20.063 Botschaft zur Änderung des Ausländer- und Integrationsgesetzes (Einschränkungen für Reisen ins Ausland und Anpassungen des Status der vorläufigen Aufnahme) vom 26. August 2020

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf einer Änderung des Ausländer- und Integrationsgesetzes.

Gleichzeitig beantragen wir Ihnen, die folgenden parlamentarischen Vorstösse abzuschreiben: 2018 M 18.3002

Punktuelle Anpassungen des Status der vorläufigen Aufnahme (S 14.3.18, Staatspolitische Kommission SR; N 12.6.18)

2018 M 15.3953

Keine Reisen ins Heimatland für vorläufig Aufgenommene (N 1.6.17, Pfister; S 11.6.18)

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

26. August 2020

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Simonetta Sommaruga Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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Übersicht Mit der Vorlage sollen Hürden bei der Integration von vorläufig aufgenommenen Personen in den Arbeitsmarkt durch die Erleichterung des Kantonswechsels abgebaut werden. Zudem sollen Reisen ins Ausland von asylsuchenden, vorläufig aufgenommenen und schutzbedürftigen Personen eingeschränkt und gesetzlich geregelt werden.

Ausgangslage Die Motion 18.3002 «Punktuelle Anpassungen des Status der vorläufigen Aufnahme» der Staatspolitischen Kommission des Ständerates beauftragt den Bundesrat, einen Gesetzesentwurf mit punktuellen Anpassungen beim Status der vorläufigen Aufnahme vorzulegen, um die höchsten Hürden für die Arbeitsmarktintegration für Personen zu beseitigen, die längerfristig in der Schweiz bleiben. Insbesondere sollen eine Änderung der Bezeichnung «vorläufige Aufnahme» sowie Erleichterungen beim Kantonswechsel zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit geprüft werden. Auch die Motion 15.3953 «Keine Reisen ins Heimatland für vorläufig Aufgenommene» von Nationalrat Gerhard Pfister verlangt Anpassungen bei den Regelungen für vorläufig aufgenommene Personen. Demnach sollen die gesetzlichen Grundlagen so angepasst werden, dass Reisen in Heimat- oder Herkunftsstaaten für vorläufig Aufgenommene analog zu den anerkannten Flüchtlingen generell untersagt sind. Folglich betreffen die beiden Motionen dieselbe Personengruppe, weshalb sie gemeinsam mit dieser Vorlage umgesetzt werden sollen.

Inhalt der Vorlage Zur Umsetzung der Motion 18.3002 «Punktuelle Anpassungen des Status der vorläufigen Aufnahme» wird eine neue Regelung vorgeschlagen, wonach ein Kantonswechsel bewilligt werden soll, wenn die vorläufig aufgenommene Person ausserhalb des Wohnkantons erwerbstätig ist oder eine berufliche Grundbildung absolviert.

Voraussetzung dafür ist, dass die Person weder für sich noch ihre Familienangehörigen Sozialhilfe bezieht und das Arbeitsverhältnis seit mindestens zwölf Monaten besteht oder ein Verbleib im Wohnkanton aufgrund des Arbeitsweges oder der Arbeitszeiten nicht zumutbar ist. Eine Änderung der Bezeichnung «vorläufige Aufnahme» hat der Bundesrat geprüft, aus verschiedenen Gründen aber verworfen.

Zur Umsetzung der Motion 15.3953 «Keine Reisen ins Heimatland für vorläufig Aufgenommene» sollen vorläufig aufgenommenen Personen Reisen in deren Heimat- oder Herkunftsstaat untersagt werden, wie dies für
anerkannte Flüchtlinge bereits heute der Fall ist. Eine solche Reise soll nur dann im Einzelfall bewilligt werden können, wenn sie zur Vorbereitung der selbstständigen und definitiven Ausreise und Rückkehr in den Heimat- oder Herkunftsstaat notwendig ist. Dies soll auch für Personen gelten, denen vorübergehender Schutz gewährt wurde.

Neben der eigentlichen Umsetzung der Motion 15.3953 sollen die heutigen Regelungen für Reisen in einen anderen Staat als den Heimat- oder Herkunftsstaat für asylsuchende, vorläufig aufgenommene und schutzbedürftige Personen aus Gründen

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der Rechtssicherheit neu auf Gesetzesstufe verankert werden. Anders als anerkannte Flüchtlinge brauchen vorläufig aufgenommene und schutzbedürftige Personen bereits heute eine Bewilligung für Reisen auch in solche Staaten. Neu wird ein Reiseverbot als Grundsatz festgelegt, bei welchem gestützt auf der heutigen restriktiven Bewilligungspraxis Ausnahmen gelten sollen.

Die Ausnahmen sollen auf Verordnungsstufe geregelt werden. Dabei sollen Reisen von vorläufig aufgenommenen und schutzbedürftigen Personen in andere Staaten als der Heimat- oder Herkunftsstaat aus besonderen persönlichen Gründen, insbesondere auch zu Integrationszwecken, im Einzelfall weiterhin bewilligt werden können. Asylsuchenden Personen soll eine Reise in einen solchen Staat hingegen nur noch dann bewilligt werden können, wenn dies für die Durchführung des Asyl- oder Wegweisungsverfahrens notwendig ist. Dies kann insbesondere für die Vorbereitung der Rückkehr in den Heimat- oder Herkunftsstaat erforderlich sein (z. B. zur Papierbeschaffung auf einer ausländischen Vertretung in einem Nachbarstaat der Schweiz).

Personen, die unerlaubt in den Heimat- oder Herkunftsstaat oder in einen anderen Staat reisen, sollen für diese Verstösse belangt werden können. So soll insbesondere die vorläufige Aufnahme bei einer Heimatreise analog zur Regelung bei Flüchtlingen automatisch erlöschen, wenn die betroffene Person nicht glaubhaft machen kann, dass die Reise aufgrund eines Zwanges erfolgt ist. Kann die Wegweisung der betroffenen Person aufgrund von Vollzugshindernissen dennoch nicht vollzogen werden und wird diese erneut vorläufig aufgenommen, soll die betroffene Person grundsätzlich während zehn Jahren ab der erneuten Erteilung der vorläufigen Aufnahme keine Aufenthaltsbewilligung wegen eines schwerwiegenden persönlichen Härtefalls erhalten. Zudem soll eine unerlaubte Auslandreise neu auch mit Busse bestraft werden.

Weiter sollen die bisher in einer Verordnung enthaltenen Grundsätze für die Ausstellung von Bewilligungen zur Wiedereinreise in Form von Rückreisevisa neu auf Gesetzesstufe geregelt werden.

Die Vorlage hat keine wesentlichen finanziellen und personellen Auswirkungen.

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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Ausgangslage 1.1 Handlungsbedarf und Ziele 1.2 Geprüfte Alternativen und gewählte Lösung 1.3 Verhältnis zur Legislaturplanung und zur Finanzplanung sowie zu Strategien des Bundesrates 1.4 Erledigung parlamentarischer Vorstösse

7462 7462 7465

Vorverfahren, insbesondere Vernehmlassungsverfahren 2.1 Einsetzung einer externen Begleitgruppe 2.2 Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens und weiteres Vorgehen 2.2.1 Generelle Bemerkungen 2.2.2 Wichtigste Ergebnisse zu den Anpassungen des Status der vorläufigen Aufnahme 2.2.3 Wichtigste Ergebnisse zu den Einschränkungen für Reisen ins Ausland 2.3 Zusätzliche Anpassungen nach der Vernehmlassung

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3

Rechtsvergleich, insbesondere mit dem europäischen Recht 3.1 Anpassungen des Status der vorläufigen Aufnahme 3.2 Einschränkungen für Reisen ins Ausland

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4

Grundzüge der Vorlage 4.1 Die beantragte Neuregelung 4.1.1 Anpassungen des Status der vorläufigen Aufnahme 4.1.2 Einschränkungen für Reisen ins Ausland 4.2 Abstimmung von Aufgaben und Finanzen 4.3 Koordinationsbedarf

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Erläuterungen zu einzelnen Artikeln 5.1 Ausländer- und Integrationsgesetz vom 16. Dezember 2005 (AIG) 5.2 Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG)

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6

Auswirkungen 6.1 Auswirkungen auf den Bund 6.2 Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete 6.3 Auswirkungen auf die Volkswirtschaft, die Gesellschaft und die Umwelt

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2

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7

Rechtliche Aspekte 7.1 Verfassungsmässigkeit 7.2 Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz 7.3 Erlassform 7.4 Unterstellung unter die Ausgabenbremse 7.5 Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration (Ausländer- und Integrationsgesetz, AIG) (Einschränkungen für Reisen ins Ausland und Anpassungen des Status der vorläufigen Aufnahme) (Entwurf)

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Botschaft 1

Ausgangslage

1.1

Handlungsbedarf und Ziele

Anpassungen des Status der vorläufigen Aufnahme (Motion 18.3002) Der Bundesrat verabschiedete im Oktober 2016 einen Bericht1, der den Status der vorläufigen Aufnahme einer Prüfung unterzog. Darin stellte er drei Varianten vor, wie der rechtliche Status der vorläufigen Aufnahme2 geändert werden könnte, um den heutigen Rahmenbedingungen besser gerecht zu werden. So ist die Anzahl der vorläufig aufgenommenen Personen nach 2014 stetig gestiegen, seit 2018 hat sich dieser Anstieg jedoch wieder deutlich verlangsamt. Es leben heute 48 779 vorläufig aufgenommene Personen in der Schweiz, davon sind 10 075 vorläufig aufgenommene Flüchtlinge (Stand Ende April 2020). Die Erfahrung zeigt, dass diese Personen sehr oft dauerhaft in der Schweiz verbleiben, da die Gründe, die zur Erteilung einer vorläufigen Aufnahme führten, bestehen bleiben (Bürgerkrieg, Situation von allgemeiner Gewalt usw.). Deshalb ist es wichtig, dass sich die vorläufig Aufgenommenen möglichst rasch in der Schweiz integrieren, insbesondere in den Arbeitsmarkt, um ein finanziell unabhängiges Leben führen zu können. So ist eine nachhaltige Erwerbstätigkeit auch eine der Voraussetzungen, damit später nach einem Aufenthalt von mindestens fünf Jahren eine Aufenthaltsbewilligung (Härtefall) beantragt werden kann. Vorläufig Aufgenommene sind deshalb eine der Zielgruppen der Integrationsagenda Schweiz3, die Bund und Kantone 2018 gemeinsam lanciert haben.

Der Bericht des Bundesrates wurde zuerst von der Staatspolitischen Kommission des Nationalrats (SPK-N) im Januar 2017 zur Kenntnis genommen. Gestützt auf ihre Beratungen und Anhörungen hat die SPK-N im April 2017 eine Motion4 eingereicht.

Die Motion verlangt, dass der Bundesrat einen Gesetzesentwurf vorlegt, der in seinen Eckpunkten den Vorschlägen der Variante 2 des Berichts entspricht. So soll für eine voraussichtlich länger dauernde Schutzgewährung ein neuer Status geschaffen werden, der die Situation der betroffenen Personen insbesondere auf dem Arbeitsmarkt verbessert. Zusätzlich soll für Personen, bei denen ein bloss vorübergehendes Schutzbedürfnis absehbar ist, ein separater Status vorgesehen werden. Die Motion wurde am 12. Juni 2017 vom Nationalrat gutgeheissen.

