17.043 Botschaft zur Änderung des Versicherungsvertragsgesetzes vom 28. Juni 2017

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf einer Änderung des Versicherungsvertragsgesetzes vom 2. April 1908 (VVG).

Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, die folgenden parlamentarischen Vorstösse abzuschreiben: 2001

P

00.3541

Volle Freizügigkeit beim Wechsel der Zusatzversicherung (N 20.3.01, Fraktion der Schweizerischen Volkspartei; Abschreibung beantragt BBl 2011 7705)

2001

P

00.3542

Versicherungsvergünstigungen beim Wechsel der Zusatzversicherung (N 20.3.01, Fraktion der Schweizerischen Volkspartei; Abschreibung beantragt BBl 2011 7705)

2001

P

00.3570

Versicherungsvertragsgesetz. Verjährungsbestimmungen (N 23.3.01, Hofmann Urs; Abschreibung beantragt BBl 2011 7705)

2001

M 00.3537

Diebstähle. Beginn der Verjährung bei Kenntnis (N 23.3.01, Jossen; S 6.12.01; Abschreibung beantragt BBl 2011 7705)

2003

P

02.3693

VVG. Lücke bei der Taggeldversicherung (N 21.3.03, Robbiani; Abschreibung beantragt BBl 2011 7705)

2004

P

03.3596

Zusammenhänge zwischen Grund- und Zusatzversicherung in der Krankenversicherung (N 8.3.04, Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit NR 98.406; Abschreibung beantragt BBl 2011 7705)

2007

P

07.3395

Hohe Prämien beim Übertritt in die Einzeltaggeldversicherung (N 5.10.07, Graf-Litscher; Abschreibung beantragt BBl 2011 7705)

2017-0902

5089

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

28. Juni 2017

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Doris Leuthard Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

5090

Übersicht Das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) regelt das Vertragsverhältnis zwischen den Versicherungsunternehmen und ihren Kundinnen und Kunden. Es ist über hundert Jahre alt und genügt den Anforderungen und Bedürfnissen an ein modernes Gesetz nicht mehr. Einige punktuelle vordringliche Änderungen wurden bereits mit einer Teilrevision im Jahr 2006 vorgenommen. Mit dem hier vorgelegten Gesetzesentwurf soll das Versicherungsvertragsrecht in einem weiteren Schritt in weiteren ausgewählten Themen an die veränderten Gegebenheiten und an die Bedürfnisse nach einem vernünftigen und realisierbaren Versicherungsschutz angepasst werden.

Ausgangslage In der Teilrevision von 2006 wurden vordringliche Konsumentenschutzanliegen verwirklicht. 2011 legte der Bundesrat dem Parlament eine Totalrevision des VVG vor. Die Sicherstellung eines vernünftigen und realisierbaren Versichertenschutzes stand dabei im Vordergrund. Dem Parlament ging der Vorschlag eines total überarbeiteten Gesetzes jedoch zu weit und es wies die Vorlage im März 2013 an den Bundesrat zurück mit dem Auftrag, eine Teilrevision zu ausgewählten Punkten auszuarbeiten. Unter der Führung des Eidgenössischen Finanzdepartements erarbeitete in der Folge eine Arbeitsgruppe aus Vertreterinnen und Vertretern der Branche, der Stiftung für Konsumentenschutz, des Schweizerischen Versicherungsverbands sowie der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht FINMA eine Revisionsvorlage.

Inhalt der Vorlage Der vorgelegte Gesetzesentwurf nimmt die Anliegen des Parlaments gemäss Rückweisung der Totalrevision des VVG auf. Es wurden die in der Rückweisung geforderten Änderungen namentlich beim Widerrufsrecht, bei der vorläufigen Deckung bei der Verjährung, beim Kündigungsrecht und bei den Grossrisiken aufgenommen.

Auch wurden an zahlreichen Stellen Erleichterungen für den elektronischen Geschäftsverkehr durch Zulassung einer anderen Form als der Schriftlichkeit, die den Nachweis durch Text erlaubt, eingeführt. Daneben wurden weniger weitgehende Anpassungen vorgenommen, die sich bei den Arbeiten als sachgerecht erwiesen haben. Es wurde aber stets darauf geachtet, dass das Grundanliegen des Parlaments, bewährte Bestimmungen im Rahmen einer Teilrevision bestehen zu lassen, gewahrt bleibt. Formal wurde dem VVG durch die Einführung von Abschnittstiteln eine übersichtlichere Struktur gegeben. Auch wenn zu diesem Zweck einige Bestimmungen umgestellt werden mussten, hat die Lesbarkeit des Gesetzes ganz erheblich zugenommen.

5091

BBl 2017

Inhaltsverzeichnis Übersicht

5091

1

Grundzüge der Vorlage 1.1 Ausgangslage 1.1.1 Regelung des Versicherungsvertrags bis Ende 2005 1.1.2 Teilrevision des VVG im Rahmen der Revision des Versicherungsaufsichtsgesetzes 1.1.3 Expertenkommission Schnyder 1.1.4 Rückweisung der Totalrevision des VVG 1.2 Die beantragte Neuregelung 1.2.1 Ausarbeitung 1.2.2 Zentrale Punkte 1.2.3 Gliederung 1.2.4 Andere Textformen als Alternative zur Schriftlichkeit 1.3 Begründung und Bewertung der vorgeschlagenen Lösung 1.4 Rechtsvergleich mit dem europäischen Recht 1.4.1 Der Acquis communautaire 1.4.2 Einzelstaatliche Regulierungen im europäischen Raum 1.5 Umsetzung 1.6 Erledigung parlamentarischer Vorstösse 1.6.1 Motion 00.3541/Volle Freizügigkeit beim Wechsel der Zusatzversicherung 1.6.2 Motion 00.3542/Versicherungsvergünstigungen beim Wechsel der Zusatzversicherung 1.6.3 Motion 00.3570/Versicherungsvertragsgesetz.

Verjährungsbestimmungen 1.6.4 Motion 00.3537/Diebstähle. Beginn der Verjährung bei Kenntnis 1.6.5 Postulat 02.3693/VVG. Lücke bei der Taggeldversicherung 1.6.6 Postulat 03.3596/Zusammenhänge zwischen Grund- und Zusatzversicherung in der Krankenversicherung 1.6.7 Postulat 07.3395/Hohe Prämien beim Übertritt in die Einzeltaggeldversicherung

5094 5094 5094

2

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

5108

3

Auswirkungen 3.1 Auswirkungen auf Bund, Kantone und Gemeinden 3.2 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft 3.2.1 Notwendigkeit staatlichen Handelns 3.2.2 Auswirkungen auf die betroffenen Gruppen 3.2.3 Auswirkungen auf den Wettbewerb und Fazit für den Versicherungsmarkt Schweiz

5136 5136 5136 5136 5137

5092

5094 5095 5095 5096 5096 5096 5097 5097 5099 5100 5100 5101 5102 5102 5102 5103 5103 5103 5104 5105 5108

5139

BBl 2017

4

Verhältnis zur Legislaturplanung

5140

5

Rechtliche Aspekte 5.1 Verfassungsmässigkeit 5.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

5140 5140 5140

Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag (Versicherungsvertragsgesetz, VVG) (Entwurf)

5141

5093

BBl 2017

Botschaft 1

Grundzüge der Vorlage

1.1

Ausgangslage

1.1.1

Regelung des Versicherungsvertrags bis Ende 2005

Das Versicherungsvertragsgesetz vom 2. April 19081 (VVG) regelt das privatrechtliche Vertragsverhältnis zwischen der Versicherungsnehmerin oder dem Versicherungsnehmer (sowie der versicherten, anspruchsberechtigten oder begünstigten Person) und dem Versicherungsunternehmen. Es hat sich über lange Zeit grundsätzlich bewährt, ist aber in der letzten Zeit auch in Kritik geraten. Versicherungsrechtliche Fragestellungen werden heute in der Öffentlichkeit anders wahrgenommen und bewertet. Aber auch die Lehre beanstandet vielfach die mangelnde Ausgewogenheit zwischen den Verpflichtungen der Versicherungsnehmerinnen und Versicherungsnehmer einerseits und denjenigen der Versicherungsunternehmen andererseits sowie die unzureichende Abstimmung des VVG mit dem allgemeinen Obligationenrecht2 (OR). Zudem sieht sich auch die Rechtsprechung immer häufiger mit Problemen konfrontiert, für die das geltende Recht keine oder nur unzulängliche Lösungen zur Verfügung stellt.

1.1.2

Teilrevision des VVG im Rahmen der Revision des Versicherungsaufsichtsgesetzes

Auf den 1. Januar 2006 wurde das Versicherungsaufsichtsgesetz vom 17. Dezember 20043 (VAG) in Kraft gesetzt. Mit diesem Gesetz wurden auch einige Bestimmungen des VVG geändert, mit deren Anpassung man nicht bis zur Totalrevision des VVG zuwarten wollte. So wurde unter anderem das Versicherungsunternehmen neu verpflichtet, die Versicherungsnehmerin und den Versicherungsnehmer vor Vertragsschluss über seine Identität und den wesentlichen Vertragsinhalt zu informieren (Art. 3 VVG). Bei Verletzung dieser Pflicht wurde der Versicherungsnehmerin oder dem Versicherungsnehmer die Möglichkeit der Vertragskündigung eingeräumt (Art. 3a VVG). Neu eingeführt wurde sodann das Prinzip der Kausalität bei der Anzeigepflichtverletzung: Löst das Versicherungsunternehmen den Vertrag wegen Anzeigepflichtverletzung auf, so ist es nur für Schäden von seiner Leistungspflicht befreit, deren Eintritt oder Ausmass durch die nicht oder nicht korrekt angezeigte Gefahrstatsache beeinflusst wurde (Art. 6 VVG). Ebenfalls neu statuiert wurden der Grundsatz der Teilbarkeit der Prämie bei vorzeitiger Auflösung oder Beendigung des Versicherungsvertrags (Art. 24 VVG) sowie das Erlöschen des Versicherungsvertrags bei Handänderung (Art. 54 VVG). Letztere Bestimmung wurde in der Zwischenzeit allerdings erneut korrigiert: Nunmehr geht der Versicherungsvertrag 1 2 3

SR 221.229.1 SR 220 SR 961.01

5094

BBl 2017

beim Eigentümerwechsel des versicherten Gegenstands auf die neue Eigentümerin oder den neuen Eigentümer über, und diese oder dieser kann den Vertrag bis 30 Tage nach der Handänderung kündigen4.

1.1.3

Expertenkommission Schnyder

Trotz der Teilrevision des Versicherungsvertragsrechts wurde vielfach eine vollumfängliche Überarbeitung des VVG gefordert. Deshalb betraute das damals zuständige Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement am 11. Februar 2003 eine wissenschaftlich ausgerichtete Expertenkommission unter der Leitung von Prof. Dr.

Anton K. Schnyder, Universität Zürich, mit der Erarbeitung eines Gesetzesentwurfs samt erläuterndem Bericht zur Totalrevision. Die Kommission sollte die bekannten politischen Anliegen aufnehmen, soweit sie nicht bereits in der Teilrevision des VVG umgesetzt wurden, und die Entwicklung des Versicherungsvertragsrechts in den Nachbarstaaten und im übrigen Europa einschliesslich der Abgrenzung zum Sozialversicherungsrecht berücksichtigen. Im August 2006 übergab die Kommission dem mittlerweile zuständigen Eidgenössischen Finanzdepartement (EFD) einen Entwurf samt Erläuterungsbericht. Dieses erarbeitete in der Folge einen Entwurf zu einer Totalrevision des VVG, der durch den Bundesrat im September 2011 zuhanden des Parlaments verabschiedet wurde.

1.1.4

Rückweisung der Totalrevision des VVG

Dem Parlament ging der Vorschlag eines total überarbeiteten Gesetzes jedoch zu weit. Es wies die Vorlage im März 2013 an den Bundesrat zurück mit dem Auftrag, eine Teilrevision zu ausgewählten Punkten auszuarbeiten. Es sollten nur notwendige Änderungen vorgenommen werden. Die Teilrevision sollte dabei die folgenden Vorgaben einhalten: «Es sollen nur notwendige Änderungen auf Grundlage des geltenden Rechts im Rahmen einer (weiteren) Teilrevision des VVG vorgenommen werden. Die Teilrevision soll umfassen beziehungsweise berücksichtigen:

4

1.

Das geltende VVG ist beizubehalten und nur punktuell zu optimieren. Dabei sind insbesondere bewährte Bestimmungen und solche, die bereits im Rahmen der Teilrevision 2006/2007 geändert wurden, unverändert beizubehalten.

2.

Änderungen des geltenden VVG nur soweit nötig (auch angesichts der Kostenfolgen), wie z.B.: ­ angemessenes Widerrufsrecht (vgl. Art. 7 Vorlage) ­ gesetzliche Regelung der vorläufigen Deckung (vgl. Art. 23 Vorlage) ­ Zulassung der Rückwärtsversicherung (vgl. Art. 24 Vorlage)

Vgl. 06.468; Parlamentarische Initiative Hegetschweiler

5095

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­ ­ ­

Beseitigung der konsumentenfeindlichen Genehmigungsfiktion (Art. 12 VVG) Angemessene Verlängerung der Verjährungsfristen Ordentliches Kündigungsrecht (vgl. Art. 52 der Vorlage; Verhinderung von «Knebelverträgen»)

Dabei sind unnötige Eingriffe in die Vertragsfreiheit zu vermeiden.

3.

Angemessene Eingrenzung des Schutzbereichs: vgl. Grossrisiken gemäss Vorlage als Schritt in diese Richtung.

4.

Es sind generell anerkannte, nicht auslegungsbedürftige Begriffe zu verwenden (VVG als Ergänzungserlass zum OR; Einheit der Rechtsordnung).

5.

Dem elektronischen Geschäftsverkehr ist Rechnung zu tragen.

Bei der Erarbeitung der Teilrevision sollen die Gesetzesadressaten (Versicherungsnehmer und Versicherungsgesellschaften, resp. ihre Interessenvertreter) angemessen einbezogen werden.»

1.2

Die beantragte Neuregelung

1.2.1

Ausarbeitung

Im Herbst 2014 stellte das EFD zur Erarbeitung der Teilrevision des VVG gestützt auf den Rückweisungsbeschluss des Parlaments eine Expertengruppe zusammen, bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern aus der Versicherungsbranche, dem Schweizerischen Versicherungsverband (SVV), der Stiftung für Konsumentenschutz (SKS), der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht FINMA sowie aus weiteren Behörden. Diese Expertengruppe erarbeitete in der Folge entlang den parlamentarischen Vorgaben einen Vorschlag für ein teilrevidiertes VVG, der die Grundlage für Vernehmlassungsvorlage bildete.

1.2.2

Zentrale Punkte

Die zentralen Punkte der Teilrevision des VVG entsprechen den vom Parlament vorgeschlagenen Punkten. So wird namentlich: ­

ein 14-tägiges Widerrufsrecht vorgeschlagen;

­

die vorläufige Deckungszusage neu im Gesetz geregelt;

­

die Rückwärtsversicherung unter bestimmten Voraussetzungen neu zugelassen;

­

die Verjährungsfrist für Forderungen aus dem Versicherungsvertrag bis auf wenige Ausnahmen von zwei auf fünf Jahre verlängert;

­

der Schutzbereich des VVG bei Grossrisiken bzw. bei professionellen Versicherungsnehmern in angemessener Weise eingeschränkt;

5096

BBl 2017

­

dem elektronischen Geschäftsverkehr vermehrt Rechnung getragen, indem für die meisten Mitteilungen alternativ zur einfachen Schriftlichkeit der Nachweis durch Text ermöglicht wird (siehe unten Ziff. 1.2.4);

­

die Beendigung des Versicherungsvertrags neu geregelt und insbesondere neu ein ordentliches Kündigungsrecht eingeführt.

1.2.3

Gliederung

Im Weiteren wurde die Gliederung des VVG behutsam angepasst, um mit möglichst wenig Eingriffen eine maximale Erhöhung der Verständlichkeit des Gesetzes zu erzielen. Es sollte nicht vergessen werden, dass sich das Gesetz nicht nur an Versicherungsfachleute, sondern auch an die «einfachen» Versicherungsnehmerinnen und Versicherungsnehmer richtet. Der E-VVG gliedert sich nunmehr in vier Kapitel (gegenüber deren fünf, die im geltenden VVG noch Titel heissen). Das 1. Kapitel («Allgemeine Bestimmungen»), das, wie im geltenden Recht, für alle Versicherungsverträge zur Anwendung gelangt, ist zur besseren Übersicht neu in acht Abschnitte unterteilt: Abschluss des Vertrags, Aufklärungspflichten, Inhalt und Verbindlichkeit des Vertrags, Prämie, Änderung des Vertrags, Beendigung des Vertrags, Eintritt des befürchteten Ereignisses sowie weitere Bestimmungen. Der zweite Kapitel («Besondere Bestimmungen») umfasst die besonderen Bestimmungen des geltenden Rechts zur Schaden- und Personenversicherung (2. und 3. Kapitel VVG) und ist neu in fünf Abschnitte aufgeteilt: Sachversicherung, Haftpflichtversicherung, Lebensversicherung, Kranken- und Unfallversicherung, Koordination. Durch diese Verfeinerung der Systematik wird einerseits die Übersicht verbessert, und dies ohne die Systematik des geltenden VVG tiefgreifend umzustellen; andererseits wird die bisherige, oft kritisierte Unterscheidung von Schaden- und Personenversicherung ersetzt. Das 3. Kapitel («Zwingende Bestimmungen») entspricht dem vierten Titel des geltenden VVG und findet wie im geltenden Recht wiederum auf sämtliche Versicherungsverträge Anwendung. Er regelt neu in vier Artikeln die absolut- und relativ-zwingenden Bestimmungen des Gesetzes und die Ausnahmen insbesondere für professionelle Kunden. Das 4. und letzte Kapitel («Schlussbestimmungen») beinhaltet das Kollisionsrecht sowie weitere Schluss- und Übergangsbestimmungen und entspricht dem fünften Titel im geltenden Recht.

1.2.4

Andere Textformen als Alternative zur Schriftlichkeit

In Umsetzung der parlamentarischen Vorgabe trägt der vorliegende Entwurf (wie auch schon derjenige zur Totalrevision) dem elektronischen Geschäftsverkehr Rechnung. So soll für zahlreiche Mitteilungen alternativ zur einfachen Schriftlichkeit (Art. 12 ff. OR) der Nachweis durch Text ermöglicht werden. Im Unterschied zur Schriftform bedarf es dabei keiner eigenhändigen Unterschrift, was die Geschäftsabläufe vereinfacht.

