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parlamentarischen Initiativen keine Folge zu geben, die im Wesentlichen auf eine Stärkung des Landesrechts gegenüber dem Völkerrecht zielten.74 Dabei verfolgte die parlamentarische Initiative 13.452 das gleiche Anliegen wie die Selbstbestimmungsinitiative. Diese parlamentarische Initiative zielte auf die Aufhebung von Artikel 5 Absatz 4 BV («Bund und Kantone beachten das Völkerrecht») und auf die Ergänzung von Artikel 5 Absatz 1 BV mit den folgenden zwei Sätzen: «Die Bundesverfassung ist die oberste Rechtsquelle der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Sie steht über dem Völkerrecht und geht ihm vor, unter Vorbehalt der zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts.» Die Mehrheit der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats (SPK-N) hat dazu erwogen, der Verfassungsgeber habe mit der Formulierung im geltenden Artikel 5 Absatz 4 BV bewusst auf eine starre Vorrangregel verzichtet. Den rechtsanwendenden Behörden und insbesondere den Gerichten werde damit ermöglicht, eine Abwägung der verschiedenen Interessen vorzunehmen und die für den konkreten Fall adäquate Lösung zu treffen. Die Abkehr von dieser pragmatischen Regel hätte negative Auswirkungen für die Schweiz, insbesondere für Unternehmen und Privatpersonen. Die Kommissionsminderheit hielt dem entgegen, ohne klare Vorrangregel hätten die Gerichte einen unangemessen grossen Interpretations- und Entscheidungsspielraum, was unter anderem auch zu Rechtsunsicherheiten führe.75 Bericht des Bundesrates zum Postulat 13.3805 und zur Motion 15.3557 In Erfüllung des Postulats 13.380576 hat der Bundesrat die Folgen untersucht, wenn das Völkerrecht innerstaatlich nach Massgabe seiner demokratischen Legitimation abgestuft (hierarchisiert) würde. Ziel einer solchen Abstufung wäre eine Regel zur Lösung von Normenkonflikten. Bei einem Widerspruch zwischen einer völkerrechtlichen Norm und einer landesrechtlichen Norm des Bundesrechts hätte die demokratisch stärker legitimierte Norm den Vorrang.

Eine solche Vorrangregel verspricht zwar Transparenz und einfache Handhabbarkeit. Doch könnten nach Auffassung des Bundesrates diese Versprechen in der Praxis kaum eingelöst werden. Denn dem Völkerrecht ist eine hierarchische Abstufung weitgehend fremd, und die Schweiz ist an die von ihr eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtungen gebunden, unabhängig davon, welche Ergebnisse
eine innerstaatliche Abstufungs- und Vorrangregel liefert. Der Vorschlag gemäss Postulat könnte zwar dazu führen, dass Normenkonflikte vermehrt zugunsten des Landesrechts gelöst würden. Die Probleme würden damit freilich nicht gelöst, sondern lediglich auf die Ebene des Völkerrechts verschoben. Damit verbunden wären negative Auswirkungen auf die Glaubwürdigkeit der Schweiz als verläss-

74

75 76

Pa. Iv. 13.452 Brand «Verfassungsrecht vor Völkerrecht»; pa. Iv. 13.456 Rutz «Rechtsangleichung durch Bundesbehörden. Einhaltung demokratischer Abläufe»; pa. Iv. 13.458 Stamm «Regelung des Verhältnisses zwischen Bundesgesetzen und Staatsverträgen».

Bericht der SPK-N vom 29. Aug. 2014 zur pa. Iv. 13.452. Vgl. mit ähnlichen Argumentationen auch den Bericht der SPK-N vom 20. Aug. 2010 zur pa. Iv. 09.414.

Po. 13.3805 FDP-Liberale Fraktion «Klares Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht».

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liche Vertragspartnerin und ein zunehmendes Risiko der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit der Schweiz.77 In Erfüllung des Postulats 13.3805 hat der Bundesrat ferner Bericht erstattet über die Einführung des obligatorischen Referendums für völkerrechtliche Verträge mit verfassungsmässigem Charakter.78 Der Bundesrat hatte im Jahr 2010 dem Parlament beantragt, dieses Referendum im Verfassungstext ausdrücklich zu verankern, und zwar auf dem Wege des direkten Gegenentwurfs zur Volksinitiative «Staatsverträge vors Volk!».79 Das Parlament ist indessen auf den Gegenentwurf nicht eingetreten.

Das Anliegen der Verankerung des obligatorischen Referendums für völkerrechtliche Verträge mit verfassungsmässigem Charakter soll aber weiterverfolgt werden.

Zu diesem Zweck haben die Räte im Jahr 2016 die vom Bundesrat zur Annahme beantragte Motion 15.355780 überwiesen.

5

Erläuterung und Auslegung des Initiativtextes

5.1

Bundesverfassung als oberste und gegenüber dem Völkerrecht vorrangige Rechtsquelle (Art. 5 Abs. 1 und 4 E-BV)

5.1.1

Verfassung als oberste Rechtsquelle

Verfassungsnormen können nur mit Zustimmung von Volk und Ständen geändert werden. Aufgrund dieser starken formellen Geltungskraft und aufgrund ihrer Funktion als rechtliche Grundordnung hat die Bundesverfassung Vorrang gegenüber Gesetzen und Verordnungen (sog. Geltungsvorrang). Wenn der vorgeschlagene zweite Satz von Artikel 5 Absatz 1 E-BV die Bundesverfassung als oberste Rechtsquelle der Schweizerischen Eidgenossenschaft bezeichnet, wird damit in Bezug auf die Vorrangstellung der Bundesverfassung gegenüber den übrigen landesrechtlichen Erlassen schon bisher Gültiges festgeschrieben. Neu ist nur, dass der Verfassungstext diese Hierarchisierung ausdrücklich benennt.

Neu ist auch der Begriff der Rechtsquelle der Schweizerischen Eidgenossenschaft.

Hauptsächliche Rechtsquelle ist das gesetzte (positive) Recht. Darunter fallen alle geltenden Rechtsnormen, die in einem formalisierten Verfahren durch die zuständigen eidgenössischen, kantonalen oder kommunalen Behörden geschaffen wurden (insb. Verfassungs-, Gesetzes- und Verordnungsrecht sowie Erlasse von dezentralisierten Verwaltungseinheiten). Zum nicht gesetzten Recht, das aber dennoch als

77 78 79

80

Bericht BR zum Po. 13.3805, S. 16 ff.

Bericht BR zum Po. 13.3805, S. 10 ff.

Botschaft des Bundesrates vom 1. Okt. 2010 zur Volksinitiative «Für die Stärkung der Volksrechte in der Aussenpolitik (Staatsverträge vors Volk!)», BBl 2010 6963, hier 6984 ff.

Mo. 15.3557 Caroni «Obligatorisches Referendum für völkerrechtliche Verträge mit verfassungsmässigem Charakter».

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Rechtsquelle anerkannt ist, gehören das Gewohnheitsrecht und das Richterrecht 81; Artikel 1 Absatz 2 des Zivilgesetzbuchs82 (ZGB) hält dies ausdrücklich und mit Geltung für die ganze Rechtsordnung fest. Ferner zählen auch die allgemeinen Rechtsgrundsätze zu den Rechtsquellen.83 In diesem Zusammenhang ist an das monistische System der Schweiz zu erinnern, an dem die Selbstbestimmungsinitiative nichts ändern will (vgl. Ziff. 4.1). Völkerrechtliche Verträge werden mit ihrer völkerrechtlichen Verbindlichkeit automatisch auch landesrechtlich gültig. Sie gehören danach ebenfalls zu den Rechtsquellen der Schweizerischen Eidgenossenschaft.

5.1.2

Normenhierarchische Überordnung und Kollisionsregel

Neu soll in Artikel 5 Absatz 4 zweiter Satz E-BV die normenhierarchische Überordnung des Verfassungsrechts gegenüber dem Völkerrecht verankert werden («Die Bundesverfassung steht über dem Völkerrecht [...]»). In der gleichen Bestimmung soll in Anlehnung an die Formulierung in Artikel 49 Absatz 1 BV auch eine Kollisions- bzw. Vorrangregel verankert werden («[...] und geht ihm vor»): Verfassungsrecht geht entgegenstehendem Völkerrecht vor («Verfassungsrecht bricht Völkerrecht»). Die Vorschrift bezweckt die Auflösung von Normenkonflikten, das heisst von Konstellationen, in denen sich die verfassungsrechtliche und die völkerrechtliche Norm so widersprechen, dass sie denselben Sachverhalt unterschiedlich regeln.

Die praktische Tragweite der Vorrangregel (Geltungsvorrang) lässt sich allerdings erst im Zusammenspiel mit den Artikeln 56a und 190 E-BV (Anwendungsvorrang) ermessen (vgl. Ziff. 5.2 und 5.3).

Auch völkerrechtliche Vorgaben beeinflussen die Tragweite der Vorrangregel. So kann zwar das Landesrecht bestimmen, welchen Rang es dem Völkerrecht innerhalb des nationalen Rechts zuweist, und aus einer solchen Rangordnung auch Vorrangregeln ableiten. Das Völkerrecht enthält dazu keine direkten Vorgaben. Es beschränkt sich auf die Forderung, das Völkervertragsrecht und die anderen völkerrechtlichen Normen seien einzuhalten (pacta sunt servanda). Das Völkerrecht äussert sich auch nicht zur Art und Weise, wie die Staaten dieses Ergebnis sicherzustellen haben. Allerdings greift die völkerrechtliche Verantwortlichkeit, wenn ein Staat eine internationale Verpflichtung verletzt (vgl. dazu Ziff. 6.3.2).84 81

82 83 84

Zum Richterrecht auf Verfassungsstufe zählten bis zum Inkrafttreten der neuen Bundesverfassung am 1. Jan. 2000 vor allem die vom Bundesgericht anerkannten ungeschriebenen Grundrechte (z. B. Meinungsfreiheit, Sprachenfreiheit, persönliche Freiheit, Versammlungsfreiheit, Recht auf Existenzsicherung), die aus Art. 4 aBV abgeleiteten Grundrechte (z. B. Willkürverbot, allgemeine Verfahrensgarantien) und die ungeschriebenen Verfassungsgrundsätze.

SR 210 Vgl. für eine allgemeine Übersicht zu den Rechtsquellen: Schindler, SG-BV-Kommentar, Art. 5 N. 19 ff.

Bericht Völkerrecht/Landesrecht, S. 2305; vgl. auch Bericht BR zum Po. 13.3805, S. 6, mit dem Hinweis auf den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), der den Vorrang des EU-Rechts vor dem nationalen Recht als Vorgabe der EU-Grundverträge befürwortet; vgl. das Urteil des EuGH vom 15. Juli 1964, Flaminio Costa gegen E.N.E.L., Rs. 6/64, Slg. 1964 1253, und die daran anknüpfende Rechtsprechung.

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Angesichts der Vorrangregel in der Selbstbestimmungsinitiative erscheint es nicht ausgeschlossen, dass für die völkerrechtskonforme Auslegung engere Grenzen gezogen würden. Diese Auslegungsmethode zielt darauf, einen Normenkonflikt zwischen völker- und landesrechtlichen (verfassungsrechtlichen) Normen möglichst zu verhindern. Sie will die Erfüllung der völkerrechtlichen Verpflichtungen sicherstellen und gründet namentlich in Artikel 5 Absatz 4 BV, in der Pflicht zur Beachtung des Völkerrechts (vgl. Ziff. 4.2.1). Mit der normenhierarchischen Überordnung des Verfassungsrechts würde die innere Begründung für die völkerrechtskonforme Auslegung des Verfassungsrechts mindestens teilweise wegfallen. Demnach könnte im Vergleich zur heutigen Rechtslage eher auf einen nicht ausräumbaren Widerspruch zwischen einer landesrechtlichen und einer völkerrechtlichen Norm geschlossen werden. Umgekehrt könnte die Wendung in Artikel 56a Absatz 2 E-BV, wonach der widersprechende völkerrechtliche Vertrag nur «nötigenfalls» zu kündigen ist, auch so gedeutet werden, dass das Risiko eines Normenwiderspruchs nach Möglichkeit mittels völkerrechtskonformer Auslegung minimiert werden muss.

5.1.3

Begriffliches: «Bundesverfassung» und «Völkerrecht»

Die in den Absätzen 1 und 4 von Artikel 5 BV vorgesehenen Ergänzungen stellen ab auf den Begriff der Bundesverfassung. Unter diesen Begriff fallen die in der Verfassungsurkunde verankerten Bestimmungen, das heisst alle Rechtssätze, die im Verfahren der Verfassungsgebung erlassen worden sind (Verfassung im formellen Sinn). Darunter mag es punktuell Bestimmungen geben, bei denen angezweifelt werden kann, ob sie aufgrund ihres Gehalts tatsächlich Verfassungsrang haben («verfassungswürdig» sind) oder ob sie nicht eher auf die Gesetzesstufe gehören.

Unbesehen solcher Zweifel zählen alle Rechtssätze der Bundesverfassung mit Einschluss der Übergangsbestimmungen zur Bundesverfassung im Sinne von Artikel 5 Absätze 1 und 4 BV. Der Begriff dürfte ferner auch das ungeschriebene Verfassungsrecht erfassen. Gemeint sind damit Rechtssätze von Verfassungsrang, die aber weder im Verfassungstext noch sonst wo im Gesetzes- und Verordnungsrecht zu finden sind85 und damit auch nicht über die qualifizierte demokratische Legitimation einer Zustimmung von Volk und Ständen verfügen (vgl. Art. 140 Abs. 1 Bst. a BV).

Gemäss Artikel 5 Absatz 4 zweiter Satz E-BV soll ausdrücklich nur die Bundesverfassung dem Völkerrecht vorgehen. Die vorgeschlagene Verfassungsbestimmung enthält hingegen keine ausdrückliche Kollisions- bzw. Vorrangregel zur Lösung von Normenkonflikten zwischen dem Gesetzesrecht und dem Völkerrecht (vgl. zum Anwendungsvorrang Ziff. 4.2.3).