Der Bericht des Bundesrates sowie die Motion der SPK-N wurden anschliessend in der Staatspolitischen Kommission des Ständerats
(SPK-S) beraten. Die Mehrheit der SPK-S erachtete die Motion der SPK-N als nicht zielführend und reichte daher am 18. Januar 2018 eine eigene Motion 18.3002 «Punktuelle Anpassungen des Status 1

2 3 4

Bericht des Bundesrates vom 12. Okt. 2016 «Vorläufige Aufnahme und Schutzbedürftigkeit: Analyse und Handlungsoptionen». Abrufbar unter: www.sem.admin.ch > Publikationen & Service > Berichte > Allgemeine Berichte.

Zu den Begriffsdefinitionen siehe Bericht vom 12. Okt. 2016, S. 7 f.

Informationen dazu abrufbar unter: www.integrationsagenda.ch Motion SPK-N 17.3270 «Ersatz des Status der vorläufigen Aufnahme».

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der vorläufigen Aufnahme» ein. Demnach soll die heutige vorläufige Aufnahme grundsätzlich beibehalten werden. Der Bundesrat soll jedoch einen Gesetzesentwurf mit punktuellen Anpassungen vorlegen, um die höchsten Hürden für die Arbeitsmarktintegration für Personen zu beseitigen, die längerfristig in der Schweiz verbleiben. Insbesondere sollen dabei eine Änderung der Bezeichnung «vorläufige Aufnahme» sowie Erleichterungen beim Kantonswechsel zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit geprüft werden.

Ein Kantonswechsel wird gemäss den geltenden Bestimmungen nur unter restriktiven Bedingungen bewilligt: Vorläufig aufgenommene Personen werden einem Kanton zugewiesen und sind zur freien Wahl des Wohnorts innerhalb dieses Kantons berechtigt. Die kantonalen Behörden können ihnen jedoch innerhalb des Kantons einen Wohnort oder eine Unterkunft zuweisen, wenn sie Sozialhilfe beziehen und nicht als Flüchtlinge anerkannt wurden (Art. 85 Abs. 5 des Ausländer- und Integrationsgesetzes vom 16. Dez.

20055 [AIG]).

Der Kantonswechsel von vorläufig aufgenommenen Personen richtet sich nach den Bestimmungen über den Kantonswechsel von Asylsuchenden: Gemäss Artikel 21 der Verordnung vom 11. August 19996 über den Vollzug der Weg- und Ausweisung sowie der Landesverweisung von ausländischen Personen (VVWAL) richtet sich der Kantonswechsel nach den Artikeln 21 und 22 der Asylverordnung 1 vom 11. August 19997 über Verfahrensfragen (AsylV 1). Demnach kann das Staatssekretariat für Migration (SEM) einen Kantonswechsel nur bei einer Zustimmung beider Kantone, bei einem Anspruch auf Einheit der Familie oder bei einer schwerwiegenden Gefährdung der vorläufig aufgenommenen Person oder anderer Personen gutheissen.

Die Zustimmung des neuen Kantons wird in der Praxis kaum erteilt, da mit dem Kantonswechsel auch die Sozialhilfezuständigkeit auf den neuen Kanton übergeht.

Über ein Gesuch um Kantonswechsel entscheidet das SEM nach Anhörung der Kantone endgültig. Dieser Entscheid kann nur mit der Begründung angefochten werden, er verletze den Grundsatz der Einheit der Familie (Art. 85 Abs. 3 und 4 AIG).

Am 14. März 2018 nahm der Ständerat die Motion 18.3002 der SPK-S an und lehnte entsprechend die Motion der SPK-N ab. Am 12. Juni 2018 nahm der Nationalrat die Motion 18.3002 der SPK-S ebenfalls an. Mit dieser Vorlage soll nun die Motion
der SPK-S umgesetzt werden.

Einschränkungen für Reisen ins Ausland (Motion 15.3953) Am 24. September 2015 reichte Nationalrat Gerhard Pfister die Motion 15.3953 «Keine Reisen ins Heimatland für vorläufig Aufgenommene» ein. Darin wird der Bundesrat beauftragt, die gesetzlichen Grundlagen so anzupassen, dass für vorläufig Aufgenommene, analog zu den anerkannten Flüchtlingen, Reisen in den Heimatoder Herkunftsstaat generell untersagt werden. In seiner Begründung hält der Motionär fest, es sei nicht nachvollziehbar, dass Personen, die in der Schweiz Schutz 5 6 7

SR 142.20 SR 142.281 SR 142.311

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suchen und von der Schweiz vorläufig aufgenommen werden, in ihr Heimatland zurückreisen könnten. Jegliche Rückreise in den Heimatstaat müsse die sofortige Aufhebung der vorläufigen Aufnahme zur Folge haben. Der Nationalrat hiess die Motion am 1. Juni 2017 gut. Am 11. Juni 2018 stimmte der Ständerat dieser ebenfalls zu.

Vorläufig aufgenommene Personen benötigen bereits nach geltendem Recht für jede Auslandreise eine Bewilligung des SEM in Form eines Reisedokuments (wenn keine gültigen Reisedokumente des Heimat- oder Herkunftsstaates vorhanden sind) oder eines Rückreisevisums (wenn gültige Reisedokumente des Heimat- oder Herkunftsstaates vorhanden sind), da sie im Gegensatz zu anerkannten Flüchtlingen keinen Anspruch auf einen Reiseausweis haben. Die geltende Verordnung vom 14. November 20128 über die Ausstellung von Reisedokumenten für ausländische Personen (RDV) sieht dabei für vorläufig aufgenommene Personen (und für asylsuchende sowie schutzbedürftige Personen) lediglich eingeschränkte Reisegründe vor (Art. 9 RDV). Es handelt sich dabei um humanitäre Gründe, z. B. besonders dringende oder schwerwiegende Fälle, wie Tod oder Krankheit von Familienangehörigen, sowie Schul- oder Sportanlässe im Ausland. Drei Jahre nach Anordnung der vorläufigen Aufnahme sind Auslandreisen auch aus anderen Gründen möglich (z. B. Tourismus, geschäftliche Anlässe oder Familienbesuche), wenn die vorläufig aufgenommene Person in der Schweiz gut integriert ist (Art. 9 Abs. 4 Bst. b RDV). Reisen in den Heimat- oder Herkunftsstaat hingegen werden bereits heute generell nur in Ausnahmefällen bewilligt (Art. 9 Abs. 6 RDV). Jedes Gesuch ist Gegenstand einer Einzelfallprüfung. Werden die ausgestellten Reisedokumente oder Rückreisevisa hinsichtlich des Reisezwecks, des Reiseziels oder der Reisedaten missbraucht, so kann dies zum Erlöschen der vorläufigen Aufnahme oder zur Ablehnung künftiger Reisegesuche der betroffenen Person durch das SEM führen (Art. 84 Abs. 2 AIG; Art. 26 und 26a VVWAL).

Mit der Änderung des AIG vom 14. Dezember 20189 (Verfahrensregelungen und Informationssysteme) hat das Parlament bereits Massnahmen zur Problematik missbräuchlicher Reisen von anerkannten Flüchtlingen in den Heimat- oder Herkunftsstaat ergriffen. Die Problematik von Heimatreisen von anerkannten Flüchtlingen wurde im Rahmen von parlamentarischen
Vorstössen (vgl. Motionen 15.380310 und 15.384411) und in den Medien immer wieder thematisiert. Die entsprechenden Änderungen des AIG traten gestaffelt am 1. Juni 2019 und am 1. April 2020 in Kraft. Sie beinhalten insbesondere eine ausdrückliche Verankerung des bestehenden Verbots von Reisen in den Heimat- oder Herkunftsstaat für anerkannte Flüchtlinge auf Gesetzesstufe (Art. 59c Abs. 1 erster Satz AIG). Weiter besteht neu die gesetzliche Vermutung, dass Flüchtlinge, die in ihren Heimat- oder Herkunftsstaat gereist sind, sich freiwillig unter den Schutz dieses Staates stellen. Das SEM leitet folglich unmittelbar nach der Feststellung einer solchen Reise ein Verfahren zur Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft ein. Die Flüchtlingseigenschaft wird einzig dann 8 9 10 11

SR 143.5 AS 2019 1413 Motion 15.3803 FDP-Liberale Fraktion «Keine unangebrachten Auslandsreisen für in der Schweiz aufgenommene Personen aus dem Asylbereich» vom 7. Sept. 2015.

Motion 15.3844 Fraktion SVP «Keine Auslandsreisen für Asylsuchende und vorläufig Aufgenommene» vom 15. Sept. 2015.

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nicht aberkannt, wenn die betroffene Person glaubhaft macht, dass die Reise in den Heimat- oder Herkunftsstaat aufgrund eines Zwangs erfolgte (vgl. Art. 63 Abs. 1 bis des Asylgesetzes vom 26. Juni 199812 [AsylG]; Umkehr der Beweislast). Besteht der begründete Verdacht, dass das Reiseverbot für den Heimat- oder Herkunftsstaat missachtet werden soll, so kann das SEM für alle Flüchtlinge aus dem betreffenden Heimat- oder Herkunftsstaat ein Reiseverbot für weitere Staaten vorsehen, insbesondere für Nachbarstaaten des Heimat- oder Herkunftsstaats (Art. 59c Abs. 1 zweiter Satz AIG).

Mit dieser Vorlage soll die Motion 15.3953 «Keine Reisen ins Heimatland für vorläufig Aufgenommene» umgesetzt werden. Da die geltenden Regelungen für Reisen in einen anderen Staat als den Heimat- oder Herkunftsstaat für asylsuchende, vorläufig aufgenommene und schutzbedürftige Personen heute lediglich auf Verordnungsstufe festgehalten sind, sollen diese Grundsätze aus Gründen der Rechtssicherheit neu ebenfalls auf Gesetzesstufe verankert werden.

1.2

Geprüfte Alternativen und gewählte Lösung

Änderung der Bezeichnung der vorläufigen Aufnahme Die Motion 18.3002 «Punktuelle Anpassungen des Status der vorläufigen Aufnahme» beauftragt den Bundesrat unter anderem, eine Änderung der Bezeichnung «vorläufige Aufnahme» zu prüfen.

Die Bezeichnung «vorläufige Aufnahme» bringt zum Ausdruck, dass die betroffenen Personen die Schweiz grundsätzlich verlassen müssen. Sie dürfen jedoch vorübergehend in der Schweiz verbleiben, solange der Vollzug der Wegweisung nicht möglich, nicht zumutbar oder nicht zulässig ist. Die grosse Mehrheit dieser Personen verbleibt allerdings dauerhaft in der Schweiz, weil die Gründe für die Anordnung der vorläufigen Aufnahme weiterhin bestehen (z. B. Bürgerkriegssituation im Herkunftsland). Es hat sich gezeigt, dass viele Arbeitgeber zu wenig über diesen Status informiert sind und die Stellensuche für die Betroffenen deswegen erschwert wird.

