20.085 Botschaft zur Genehmigung eines Protokolls zur Änderung des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen der Schweiz und Liechtenstein vom 11. November 2020

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf eines Bundesbeschlusses über die Genehmigung eines Protokolls zur Änderung des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen der Schweiz und Liechtenstein.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

11. November 2020

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Simonetta Sommaruga Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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Übersicht Das Doppelbesteuerungsabkommen mit Liechtenstein wurde 2015 unterzeichnet und bislang nie revidiert. Seither wurden neue Standards im Bereich der Doppelbesteuerungsabkommen festgelegt.

Die Vertragsstaaten haben daher zur Aktualisierung des Doppelbesteuerungsabkommens Verhandlungen aufgenommen und ein Änderungsprotokoll ausgehandelt.

Die Kantone und interessierten Kreise haben das Änderungsprotokoll begrüsst.

Das Änderungsprotokoll wurde am 14. Juli 2020 unterzeichnet.

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Botschaft 1

Grundzüge der Vorlage

1.1

Ausgangslage, Verlauf und Ergebnis der Verhandlungen

Das Abkommen vom 10. Juli 20151 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Fürstentum Liechtenstein zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (nachfolgend «DBA-FL») wurde seit dem Inkrafttreten noch nie revidiert.

Am 7. Juni 2017 hat die Schweiz das multilaterale Übereinkommen vom 24. November 20162 zur Umsetzung steuerabkommensbezogener Massnahmen zur Verhinderung der Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung (nachfolgend «BEPSÜbereinkommen», auch als «MLI» bezeichnet) unterzeichnet. Das BEPS-Übereinkommen enthält eine Reihe von Bestimmungen zur Anpassung bestehender Doppelbesteuerungsabkommen. Ein Teil dieser Bestimmungen dienen der Erfüllung der in den BEPS-Massnahmen 6 und 14 gesetzten Mindeststandards.

Im Hinblick auf die Unterzeichnung des BEPS-Übereinkommens haben die Schweiz und Liechtenstein die bilaterale Umsetzung des Übereinkommens besprochen.

Liechtenstein sah sich nicht in der Lage, sich mit der Schweiz auf den genauen Wortlaut zu einigen, wie die Bestimmungen des DBA-FL durch das BEPS-Übereinkommen angepasst werden. Da dies eine Voraussetzung zur Anwendung des BEPSÜbereinkommens für die Schweiz ist, wurde beschlossen, die Anpassung des DBAFL an die Resultate des BEPS-Projekts nicht über das BEPS-Übereinkommen, sondern über ein bilaterales Prototoll zur Änderung des DBA-FL vorzunehmen.

Die Verhandlungen über ein solches Änderungsprotokoll konnten im Februar 2020 mit der Paraphierung eines entsprechenden Entwurfs (nachfolgend «Änderungsprotokoll zum DBA-FL») abgeschlossen werden.

Die Kantone und die interessierten Wirtschaftsverbände wurden im April 2020 über dessen Abschluss konsultiert und haben diesen begrüsst. Das Änderungsprotokoll zum DBA-FL wurde am 14. Juli 2020 unterzeichnet.

1.2

Würdigung

Das Änderungsprotokoll zum DBA-FL enthält ausschliesslich Bestimmungen zur Umsetzung der BEPS-Mindeststandards. Die Schweiz als Mitgliedstaat der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat sich verpflichtet, jene DBA-bezogenen Bestimmungen, die Teil eines BEPS-Mindeststandards sind, in ihre Doppelbesteuerungsabkommen zu übernehmen. Mit dem Änderungsprotokoll zum DBA-FL erfolgt ein weiterer Schritt in diese Richtung.