5097

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In Anlehnung an die Bestimmungen der Zivilprozessordnung5 (ZPO), des Bundesgesetzes vom 18. Dezember 19876 über das Internationale Privatrecht (IPRG) und seit 1. Januar 2016 an Artikel 40d Absatz 1 OR erfasst die neben der Schriftlichkeit zulässige «andere Form, die den Nachweis durch Text ermöglicht» neben klassischen Schriftstücken auch Telefax-Nachrichten (selbst ohne Unterschrift oder ohne verkörpertes Original direkt aus einem Computer), maschinell erstellte Briefe, E-Mails, Telegramm- oder SMS-Nachrichten. Zusätzlich zur qualifizierten elektronischen Signatur, die bereits eine medienbruchfreie Geschäftsabwicklung bei einfacher Schriftlichkeit ermöglicht (siehe Art. 14 Abs. 2bis OR), wird so für Mitteilungen ein einfach handhabbares Instrument zur Verfügung gestellt.

Unterschiede zwischen Schriftlichkeit und anderen Formen, die den Nachweis durch Text ermöglichen Zu berücksichtigen ist, dass die Beweisfunktion bei einer anderen Form, die den Nachweis durch Text ermöglicht, im Vergleich zur Schriftlichkeit herabgesetzt ist.

Insbesondere vermag diese Form wenig oder keine Gewähr für die Identität der Ausstellerin oder des Ausstellers und die Authentizität der Erklärung bieten. Ebenso sind ihre Warnfunktion und der Übereilungsschutz für die betreffende Person gering. Sofern es um wichtige Willenserklärungen geht, ist ihre Anordnung deshalb wenig sinnvoll. Bei der Kündigung des Versicherungsvertrags ist die Schriftlichkeit daher sachgerecht: Einerseits handelt es sich in der Regel um standardisierte Massengeschäfte (Identifikationsfunktion); andererseits hat der Übereilungsschutz insbesondere für die Versicherungsnehmerin oder den Versicherungsnehmer eine grosse Bedeutung. Sachgerecht ist eine andere Form, die den Nachweis durch Text ermöglicht, aber bei zahlreichen Erklärungen, die an sich auch formlos gültig sein könnten, bei denen der Nachweis des Inhalts ­ zum Beispiel aufgrund erhöhter Komplexität ­ im Vordergrund steht.

Datenschutz in der elektronischen Kommunikation Lassen Versicherungsunternehmen gegenüber ihren Versicherten die elektronische Kommunikation zu, haben sie wie bei der Kommunikation auf dem postalischen Weg auch in Zukunft sicherzustellen, dass die einschlägigen Vorschriften des Datenschutzrechts insbesondere hinsichtlich der besonders schützenswerten Personendaten eingehalten
werden. In der Praxis ermöglicht die hier neu eingeführte andere Form, die den Nachweis durch Text ermöglicht, wohl hauptsächlich die Kommunikation mittels unverschlüsselter E-Mails. Der Sicherheitsstatus nach den allgemeinen datenschutzrechtlichen Grundsätzen ist aber ausserordentlich gering.

Aus diesem Grund sind die Versicherungsunternehmen denn auch gehalten, in den Versicherungsbedingungen (AVB) transparent auf die entsprechenden Risiken hinzuweisen.

5 6

SR 272 SR 291

5098

BBl 2017

Exkurs: Unternehmenszertifikat Das Parlament hat am 18. März 2016 eine Totalrevision des Bundesgesetzes über die elektronische Signatur beschlossen.7 Diese sieht die Einführung eines «elektronischen Siegels» vor. Damit wird juristischen Personen künftig ein staatlich reguliertes Unternehmenszertifikat zugänglich sein, das Gewähr für die Einhaltung von Mindestanforderungen bietet und zugleich einfach in der Anwendung ist. Dadurch wird es möglich sein ­ aber gemäss Vorentwurf nicht vorgeschrieben ­, ohne besonderen Zusatzaufwand auch bei einem blossen Nachweis durch Text die Erwartungen der Empfängerinnen und Empfänger bezüglich Herkunftsnachweis und Integrität der Mitteilung zu erfüllen.

1.3

Begründung und Bewertung der vorgeschlagenen Lösung

Die in die Vernehmlassung geschickte Vorlage stiess auf insgesamt positive Resonanz (vgl. den Ergebnisbericht8). Ein grosser und gewichtiger Teil der Vernehmlassungsteilnehmerinnen und -teilnehmer forderte jedoch in zahlreichen Punkten eine Beschränkung der Vorlage auf die Revisionspunkte, die das Parlament bei der Rückweisung 2013 vorgegeben hat.

Um ein erneutes Scheitern der Revision zu verhindern, trägt die hier nun vorgelegte Vorlage dieser Kritik Rechnung. Im Wesentlichen heisst das:

7 8 9

­

Es werden keine zusätzlichen Informationspflichten bei der Lebensversicherung aufgenommen. Das Thema soll aber, soweit es sich bei den Lebensversicherungen um Anlageprodukte handelt, im Rahmen der FIDLEG/FINIGVorlage9 noch einmal aufgenommen werden.

­

Auf Vorschriften zur Nachhaftung wird verzichtet. Stattdessen wird eine entsprechende Informationspflicht des Versicherungsunternehmens aufgenommen wird. Es hat sich gezeigt, dass generelle Regeln zur Nachhaftung über alle Versicherungszweige hinweg die jeweiligen Bedürfnisse kaum sinnvoll abdecken können. Hingegen können mit einer transparenten vorvertraglichen Information über die Nachhaftung ein unnötiger Eingriff in die Vertragsfreiheit vermieden und die Interessen der Versicherungsnehmerinnen und der Versicherungsnehmer trotzdem gewahrt werden.

­

Vertragliche Vereinbarungen über einseitige Vertragsanpassungen und über einseitige Beschränkungen einer periodischen Leistungspflicht (infolge Krankheit oder Unfall) sind ­ im Unterschied zur Vernehmlassungsvorlage ­ nicht mehr a priori nichtig. Sie sind aber nur dann zulässig, wenn sie der Kundin oder dem Kunden im Rahmen der Informationspflicht offengelegt werden. Auch hier wird damit anstelle eines Verbots eine Transparenzbestimmung vorgeschlagen.

BBl 2016 2021 www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > 2016 > EFD BBl 2015 8901

5099

BBl 2017

­

Auf Änderungen im Bereich der Anzeigepflichtverletzungen wird verzichtet.

­

Die 2006 eingeführte Regelung zur Teilbarkeit der Prämie wird nicht noch einmal angepasst. Kündigt die Versicherungsnehmerin oder der Versicherungsnehmer im ersten Jahr, so schuldet sie oder er also weiterhin die ganze Jahresprämie. Damit sollen insbesondere die Risikoprüfungskosten des Versicherungsunternehmens aufgefangen werden.

­

Im Bereich der Gefahrserhöhung werden keine Anpassungen vorgenommen.

­

Auch in der Zusatzkrankenversicherung steht dem Versicherungsunternehmen weiterhin ein ordentliches Kündigungsrecht zu.

­

Die Folgen der unverschuldeten Vertragsverletzung treten neu nur bei Kausalität zwischen der Vertragsverletzung und dem Schaden bzw. der Leistung des Versicherungsunternehmens ein. Der entsprechende Beweis obliegt aber der Versicherungsnehmerin oder dem Versicherungsnehmer.

­

Bei der Mehrfachversicherung werden keine Änderungen vorgenommen.

­

Auf einen Einredenausschluss bei der obligatorischen Haftpflichtversicherung wird verzichtet. Die Frage könnte allenfalls im Rahmen der einstweilen zurückgestellten Regelung von Pflichtversicherungen wieder aufgenommen werden.

­

Auf das direkte Forderungsrecht zugunsten einer gemässigteren Regelung wird verzichtet.

­

Die Definition der Grossrisiken bzw. der professionellen Versicherungsnehmer wurde überarbeitet.

Nach der gegenwärtigen Planung wird der Bundesrat im Verlaufe des Jahres 2017 die Vernehmlassung zu einer Revision des VAG eröffnen. Dabei wird die Einführung von Bestimmungen zur Sanierung im Vordergrund stehen. Um eine mehrfache Revision des VAG in kurzen zeitlichen Abständen zu vermeiden, sollen die Bestimmungen zum VAG, die sich noch im Anhang zum VE-VVG befunden haben, in die Vernehmlassungsvorlage zur genannten VAG-Revision überführt werden. Sie wurden daher aus der hier vorgestellten Vorlage entfernt.

1.4

Rechtsvergleich mit dem europäischen Recht

1.4.1

Der Acquis communautaire

Der europäische Acquis communautaire umfasst keine geschlossene Kodifikation des Versicherungsvertragsrechts. Der Entwurf einer Harmonisierungsrichtlinie aus dem Jahre 197910 konnte sich nicht durchsetzen und wurde von der Europäischen Kommission zurückgezogen. Die Regulierung des Versicherungsvertragsrechts liegt deshalb weiterhin in der Kompetenz der Nationalstaaten.

10

Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Direktversicherung. ABl. C 190 vom 28.7.1979, S. 2, 30; ABl C 228 vom 24.8.1993, S. 14.

5100

BBl 2017

Dennoch greift das sekundäre Gemeinschaftsrecht direkt oder indirekt in das Versicherungsvertragsrecht ein. So hatten etwa die EG-Richtlinien zur Lebens- und Nichtlebensversicherung zur Einführung einer Informations- und Beratungspflicht der Versicherungsnehmerin und des Versicherungsnehmers durch das Versicherungsunternehmen geführt. Diese Richtlinien sind grösstenteils im Gesamtwerk «Solvabilität II»11 aufgegangen. In diesem Gesamtregelwerk, das am 1. Januar 2016 in Kraft gesetzt wurde, werden die regulatorischen Anforderungen an die Versicherungsunternehmen angepasst. Diese decken insbesondere das Risikomanagement und die Anforderungen an die Kapitalisierung der Versicherungsunternehmen ab.

Gleichzeitig wird damit auch die Entwicklung eines vereinheitlichten Marktes für Versicherungsdienstleistungen in Europa angestrebt. In diesem Sinne verlangt «Solvabilität II» von den Mitgliedstaaten die Einführung eines Rücktrittsrechts mindestens bei der Lebensversicherung. Einige wenige Mitgliedstaaten haben dieses Widerrufsrecht auf sämtliche Versicherungsverträge ausgedehnt.

Das Europäische Parlament und der Rat haben im Januar 2016 eine neue Richtlinie zum Versicherungsvertrieb12 erlassen. Wesentliches Ziel der darin enthaltenen Informationspflichten und Verhaltensregeln ist eine Angleichung des Verbraucherschutzes beim Vertrieb von Versicherungsprodukten an die Vorgaben, die in der EU für Finanzdienstleistungen13 bereits 2014 beschlossen worden sind. Auch soll ein Level playing field für den Verkauf von Versicherungsprodukten zwischen Versicherungsvermittlern und Versicherungsunternehmen geschaffen werden.

Im Weiteren haben die Regelungen in den Richtlinien zur Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung den Schutz der geschädigten Person massgeblich gestärkt. Diese Richtlinien sind in einer neuen umfassenden Kraftfahrzeug-Richtlinie zusammengeführt worden14.

1.4.2

Einzelstaatliche Regulierungen im europäischen Raum

In der Schweiz ist die Entwicklung des Versicherungsaufsichtsrechts mit seiner Wechselwirkung zum Versicherungsvertragsrecht weitgehend parallel zur EU verlaufen. Weitestgehend im autonomen Nachvollzug des EU-Sekundärrechts wurde durch das VAG eine Deregulierung vorgenommen. Gleichzeitig wurde der Versichertenschutz im Versicherungsvertragsrecht gestärkt. Mit einer ersten Teilrevision des VVG wurden vordringliche Konsumentenschutzanliegen verwirklicht. In Ergän11

12 13

14

Vgl. Art. 186 Richtlinie 2009/138/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009 betreffend die Aufnahme und Ausübung der Versicherungs- und der Rückversicherungstätigkeit (Solvabilität II) (ABl. L 335 vom 17.12.2009, S. 1).

Richtlinie (EU) 2016/97 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Januar 2016 über Versicherungsvertrieb (ABl. 26 vom 2.2.2016, S. 19).

Vgl. Richtlinie 2014/65 EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente und zur Änderung des Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU (ABl. L 173 vom 12.6.2014, S. 349).

Richtlinie 2009/103/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht, ABl. L 263 vom 7.10.2009, S. 11.

5101

BBl 2017

zung und Erweiterung dieser Teilrevision werden mit dem vorliegenden Entwurf gemäss dem parlamentarischen Auftrag Anpassungen in diversen Einzelpunkten vorgenommen. Da es sich damit vorliegend nicht um die ursprünglich geplante Neuordnung des VVG im Sinne einer Totalrevision handelt, sondern um zahlreiche Regelungen von Einzelfragen, wäre ein detaillierter Vergleich mit den entsprechenden Regelungen von europäischen Einzelstaaten nicht sachgerecht. Immerhin kann darauf hingewiesen werden, dass Abklärungen im Rahmen der Botschaft zur Totalrevision ergeben haben, dass die Regulierungen in umliegenden Ländern weitgehend in die gleiche Richtung gehen wie der vorliegende Entwurf. Die Tendenz zu einem verstärkten Schutz der Konsumentinnen und Konsumenten ist heute auch in zahlreichen europäischen Ländern feststellbar.

1.5

Umsetzung

Eine Umsetzung des VVG auf Stufe Verordnung ist mit der vorliegenden Teilrevision nicht notwendig.

1.6

Erledigung parlamentarischer Vorstösse

1.6.1

Motion 00.3541/Volle Freizügigkeit beim Wechsel der Zusatzversicherung

Die Motion der Fraktion der Schweizerischen Volkspartei vom 5. Oktober 2000 verlangt, dass beim Wechsel einer Zusatzversicherung zur obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) das neue Versicherungsunternehmen nur Vorbehalte anbringen darf, die Erkrankungen betreffen, die nicht länger als eine bestimmte Zeit zurückliegen. Es soll deshalb eine maximale Frist eingeführt werden, während der Vorbehalte angebracht werden dürfen. Die Motion wurde in Form eines Postulats überwiesen.

Die Krankenzusatzversicherung ist ein dem Privatrecht unterstehender Vertrag. Mit der Einführung einer Befristung von Vorbehalten würde der Grundsatz der Vertragsfreiheit, der zu den wichtigsten Prinzipien des Privatrechts gehört, eingeschränkt.

Zudem kann sich eine Befristung für die Versicherten auch kontraproduktiv auswirken, da das Versicherungsunternehmen dazu verleitet werden könnte, einen Antrag auf Aufnahme in die Versicherung abzulehnen, falls ihm das zu übernehmende Risiko zu hoch erscheint. Aus diesen Gründen wird im Rahmen der vorliegenden Revision von einer Befristung von Vorbehalten abgesehen.

Der Bundesrat beantragt Abschreibung des Postulats.

5102

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1.6.2

Motion 00.3542/Versicherungsvergünstigungen beim Wechsel der Zusatzversicherung

Die Motion der Fraktion der Schweizerischen Volkspartei vom 5. Oktober 2000 bezweckt, dass die Versicherungsvergünstigungen, die den Versicherten in der Kranken-Zusatzversicherung beispielsweise aufgrund der Anzahl Versicherungsjahre oder der Schadenfreiheit gewährt werden, beim Wechsel der Zusatzversicherung weiterhin zugestanden werden, sofern das neue Versicherungsunternehmen solche Vergünstigungen für seine Versicherten vorsieht. Die Motion wurde in Form eines Postulats überwiesen.

Eine Vorschrift, welche die Versicherungsunternehmen zu bestimmten Vergünstigungen verpflichtet, greift zu stark in die im Privatrecht geltende Vertragsautonomie ein. Die Entscheidung, welche Vergünstigungen ein Versicherungsunternehmen seinen Versicherten gewähren soll, muss dem Versicherungsunternehmen überlassen bleiben. Von einer Vorschrift über Versicherungsvergünstigungen beim Wechsel der Zusatzversicherung wird deshalb abgesehen.

Der Bundesrat beantragt Abschreibung des Postulats.

1.6.3

Motion 00.3570/Versicherungsvertragsgesetz.

Verjährungsbestimmungen

Nationalrat Urs Hofmann fordert den Bundesrat mit der Motion «Versicherungsvertragsgesetz. Verjährungsbestimmungen» vom 6. Oktober 2000 auf, dem Parlament eine Gesetzesänderung zur Erhöhung der minimalen Verjährungsfrist in Artikel 46 Absatz 1 VVG auf zehn Jahre vorzulegen. Die Motion wurde in ein Postulat umgewandelt.

Der Bundesrat teilt die Ansicht, dass eine zweijährige Verjährungsfrist im VVG zu kurz ist. Allerdings scheint eine Verlängerung der Verjährungsfrist auf zehn Jahre unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit als problematisch, da damit die versicherungsspezifischen Bedürfnisse in Bezug auf die Überwachung der finanziellen Lage des Versicherungsunternehmens nicht genügend berücksichtigt werden. Im Entwurf wird daher (mit Ausnahme für die kollektive Krankentaggeldversicherung) eine Verlängerung der Verjährungsfrist auf fünf Jahre vorgeschlagen (vgl. Art. 46 E-VVG). Die Bestimmung ist teilzwingend, sodass eine längere Verjährungsfrist vereinbart werden kann. Die Verjährung knüpft wie im geltenden Recht an den Eintritt der Tatsache an, welche die Leistungspflicht begründet.

Der Bundesrat beantragt Abschreibung des Postulats.

1.6.4

Motion 00.3537/Diebstähle. Beginn der Verjährung bei Kenntnis

Das Bundesgericht hat entschieden (BGE 126 III 278), dass die ohnehin schon kurze Verjährungsfrist von zwei Jahren bei Diebstählen zum Zeitpunkt der Tat und nicht erst zum Zeitpunkt der Kenntnis der Tat zu laufen beginnt, was nach Ansicht von 5103

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Nationalrat Peter Jossen-Zinsstag zum stossenden Ergebnis führen kann, dass Ansprüche von Bestohlenen zum Zeitpunkt des Entdeckens des Diebstahls schon verjährt sind. Mit der Motion «Diebstähle. Beginn der Verjährung bei Kenntnis» vom 5. Oktober 2000 fordert er den Bundesrat deshalb auf, die Bestimmungen des VVG entsprechend zu korrigieren.