So gehen manche potenziellen Arbeitgeber davon aus, dass sich diese Personen generell nur für kurze Zeit in der Schweiz aufhalten oder sie grundsätzlich gar nicht erwerbstätig sein dürfen.13 Dies kann zu einer Zurückhaltung der Arbeitgeber füh-

12 13

SR 142.31 Bericht des Bundesrates vom 12. Okt. 2016 «Vorläufige Aufnahme und Schutzbedürftigkeit: Analyse und Handlungsoptionen», Ziff. 2.6.3; abrufbar unter: www.sem.admin.ch > Publikationen & Service > Berichte > Allgemeine Berichte; Studie «Erwerbsbeteiligung von anerkannten Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen auf dem Schweizer Arbeitsmarkt» B,S,S. Volkswirtschaftliche Beratung und KEK-CDC Consultants, April 2014, S. 21 f.; abrufbar unter: www.sem.admin.ch > Publikationen & Service > Berichte > Integration > Thematische Berichte und Studien > Berichte zu vorläufig Aufgenommenen und Flüchtlingen; Bericht der VSAA/VKM-Arbeitsgruppe «Arbeitsmarktintegration von vorläufig Aufgenommenen und anerkannten Flüchtlingen. Analyse und Handlungsempfehlungen» vom 28. November 2014, inklusive Würdigung desselben durch die Vorstände des VSAA und der VKM vom 4. Februar 2015, Ziff. 3.3.2, S. 18; abrufbar unter: www.vsaa.ch > Themen > Ausländerpolitik > Downloads.

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ren, welche die Erreichung des Ziels einer Senkung der Sozialhilfeabhängigkeit schmälert.

Die Bezeichnung für diesen Status, der eine ausländerrechtliche Ersatzmassnahme für einen nicht durchführbaren Vollzug der Wegweisung darstellt, muss die Rechtsstellung der betroffenen Personen korrekt wiedergeben und soll nicht irreführend sein. Die vorläufige Aufnahme ist keine ausländerrechtliche Bewilligung des Aufenthalts in der Schweiz. Die Ausreisepflicht bleibt nämlich bestehen, sie kann jedoch wegen Vollzugshindernissen nicht durchgesetzt werden. Die betroffenen Personen sind somit in der Schweiz vorläufig geduldet, bis die Vollzugshindernisse nicht mehr vorhanden sind. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass zahlreiche vorläufig aufgenommene Personen längerfristig oder sogar dauerhaft in der Schweiz bleiben. Liegt ein persönlicher Härtefall vor, wird ein Gesuch um Erteilung der Aufenthaltsbewilligung nach einem Aufenthalt von fünf Jahren vertieft geprüft, wenn die betroffene Person integriert ist (Art. 30 Abs. 1 Bst. b und Art. 84 Abs. 5 AIG).

Gemäss dem Auftrag der Motion wurde eine Änderung der Bezeichnung geprüft. Es konnte jedoch keine Bezeichnung gefunden werden, die sowohl dem Anliegen einer Verbesserung der Integration in den Arbeitsmarkt als auch der Anforderung an eine klare Umschreibung der Rechtsstellung Rechnung trägt. Eine zusätzliche Schwierigkeit liegt darin, dass eine neue Bezeichnung in allen drei Amtssprachen gleichwertig und verständlich sein muss. Dieses Kriterium stellte sich bei der Prüfung als besonders schwierig heraus.

Zudem hat sich die Bezeichnung «vorläufige Aufnahme» (Ausweis F) im Migrationsrecht etabliert. Eine neutralere Bezeichnung würde die Verständlichkeit und Abgrenzbarkeit der zahlreichen bestehenden ausländer- und asylrechtlichen Anwesenheitsregelungen erschweren und dürfte daher eher zu neuen Missverständnissen als zu einer Vereinfachung führen.

Vor diesem Hintergrund verzichtet der Bundesrat darauf, eine neue Bezeichnung vorzuschlagen. Durch eine verbesserte Information der Arbeitgeber können jedoch die Chancen der Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt gesteigert werden. Dies entspricht im Grundsatz auch den Schlüsselempfehlungen im Bericht «Verbesserung der Integration von Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen in den Arbeitsmarkt» vom Juni 201814. Dazu
sollen zum Beispiel direkt auf den Ausländerausweisen von vorläufig Aufgenommenen Informationen über die Bedingungen für die Arbeitsmarktzulassung aufgedruckt werden (geplant ab Mitte 2021). Zudem werden die bestehenden Massnahmen und Instrumente zur besseren Information der Arbeitgeber laufend überarbeitet und aktualisiert, beispielsweise die Internetseite und die Informationsbroschüre des SEM oder die Informationen im Rahmen der kantonalen Integrationsprogramme. Auch wird die Koordination der Kommunikation im Rahmen der interinstitutionellen Zusammenarbeit mit den Partnern im Staatssekretariat 14

Bericht «Verbesserung der Integration von Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen in den Arbeitsmarkt» des Beauftragten für Flüchtlinge und Wirtschaft, Dr. iur. Eduard Gnesa, vom Juni 2018, Ziffer 4.1. Abrufbar unter www.sem.admin.ch > Publikationen & Service > Berichte > Integration > Thematische Berichte und Studien > Berichte zu vorläufig Aufgenommenen und Flüchtlingen.

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für Wirtschaft, im Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation und im Bundesamt für Sozialversicherungen verstärkt.

Gewählte Lösung für das Vernehmlassungsverfahren Im Vorentwurf (VE) für das Vernehmlassungsverfahren wurde eine neue Regelung vorgeschlagen, wonach ein Kantonswechsel bewilligt werden soll, wenn die vorläufig aufgenommene Person ausserhalb des Wohnkantons erwerbstätig ist oder eine berufliche Grundbildung absolviert. Voraussetzung dafür ist, dass die Person weder für sich noch ihre Familienangehörigen Sozialhilfeleistungen bezieht und das Arbeitsverhältnis seit mindestens zwölf Monaten besteht oder ein Verbleib im Wohnkanton aufgrund des Arbeitsweges oder der Arbeitszeiten nicht zumutbar ist.

Zudem wurde vorgeschlagen, dass vorläufig aufgenommenen, asylsuchenden und schutzbedürftigen Personen Reisen in deren Heimat- oder Herkunftsstaat untersagt werden sollen. Vorläufig aufgenommenen und schutzbedürftigen Personen soll eine solche Reise im Einzelfall nur dann bewilligt werden können, wenn diese zur Vorbereitung der selbstständigen und definitiven Ausreise und Rückkehr in den Heimatoder Herkunftsstaat notwendig ist (Art. 59d VE-AIG). Zusätzlich sollen im AIG neu auch Regelungen für Reisen von asylsuchenden, vorläufig aufgenommenen und schutzbedürftigen Personen in einen anderen Staat als den Heimat- oder Herkunftsstaat verankert werden (Art. 59e VE-AIG). Reisen in diese Staaten sollen grundsätzlich ausgeschlossen sein. Der Bundesrat soll auf Verordnungsstufe festlegen, unter welchen eingeschränkten Voraussetzungen solche Reisen von vorläufig aufgenommenen und schutzbedürftigen Personen ausnahmsweise aus besonderen persönlichen Gründen, insbesondere auch zu Integrationszwecken, im Einzelfall bewilligt werden können. Asylsuchenden Personen soll eine Reise in einen anderen Staat als den Heimat- oder Herkunftsstaat nur noch dann bewilligt werden können, wenn dies für die Durchführung des Asyl- oder Wegweisungsverfahrens notwendig ist (Art. 59e Abs. 2 VE-AIG). Werden Auslandreisen unerlaubt unternommen, sollen die betroffenen Personen sanktioniert werden können. Aus diesem Grund sollen im AIG und im AsylG entsprechende Massnahmen vorgesehen werden. So soll beispielsweise die vorläufige Aufnahme bei einer Heimatreise automatisch erlöschen, wenn die betroffene Person nicht
glaubhaft machen kann, dass die Reise aufgrund eines Zwanges erfolgte, und es soll während drei Jahren keine neue vorläufige Aufnahme mehr angeordnet werden können (Art. 84 Abs. 4 Bst. c VE-AIG i. V. m. Art. 83 Abs. 9bis VE-AIG).15

1.3

Verhältnis zur Legislaturplanung und zur Finanzplanung sowie zu Strategien des Bundesrates

Die Vorlage ist weder in der Botschaft vom 29. Januar 202016 zur Legislaturplanung 2019­2023 noch im Entwurf des Bundesbeschlusses vom 29. Januar 202017 über die 15

16

Die Vernehmlassungsunterlagen (insb. Vorentwurf und erläuternder Bericht) sowie der Vernehmlassungsbericht sind zu finden unter www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2019 > EJPD.

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Legislaturplanung 2019­2023 angekündigt und weist keine Schnittstellen mit den basierend darauf festgelegten Strategien des Bundesrates auf. Die vorliegende Änderung des AIG ist dennoch angezeigt, damit den Aufträgen des Parlaments an den Bundesrat aus den Motionen 18.3002 «Punktuelle Anpassungen des Status der vorläufigen Aufnahme» und 15.3953 «Keine Reisen ins Heimatland für vorläufig Aufgenommene» nachgekommen werden kann.

Die Vorlage ist nicht im Voranschlag 2019 mit IAFP 2020­202218 enthalten und auch nicht unter den möglichen Mehrbelastungen aufgeführt.

1.4

Erledigung parlamentarischer Vorstösse

Der Bundesrat beantragt die Abschreibung der folgenden, noch hängigen Vorstösse: Die Motion 18.3002 «Punktuelle Anpassungen des Status der vorläufigen Aufnahme» der SPK-S und die Motion 15.3953 «Keine Reisen ins Heimatland für vorläufig Aufgenommene» von Nationalrat Gerhard Pfister können abgeschrieben werden; diese verlangen vom Bundesrat, dem Parlament bis Mitte 2020 eine entsprechende Botschaft zu unterbreiten.

2

Vorverfahren, insbesondere Vernehmlassungsverfahren

2.1

Einsetzung einer externen Begleitgruppe

Zur Ausarbeitung der Umsetzungsvorlage zur Motion 18.3002 «Punktuelle Anpassungen des Status der vorläufigen Aufnahme» und der Motion 15.3953 «Keine Reisen ins Heimatland für vorläufig Aufgenommene» wurde eine externe Begleitgruppe eingesetzt. Sie bestand aus Vertreterinnen und Vertretern der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD), der Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren, der Konferenz kantonaler Volkswirtschaftsdirektorinnen und Volkswirtschafsdirektoren, der Konferenz der Kantonsregierungen (vertreten durch die Konferenz der kantonalen, kommunalen und regionalen Integrationsdelegierten [KID]), der Vereinigung der Kantonalen Migrationsbehörden (VKM), des Verbands Schweizerischer Arbeitsmarktbehörden (VSAA) sowie des Schweizerischen Städte- und des Gemeindeverbandes (SSV und SGV). Die verschiedenen Lösungsvarianten wurden mit der Begleitgruppe vor der Durchführung des Vernehmlassungsverfahrens im Rahmen eines Workshops (30. November 2018) eingehend diskutiert, und die Begleitgruppe wurde in die Ausarbeitung der Vorlage im Rahmen einer schriftlichen Konsultation miteinbezogen.

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BBI 2020 1907 www.efv.admin.ch > Finanzberichte > Finanzberichte > Voranschlag mit integriertem.