1 2

SR 0.672.951.43 SR 0.671.1

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Erläuterungen zu den Bestimmungen des Änderungsprotokolls

Art. I Abs. 1 des Änderungsprotokolls betreffend die Präambel des DBA-FL Diese Bestimmung ersetzt die bestehende Präambel zum DBA-FL durch die im Rahmen der BEPS-Massnahme 6 erarbeitete und im BEPS-Übereinkommen in Artikel 6 Absatz 1 sowie im OECD-Musterabkommen3 (OECD-MA) enthaltene Präambel. Nach dieser neuen Präambel bezweckt das DBA-FL auch die Vermeidung von Nichtbesteuerung oder reduzierter Besteuerung als Folge von Missbräuchen.

Die Aufnahme dieser Bestimmung ist notwendig, um den im Rahmen der BEPSMassnahme 6 gesetzten Mindeststandard zu erfüllen.

Art. I Abs. 2 des Änderungsprotokolls betreffend Art. 25 des DBA-FL (Verständigungsverfahren) Diese Bestimmung fügt in Artikel 25 Absatz 2 DBA-FL einen zweiten Satz hinzu, nach dem Verständigungsvereinbarungen ungeachtet der Fristen des nationalen Rechts umgesetzt werden müssen. Diese Regelung entspricht Artikel 25 Absatz 2 zweiter Satz des OECD-MA und ist auch im BEPS-Übereinkommen in Artikel 16 Absatz 2 enthalten. Mit dieser Regelung entspricht das DBA-FL dem Mindeststandard nach der BEPS-Massnahme 14.

Der BEPS-Mindeststandard soll insbesondere verhindern, dass Verständigungslösungen aufgrund der Fristen des nationalen Rechts der Vertragsstaaten nicht umgesetzt werden können. Dazu bestehen gemäss Element 3.3 des Berichts zur BEPS-Massnahme 14 zwei Möglichkeiten: Primär ist ­ wie vorliegend im Änderungsprotokoll zum DBA-FL ­ gemäss Artikel 25 Absatz 2 zweiter Satz OECD-MA vorzusehen, dass Verständigungsvereinbarungen ungeachtet der Fristen des nationalen Rechts umzusetzen sind. Kann ein Staat dies nicht akzeptieren, so muss er alternativ bereit sein, Fristen für Gewinnaufrechnungen nach den Regeln für Unternehmensgewinne und verbundene Unternehmen in den Artikeln 7 und 9 DBA-FL bzw.

OECD-MA zu vereinbaren. Diese sollen sicherstellen, dass keine Verständigungsverfahren über Gewinne von Unternehmen entstehen können, deren Lösung aufgrund der Fristen des nationalen Rechts nicht mehr umgesetzt werden kann. Die Fristen für die Gewinnaufrechnungen nach den Artikeln 7 und 9 OECD-MA sind daher so zu bemessen, dass nur Gewinne aufgerechnet werden können, solange über die Rechtfertigung der Aufrechnung Verständigungsverfahren geführt werden können, deren Lösung unter Annahme einer maximalen Verfahrensdauer und unter Berücksichtigung der Fristen der
nationalen Rechte der Vertragsstaaten noch umgesetzt werden kann.

Die Schweiz behält üblicherweise die Fristen des nationalen Rechts für die Umsetzung von Verständigungsvereinbarungen vor. Grund dafür ist der Umstand, dass verschiedene Staaten in ihren nationalen Rechten lange Verjährungsfristen kennen.

Diese ermöglichen Aufrechnungen und damit Verständigungsverfahren, deren Ergebnis deutlich nach Ablauf der zehnjährigen Fristen, die das schweizerische 3

Einsehbar unter www.oecd.org > Topics > Tax > Tax treaties > OECD Model Tax Convention.

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Steuerrecht für Revisionsbegehren4 oder für die Einleitung von Nachsteuerverfahren5 vorsieht, eine Änderung der schweizerischen Besteuerung verlangen könnten.

Der Vorbehalt der Anwendbarkeit der Revisions- und Verjährungsfristen des nationalen Rechts der Schweiz erfolgt daher im Interesse der Rechtssicherheit bezüglich des Bestandes einer veranlagten Steuer.