85

Zum ungeschriebenen Verfassungsrecht unter Geltung der alten Bundesverfassung von 1874 zählten vor allem die vom Bundesgericht anerkannten ungeschriebenen Grundrechte und die allgemeinen Voraussetzungen zur Einschränkung von Grundrechten. Zwar kann heute der Grundrechtskatalog gemäss den Art. 7­34 BV als vollständig angesehen werden. Die Option zur Anerkennung neuer ungeschriebener Grundrechte durch das Bundesgericht bleibt aber bestehen.

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Der Begriff des Völkerrechts, wie er im bereits geltenden Artikel 5 Absatz 4 BV eingeführt ist, meint in erster Linie die für die Schweiz verbindlichen zweiseitigen (bilateralen) und mehrseitigen (multilateralen) völkerrechtlichen Verträge. Die völkerrechtlichen Verträge enthalten heute den grössten Teil der völkerrechtlichen Regeln; sie bilden aufgrund ihrer Anzahl und Wichtigkeit die mit Abstand bedeutsamste Rechtsquelle des Völkerrechts. Artikel 5 Absatz 4 BV erfasst aber auch die übrigen in Artikel 38 Ziffer 1 des IGH-Statuts86 kodifizierten Rechtsquellen des Völkerrechts: das Völkergewohnheitsrecht, die allgemeinen Rechtsgrundsätze sowie (als Hilfsmittel zur Feststellung der Rechtsnormen) gerichtliche Entscheide und Lehrmeinungen. Obwohl sie in der Aufzählung von Artikel 38 Ziffer 1 des IGH-Statuts fehlen, können auch einseitige Rechtsakte 87 als Völkerrecht im Sinne von Artikel 5 Absatz 4 BV verstanden werden. Neben diesen primären Rechtsquellen gibt es auch sogenannt sekundäres Völkerrecht. So können Akte internationaler Organisationen für die Mitgliedstaaten ebenfalls bindende Wirkung entfalten; allerdings nur, wenn die Mitglieder der Organisation eine entsprechende Zuständigkeit des betreffenden Organs vorgesehen haben. Beispielsweise sind die in den Resolutionen des UNO-Sicherheitsrates enthaltenen Beschlüsse gemäss Artikel 25 der UNO-Charta88 für die Mitgliedstaaten verbindlich. Ferner können sich völkerrechtliche Verpflichtungen auch aus der Rechtsprechung von internationalen Gerichten ergeben, soweit die Schweiz die Verbindlichkeit anerkannt hat. Namentlich sind die Vertragsstaaten nach Artikel 46 Absatz 1 EMRK verpflichtet, die Urteile des EGMR zu befolgen.89 Schliesslich besteht eine dritte Kategorie von völkerrechtlich relevanten Normen, das sogenannte Soft Law. Darunter sind Regeln zu verstehen, die zwar nicht rechtlich verbindlich sind, aber dennoch eine gewisse (eben «weiche») rechtliche Relevanz aufweisen. Solche Regeln können zwischen den völkerrechtlichen Normen und den rein politischen Handlungsanweisungen verortet werden. Zum Soft Law gehören beispielsweise die Resolutionen der UNO-Generalversammlung oder die Empfehlungen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) im Steuerbereich. Soft Law wird aber von Artikel 5 Absatz 4 BV nicht erfasst.90
Verfassungsrecht soll dem Völkerrecht generell vorgehen, unbesehen der Art des Völkerrechts (primäre Rechtsquelle oder sekundäres Völkerrecht) und unbesehen innerstaatlicher Abschlusskompetenzen. Daher ist unerheblich, ob nach Massgabe von Artikel 166 Absatz 2 BV die Bundesversammlung den völkerrechtlichen Vertrag genehmigte oder ob ihn der Bundesrat selbstständig abgeschlossen hat.

Artikel 5 Absatz 4 zweiter Satz E-BV unterscheidet ­ anders als Artikel 190 E-BV (vgl. dazu Ziff. 5.3) ­ auch nicht danach, ob der Beschluss der Bundesversammlung über die Genehmigung eines völkerrechtlichen Vertrags dem (obligatorischen oder fakultativen) Staatsvertragsreferendum unterstand (vgl. Art. 140 Abs. 1 Bst. b und Art. 141 Abs. 1 Bst. d BV). Damit stehen gegenüber dem Verfassungsrecht auch 86 87 88 89 90

Statut des Internationalen Gerichtshofs vom 26. Juni 1945; in Kraft getreten für die Schweiz am 28. Juli 1948 (SR 0.193.501).

Vgl. Bericht Völkerrecht/Landesrecht, S. 2281 f.

Charta der Vereinten Nationen vom 26. Juni 1945; in Kraft getreten für die Schweiz am 10. September 2002 (SR 0.120).

Vgl. zur Umsetzung der Urteile durch Bund und Kantone Bericht EMRK, S. 393.

Tschumi/Schindler, SG-BV-Kommentar, Art. 5 N. 63.

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diejenigen völkerrechtlichen Verträge im Nachrang, denen Volk und Stände im Rahmen eines obligatorischen Referendums ­ und insofern in gleicher Weise wie einer Teilrevision der Bundesverfassung ­ zugestimmt haben. Hier zeigt sich eine Unstimmigkeit im Vergleich zu Artikel 190 E-BV, wonach die Massgeblichkeit völkerrechtlicher Verträge neu davon abhängen soll, ob deren Genehmigungsbeschluss dem Referendum unterstanden hat.

5.1.4

Vorbehalt der zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts

Der Vorrang des Verfassungsrechts gilt ausdrücklich nur unter Vorbehalt der «zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts»; diese stünden weiterhin über der Verfassung. Artikel 5 Absatz 4 zweiter Satz E-BV wiederholt wörtlich, was bereits andernorts in der Verfassung steht (vgl. insb. Art. 139 Abs. 3 BV; ferner die Art. 193 Abs. 4 und 194 Abs. 2 BV). So kann namentlich die von den Bundesbehörden zu Artikel 139 Absatz 3 BV konkretisierte Praxis auch im Anwendungsbereich von Artikel 5 Absatz 4 zweiter Satz E-BV zum Tragen kommen. Demnach gehören zu den «zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts» vorab die Normen des zwingenden Völkerrechts (ius cogens), darüber hinaus aber auch die notstandsfesten Garantien der EMRK sowie einzelne notstandsfeste Garantien des UNO-Pakts II (vgl.

Ziff. 2.3). Der Bundesrat hat wiederholt bekräftigt, der landesrechtliche Begriff der «zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts» sei eng auszulegen.91 Das bedeutet, dass beispielsweise die weiteren (nicht notstandsfesten) Garantien der EMRK nicht unter diesen Begriff fallen.

5.2

Umgang mit Widersprüchen zwischen der Bundesverfassung und völkerrechtlichen Verpflichtungen (Art. 56a E-BV)

5.2.1

Ausdrückliches Abschlussverbot

Schon heute ist verfassungsrechtlich vorgeschrieben und wird praktiziert, was mit Artikel 56a Absatz 1 E-BV verankert werden soll, nämlich keine völkerrechtlichen Verpflichtungen einzugehen, die der Bundesverfassung widersprechen. Denn an die Verfassung sind Bundesrat und Bundesversammlung auch in den Aussenbeziehungen gebunden (vgl. Ziff. 4.2.1). Neu ist allerdings, dass diese Pflichten der Bundesbehörden und der kantonalen Behörden ausdrücklich in der Verfassung verankert werden sollen. Artikel 56a E-BV ändert aber nichts am Umfang der Vertragsschlusskompetenzen von Bund und Kantonen (umfassende Kompetenz des Bundes und subsidiäre Kompetenz der Kantone gemäss den Art. 54 und 56 BV).

Das Verbot, der Bundesverfassung widersprechende völkerrechtliche Verpflichtungen einzugehen, bezieht sich auf völkerrechtliche Verträge. Denn Verpflichtungen,

91

Vgl. insb. Zusatzbericht Völkerrecht/Landesrecht, S. 3628.

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die sich aus Völkergewohnheitsrecht oder aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen ergeben, können nicht in diesem Wortsinn (aktiv) eingegangen werden.

In der Praxis wäre festzulegen, welcher konkrete Akt mit dem Eingehen eines völkerrechtlichen Vertrags gemeint ist (frz.: contracter; ital.: assumere). Naheliegend ist eine Anknüpfung an Artikel 11 VRK. Diese Norm bezeichnet die Arten der Zustimmung eines Staates, durch einen Vertrag gebunden zu sein. In der schweizerischen Praxis geschieht dies durch Ratifikation oder Beitritt; damit erklärt der Bundesrat nach Abschluss der innerstaatlichen Genehmigungsverfahren den Willen der Schweiz, durch den Vertrag völkerrechtlich gebunden zu sein (vgl. Art. 184 Abs. 2 BV). Wenn der Bundesrat, ein Departement, eine Gruppe oder ein Amt zum selbstständigen Vertragsabschluss ermächtigt ist,92 kann die Zustimmung auch mittels definitiver Unterzeichnung erklärt werden.

5.2.2

Widerspruch zwischen völkerrechtlichen Verpflichtungen und Vorgaben der Bundesverfassung

Die behördliche Anpassungs- und Kündigungspflicht gemäss Artikel 56a Absatz 2 E-BV setzt einen Widerspruch zwischen einer völkerrechtlichen Verpflichtung und Vorgaben der Bundesverfassung voraus. Nicht sämtliche völkerrechtlichen Verpflichtungen, sondern nur die völkerrechtlichen Verträge sind grundsätzlich anpassbar und kündbar. Das Völkergewohnheitsrecht und die allgemeinen Rechtsgrundsätze können Bund und Kantone nicht anpassen bzw. nötigenfalls kündigen.

Um festzustellen, ob ein Widerspruch im Sinne von Artikel 56a Absatz 2 E-BV besteht, ist nach den herkömmlichen Auslegungsgrundsätzen 93 der Inhalt der fraglichen Verfassungsbestimmung zu ermitteln. Bedeutsam ist namentlich die völkerrechtskonforme Auslegung, mithilfe derer sich ein Normenkonflikt abwenden lässt (vgl. zur Tragweite der völkerrechtskonformen Auslegung Ziff. 5.1.2). Der Inhalt der massgebenden Völkerrechtsnorm ist nach den allgemeinen Regeln für die Auslegung völkerrechtlicher Verträge zu ermitteln (Art. 31­33 VRK). Ein Widerspruch (Normenkonflikt) besteht dann, wenn die verfassungsrechtliche und die völkerrechtliche Norm (oder auch mehrere völkerrechtliche Normen) den gleichen Sachverhalt erfassen, aber Unterschiedliches anordnen. Der Widerspruchsbegriff in Artikel 56a Absatz 2 E-BV wirft vor diesem Hintergrund mehrere Auslegungsfragen auf: ­

92 93

Löst bereits ein punktueller Widerspruch zwischen einer Verfassungsnorm und einer einzigen (allenfalls inhaltlich nur untergeordneten) Vertragsbestimmung die Anpassungs- und Kündigungspflicht aus? Oder braucht es einen Widerspruch zu tragenden Vertragsteilen oder sogar zum ganzen Vertragswerk? Diese Fragen könnten je nach konkreter Rechtsfolge unterschiedlich beantwortet werden. So liesse sich argumentieren, bereits ein punktueller Widerspruch löse die Pflicht aus, mit den betroffenen Vertragsparteien Vgl. Art. 166 Abs. 2 BV sowie allgemein die Art. 7a und 48a Abs. 1 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 1997 (RVOG; SR 172.010).

Botschaft Durchsetzungsinitiative, S. 9478 ff.

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Verhandlungen zu führen, um durch Vertragsanpassung den Normenwiderspruch zu beseitigen. Um aber die Kündigungspflicht auszulösen, wäre der Widerspruch mit einem tragenden Vertragsteil vorausgesetzt. Ein solches Vorgehen fände eine ausdrückliche Stütze im Initiativtext, wonach die Kündigung nur «nötigenfalls» erfolgen soll.94

94 95 96

­

Ist von einem Widerspruch bereits dann auszugehen, wenn sich unabhängig von einem konkreten Anwendungsfall ein (vorerst nur potenzieller) Normenkonflikt zwischen der Bundesverfassung und völkerrechtlichen Verpflichtungen ergibt? Oder liegt ein Widerspruch im Sinne von Artikel 56a Absatz 2 E-BV erst dann vor, wenn der Normenkonflikt im Rahmen eines konkreten Anwendungsfalls zutage tritt? Die Absätze 1 und 2 von Artikel 56a E-BV stellen ab auf den Begriff des Widerspruchs und nicht etwa auf den Begriff der Verletzung. Diese Wortwahl legt die Vermutung nahe, dass bereits ein potenzieller Normenkonflikt einen Widerspruch im Sinne von Artikel 56a Absatz 2 E-BV darstellen kann.

­

Möglich ist ferner, dass das für die Schweiz verbindliche Urteil eines internationalen Gerichts Hinweise auf einen Widerspruch zwischen der Bundesverfassung und völkerrechtlichen Verpflichtungen liefert. Konkret ist z. B.

an eine Verurteilung der Schweiz durch den EGMR zu denken. 95 Dabei stellt sich die Frage, ob bereits ein einziges Urteil für die Annahme eines Widerspruchs ausreicht oder ob dazu eine gefestigte, über längere Zeit aufrecht erhaltene («ständige») Rechtsprechung nötig ist.96 Analoge Fragen stellen sich, wenn das Bundesgericht die Völkerrechtskonformität überprüft und beispielsweise die Verletzung einer Garantie der EMRK feststellt. Zu beachten ist auch, dass ein solches Urteil häufig nur die Völkerrechtswidrigkeit des angefochtenen Entscheids feststellt und darüber hinaus keine Feststellung über die allfällige Völkerrechtswidrigkeit der dem Entscheid zugrundeliegenden landesrechtlichen (verfassungsrechtlichen) Norm enthält.

­

Adressaten von Artikel 56a Absatz 2 E-BV sind «Bund und Kantone». Nicht ausdrücklich geregelt ist die Frage, welche Bundesbehörde konkret zur Feststellung eines Widerspruchs berufen ist. Eine solche Zuständigkeit dürfte zunächst für das Bundesgericht bestehen, wenn es bei der Beurteilung von Rechtsstreitigkeiten einen Normenkonflikt erkennt. Ferner könnten auch die Bundesversammlung und der Bundesrat eine solche Zuständigkeit beanspruchen, und zwar jeweils insoweit, als sie auch zur Änderung bzw. zur Kündigung des betreffenden völkerrechtlichen Vertrags zuständig sind (vgl. hiernach die Ausführungen zur innerstaatlichen Zuständigkeit zur Kündigung völkerrechtlicher Verträge).