Aufgaben- und Finanzplan.

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2.2

Ergebnisse des Vernehmlassungsverfahrens und weiteres Vorgehen

2.2.1

Generelle Bemerkungen

Am 21. August 2019 eröffnete der Bundesrat die Vernehmlassung zum Vorentwurf zu dieser Vorlage. Sie dauerte bis zum 22. November 2019.19 Insgesamt sind 68 Stellungnahmen eingegangen.20 Es haben alle Kantone, sieben politische Parteien (BDP, CVP, FDP, GLP, GPS, SP, SVP), das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) sowie 34 weitere interessierte Kreise Stellung genommen. Sechs Vernehmlassungsteilnehmende haben ausdrücklich auf eine Stellungnahme verzichtet.

Da mit dieser Vorlage zwei Motionen umgesetzt werden sollen, die verschiedene Themenbereiche abdecken und folglich auch unterschiedliche Ziele verfolgen, war es für die Vernehmlassungsteilnehmenden teilweise schwierig, sich für oder gegen die gesamte Vorlage auszusprechen. Aus diesem Grund wurden die Rückmeldungen zu den Anpassungen des Status der vorläufigen Aufnahme und zu den Einschränkungen von Auslandreisen separat ausgewertet.

2.2.2

Wichtigste Ergebnisse zu den Anpassungen des Status der vorläufigen Aufnahme

Kantonswechsel von vorläufig Aufgenommenen (Art. 85b VE-AIG) Die allermeisten Vernehmlassungsteilnehmenden begrüssen grundsätzlich eine Erleichterung des Kantonswechsels bei Erwerbstätigkeit. Bei der Ausgestaltung werden aber von vielen Vernehmlassungsteilnehmenden unterschiedliche Forderungen und Anliegen vorgebracht.21 Die SVP sowie einige Kantone (BS, GL, SO, UR, ZG) lehnen eine Änderung der bestehenden restriktiven Regelung des Kantonswechsels ab. Nach Meinung dieser Kantone soll der Zuweisungskanton (gemäss Verteilschlüssel im Asylbereich) bis zum Erhalt einer Aufenthaltsbewilligung zuständig bleiben; unter anderem müssen damit bereits begonnene Integrationsmassnahmen nicht abgebrochen werden.

Bei den Befürwortern der vorgeschlagenen neuen Bestimmung gehen die Forderungen und Anliegen in zwei unterschiedliche Richtungen: Gemäss vielen weiteren interessierten Kreisen, einigen Dachverbänden sowie der SP soll die Regelung weniger restriktiv ausgestaltet werden (insbesondere bei der Bedingung der Unabhängigkeit von Sozialhilfeleistungen); gemäss FR, LU und SG soll auf den Rechtsanspruch auf einen Kantonswechsel verzichtet werden. FR will die Entscheidungskompetenz für einen Kantonswechsel der kantonalen Behörde zuteilen. GE beantragt, die Anhörung des betroffenen Kantons bei einem Gesuch um Kantons19

20 21

Die Vernehmlassungsunterlagen (insb. Vorentwurf und erläuternder Bericht) sowie der Vernehmlassungsbericht sind zu finden unter www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2019 > EJPD.

Der Ergebnisbericht ist zu finden unter www.admin.ch > Bundesrecht > Vernehmlassungen > Abgeschlossene Vernehmlassungen > 2019 > EJPD.

Detailliertere Auswertung siehe Ergebnisbericht Ziff. 5.2.

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wechsel gesetzlich zu verankern; ansonsten solle in jedem Fall eine Beschäftigungsdauer von mindestens zwölf Monaten vorausgesetzt werden. TI möchte, dass den Kantonen die Möglichkeit bleibt, einen Kantonswechsel direkt beim SEM anzufechten.

Haltung Bundesrat Da eine grosse Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden die im Vorentwurf vorgeschlagenen Änderungen zum Kantonswechsel grundsätzlich begrüsst, werden diese unverändert beibehalten. Die geforderten Änderungen bei den Voraussetzungen gehen in unterschiedliche Richtungen. Einerseits sollen sie restriktiver ausgestaltet und andererseits gelockert werden. Die Vorlage kann vor diesem Hintergrund als guter Kompromiss bezeichnet werden.

Kantonswechsel von vorläufig aufgenommenen Flüchtlingen (Art. 85b Abs. 5 VE-AIG) SH, SO und die VKM befürworten die neue Regelung für vorläufig aufgenommene Flüchtlinge ausdrücklich. Diese sieht vor, dass ein Anspruch auf Kantonswechsel besteht, wenn sie nicht arbeitslos sind und keine Widerrufsgründe (z. B. längerfristige Freiheitsstrafe) vorliegen (gleiche Regelung wie für Personen mit Aufenthaltsbewilligung gemäss Art. 37 Abs. 2 AIG). Mehrere Organisationen der weiteren interessierten Kreise (z. B. Schweizerische Flüchtlingshilfe [SFH], Schweizerisches Rotes Kreuz [SRK], UNHCR) lehnen diese Änderung jedoch ab, da sie gegen die Genfer Flüchtlingskonvention22 (FK) verstosse. Das BVGer weist darauf hin, dass diese Regelung nicht seiner bisherigen Rechtsprechung entspreche (vgl. BVGE 2012/2 E. 5; gleiche Regelung wie für Personen mit Niederlassungsbewilligung gemäss Art. 37 Abs. 3 AIG).

Haltung Bundesrat Die Bewegungsfreiheit von Flüchtlingen innerhalb des Aufnahmestaats muss gemäss Artikel 26 FK der Regelung entsprechen, die «unter den gleichen Umständen für Ausländer im Allgemeinen» gilt. In der Flüchtlingskonvention bedeutet der Ausdruck «unter den gleichen Umständen», dass «eine Person alle Bedingungen (vor allem diejenigen über Dauer und Voraussetzungen von Aufenthalt und Niederlassung) zur Ausübung eines Rechts erfüllen muss, gleich wie wenn sie nicht Flüchtling wäre» (Art. 6 FK). Die Praxis des BVGer, wonach anerkannte Flüchtlinge (auch vorläufig aufgenommene Flüchtlinge) den Personen mit Niederlassungsbewilligung gleichzustellen sind, überzeugt nicht. Eine vorläufige Aufnahme kann bezüglich der Aufenthaltsdauer
und der damit verbundenen Rechte nicht mit der Niederlassungsbewilligung verglichen werden. Eine Gleichstellung mit Personen mit Aufenthaltsbewilligung gemäss Vernehmlassungsentwurf ist eine korrekte Auslegung. Anders ist die Situation beispielsweise bei der Gewährung von Sozialhilfe, hier sieht Artikel 23 FK ausdrücklich eine Gleichstellung mit Einheimischen vor.

22

Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, SR 0.142.30

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Verzicht auf eine Änderung der Bezeichnung «vorläufige Aufnahme» Die überwiegende Mehrheit der Kantone23, die BDP, die FDP und die SVP, der Schweizerische Gewerbeverband (sgv/usam), der SGV, der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) sowie die KKJPD begrüssen den Verzicht auf eine neue Bezeichnung. Für sie ist es jedoch wichtig, dass die (potenziellen) Arbeitgeber durch den Bund ­ in Zusammenarbeit mit den Arbeitgeberverbänden ­ weiterhin bzw.

noch besser über die Rechtswirkungen der vorläufigen Aufnahme informiert werden. FR und SG bedauern, dass es nicht gelungen sei, eine passendere Bezeichnung zu finden, und NE, VD und ZH äussern ihr Unverständnis darüber. Auch die SP, die CVP, die GLP und die GPS, der SSV, Travail.Suisse, die KID sowie weitere interessierte Kreise24 fordern eine Änderung der Bezeichnung. Bei den wenigen konkreten Vorschlägen handelt es sich um bereits geprüfte und verworfene Bezeichnungen wie «Schutzgewährung» oder «humanitäre Aufnahme». Die Vorschläge waren zudem unterschiedlich, es ergab sich kein Vorschlag, der von einer Mehrheit der Vernehmlassenden unterstützt wird (siehe Ergebnisbericht Ziff. 5.1).

Haltung Bundesrat Die Zahl der Befürworter und Gegner einer neuen Bezeichnung ist etwa ausgeglichen. Nach wie vor liegt kein Vorschlag für eine geeignetere Bezeichnung vor. Die von einigen Vernehmlassungsteilnehmenden vorgeschlagenen Bezeichnungen entsprechen nicht den Anforderungen an eine neue Bezeichnung, da sie mit einem anderen Status verwechselt werden könnten, rechtlich nicht korrekt sind oder nicht in alle Amtssprachen gleichwertig übersetzt werden können. Der Vorschlag «Schutzgewährung» wäre dem vorübergehenden Schutz nach den Artikeln 66­79a AsylG und dem subsidiären Schutz der EU (siehe Ziff. 3) zu ähnlich. Dadurch bestünde eine Verwechslungsgefahr. Die Bezeichnung «humanitäre Aufnahme» wäre für die Gründe der Unmöglichkeit und der Unzulässigkeit des Wegweisungsvollzugs bei einer Anordnung einer vorläufigen Aufnahme rechtlich nicht korrekt.

Zudem ist es fraglich, ob die Bezeichnung «humanitär» für die Arbeitgeber aussagekräftiger ist als die bestehende Bezeichnung. Schwierigkeiten mit einer gleichwertigen Übersetzung in alle Amtssprachen bieten beispielsweise «admission de résidence» oder «protection secondaire». Deshalb soll weiterhin an der bestehenden Bezeichnung festgehalten werden. Dem Anliegen einer verstärkten Information der Arbeitgeber soll jedoch entsprochen werden (siehe Ziff. 1.2).

23 24

AG, AI, AR, BE, BL, BS, GE, GL, GR, JU, LU, NW, OW, SH, SO, SZ, TG, TI, UR, VS, ZG.

Amnesty International (AICH), AsyLex, Caritas, Centre Social Protestant (CSP), Eidgenössische Migrationskommission (EKM), elisa-asile, Freiplatzaktion Zürich (FPA), Hilfswerk der Evangelischen Kirchen der Schweiz (HEKS), Monitoring- und Anlaufstelle für vorläufig aufgenommene Personen (map-F), Schweizerisches Arbeiterhilfswerk (SAH), Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht (SBAA), Schweizerischer Evangelischer Kirchenbund (SEK), SFH, Schweizerisches Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien (SFM), der Universität Neuenburg, solinetz, SRK, UNHCR, voCHabular.

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Familiennachzug (Art. 85c VE-AIG) Die Bestimmung zum Familiennachzug von vorläufig Aufgenommenen soll zwar inhaltlich nicht geändert, aber aus systematischen Gründen in einen eigenen Artikel überführt werden (Art. 85c VE-AIG). Mehrere weitere interessierte Kreise25 und die SP kritisieren dennoch, dass keine Erleichterungen beim Familiennachzug vorgesehen sind, insbesondere keine Herabsetzung der Nachzugsfrist von drei Jahren oder keine Lockerung der Kriterien, wonach weder Sozialhilfeleistungen noch Ergänzungsleistungen bezogen werden dürfen.