In Abweichung von den Regeln des allgemeinen Vertragsrechts knüpfen im Versicherungsvertragsrecht Fälligkeit und Verjährungsbeginn an verschiedene Ereignisse an. Fällig sind Versicherungsansprüche vier Wochen, nachdem das Versicherungsunternehmen über alle Informationen verfügt, aus denen sich seine Leistungspflicht ergibt. Da die Versicherungsnehmerin oder der Versicherungsnehmer somit den Eintritt der Fälligkeit beeinflussen kann, ist es sachgerecht, die Verjährung zu einem anderen, von der Versicherungsnehmerin oder dem Versicherungsnehmer nicht beeinflussbaren Zeitpunkt beginnen zu lassen. Dies ist im hier vorgelegten Entwurf, wie bereits im geltenden Recht, der Eintritt sämtlicher Tatsachen, aus denen sich die Leistungspflicht des Versicherungsunternehmens ableiten. Würde die Verjährung, wie im allgemeinen Vertragsrecht, mit dem Eintritt der Fälligkeit zu laufen beginnen, so bestünde die Möglichkeit, dass im Extremfall nachrichtenlose Vermögen geschaffen würden. Der Entwurf trägt der Motion im Ergebnis trotzdem weitestgehend Rechnung: Gemäss Artikel 46 E-VVG sollen Forderungen aus dem Versicherungsvertrag neu fünf Jahre nach Eintritt der (letzten) Tatsache verjähren, welche die Leistungspflicht begründet.

Der Bundesrat beantragt Abschreibung der Motion.

1.6.5

Postulat 02.3693/VVG. Lücke bei der Taggeldversicherung

Mit dem von Nationalrat Meinrado Robbiani eingereichten Postulat «VVG. Lücke bei der Taggeldversicherung» vom 10. Dezember 2002 wird darauf hingewiesen, dass gemäss geltendem Recht die Versicherungsunternehmen bei der Suspension eines Taggeldversicherungsvertrags (etwa weil der Arbeitgeber die Prämien nicht zahlt) nicht verpflichtet sind, die versicherten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer darüber zu informieren oder ihnen die Möglichkeit zu bieten, einen Einzelversicherungsvertrag abzuschliessen. Der Bundesrat wird ersucht, für die Beseitigung dieser Ungerechtigkeit zu sorgen.

Im geltenden Recht hat die Versicherungsnehmerin oder der Versicherungsnehmer bei Kollektivverträgen, die anderen Personen als ihr oder ihm einen direkten Leistungsanspruch verleihen, die Pflicht, diese Personen über Änderungen und Auflösung des Vertrags zu informieren (Art. 3 Abs. 3 i. V. mit Art. 87 VVG). Das Versicherungsunternehmen stellt der Versicherungsnehmerin oder dem Versicherungsnehmer die zur Information erforderlichen Unterlagen zur Verfügung. Ein Recht, beim Dahinfallen einer Kollektivversicherung nach VVG in die Einzelversicherung überzutreten, steht arbeitslosen Personen nach Artikel 100 Absatz 2 VVG zu.

Der Grundgedanke von Artikel 3 Absatz 3 VVG soll in der vorliegenden Revision weiterbestehen. Die Bestimmung soll jedoch insofern angepasst werden, als ihr 5104

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Geltungsbereich präzisiert und auf die im Zentrum stehenden kollektiven Personenversicherungen beschränkt wird. Auf eine Informationspflicht des Versicherungsunternehmens gegenüber den versicherten Personen wird jedoch weiterhin verzichtet.

Das Versicherungsunternehmen wäre nicht in der Lage, eine entsprechende Pflicht zu erfüllen. So hat es zum Beispiel bei als Lohnsummenversicherung ausgestalteten kollektiven Krankentaggeldversicherungen keine Kenntnis davon, wer beim Versicherungsnehmer arbeitet, wer aus dessen Dienst austritt oder wer nach einem solchen Austritt arbeitslos wird. Mit der Informationspflicht des Arbeitgebers sollte das vom Postulanten verlangte Informationsanliegen trotzdem erfüllt werden.

Ein gesetzliches Übertrittsrecht ist weiterhin nur für Personen vorgesehen, die nach der Gesetzgebung über die Arbeitslosenversicherung als arbeitslos gelten. Der besondere Schutz ist in der Tat namentlich dann wichtig, wenn einer bereits kranken Arbeitnehmerin oder einem bereits kranken Arbeitnehmer die Arbeitsstelle gekündigt und sie oder er in der Folge arbeitslos wird. Ansonsten soll aber auch hier weiterhin der Grundsatz der Vertragsfreiheit gelten, sodass ein allgemeines Übertrittsrecht bei den kollektiven Krankentaggeldversicherungen nach VVG nicht vorgesehen wird.

Der Bundesrat beantragt Abschreibung des Postulats.

1.6.6

Postulat 03.3596/Zusammenhänge zwischen Grund- und Zusatzversicherung in der Krankenversicherung

Das Postulat der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates wurde am 8. März 2004 angenommen. Der Bundesrat wird beauftragt, in einem Bericht die Zusammenhänge zwischen Grund- und Zusatzversicherung in der Krankenversicherung darzustellen und geeignete Gesetzgebungsvorschläge auszuarbeiten. Im Bericht sollten insbesondere die Themen der Verfassungsbindung, die Vertragsfreiheit, die Freizügigkeit, die Geltung von Krankheitsvorbehalten sowie die Zweckbindung der Sockelbeiträge der Kantone behandelt werden. Der Bundesrat sieht keinen Bedarf für Gesetzesvorschläge und erstattet seinen Bericht wie folgt: Gemäss dem Bundesgesetz vom 18. März 199415 über die Krankenversicherung (KVG) sind die Anbieterinnen von Zusatzversicherungen zur OKP der Aufsicht der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (FINMA)16 unterstellt. Verträge über die Grund- und Zusatzversicherung können bei verschiedenen Versicherungsunternehmen abgeschlossen werden (vgl. Art. 7 Abs. 7 und 8 KVG). Seit dem Inkrafttreten des KVG (1996) haben insbesondere grosse Krankenkassen private Versicherungsunternehmen nach VAG gegründet und die Zusatzversicherungen darauf übertragen.

Der grosse Teil des Prämienvolumens in der Zusatzversicherung entfällt auf diese Privatversicherungsunternehmen.

15 16

SR 832.10 Vormals Bundesamt für Privatversicherungen (BPV).

5105

BBl 2017

Information der Versicherten Seit der Annahme des Postulats sind sowohl in der Sozial- als auch in der Privatversicherung neue Gesetzesbestimmungen in Kraft getreten, welche die Transparenz in der Krankenversicherung und somit den Informationsstand der Versicherungsnehmerinnen und Versicherungsnehmer über die Zusammenhänge und Unterschiede zwischen Grund- und Zusatzversicherung massgeblich verbessert haben. So darf in der OKP das Beitrittsformular seit 2006 nur noch Angaben zur OKP enthalten (Art. 6a der Verordnung über die Krankenversicherung17). Mit dieser Massnahme können die Versicherungsnehmerinnen und Versicherungsnehmer den Unterschied zwischen obligatorischer und freiwilliger Krankenversicherung bereits vor Vertragsschluss leichter erkennen. Zudem sind die Anbieterinnen von privaten Zusatzversicherungen seit der 2007 in Kraft getretenen Teilrevision des VVG verpflichtet, vor Abschluss einer Zusatzversicherung zur OKP verständlich und transparent über den wesentlichen Vertragsinhalt zu informieren (Art. 3 VVG). Konsumentinnen und Konsumenten werden dadurch auch in die Lage versetzt, nebst den aktuell geltenden Prämien auch deren voraussichtliche Entwicklung vergleichen zu können. Durch unterschiedliche Finanzierungsmethoden kann das Ausmass der Prämienabstufungen im Alter unterschiedlich stark ausfallen; diese Kenntnis kann für den Vertragsabschluss entscheidend sein.

Geschlechtsabhängige Prämien (Verfassungsmässigkeit) Bei der Behandlung der parlamentarischen Initiative Teuscher Franziska «Verbot der Benachteiligung von Frauen» (98.406) am 8. März 2004 im Nationalrat wurde festgehalten, dass Versicherungsunternehmen ohne Prämiendifferenzierung nach dem Geschlecht einen höheren Marktanteil aufweisen als diejenigen mit 18. Angesichts dieser im Markt vorhandenen Wahlfreiheit ist davon auszugehen, dass auch nach der Ablehnung dieser Initiative keine Diskriminierung im Sinne des Initiativtextes zu befürchten ist.

Geschlechtsunabhängige Prämien sind in der EU und im EWR seit dem Inkrafttreten der Richtlinie 2004/113/EG des Rates vom 13. Dezember 200419 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen 20 vorgeschrieben. Die vorliegende Revision des VVG sieht von einer analogen Umsetzung dieser
Richtlinie ab. Sie ginge über den vom Parlament vorgegebenen Revisionsumfang hinaus. Zudem werden in der Schweiz die Prämien in der Zusatzversicherung zur OKP aufgrund einer versicherungstechnischen Bewertung der verschiedenen Risiken der Antragstellerin oder des Antragstellers festgelegt. Aus dieser individuellen Risikoprüfung können sich Prämiendifferenzen zwischen verschiedenen Risikoklassen ergeben. Diese sind zulässig und auch im Interesse und zum Schutz der Versichertengemeinschaft, denn die versicherten Personen haben selbst ein Interesse 17 18 19 20

SR 832.102 AB 2004 N 188 (Votum Meyer Thérèse) ABl. L 373 vom 21.12.2004, S. 37 Vgl. auch sog. «Test-Achat» Urteil des EUGH vom 1. März 2011, Rechtssache C-239/09, publ. In VersR 2011, 377-380 oder NJW 2011, 907-909. Vgl. auch Pärli, Have 2011, 153 ff.

5106

BBl 2017

daran, dass ihr Risiko individuell beurteilt und aufgrund der verschiedenen Risikofaktoren differenziert wird. Willkürlich veranlagte Prämien sind grundsätzlich nicht zulässig. Eine Differenzierung aufgrund des Geschlechts ist jedoch erlaubt, wenn sie auf den relevanten versicherungstechnischen und statistischen Daten beruht und diese zu unterschiedlichen Risikoklassen führen. Unterschiedliche Prämien für Männer und Frauen stellen somit keine verfassungsrechtlich massgebende Diskriminierung dar, insbesondere auch deshalb nicht, weil die risikogerechte Tarifierung ein ebenso anerkanntes Prinzip des Privatversicherungsrechts ist wie die Freiheit des Versicherungsunternehmens, risikoabhängige Solidaritätsgruppen zu bilden.

Kündigung in der Krankenzusatzversicherung Anders als in der OKP ist es dem Krankenzusatzversicherer freigestellt, ob er in den Versicherungsbedingungen lediglich die Kündigungsmöglichkeit durch die versicherte Person vorsieht oder ob er auch sich selber dieses Recht vorbehält. Seit 2006 sind Versicherungsunternehmen, die sich das Kündigungsrecht vorbehalten, verpflichtet, den Versicherten, denen sie kündigen, in Produkten mit Alterungsrückstellungen einen angemessenen Teil davon zurückzuerstatten (Art. 155 der Aufsichtsverordnung21). Wegen der besonderen Natur der Krankenversicherung gibt es im Markt bisher deshalb praktisch keine Produkte mit Kündigungsmöglichkeit durch das Versicherungsunternehmen.

Tarifvorlagepflicht Zu den rechtlichen Neuerungen, die seit der Annahme des Postulats in Kraft getreten sind, gehört schliesslich in der Krankenzusatzversicherung auch die im Jahr 2006 in Kraft getretene Totalrevision des VAG mit der Weiterführung der Pflicht, Änderungen der Tarife und der allgemeinen Versicherungsbedingungen der Aufsichtsbehörde vorzulegen (Art. 4 Abs. 2 Bst. r und Art. 5 VAG). Diese prüft, ob sich die vorgesehenen Prämien in einem Rahmen bewegen, der einerseits die Solvenz der einzelnen Versicherungsunternehmen und anderseits den Schutz der Versicherten vor Missbrauch gewährleistet (Art. 38 VAG). In dieser Hinsicht bildet die Krankenzusatzversicherung zusammen mit der Kollektivlebensversicherung eine Ausnahme von der sonst in der Privatversicherung fortgeschrittenen Befreiung von der Vorlagepflicht. Die Tarifvorlagepflicht bleibt somit ein gemeinsames Merkmal von
OKP und privater Zusatzversicherung.

Rahmenbedingungen Die wesentlichen Unterschiede in den Rahmenbedingungen der OKP und der Zusatzversicherungen bestehen nach wie vor namentlich darin, dass die Leistungen und Solidaritätsgruppen in der OKP gesetzlich geregelt sind, während in der Zusatzversicherung beide vertraglich vereinbart werden. Zudem besteht in der OKP ein Annahmezwang, in der Zusatzversicherung Vertragsfreiheit mit der Möglichkeit, Gesundheitsvorbehalte anzubringen oder von einem Vertragsschluss ganz abzusehen. Schliesslich finanzieren Bund und Kantone einen Teil der OKP prämienseitig durch Beiträge zur Prämienverbilligung beziehungsweise leistungsseitig über die

21

SR 961.011

5107

BBl 2017

Spitalfinanzierung. Die Leistungen der Zusatzversicherungen werden vollumfänglich durch die Prämien der Versicherten finanziert.

Der Bundesrat beantragt Abschreibung des Postulats.

1.6.7

Postulat 07.3395/Hohe Prämien beim Übertritt in die Einzeltaggeldversicherung

Das Postulat von Nationalrätin Edith Graf-Litscher beauftragt den Bundesrat mit der Prüfung, wie die hohen Prämien beim Übertritt von der kollektiven Krankentaggeldversicherung nach VVG in die Einzeltaggeldversicherung sozialverträglicher gestaltet werden können. Als Lösungen werden die Neuformulierung der Übertrittsbestimmungen oder die Begrenzung der Prämienhöhe vorgeschlagen.

Die Krankentaggeldversicherung nach VVG untersteht dem Privatrecht. Es gilt folglich der Grundsatz der Vertragsfreiheit. Die Versicherungsunternehmen sind demnach nicht verpflichtet, infolge Beendigung des Arbeitsverhältnisses die bisher in einer Kollektivversicherung versicherte Person in die Einzelversicherung aufzunehmen. Sowohl die Einführung der Aufnahmepflicht als auch die Aufnahme von Regeln über die Berechnung und Festlegung der Prämien sind ohne tiefgreifende Eingriffe in die Vertragsautonomie nicht möglich.

Die Prämienunterschiede zwischen der Kollektiv- und der Einzeltaggeldversicherung lassen sich in erster Linie auf die Unterschiede in der Risikostruktur zurückführen. Dabei obliegt es den Versicherungsunternehmen unternehmensindividuelle Tarifmodelle auszuarbeiten. Im Gegensatz zur Kollektivkrankentaggeldversicherung müssen sie zudem ihre Tarife der Einzeltaggeldversicherung vorgängig der FINMA zur Genehmigung unterbreiten. Insofern ist sichergestellt, dass diese Tarife auf nachvollziehbaren Grundlagen basieren.

Der Bundesrat beantragt Abschreibung des Postulats.

2

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

1. Kapitel: Allgemeine Bestimmungen Im ganzen Gesetz werden verschiedene Begriffe einer zeitgemässen Ausdrucksbeziehungsweise Schreibweise angepasst. Ersetzt werden «Versicherer» durch «Versicherungsunternehmen».

1. Abschnitt: Abschluss des Vertrags Art. 2a

(Widerrufsrecht)

Diese neue teilzwingend ausgestaltete Bestimmung (vgl. Art. 98 E-VVG) führt spezialgesetzlich für alle Versicherungsverträge ein Widerrufsrecht von 14 Tagen 5108

BBl 2017

ein. Die allgemeine Regelung des OR über den Widerruf bei Haustürgeschäften und ähnlichen Verträgen gilt nicht für Versicherungsverträge (vgl. Art. 40a Abs. 2 OR).

Es stellt sich die Frage, ob das Widerrufsrecht wie in den meisten EU-Staaten auf Lebensversicherungsverträge beschränkt sein sollte. Aus Sicht der Versicherungsnehmerinnen und Versicherungsnehmer ist indessen festzustellen, dass es auch ausserhalb der Lebensversicherung durchaus komplexe Versicherungsverträge gibt, für die ein Widerrufsrecht sinnvoll ist. Das rechtfertigt es, das Widerrufsrecht auf alle Versicherungsverträge anzuwenden. Dies ist letztlich auch im Interesse der Versicherungsunternehmen, denen an einer nachhaltigen Kundenbeziehung gelegen ist.

Abs. 1 und 4 Das Widerrufsrecht erfasst den Abschluss des Versicherungsvertrags, nicht jedoch Vertragsanpassungen. Ausgeschlossen ist das Widerrufsrecht gemäss Absatz 4 bei kollektiven Personenversicherungen, bei vorläufigen Deckungszusagen sowie bei Vereinbarungen mit einer Laufzeit von weniger als einem Monat und bei gesetzlich vorgeschriebenen Versicherungen. Bei Kollektivversicherungsverträgen steht vor allem der Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Vordergrund, deren Interessen durch einen Widerruf gefährdet werden könnten (vgl. dazu auch Art. 186 der Richtlinie Solvabilität II, wonach ein Rücktrittsrecht nur für die EinzelLebensversicherung vorgesehen ist). Bei vorläufigen Deckungszusagen spricht die in aller Regel kurze Dauer gegen die Einräumung eines Widerrufsrechts. Ein Widerrufsrecht bei gesetzlich vorgeschriebenen Versicherungen (Pflichtversicherungen) schliesslich könnte unerwünschte Schwebezustände und komplizierte Rückabwicklungsverhältnisse auch mit Bezug auf die beteiligten Zulassungsbehörden (Meldepflichten, nachträglicher Bewilligungsentzug etc.) nach sich ziehen, die sich mit dem Übereilungsschutz der Versicherungsnehmerinnen und Versicherungsnehmer nicht rechtfertigen liessen, zumal im Gegensatz zu freiwilligen Versicherungen der Versicherungsschutz hier gesetzlich vorgeschrieben ist.

Mit Blick auf den vermehrten Einsatz von E-Commerce und eine medienbruchfreie Kommunikation sollen Versicherungsnehmerinnen und Versicherungsnehmer ihren Antrag zum Vertragsabschluss oder ihre Annahmeerklärung entweder schriftlich oder in einer anderen Form, die den
Nachweis durch Text ermöglicht, widerrufen können (vgl. Ziff. 1.2.4).

Abs. 2 und 3 Die Widerrufsfrist beträgt in Übereinstimmung mit anderen Widerrufsrechten für alle Arten von Versicherungsverträgen 14 Tage. Die Widerrufsfrist beginnt, sobald die Versicherungsnehmerin oder der Versicherungsnehmer den Vertrag beantragt oder angenommen hat, und damit grundsätzlich unabhängig von der Information über das Widerrufsrecht gemäss Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe h E-VVG. Wird die Informationspflicht verletzt, so hat nach Artikel 3a Absatz 1 VVG die Versicherungsnehmerin oder der Versicherungsnehmer die Möglichkeit, den Vertrag zu kündigen.