Frage offen gelassen bei Keller/Balazs-Hegedüs, S. 720.

Vgl. für die Entwicklung der Beschwerdezahlen und Erledigungen am EGMR im Allgemeinen und in Bezug auf die Schweiz (bis Ende 2013) den Bericht EMRK, S. 381 ff.

Dazu wird im Argumentarium Selbstbestimmungsinitiative ausgeführt, die Kündigung der EMRK werde in Kauf genommen, wenn es zu «wiederholten und grundlegenden Konflikten mit der Verfassung» komme (S. 24). Vgl. zu dieser Problematik auch Kolb, S. 575 f.

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5.2.3

Anpassung völkerrechtlicher Verpflichtungen

Die im Widerspruchsfall von Artikel 56a Absatz 2 E-BV geforderte Anpassung würde in der Regel durch (Neu-)Verhandlung97 mit den betroffenen Vertragspartnern erfolgen. Allgemein kann ein völkerrechtlicher Vertrag durch Übereinkunft geändert (angepasst) werden. Soweit der betreffende Vertrag nichts anderes vorsieht, finden auf eine solche Übereinkunft die Vorschriften gemäss den Artikeln 6­25 VRK Anwendung (vgl. Art. 39 VRK). Für die Änderung multilateraler Verträge sind die Artikel 40 und 41 VRK zu beachten.

Die Pflicht zur Anpassung der völkerrechtlichen Verpflichtungen entfaltet ihre Wirkung im Zeitpunkt der Annahme bzw. des Inkrafttretens der entgegenstehenden Verfassungsnorm durch Volk und Stände (vgl. Art. 195 BV und Art. 197 Ziff. 12 E-BV) bzw. im Zeitpunkt der Feststellung des Widerspruchs. Eine zustande gekommene, aber Volk und Ständen noch nicht zur Abstimmung unterbreitete Volksinitiative vermag demgegenüber die Anpassungspflicht gemäss Artikel 56a Absatz 2 E-BV noch nicht auszulösen.

Die Anpassungspflicht richtet sich in einer ersten Phase grundsätzlich an den Bundesrat, in dessen aussenpolitische Kompetenz die Aushandlung internationaler Verträge fällt (vgl. Art. 184 Abs. 1 BV). Die Anpassungspflicht richtet sich indessen an untergeordnete Verwaltungseinheiten (Departement, Gruppe oder Amt), wenn die Bundesversammlung oder der Bundesrat die Zuständigkeit zum Vertragsabschluss an die betreffende Verwaltungseinheit delegiert hat. Für die Genehmigung einer allfälligen Vertragsänderung gelten die allgemeinen Zuständigkeiten von Bundesrat, Parlament und Stimmvolk.98 Dabei ist die Zuständigkeit für die Änderung von völkerrechtlichen Verträgen gemäss konstanter Praxis der Bundesbehörden grundsätzlich nach den gleichen Regeln zu beurteilen wie die Zuständigkeit zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge: Beurteilungsmassstab ist die Tragweite der Vertragsänderung. Das heisst, selbst wenn der Vertragsabschluss der parlamentarischen Genehmigung (und eventuell dem Referendum) unterstand, kann der Bundesrat selbstständig über die Vertragsänderung beschliessen, sofern diese den Rahmen einer spezialgesetzlichen Kompetenz nicht überschreitet oder sofern diese nur eine «beschränkte Tragweite» im Sinne von Artikel 7a Absatz 2 RVOG hat. Umgekehrt bedarf auch die Änderung eines vom Bundesrat selbstständig
abgeschlossenen völkerrechtlichen Vertrags der parlamentarischen Genehmigung (evtl. unter Einschluss des Referendums), wenn die Vertragsänderung die spezialgesetzliche Kompetenz des Bundesrates überschreitet oder eine über Artikel 7a Absatz 2 RVOG hinausreichende Tragweite hat. Angepasst im Sinne von Artikel 56a Absatz 2 E-BV ist der entsprechende völkerrechtliche Vertrag mit dem Abschluss der Änderungsvereinbarung. Das bedeutet, dass diese Vereinbarung genehmigt bzw. unterzeichnet und gegebenenfalls ratifiziert sein muss.

97 98

Der Begriff der Neuverhandlung wird in Art. 197 Ziff. 11 Abs. 1 BV (Übergangsbestimmung zu Art. 121a BV) mit Bezug auf die Steuerung der Zuwanderung verwendet.

Vgl. die Art. 166 Abs. 2 und 184 Abs. 2 BV (Zuständigkeiten von Bundesversammlung und Bundesrat) sowie die Art. 140 Abs. 1 Bst. b und 141 Abs. 1 Bst. d BV (obligatorisches und fakultatives Staatsvertragsreferendum).

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Artikel 56a Absatz 2 E-BV setzt zwar keine Zeitvorgaben. Doch wären nach der Feststellung eines Widerspruchs zwischen der Bundesverfassung und völkerrechtlichen Verpflichtungen die Neuverhandlungen rasch aufzunehmen und zielorientiert zu gestalten. Weil aber das Völkervertragsrecht auf dem Konsens der Vertragspartner beruht und nicht durch Mehrheitsentscheid zustande kommt, sind Prognosen über den Verhandlungsverlauf schwierig. Wie lange die Verhandlungen dauern und ob sie überhaupt erfolgreich zu Ende geführt werden können, hängt wesentlich von der Bereitschaft und vom Verhalten der Vertragspartner ab. Ferner ist zu beachten, dass die Anpassung insbesondere von multilateralen Verträgen sehr schwierig oder praktisch sogar unmöglich ist, weil in der Regel sämtliche Vertragspartner zustimmen müssen.99 So wäre es beispielsweise in Bezug auf die Menschenrechtskodifikationen oder auf Verpflichtungen im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO/GATS) wohl schwierig, wenn nicht sogar unmöglich, innert absehbarer Zeit zu einer neuen Regelung zu gelangen.

Die Anpassungspflicht kann auch nicht dadurch erfüllt werden, dass die Schweiz in Bezug auf einen multilateralen Vertrag nachträglich einen Vorbehalt anbringt mit dem Ziel, den Widerspruch zum Verfassungsrecht zu beseitigen.100 Denn allgemein müssen Vorbehalte vorgängig angebracht werden, das heisst «bei der Unterzeichnung, Ratifikation, Annahme oder Genehmigung eines Vertrags oder beim Beitritt» (Art. 19 VRK). Ferner wird auch die Zulässigkeit in Frage gestellt, einen völkerrechtlichen Vertrag zu kündigen, um ihn sofort wieder mit einem neuen Vorbehalt zu ratifizieren.101 Ein solches Vorgehen könnte als Verstoss gegen Treu und Glauben und gar als rechtsmissbräuchlich qualifiziert werden.

Ergänzend zur Anpassungspflicht gemäss Artikel 56a Absatz 2 E-BV besteht weiterhin auch die Möglichkeit, im Fall eines Widerspruchs zwischen völkerrechtlichen Verpflichtungen und der Bundesverfassung den Normenkonflikt durch eine (erneute) Verfassungsrevision zu beseitigen. Denn gemäss Artikel 192 Absatz 1 BV kann die Bundesverfassung jederzeit ganz oder teilweise revidiert werden. Es bestehen keine zwingenden Wartefristen.

5.2.4

Nötigenfalls Kündigung des widersprechenden völkerrechtlichen Vertrags

Misslingt die Anpassung des widersprechenden völkerrechtlichen Vertrags, so ist der Widerspruch gemäss Artikel 56a Absatz 2 E-BV durch Kündigung zu beseitigen. Die Pflicht zur Kündigung aktualisiert sich in dem Moment, in dem das Scheitern der Vertragsanpassung feststeht. Dies festzustellen dürfte aber in der Praxis schwierig sein, etwa wenn Vertragsverhandlungen sistiert oder vorläufig abgelehnt werden oder wenn Anzeichen dafür bestehen, dass eine Einigung noch in einem späteren Zeitpunkt (bei veränderten Umständen) möglich sein könnte.

99 100 101

Kolb, S. 576.

Vgl. so aber Argumentarium Selbstbestimmungsinitiative, S. 34.

Vgl. Bericht EMRK, S. 405 f. mit Hinweis auf BGE 118 Ia 473 E. 7c/cc. Vgl. auch Auer/Beusch/Bucher, Rz. 40.

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Gemäss Artikel 56a Absatz 2 E-BV ist der widersprechende völkerrechtliche Vertrag nötigenfalls zu kündigen. Diese Formulierung macht deutlich, dass die Vertragskündigung nur letztes Mittel zur Auflösung des Normenkonflikts sein darf. Sie fällt jedenfalls so lange ausser Betracht, als reelle Chancen bestehen, den Normenkonflikt durch Anpassung des völkerrechtlichen Vertrags zu beseitigen. Der Begriff «nötigenfalls» kann auch so verstanden werden, dass vor dem Entscheid über die Kündigung eine Abwägung vorzunehmen ist, bei der auch die Bedeutung des völkerrechtlichen Vertrags in Betracht zu ziehen ist. Der vorgeschlagene Verfassungstext macht überdies keine Vorgaben dazu, innert welcher Zeit ein verfassungswidrig gewordener völkerrechtlicher Vertrag nach einer erfolglosen Anpassung zu kündigen wäre. Der Begriff «nötigenfalls» ist somit unklar und schafft ebenfalls Rechtsunsicherheit.

Die Beendigung eines Vertrags kann entweder nach dem vertraglich vorgesehenen Verfahren erfolgen, jederzeit durch Einvernehmen zwischen den Vertragsparteien (Art. 54 VRK) oder auf der Grundlage der folgenden in der VRK genannten Gründe: Beendigung infolge erheblicher Vertragsverletzung (Art. 60 VRK), nachträgliche Unmöglichkeit (Art. 61 VRK) oder grundlegende Änderung der Umstände (Art. 62 VRK). Verträge ohne Kündigungsmodalitäten sind trotzdem kündbar, wenn feststeht, dass die Vertragsparteien die Möglichkeit einer Kündigung oder eines Rücktritts zuzulassen beabsichtigten oder wenn sich ein Kündigungs- oder Rücktrittsrecht aus der Natur des Vertrags herleiten lässt (Art. 56 Abs. 1 VRK).

Unkündbare Verträge sind in der Praxis selten.102 Gemeinhin als unkündbar angesehen werden Verträge über territoriale Fragen (z. B. Festlegung von Grenzen zwischen zwei Staaten), Friedensverträge sowie die UNO-Pakte I103 und II104. Doch können die Vertragsparteien auch solche Verträge im gegenseitigen Einvernehmen beenden.

Die Kündigung eines (bilateralen) Vertrags oder der Rücktritt (von einem multilateralen Vertrag) ist ein einseitiger Akt, der keiner Zustimmung der andern Vertragspartei bedarf und von dieser, sofern die rechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen gegeben sind, auch nicht abgelehnt werden kann. Ebenso wie die Ratifikation sind Kündigung und Rücktritt völkerrechtliche Akte. Sie erfolgen nach den im Vertrag vorgesehenen
Formen, in aller Regel schriftlich, bei bilateralen Verträgen gegenüber der andern Vertragspartei, bei multilateralen Abkommen gegenüber dem Depositar. Die aus dem Vertrag fliessenden Rechte und Pflichten der Vertragsparteien enden mit dem Zeitpunkt der Wirksamkeit der Kündigung oder des Rücktritts (Art. 70 VRK).105

102

Vgl. zur Problematik von unkündbaren Verträgen im Kontext der Selbstbestimmungsinitiative auch Kolb, S. 577.

103 Internationaler Pakt vom 16. Dez. 1966 über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, in Kraft getreten für die Schweiz am 18. Sept. 1992 (SR 0.103.1).

104 Internationaler Pakt vom 16. Dez. 1966 über bürgerliche und politische Rechte, in Kraft getreten für die Schweiz am 18. Sept. 1992 (SR 0.103.2).

105 Vgl. z. B. Art. 25 Abs. 4 FZA, wonach dieses Abkommen im Falle einer Kündigung sechs Monate nach Erhalt der Notifikation über die Kündigung ausser Kraft tritt.