Haltung Bundesrat Gemäss dem Wortlaut der Motion 18.3002 «Punktuelle Anpassungen des Status der vorläufigen Aufnahme» sollen nur Massnahmen vorgeschlagen werden, die dem Abbau der höchsten Hürden bei der Arbeitsmarktintegration dienen. Nach der Auffassung des Bundesrates soll der Familiennachzug im Hinblick auf den besonderen Status der vorläufigen Aufnahme zudem weiterhin zurückhaltend mit einer Wartefrist geregelt werden. Das Kriterium der wirtschaftlichen Selbstständigkeit kommt auch beim Familiennachzug von Drittstaatsangehörigen mit einer Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung zur Anwendung, eine Ausnahme für vorläufig Aufgenommene ist nicht gerechtfertigt. Aus diesen Gründen soll auf eine Änderung beim Familiennachzug verzichtet werden.

2.2.3

Wichtigste Ergebnisse zu den Einschränkungen für Reisen ins Ausland

Einschränkungen für Reisen in den Heimat- oder Herkunftsstaat oder in andere Staaten (Art. 59d und 59e VE-AIG) Die Vorschläge zur Einschränkung von Auslandreisen (Heimat- oder Herkunftsstaat oder andere Staaten, vgl. Art. 59d und Art. 59e VE-AIG) werden von einer überwiegenden Mehrheit der Kantone sowie der KKJPD, BDP, CVP, FDP und SVP, dem SGV und sgv/usam grundsätzlich begrüsst und als sinnvoll erachtet.26 Die Befürworter fordern jedoch insbesondere, dass eine aktive Teilnahme an bestimmten Anlässen in einem anderen Staat als dem Heimat- oder Herkunftsstaat (z. B. Sportund Kulturanlässe, familiäre Anlässe oder Schul- und Ausbildungsreisen) auch künftig möglich sein soll (Art. 59e VE-AIG).27 Grundsätzlich ablehnend zu den vorgeschlagenen Regelungen zur Einschränkung von Auslandreisen äussern sich GPS, SP, SGB, SSV und Travail.Suisse sowie die überwiegende Mehrheit der weiteren interessierten Kreise (z. B. Caritas, HEKS,

25

26 27

AICH, Avenir Social ­ Berufsverband Soziale Arbeit Schweiz, Caritas, CSP, Demokratische Juristinnen und Juristen der Schweiz (DJS), elisa-asile, EKM, FPA, grundrechte.ch, HEKS, SAH, SEK, SFH, SGB, Gehörlosenbund (SGB-FSS), Solidarité sans frontières (Sosf), SRK.

Vernehmlassungsbericht Ziff. 4.2 Zum Beispiel AG, BS, GL, JU, SO, UR, ZH, FDP, KKJPD (vgl. auch Vernehmlassungsbericht Ziff. 5.5).

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UNHCR).28 Diese erachten die vorgeschlagenen Einschränkungen für Reisen ins Ausland als nicht notwendig, da solche Reisen bereits heute nur ausnahmsweise bewilligt würden.29 Zudem seien diese Vorschläge verfassungs- und völkerrechtswidrig, da damit insbesondere die Bewegungsfreiheit sowie das Recht auf Familienleben der betroffenen Personen eingeschränkt würden.30 Darüber hinaus würden die Einschränkungen deutlich über die vom Parlament geforderten Änderungen hinausgehen.31 Zudem würden Reise-einschränkungen für andere Staaten als den Heimatoder Herkunftsstaat die Integration der Betroffenen erschweren, wenn beispielsweise die Teilnahme an Schulreisen oder Familienbesuche im Ausland nicht mehr möglich wären.32 In Zusammenhang mit den Einschränkungen für Reisen in den Heimatoder Herkunftsstaat (Art. 59d VE-AIG) wird zusätzlich auch kritisiert, dass der Status der vorläufigen Aufnahme oft nicht, wie bei Flüchtlingen, auf einer individuellen Verfolgung im Heimat- oder Herkunftsstaat, sondern auf einer allgemeinen Gefährdungslage beruhe. Daher seien vorläufig aufgenommene Personen in ihrem Heimatland nicht unmittelbar gefährdet.33 Haltung Bundesrat Zu den Einschränkungen für Reisen in den Heimat- oder Herkunftsstaat (Art. 59d VE-AIG): Der Bundesrat wurde durch die Motion 15.3953 «Keine Reisen ins Heimatland für vorläufig Aufgenommene» beauftragt, die gesetzlichen Grundlagen so anzupassen, dass Reisen in den Heimat- oder Herkunftsstaat für vorläufig aufgenommene Personen generell untersagt werden. Bereits heute werden vorläufig Aufgenommenen Reisen in den Heimat- oder Herkunftsstaat nur in Ausnahmefällen bewilligt, insbesondere bei schwerer Krankheit oder Tod naher Familienangehöriger. Dabei ist jedes Gesuch Gegenstand einer Einzelfallprüfung. Damit der Bundesrat dem Anliegen der Motion Rechnung tragen kann, soll die heutige Regelung weiter eingeschränkt werden, indem ein grundsätzliches Verbot für Reisen in den Heimat- oder Herkunftsstaat vorgesehen wird (Art. 59d E-AIG). Dem Verhältnismässigkeitsprinzip soll dadurch Rechnung getragen werden, dass eine vorläufige Aufnahme bei einer unerlaubten Reise in den Heimat- oder Herkunftsstaat nur dann erlöschen soll, wenn diese nicht aufgrund eines Zwangs erfolgte (Art. 84 Abs. 4 Bst. c E-AIG).

Bei asylsuchenden und schutzbedürftigen Personen handelt es sich
um Personen, welche die Schweiz um Schutz ersucht haben und bei einer Rückkehr in den Heimat- oder Herkunftsstaat einer asylrechtlich relevanten Verfolgung ausgesetzt sein könnten. Daher erachtet es der Bundesrat als angezeigt, ein solches Reiseverbot auch 28 29 30 31 32

33

Vernehmlassungsbericht Ziff. 4.2 Zum Beispiel GPS, SP, Travail.Suisse, AICH, AsyLex, Caritas, SFH (vgl. auch Vernehmlassungsbericht Ziff. 5.4 und 5.5).

Zum Beispiel GPS, SP, SGB, Travail.Suisse, AICH, AvenirSocial, DJS, grundrechte.ch, SFH, Sosf, SRK (vgl. auch Vernehmlassungsbericht Ziff. 5.4 und 5.5).

Zum Beispiel HEKS, SAH, SFH, SRK (vgl. auch Vernehmlassungsbericht Ziff. 5.4 und 5.5).

Zum Beispiel SP, SSV, Travail.Suisse, AICH, AsyLex, elisa-asyle, HEKS, KID, map-F, SAH, SFM, Solinetz, SRK, UNHCR, voCHabular (vgl. auch Vernehmlassungsbericht Ziff. 5.4 und 5.5).

Zum Beispiel AvenirSocial, CSP, DJS, elisa-asile, FPA, grundrechte.ch, SGB, Sosf (vgl. auch Vernehmlassungsbericht Ziff. 5.4).

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für diese Personenkategorien vorzusehen. Aus Gründen der Verhältnismässigkeit soll jedoch auch bei schutzbedürftigen Personen der vorübergehende Schutz bei einer Reise in den Heimat- oder Herkunftsstaat nicht erlöschen, wenn die Reise aufgrund eines Zwangs erfolgte (Art. 79 Bst. e E-AsylG). Asylsuchende Personen hingegen befinden sich noch in einem hängigen Verfahren und haben damit noch keinen Schutz der Schweiz erhalten. Reist eine asylsuchende Person in den Heimatoder Herkunftsstaat, wird ihr Asylgesuch in der Regel abgeschrieben (Art. 8 Abs. 3bis AsylG). Kehrt sie während des laufenden Asylverfahrens wieder in die Schweiz zurück, kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass sie den Schutz der Schweiz nicht benötigt, und ihr Asylgesuch wird in der Regel abgelehnt.

Vor diesem Hintergrund hält der Bundesrat an der im Vorentwurf vorgeschlagenen Regelung fest.

Zu den Einschränkungen für Reisen in andere Staaten (Art. 59e VE-AIG): Der Bundesrat ist sich bewusst, dass bereits nach geltendem Recht asylsuchenden, vorläufig aufgenommenen und schutzbedürftigen Personen eine Reise ins Ausland nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen bewilligt wird. Da die konkreten Voraussetzungen für Auslandreisen heute jedoch lediglich auf Verordnungsstufe festgehalten sind, erachtet es der Bundesrat aus Gründen der Rechtssicherheit als angezeigt, in Ergänzung zur Regelung zu den Reisen in den Heimat- oder Herkunftsstaat (Art. 59d E-AIG) auch eine gesetzliche Grundlage für die übrigen Auslandreisen zu schaffen.

Der Bundesrat teilt jedoch die Auffassung gewisser Vernehmlassungsteilnehmenden, dass Reisen ins Ausland für vorläufig aufgenommene und schutzbedürftige Personen unter gewissen Voraussetzungen auch künftig bewilligt werden sollen.

Dies gilt, wenn besondere persönliche Gründe vorliegen, so beispielsweise beim Tod oder bei einer Krankheit von Familienangehörigen oder bei Reisen, die der Integration dienen, wie Schul- oder Ausbildungsreisen oder Reisen aus beruflichen Gründen im grenznahen Ausland. Der Bundesrat wird diese besonderen persönlichen Gründe auf Verordnungsstufe näher konkretisieren. Um die verfassungs- und völkerrechtlich garantierten Rechte der einzelnen Personen (z. B. Recht auf Familienleben und Bewegungsfreiheit) weiterhin vollumfänglich sicherzustellen, wird wie bis anhin auch mit dieser
neuen Regelung jedes Gesuch für eine Auslandreise einer genauen Einzelfallprüfung unterzogen. Damit kann auch dem Verhältnismässigkeitsprinzip Rechnung getragen werden. Zudem können vorläufig aufgenommene Personen nach einem Aufenthalt von mehr als fünf Jahren in der Schweiz grundsätzlich ein Gesuch um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung einreichen (Art. 84 Abs. 5 AIG). Wird diese erteilt, sind Reisen ins Ausland mit heimatlichen Reisedokumenten oder einem Pass für ausländische Personen ohne zusätzliches Rückreisevisum möglich. Dies gilt auch für schutzbedürftige Personen, die fünf Jahre nach der Gewährung des vorübergehenden Schutzes eine Aufenthaltsbewilligung erhalten (Art. 74 Abs. 2 AsylG).

Eine Erweiterung der Möglichkeiten von Auslandreisen für asylsuchende Personen lehnt der Bundesrat hingegen ab. Diese befinden sich in einem laufenden Verfahren; sie müssen den Behörden während ihres Asylverfahrens zur Verfügung stehen.

Auslandreisen von Asylsuchenden würden einer effizienten Durchführung der 7474

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Asylverfahren sowie den am 1. März 2019 in Kraft getretenen beschleunigten Asylverfahren klar entgegenstehen. Ausgenommen davon sollen lediglich Reisen sein, die zur Durchführung des Asylverfahrens notwendig sind.

Folglich erachtet es der Bundesrat als nicht notwendig, die Regelungen von Artikel 59e VE-AIG anzupassen.