5109

BBl 2017

Art. 2b

(Wirkung des Widerrufs)

Der neue Artikel 2b ist teilzwingend ausgestaltet (vgl. Art. 98 E-VVG) und regelt die Wirkungen des Widerrufs: Wer seinen Antrag zum Vertragsabschluss oder seine Annahmeerklärung widerruft, soll konsequenterweise auch keine Leistungen aus dem Vertrag beanspruchen können. Dementsprechend entfaltet der Widerruf seine Rechtswirkungen ex tunc, was bedeutet, dass bereits empfangene Leistungen zurückzuerstatten sind. Dies gilt im Widerrufsfall auch für das Versicherungsunternehmen.

Grundsätzlich schuldet die Versicherungsnehmerin oder der Versicherungsnehmer dem Versicherungsunternehmen im Widerrufsfall keine Entschädigung (Abs. 2), da dies gerade dem Sinn und Zweck eines Widerrufsrechts entgegenstehen würde.

Wenn aber das Versicherungsunternehmen im Hinblick auf den Vertragsschluss in guten Treuen besondere Abklärungen vorgenommen hat, so haben ihm die Versicherungsnehmerin und der Versicherungsnehmer ausnahmsweise diese Kosten ganz oder teilweise zu ersetzen, sofern dies der Billigkeit entspricht. Zu denken ist dabei etwa an kostspielige ärztliche oder technische Untersuchungen, die das Versicherungsunternehmen im Hinblick auf den Vertragsabschluss veranlasst hat.

2. Abschnitt: Aufklärungspflichten Art. 3

(Informationspflicht des Versicherungsunternehmens)

Ein Versicherungsunternehmen ist schon heute verpflichtet, die zukünftige Versicherungsnehmerin oder den zukünftigen Versicherungsnehmer unaufgefordert, transparent und verständlich über seine Identität sowie über die wichtigsten Vertragsinhalte aufzuklären. Das heute teilzwingende Recht (vgl. Art. 98 VVG) bezeichnet in einer abschliessenden Aufzählung die folgenden Vertragsinhalte als wesentlich: die versicherten Risiken, den Umfang des Versicherungsschutzes, die geschuldeten Prämien und weitere Pflichten des Versicherungsnehmers oder der Versicherungsnehmerin, die Laufzeit und Beendigung des Versicherungsvertrags, die für die Überschussermittlung und -beteiligung geltenden Berechnungsgrundlagen und Verteilungsgrundsätze und -methoden sowie die Rückkaufs- und Umwandlungswerte und schliesslich Angaben zur Bearbeitung der Personendaten einschliesslich des Zwecks und der Art der Datensammlung sowie Angaben zum Empfänger und zur Aufbewahrung der Daten. Ziel ist, dass der einmal geschlossene Vertrag seiner Natur gemäss tatsächlich auf übereinstimmenden gegenseitigen Willensäusserungen im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 OR basiert und im Ergebnis den wohlverstandenen Intentionen der Parteien entspricht.

Abs. 1 Es werden einige wenige spezifische Informationspflichten neu eingeführt. Sie sollen die Transparenz hinsichtlich der Rechte und Pflichten der Versicherungsnehmerin und des Versicherungsnehmers aus dem Versicherungsvertrag zusätzlich stärken. Die Aufzählung ist immer noch eine abschliessende und trägt so im Interesse beider Vertragsparteien zur Rechtssicherheit bei:

5110

BBl 2017

­

Es wurde ergänzend die Information darüber aufgenommen, ob es sich um eine Summenversicherung (Versicherungsleistung ist unabhängig davon geschuldet, ob das versicherte Ereignis eine Vermögenseinbusse bewirkt hat und wie hoch diese effektiv ausgefallen ist) oder eine Schadenversicherung (Vermögenseinbusse ist Voraussetzung und Kriterium für die Bemessung der Leistungspflicht) handelt; es ist dies keine zusätzliche Anforderung, sondern vielmehr eine Klärung des Inhalts dieser bestehenden Bestimmung (Bst. b).

­

Direkt aus dem neuen Widerrufsrecht ergibt sich die Pflicht des Versicherungsunternehmens, die Versicherungsnehmerin und den Versicherungsnehmer über das in der vorliegenden Revision neu eingeführte Widerrufsrecht (Art. 2a E-VVG) sowie über die Form und Frist des Widerrufs zu informieren (Bst. h).

­

Sodann sollen Versicherungsunternehmen, die der Versicherungsnehmerin oder dem Versicherungsnehmer eine Frist für die Schadenanzeige auferlegen (vgl. auch Art. 38 Abs. 1bis), darüber ebenfalls vor dem Vertragsabschluss informieren (Bst. i).

­

Auch informieren soll das Versicherungsunternehmen, wenn es sich vertraglich das Recht einräumen lässt, die Versicherungsbedingungen oder die Prämien einseitig anzupassen (Bst. j).

­

Weiter soll das Versicherungsunternehmen informieren über die zeitliche Geltung des Versicherungsschutzes. Es soll für beide Parteien keine Unsicherheit darüber bestehen, ob und inwieweit nach Ablauf eines Versicherungsvertrags noch Versicherungsschutz besteht. Mit dieser Transparenzbestimmung kann auf die in der Vernehmlassung vorgeschlagenen materiellen Regeln zur Nachhaftung verzichtet werden (Bst. k).

­

In gleichem Sinne schliesslich ­ also anstelle von materiellen Vorschriften ­ soll das Versicherungsunternehmen dann informieren, wenn es für sich das Recht beansprucht, nach Vertragsende periodische Leistungen, zu denen es als Folge von Krankheit oder Unfall des Versicherungsnehmers oder der Versicherungsnehmerin verpflichtet ist, einseitig zu beschränken oder ganz einzustellen (Bst. l).

Abs. 3 Absatz 3 wird insofern angepasst, als sein Geltungsbereich präzisiert wird. Er soll kollektive Personenversicherungen im betrieblichen Umfeld (namentlich die kollektive Krankentaggeldversicherung) erfassen. Nach seinem heutigen Wortlaut werden jedoch zum Beispiel auch die Motorfahrzeug-Haftpflichtversicherung, PrivatHaftpflichtversicherungen oder Hausratversicherungen für Familien einbezogen.

Dies wird hier korrigiert.

Art. 3a

(Verletzung der Informationspflicht)

Betrifft nur den französischen Text.

5111

BBl 2017

Art. 4

(Anzeigepflicht; a. Im Allgemeinen)

In diesem Artikel geregelte Informationsflüsse sollen neu schriftlich oder in einer anderen Form, die den Nachweis durch Text ermöglicht, erfolgen können (vgl.

Ziff. 1.2.4).

Art. 5 Die heutige Regelung in Absatz 2 basiert auf einer fehlerhaften Terminologie betreffend den Einbezug Dritter, welche hier (ohne weitere Änderungen) korrigiert wird.

Den «versicherten Dritten» gibt es typischerweise nicht bei der «Versicherung auf fremde Rechnung», sondern bei der «Fremdversicherung», bei der entsprechend das anrechenbare Wissen der Gefahrsperson und nicht dasjenige der anspruchsberechtigten Person massgebend ist. Auch in Artikel 16 E-VVG wird diese unkorrekte Terminologie behoben. Im Weiteren wurden die Marginalien der Absätze 1 und 2 angepasst.

Art. 6

(Folgen der verletzten Anzeigepflicht; a. Im Allgemeinen)

Abs. 1 Massgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Vollständigkeit beziehungsweise der Richtigkeit der Deklaration von Gefahrentatsachen ist neu der Zeitpunkt der Beantwortung der Risikofragen und nicht wie im geltenden Recht der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses. Damit entfällt die problematische Nachmeldepflicht. Die Versicherungsunternehmen erhalten zudem neu die Möglichkeit, den Versicherungsnehmerinnen und Versicherungsnehmern die Fragen nicht nur schriftlich, sondern auch in einer anderen Form zu stellen, die den Nachweis durch Text ermöglicht (vgl. Art. 4 E-VVG). Entsprechend soll auch die Beantwortung der Fragen medienbruchfrei in einer Form erfolgen können, die den Nachweis durch Text ermöglicht. Eine allfällige Kündigung hat das Versicherungsunternehmen hingegen wie im geltenden Recht schriftlich auszusprechen (vgl. Ziff. 1.2.4).

3. Abschnitt: Inhalt und Verbindlichkeit des Vertrags Art. 9

(Vorläufige Deckungszusage)

Mit einer vorläufigen Deckungszusage kann die Versicherungsnehmerin oder der Versicherungsnehmer bereits vor Abschluss des definitiven Vertrags Versicherungsschutz erlangen und damit die Deckungslücke während der Vertragsverhandlungen überbrücken. Die vorläufige Deckungszusage ist ein selbstständiger Versicherungsvertrag, der dem VVG untersteht. Trotz seiner breiten Anwendung in der Praxis ist er bis anhin gesetzlich nicht erfasst. In Erfüllung des parlamentarischen Auftrags wird diese Lücke mit dem teilzwingend (vgl. Art. 98 E-VVG) ausgestalteten Artikel 9 E-VVG geschlossen.

5112

BBl 2017

Abs. 1 Vorläufige Deckungszusagen werden stets im Hinblick auf einen Hauptvertrag abgeschlossen. Dem praktischen Bedürfnis nach einem raschen und einfachen Abschluss entsprechend soll für die Begründung der Leistungspflicht des Versicherungsunternehmens schon genügen, wenn die versicherten Risiken sowie der Umfang des Versicherungsschutzes bestimmbar sind. Darauf beschränkt sich folgerichtig auch die vorvertragliche Informationspflicht des Versicherungsunternehmens.

Grenze der subjektiven Bestimmbarkeit bildet Artikel 27 des Zivilgesetzbuches22 (ZGB).

Allgemeine Versicherungsbedingungen des Hauptvertrags werden nur dann Bestandteil des Vertrags über die vorläufige Deckungszusage, wenn dies so vereinbart wird.

Abs. 2 Über die Prämienzahlung brauchen die Parteien nur dann eine spezielle Vereinbarung zu treffen, wenn die Leistung einer Prämie in Grundsatz und Höhe nicht ohnehin üblich ist.

Abs. 3 Auch die Vertragsdauer muss nicht ausdrücklich festgelegt werden. Hier greifen die gesetzlichen Bestimmungen, wonach der Vertrag über die vorläufige Deckungszusage mit dem Abschluss eines definitiven Versicherungsvertrags endet, unabhängig davon, ob dieser mit dem gleichen oder mit einem anderen Versicherungsunternehmen erfolgt. Ausserdem statuiert Absatz 3 die mit einer Kündigungsfrist von zwei Wochen verbundene jederzeitige Kündbarkeit einer unbefristeten vorläufigen Deckungszusage.

Abs. 4 Vorläufige Deckungszusagen sollen formlos zustande kommen können. Das Versicherungsunternehmen ist jedoch gehalten, diese schriftlich zu bestätigen.

Art. 10

(Rückwärtsversicherung)

Ein Versicherungsvertrag wird in der Regel für die Zukunft abgeschlossen. Er soll für Ereignisse Deckung bieten, die sich nach Vertragsabschluss beziehungsweise festgelegtem Inkrafttreten des Vertrags einstellen können. Dennoch kann in gegebenen Fällen ein Bedürfnis bestehen, Versicherungsdeckung für die Vergangenheit zu gewähren. Wenig problematisch ist die Sach- und Rechtslage, wenn gemäss vertraglicher Vereinbarung das befürchtete Ereignis als erst später eingetreten gilt, obwohl es sich auf Vorgänge bezieht, die sich vor Vertragsabschluss zugetragen haben. Zu nennen sind zum Beispiel die in der Haftpflichtversicherung vorkommenden sogenannten «Claims-made»-Versicherungen, bei welchen für die zeitliche Zuordnung zur massgeblichen Versicherungsperiode auf die Geltendmachung des Haftpflichtanspruchs durch die geschädigte Person abgestellt wird.

22

SR 210

5113

BBl 2017

Hingegen ist nach geltendem Recht ein Vertrag grundsätzlich nichtig, wenn im Zeitpunkt des Abschlusses der Versicherung die Gefahr bereits weggefallen oder das befürchtete Ereignis schon eingetreten ist (bestehender Art. 9 VVG). Dennoch kommt es in der Praxis immer wieder vor, dass ­ sofern ein entsprechend versicherbares Interesse besteht ­ Versicherungen für in der Vergangenheit liegende Ereignisse abgeschlossen werden oder ein Vertrag auf solche erstreckt wird.

Abs. 1 Mit Absatz 1 wird ­ dem parlamentarischen Auftrag und Bedürfnissen der Praxis folgend ­ vorgeschlagen, es generell den Parteien zu überlassen, ob sie die Versicherung im Sinne einer echten Rückwärtsversicherung auf einen Zeitpunkt vor Abschluss des Vertrags zurückbeziehen wollen. Eine solche Vorverlegung der Deckung soll auch dann zulässig sein, wenn die Parteien bereits Kenntnis vom früheren Eintritt eines befürchteten Ereignisses haben und sie daher bewusst den Beginn der Vertragswirkungen zurückverlegen wollen. Gleiches soll für den Fall gelten, dass die Parteien sich im Ungewissen befinden über ein möglicherweise bereits eingetretenes Ereignis.

Abs. 2 Nichtig soll eine Rückwärtsversicherung jedoch zwingend (vgl. Art. 97 E-VVG) dann sein, wenn allein die Versicherungsnehmerin oder der Versicherungsnehmer wusste (oder wissen musste), dass ein versichertes Ereignis bereits vor Abschluss des Vertrags eingetreten war. Diese Regel ergäbe sich schon aus dem Grundsatz von Treu und Glauben; sie soll hier aber der Klarheit halber explizit geregelt sein. Auch wird in solchen Fällen häufig zugleich eine Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht der Versicherungsnehmerin oder des Versicherungsnehmers vorliegen; indessen ist die Vorschrift erforderlich für Konstellationen, in denen die Versicherungsnehmerin oder der Versicherungsnehmer nicht auf konkrete Fragen vor Abschluss des Vertrags zu antworten hatte.

Art. 10a

(Unmöglichkeit des Eintritts des befürchteten Ereignisses)

Die vorgeschlagene Bestimmung trägt der im geltenden Recht mit dem «Wegfall der Gefahr» umschriebenen Konstellation Rechnung. Sie bezieht sich allerdings nicht auf die Rückwärtsversicherung, sondern hat den Fall vor Augen, in dem das Versicherungsunternehmen wusste (oder hätte wissen müssen), dass ein künftiges Ereignis gar nicht eintreten kann, z. B. Lebensversicherung für einen bereits Verstorbenen oder Versicherung einer nicht existierenden Sache. In solchen Fällen soll der Vertrag ebenfalls nichtig sein, wäre es doch unbillig, die Versicherungsnehmerin oder den Versicherungsnehmer auf Prämienleistungen zu verpflichten, wenn zum Vornherein feststeht, dass eine Gegenleistung des Versicherungsunternehmens ausgeschlossen ist.

5114

BBl 2017

Art. 11

(Police)

Abs. 1 Die Versicherungsnehmerin oder der Versicherungsnehmer wird auch in Zukunft schon aus Gründen der Rechtssicherheit eine Versicherungspolice erhalten, die sie oder ihn über ihre oder seine Rechte und Pflichten aus dem Versicherungsvertrag informiert. Die Police ist «auszustellen», was bedeutet, dass sie schriftlich oder auch in einer anderen Form, die den Nachweis durch Text ermöglicht, ausgefertigt werden kann. Die heutigen Sätze 2 und 3 (Recht der Versicherungsunternehmen, für die Ausfertigung und Änderung der Police eine Gebühr zu erheben) werden infolge Bedeutungslosigkeit gestrichen.

Abs. 2 Die Bestimmung übernimmt mit sprachlichen Bereinigungen den Inhalt des geltenden Artikels 11 Absatz 2 VVG.

Wie im geltenden Recht ist auch der Artikel 11 E-VVG teilzwingend ausgestaltet (vgl. Art. 98 VVG).

Art. 12

(b. Vorbehaltslose Annahme)

Artikel 12 Absatz 1 VVG statuiert eine Genehmigungsfiktion. Danach muss die Versicherungsnehmerin oder der Versicherungsnehmer innerhalb von vier Wochen nach Empfang der Police deren Berichtigung verlangen. Unterlässt sie oder er dies, so gilt selbst ein vom tatsächlich Vereinbarten abweichender Policeninhalt als genehmigt. Diese Fiktion ist als Sanktion für die nicht oder zu spät erfüllte Berichtigungspflicht sehr streng. Der Versicherungsnehmerin oder dem Versicherungsnehmer wird auf diese ­ von den allgemeinen Regeln des OR abweichende ­ Weise ein Vertrag aufgezwungen, den sie oder er seinem Inhalt nach unter Umständen gar nicht abschliessen wollte.

In der Lehre wird diese Genehmigungsfiktion als unbillig erachtet23. Angesichts der umfangreichen zu erfüllenden Informationspflichten des Versicherungsunternehmens (vgl. Art. 3 E-VVG) ist es heute nicht mehr angebracht, das Risiko einer falschen Dokumentation des versicherten Vertragsinhalts einseitig der Versicherungsnehmerin oder dem Versicherungsnehmer zu überbinden. Vielmehr müsste Sache des Versicherungsunternehmens sein, die von ihm erstellten Dokumente auf ihre sachliche Richtigkeit hin zu überprüfen. Konsequenterweise soll deshalb die Bestimmung von Artikel 12 VVG ersatzlos aufgehoben werden.

Das Parlament hat in seiner Rückweisung ebenfalls Streichung der Bestimmung verlangt.

23

Vgl. Franz Hasenböhler in Kommentar zum schweizerischen Privatrecht, Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag (VVG), 2001, N 69 zu Art. 12.

5115

BBl 2017

Art. 13

(Kraftloserklärung)

Entgegen der Vernehmlassungsvorlage wird auf die Aufhebung von Artikel 13 verzichtet. Abklärungen haben ergeben, dass es sich bei der Police nicht um ein Wertpapier handelt.

Art. 16

(Gegenstand der Versicherung)

Der wie im geltenden Recht dispositiv ausgestaltete Artikel 16 trägt einen neuen Titel, der seinem weit gefassten Inhalt besser Rechnung trägt. Er kategorisiert die Versicherungsverträge summarisch anhand der daran beteiligten Personen und Interessen.

Neben der Versicherungsnehmerin und dem Versicherungsnehmer können in vielfältiger Weise Dritte in den Versicherungsvertrag einbezogen werden. Der Entwurf belässt dabei den Parteien einen weiten, aber nicht schrankenlosen Gestaltungsspielraum, der den Bedürfnissen der Praxis Rechnung trägt und nur dort Beschränkungen vorsieht, wo solche aus sozialen Gründen geboten sind. Er folgt dabei im Wesentlichen dem bisherigen Recht.