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5.2.5

Innerstaatliche Zuständigkeit zur Vertragskündigung

Artikel 56a Absatz 2 E-BV regelt nicht, welche Behörde zur Kündigung des widersprechenden völkerrechtlichen Vertrags befugt ist. Ausgangspunkt für die heutige Praxis bei der Kündigung von völkerrechtlichen Verträgen ist Artikel 184 Absatz 1 BV, wonach der Bundesrat die Schweiz nach aussen vertritt. 106 Er ist zur Vornahme völkerrechtlicher Akte berufen; dazu gehören unter anderem: Aushandlung, Unterzeichnung, Ratifikation, Kündigung und Suspendierung völkerrechtlicher Verträge.107 Zur Vornahme dieser völkerrechtlichen (aussenwirksamen) Akte ist der Bundesrat grundsätzlich alleine zuständig. Die Kündigungskompetenz des Bundesrates erstreckt sich deshalb auch auf völkerrechtliche Verträge, die der parlamentarischen Genehmigung bzw. dem Referendum unterstanden. Hat der Bundesrat nach Massgabe von Artikel 48a Absatz 1 RVOG seine Vertragsabschlusskompetenz an ein Departement, eine Gruppe oder an ein Amt delegiert, so ist diese Verwaltungseinheit auch befugt, den völkerrechtlichen Vertrag wieder aufzulösen.108 Artikel 152 Absatz 3 ParlG verpflichtet den Bundesrat, die Aussenpolitischen Kommissionen (APK) des Parlaments zu wesentlichen Vorhaben zu konsultieren. Eine Konsultation wäre namentlich angezeigt, wenn der Bundesrat die Kündigung eines von der Bundesversammlung genehmigten völkerrechtlichen Vertrags in Erwägung ziehen sollte. Die Kündigungskompetenz des Bundesrates schliesst es ferner nicht aus, die ausdrückliche Ermächtigung des Parlaments zur beabsichtigten Kündigung einzuholen. Ein solcher Schritt fällt dann in Betracht, wenn er bereits beim Vertragsabschluss im entsprechenden Genehmigungsbeschluss vorgesehen war oder wenn es sich um einen besonders wichtigen Vertrag handelt. So hat der Bundesrat bereits festgehalten, dass beispielsweise die Kündigung der EMRK angesichts der ausserordentlichen Tragweite eines solchen Schrittes den Einbezug des Parlaments erfordere.109 Die SPK-S hat am 25. August 2016 eine Kommissionsinitiative eingereicht mit dem Ziel, die innerstaatlichen Zuständigkeiten für die Kündigung von völkerrechtlichen Verträgen ausdrücklich und abweichend von der bisherigen Praxis zu regeln. 110 Gemäss dieser parlamentarischen Initiative soll künftig die Ermächtigung zur Kündigung völkerrechtlicher Verträge denselben Zuständigkeitsregeln folgen wie der Abschluss bzw. die Genehmigung
von völkerrechtlichen Verträgen. Es gälte damit in Bezug auf die Zuständigkeiten der Bundesversammlung und des Bundesrates und in Bezug auf die Referendumspflicht ein Parallelismus zwischen Vertragsabschluss und -beendigung. Eine solche Stärkung der demokratischen Legitimation bei der Beendigung von Verträgen erscheint der Kommission namentlich dort angezeigt, 106

107 108 109 110

Vgl. für eine Zusammenfassung der bisherigen Praxis die Stellungnahme des Bundesrates vom 25. Febr. 2015 zur Ip. 14.4249 Schneider-Schneiter «Schutz der Rechte der Stimmbevölkerung».

Botschaft nBV, S. 416.

Mitteilung DV/BJ, S. 1132.

Bericht EMRK, S. 407; Stellungnahme des Bundesrates vom 25. Febr. 2015 zur Ip. 14.4249 Schneider-Schneiter «Schutz der Rechte der Stimmbevölkerung».

Pa. Iv. 16.456 SPK-S «Kündigung und Änderung von Staatsverträgen. Verteilung der Zuständigkeiten»; die SPK-N hat diesem Vorstoss am 17. Nov. 2016 zugestimmt.

5388

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wo der Wegfall eines völkerrechtlichen Vertrags mit erheblichen wirtschaftlichen oder politischen Konsequenzen, mit hohen Kosten oder mit einem Verlust von Rechten einzelner Personen verbunden ist. Zwischen der erwähnten Kommissionsinitiative und der in Artikel 56a Absatz 2 E-BV verankerten Vorschrift, verfassungswidrige völkerrechtliche Verträge nötigenfalls zu kündigen, bestehen damit enge Bezugspunkte. Falls die Kommissionsinitiative im erwähnten Sinn umgesetzt wird, steht künftig der Entscheid über die Kündigung von wichtigen völkerrechtlichen Verträgen unter dem Vorbehalt der ausdrücklichen oder stillschweigenden Zustimmung des Volks (fakultatives Referendum) bzw. in gewissen Fällen sogar unter dem Vorbehalt der ausdrücklichen Zustimmung von Volk und Ständen (obligatorisches Referendum).

5.2.6

Vorbehalt der zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts

Das Verbot, der Bundesverfassung widersprechende völkerrechtliche Verpflichtungen einzugehen (Art. 56a Abs. 1 E-BV), sowie die Anpassungs- und Kündigungspflicht im Widerspruchsfall (Art. 56a Abs. 2 E-BV) gelten gemäss Artikel 56a Absatz 3 E-BV ausdrücklich nur unter dem Vorbehalt der «zwingenden Bestimmungen des Völkerrechts» (vgl. zu diesem Begriff Ziff. 2.3 und 5.1.4).

5.3

Eingeschränkter Anwendungsvorrang (Art. 190 E-BV)

5.3.1

Tragweite und Regelungszweck von Artikel 190 BV

Artikel 190 BV in seiner heutigen Fassung will sicherstellen, dass die rechtsanwendenden Behörden, letztinstanzlich das Bundesgericht, die Bundesgesetze und das Völkerrecht unabhängig von einer allfälligen Verfassungswidrigkeit anwenden (Anwendungsvorrang des Bundesgesetzes und des Völkerrechts; auch: Anwendungsoder Massgeblichkeitsgebot). Das bedeutet, dass sich der Geltungsvorrang der Bundesverfassung vor dem Bundesgesetz gerichtlich nicht durchsetzen lässt; das Bundesgesetz ist insoweit «immunisiert» und unterliegt somit nicht der Verfassungsgerichtsbarkeit.111 Analoges gilt für völkerrechtliche Bestimmungen; sie müssen angewendet werden, und zwar grundsätzlich auch dann, wenn sie der Bundesverfassung widersprechen (vgl. zum Verhältnis Völkerrecht-Bundesverfassung auch Ziff. 4.2.4). Artikel 190 BV gilt aber ausdrücklich nur für die Rechtsanwendung und entbindet somit nicht von der Pflicht, bei der Gesetzgebung und bei der

111

Das Anwendungsgebot in Art. 190 BV bedeutet kein Prüfungsverbot. Das Bundesgericht darf die Verfassungsmässigkeit eines Bundesgesetzes prüfen. Stellt das Gericht eine Verfassungswidrigkeit fest, so muss aber das Gesetz trotzdem angewandt werden; das Bundesgericht kann lediglich den Gesetzgeber in den Urteilserwägungen einladen, die fragliche Bestimmung zu ändern (vgl. BGE 141 II 280 E. 9.2, 140 I 353 E. 4.1).

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Genehmigung völkerrechtlicher Verträge die Verfassung einzuhalten (Geltungsvorrang der Bundesverfassung).112 Als Regelungszweck von Artikel 190 BV steht in Bezug auf die «Immunisierung» von Bundesgesetzen die Kompetenzverteilung zwischen Legislative und Judikative im Vordergrund: Artikel 190 BV legt die Frage nach der Verfassungsmässigkeit von Bundesgesetzen in die Letztentscheidungsbefugnis der Bundesversammlung. Nicht im Nachhinein die Justiz, sondern von Anfang an die Politik soll die primäre Verantwortung für die Verfassungskonformität der Bundesgesetzgebung übernehmen.113 Bei der «Immunisierung» des Völkerrechts steht als Regelungszweck die Verlässlichkeit der Schweiz als Vertragspartnerin im Vordergrund.114 Artikel 190 E-BV ändert nichts am Anwendungsvorrang des Bundesgesetzes gegenüber der Verfassung. Trotz Artikel 5 Absatz 4 E-BV wären Bundesgesetze nach wie vor im soeben beschriebenen Umfang «immunisiert».

Während aber nach geltendem Recht für das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden das «Völkerrecht» massgebend ist, gälte dies laut Artikel 190 BV nur noch für «völkerrechtliche Verträge, deren Genehmigungsbeschluss dem Referendum unterstanden hat». Damit soll das Massgeblichkeitsgebot in Bezug auf das Völkerrecht in doppelter Hinsicht eingeschränkt werden.

5.3.2

Erste Einschränkung: «Völkerrechtliche Verträge» anstatt «Völkerrecht»

Das in Artikel 190 BV verankerte Massgeblichkeitsgebot gilt für das gesamte Völkerrecht. Gemeint sind in erster Linie die von der Schweiz abgeschlossenen und noch in Kraft stehenden völkerrechtlichen Verträge. Artikel 190 BV erfasst aber darüber hinaus auch die übrigen in Artikel 38 Ziffer 1 des IGH-Statuts kodifizierten und für die Schweiz verbindlichen (primären) Rechtsquellen des Völkerrechts sowie das sogenannte sekundäre Völkerrecht (vgl. für Näheres Ziff. 5.1.3).115 In diesem Punkt soll gemäss Wortlaut von Artikel 190 E-BV die «Immunisierung» des Völkerrechts teilweise aufgebrochen und das Massgeblichkeitsgebot auf völkerrechtliche Verträge beschränkt werden. Demnach wäre nach Annahme der Selbstbestimmungsinitiative beispielsweise fraglich, ob das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden einen nach Artikel 25 der UNO-Charta auch für die Schweiz verbindlichen Sanktionsbeschluss des UNO-Sicherheitsrats (sekundäres Völkerrecht) auch dann noch anwenden dürften, wenn dieser verfassungswidrig ist.

Mit der gleichen Rechtsfrage wären die rechtsanwendenden Behörden konfrontiert in Bezug auf verfassungswidriges Völkergewohnheitsrecht und in Bezug auf verfassungswidrige allgemeine (völkerrechtliche) Rechtsgrundsätze.116

112 113 114 115

Botschaft nBV, S. 428; Epiney, BS-BV-Kommentar, Art. 190 N. 22.

Tschannen, § 8 N. 8.

Biaggini, Art. 190 N. 7.

Botschaft nBV, S. 428 f.; BGE 133 II 450 E. 6.1; Hangartner/Looser, SG-BV-Kommentar, Art. 190 N. 23.

116 Vgl. zu dieser Problematik auch Kolb, S. 578.

5390

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5.3.3

Zweite Einschränkung: Anwendungsvorrang nur noch für referendumspflichtige völkerrechtliche Verträge

Für die Zuständigkeit zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge gilt Folgendes: Die Bundesversammlung genehmigt die völkerrechtlichen Verträge; ausgenommen sind die Verträge, für deren Abschluss aufgrund von Gesetz oder völkerrechtlichem Vertrag ­ im sog. vereinfachten Vertragsschlussverfahren ­ der Bundesrat zuständig ist (Art. 166 Abs. 2 BV; Art. 24 Abs. 2 ParlG; Art. 7a Abs. 1 RVOG).117 Von den von der Bundesversammlung genehmigten völkerrechtlichen Verträgen unterstehen die in den Artikeln 140 Absatz 1 Buchstabe b und 141 Absatz 1 Buchstabe d BV genannten Verträge dem obligatorischen bzw. fakultativen Referendum (Staatsvertragsreferendum).

Heute erfasst das Massgeblichkeitsgebot (Art. 190 BV) sämtliche völkerrechtlichen Verträge. Namentlich ist unerheblich, welches Organ den Vertrag abgeschlossen hat und ob ein von der Bundesversammlung genehmigter Vertrag dem fakultativen oder dem obligatorischen Referendum unterstanden hat.

Auch nach Annahme der Selbstbestimmungsinitiative blieben alle völkerrechtlichen Verträge im Sinne von Artikel 190 E-BV massgebend, deren Genehmigungsbeschluss dem fakultativen oder obligatorischen Referendum unterstanden hat («qualifiziertes Völkervertragsrecht»). Das bedeutet, dass das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden einen referendumspflichtigen völkerrechtlichen Vertrag weiterhin auch dann anwenden müssten, wenn er verfassungswidrig wäre. In Bezug auf solche Verträge gelangt die in der Selbstbestimmungsinitiative vorgesehene Vorrangregel «Verfassungsrecht bricht Völkerrecht» (Geltungsvorrang; vgl. Art. 5 Abs. 4 zweiter Satz E-BV) in der Rechtsanwendung nicht zum Durchbruch.118 Allerdings handelt es sich auch bei referendumspflichtigen Verträgen, wenn sie im Widerspruch zur Bundesverfassung stehen, um «völkerrechtliche Verpflichtungen» im Sinne von Artikel 56a Absatz 2 E-BV, die anzupassen und nötigenfalls zu kündigen sind.

Die von der Bundesversammlung genehmigten, aber nicht referendumspflichtigen völkerrechtlichen Verträge sowie die vom Bundesrat oder von untergeordneten Verwaltungseinheiten abgeschlossenen Verträge wären hingegen im Unterschied zur heutigen Rechtslage nicht mehr massgebend (Art. 190 E-BV e contrario). Solche Verträge, wenn sie im Widerspruch zur Bundesverfassung stehen, dürften das Bundesgericht und die rechtsanwendenden
Behörden nicht mehr anwenden. Im Ergebnis kann dies im Einzelfall zu einer Völkerrechtsverletzung führen, wofür sich die Schweiz gegenüber den betroffenen Staaten völkerrechtlich zu verantworten hätte.

Das Risiko der Völkerrechtsverletzung dauert an, bis der widersprechende völkerrechtliche Vertrag angepasst oder gekündigt ist (Art. 56a Abs. 2 E-BV).

117

Der Bundesrat kann nach Massgabe von Art. 48a Abs. 1 RVOG seine Vertragsschlusskompetenz an ein Departement delegieren; bei Verträgen von beschränkter Tragweite kann er diese Zuständigkeit auch an eine Gruppe oder an ein Bundesamt delegieren.

118 Vgl. so auch Argumentarium Selbstbestimmungsinitiative, S. 34.

5391

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5.3.4

Auslegungsfragen zum Begriff der Referendumspflicht in Artikel 190 E-BV

Artikel 190 E-BV führt ein neues Unterscheidungsmerkmal ein und stellt für die Massgeblichkeit völkerrechtlicher Verträge darauf ab, ob «deren Genehmigungsbeschluss dem Referendum unterstanden hat». 119 Dieses Kriterium ist bei völkerrechtlichen Verträgen, die dem fakultativen Referendum unterstehen (Art. 141 Abs. 1 Bst. d BV), unabhängig von der Durchführung einer Abstimmung erfüllt. Es kommt folglich nicht darauf an, ob das Volk den Vertrag stillschweigend gebilligt hat (weil das Referendum nicht ergriffen wurde oder nicht zustande kam) oder ob es den Vertrag (in einer Abstimmung) ausdrücklich angenommen hat. Hingegen ist bei völkerrechtlichen Verträgen, die dem obligatorischen Referendum unterstehen, stets die ausdrückliche Annahme durch Volk und Stände erforderlich (vgl. Art. 140 Abs. 1 Bst. b BV).