Sanktionsmassnahmen bei unerlaubten Reisen ins Ausland (Art. 83 Abs. 9 bis und 9ter, 120 Abs. 1 Bst. h und 122d VE-AIG, Art. 79 Bst. e VE-AsylG) Die vorgeschlagenen Regelungen im AIG bei Verstössen gegen die Einschränkungen von Auslandreisen werden von der überwiegenden Mehrheit der Kantone, von der KKJPD, BDP, CVP, FDP und SVP sowie dem SGV und dem sgv/usam grundsätzlich befürwortet.34 Eine überwiegende Mehrheit der Kantone lehnt aber die Regelung, dass eine vorläufige Aufnahme bei einer Heimatreise grundsätzlich automatisch erlöschen und während drei Jahren keine neue mehr angeordnet werden soll, ausdrücklich ab (Art. 83 Abs. 9bis VE-AIG). Eine solche Regelung führe dazu, dass die betroffenen Personen ohne ausländerrechtlichen Status in der Schweiz verbleiben, allfällige Integrationsmassnahmen beendet würden und eine allenfalls aufgenommene Erwerbstätigkeit aufgegeben werden müsste. Durch das Erlöschen der vorläufigen Aufnahme würden die betroffenen Personen folglich in die Nothilfestrukturen der Kantone fallen. Dabei reiche die vom Bund ausgerichtete Nothilfepauschale nicht aus, um die anfallenden Kosten für die Kantone zu decken. Als Alternative wird daher teilweise vorgeschlagen, für vorläufig aufgenommene Personen, die unerlaubt in den Heimat- oder Herkunftsstaat gereist sind, die heutige Frist für eine mögliche Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung beispielsweise um fünf Jahre zu verlängern.35 Grundsätzlich ablehnend zu den im Vorentwurf vorgeschlagenen Sanktionsmassnahmen bei unerlaubten Reisen ins Ausland äussern sich GPS, SP, SGB, SSV, Travail.Suisse sowie die überwiegende Mehrheit der weiteren interessierten Kreise (z. B. AICH, Caritas, SFH).36 Insbesondere wird auch kritisiert, dass das Nichtanordnen einer vorläufigen Aufnahme während drei Jahren sowohl aus Sicht der Betroffenen als auch aus Sicht der Schweiz höchst problematisch sei (Art. 83 Abs. 9bis VE-AIG).37 Auch die Bestrafung mit Busse bei einer unerlaubten Auslandreise sei nicht notwendig (Art. 120 Abs. 1 Bst. h
VE-AIG), da bereits nach geltendem Recht Massnahmen für eine illegale Einreise in die Schweiz vorgesehen seien (Art. 115 AIG).38 Abgelehnt wird auch die Regelung, wonach bei unerlaubten Reisen in einen anderen Staat als den Heimat- oder Herkunftsstaat die Ausstellung eines Reisedokuments oder die Erteilung eines Rückreisevisums verweigert werden

34 35 36 37 38

Vernehmlassungsbericht Ziff. 4.2 Vernehmlassungsbericht Ziff. 5.6.2 Vernehmlassungsbericht Ziff. 4.2 Zum Beispiel AICH, Caritas, HEKS, SAH, SFH, SRK (vgl. auch Vernehmlassungsbericht Ziff. 5.6.2).

Zum Beispiel AICH, Caritas, FPA, HEKS, SAH, SFH, SRK, UNHCR (vgl. auch Vernehmlassungsbericht Ziff. 5.6.3).

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kann (Art. 122d VE-AIG). Diese Regelung sei aufgrund des Ermessens des SEM nicht genügend transparent und werfe bezüglich der Rechtssicherheit Fragen auf. 39 Die Regelung, wonach der vorübergehende Schutz bei einer unerlaubten Reise in den Heimat- oder Herkunftsstaat erlöschen soll (Art. 79 Bst. e VE-AsylG), wird von BE, BDP, CVP, FDP, SVP und sgv/usam grundsätzlich begrüsst. Ablehnend hierzu äussern sich GPS und NW. Die überwiegende Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden äusserte sich nicht zur entsprechenden Bestimmung.40 Haltung Bundesrat Zum Nichtanordnen einer vorläufigen Aufnahme bei einer unerlaubten Heimatreise während drei Jahren (Art. 83 Abs. 9bis und 9ter VE-AIG): Ziel der im Vorentwurf vorgeschlagenen Regelung war es, eine Massnahme vorzusehen, die den Anreiz mindert, in den Heimat- oder Herkunftsstaat zu reisen. Der Bundesrat hat jedoch Verständnis für die Befürchtungen der Kantone, wonach die von dieser Regelung betroffenen Personen die Nothilfestrukturen der Kantone belasten könnten. Einzelne Kantone sowie die KKJPD schlagen alternativ vor, dass bei einer unerlaubten Reise in den Heimat- oder Herkunftsstaat die Frist für die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung wegen eines schwerwiegenden persönlichen Härtefalls verlängert wird. Der Bundesrat erachtet diese Lösung als sinnvoll und effektiv. Er schlägt deshalb vor, die Regelungen von Artikel 83 Absatz 9 bis und 9ter VE-AIG nicht weiter zu verfolgen und eine neue Regelung im Sinne des Vorschlages der Kantone und der KKJPD vorzusehen. Der Bundesrat ist allerdings der Auffassung, dass die entsprechende Regelung nur dann tatsächlich Wirkung auf alle vorläufig aufgenommenen Personen entfalten kann, wenn ein Ausschluss für zehn anstatt für fünf Jahre (Vorschlag Kantone und KKJPD) vorgesehen wird. Dies insbesondere mit Blick auf vorläufig aufgenommene Personen, die sich erst seit Kurzem in der Schweiz aufhalten. In einem solchen Fall hätte ein Ausschluss der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung für fünf Jahre relativ geringe Auswirkungen, da vorläufig aufgenommene Personen bereits heute erst nach einem fünfjährigen Aufenthalt in der Schweiz eine Aufenthaltsbewilligung wegen eines schwerwiegenden persönlichen Härtefalls beantragen können (Art. 84 Abs. 5 AIG; vgl. Ziff. 5; Kommentar zu Art. 84a Abs. 2 E-AIG).

Die entsprechende Massnahme
soll auch auf asylsuchende und schutzbedürftige Personen Anwendung finden (Art. 84a Abs. 3 E-AIG). Zudem sollen asylsuchende Personen, deren Asylverfahren im Anschluss an eine Reise in den Heimatoder Herkunftsstaat wieder aufgenommen wird und die in der Folge als Flüchtling anerkannt werden, von der Asylgewährung ausgeschlossen werden (Art. 53 Bst. d E-AsylG).

Zur Anordnung einer Busse (Art. 120 Abs. 1 Bst. h VE-AIG): Gemäss geltendem Recht kann eine Person mit Busse bestraft werden, wenn sie die Einreisevorschriften nach dem AIG verletzt hat (vgl. Art. 115 Abs. 1 Bst. a AIG 39 40

Zum Beispiel AICH, Caritas, SAH, SRK, UNHCR (vgl. auch Vernehmlassungsbericht Ziff. 5.6.4).

Vernehmlassungsbericht Ziff. 5.8

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i. V. m. Art. 5 AIG). Dies ist unter anderem dann der Fall, wenn die Betroffenen nicht über ein für den Grenzübertritt anerkanntes Ausweispapier und, sofern erforderlich, nicht über ein Visum verfügen (Art. 5 Abs. 1 Bst. a AIG). Trotz dieser geltenden Regelung erachtet es der Bundesrat als zielführend, im AIG zusätzlich eine explizite Regelung zur Bestrafung von unerlaubten Auslandreisen mit Busse vorzusehen. Damit soll eine weitere konkrete Massnahme vorgesehen werden, um den Anreiz für unerlaubte Auslandreisen zu vermindern. Hinzu kommt, dass die geltende Regelung von Artikel 115 AIG nicht auf asylsuchende Personen Anwendung findet. Die vorgeschlagene Massnahme hingegen soll für vorläufig aufgenommene, schutzbedürftige wie auch asylsuchende Personen gelten. Aus diesen Gründen ist der Bundesrat der Ansicht, dass die vorgeschlagene Bestrafung mit Busse beibehalten werden soll.

Zur Verweigerung von Reisedokumenten und Rückreisevisa (Art. 122d VE-AIG): Der Bundesrat ist der Auffassung, dass dem SEM bei der Verweigerung von Reisedokumenten und Rückreisevisa ein gewisser Ermessensspielraum zustehen muss.

Nur so kann dem Einzelfall und damit auch dem verfassungs- und völkerrechtlich verankerten Prinzip der Verhältnismässigkeit angemessen Rechnung getragen werden. So ist es beispielsweise sinnvoll, wenn eine Person, die zwar unerlaubt ins Ausland gereist ist, dennoch nach Deutschland reisen kann, wenn dies aus Ausbildungsgründen notwendig ist. Das SEM ist stets verpflichtet, das Ermessen vollumfänglich verfassungs- und völkerrechtskonform auszuüben. Vor diesem Hintergrund hält der Bundesrat an der im Vorentwurf vorgeschlagenen Regelung fest.

Verankerung der Erlöschensgründe der vorläufigen Aufnahme (Art. 84 Abs. 4 VE-AIG) Die explizite Verankerung der bisherigen Erlöschensgründe der vorläufigen Aufnahme im AIG wird von der überwiegenden Mehrheit der Vernehmlassungsteilnehmenden grundsätzlich gutgeheissen (Art. 84 Abs. 4 und 4 bis VE-AIG).41 Mehrere Teilnehmende lehnen jedoch das Erlöschen der vorläufigen Aufnahme bei einer unerlaubten Reise in den Heimat- oder Herkunftsstaat ab. Diese Ablehnung gilt insbesondere in Zusammenhang mit der Regelung, wonach während drei Jahren nach dem Erlöschen der vorläufigen Aufnahme aufgrund einer Heimatreise keine neue vorläufige Aufnahme mehr angeordnet werden kann
(Art. 84 Abs. 4 Bst. c VE-AIG).42 Zudem wird vereinzelt auch der Erlöschensgrund eines unerlaubten Aufenthalts von mehr als zwei Monaten in einem anderen Staat als dem Heimatoder Herkunftsstaat abgelehnt (Art. 84 Abs. 4 Bst. d VE-AIG).43 Insgesamt ablehnend äussern sich GLP, EKM und FPA. Es wird betont, dass auf detaillierte Regelungen im AIG im Sinne einer effizienten Rechtsanwendung zu verzichten sei (GLP). Zudem führe diese neue Regelung dazu, dass eine Verletzung

41 42 43

Vgl. Vernehmlassungsbericht Ziff. 5.6.1 Zum Beispiel 11 Kantone, GPS, SP, KKJPD, VKM sowie die Mehrheit der weiteren interessierten Kreise (vgl. auch Vernehmlassungsbericht Ziff. 5.6.1).

Zum Beispiel AG, GPS, SP, CSP, HEKS, SBAA (vgl. auch Vernehmlassungsbericht Ziff. 5.6.1).

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der Reisevorschriften künftig in jedem Fall zum Erlöschen der vorläufigen Aufnahme führen würde, was der bisherigen Praxis des BVGer widerspreche (EKM).