Wie die meisten europäischen Rechtsordnungen folgt auch der vorliegende Entwurf dogmatisch der sogenannten Interessentheorie, was bedeutet, dass der Gegenstand der Versicherung durch ein spezifisches Interesse bestimmt wird, das versichert werden soll. Interessenträger ist dabei, wer rechtlich den Schaden tragen müsste, wenn kein Versicherungsvertrag bestünde. Damit wird insbesondere dem Umstand Rechnung getragen, dass neben dem Eigentum auch andere rechtliche Beziehungen einer Person zu einer Sache bestehen können, die bei Beschädigung der Sache zu einer Vermögenseinbusse bei der betreffenden Person führen können. Die Möglichkeit, fremde Sachen im eigenen Interesse respektive eigene Sachen im fremden Interesse zu versichern, entspricht einem schützenswerten Bedürfnis der Praxis, Versicherung auch für Fälle zu ermöglichen, bei denen ­ wie etwa bei der Bauwesenversicherung ­ Eigentum und Risikotragung auseinanderfallen. Ein Blick in die gebräuchlichen Versicherungsverträge zeigt, dass in solchen Situationen (seit Jahrzehnten) regelmässig auf die Interessenlehre zurückgegriffen wird. Neben seiner Funktion zur Umschreibung des Gegenstandes der Versicherung (versichertes Interesse oder sogenannter technischer Interessenbegriff) dient der Begriff des versicherten Interesses auch der Abgrenzung der Versicherung von der Wette. Mit einer Versicherung soll eine drohende Vermögenseinbusse abgedeckt werden. Fehlt es an einem solchen wirtschaftlichen Interesse, so liegt ein Wettgeschäft, mithin eine blosse Naturalobligation, vor (Art. 513 Abs. 1 OR). Schliesslich stellt die Interessenlehre ein System zur Verfügung, das auf alle Versicherungen
anwendbar ist, während sich die früher vertretene Gegenstandslehre aufgrund ihrer Anknüpfung am Eigentum an der versicherten Sache ­ streng genommen ­ nur auf Sachversicherungen beziehen kann.

Umstritten ist, ob auch in der Summenversicherung ein Interessenerfordernis besteht. Die Frage wird in vielen europäischen Rechtsordnungen bejaht. Zuzugestehen ist, dass die befürchteten wirtschaftlichen Nachteile nicht mit der gleichen Schärfe erfasst werden können wie in der Schadenversicherung. Was die Lebensversicherung betrifft, sehen zahlreiche Rechtsordnungen ­ so auch die schweizerische in 5116

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Artikel 74 VVG ­ immerhin vor, dass eine Versicherung auf ein fremdes Leben nur mit Zustimmung der Gefahrsperson abgeschlossen werden kann. Diese Person hat auch der Bezeichnung oder Änderung einer allfällig begünstigten Person zuzustimmen. Diese Erfordernisse können als hinreichende Garantie dafür angesehen werden, dass mit der Lebensversicherung tatsächlich ein wirtschaftliches Interesse im Sinne einer drohenden Vermögenseinbusse abgesichert wird. Was die anderen möglichen Summenversicherungen angeht, so ist auch für diese nach dem vorgeschlagenen Wortlaut von Artikel 16 Absatz 1 ein solches versichertes wirtschaftliches Interesse erforderlich.

Abs. 1 Dieser Absatz regelt die wichtigsten Formen des Einbezugs Dritter. Demnach ist einerseits zwischen der Versicherung für eigene und für fremde Rechnung (1. Satz) und andererseits zwischen Eigen- und Fremdversicherung zu unterscheiden (2. Satz). Das erste Begriffspaar zielt auf die versicherten Interessen ab. In der Regel sind die Interessen derjenigen Person versichert, die beim Fehlen einer Versicherung den Schaden zu tragen hätte.

Abs. 2 Absatz 2 entspricht im Wortlaut dem geltenden Recht.

Abs. 3 Die Prämien zu zahlen hat nach allgemeinen obligationenrechtlichen Bestimmungen derjenige, der sich dem Versicherungsunternehmen gegenüber dazu verpflichtet hat (in den allermeisten Fällen die Versicherungsnehmerin oder der Versicherungsnehmer). In der Versicherung für fremde Rechnung ist der Dritte entsprechend nicht prämienzahlungspflichtig. Umgekehrt soll das Versicherungsunternehmen bei der Versicherung für fremde Rechnung der versicherten Drittperson nicht eine Leistung erbringen müssen, welche es gegenüber der Versicherungsnehmerin oder dem Versicherungsnehmer aufgrund einer Einrede aus dem Versicherungsvertrag kürzen oder verweigern, insbesondere verrechnen könnte. Es kann also nach Absatz 3 Einreden, die ihm gegen die Versicherungsnehmerin oder den Versicherungsnehmer zustehen, auch gegenüber dem Dritten erheben.

Art. 17

(Besonderheiten der Versicherung für fremde Rechnung)

Aufgrund der neuen Absätze 1 und 3 von Artikel 16 kann Artikel 17 aufgehoben werden.

4. Abschnitt: Prämie Art. 18

(Prämie; a. Träger der Verpflichtung)

Absatz 1 der heutigen Regelung enthält eine vertragsrechtliche Selbstverständlichkeit. Dies zusammen mit den neuen Absätzen 1 und 3 von Artikel 16 führt dazu, dass der Artikel 18 VVG aufgehoben werden kann.

5117

BBl 2017

Art. 19

(b. Fälligkeit)

Die Absätze 1 und 3 bleiben unverändert.

Abs. 2 Das geltende Recht kennt in Absatz 2 von Artikel 19 VVG die teilzwingende Regelung, dass sich das Versicherungsunternehmen ­ sofern es die Police vor Bezahlung der Prämie ausgehändigt hat ­ nicht auf die Bestimmung der Police berufen kann, dass die Versicherung erst mit Bezahlung der ersten Prämie in Kraft tritt. Diese sogenannte Einlösungsklausel gibt dem Versicherungsunternehmen die Möglichkeit, die Wirksamkeit der Versicherung von der Bezahlung der ersten Prämie abhängig zu machen. Im heutigen Wirtschaftsleben erfolgt die Zahlung jedoch oft erst gegen eine erbrachte Gegenleistung. Zudem erfassen erfahrungsgemäss die Versicherungsnehmerinnen und Versicherungsnehmer die Tragweite der Einlösungsklausel häufig nicht. Sie sind sich deshalb oft auch nicht bewusst, dass sie bis zur Bezahlung der Erstprämie keinen Versicherungsschutz geniessen. Aus diesen Gründen verzichten heute zahlreiche Versicherungsunternehmungen auf die Anwendung der früher verbreiteten Einlösungsklausel. Sie stellen der Versicherungsnehmerin oder dem Versicherungsnehmer die Police mit Rechnung zu, unter Ansetzung einer Frist zur Bezahlung der ersten Prämie. Angesichts des beschriebenen Informationsdefizits und der uneinheitlichen Praxis der Versicherungsunternehmen in der Anwendung der Einlösungsklausel dürfte diese zurzeit denn auch mehr Unsicherheiten schaffen als Probleme lösen. Der ursprüngliche Zweck, die Gewährung von Versicherungsschutz auf Kredit zu verhindern24, lässt sich zudem schon heute mit den Verzugsfolgen gemäss Artikel 20 Absatz 3 VVG weitgehend erreichen. Gemäss dieser Bestimmung ruht der Versicherungsschutz, wenn die fällige Prämie nicht innert bestimmter Frist bezahlt wird. Aus diesen Gründen kann der Absatz 2 ersatzlos gestrichen werden.

Art. 20

(c. Mahnpflicht des Versicherungsunternehmens; Verzugsfolgen)

Abs. 1 und 2 Mit Blick auf den E-Commerce und eine medienbruchfreie Kommunikation soll die Mahnung neu schriftlich oder in einer anderen Form, die den Nachweis durch Text ermöglicht, erfolgen können (vgl. Ziff. 1.2.4).

Art. 22

(e. Zahlungsort; Bringschuld und Holschuld)

Die Versicherungsunternehmen legen die Prämie in ihren allgemeinen Versicherungsbedingungen in der Regel als Bringschuld an, die am Sitz des Versicherungsunternehmens oder an der inländischen Zahlstelle eines ausländischen Versicherungsunternehmens zu erfüllen ist. Absatz 2 von Artikel 22 VVG regelt den Fall, dass die Versicherungsprämie bei der Versicherungsnehmerin oder beim Versicherungsnehmer eingezogen wird. Hat das Versicherungsunternehmen, ohne hierzu 24

Vgl. Moritz Kuhn, Grundzüge des Schweizerischen Privatversicherungsrechts, Zürich 1989, 127; Alfred Maurer, Schweizerisches Privatversicherungsrecht, 3. Auflage, 225 FN 473.

5118

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verpflichtet zu sein, die Prämie regelmässig beim Schuldner einziehen lassen (Holschuld), muss es diese Übung so lange gegen sich gelten lassen, als es sie nicht ausdrücklich widerruft. Dieser in Absatz 2 geregelte Ausnahmefall ist in der Praxis kaum mehr verbreitet. Im Sinne einer Deregulierung soll deshalb Artikel 22 VVG gestrichen werden. Bei Versicherungsverträgen findet somit in Zukunft ­ in Übereinstimmung mit der Regelung gemäss dem heute geltenden Artikel 22 Absatz 1 VVG ­ grundsätzlich Artikel 74 Absatz 2 Ziffer 1 OR Anwendung, wonach Geldschulden an dem Ort zu zahlen sind, wo der Gläubiger zur Zeit der Erfüllung seine Geschäftsniederlassung hat.

5. Abschnitt: Änderung des Vertrags Art. 34

(Verantwortlichkeit des Versicherers für seine Vermittler)

Vor der Teilrevision 2004 enthielt Artikel 34 VVG eine typisierte Vertretungsvollmacht. Diese wurde gestrichen, womit die typisierten Vollmachten des Agenturbeziehungsweise des Handelsreisenden-Vertragsrechts nach OR gelten. In seiner heutigen Fassung wiederholt Artikel 34 VVG lediglich, was nach Artikel 101 OR ohnehin gilt. Aus diesem Grund kann er aufgehoben werden.

Art. 35

(Anpassung der Versicherungsbedingungen)

Der bestehende Artikel 35 VVG hat sich in der Praxis weitgehend als unnötig erwiesen, weil ein Versicherungsunternehmen keine Versicherungsnehmerinnen oder Versicherungsnehmer ablehnen würde, wenn diese bereit sind, die entsprechend höhere Prämie zu bezahlen. Hingegen ist die Anpassung der AVB neu zu regeln.

Die weiterhin zwingende Bestimmung (vgl. Art. 97 VVG) trägt dem Konsumentenschutz insofern Rechnung, als sie Artikel 8 des Bundesgesetzes vom 19. Dezember 198625 gegen den unlauteren Wettbewerb umsetzt, wonach ein erhebliches und ungerechtfertigtes Missverhältnis zwischen den vertraglichen Rechten und den vertraglichen Pflichten unlauter ist. Ein generelles einseitiges Recht auf Anpassung der AVB würde für sich genommen offensichtlich zu einem stossenden Ungleichgewicht der Parteien führen. Sieht ein Vertrag daher eine solche Klausel vor, so soll die Versicherungsnehmerin oder der Versicherungsnehmer berechtigt sein, auf den Zeitpunkt der Anpassung den Vertrag zu kündigen. Zudem hat das Versicherungsunternehmen die Anpassung frühzeitig anzuzeigen. Vorbehalten bleiben zum einen die Versicherungen von beruflichen oder gewerblichen Risiken, da es sich hier um versicherte Personen handelt, die des Schutzes hier nicht bedürfen (Abs. 1). Vorbehalten bleibt ebenfalls das vertraglich vereinbarte Recht des Versicherungsunternehmens, die Prämie einseitig anzupassen (Abs. 2).

25

SR 241

5119

BBl 2017

6. Abschnitt: Beendigung des Vertrags Art. 35a

(Ordentliche Kündigung)

Bereits im Entwurf zu einer Teilrevision aus dem Jahr 1998 sowie in der Botschaft vom 7. September 2011 zur Totalrevision des VVG wurde vorgeschlagen, in das Gesetz ein ordentliches Kündigungsrecht aufzunehmen. Das Parlament verlangt bei seiner Rückweisung ebenfalls ausdrücklich ein ordentliches Kündigungsrecht zur Verhinderung von Knebelverträgen. Zur Begründung wurde angeführt, dass Versicherungsverträge mit einer zu langen Vertragsdauer nicht mehr in die Landschaft des Versicherungswettbewerbs passen. Darüber hinaus ist festzuhalten, dass die Aufsichtsbehörde mit Wegfall der Genehmigungspflicht für AVB grundsätzlich keinen Einfluss mehr auf einzelne Vertragsbestimmungen nehmen kann, welche die Dauer von Versicherungsverträgen betreffen. Der Bundesrat geht davon aus, dass die Versicherungen ihre Verantwortung wahrnehmen und die AVB nicht einseitig zu Ungunsten der Versicherungsnehmenden abändern. Seit 2006 sind Versicherungsunternehmen, die sich das Kündigungsrecht vorbehalten, verpflichtet, den Versicherten, denen sie kündigen, in Produkten mit Alterungsrückstellungen einen angemessenen Teil zurückzuerstatten (Art. 155 der Aufsichtsverordnung26).

Gemäss Artikel 98 E-VVG soll diese Norm nicht zuungunsten der Versicherungsnehmerin oder des Versicherungsnehmers abgeändert werden können.

Abs. 1 Das ordentliche Kündigungsrecht (für beide Vertragsparteien) ermöglicht nach spätestens drei Jahren Vertragsdauer einen Ausstieg aus der vertraglichen Bindung.

Die Festlegung der Kündigungsfrist auf das Ende eines laufenden Versicherungsjahres soll sicherstellen, dass die Prämien, die auch Akquisitionskosten enthalten, auf Jahresbasis festgelegt werden können.

Für den Versicherungsvertrag ist ausschliesslich die schriftliche Kündigung sachgerecht (vgl. Ziff. 1.2.4).

Abs. 2 Die Parteien sollen vereinbaren können, dass der Vertrag schon vor Ablauf des dritten Jahres kündbar ist. Dabei darf die Versicherungsnehmerin oder der Versicherungsnehmer nicht schlechter gestellt werden als das Versicherungsunternehmen.

Das Kündigungsrecht soll also nicht einseitig zugunsten des Versicherungsunternehmens ausgestaltet werden dürfen, sondern es muss mindestens für beide Vertragsparteien gleich lauten.

Abs. 3 Die Lebensversicherung ist vom Anwendungsbereich auszunehmen, da dort schon heute die verkürzte Kündigungsfrist gemäss Artikel 89 VVG gilt.

26

SR 961.011

5120

BBl 2017

Art. 35b

(Ausserordentliche Kündigung)

Abs. 1 Wie andere Dauerschuldverhältnisse soll auch der Versicherungsvertrag aus wichtigem Grund jederzeit gekündigt werden können. Die ausserordentliche Kündigung wird nicht an die Einhaltung besonderer Fristen geknüpft. Trotz des vorgesehenen ordentlichen Kündigungsrechts gibt es immer wieder Konstellationen, in denen es entweder dem Versicherungsunternehmen oder der Versicherungsnehmerin beziehungsweise dem Versicherungsnehmer nicht mehr zugemutet werden kann, den Vertrag weiterzuführen.

Abs. 2 Hier wird entsprechend dem allgemeinen Vertragsrecht festgehalten, dass als wichtiger Grund namentlich ein Umstand gilt, bei dessen Vorhandensein der kündigenden Person nach Treu und Glauben die Fortsetzung des Vertrags nicht mehr zumutbar ist. Unzumutbarkeitsgründe können sich etwa aus einer unfairen Behandlung der Versicherungsnehmerin respektive des Versicherungsnehmers oder aus einem Versicherungsbetrug auf Seiten der Versicherungsnehmerin oder des Versicherungsnehmers im Zusammenhang mit einem anderen beim gleichen Versicherungsunternehmen abgeschlossenen Versicherungsvertrag ergeben. Als weiterer wichtiger Grund für eine ausserordentliche Kündigung gilt eine nicht vorhersehbare Änderung von rechtlichen Vorgaben, welche die Erfüllung des Versicherungsvertrags verunmöglicht. Diese umfassen auch Anpassungen der Praxis gestützt auf Rundschreiben der FINMA. Es obliegt den Gerichten, im Streitfall unter Beachtung von Artikel 2 ZGB hierzu eine adäquate Fallpraxis zu entwickeln. Eine ausserordentliche Kündigung dürfte allerdings eher selten zum Tragen kommen; im Zweifelsfall sind die Parteien auf die ordentliche Kündigung gemäss Artikel 35a E-VVG zu verweisen.

Gemäss Artikel 97 E-VVG soll diese Vorgabe nicht abgeändert werden können.

Aus Versicherungsaufsichtsrecht ergibt sich im Übrigen ein eigenständiges Kündigungsrecht bei der Übertragung des schweizerischen Versicherungsbestandes (vgl. Art. 62 Abs. 3 VAG). Da dieses Kündigungsrecht von der Sache her ins Versicherungsaufsichtsrecht gehört, wird im vorliegenden Entwurf nicht eigens darauf hingewiesen.

Art. 36

(Entzug der Bewilligung zum Geschäftsbetrieb; privatrechtliche Folgen)

Wird einem Versicherungsunternehmen aufsichtsrechtlich die Bewilligung zum Geschäftsbetrieb entzogen, so soll die Versicherungsnehmerin oder der Versicherungsnehmer wie bisher (vgl. Art. 36 VVG) berechtigt sein, den Vertrag ausserordentlich zu kündigen. In genau gleichem Sinne und konsequenterweise muss die Versicherungsnehmerin oder der Versicherungsnehmer aber auch berechtigt sein, den Vertrag ausserordentlich zu kündigen, falls ein bewilligungspflichtiges Versicherungsunternehmen nicht über eine Bewilligung zum Geschäftsbetrieb verfügt.

Die Unzumutbarkeit einer Weiterführung des Vertrags soll auch für diese Fälle gesetzlich statuiert werden. Die Bestimmung ist abgestimmt mit Artikel 61 Absatz 3 VAG, wonach ein Versicherungsunternehmen nach Entzug der Bewilligung keine 5121

BBl 2017

Versicherungsverträge mehr abschliessen, verlängern oder im Deckungsumfang erweitern darf.

Wie ein Versicherungsunternehmen seine Tätigkeit konkret fortführen kann, ist durch die Aufsichtsbehörde festzulegen. Diese wird auch die Weiterführung nicht gekündigter Versicherungsverträge regeln.

Abs. 2 Zufolge der weiter geltenden Bestimmung von Artikel 24 Absatz 1 erster Satz kann der vorliegende Absatz 2 von Artikel 36 VVG aufgehoben werden.