Darüber hinaus führt der Begriff der Referendumspflicht in Artikel 190 E-BV zu mehreren Auslegungsfragen, die sich namentlich anhand internationaler Menschenrechtsverträge und anhand sogenannter Standardabkommen verdeutlichen lassen:

119 120 121 122 123

­

Nur schon aus Gründen der Rechtssicherheit sollte die einfach feststellbare Tatsache entscheidend sein, ob der völkerrechtliche Vertrag im Zeitpunkt seiner Genehmigung referendumspflichtig war und nicht die hypothetische Rechtsfrage, ob die Referendumspflicht gemessen an der heutigen Verfassungsregelung zu bejahen wäre. Diese Interpretation findet eine Stütze im Wortlaut von Artikel 190 E-BV, wonach ausschlaggebend ist, ob der «Genehmigungsbeschluss dem Referendum unterstanden hat». Das würde beispielsweise für die am 3. Oktober 1974 von der Bundesversammlung genehmigte EMRK120 Folgendes bedeuten: Gestützt auf die damalige Verfassungsregelung (Art. 89 Abs. 4 aBV) hat die Bundesversammlung ihren Genehmigungsbeschluss weder dem obligatorischen noch dem fakultativen Staatsvertragsreferendum unterstellt.121 Würde man allein auf diesen Umstand abstellen, so müsste dies zum Schluss führen, die EMRK als Vertrag, der nicht dem Referendum unterstanden hat, sei in der Rechtsanwendung im Sinne von Artikel 190 E-BV nicht mehr massgebend.

­

Die EMRK weist aber gewisse Besonderheiten auf, die bei der Interpretation von Artikel 190 E-BV zu erwägen sind. Zunächst ist daran zu erinnern, dass die materiellen Garantien der EMRK im Rahmen der Nachführung der Bundesverfassung in die heutige Bundesverfassung übernommen worden sind.122 Insofern haben sie zumindest indirekt eine demokratische Legitimation durch Volk und Stände erhalten.123 Weiter zielt die Kritik an der EMRK der Sache nach insbesondere auf den EGMR und damit auf den Kontrollmechanismus der EMRK. Dessen heutige Ausgestaltung geht im WesentVgl. zur Kritik an diesem Kriterium Kolb, S. 578.

AS 1974 2148 Vgl. für Einzelheiten den Bericht EMRK, S. 373 f.

Botschaft nBV, S. 137 ff.

«Eine Volksabstimmung über das gesamte geltende Verfassungsrecht bietet eine willkommene Gelegenheit, sich dieser grundlegenden Normen bewusst zu machen und sie zu bestätigen» (Botschaft nBV, S. 47).

5392

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lichen auf die grundlegende Reform durch die Protokolle Nr. 11124 und Nr. 14125 zurück. Das von der Bundesversammlung am 18. März 2016 genehmigte Protokoll Nr. 15126 führt zu weiteren Änderungen am Kontrollmechanismus und damit am Text der EMRK. Die Protokolle Nr. 14 und Nr. 15 unterstanden dem fakultativen Referendum nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV. Die in Abschnitt I (Art. 2­18) der EMRK verankerten materiellen Rechte und Freiheiten sind zwar seit dem Vertragsabschluss im Jahr 1950 unverändert geblieben. Allerdings haben mehrere Zusatzprotokolle den Katalog der Rechte und Freiheiten erweitert 127 und sind die Urteile des EGMR im Wesentlichen das Resultat eines Verfahrens, das im referendumspflichtigen Protokoll Nr. 14 umschrieben ist.128 Vor diesem Hintergrund könnte davon ausgegangen werden, die Zustimmung zum Protokoll Nr. 14 bedeute auch die implizite Zustimmung zur EMRK («Mutterkonvention»).129 Würde eine solche implizite Zustimmung verneint, sähen sich die rechtsanwendenden Behörden mit der schwierigen Situation konfrontiert, dass zwar das referendumspflichtige Zusatzprotokoll massgebend wäre, nicht hingegen die Konvention selbst.130 Eine vergleichbare Problematik besteht beispielsweise in Bezug auf das im Jahr 1971 abgeschlossene (nicht referendumspflichtige) Doppelbesteuerungsabkommen mit Deutschland131 und das Änderungsprotokoll vom 17. Juni 2011132, das dem fakultativen Staatsvertragsreferendum unterstand.

­

124

125

126 127 128

129

130 131

132

Während unsicher sein mag, ob die EMRK im Sinne von Artikel 190 E-BV noch als massgebend eingestuft werden könnte, wäre die Rechtslage klar in Bezug auf den UNO-Pakt II, der vergleichbare Garantien enthält wie die Protokoll Nr. 11 vom 11. Mai 1994 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Umgestaltung des durch die Konvention eingeführten Kontrollmechanismus (SR 0.101.09; AS 1998 2993).

Protokoll Nr. 14 vom 13. Mai 2004 zur Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Änderung des Kontrollsystems der Konvention (SR 0.101.094; AS 2009 3067). Die Referendumsfrist für das Protokoll Nr. 14 ist am 6. April 2006 unbenützt abgelaufen.

BBl 2016 2125 (Bundesbeschluss) und 2015 2359 (Vertragstext). Die Referendumsfrist für das Protokoll Nr. 15 ist am 7. Juli 2016 unbenützt abgelaufen.

Vgl. Bericht EMRK, S. 368 f.

Art. 122 des Bundesgerichtsgesetzes vom 17. Juni 2005 (BGG; SR 173.110) sieht vor, dass die Revision eines Urteils des Bundesgerichts verlangt werden kann, wenn der EGMR in einem endgültigen Urteil festgestellt hat, dass die EMRK oder die Protokolle dazu verletzt worden sind.

Vgl. auch Auer/Beusch/Bucher, Rz. 23. Ferner könnte auch insofern von einer impliziten Zustimmung zur EMRK ausgegangen werden, als auch Art. 122 BGG dem Gesetzesreferendum unterstand (vgl. Fn. 128).

Vgl. Müller/Thürer, S. 14.

Abkommen vom 11. Aug. 1971 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (SR 0.672.913.62; AS 1972 3075; BBl 1971 II 1423, hier 1448).

Protokoll vom 27. Okt. 2010 zur Änderung des Abkommens vom 11. Aug. 1971 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Bundesrepublik Deutschland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen in der Fassung des Revisionsprotokolls vom 12. März 2002 (AS 2012 825; BBl 2011 485, hier 499).

5393

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EMRK. Der parlamentarische Genehmigungsbeschluss vom 13. Dezember 1991 unterstand dem Staatsvertragsreferendum für unbefristete und unkündbare Verträge (Art. 89 Abs. 3 Bst. a aBV).133 Dieser multilaterale Staatsvertrag bliebe auch im Fall eines Widerspruchs mit der Verfassung anwendbar (vgl. zur Frage der Anpassung und Kündigung dieses Vertrags Ziff. 5.2.4).

­

Der Umgang mit dem in Artikel 190 E-BV verankerten Unterscheidungsmerkmal der Referendumspflicht könnte auch in Bezug auf sogenannte Standardabkommen zu Unsicherheiten führen. Gemeint sind Abkommen mit ähnlichen oder gar identischen Inhalten, welche die Schweiz mit zahlreichen Staaten abgeschlossen hat. Bei solchen Abkommen, zu denen die Doppelbesteuerungs-, Freihandels- und Investitionsschutzabkommen sowie die Abkommen über die soziale Sicherheit zählen, hat sich die Praxis entwickelt, diese nicht dem fakultativen Referendum zu unterstellen, obwohl sie «wichtige rechtsetzende Bestimmungen» (i. S. v. Art. 141 Abs. 1 Bst. d Ziff. 3 BV) enthalten. Bundesrat und Bundesversammlung führten zur Begründung an, solche staatsvertraglichen Pflichten gälten nur dann als wichtig, wenn sie nicht bereits in anderen Verträgen der Schweiz mit anderen Staaten vereinbart wurden. Beispielsweise verzichtete die Bundesversammlung darauf, ihren Genehmigungsbeschluss vom 20. März 2014 zum Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und China dem fakultativen Referendum zu unterstellen.134 Nach Annahme der Selbstbestimmungsinitiative wäre fraglich, ob die rechtsanwendenden Behörden solche Standardabkommen im Falle eines Widerspruchs mit der Verfassung weiterhin anwenden könnten. In diesem Zusammenhang ist auf den Beschluss des Bundesrates vom Juni 2016 hinzuweisen, wonach diese Praxis angepasst werden soll. Staatsverträge, die wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten, müssen künftig auch dann dem fakultativen Referendum unterstellt werden, wenn sie inhaltlich früheren Abkommen entsprechen. Der Bundesrat hat allerdings auch angeregt, dass der Abschluss solcher Abkommen an die Bundesversammlung delegiert werden könne (Genehmigung mit einfachem Bundesbeschluss), wenn ein neues Abkommen keine neuen wichtigen Bestimmungen im Vergleich zu früher abgeschlossenen Abkommen enthält. Dafür erforderlich ist allerdings eine Anordnung in einem referendumspflichtigen Erlass ­ also in einem Bundesgesetz oder im referendumspflichtigen Genehmigungsbeschluss.135

5.3.5

Auswirkungen auf das Verhältnis Völkerrecht ­ Bundesgesetz

In den relativ seltenen Fällen, in denen in der Praxis überhaupt Normenkollisionen auftreten, betreffen diese in der Regel das Verhältnis zwischen Völkerrecht und Bundesgesetz. Weil das Völkerrecht genauso «massgebend» ist wie die Bundes133 134 135

Die Referendumsfrist ist am 23. März 1992 unbenützt abgelaufen (AS 1993 749).

AS 2014 1315 Vgl. zu diesem Beschluss die Botschaft des Bundesrates vom 15. Febr. 2017 zur Genehmigung des Freihandelsabkommens zwischen den EFTA-Staaten und Georgien, BBl 2017 2275, hier 2317.

5394

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gesetzgebung, lassen sich aus Artikel 190 BV zu Normenkollisionen und zum Rangverhältnis zwischen Völkerrecht und Bundesgesetz keine Vorgaben ableiten. Richtungsweisend zum Umgang mit solchen Normenkollisionen ist vielmehr die dazu vom Bundesgericht entwickelte Rechtsprechung (sog. Schubert- bzw. PKK-Praxis, vgl. Ziff. 4.2.3).

Gemäss Artikel 190 E-BV wären völkerrechtliche Verträge, deren Genehmigungsbeschluss dem Referendum unterstanden hat («qualifiziertes Völkervertragsrecht»), weiterhin genauso «massgebend» wie die Bundesgesetzgebung. Folglich könnte auch weiterhin bei Normenkollisionen zwischen solchermassen qualifiziertem Völkerrecht und einem Bundesgesetz auf die Schubert- bzw. PKK-Praxis abgestellt werden. Solche Konstellationen sind insofern bedeutsam, als die konfliktauslösenden Bestimmungen je dem Referendum unterstanden haben, dem Gesetzesreferendum einerseits (Art. 141 Abs. 1 Bst. a BV) und dem Staatsvertragsreferendum andererseits (Art. 140 Abs. 1 Bst. b und Art. 141 Abs. 1 Bst. d BV).

Eine andere Ausgangslage besteht für das übrige Völkerrecht, insbesondere für die nicht referendumspflichtigen völkerrechtlichen Verträge. Sie sind gemäss Artikel 190 E-BV nicht mehr genauso «massgebend» wie die Bundesgesetzgebung.

Daraus könnte gefolgert werden, mit dem Verlust ihrer Immunisierung sei auch ihre Rückstufung im Verhältnis zum Bundesgesetz verbunden.136 Dementsprechend dürften das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden bundesgesetzwidrige (nicht referendumspflichtige) völkerrechtliche Verträge nicht mehr anwenden. Diese Auslegung ist zwar naheliegend; allerdings erscheint auch hier ein Abstellen auf die Schubert- bzw. PKK-Praxis nicht ausgeschlossen, zumal der vorgeschlagene Verfassungstext diese Frage nicht ausdrücklich regelt. 137 Auch dies macht deutlich, welche Unklarheiten die Initiative schafft (vgl. Ziff. 6.3.5).

5.4

Übergangsbestimmung (Art. 197 Ziff. 12 E-BV)

Erlasse entfalten Rechtswirkungen ab dem Zeitpunkt ihrer Inkraftsetzung. Nichts anderes gilt für das Verfassungsrecht. Artikel 195 BV hält fest, dass die teilrevidierte Bundesverfassung in Kraft tritt, wenn sie von Volk und Ständen angenommen ist. Damit würde ohne Weiteres gelten, was in Artikel 197 Ziffer 12 E-BV noch ausdrücklich verankert werden soll, nämlich die Anwendbarkeit der mit der Selbstbestimmungsinitiative zu ändernden Verfassungsbestimmungen auf künftige völkerrechtliche Verpflichtungen des Bundes und der Kantone, insbesondere also auf völkerrechtliche Verträge, die erst nach einer Annahme der Selbstbestimmungsinitiative abgeschlossen würden bzw. in Kraft träten.

Die Formulierung, wonach die zu ändernden Verfassungsbestimmungen auch auf bestehende völkerrechtliche Verpflichtungen anzuwenden sind, soll sicherstellen,

136 137

Keller/Balazs-Hegedüs, S. 719.

Die Initianten etwa kommen offenbar zum gegenteiligen Schluss und gehen davon aus, dass die Schubert- bzw. PKK-Praxis weiterhin zum Tragen kommt bei Normenkollisionen zwischen nicht referendumspflichtigen völkerrechtlichen Verträgen und Bundesgesetzen (vgl. Argumentarium Selbstbestimmungsinitiative, S. 34).

5395

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dass auch diejenigen völkerrechtlichen Verträge erfasst werden, die vor dem Datum einer allfälligen Annahme der Selbstbestimmungsinitiative abgeschlossen wurden.

Schliesslich geht aus Artikel 197 Ziffer 12 E-BV auch ausdrücklich hervor, dass die neuen Verfassungsbestimmungen auf alle bestehenden und künftigen Bestimmungen der Bundesverfassung Anwendung finden würden. Diese Formulierung soll sicherstellen, dass auch diejenigen Verfassungsbestimmungen, die vor dem Datum einer allfälligen Annahme der Selbstbestimmungsinitiative in Kraft getreten sind, von den neuen Regeln erfasst werden. Die Anwendbarkeit der mit der Selbstbestimmungsinitiative zu ändernden Verfassungsbestimmungen auf künftige Bestimmungen der Bundesverfassung versteht sich von selber und bräuchte nicht ausdrücklich genannt zu werden.