Im Fall des Änderungsprotokolls zum DBA-FL hat sich die Schweiz hingegen zu einer unbeschränkten Umsetzung von Lösungen in Verständigungsverfahren verpflichtet. Dies folgte in der Erwägung, dass das liechtensteinische Recht vergleichbare Fristen betreffend die Verjährung wie die Schweiz kennt. So sieht Artikel 115 des liechtensteinischen Steuergesetzes vom 23. September 20106 eine absolute Verjährungsfrist von zehn Jahren für die Veranlagung einer Steuer oder Nachsteuer vor.

Verständigungsverfahren, die über die schweizerischen Fristen hinaus Anpassungen der schweizerischen Besteuerung verlangen, dürften im Verhältnis zu Liechtenstein daher die Ausnahme sein. Der Vorbehalt der schweizerischen Fristen im Falle von Verständigungsverfahren erscheint daher im Verhältnis zu Liechtenstein unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit nicht erforderlich.

Art. I Abs. 3 und 4 des Änderungsprotokolls betreffend den neuen Art. 27A des DBA-FL (Anspruch auf Abkommensvorteile) Mit diesen Bestimmungen wird die Missbrauchsklausel in Ziffer 4 des Protokolls zum DBA-FL durch eine neue Bestimmung ersetzt. Diese entspricht dem Mindeststandard gemäss dem Bericht zur BEPS-Massnahme 6 und ist im OECD-MA (Art. 29 Abs. 9) und im BEPS-Übereinkommen (Art. 7 Abs. 1) enthalten.

Die neue Bestimmung stellt wie die aktuelle auf den hauptsächlichen Zweck einer Gestaltung oder Transaktion ab. Aufgrund dieser Klausel werden die Vorteile des DBA-FL nicht gewährt, wenn das Erlangen dieser Vorteile einer der hauptsächlichen Zwecke der entsprechenden Gestaltung oder Transaktion war; es sei denn, es wird nachgewiesen, dass das Gewähren dieser Vorteile in Einklang mit dem Ziel und Zweck der entsprechenden Bestimmungen des DBA-FL steht.

Im Unterschied zur Missbrauchsklausel in der ursprünglichen Fassung des DBA-FL beschränkt sich die neue Missbrauchsklausel nicht auf gewisse Arten von Einkünften, sondern findet auf sämtliche Bestimmungen des Abkommens Anwendung. Alle Abkommensvorteile
unterliegen damit dem Vorbehalt einer missbräuchlichen Inanspruchnahme.

Vom Wortlaut her unterscheidet sich die neue Missbrauchsklausel gegenüber der ursprünglichen Fassung noch in einem weiteren Punkt. So ist sie nicht auf Situationen beschränkt, bei denen der Hauptzweck der entsprechenden Gestaltung oder Transaktion im Erlangen der Abkommensvorteile lag. Vielmehr besteht Missbrauch auch dann, wenn bloss einer der Hauptzwecke dafür verantwortlich war. Vom Resultat her besteht indessen diesbezüglich keine Differenz. Denn der zweite Teil der 4

5 6

Art. 148 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die direkte Bundessteuer (DBG; SR 642.11) und Art. 51 Abs. 3 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 1990 über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (StHG; SR 642.14).

Art. 152 DBG und Art. 53 Abs. 2 StHG.

LR 640.0

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Missbrauchsklausel sieht vor, dass die Abkommensvorteile dennoch gewährt werden, wenn dies in Einklang mit dem Ziel und Zweck der entsprechenden Bestimmungen des Abkommens steht. Dies sollte grundsätzlich dann der Fall sein, wenn das Erlangen der entsprechenden Abkommensvorteile nicht der Hauptzweck der Gestaltung oder Transaktion war.