Art. 37

(Konkurs des Versicherungsunternehmens)

Wie im geltenden Recht soll auch künftig ein Versicherungsvertrag erlöschen, wenn das Versicherungsunternehmen in Konkurs fällt. Die neu in Artikel 37 Absatz 1bis E-VVG eingefügte Bestimmung verweist im Sinne der Rechtssicherheit auf den Vorbehalt gemäss Artikel 55 VAG, nach dem Lebensversicherungen, die durch das gebundene Vermögen sichergestellt werden, durch die Konkurseröffnung nicht aufgelöst werden. In Absatz 2 erfolgt eine Anpassung an den Artikel 36 E-VVG.

7. Abschnitt: Eintritt des befürchteten Ereignisses Die Einführung des neuen Abschnittstitels dient der Übersichtlichkeit (vgl.

Ziff. 1.2.3).

8. Abschnitt: Weitere Bestimmungen Art. 44

(Mitteilungen des Versicherungsnehmers oder der Anspruchsberechtigten; Meldestellen)

Mit Blick auf E-Commerce wird die Bestimmung dahingehend angepasst, dass neu Versicherungsnehmerinnen, Versicherungsnehmer und Anspruchsberechtigte ihre Rechte beim Versicherungsunternehmen auch in einer anderen Form, die den Nachweis durch Text ermöglicht, und nicht mehr nur ausschliesslich schriftlich anmelden können sollen (vgl. Ziff. 1.2.4).

Art. 45

(Vertragsverletzung)

Abs. 1 Sogenannte versicherungsrechtliche Obliegenheiten stellen in der Regel vertragliche Nebenpflichten dar. Deren Verletzung bewirkt eine Vergrösserung des zu ersetzenden Schadens. Aus der Vertragsverletzung resultiert ein Schadenersatzanspruch des Versicherungsunternehmens (im Umfang der durch die Obliegenheitsverletzung bedingten Erhöhung des Schadens). Dies wirkt wie eine Leistungskürzung, stellt aber genau besehen eine Verrechnung dar.

5122

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Die Verletzung von Obliegenheiten führt nach heutigem Recht zu einem Rechtsnachteil zulasten der Versicherungsnehmerin oder des Versicherungsnehmers oder der anspruchsberechtigten Person, es sei denn, diese können sich exkulpieren. Diese Regelung erweist sich insofern als unvollständig, als sie die Kausalität zwischen der Verletzung der Obliegenheit und der Leistungspflicht des Versicherungsunternehmens ausser Acht lässt. Obliegenheitsverletzungen ohne irgendeinen Zusammenhang mit der Leistungspflicht des Versicherungsunternehmens hätten also einen Rechtsnachteil zur Folge. Im Vernehmlassungsentwurf wurde daher vorgeschlagen, den Rechtsnachteil auch nur bei erwiesener Kausalität eintreten zu lassen. Dieser Vorschlag stiess in der Vernehmlassung indessen auf Widerstand. Die Rechtsposition des Versichererungsunternehmens werde ausgehöhlt, wenn dieses auch noch die Kausalität beweisen müsse. Hier liegt offensichtlich ein Missverständnis vor. Nach dem Grundsatz von Artikel 8 ZGB obliegt der Versicherungsnehmerin und dem Versicherungsnehmer nicht nur der Nachweis eines fehlenden Verschuldens, sondern auch der Nachweis einer fehlenden Kausalität. In diesem Sinne wird vorliegend am Kausalitätserfordernis festgehalten und die Beweislastverteilung klargestellt.

Art. 46

(Verjährung und Befristung)

Abs. 1 Nach bisherigem Recht verjähren Forderungen aus dem Versicherungsvertrag zwei Jahre nach Eintritt der Tatsache, welche die Leistungspflicht begründet (Art. 46 Abs. 1 erster Satz VVG). Diese überaus kurze Verjährungsfrist ist nicht mehr zeitgemäss und soll deshalb auf fünf Jahre verlängert werden. Sie soll ­ wie im geltenden Recht ­ nicht zuungunsten der Versicherungsnehmerin oder des Versicherungsnehmers oder der Anspruchsberechtigten verkürzt werden können (Art. 98 E-VVG).

Abs. 3 Was die Krankentaggeldversicherung angeht, so erwiese sich eine Verlängerung der Verjährungsfrist auf fünf Jahre als nicht sachgerecht. Es geht hier um vorübergehende, kurzfristige Leistungen für einen begrenzten Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit, die sich fünf Jahre später kaum mehr zuverlässig beurteilen lassen. Zudem verjähren nach der neueren bundesgerichtlichen Rechtsprechung die Ansprüche auf Taggelder auch nicht mehr gesamthaft, sondern fortlaufend innerhalb von zwei Jahren nach der jeweiligen Entstehung. Ebenfalls zugunsten der Anspruchsberechtigten nimmt das Bundesgericht im Weiteren an, dass bei einer erst später rückwirkend attestierten Arbeitsunfähigkeit die Verjährungsfrist erst mit dem entsprechenden Attest der Arbeitsunfähigkeit (und nicht bereits ab der Arbeitsunfähigkeit, verlängert um die vereinbarte Wartefrist) zu laufen beginne (vgl. Urteil des Bundesgerichts 4A_20/2013 und 4A_471/2014). In diesem Lichte ist es gerechtfertigt, die Verjährungsfrist für die Krankentaggeldversicherung bei zwei Jahren zu belassen.

Art. 46a

(Konkurs des Versicherungsnehmers)

Die heutige Bestimmung von Artikel 46a (Erfüllungsort) entspricht der allgemeinen Regelung von Artikel 74 OR. Mit der Einführung der ZPO ist zudem das Gerichts-

5123

BBl 2017

standsgesetz vom 24. März 200027 aufgehoben worden. Aus diesen Gründen kann der heute gültige Artikel 46a VVG aufgehoben werden.

Aus Gründen einer verbesserten Systematik wird an dieser Stelle des Gesetzes Artikel 55 des geltenden Rechts (Konkurs des Versicherungsnehmers) in modifizierter Form in den neuen 8. Abschnitt «Weitere Bestimmungen» des 1. Kapitels «Allgemeine Bestimmungen» mit klärenden Anpassungen und als zwingendes Recht ausgestaltet (vgl. Art. 98 E-VVG) aufgenommen (vgl. dazu Ziff. 1.2.2).

Abs. 1 Das VVG sieht seit 2006 gegenüber der früheren gesetzlichen Regelung in Artikel 55 Absatz 1 VVG vor, dass der Vertrag mit Eröffnung des Konkurses über die Versicherungsnehmerin oder den Versicherungsnehmer endet. Demgegenüber hatte die frühere Fassung Folgendes normiert: «Fällt der Versicherungsnehmer in Konkurs, so tritt die Konkursmasse in den Versicherungsvertrag ein. Es gelten hierfür dieselben Vorschriften wie bei der Handänderung (Art. 54 VVG).» Ganz offensichtlich ist diese Bestimmung im Zug der Revision der Vorschriften über die Handänderung ebenfalls revidiert worden, ohne dass dabei die Konsequenzen der Neuregelung abschliessend bedacht worden wären. Die Gesetz gewordene Vorschrift kann zu schwerwiegenden Problemen führen, insbesondere wenn im Rahmen einer Haftpflichtversicherung auch Drittpersonen tangiert sind. Es wird daher vorgeschlagen, wieder zum früheren System zurückzukehren. Der Vertrag soll dabei zunächst bestehen bleiben, und die Konkursverwaltung ist zu dessen Erfüllung verpflichtet.

Die Weitergeltung des Vertrags rechtfertigt sich umso mehr, als die Prämien bereits für die ganze Vertragsdauer bezahlt worden sind. Vorbehalten und anwendbar bleiben jedoch die Bestimmungen über die Beendigung des Vertrags, sodass insbesondere für ein betroffenes Versicherungsunternehmen sichergestellt wird, dass es bei Nichtleistung der Prämie zu einer Auflösung des Vertrags kommen kann.

Abs. 2 Wie im bisherigen Recht sollen Leistungen aus der Versicherung von Kompetenzstücken im Konkurs der Versicherungsnehmerin oder des Versicherungsnehmers vorbehalten bleiben. Mit anderen Worten ist der Versicherungsanspruch für die Kompetenzstücke so weit unpfändbar, als die Versicherungsnehmerin oder der Versicherungsnehmer ihn zum Ersatz der zerstörten Kompetenzstücke benötigt. Die Regelung übernimmt in einer modifizierten Formulierung Artikel 55 Absatz 2 VVG.

2. Kapitel: Besondere Bestimmungen Das zweite Kapitel des Entwurfs enthält auf die typischen Vertragsausgestaltungen abgestimmte Bestimmungen. Dabei wird die im geltenden VVG stark kritisierte Unterscheidung zwischen Schadenversicherung (Art. 48­72 VVG) und Personenversicherung (Art. 73­96 VVG) aufgegeben. Der Entwurf unterscheidet neu zwischen besonderen Bestimmungen zur Sachversicherung (Art. 50­58), Haftpflichtversicherung (Art. 59­60a), Lebensversicherung (Art. 73­95) und zur Kranken- und 27

AS 2000 2355

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Unfallversicherung (Art. 95a und 95b). Die Bestimmungen zur Koordination sind in einem eigenen Abschnitt in den Artikeln 95c und 96 geregelt. Auf diese Weise und durch Neuzuweisung von einigen Artikeln wird eine deutlich erhöhte Verständlichkeit und Lesbarkeit des Gesetzes erreicht, ohne dass materielle Änderungen vorgenommen werden.

1. Abschnitt: Sachversicherung Art. 48

(Gegenstand der Versicherung)

Artikel 16 E-VVG regelt nunmehr im 1. Kapitel «Allgemeine Bestimmungen» den Gegenstand der Versicherung, sowohl für die Schaden- als auch für die Summenversicherung. Aus diesem Grund kann der vorliegende Artikel 48 VVG aufgehoben werden.

Art. 49

(Versicherungswert)

In der Sachversicherung gilt es, den Wert der versicherten Sache zu bestimmen.

Diesbezüglich ist ­ der Terminologie der Interessenlehre folgend ­ zwischen dem Versicherungswert gemäss heutigem Artikel 49 VVG und dem Ersatzwert gemäss heutigem Artikel 62 VVG zu unterscheiden. Der Versicherungswert ist der Wert der Sache im Zeitpunkt des Vertragsschlusses, der Ersatzwert jener im Zeitpunkt des Schadensereignisses. Da Artikel 62 VVG in absolut zwingender Art und Weise verlangt, dass Sachschäden auf der Basis des Zeitwertes zu entschädigen sind, ist es logisch, dass auch der Versicherungswert auf dieser Basis definiert werden muss.

Andernfalls hätte man eine Diskrepanz zwischen den Begriffen «Versicherungswert» und «Ersatzwert». In der Praxis wird den Bestimmungen zum Ersatzwert (Art. 62­65 VVG) jedoch nur noch selten nachgelebt; Neuwert- und Zeitwertzusatzversicherungen sind heute Marktstandard. Im Sinne einer Deregulierung werden deshalb Artikel 62 VVG und die weiteren Bestimmungen zum Ersatzwert (Art. 63­65 VVG) aufgehoben und die Vertragsfreiheit in diesem Bereich wieder eingeführt. Konsequenterweise kann Artikel 49 VVG ebenfalls aufgehoben werden (vgl. auch die Ausführungen zu Art. 62 VVG).

Art. 50

(Verminderung des Versicherungswertes)

Abs. 2 Mit der Teilrevision des VVG im Rahmen der Revision des VAG im Jahr 2004 wurde der Grundsatz der Teilbarkeit der Prämie bei vorzeitiger Beendigung des Versicherungsvertrags eingeführt. Dabei ging vergessen, dass die in Artikel 50 Absatz 2 VVG verankerte Bestimmung, dass die Prämie bei Herabsetzung der Versicherungssumme gemäss Artikel 50 Absatz 1 VVG für die künftigen Versicherungsperiode entsprechend zu ermässigen ist, aus dem ­ mittlerweile abgeschafften ­ Grundsatz der Unteilbarkeit der Prämie folgte. Mit der Streichung von Artikel 50 Absatz 2 VVG wird dieses Versäumnis korrigiert, und es gilt automatisch und richtigerweise der Grundsatz der Teilbarkeit der Prämie.

5125

BBl 2017

Art. 51a

(Versicherungssumme; Ersatzpflicht bei Unterversicherung)

Aufgrund der neuen Systematik wird der dispositive Artikel 69 des geltenden Rechts unverändert in den 1. Abschnitt «Sachversicherung» des 2. Kapitels «Besondere Bestimmungen» verschoben (vgl. dazu Ziff. 1.2.2 Systematik).

Art. 52

(Kontrollmassnahmen)

Mögliche Gewinne aus Überversicherung gemäss Artikel 51 VVG können Anreiz zur Brandstiftung sein. Dem will Artikel 52 VVG entgegenwirken, indem er den Kantonen ­ ausnahmsweise und im beschränkten Rahmen ­ erlaubt, in materielles Versicherungsrecht einzugreifen. Obwohl das entsprechende Kontroll- und Weisungsrecht der Kantone nur auf die Feuerversicherung beschränkt war, wurde Artikel 52 VVG bereits im Jahr 1932 durch die Lehre28 als «anachronistisch anmutende Vorschrift» bezeichnet. Im Laufe der seither vergangenen Jahrzehnte hat sich gezeigt, dass die kantonalen Kontrollmassnahmen tatsächlich kein taugliches Mittel zur Bekämpfung des Versicherungsmissbrauchs sind. Denn in Kantonen, die keine Kontrollmassnahmen durchgeführt haben, sind Brände nicht häufiger vorgekommen als in den anderen. Die Bestimmung ist ohne praktische Bedeutung und kann deshalb im Sinne einer Deregulierung ersatzlos gestrichen werden.

Art. 53

(Mehrfachversicherung)

Die Fälle der heutigen Doppelversicherung sind neu unter der Marginalie «Mehrfachversicherung» geregelt und wie im geltenden Recht zwingend ausgestaltet (vgl.

Art. 97). Erfasst werden ­ wie im geltenden Recht ­ nur Mehrfachversicherungen, die mit verschiedenen Versicherungsunternehmen abgeschlossen wurden. Werden mehrere Versicherungen beim gleichen Versicherungsunternehmen abgeschlossen, gilt weiterhin die Vermutung, dass das Versicherungsunternehmen um die bei ihm platzierten Verträge weiss und es somit in der Lage ist, Missbräuche zu unterbinden.

Abs. 1 Absatz 1 entspricht geltendem Recht. Mit Blick auf den E-Commerce und eine medienbruchfreie Kommunikation soll anstelle der schriftlichen Kenntnisgabe im geltenden Recht neu eine Mitteilung auch in einer anderen Form, die den Nachweis durch Text ermöglicht, genügen (vgl. Ziff. 1.2.4).

Abs. 2 und 3 Bleiben bis auf sprachliche Anpassungen unverändert.

Art. 54

(Handänderung)

Die teilzwingende Bestimmung zur Handänderung (vgl. Art. 98 E-VVG) entspricht jener des geltenden Artikels 54 VVG. Mit Blick auf den E-Commerce und eine medienbruchfreie Kommunikation soll dem neuen Eigentümer bei einer Handänderung das Recht eingeräumt werden, den Übergang des Versicherungsvertrags 28

Vgl. Roelli/Jaeger, Kommentar zum schweizerischen Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag, Bd. II, Bern 1932, Art. 52 N 1.

5126

BBl 2017

neu auch durch eine Erklärung in einer Form, die den Nachweis durch Text ermöglicht, abzulehnen, anstelle einer schriftlichen Erklärung im geltenden Recht. Bei der Kündigung gemäss Absatz 3 wird wie im ganzen Gesetz Schriftlichkeit verlangt (vgl. Ziff. 1.2.4).

Art. 55 (vgl. neu Art. 46a) Art. 58

(Schadensermittlung)

Im Zeitpunkt der Erarbeitung des VVG Anfang des letzten Jahrhunderts war das ZGB noch nicht in Kraft getreten, sodass die Kantone noch über gewisse Befugnisse im Bereich des Pfandrechts verfügten (z.B. Viehverpfändung gem. Art. 210 aOR etc.). Heute kommt diesem Verweis in Artikel 58 VVG (Vorbehalt zugunsten kantonalen Rechts) auf das kantonale Recht in der Praxis keine Bedeutung mehr zu. Die Bedeutung des zweiten Vorbehalts in Artikel 58 VVG zugunsten kantonaler Vorschriften, welche den Anspruch der berechtigten Person sichern, ist in der Praxis gering. Zum einen, weil sich zahlreiche Kantone entschieden haben, die Gebäudeversicherung kantonalen Anstalten des öffentlichen Rechts anzuvertrauen, zum anderen, weil die privatrechtlich ausgestalteten allgemeinen oder besonderen Versicherungsbedingungen in der Regel Bestimmungen zu diesem Thema enthalten.

Entsprechend kann die heutige Vorschrift von Artikel 58 VVG im Sinne einer Deregulierung ersatzlos aufgehoben werden.

Aufgrund der neuen Systematik wird der Artikel 67 des geltenden Rechts (Schadensermittlung) als neuer Artikel 58 unverändert in den 1. Abschnitt «Sachversicherung» des 2. Kapitels «Besondere Bestimmungen» verschoben (vgl. dazu Ziff. 1.2.2 Systematik). Die Absätze 1­3 und 5 sollen weiterhin dispositiv und der Absatz 4 zwingend gelten (vgl. Art. 98 E-VVG).

2. Abschnitt: Haftpflichtversicherung Art. 59 Betrifft nur den französischen und den italienischen Text.

Art. 60

(b. Gesetzliches Pfandrecht des geschädigten Dritten)

Im Vernehmlassungsentwurf wurde das direkte Forderungsrecht der geschädigten Person gegenüber dem Haftpflichtversicherer vorgeschlagen. Dieser Vorschlag stiess auf vielfache Ablehnung und er bildet auch nicht Gegenstand der Rückweisung durch das Parlament. Anstelle eines allgemeinen direkten Forderungsrechts soll deshalb hier das Pfandrecht beibehalten und ein auf spezifische Fälle beschränktes direktes Forderungsrecht vorgeschlagen werden. Naturgemäss ist die Bestimmung jedoch der Disposition der Parteien entzogen und deshalb zwingend ausgestaltet (vgl. Art. 98 E-VVG).

5127

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Abs. 1bis Der geschädigten Person soll nur, aber immerhin, dann ein direktes Forderungsrecht zustehen, wenn sie nicht mehr auf einen haftbaren Versicherten greifen kann (weil dieser bspw. ohne Erben verstorben oder weil die juristische Person untergegangen ist). (Bst. a).

Ein direktes Forderungsrecht soll der geschädigten Person schliesslich auch dann zustehen, wenn der oder die Versicherte zahlungsunfähig ist (Bst. b).