6

Würdigung der Initiative und Auswirkungen bei einer Annahme

6.1

Unnötige Regelungsvorschläge

Im Titel der Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative)» klingt die Vorstellung an, nur der Erlass landesrechtlicher Normen könne als Souveränitätsakt qualifiziert werden, während die Bindung an völkerrechtliche Verträge Ausdruck von Abhängigkeit und Fremdbestimmung sei. Dabei wird verkannt, dass der Abschluss und die Genehmigung völkerrechtlicher Verträge ebenso ein Akt nationaler Souveränität ist wie der Erlass von Gesetzesrecht. Zudem ist mit zunehmender Bedeutung der internationalen Bindungen die direktdemokratische Beteiligung im Staatsvertragsabschlussverfahren schrittweise gestärkt worden: Im Jahr 1977 wurde das Staatsvertragsreferendum grundlegend revidiert, und mit dem im Jahre 2003 in Kraft getretenen Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV wurde die Beteiligung des Volkes beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge durch eine Erweiterung des fakultativen Staatsvertragsreferendums nochmals gestärkt. Seit diesem Zeitpunkt besteht ein weitgehender Parallelismus zwischen Gesetzesreferendum und Staatsvertragsreferendum. Auch in den Fällen, in denen die Bundesversammlung die Kompetenz zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge dem Bundesrat übertragen hat, ist die demokratische Mitwirkung gewährleistet. Denn eine solche Ermächtigung muss in einem Bundesgesetz verankert sein, das seinerseits dem fakultativen Referendum unterstand. Die Bundesbehörden haben mit der Ausweitung des Einbezugs von Volk, Ständen und Parlament in die aussenpolitischen Prozesse einen guten Ausgleich gefunden zwischen der Notwendigkeit, nach aussen mit einer Stimme zu sprechen, und der Notwendigkeit, die Aussenpolitik demokratisch zu legitimieren. Die in der Selbstbestimmungsinitiative angelegte Behauptung eines Gegensatzes zwischen (selbstbestimmt erlassenem) Landesrecht und (fremdem) Völkerrecht trifft nicht zu. Der Abschluss völkerrechtlicher Verträge bedeutet nicht eine Einschränkung, sondern die Ausübung nationaler Souveränität.

Ähnlich verhält es sich in Bezug auf zwei konkrete Regelungsvorschläge der Selbstbestimmungsinitiative. Gemeint ist zum einen die in Artikel 5 Absatz 1 BV vorgesehene Ergänzung, wonach die Bundesverfassung oberste Rechtsquelle Schweizerischen Eidgenossenschaft sein soll. Zum anderen geht es um das im neuen Arti5396

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kel 56a Absatz 1 BV zu verankernde Verbot, völkerrechtliche Verpflichtungen einzugehen, die der Bundesverfassung widersprechen. Dies entspricht der herrschenden Rechtsauffassung bzw. der langjährigen Praxis der Bundesbehörden und dürfte weitherum unbestritten sein (vgl. Ziff. 5.1.1 und 5.2.1). Hinsichtlich dieser beiden Punkte besteht kein Regelungsbedarf. Die entsprechenden Regelungsvorschläge der Selbstbestimmungsinitiative wecken den unzutreffenden Anschein, als bräuchte es eine ausdrückliche Regelung, um die Bundesverfassung auf der ranghöchsten Normstufe anzusiedeln und um den Abschluss völkerrechtlicher Verträge zu verhindern, die verfassungswidrig sind.

6.2

Ungeeignete Lösungsansätze

Das Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht ist nicht völlig spannungsfrei.

Namentlich finden sich in der Verfassung keine Lösungen für die Schwierigkeiten, die bei der Annahme völkerrechtswidriger Volksinitiativen entstehen. Die Schweiz hat derartige Fälle bislang pragmatisch gelöst. Die Selbstbestimmungsinitiative enthält keine tauglichen Ansätze zur Lösung der genannten Spannungen. Vielmehr würde sie wegen der schematischen Konfliktregel und den engmaschigen Vorgaben für die Behörden die Lösungsfindung erheblich erschweren und den Handlungsspielraum der Schweiz übermässig einschränken.

6.2.1

Problematik einer schematischen Konfliktregel

Der Verzicht auf eine ausdrückliche Regel, die festlegen würde, wie Konflikte zwischen Normen des Landes- und des Völkerrechts aufzulösen wären, entspricht denn auch dem ausdrücklichen Willen des Verfassungsgebers von 1999. Er wollte insbesondere dem Bundesgericht die Möglichkeit geben, seine Schubert-Praxis beizubehalten, wonach ein völkerrechtswidriges Bundesgesetz ausnahmsweise angewendet werden kann, wenn der Gesetzgeber bewusst die Verletzung von Völkerrecht in Kauf genommen hat. Der Verfassungsgeber hat sich für eine pragmatische Lösung entschieden; er hat den grundsätzlichen Vorrang des Völkerrechts um einen Abwägungsvorbehalt für Ausnahmefälle ergänzt. 138 Aus der Sicht des Bundesrates hat sich diese Praxis bewährt. Ebenfalls bewährt hat sich der Verzicht auf die Kodifikation der Schubert-Praxis.139 Die heutige Rechtsprechung des Bundesgerichts ermöglicht es, den unterschiedlichen Konfliktlagen und der Vielfalt der Sachverhalte Rechnung zu tragen. Das Bundesgericht hat bislang bei der Beurteilung von Konflikten zwischen Landesrechts- und Völkerrechtsnormen regelmässig praxistaugliche Lösungen gefunden, die von breiten Kreisen getragen wurden.

138 139

Schürer, S. 132.

Stellungnahmen des Bundesrates vom 27. Aug. 2008 zur Mo. 08.3249 Reimann «Verfassungsgrundlage für die Schubert-Praxis» und ­ mit weiteren Hinweisen ­ vom 11. Mai 2016 zur Ip. 16.3043 Vogt «Handlungsfähigkeit von Bundesrat und Parlament sichern. Artikel 121a der Bundesverfassung umsetzen. Schubert-Praxis erhalten».

5397

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Die Selbstbestimmungsinitiative enthält eine schematische Vorrangregel zugunsten des Verfassungsrechts, wenn ein Widerspruch besteht zu völkerrechtlichen Verpflichtungen. Damit würde die Möglichkeit für situations- und fallgerechte Lösungen entfallen. Die mit Artikel 5 E-BV vorgeschlagene Änderung an der heutigen Rechtslage ignoriert, dass sich völkerrechtliche Normen in Bezug auf ihre Wichtigkeit stark unterscheiden. So erstaunt es auch nicht, dass bislang noch keine nationale Verfassungsordnung eine befriedigende Lösung gefunden hat für eine Regel, die sämtliche möglichen Konflikte zwischen Völkerrecht und Landesrecht umfassend und zugleich sinnvoll regelt.140 Diese Schwierigkeiten sind in der Schweiz umso grösser, weil sich auch die Verfassungsbestimmungen hinsichtlich ihrer Wichtigkeit unterscheiden.141 Einen materiellen Verfassungsbegriff gibt es nicht, und so können ­ insbesondere auf dem Weg der Volksinitiative ­ auch Bestimmungen in die Verfassung aufgenommen werden, die von ihrem Gehalt her eher in ein Gesetz oder sogar in eine Verordnung gehörten oder als Einzelakt zu qualifizieren sind.

6.2.2

Eingeschränkter Handlungsspielraum

Bei drohenden Normenkonflikten zwischen einem bestehenden völkerrechtlichen Vertrag und einer neu in die Verfassung aufgenommenen Bestimmung versuchte die Schweiz ­ bisher meist erfolgreich ­ durch völkerrechtskonforme Auslegung den Normenkonflikt abzuwenden. Beispielhaft ist auf die Umsetzung der Verwahrungs- oder der Ausschaffungsinitiative hinzuweisen. Nicht ausgeschlossen wäre es auch, einen Normenkonflikt (vorläufig) in Kauf zu nehmen, wenn die Bereitschaft vorhanden ist, die entsprechenden rechtlichen und politischen Konsequenzen zu tragen. Die gewählte Vorgehensweise fusst jeweils massgeblich auf politischen Erwägungen.

Die Selbstbestimmungsinitiative würde diesen Handlungsspielraum einschränken und das Feld für pragmatische Lösungen eng abstecken. Denn laut Artikel 56a Absatz 2 E-BV müssten die Bundesbehörden zur Bereinigung des Normenkonflikts die in der Verfassungsbestimmung vorgezeichneten Schritte unternehmen. Die Behörden wären verpflichtet, unter Umständen während mehrerer Jahre mit einer oder mehreren Vertragsparteien über eine Vertragsanpassung zu verhandeln, und zwar selbst dann, wenn die Erfolgsaussichten objektiv betrachtet nur gering sind. Weil verfassungsrechtlich auch bereits der nächste Schritt vorgegeben wäre, nämlich den Vertrag nötigenfalls zu kündigen, könnte in gewissen Situationen die Schweizer Verhandlungsdelegation einem hohen Erfolgsdruck ausgesetzt sein. Zugleich könnte dies die Verhandlungsposition der Schweiz schwächen, wenn die Gegenpartei diesen Erfolgsdruck zu ihren Gunsten ausnützen würde. Es wäre jedenfalls mit Rechtsunsicherheiten zu rechnen, die auch mehrere Jahre andauern könnten.

Die Handlungsvorgabe gemäss Artikel 56a Absatz 2 E-BV erhält im Verbund mit Artikel 197 Ziffer 12 E-BV eine besondere Tragweite. Denn aufgrund dieser mit der Selbstbestimmungsinitiative vorgeschlagenen Übergangsbestimmung wären die

140 141

Tschumi/Schindler, SG-BV-Kommentar, Art. 5 N. 95.

Vgl. auch Kolb, S. 571.

5398

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neuen Regeln auch auf alle bestehenden Bestimmungen der Bundesverfassung und auf alle bestehenden völkerrechtlichen Verpflichtungen anwendbar.

6.3

Schaffung neuer Probleme

Die Selbstbestimmungsinitiative macht Vorschläge für Konstellationen, für die kein Regelungsbedarf besteht (vgl. Ziff. 6.1). Die vorgesehenen Lösungsansätze für den Umgang mit tatsächlich bestehenden Spannungen im Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht erweisen sich als wenig hilfreich (vgl. Ziff. 6.2). Darüber hinaus würde die Annahme der Selbstbestimmungsinitiative eine Reihe neuer Probleme schaffen, die nachfolgend dargelegt werden.

6.3.1

Schwächung der Vertragstreue und des Geltungsanspruchs des Völkerrechts

Ein zentraler Grundsatz, die Vertragstreue, prägt und durchzieht das Völkervertragsrecht: Ein gültiger völkerrechtlicher Vertrag bindet die Vertragsparteien und ist von ihnen nach Treu und Glauben zu erfüllen (Art. 26 VRK; pacta sunt servanda). Der Geltungsgrund dieses Prinzips liegt im Wesen des Völkervertragsrechts. Es handelt sich um Vertragsrecht und beruht auf Vereinbarungen zwischen den Vertragsparteien. Anders als im Landesrecht, wo der hoheitliche Normschöpfer mit Mehrheitsentscheid Gesetzesrecht schafft, gilt im Völkervertragsrecht ­ genau gleich wie im privaten Vertragsrecht ­ das Konsensprinzip. In Analogie zum privaten Vertragsrecht kann zwar das Völkervertragsrecht (einvernehmlich) geändert oder (einseitig) gekündigt werden. Nicht zulässig ist indessen die Berufung auf innerstaatliches Recht, um die Nichterfüllung eines völkerrechtlichen Vertrags zu rechtfertigen. Tun dies Staaten ­ im Widerspruch zu Artikel 27 VRK ­ trotzdem, droht die völkerrechtliche Verantwortlichkeit und wird letztlich der Geltungsanspruch des Völkerrechts geschwächt.

Mit einer ausdrücklichen Verankerung des Vorrangs des Verfassungsrechts vor dem Völkerrecht in Artikel 5 E-BV und mit der Einschränkung des Anwendungsvorrangs in Artikel 190 E-BV auf referendumspflichtige völkerrechtliche Verträge würde die Schweiz den Grundsatz der Vertragstreue (pacta sunt servanda) offen in Frage stellen. Die vorgeschlagenen Änderungen könnten deshalb sogar als verfassungsrechtliche Ermächtigung bzw. Aufforderung zum Bruch von nicht referendumspflichtigen völkerrechtlichen Verträgen verstanden werden. Die Schwächung der Vertragstreue schwächt aber das Völkerrecht insgesamt und läuft Schweizer Interessen entgegen. Für die Schweiz würde es schwierig, von ihren Partnern die Vertragserfüllung zu verlangen, wenn sie selber in der Verfassung eine generelle Möglichkeit zur Nichterfüllung vorsähe. Solche Bestrebungen widersprechen der Schweizer Rechtskultur: Einmal abgeschlossene Verträge sind einzuhalten, ganz gleich ob es sich um Kauf-, Miet- oder Arbeitsverträge handelt oder eben um völkerrechtliche Verträge. So wenig wie sich eine Aktiengesellschaft alleine durch eine Statutenänderung von ihren vertragsrechtlichen Verpflichtungen befreien kann, so

5399

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wenig kann sich ein Staat alleine durch eine Verfassungsänderung von seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen lösen.

6.3.2

Zunehmendes Risiko der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit

Auf der Ebene des Völkerrechts bleibt ein völkerrechtlicher Vertrag gültig und in Kraft, und zwar bis zu seiner Kündigung oder ­ bei befristeten Verträgen ­ bis zum Ablauf seiner Gültigkeitsdauer. Ein allfälliger Widerspruch zum Verfassungsrecht ermächtigt die Schweiz nicht zur Rechtfertigung der völkervertraglichen Nichterfüllung. Die Schweiz muss ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen unabhängig davon erfüllen, welche Ergebnisse die innerstaatliche Vorrangregel liefert.