Haltung Bundesrat Der Bundesrat erachtet es als sinnvoll, an den heute bestehenden Erlöschensgründen festzuhalten, da sich diese in der Praxis bewährt haben (vgl. Art. 84 Abs. 4 AIG i. V. m. Art. 26a VVWAL). So können bereits heute Reisen in den Heimat- oder Herkunftsstaat ohne gültiges Rückreisevisum oder ohne gültigen Pass zum Erlöschen der vorläufigen Aufnahme führen (vgl. Art. 84 Abs. 4 AIG i. V. m. Art. 26a Bst. d VVWAL). Aufgrund der unerlaubten Heimatreise wird davon ausgegangen, dass die betroffene Person den Schutz der Schweiz nicht mehr länger benötigt. Mit dem Erlöschen der vorläufigen Aufnahme wird auch die zugrundeliegende Wegweisungsverfügung aufgehoben. Liegen jedoch weiterhin Vollzugshindernisse für die Wegweisung vor, können die für den Vollzug der Wegweisung zuständigen kantonalen Behörden beim SEM die Anordnung einer neuen vorläufigen Aufnahme beantragen (vgl. Art. 83 Abs. 6 AIG).

Da neu die Regelungen für Auslandreisen für asylsuchende, vorläufig aufgenommene und schutzbedürftige Personen auf Gesetzesstufe verankert werden sollen (vgl.

Art. 59d und 59e E-AIG), ist der Bundesrat der Auffassung, dass aus Gründen der Transparenz auch die Regelungen bei Verstössen gegen diese Vorschriften im Gesetz verankert werden sollen. Um eine angemessene Rechtssicherheit gewährleisten zu können, sind folglich auch die übrigen geltenden Erlöschensgründe, die heute teilweise lediglich auf Verordnungsstufe konkretisiert werden (vgl. Art. 84 Abs. 4 AIG i. V. m. Art. 26a VVWAL), einheitlich im AIG zu verankern.

2.3

Zusätzliche Anpassungen nach der Vernehmlassung

Gemäss geltendem Recht erlischt die vorläufige Aufnahme mit der definitiven Ausreise sowie bei einem nicht bewilligten Auslandaufenthalt von mehr als zwei Monaten. Als definitive Ausreise gilt dabei insbesondere die Einreichung eines Asylgesuchs in einem anderen Staat (Art. 84 Abs. 4 AIG i. V. m. Art. 26a Bst. a VVWAL). Mit dieser Vorlage soll die Einreichung eines Asylgesuchs in einem anderen Staat neu als expliziter Erlöschensgrund im AIG aufgenommen werden (vgl. Ziff. 5.1; Kommentar zu Art. 84 Abs. 4 E-AIG).

Nach bisheriger Praxis gilt eine Wegweisungsverfügung, welche die Gründe für die Anordnung einer vorläufigen Aufnahme enthält, mit dem Erlöschen der vorläufigen Aufnahme als aufgehoben. Zwischenzeitlich hat das Bundesgericht, wie vereinzelt auch das BVGer, jedoch in einzelnen Urteilen festgehalten, dass eine Wegweisungsverfügung so lange gültig sei, als eine Pflicht der Schweiz zur Rückübernahme einer Person aufgrund völkerrechtlicher Verträge bestehe.44 Reicht nun eine betroffene Person ein Asylgesuch in einem anderen Staat ein und erlischt deshalb eine vorläufige Aufnahme in der Schweiz, würde dies bedeuten, dass die Wegweisungsverfü44

Zum Beispiel Urteile des BVGer E-3039/2018 vom 4. Juni 2018, E-6186/2018 vom 22. Nov. 2018, E-4296/2018 vom 29. Aug. 2019 sowie Urteile des Bundesgerichts 2C_88/2019 vom 29. Aug. 2019, 2C_689/2014 vom 25. Aug. 2014.

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gung weiterhin Gültigkeit hat, sofern die Schweiz zur Rückübernahme dieser Person aus einem anderen Dublin-Staat verpflichtet ist. In diesen Fällen kann die Wegweisungsverfügung aber nicht vollzogen werden, da weiterhin Vollzugshindernisse bestehen. Deshalb müssen diese Personen nach der Überstellung erneut in der Schweiz vorläufig aufgenommen werden.

Um den administrativen Aufwand für die Wiederanordnung der vorläufigen Aufnahme zu vermeiden, wird eine Anpassung im AIG vorgeschlagen. In Abweichung zum Vernehmlassungsentwurf soll neu ausdrücklich festgehalten werden, dass die vorläufige Aufnahme bei Einreichung eines Asylgesuchs in einem anderen Staat ausnahmsweise nicht erlischt, wenn die Schweiz aufgrund internationaler Verpflichtungen zur Rückübernahme der betroffenen Personen verpflichtet ist (vgl. Art. 84 Abs. 4 Bst. a E-AIG). Dies soll neu auch für das Erlöschen der vorläufigen Aufnahme bei einem mehr als zwei Monate dauernden unerlaubten Aufenthalt in einem anderen Staat als dem Heimat- oder Herkunftsstaat gelten (vgl. Art. 84 Abs. 4 Bst. d E-AIG). Die vorläufige Aufnahme soll auch in diesem Fall nur dann erlöschen, wenn die Schweiz nicht aufgrund internationaler Verpflichtungen zur Rückübernahme der betroffenen Person verpflichtet ist. Dies entspricht auch einem Anliegen einzelner Vernehmlassungsteilnehmenden45. Damit kann auch in diesen Fällen der administrative Aufwand für die Wiederanordnung einer vorläufigen Aufnahme vermieden werden.

3

Rechtsvergleich, insbesondere mit dem europäischen Recht

Für einen Rechtsvergleich zwischen dem schweizerischen Recht und dem europäischen Recht ist darauf hinzuweisen, dass in den Staaten der EU der Begriff «vorläufige Aufnahme» so nicht existiert. Jedoch hält die EU-Anerkennungsrichtlinie46 (Anerkennungsrichtlinie) fest, dass Personen, die die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht erfüllen, Anspruch auf subsidiären Schutz haben, wenn stichhaltige Gründe dafür vorliegen, dass sie bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsland tatsächlich Gefahr liefen, einen ernsthaften Schaden zu erleiden (Art. 2 Bst. f der Anerkennungsrichtlinie). Ein ernsthafter Schaden liegt dabei bei der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe, bei Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung oder bei einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts vor (Art. 15 der Anerkennungsrichtlinie). Die Unmöglichkeit des Wegweisungsvollzugs sowie medizinische Notlagen im Herkunftsland beispielsweise führen jedoch nicht zur Gewährung vorübergehenden Schutzes. Folglich entsprechen Personen, die in einem Staat der EU subsidiären Schutz erhalten, nicht exakt demselben 45 46

Zum Beispiel VD, ZH.

Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit internationalem Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9.

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Personenkreis, dem in der Schweiz eine vorläufige Aufnahme gewährt wird. Da der subsidiäre Schutz einer vorläufigen Aufnahme jedoch sehr nahekommt, sollen für den folgenden Rechtsvergleich dennoch die Regelungen zum subsidiären Schutz beigezogen werden. Auch für die Gewährung des vorübergehenden Schutzes ohne individuelle Prüfung der Asylgründe besteht in der EU eine entsprechende rechtliche Grundlage. So sieht die Massenzustrom-Richtlinie der EU47 Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Fall eines Massenzustroms von Vertriebenen in die EU vor. Der sofortige, vorübergehende Schutz wird demnach in einem gesonderten Verfahren Personen gewährt, die wegen der in ihrem Herkunftsland herrschenden Lage nicht sicher und dauerhaft dorthin zurückkehren können. Dieses Verfahren wird insbesondere dann angewandt, wenn die Gefahr besteht, dass das Asylsystem eines Mitgliedstaates den ausserordentlichen Zustrom von Vertriebenen nicht ohne Beeinträchtigung seiner Funktionsweise und ohne Nachteile für die betroffenen Personen oder andere um Schutz nachsuchende Personen auffangen kann (Art. 1 und Art. 2 Bst. a der Massenzustrom-Richtlinie).

Dargestellt werden die Regelungen in den Nachbarstaaten Deutschland und Österreich, die wie die Schweiz Bundesstaaten sind. Zudem wird auch die Rechtslage in Schweden als Beispiel für die Regelung in einem dezentral organisierten Einheitsstaat aufgezeigt. Deutschland war zudem im Jahr 2019 das Hauptzielland für Asylsuchende in Europa.48

3.1

Anpassungen des Status der vorläufigen Aufnahme

Die Bewegungsfreiheit von Personen, denen internationaler Schutz (dazu gehört auch der Status des subsidiären Schutzes) zuerkannt worden ist, wird im Hoheitsgebiet des betreffenden EU-Staates unter den gleichen Bedingungen und Einschränkungen gestattet wie für andere Drittstaatsangehörige, die sich rechtmässig in diesem Staat aufhalten (Art. 33 der Anerkennungsrichtlinie der EU).

Deutschland Subsidiär Schutzberechtigte sind gleich wie anerkannte Flüchtlinge gesetzlich verpflichtet, für den Zeitraum von drei Jahren ab Anerkennung ihren Wohnsitz in demjenigen Bundesland zu nehmen, dem sie zur Durchführung des Asylverfahrens zugewiesen waren. Ausnahmen bestehen, wenn ein dringendes öffentliches Interesse besteht, zwingende Gründe es erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Nach Ablauf der drei Jahre existieren keine allgemein gültigen Wohnortbeschränkungen mehr.

47

48

Richtlinie 2001/55/EG des Rates vom 20. Juli 2001 über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Fall eines Massenzustroms von Vertriebenen und Massnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten, ABl. L 212 vom 7.8.2001, S. 12.

SEM, kommentierte Asylstatistik, 1. Quartal 2020, S. 11. Abrufbar unter: www.sem.admin.ch > Publikationen & Service > Statistiken > Asylstatistik > Archiv ab 1994 > 2020.

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Schweden Subsidiär Schutzberechtigte können sich gleich wie anerkannte Flüchtlinge überall in Schweden niederlassen. Es gibt keine Beschränkungen, auch nicht bei Sozialhilfeabhängigkeit.

Österreich Für Asylbewerberinnen und Asylwerber gilt eine sogenannte Wohnsitzbeschränkung. Demnach dürfen die betreffenden Personen ihren Wohnsitz oder, in Ermangelung eines solchen, ihren gewöhnlichen Aufenthalt nicht ausserhalb des Bundeslandes begründen, das ihnen Grundversorgung gemäss der österreichischen Grundversorgungsvereinbarung49 zwischen dem Bund und den Ländern gewährt oder zur Verfügung stellt.

Für subsidiär Schutzberechtigte gilt die Wohnsitzbeschränkung explizit nicht, sie können somit in ein anderes Bundesland umziehen. Subsidiär Schutzberechtigten sind Kernleistungen der Sozialhilfe zu gewähren, die das Niveau der Grundversorgung nicht übersteigen. Sie benötigen keine Beschäftigungsbewilligung und können österreichweit arbeiten.

Anerkannte Flüchtlinge (Asylberechtigte) sind auf dem Arbeitsmarkt österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern gleichgestellt. Sie brauchen daher keine Beschäftigungsbewilligung und können österreichweit arbeiten.