Abs. 3 Diese Bestimmung wurde nach der Vernehmlassung leicht modifiziert. Ein Auskunftsrecht der geschädigten Person erweist sich nur bei der obligatorischen Haftpflichtversicherung als sinnvoll und praktikabel, weil dort bei einer Auskunftsverweigerung nicht ein Gericht angerufen werden muss, sondern in der Regel an eine Aufsichtsbehörde gelangt werden kann. Entsprechend wird der geschädigten Person hier das Recht eingeräumt, bei der im Bereich des jeweiligen Obligatoriums zuständigen Behörde den Namen des Versicherungsunternehmens in Erfahrung zu bringen.

Das Versicherungsunternehmen wird sodann gesetzlich verpflichtet, über Art und Umfang des Versicherungsschutzes Auskunft zu geben.

Art. 61 Betrifft nur den französischen Text.

Art. 62­65 Die Bestimmungen können aufgehoben werden (vgl. Begründung zu Art. 49).

Art. 66

(Gattungssachen)

Der Artikel 66 VVG soll im Sinne einer Deregulierung aufgehoben werden. Er setzt voraus, dass «die versicherte Sache der Gattung nach bestimmt» ist (z. B. «Hausrat» bei Hausratversicherungen). Damit deckt sich diese Umschreibung beinahe wortwörtlich mit jener von Artikel 71 Absatz 1 OR. Beide Gesetzesartikel nehmen Bezug auf eine Abrede zwischen den Vertragsparteien, die eine Sache nicht nach individuellen, sondern nach allgemeinen Qualitätsmerkmalen umschreibt. Welche dies sind, lässt sowohl das VVG als auch das OR offen.

Art. 67 Gehört in die Sachversicherung und findet sich entsprechend neu in Artikel 58.

Art. 69 Gehört in die Sachversicherung und findet sich entsprechend neu in Artikel 51a.

Art. 70 Die Änderung betrifft nur den Randtitel.

5128

BBl 2017

Art. 71

(Ersatzpflicht bei Mehrfachversicherung)

Entsprechend dem neuen Wortlaut in Artikel 53 wird der Begriff «Doppelversicherung» durch «Mehrfachversicherung» im Randtitel und im Absatz 1 ersetzt.

Art. 72 Gehört in die Unfall- und Krankenversicherung und findet sich entsprechend neu in Artikel 95c.

3. Abschnitt: Lebensversicherung Art. 73 Die Bestimmung enthält sprachlich-terminologische Anpassungen.

Art. 75

(Unrichtige Altersangabe)

Artikel 75 VVG enthält eine auf Personenversicherungen (Leben, Unfall, Krankheit) anwendbare Sonderbestimmung über die Rechtsfolgen einer falschen Anzeige des Alters der zu versichernden Person. Die praktische Bedeutung dieser Bestimmung war schon jeher gering und ist seit der Einführung von Artikel 3 Absatz 3 des Geldwäschereigesetzes vom 10. Oktober 199729 (GwG) noch kleiner geworden. Gemäss Artikel 3 Absatz 3 GwG müssen Versicherungseinrichtungen die Vertragspartei dann identifizieren, wenn die Beträge einer einmaligen Prämie, der periodischen oder des gesamten Prämienvolumens, einen erheblichen Wert erreichen. Gestützt auf Artikel 3 des Reglements vom 21. Dezember 2015 der Selbstregulierungsorganisation des Schweizerischen Versicherungsverbandes zur Bekämpfung der Geldwäscherei und der Terrorismusfinanzierung ist von einem erheblichen Wert auszugehen, wenn sich die Versicherungsnehmerin oder der Versicherungsnehmer zu einer Prämienzahlung von mehr als 25 000 Franken innert fünf Jahren verpflichtet. Das Versicherungsunternehmen muss in diesen Fällen die Versicherungsnehmerin oder den Versicherungsnehmer an Hand eines amtlichen Ausweises identifizieren. Dabei nimmt es notwendigerweise auch das Geburtsdatum der Versicherungsnehmerin oder des Versicherungsnehmers zur Kenntnis. Damit dürfte es sehr unwahrscheinlich sein, dass das Geburtsdatum im Antragsformular falsch eingetragen wird. Geschieht es trotzdem, so stellt sich zudem die Frage, ob dem Versicherungsunternehmen nicht gestützt auf Artikel 8 Ziffer 3 VVG das Recht verwehrt werden muss, sich auf die Rechtsfolgen gemäss Artikel 75 VVG zu berufen.

Aufgrund dieser geringen praktischen Bedeutung soll deshalb Artikel 75 VVG im Sinne einer Deregulierung aufgehoben werden.

29

SR 955.0

5129

BBl 2017

Art. 87 und 88 Gehören in die Unfall- und Krankenversicherung und finden sich entsprechend neu in Artikel 95a und 95b.

Die Normen sind wie im geltenden Recht, mit Ausnahme des dispositiven Artikels 88 Absatz 2 VVG, teilzwingend (Art. 98 VVG).

Art. 89

(Lebensversicherung; Vorzeitige Beendigung)

Lebensversicherungen haben üblicherweise eine Vertragsdauer von fünf, zehn oder mehr Jahren. In Abweichung vom obligationenrechtlichen Grundsatz, dass beide Parteien bis zum Ablauf der vereinbarten Vertragsdauer gebunden sind und des in Artikel 35a E-VVG vorgeschlagenen ordentlichen Kündigungsrechts verleiht die Bestimmung von Artikel 89 E-VVG der Versicherungsnehmerin oder dem Versicherungsnehmer ein besonderes, einseitiges Kündigungsrecht und ersetzt damit das in Artikel 89 VVG statuierte Rücktrittsrecht. Die Kündigung hat wie im geltenden Recht schriftlich zu erfolgen.

Die Norm ist wie im geltenden Recht teilzwingend (Art. 98 VVG).

Art. 89a

(Rücktrittsrecht des Versicherungsnehmers im Rahmen des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs)

Im Zusammenhang mit dem grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehr sollte die Bestimmung von Artikel 89a VVG im Rahmen des Folgeprogramms nach der Ablehnung des EWR-Abkommens (Swisslex-Vorlage; BBl 1993, I, 871) den Acquis communautaire der EWG in Bezug auf das Rücktrittsrecht beim Abschluss von Lebensversicherungsverträgen, unter Vorbehalt der Gewährung von Gegenrecht, in das schweizerische Recht einbringen. Dies ist jedoch nie erfolgt: Die Schweiz hat seither einen einzigen Staatsvertrag abgeschlossen, welcher die transnationale Dienstleistungsfreiheit regelt. Am 19. Dezember 1996 schloss sie betreffend die Direktversicherung mit dem Fürstentum Liechtenstein einen Vertrag, der seit dem 1. Januar 1997 in Kraft ist. Weitere Abkommen sind nicht in Sicht. Aus diesem Grund wird der Artikel 89a VVG ersatzlos aufgehoben.

Art. 90

(Umwandlung und Rückkauf; a. Im Allgemeinen)

Das geltende Recht (Art. 90 ff. VVG) bietet zwei Formen der Desinvestition von Lebensversicherungsverträgen an: Umwandlung bei jeder Lebensversicherung, für welche die Prämien wenigstens für drei Jahre entrichtet worden sind, oder Rückkauf bei denjenigen Lebensversicherungen, die in ihren technischen Berechnungen auf eine sicher auszuführende Leistung des Versicherungsunternehmens abstellen und daher mit einem Sparprozess verbunden sind. Der vorliegende Entwurf übernimmt diese Grundgedanken mit verschiedenen praxisgerechten Anpassungen.

Abs. 1 Die teilzwingende Bestimmung übernimmt die geltende Bestimmung (Art. 90 Abs. 1 VVG). Bei der Umwandlung wird der Vertrag nicht aufgelöst, sondern ganz oder teilweise in eine prämienfreie Versicherung überführt, indem die versicherten 5130

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Leistungen so weit reduziert werden, dass sie in etwa denjenigen entsprechen, die zum Zeitpunkt der Umwandlung mit einer Einmaleinlage in der Höhe des Rückkaufswertes finanziert werden können. Damit wird ein positives Deckungskapital vorausgesetzt, was das Erfordernis der Entrichtung von drei Jahresprämien der heutigen Regel obsolet macht. Der Umwandlungswert wird basierend auf dem Abfindungswert bei Umwandlung nach den technischen Grundlagen des Versicherungsvertrags berechnet.

Abs. 2 Der Vertrag kann die Umwandlung von einem Mindestwert abhängig machen. Wird dieser Mindestwert nicht erreicht, so hat das Versicherungsunternehmen der Versicherungsnehmerin oder dem Versicherungsnehmer mindestens den Rückkaufswert zu entrichten.

Abs. 3 Hat die Versicherung, bei welcher der Eintritt des versicherten Ereignisses gewiss ist, einen Rückkaufswert, so kann die Versicherungsnehmerin oder der Versicherungsnehmer bei Beendigung des Vertrags ­ unabhängig von welcher Vertragspartei die Kündigung ausgesprochen wird ­ anstelle der Umwandlung auch den Rückkauf wählen. Dies betrifft also etwa die lebenslängliche Todesfallversicherung oder die sogenannte gemischte Lebensversicherung. Nicht rückkaufsfähig sind hingegen die reine Erlebensfallversicherung und die temporäre Todesfallversicherung.

Mit dem Rückkauf wird der Vertrag ganz oder teilweise aufgelöst und das Versicherungsunternehmen vergütet der Versicherungsnehmerin oder dem Versicherungsnehmer den Rückkaufswert. Dieser richtet sich nach dem im Zeitpunkt der Kündigung vorhandenen und in der Regel nach den technischen Grundlagen des Versicherungsvertrags berechneten Abfindungswert bei Rückkauf. Der Abfindungswert entspricht im Wesentlichen dem Inventardeckungskapital, vermindert um allfällige Abzüge für nicht amortisierte Abschlusskosten und für das Zinsrisiko.

Voraussetzung für den Rückkauf ist ­ und dies wird mit der vorgeschlagenen Formulierung klargestellt ­ analog zum Umwandlungswert im Fall der Umwandlung, dass effektiv ein Rückkaufswert vorhanden ist.

Die Bestimmung ist teilzwingend ausgestaltet (vgl. Art. 98 VVG).

Art. 95

(Pfandrecht des Versicherungsunternehmens, Liquidation)

Mit Blick auf den E-Commerce und eine medienbruchfreie Kommunikation soll anstelle der im Artikel 95 VVG festgelegten schriftlichen Aufforderung neu auch eine Aufforderung in einer anderen Form, die den Nachweis durch Text ermöglicht, genügen (vgl. Ziff. 1.2.4).

4. Abschnitt: Unfall- und Krankenversicherung Neu wird zur besseren Lesbarkeit des Gesetzes im 4. Kapitel «Besondere Bestimmungen» ein 4. Abschnitt «Unfall- und Krankenversicherung» mit den unveränderten alten Artikeln 87 und 88 eingefügt (vgl. dazu Ziff. 1.2.2), neu Artikel 95a (Kol5131

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lektive Unfall- und Krankenversicherung; Forderungsrecht des Begünstigten) und Artikel 95b (Unfallversicherung; Invalidenentschädigung).

5. Abschnitt: Koordination Neu wird zur besseren Lesbarkeit des Gesetzes im 2. Kapitel «Besondere Bestimmungen» ein 5. Abschnitt «Koordination» eingefügt (vgl. dazu Ziff. 1.2.3).

Art. 95c

(Regressrecht des Versicherungsunternehmens)

Aufgrund der neuen Systematik wird Artikel 72 VVG in den 5. Abschnitt: Koordination des 2. Kapitels verschoben (vgl. dazu Ziff. 1.2.3).

Abs. 1 Die Schadenversicherung dient dem Ausgleich einer vom Versicherten erlittenen Vermögenseinbusse. Darum sollen Leistungen aus einem Schadenversicherungsvertrag zwingend nicht mit anderen Leistungen kumuliert werden können, die ebenfalls der Regulierung des erlittenen Schadens dienen. Dies bedeutet, dass die geschädigte versicherte Person ihren Schaden nur einmal ersetzt erhält und beispielsweise nicht vom Versicherungsunternehmen und vom Schädiger je die volle Ersatzleistung verlangen kann.

Abs. 2 In dieser Bestimmung wird eine Regelung zum Regressrecht des Versicherungsunternehmens gegenüber einem haftpflichtigen Dritten aus der Totalrevision aufgenommen, die in der damaligen Vernehmlassung unbestritten war. Nach der heutigen Rechtslage ist das Versicherungsunternehmen, das den Ersatz des Schadens aus Vertrag übernommen hat, ein aus Vertrag Haft- beziehungsweise Ersatzpflichtiger im Sinne von Artikel 51 Absatz 2 OR. Damit steht es in der mittleren Position der Regressordnung und kann gegenüber demjenigen, der für den Schaden ohne Verschulden aufgrund einer Gesetzesvorschrift (kausal) haftet, keinen Rückgriff nehmen. Diese Regelung wurde oft und breit kritisiert (vgl. dazu BGE 137 III 353 E. 4 mit zahlreichen Verweisungen). Die neue Regelung trägt dieser Kritik Rechnung.

Sie übernimmt die den Grundgedanken von Artikel 72 Absatz 1 VVG und führt diesen den praktischen Bedürfnissen entsprechend weiter, indem sie im Rahmen der vom leistenden Versicherungsunternehmen gedeckten gleichartigen Kategorien von Schadensposten den Eintritt (Subrogation) in die Rechte der versicherten Person statuiert. Wie Absatz 1 ist diese Bestimmung als zwingendes Recht ausgestaltet. Im Gegensatz zum geltenden Recht (Art. 72 Abs. 1 VVG) soll das Versicherungsunternehmen damit nicht nur gegen die aus unerlaubter Handlung haftende Person, sondern gegen sämtliche Ersatzpflichtige vorgehen können, also auch wenn diese aus Vertragsverletzung oder aus einer Kausalhaftung zum Ersatz verpflichtet sind.

Damit gilt für die privaten Schadenversicherer das gleiche wie für die Sozialversicherer (vgl. Art. 72 Abs. 1 des Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts30 [ATSG]). Es gibt keine Gründe, weshalb gewisse Haf30

SR 830.1

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tungskategorien vom Regress ausgeschlossen werden sollten; vielmehr führt die Belastung der Person, die den Schaden verursacht hat, auch zu einer sinnvollen Kostenverteilung. Zudem wird mit einer Ausweitung des Regressrechts die Regressabwicklung wesentlich vereinfacht. Die vorgeschlagene Bestimmung geht den allgemeinen Regeln von Artikel 50 f. OR vor und lässt, im Gegensatz zum dispositiven Recht von Artikel 72 Absatz 1 VVG, keinen Raum für Abreden, die die Versicherungsnehmerin oder den Versicherungsnehmer benachteiligen könnten. So ist beispielsweise die Zession zukünftiger Haftpflichtansprüche an das Versicherungsunternehmen nicht mehr zulässig.

Im Gegensatz zu Artikel 72 VVG, der auf den Regress des Haftpflichtversicherers nur analog anwendbar ist, soll der Absatz 2 des Entwurfs auch auf die Subrogation des Haftpflichtversicherers in die Rückgriffsansprüche der versicherten Person gegen Mithaftpflichtige Anwendung finden. Dies, weil vorliegend die versicherte Person Schädigerin und eine Drittperson Geschädigte ist. Keine Subrogation steht dem Versicherungsunternehmen indes in den Fällen zu, in denen die Leistung der Dritten an die geschädigte Person Erfüllung einer Vertragspflicht ist. Insbesondere subrogiert das Versicherungsunternehmen daher nicht in die Lohnfortzahlungsansprüche der versicherten Person gegenüber dem Arbeitgeber.

Abs. 3 Die teilzwingende Bestimmung enthält wie heute ein Regressprivileg bei leichter Fahrlässigkeit zugunsten von Personen, die in einer engen Beziehung zur versicherten Person stehen. Die enge Beziehung wird aber dem allgemeinen Rechtsverständnis zu diesem Privileg entsprechend neu konkreter ausformuliert.

Art. 96

(Ausschluss des Regressrechtes des Versicherungsunternehmens)

Aufgrund der neuen Systematik befindet sich der teilzwingende Artikel 96 VVG nun im 5. Abschnitt «Koordination» des 2. Kapitels «Besondere Bestimmungen» (vgl. dazu Ziff. 1.2.3).

3. Kapitel: Zwingende Bestimmungen Aufgrund der neuen Systematik wird der Titel IV. «Zwingende Bestimmungen» zum 3. Kapitel (vgl. dazu Ziff. 1.2.3).

Das Eingreifen des Gesetzgebers ist dort geboten, wo ein Informations- oder Einflussgefälle zwischen den Vertragsparteien besteht. Vom Schutzbereich der zwingenden und teilzwingenden Bestimmungen dieses Gesetzes sollen daher nicht nur Verträge mit Konsumentinnen und Konsumenten, sondern auch solche mit kleinen und mittleren Unternehmen erfasst werden. Deren Schutzwürdigkeit liegt ebenfalls im spezifischen Charakter der Versicherungsmaterie begründet: Sie ist aufgrund ihrer Eigenarten und Komplexität selbst für geschäftsgewandte Personen nur schwer zu beherrschen. Ausnahmen rechtfertigen sich lediglich bei Kredit-, Kautions- und Transportversicherungen und mit Blick auf berufliche und gewerbliche Risiken (Grossrisiken) gemäss Artikel 98a E-VVG beziehungsweise bei sogenannten professionellen Versicherungsnehmern, weil die betreffenden Versicherungsnehmer in der 5133

BBl 2017

Regel über Strukturen wie Rechtsabteilungen etc. verfügen, die ihnen die ausreichende Wahrung der eigenen Interessen ermöglichen. Die zwingenden und teilzwingenden Bestimmungen werden in den Artikeln 97 und 98 E-VVG aufgeführt.

Art. 97

(Vorschriften, die nicht abgeändert werden dürfen)

Artikel 97 VVG listet schon heute die zwingenden Bestimmungen auf, die nicht abgeändert werden dürfen. Neben den bestehenden sind die folgenden Bestimmungen des E-VVG neu zwingend ausgestaltet: Artikel 10 Absatz 2, 10a, 35, 35b, 53, 58 Absatz 4, 60 sowie 95c Absätze 1 und 2.

Zufolge des neu eingefügten Artikels 98a Absatz 1 E-VVG kann der bisherige Absatz 2 aufgehoben werden.

Art. 98

(Vorschriften, die nicht zuungunsten des Versicherungsnehmers oder des Anspruchsberechtigten abgeändert werden dürfen)

Artikel 98 VVG listet schon heute die teilzwingenden Bestimmungen auf, die nicht zuungunsten der Versicherungsnehmerin oder des Versicherungsnehmers oder der anspruchsberechtigten Person abgeändert werden dürfen. Neben den bestehenden sind neu die folgenden Bestimmungen des E-VVG teilzwingend ausgestaltet: die Artikel 2a, 2b, 9, 35a, 95a, 95b Absatz 1 sowie 95c Absatz 3.