Das Völkervertragsrecht anerkennt gewisse Gründe, die eine Nichterfüllung eines völkerrechtlichen Vertrags rechtfertigen können. Beispielsweise kann eine erhebliche Vertragsverletzung durch eine Vertragspartei die andere Vertragspartei dazu berechtigen, die Vertragsverletzung als Grund für die gänzliche oder teilweise Suspendierung geltend zu machen (Art. 60 VRK). Kann indessen kein zulässiger Rechtfertigungsgrund für die Nichterfüllung einer völkerrechtlichen Verpflichtung angerufen werden, so löst dies die völkerrechtliche Verantwortlichkeit aus. Die konkreten Rechtsfolgen können im verletzten Vertrag selber vorgesehen sein. Allgemein führt die völkerrechtliche Verantwortlichkeit zu den folgenden Pflichten:142 ­

Primär hat der verantwortliche Staat den völkerrechtskonformen Zustand wiederherzustellen bzw. sein völkerrechtswidriges Verhalten einzustellen.

Diese Pflicht ergibt sich bereits aus der verletzten Völkerrechtsnorm, die in der Regel weiter besteht. Kündigt die völkerrechtswidrig handelnde Vertragspartei den völkerrechtlichen Vertrag mit dem Ziel, ihre völkerrechtliche Verpflichtung nicht länger einhalten zu müssen, so kann sie sich dadurch nicht ihrer Verantwortlichkeit für die während der Gültigkeit des Vertrags erfolgte Verletzung entziehen.

­

Ist eine Wiederherstellung des völkerrechtskonformen Zustands nicht oder nicht vollumfänglich möglich, so ist Schadenersatz zu leisten. Bei wertmässig nicht erfassbaren Völkerrechtsverletzungen tritt die Genugtuung an die Stelle des Schadenersatzes.

Falls der verantwortliche Staat diesen Pflichten nicht nachkommt, stehen dem verletzten Staat eine Reihe von Reaktionsmöglichkeiten zur Verfügung:

142

­

Die diplomatische Intervention auf bilateraler oder multilateraler Ebene, um den Druck auf den verantwortlichen Staat zu erhöhen, damit dieser seinen Wiedergutmachungspflichten nachkommt.

­

Die Suspendierung des Staatsvertrags, falls dies im Vertrag vorgesehen ist oder mit Zustimmung aller Parteien erfolgt (vgl. Art. 57 und 58 VRK). Ein völkerrechtlicher Vertrag kann auch einseitig ganz oder teilweise suspen-

Vgl. Bericht Völkerrecht/Landesrecht, S. 2288 ff.

5400

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diert werden, wenn ein erheblicher Vertragsbruch vorliegt (vgl. Art. 60 VRK).

­

Die einvernehmliche Beendigung beziehungsweise einseitige Kündigung des Staatsvertrags (vgl. Art. 54 und 56 VRK) oder gar die einseitige Beendigung ohne Einhaltung der Kündigungsfrist, was allerdings nur als Reaktion auf einen wesentlichen Vertragsbruch möglich ist (vgl. Art. 60 VRK).

Führen entsprechende Reaktionen nicht zur Wiederherstellung des völkerrechtskonformen Zustands, so bleiben lediglich Zwangsmassnahmen übrig, um die völkerrechtswidrig handelnde Partei zu zwingen, ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen. Möglich sind zum einen Retorsionen, das heisst «unfreundliche» Selbsthilfemassnahmen, die einen betroffenen Staat schädigen können, ihn jedoch nicht unmittelbar in seinen Rechten verletzten. Typische Beispiele sind der Abbruch diplomatischer Beziehungen, die Nichtgewährung einer erbetenen Entwicklungshilfe oder eines gewünschten Kredits sowie Handels- und Investitionsbeschränkungen im Rahmen des anwendbaren internationalen Aussenwirtschaftsrechts. Zum anderen sind Repressalien denkbar, das heisst Gegenmassnahmen, die an sich Völkerrecht verletzen, aber ausnahmsweise als Reaktion auf eine vorgängige Völkerrechtsverletzung zulässig sind. Die Ergreifung solcher Zwangsmassnahmen kommt allerdings nur sehr restriktiv und nur bei erheblichen Verstössen gegen völkerrechtliche Pflichten zum Zug.

Eine besondere Regelung sieht die EMRK vor: Der EGMR kann in seinen Urteilen eine Verletzung der EMRK im Einzelfall feststellen. Die Vertragsstaaten der EMRK sind verpflichtet, die Urteile des Gerichtshofs zu befolgen (Art. 46 Abs. 1 EMRK).

Der Vollzug der Urteile ­ im konkreten Fall wie auch hinsichtlich allfälliger zu treffender Massnahmen genereller Natur ­ wird vom Ministerkomitee des Europarats überwacht (Art. 46 Abs. 2 EMRK). Bei systematischer und andauernder NichtUmsetzung ist theoretisch der Ausschluss aus dem Europarat möglich. Ein solcher Ausschluss hätte die Wirkung einer Kündigung der EMRK (Art. 58 Abs. 3 EMRK).

Artikel 190 E-BV hält das Bundesgericht und die rechtsanwendenden Behörden dazu an, nicht referendumspflichtige völkerrechtliche Verträge im Falle eines Widerspruchs mit der Bundesverfassung (allenfalls auch bei einem Widerspruch mit einem Bundesgesetz; vgl. Ziff. 5.3.5) nicht mehr anzuwenden. Mit einer solchen Regelung sähe sich die Schweiz dem Risiko ausgesetzt, zunehmend völkerrechtlich verantwortlich gemacht zu werden.

6.3.3

Negative (aussen-)wirtschaftliche Auswirkungen

Die starke Integration der Schweiz in den europäischen Binnenmarkt und in die Weltwirtschaft spiegelt sich in einer sehr dichten rechtlichen Vernetzung (bilaterale Verträge mit der EU, WTO-Abkommen, Freihandels- und Investitionsschutzabkommen etc.). Die Schweiz hat ein grosses Interesse an vertraglich abgesicherten, verlässlichen Rahmenbedingungen der Weltwirtschaft und an einer regelkonformen Abwicklung des internationalen Handels. Die Annahme der Selbstbestimmungsinitiative könnte im Gegenzug die Verhandlungspartner der Schweiz ihrerseits dazu veranlassen, bei der Aushandlung neuer Abkommen die Vertragspflichten mit Vor5401

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behalten des nationalen Rechts zu relativieren. Unter Umständen könnte die neue Rechtslage in der Schweiz auch dazu führen, dass die Beteiligung der Schweiz an bestehenden Abkommen, beispielsweise an wichtigen wirtschaftsvölkerrechtlichen Vertragswerken in Frage gestellt wäre.143 Dies aufgrund des zunehmenden Risikos der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit der Schweiz (vgl. Ziff. 6.3.2) und mit entsprechend negativen volkswirtschaftlichen Auswirkungen für unser Land. Bei sogenannten Standardabkommen (Doppelbesteuerungs-, Freihandels- und Investitionsschutzabkommen sowie Abkommen über die soziale Sicherheit) wäre zudem unklar, inwiefern sie im Sinne von Artikel 190 E-BV für das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden noch massgebend wären (vgl. Ziff. 5.3.4).

Internationales Wirtschaftsrecht baut insbesondere auf die Einhaltung von Verträgen und auf das Prinzip von Treu und Glauben mit dem entsprechenden Schutz berechtigter Erwartungen. Die Selbstbestimmungsinitiative hingegen gefährdet die Rechtsund damit auch die Planungssicherheit im internationalen Handel und steht damit in einem Spannungsverhältnis zu den genannten Prinzipien. Die Annahme der Selbstbestimmungsinitiative könnte etwa dazu führen, dass der Zugang für Schweizer Güter und Dienstleistungen zu internationalen Märkten und der Schutz berechtigter Erwartungen von Schweizer Auslandsinvestoren beeinträchtigt würden. Ferner wäre aufgrund der beschriebenen Rechtsunsicherheiten damit zu rechnen, dass die Standortattraktivität der Schweiz (z. B. für internationale Unternehmen) geschmälert würde, was sich schliesslich auf die gesamte Investitionsaktivität auswirken kann.

Insgesamt bleibt allerdings die Beurteilung der Auswirkungen mit Unwägbarkeiten verbunden. Das liegt zum einen an den im Initiativtext angelegten Widersprüchen und Unklarheiten (vgl. Ziff. 6.3.5), die einen weiten Auslegungsspielraum eröffnen.

Zum anderen enthält die Selbstbestimmungsinitiative keine Verfassungsbestimmungen, die direkt die Rechtsstellung von Privaten regeln würden (keine direkte Anwendbarkeit);144 dieser Umstand führt ebenfalls dazu, dass Prognosen über die Auswirkungen einer Annahme der Selbstbestimmungsinitiative schwierig zu treffen sind.

6.3.4

Schwächung des internationalen Menschenrechtsschutzes

Die Effektivität der Individualbeschwerde, die Einzelnen ermöglicht, sich bei einer Verletzung einer EMRK-Bestimmung durch den Staat unmittelbar an den EGMR zu wenden, würde geschwächt. Bei der Annahme von Verfassungsbestimmungen, die mit der EMRK im Konflikt stehen, könnten sich Schwierigkeiten ergeben in Bezug 143

Vgl. für mögliche negative Auswirkungen der Selbstbestimmungsinitiative auf wirtschaftsrelevante völkerrechtliche Verträge (z. B. Abkommen im Rahmen der Welthandelsorganisation, Investitionsschutzabkommen, Freihandelsabkommen) Kaufmann, S. 9 ff.

144 Nicht mit der direkten Anwendbarkeit von Verfassungsbestimmungen gegenüber Privaten zu verwechseln ist die Frage, ob eine Verfassungsbestimmung den Behörden Handlungs- und Unterlassungspflichten auferlegt, die auch ohne den Erlass eines Ausführungsgesetzes wirksam sind (was auf die Selbstbestimmungsinitiative zutrifft; vgl. Ziff. 3.1).

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auf die Durchsetzbarkeit von Urteilen des EGMR. Damit verbunden wären eine Schwächung des internationalen Menschenrechtsschutzes in der Schweiz und das Risiko eines problembehafteten Verhältnisses mit dem Europarat. Darüber hinaus ist die EMRK auch für die Ausübung unternehmerischer Tätigkeiten bedeutsam. Der Europarat und die EMRK sind wichtige Instrumente zur Förderung und Stabilisierung von Rechtsstaat und Demokratie in ganz Europa. Wenn die Schweiz diese Instrumente stützt, schützt sie nicht nur die Menschenrechte im Inland, sondern fördert Frieden und Sicherheit auf dem ganzen europäischen Kontinent. Daran hat die Schweiz ein existenzielles Interesse.

In den Beziehungen zum Ausland setzt sich der Bund namentlich für die Achtung der Menschenrechte ein, wie sie insbesondere im internationalen Recht verankert sind (vgl. Art. 54 Abs. 2 BV). Dementsprechend betont die Schweiz in den internationalen Beziehungen die Wichtigkeit des Menschenrechtsschutzes und verurteilt sie allfällige Menschenrechtsverletzungen. Dieses Engagement zeigt sich auch dadurch, dass die Schweiz sich dagegen ausspricht, dass Menschenrechtsverletzungen unter Berufung auf die staatliche Souveränität gerechtfertigt werden und ihre Gültigkeit dadurch relativiert wird. Die Annahme der Selbstbestimmungsinitiative würde die innen- und aussenpolitische Kohärenz und damit auch die Glaubwürdigkeit des Engagements der Schweiz für den Schutz der Menschenrechte in Frage stellen.

6.3.5

Im Initiativtext angelegte Widersprüche und Unklarheiten

Die Selbstbestimmungsinitiative verspricht laut Argumentarium des Initiativkomitees «Rechtssicherheit und Stabilität, indem das Verhältnis zwischen Landesrecht und internationalem Recht geklärt wird». 145 Die Wirkung dürfte allerdings in wesentlichen Teilen gegenteilig sein. Denn die Selbstbestimmungsinitiative weist zahlreiche Unklarheiten und Widersprüche auf, die im Ergebnis auch zu Gewichtsverschiebungen im gewaltenteiligen Verhältnis zwischen den Staatsorganen führen können:

145

­

Die mit Artikel 5 E-BV angestrebte klare Normenhierarchie durch Etablierung eines Geltungsvorrangs des Verfassungsrechts («Verfassungsrecht bricht Völkerrecht») wird durch Artikel 190 E-BV (Anwendungsvorrang) teilweise übersteuert. Denn nach wie vor sollen das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden verfassungswidrige völkerrechtliche Verträge anwenden, allerdings nur, wenn deren Genehmigungsbeschluss dem Referendum unterstanden hat. Es ist schwer durchschaubar, welche konkreten Rangverhältnisse zwischen den landesrechtlichen Erlassen und völkerrechtlichen Verträgen im Einzelnen mit der Selbstbestimmungsinitiative angestrebt bzw. realisiert werden.

­

So ist namentlich davon auszugehen, dass am bisherigen Umgang mit Normenkonflikten im Verhältnis zwischen Völkerrecht (referendumspflichtige völkerrechtliche Verträge) und Bundesgesetzen grundsätzlich festgehalten Argumentarium Selbstbestimmungsinitiative, S. 4.