Art. II des Änderungsprotokolls zum DBA-FL (Inkrafttreten) Die Bestimmungen des Änderungsprotokolls zum DBA-FL finden ab dem 1. Januar des Jahres nach dessen Inkrafttreten Anwendung. Eine Besonderheit gilt in Bezug auf Artikel I Absatz 2 des Änderungsprotokolls zum DBA-FL betreffend die zeitlich unbeschränkte Umsetzung von Lösungen in Verständigungsverfahren. Diese Bestimmungen finden vom Tag des Inkrafttretens an Anwendung.

3

Finanzielle Auswirkungen

Das Änderungsprotokoll zum DBA-FL sieht keine Änderung der Zuteilung der Besteuerungsrechte der Vertragsstaaten vor und hat daher keine wesentlichen Auswirkungen auf die Steuereinnahmen.

Es kann im Rahmen der bestehenden personellen Ressourcen umgesetzt werden.

4

Rechtliche Aspekte

Das Änderungsprotokoll zum DBA-FL stützt sich auf Artikel 54 Absatz 1 der Bundesverfassung7 (BV), wonach der Bund für die auswärtigen Angelegenheiten zuständig ist. Nach Artikel 184 Absatz 2 BV ist der Bundesrat ermächtigt, die Verträge zu unterzeichnen und zu ratifizieren. Die Bundesversammlung ist gemäss Artikel 166 Absatz 2 BV für die Genehmigung der Verträge zuständig; ausgenommen sind die Verträge, für deren Abschluss aufgrund von Gesetz oder völkerrechtlichem Vertrag der Bundesrat zuständig ist (siehe auch Art. 7a Abs. 1 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 19978). Im vorliegenden Fall gibt es kein Gesetz und keinen völkerrechtlichen Vertrag, die dem Bundesrat die Kompetenz verleihen, einen Vertrag wie das Änderungsprotokoll zum DBA-FL abzuschliessen. Das Parlament ist somit für die Genehmigung des Änderungsprotokolls zum DBA-FL zuständig.

Nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV unterliegen völkerrechtliche Verträge dem fakultativen Referendum, wenn sie unter anderem wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten. Gemäss Artikel 22 Absatz 4 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 20029 (ParlG) gelten Bestimmungen als rechtsetzend, die in unmittelbar verbindlicher und generell-abstrakter Weise Pflichten auferlegen, Rechte verleihen oder Zuständigkeiten festlegen.

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SR 101 SR 172.010 SR 171.10

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Das Änderungsprotokoll zum DBA-FL enthält Bestimmungen, die den Schweizer Behörden Pflichten auferlegen sowie den Schweizer Behörden und den Privatpersonen (natürliche und juristische Personen) Rechte verleihen. Das Änderungsprotokoll zum DBA-FL enthält somit wichtige rechtsetzende Bestimmungen im Sinne von Artikel 22 Absatz 4 ParlG und Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV. Der Bundesbeschluss über die Genehmigung des Änderungsprotokolls zum DBA-FL untersteht deshalb dem fakultativen Staatsvertragsreferendum für völkerrechtliche Verträge nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV.

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Vernehmlassungsverfahren

Das Änderungsprotokoll zum DBA-FL untersteht dem Referendum nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV. Gestützt auf Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c des Vernehmlassungsgesetzes vom 18. März 200510 (VlG) besteht damit an sich die Pflicht zur Durchführung einer Vernehmlassung. Zum Änderungsprotokoll zum DBA-FL wurde eine Orientierung durchgeführt. Dabei wurde im April 2020 den Kantonen und den am Abschluss von DBA interessierten Kreisen das Änderungsprotokoll zum DBA-FL zusammen mit einer Erläuterung zur Stellungnahme vorgelegt. Das Änderungsprotokoll zum DBA-FL wurde positiv und ohne anderslautende Stellungnahmen aufgenommen. Die Positionen der interessierten Kreise sind entsprechend bekannt und belegt. Gestützt auf Artikel 3a Absatz 1 Buchstabe b VlG konnte deshalb auf ein Vernehmlassungsverfahren verzichtet werden.

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SR 172.061

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