Zufolge des neu eingefügten Artikels 98a E-VVG kann der bisherige Absatz 2 aufgehoben werden.

Art. 98a

(Ausnahmen)

Der neu in den Revisionsentwurf aufgenommene Artikel 98a benennt die Ausnahmeregeln zum zwingenden oder teilzwingenden Recht (Art. 97 und 98).

Abs. 1 Für professionelle Versicherungsnehmer (siehe Abs. 2), die mit den Versicherungsunternehmen auf Augenhöhe verhandeln können, gelten die teilzwingenden und zwingenden Bestimmungen des Gesetzes als dispositiv. Bei den Kredit- und Kautionsversicherungen ist für die hier statuierte Ausnahme massgebend, dass wirtschaftlich gleiche Produkte auch von den Banken angeboten werden. Da diese in Bezug auf die Gestaltung dieser Produkte keinen Einschränkungen unterliegen, gebietet es die Gleichbehandlung der Marktteilnehmer, dass Gleiches auch für die Versicherungsunternehmen gilt. Schliesslich unterscheidet sich die Abwicklung der Kreditund Kautionsversicherung in verschiedenen Punkten wesentlich von derjenigen anderer Versicherungszweige.

Abs. 2 Absatz 2 umschreibt die professionellen Versicherungsnehmer. Dabei werden vorweg Versicherungsnehmer erfasst, die naturgemäss über ein professionelles Risikomanagement verfügen (Bst. a­d). Öffentlich-rechtliche Körperschaften und Unternehmen sind professionelle Versicherungsnehmer, wenn sie über ein professionelles Risikomanagement verfügen. Ebenfalls als professionell gelten Unternehmen, die in 5134

BBl 2017

Bilanzsumme, Nettoumsatz und Eigenkapital bestimmte Grössen überschreiten. Die Werte, auf dieabgestellt wird, entsprechen der Kategorisierung von MiFID II31 Anhang 2, der das Parlament auch in den laufenden Beratung zu FIDLEG/FINIG folgen dürfte. Es ist nicht auszuschliessen, dass diese Werte im Rahmen der laufenden Revision des VAG (Kategorisierung der Aufsicht) noch einmal angepasst werden.

Abs. 3 Bei Unternehmen, die einem Konzern angehören, werden die Werte in einer Konzernbetrachtung angewandt.

Abs. 4 Nach herrschender Auffassung zählen zu den Transportversicherungen auch die Reiseversicherungen. Letztere sind typischerweise ein Massengeschäft und können gleich behandelt werden wie die in Absatz 1 angeführten ­ von den zwingenden und teilzwingenden Bestimmungen des Gesetzes ausgenommenen ­ Transportversicherungen. Sie werden daher von der Regelung dieses Artikels ausgenommen.

4. Kapitel: Schlussbestimmungen Aufgrund der neuen Systematik wird der Titel V. «Schlussbestimmungen» des VVG zum 4. Kapitel «Schlussbestimmungen» (vgl. dazu Ziff. 1.2.2).

Art. 101a­101c Die Artikel 101a­101c des geltenden VVG sehen Regeln bei «internationalen Verhältnissen» vor. Diese Normen waren im Rahmen des «Swisslex»-Pakets vom 18. Juni 1993 ins VVG eingefügt worden. Das «Swisslex»-Paket umfasste einen grossen Teil der «Eurolex»-Gesetzesänderungen, die der Umsetzung des EWRVertrags ins innerstaatliche Recht hätten dienen sollen. Die internationalen VVGBestimmungen waren zur Flankierung eines angestrebten freien Verkehrs von Versicherungsdienstleistungen mit den EWR-Staaten geschaffen worden. Ein entsprechendes Freizügigkeitsabkommen existiert heute aber nur im Verhältnis zu Liechtenstein. Mit der EU ist kein entsprechendes Abkommen in Sicht. Die Bestimmungen sind zudem nicht mehr à jour, da sie auf altem europäischem Richtlinienrecht beruhen.

In der Schweiz ist das auf Versicherungsverträge anwendbare Recht grundsätzlich im IPRG geregelt. Dieses deckt die Bedürfnisse der Rechtspraxis gut ab. Insbesondere führt die Anwendung der IPRG-Bestimmungen zum Verbraucherschutz zu einem angemessenen Schutzniveau für Konsumentinnen und Konsumenten. Die Artikel 101a­101c VVG beziehungsweise das 3. Kapitel des VVG-Revisionsentwurfs stellen im Verhältnis dazu ein äusserst kompliziertes und immer wieder à jour 31

Richtlinie 2014/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU, ABl. L 173 vom 12.6.2014, S. 349; zuletzt geändert durch Verordnung (EU) Nr. 909/2014, ABl. L 257 vom 28.8.2014, S. 1.

5135

BBl 2017

zu bringendes Sonderregime dar, das ohne nennenswerte negative Auswirkungen gestrichen werden kann.

Art. 102

(Verhältnis des neuen Rechtes zum alten Rechte)

Die Bestimmung im geltenden Recht zum «Verhältnis des neuen Rechtes zum alten Rechte» ist obsolet und kann aufgehoben werden.

Art. 103 Abs. 1

(Aufhebung bestehender Vorschriften)

Die Bestimmung ist obsolet und kann aufgehoben werden.

Abs. 2 In Anbetracht der Vernehmlassung, in der sich zahlreiche Kantone mit Blick auf die bei ihnen bestehenden Versicherungsanstalten für eine Beibehaltung dieses Absatzes ausgesprochen haben, wird Absatz 2 unverändert weitergeführt.

Art. 104

(Übergangsbestimmung zur Änderung vom ...)

Mit Blick auf eine verhältnismässige Regelung für bereits laufende Versicherungsverträge gelten für diese nur die Formvorschriften und das Kündigungsrecht ab Inkrafttreten des Gesetzes; alle anderen Bestimmungen gelten lediglich für neu abgeschlossene Verträge.

3

Auswirkungen

3.1

Auswirkungen auf Bund, Kantone und Gemeinden

Für Bund, Kantone und Gemeinden sind keine unmittelbaren Auswirkungen zu erwarten.

3.2

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

3.2.1

Notwendigkeit staatlichen Handelns

Basierend auf Vorarbeiten einer Expertenkommission unterbreitete der Bundesrat 2011 dem Parlament einen Entwurf zur Totalrevision des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG). Das Parlament beschloss Zurückweisung der Totalrevision und beauftragte den Bundesrat, eine teilrevidierte Vorlage vorzulegen (vgl. Ziff. 1.1.4).

Regulierungen im Versicherungsbereich gehen letztlich auf die Situation asymmetrischer und unvollständiger Information zurück, die im Versicherungsmarkt so typisch ist. Diese Situation kann zu einem Marktversagen führen.

Soweit möglich und sachgerecht, stellt die Analyse der volkswirtschaftlichen Auswirkungen der vorliegenden Teilrevision auf die vertiefte Regulierungsfolgenab-

5136

BBl 2017

schätzung ab, die im Rahmen der Arbeiten zur 2011 vorgeschlagenen Totalrevision vom Büro Bass32 erarbeitet wurde.

3.2.2

Auswirkungen auf die betroffenen Gruppen

Zu den hauptsächlich betroffenen gesellschaftlichen Gruppen gehören die Versicherungsunternehmen, die Versicherungsnehmerinnen und -nehmer und allfällige Geschädigte als Drittpartei.

Versicherungsunternehmen Die Pflicht, vor Vertragsabschluss der Versicherungsnehmerin oder dem Versicherungsnehmer zusätzliche Informationen abzugeben, kann bei den Versicherungsunternehmen zusätzliche Kosten auslösen, da die Vertrags-, Informations- und Verkaufsunterlagen zumindest einmalig angepasst oder erweitert werden müssen. Die Umstellungskosten hängen allerdings von den Vorlaufzeiten ab, die den Versicherungsunternehmen gewährt werden. Bestehende Verträge sind gemäss dem geltenden und dem vorgeschlagenen künftigen Recht von den geänderten Informationspflichten nicht betroffen, da sich die Informationspflichten nur auf die Situation vor Abschluss eines Versicherungsvertrags beziehen.

Die Einführung des Widerrufsrechts dürfte für die Versicherungsunternehmen kaum mit Zusatzkosten verbunden sein. Es erscheint plausibel, dass im gegenwärtig geltenden Regime ohne gesetzliches Widerrufsrecht diejenigen Kundinnen und Kunden, die irrtümlich einen Versicherungsantrag unterzeichnet haben, diesen so rasch wie möglich wieder kündigen. Andernfalls besteht die Gefahr, dass sie sich gegenüber dem Versicherungsunternehmen kostentreibend verhalten. Für dieses würden die Transaktionskosten bei fehlendem Widerrufsrecht deshalb früher oder später sowieso anfallen.

In der Praxis gewähren die Versicherungsunternehmen vorläufige Deckungen vor dem Vertragsabschluss bereits heute. Die Aufnahme dieses Vorgehens in das VVG erhöht für die Versicherungsunternehmen die Rechtssicherheit. Die Pflicht, vorläufige Deckungen zu gewähren, kann für Versicherungsunternehmen sowohl mit zusätzlichen Prämieneinnahmen als auch mit höheren Kosten verbunden sein, die allerdings nicht beziffert werden können.

Die vorgesehene Möglichkeit der Rückwärtsversicherung entspricht einem Marktbedürfnis. Durch die Schaffung der entsprechenden rechtlichen Grundlage wird für die Versicherungsunternehmen, die Haftpflichtversicherungsverträge nach dem Anspruchserhebungsprinzip (Claims-made-Policen) anbieten, die Rechtssicherheit erhöht.

Unter dem geltenden VVG existiert ein Kündigungsrecht im Schadensfall, nicht jedoch ein ordentliches Kündigungsrecht. Die Einführung
der Möglichkeit, einen Versicherungsvertrag gegenseitig ordentlich zu kündigen, kann zu einer höheren Kündigungsrate und damit zu höheren Transaktionskosten für die Versicherungsun32

Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien BASS AG, Konsumstrasse 20, CH-3007 Bern.

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ternehmen führen, sofern diese Verträge nicht einjährig ausgestaltet oder bereits ein vertragliches Kündigungsrecht vorsehen. Die überwiegende Mehrheit der Versicherungsverträge werden gemäss der 2010 erstellten Bass-Studie33 nicht gekündigt, obwohl ein vertragliches Kündigungsrecht bestehen würde. Ein Versicherungsunternehmen kann zudem davon profitieren, eine Vertragsbeziehung aufzulösen, wenn diese aus seiner Sicht schlecht ist.

Versicherungsnehmerinnen und -nehmer Das vorgeschlagene, allen Versicherungsnehmerinnen und -nehmern zustehende Widerrufsrecht von 14 Tagen bewirkt, dass ein unterzeichneter Antrag im Fall eines Widerrufs rückabgewickelt wird und das Versicherungsunternehmen eventuell bereits erhaltene Prämien zurückerstatten muss. Eine Begründung des Widerrufs ist nicht notwendig. Versicherungsnehmerinnen und -nehmer können damit etwa unüberlegt unterzeichnete Anträge rückgängig machen. Gemäss der erwähnten BassStudie wird im Bereich der Einzellebensversicherungen, in dem die Gewährung eines Widerrufsrechts vom Markt zumindest teilweise bereits angeboten wird, bei 0,2 Prozent aller Neuabschlüsse von diesem Recht Gebrauch gemacht. Im Einzelfall kann dies jedoch zu einer Verbesserung des Kundennutzens führen.

Die erweiterten Informationspflichten des Versicherungsunternehmens sollen den Kundinnen und Kunden helfen, den Kaufentscheid zu fällen. Dazu müssen die Informationen zwecks Vermeidung von Missverständnissen leicht verständlich sein sowie sämtliche unmittelbar für den Kauf relevanten Informationen beinhalten. Erst wenn eine Versicherungsnehmerin oder ein Versicherungsnehmer in etwa weiss, dass sie oder er über ein Widerrufsrecht verfügt, kann ein allfälliger Kaufentscheid rückgängig gemacht werden.

Die von zwei auf fünf Jahre verlängerte Verjährungsfrist für Ansprüche gegenüber einem Versicherungsunternehmen reduziert für Versicherungsnehmerinnen und -nehmer die Kosten aus einem weit zurückliegenden Schadensfall. Gemäss der Studie des Büros Bass verjähren Versicherungsleistungen nur sehr selten.34 Im Einzelfall kann es sich jedoch um hohe Schadensummen handeln, etwa wenn es um grössere Personenschäden geht.

Nicht nur Versicherungsnehmerinnen und -nehmer, sondern auch die Versicherungsunternehmen erhalten ein ordentliches Kündigungsrecht. Üben diese es aus, so kann dies dazu führen,
dass die Versicherungsnehmerinnen und -nehmer anschliessend die entsprechenden Risiken selber tragen müssen.

Insgesamt führen die vorgeschlagenen Änderungen in einzelnen Bereichen zu einer leichten Stärkung des Kundenschutzes. Einige der vorgeschlagenen Änderungen können jedoch zu höheren Kosten für die Versicherungsunternehmen führen, die allenfalls wiederum in Form von höheren Prämien auf die Kundinnen und Kunden überwälzt werden könnten.

33 34

Im Internet verfügbar unter www.buerobass.ch/pdf/2010/SIF_SECO_2010_RFA_VVG_Schlussbericht.pdf.

Gemäss Büro Bass treten Verjährungen in weniger als 0.1 % aller Schadenfälle auf.

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Geschädigte Dritte mit Haftpflichtansprüchen an Schädiger Aufgrund der Vernehmlassung wurde der Anwendungsbereich des direkten Forderungsrechts von Geschädigten an den Haftpflichtversicherer redimensioniert. Mit diesem Recht können geschädigte Dritte ihre Ansprüche direkt beim Haftpflichtversicherer des Schädigers anmelden. Dieses Prozedere ist für Geschädigte einfacher und damit mit weniger Aufwand verbunden, als die aktuelle Regelung mit der Verpfändung der Versicherungsleistung vom Schädiger.

Andere gesellschaftliche Gruppen Als Kunden eines Versicherungsunternehmens sind Unternehmen und namentlich auch KMU von der Vorlage betroffen. Sie unterliegen dabei grundsätzlich denselben Auswirkungen, wie oben unter dem Titel «Versicherungsnehmerinnen und -nehmer» beschrieben.

Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind von der vorliegenden Revisionsvorlage insofern betroffen, als sie vom Arbeitgeber gegen diverse Risiken versichert sind, zum Beispiel gegen Unfall. Indirekt sind sie betroffen, wenn die Vorsorgelösung für die berufliche Vorsorge eine Teil- oder Volldeckung durch eine Lebensversicherungsunternehmung beinhaltet.

Zweckmässigkeit im Vollzug Die Einführung von Bestimmungen, wonach bestimmte Informationen zwischen den Kundinnen, Kunden und dem Versicherungsunternehmen schriftlich, oder in einer anderen Form, die den Nachweis durch Text erlaubt, auszutauschen sind, kommt beiden Parteien eines Versicherungsvertrags entgegen. Erstens erleichtert das Vorliegen von schriftlichen Inhalten anstelle von mündlichen Aussagen die Dokumentation; zweitens ist unter «einer anderen Form, die den Nachweis durch Text erlaubt» auch die in der Praxis mittlerweile gängige elektronische Übergabe von Informationen zu verstehen. Somit lassen sich Mitteilungen vom Versicherungsunternehmen an die Kundinnen und Kunden und umgekehrt per E-Mail, Internet oder anderen elektronischen Kanälen übermitteln. Beide Elemente erlauben ein rationelleres Vorgehen in den Geschäftsabläufen des Versicherungsunternehmens und erleichtern den Verkehr zwischen den Versicherungsunternehmen und den Kundinnen und Kunden.

3.2.3

Auswirkungen auf den Wettbewerb und Fazit für den Versicherungsmarkt Schweiz

Wettbewerb Kundinnen und Kunden lernen in einem (Versicherungs-)Markt, in dem sie sich ordentlich von einem Vertrag lösen können und dies in der Praxis auch tun, mehr Produkte kennen. Dies kann zu besseren Entscheidungen führen. Gleichzeitig intensivieren sie dadurch den Wettbewerb, was zu Produktinnovationen und Effizienzsteigerungen führen kann. Erleiden Kundinnen oder Kunden allerdings während der Laufzeit eines Versicherungsvertrags einen Schadenfall, so können sie dennoch den starken Anreiz haben, die Police weiterzuführen. Denn, würden sie die bestehende 5139

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Police kündigen, ginge die Deckung für den Schadenfall verloren, obschon sie dafür bereits eine Prämie entrichtet haben. Für Versicherungsunternehmen sind Wechsel mit höheren Transaktionskosten verbunden, die jedoch letztlich auf die Kundinnen und Kunden überwälzt werden dürften. Insbesondere im Firmenkundengeschäft können Transaktionskosten für beide Vertragsparteien hoch ausfallen, was allerdings für stabilere Vertragsbeziehungen spricht. Lebensversicherungen sind vom ordentlichen ­ nicht aber vom ausserordentlichen ­ Kündigungsrecht ausgenommen. So kann die Risikoselektion durch die Versicherungsunternehmen hin zu «guten Risiken» reduziert werden.

Fazit für den Versicherungsmarkt Schweiz Durch die Vorlage wird insbesondere die Attraktivität des (Direkt-)Versicherungsmarkts in der Schweiz gestärkt. Sie entspricht damit auch der Zielvorgabe der Finanzmarktpolitik, Rahmenbedingungen für den Finanzplatz zu schaffen, die seine Qualität, Stabilität und Integrität sicherstellen. Die Vorlage erhöht die Rechtssicherheit, weil sie die gesetzlichen Grundlagen an die heutige Praxis anpasst. Ein Beispiel ist der elektronische Geschäftsverkehr, der den Austausch zwischen den Parteien erleichtern dürfte. Dies führt zu einer höheren Attraktivität der Versicherungsdeckung. Gleichzeitig dürfte das Marktvolumen aufgrund der zunehmenden Menge an versicherten Risiken steigen.

4

Verhältnis zur Legislaturplanung

Die Vorlage ist in der Botschaft vom 27. Januar 201635 zur Legislaturplanung 2015­ 2019 und im Bundesbeschluss vom 14. Juni 201636 über die Legislaturplanung 2015­2019 angekündigt.

5

Rechtliche Aspekte

5.1

Verfassungsmässigkeit

Das revidierte VVG stützt sich wie das geltende VVG auf Artikel 122 Absatz 1 BV.

5.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Es bestehen keine zu berücksichtigenden internationalen Verpflichtungen im hier geregelten Bereich.

35 36

BBl 2016 1105 1163 BBl 2016 5183 5184

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