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werden kann (Fortführung der vom Bundesgericht entwickelten Schubertbzw. PKK-Praxis, vgl. Ziff. 5.3.5). Während also dort, wo in der Praxis am ehesten Normenkonflikte auftreten, nämlich im Verhältnis zwischen Völkerrecht und Bundesgesetzen, kaum mit wesentlichen Änderungen zu rechnen ist, strebt die Selbstbestimmungsinitiative Änderungen im bislang eher weniger konfliktbetroffenen Verhältnis zwischen Völkerrecht und Verfassungsrecht an. Einzuräumen ist allerdings, dass die Normenkonflikte in diesem Bereich in den letzten Jahren zugenommen haben. Dies namentlich aufgrund der Tendenz, zunehmend direkt anwendbare Bestimmungen in Verfassungsinitiativen aufzunehmen und in gewissen Fällen die Bestimmungen derart kategorisch zu formulieren, dass dem Gesetzgeber bei der Umsetzung kein nennenswerter Spielraum bleibt. Diese Tendenz könnte sich mit einer Annahme der Selbstbestimmungsinitiative und der damit verbundenen Verankerung einer Vorrangregel zugunsten des Verfassungsrechts noch verstärken. Dies hätte zur Folge, dass künftige Normenkonflikte zwischen dem Völkerrecht und dem Landesrecht vermehrt das Verhältnis zwischen Völkerrecht und Verfassungsrecht betreffen. Eine solche Entwicklung wäre auch aus institutioneller Perspektive problematisch. Denn die Verfassung sollte nur den Ausgangspunkt der Rechtsschöpfung bilden, nicht bereits deren Ende. Die Zuschaltung des Gesetzgebers und damit der Erlass von Ausführungsgesetzen bildet die Voraussetzung für praktikable Regelungen, die auch denjenigen Problemen Rechnung tragen, die bei der Verfassungsgebung übersehen wurden. Das Gesetzgebungsverfahren ist darauf ausgerichtet, alle relevanten Gesichtspunkte zu diskutieren und abzuwägen und alle Betroffenen einzubeziehen (Vernehmlassungsverfahren, Kommissionsberatungen, Zweikammersystem). In dem Mass, in dem Volksinitiativen zwingende Vorgaben und direkt anwendbare Bestimmungen enthalten, wird der Gesetzgeber zurückgedrängt und können sich die genannten Vorteile des Gesetzgebungsverfahrens nicht entfalten.

­

Unklar ist weiter, wann im Sinne von Artikel 56a Absätze 1 und 2 E-BV ein «Widerspruch» zwischen dem Verfassungs- und dem Völkerrecht besteht.

Genügt ein abstrakter Normenkonflikt oder ist erforderlich, dass sich der Normenwiderspruch erst im Moment der Rechtsanwendung oder sogar erst in der Vollzugsphase realisiert? Über weite Strecken unklar ist ferner, welches Regierungs-, Parlaments- oder Gerichtsorgan einen solchen Widerspruch (im Einzelfall oder davon losgelöst) feststellen kann bzw. muss.

­

Im Zusammenhang mit Artikel 56a Absatz 2 E-BV: Wann bzw. nach welchen oder wie vielen Bemühungen gilt der Versuch der Anpassung eines widersprechenden völkerrechtlichen Vertrags als gescheitert und aktualisiert sich in der Folge die Kündigungspflicht? Löst bereits ein punktueller Widerspruch gegen eine einzige Vertragsbestimmung die Kündigungspflicht gemäss Artikel 56a Absatz 2 E-BV aus? Oder ist vielmehr aufgrund der Wendung «nötigenfalls» und des Gebots der Verhältnismässigkeit staatlichen Handelns (Art. 5 Abs. 2 BV) zu verlangen, dass der völkerrechtliche Vertrag als Ganzes oder zu einem wesentlichen Teil dem Verfassungsrecht widersprechen muss?

5404

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­

Es erscheint widersprüchlich, wenn einerseits die referendumspflichtigen völkerrechtlichen Verträge für alle rechtsanwendenden Behörden als massgebend erklärt (Art. 190 E-BV) und sie andererseits in Artikel 56a Absatz 2 E-BV der Anpassungs- und Kündigungspflicht unterstellt werden.

­

Ein Wertungswiderspruch kann ferner darin erblickt werden, dass völkerrechtliche Verträge mit gleichartigem Inhalt gestützt auf Artikel 190 E-BV ungleich behandelt werden sollen, wenn der eine Vertrag dem Referendum unterstellt war (z. B. UNO-Pakt II), der andere hingegen nicht (z. B.

EMRK). Eine ähnliche, kaum einsichtige Ungleichbehandlung könnte auch in Bezug auf die (referendumspflichtigen) Zusatzprotokolle zur EMRK bestehen, die ­ möglicherweise anders als die Mutterkonvention ­ weiterhin im Sinne von Artikel 190 E-BV massgebend wären.

­

Aus dem Umstand, dass ein völkerrechtlicher Vertrag dem Referendum unterstellt ist oder war, kann nicht immer direkt auf dessen praktische Relevanz geschlossen werden. Es gibt zahlreiche wichtige Verträge, die nicht dem Referendum unterstanden. Beispiel dafür ist die Praxis zu den Standardabkommen (vgl. Ziff. 5.3.4). Die massgebenden Verfassungsregeln zum Referendum über völkerrechtliche Verträge sind im Laufe der Zeit angepasst worden (vgl. Ziff. 6.1). Die in Artikel 190 E-BV enthaltene Vorschrift würde zu einer Ungleichbehandlung von Verträgen führen, weil deren Massgeblichkeit von einem formellen Kriterium abhängt (Referendumspflicht), das nicht in jedem Fall die praktische Relevanz widerspiegelt. Dies ist besonders der Fall für völkerrechtliche Verträge, die abgeschlossen wurden, bevor (im Jahre 2003) Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV in Kraft getreten ist.

­

Gemäss Wortlaut von Artikel 5 Absatz 4 zweiter Satz E-BV gilt der Vorrang des Verfassungsrechts gegenüber sämtlichen völkerrechtlichen Verpflichtungen. Damit wäre das Verfassungsrecht sogar gegenüber völkerrechtlichen Verträgen vorrangig, die von Volk und Ständen in einer obligatorischen Referendumsabstimmung angenommen wurden und damit die gleich starke demokratische Legitimation aufweisen wie Verfassungsbestimmungen. Das wirft die Frage nach der inneren Begründung eines solch weitgehenden Vorrangs des Verfassungsrechts auf.

Soweit überhaupt die zahlreichen durch die Selbstbestimmungsinitiative aufgeworfenen Rechtsfragen einer gerichtlichen Beurteilung zugeführt werden könnten, wäre das Bundesgericht zur Klärung aufgerufen. Das betrifft insbesondere die Tragweite der Änderungen (Ergänzungen) der Artikel 5 und 190 BV und das Verhältnis dieser beiden Normen zueinander. Damit wird für wichtige Fragen im Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht die Deutungshoheit den Gerichten übertragen. Bezüglich der in Artikel 56a Absatz 2 E-BV verankerten Anpassungs- und Kündigungspflicht stünden vorab Bundesrat und Parlament in der Pflicht, eine Praxis zu etablieren. Bis zur Klärung der wichtigsten Fragen könnten unter Umständen mehrere Jahre verstreichen. Die bis dahin bestehenden Rechtsunsicherheiten dürften sich namentlich auf Akteure der Wirtschaft auswirken (vgl. zu den negativen [aussen-] wirtschaftlichen Auswirkungen Ziff. 6.3.3).

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7

Kein direkter Gegenentwurf und kein indirekter Gegenvorschlag

Ein direkter Gegenentwurf müsste die «gleiche Verfassungsmaterie» betreffen, das heisst inhaltlich das Anliegen der Selbstbestimmungsinitiative aufgreifen (vgl.

Art. 101 Abs. 1 ParlG). Der direkte Gegenentwurf dürfte zwar dieses Anliegen in Bezug auf die Zielsetzung und Verwirklichung abschwächen oder anderen Lösungen zuführen. Nicht statthaft wäre es hingegen, die Verfassungsrevision unter völlig anderen Gesichtspunkten vorzunehmen. Aus den Gründen, die in Ziffer 5 dargelegt wurden, können die mit der Selbstbestimmungsinitiative verfolgten Anliegen schon von ihrem Ansatz her nicht unterstützt werden. Deshalb wäre es widersprüchlich, wenn der Bundesrat einen direkten Gegenentwurf oder einen indirekten Gegenvorschlag unterbreiten würde und damit zum Ausdruck brächte, dass er die Stossrichtung der Selbstbestimmungsinitiative mindestens teilweise unterstützt.

Der Bundesrat hat im Jahr 2015 einen Vorschlag untersucht, der eine gewisse Ähnlichkeit zur Vorrangregel gemäss Selbstbestimmungsinitiative aufweist. Er hat indessen empfohlen, von einer Hierarchisierung (Abstufung) des Völkerrechts nach seiner demokratischen Legitimation abzusehen.146 Aus einer solchen Hierarchisierung wäre nach dem untersuchten Vorschlag im Falle eines Normenkonflikts der Vorrang der demokratisch stärker legitimierten Norm zu folgern gewesen. Der Bundesrat kam aber zum Schluss, dass damit ­ ähnlich wie bei der Selbstbestimmungsinitiative ­ die Probleme nicht gelöst, sondern nur verlagert oder sogar verschärft würden.

8

Schlussfolgerungen

Die Selbstbestimmungsinitiative überhöht die Probleme im Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht. Sie fordert die gleichförmige Behandlung von Normenkonflikten, wo tatsächlich Differenzierungen geboten sind. Die Selbstbestimmungsinitiative tritt mit dem Anspruch an, für Klarheit im Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht zu sorgen; dieses Versprechen könnte jedoch ebenso wenig eingelöst werden wie das Versprechen nach mehr Selbstbestimmung. Vielmehr leidet die Selbstbestimmungsinitiative an inneren Widersprüchen.

Bei einer Annahme der Initiative drohen zahlreiche Rechtsunsicherheiten und negative aussenpolitische und (aussen-)wirtschaftliche Auswirkungen. Die Anpassungsund Kündigungspflicht untergräbt die für die Schweiz und die Unternehmen zentrale Stabilität und Planungssicherheit. Bundesrat und Parlament könnten bei der Umsetzung völkerrechtswidriger Verfassungsbestimmungen nicht mehr pragmatisch und fallspezifisch nach Lösungen suchen, die sowohl den Vorgaben der Verfassung als auch den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz Rechnung tragen. Stattdessen engt die Selbstbestimmungsinitiative den Handlungsspielraum der Bundesbehörden auf die Optionen Neuverhandlung und Kündigung ein.

146

Bericht BR zum Po. 13.3805; ferner Ziff. 4.3.

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Aufgrund ihrer humanitären Tradition und als Depositarstaat mehrerer Konventionen hat die Schweiz einen starken Bezug zum Völkerrecht und als Kleinstaat ein besonderes Interesse an der Einhaltung völkerrechtlicher Verpflichtungen. Wo es in zwischenstaatlichen Beziehungen an verbindlichen Regeln fehlt, droht das Recht des Stärkeren. Völkerrechtliche Verträge enthalten solche verbindlichen Regeln und ermöglichen es der Schweiz, als gleichberechtigtes Mitglied der Staatenwelt aufzutreten. Völkerrecht stellt sicher, dass die Prämisse «Recht vor Macht» zum Tragen kommt und nicht in ihr Gegenteil verkehrt wird. «Der kleine Staat hat seine grösste Stärke in seinem guten Recht.»147 Nur wenn die Schweiz selber eine zuverlässige Vertragspartei ist, kann sie von ihren Vertragspartnern erwarten, dass diese sich ebenfalls an ihre Verpflichtungen halten.

Das Grundanliegen der Selbstbestimmungsinitiative steht im Widerspruch zu dieser bewährten Praxis der Schweiz bei der Pflege ihrer Aussenbeziehungen. Deshalb beantragt der Bundesrat den eidgenössischen Räten, die Selbstbestimmungsinitiative Volk und Ständen ohne direkten Gegenentwurf oder indirekten Gegenvorschlag zur Abstimmung zu unterbreiten mit der Empfehlung, die Volksinitiative abzulehnen.

147

Bericht des Bundesrates vom 11. Dez. 1919 an die Bundesversammlung betreffend internationale Schiedsverträge, BBl 1919 V 925, hier 929.

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Basler Kommentar, Basel 2015 5408

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Verzeichnis mehrfach verwendeter Materialien Argumentarium Volksinitiative Schweizer Recht statt fremde Richter (Selbstbestimmungsinitiative) vom 10. März 2015, abrufbar unter: www.selbstbestimmungsinitiative.ch > Downloads (zit.: Argumentarium Selbstbestimmungsinitiative) Bericht der Staatspolitischen Kommission des Ständerates vom 20. Aug. 2015 betreffend Anforderungen an die Gültigkeit von Volksinitiativen.

Prüfung des Reformbedarfs, BBl 2015 7099 (zit.: Bericht SPK-S) Bericht des Bundesamts für Justiz vom 28. Dez. 2006 zuhanden der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats, VPB 2012 Nr. 4 (zit.: Bericht BJ) Bericht des Bundesrates vom 12. Juni 2015 (Klares Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht) in Erfüllung des Postulates 13.3805, abrufbar unter: www.parlament.ch > (im Suchfeld Geschäftsnummer eingeben; auf gesuchten Vorstoss klicken) > Bericht in Erfüllung des parlamentarischen Vorstosses (zit.: Bericht BR zum Po. 13.3805) Bericht des Bundesrates vom 19. Nov. 2014 in Erfüllung des Postulats Stöckli 13.4187 vom 12. Dez. 2013 (40 Jahre EMRK-Beitritt der Schweiz: Erfahrungen und Perspektiven), BBl 2015 357 (zit.: Bericht EMRK) Bericht des Bundesrates vom 5. März 2010 über das Verhältnis von Völkerrecht und Landesrecht, BBl 2010 2263 (zit.: Bericht Völkerrecht/Landesrecht) Botschaft des Bundesrates vom 20. Nov. 2013 zur Volksinitiative «Zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Ausländer (Durchsetzungsinitiative)», BBl 2013 9459 (zit.: Botschaft Durchsetzungsinitiative) Botschaft des Bundesrates vom 20. Nov. 1996 über eine neue Bundesverfassung, BBl 1997 I 1 (zit.: Botschaft nBV) Gemeinsame Stellungnahme des Bundesamtes für Justiz und der Direktion für Völkerrecht vom 26. April 1989 über das Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht im Rahmen der schweizerischen Rechtsordnung, VPB 1989 Nr. 54 (zit.: Stellungnahme BJ/DV) Mitteilung der Direktion für Völkerrecht des EDA und des Bundesamtes für Justiz des EJPD vom 14. Juni 2006 über die Zuständigkeit der Verwaltungseinheiten für den Abschluss und die Auflösung internationaler Vereinbarungen. Recht und Praxis in der Schweiz, VPB 2006 Nr. 69 (zit.: Mitteilung DV/BJ) Zusatzbericht des Bundesrates vom 30. März 2011 zu seinem Bericht vom 5. März 2010 über das Verhältnis von Völkerrecht und Landesrecht, BBl 2011 3613 (zit.: Zusatzbericht Völkerrecht/Landesrecht)

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