Fazit In Schweden und Österreich bestehen keine Beschränkungen oder Fristen für einen Wohnsitzwechsel von subsidiär Schutzberechtigten. Eine analoge Regelung für die Schweiz würde bedeuten, dass vorläufig Aufgenommene ohne weitere Voraussetzungen den Kanton wechseln könnten und damit bessergestellt wären als andere Ausländerinnen und Ausländer aus Drittstaaten mit einer Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung (Art. 37 AIG). Die deutsche Regelung weist Ähnlichkeiten mit dem Schweizer Recht auf: Während der ersten drei Jahre ist ein Wohnsitzwechsel in ein anderes Bundesland nur unter restriktiven Voraussetzungen möglich. In der Schweiz gelten die restriktiven Voraussetzungen für einen Kantonswechsel für vorläufig Aufgenommene jedoch für den ganzen Zeitraum, während dem eine Person diesen Status innehat.

Die vorgeschlagenen Erleichterungen beim Kantonswechsel gehen weniger weit als die für die Schweiz nicht verbindliche Anerkennungsrichtlinie der EU, die beim Wohnsitzwechsel grundsätzlich eine Gleichbehandlung mit anderen Drittstaatsangehörigen vorsieht.

49

Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gemäss Art. 15a B-VG über gemeinsame Massnahmen zur vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde (Asylwerber, Asylberechtigte, Vertriebene und andere aus rechtlichen oder faktischen Gründen nicht abschiebbare Menschen) in Österreich (Grundversorgungsvereinbarung ­ Art. 15a B-VG), BGBl. I Nr. 80/2004.

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3.2

Einschränkungen für Reisen ins Ausland

Gemäss der Anerkennungsrichtlinie müssen Mitgliedstaaten Personen, denen subsidiärer Schutz gewährt wurde und die keinen nationalen Pass erhalten können, Reisedokumente ausstellen, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen (Art. 25 Abs. 2 der Anerkennungsrichtlinie). Die Anerkennungsrichtlinie enthält dabei keine Regelung, wonach Reisen in den Heimat- oder Herkunftsstaat nicht erlaubt sind.

Die Massenzustrom-Richtlinie der EU enthält keine Regelungen zu Reisen ins Ausland für Personen, denen vorübergehender Schutz gewährt wurde. Demnach enthält sie auch keine Regelung, wonach Reisen in den Heimat- oder Herkunftsstaat nicht erlaubt sind.

Deutschland Jeder Person in Deutschland (ausländischen Personen und deutschen Staatsangehörigen) kann die Ausreise untersagt werden. Dies kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn sich die betroffene Person der Strafverfolgung, ihrer Steuerpflicht oder Unterhaltspflichten entziehen will. Zusätzlich kann einer Person die Ausreise untersagt werden, wenn sie nicht im Besitz der dafür erforderlichen Dokumente und Erlaubnisse ist. Im deutschen Recht besteht kein ausdrückliches Verbot für Personen mit subsidiärem oder vorübergehendem Schutz, in ihren Heimat- oder Herkunftsstaat zu reisen.

Reisen in den Heimat- oder Herkunftsstaat von Personen mit subsidiärem oder vorübergehendem Schutz können den Verlust der Aufenthaltserlaubnis zur Folge haben. Ein automatisches Erlöschen der Aufenthaltserlaubnis findet grundsätzlich jedoch nicht statt. Stattdessen werden im Einzelfall die Umstände der Reise in den Heimat- oder Herkunftsstaat überprüft. So führt eine Reise in den Heimat- oder Herkunftsstaat bei Personen mit subsidiärem Schutz beispielsweise nicht zum Verlust der Aufenthaltserlaubnis, wenn die Reise der Erfüllung einer sittlichen Pflicht dient. Dazu gehört insbesondere die Beerdigung von engen Verwandten oder der Besuch von schwerkranken Angehörigen. Der Aufenthalt muss sich dabei hinsichtlich Dauer und Ort an diesem Zweck orientieren.

Reisen in andere Staaten als den Heimat- oder Herkunftsstaat von Personen mit subsidiärem oder vorübergehendem Schutz hingegen führen nicht zum Widerruf der Aufenthaltserlaubnis.

Personen, die sich noch im Asylverfahren befinden und über eine sogenannte Aufenthaltsgestattung
verfügen, sind in der Regel nicht reiseberechtigt und benötigen eine Verlassenserlaubnis der zuständigen Ausländerbehörde. Diese Vorgaben gelten auch für eine Auslandreise. Ein Verlassen des Landes ohne vorherige Erlaubnis führt in der Regel zur Einstellung des Asylverfahrens.

Schweden Das geltende schwedische Recht enthält kein ausdrückliches Verbot für asylsuchende Personen sowie Personen mit subsidiärem oder vorübergehendem Schutz, in ihren Heimat- oder Herkunftsstaat zu reisen.

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Unternimmt aber eine asylsuchende Person eine solche Reise, wird das Asylgesuch abgelehnt, wenn genügend Beweise dafür vorliegen.

Reist eine Person mit subsidiärem Schutz in ihren Heimat- oder Herkunftsstaat, führt dies in der Regel zur Aufhebung des subsidiären Schutzes und des entsprechenden Aufenthaltstitels. Keine Massnahmen werden ergriffen, wenn die betroffene Person glaubhaft machen kann, dass die entsprechende Reise aufgrund eines Notfalls dringend erforderlich war oder dass sie zur Vorbereitung der Rückkehr in den Heimatoder Herkunftsstaat diente.

Personen mit vorübergehendem Schutz gemäss der Massenzustrom-Richtlinie der EU, die in den Heimat- oder Herkunftsstaat gereist sind, müssen darlegen, weshalb sie weiterhin den entsprechenden Schutz benötigen. Reicht eine entsprechende Erklärung nicht aus, wird den betroffenen Personen der vorübergehende Schutz entzogen und sie müssen das Land verlassen.

Bei asylsuchenden Personen wird das Asylgesuch auch bei einer Reise in einen anderen Staat als den Heimat- oder Herkunftsstaat abgelehnt, wenn dafür genügend Beweise vorliegen.

Reisen in andere Staaten als den Heimat- oder Herkunftsstaat von Personen mit subsidiärem oder vorübergehendem Schutz sind grundsätzlich erlaubt, wenn der Zielstaat die Einreise genehmigt.

Österreich Während der Dauer des Asylverfahrens besteht für asylsuchende Personen in Österreich keine Reisefreiheit, da sie im Rahmen ihrer Mitwirkungspflichten den Behörden zur Verfügung stehen müssen.

Subsidiär Schutzberechtigte erhalten auf Antrag einen Fremdenpass, wenn sie nicht in der Lage sind, sich ein gültiges Reisedokument ihres Heimat- oder Herkunftsstaates zu beschaffen und keine zwingenden Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung entgegenstehen (§§ 88 ff. des österreichischen Fremdenpolizeigesetzes50). Mit der Ausstellung eines Fremdenpasses erhält die Inhaberin oder der Inhaber die Möglichkeit zu reisen. Diese Pässe werden grundsätzlich mit einem Geltungsbereich für alle Staaten ausgestellt mit Ausnahme jenes Staates, dessen Staatsangehörigkeit die betroffene Person besitzt. Bestehen Hinweise, dass eine subsidiär schutzberechtigte Person in ihren Heimat- oder Herkunftsstaat gereist ist, wird ein Aberkennungsverfahren eingeleitet. Der tatsächliche Sachverhalt ist sodann im Ermittlungsverfahren zu klären,
und es ist zwingend eine Einzelfallprüfung vorzunehmen.

Der Status vorübergehender Schutz gemäss der Massenzustrom-Richtlinie der EU ist im österreichischen Asylrecht nicht vorgesehen.

50

Bundesgesetz über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel (Fremdenpolizeigesetz 2005 ­ FPG), BGBl. I Nr. 100/2005; zuletzt geändert durch die Kundmachung des Bundeskanzlers über die Aufhebung einer Wort- und Ziffernfolge in § 120 Abs. 1b des Fremdenpolizeigesetzes 2005 durch den Verfassungsgerichtshof, BGBl. I Nr. 27/2020.

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Fazit Im deutschen, schwedischen und österreichischen Recht besteht im Gegensatz zur vorgeschlagenen Regelung von Artikel 59d E-AIG (Reisen in den Heimat- oder Herkunftsstaat sollen grundsätzlich untersagt sein) kein ausdrückliches Reiseverbot für asylsuchende Personen sowie Personen mit subsidiärem oder vorübergehendem Schutz. Dennoch sehen die entsprechenden Staaten bei Reisen in den Heimat- oder Herkunftsstaat gewisse Sanktionsmassnahmen vor.

Reisen in andere Staaten als den Heimat- oder Herkunftsstaat von Personen mit subsidiärem oder vorübergehendem Schutz sind in Deutschland, Schweden und Österreich grundsätzlich möglich. In der Schweiz sollen mit der vorliegenden Vorlage solche Reisen grundsätzlich nicht mehr erlaubt sein (Art. 59e E-AIG). Dennoch sollen bei Vorliegen besonderer persönlicher Gründe solche Reisen auch in der Schweiz weiterhin möglich sein. Dies ist beispielsweise beim Tod oder bei Krankheit von Familienangehörigen gegeben sowie bei Reisen, die der Förderung der Integration in der Schweiz dienen, beispielsweise Schul- oder Ausbildungsreisen oder Reisen aus beruflichen Gründen. Personen, die sich jedoch noch in einem laufenden Asylverfahren befinden, dürfen sowohl in Deutschland, Schweden und Österreich wie auch in der Schweiz nicht in einen anderen Staat reisen.

4

Grundzüge der Vorlage

4.1

Die beantragte Neuregelung

4.1.1

Anpassungen des Status der vorläufigen Aufnahme

Gemäss der Motion 18.3002 «Punktuelle Anpassungen des Status der vorläufigen Aufnahme» soll zur Verbesserung der Arbeitsmarktintegration von vorläufig Aufgenommenen ein Anspruch auf einen Kantonswechsel geschaffen werden, wenn die Person ausserhalb des Wohnkantons erwerbstätig ist oder eine berufliche Grundbildung absolviert. Voraussetzung dafür ist, dass: ­

ein Verbleib im Wohnkanton aufgrund des Arbeitsweges oder der Arbeitszeiten nicht zumutbar ist oder das Arbeitsverhältnis seit mindestens zwölf Monaten besteht;

­

sie weder für sich noch ihre Familienangehörigen Sozialhilfe bezieht; und

­

keine Gründe für eine Aufhebung der vorläufigen Aufnahme vorliegen, beispielsweise ein erheblicher Verstoss gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Art. 83 Abs. 7 Bst. a oder b AIG).

Mit dieser Regelung sollen die Rahmenbedingungen für die Integration und damit auch für die finanzielle Selbstständigkeit verbessert werden. Durch eine Erwerbstätigkeit werden aber auch die sozialen Kompetenzen im Hinblick auf eine allfällige spätere Rückkehr in das Herkunftsland erhalten und gestärkt. Diese Erleichterung für einen Kantonswechsel bei Erwerbstätigkeit führt eine Vielzahl von Massnahmen fort, die in den letzten Jahren getroffen wurden, um die Integration der vorläufig Aufgenommenen insbesondere in den Arbeitsmarkt zu fördern. Dazu gehören insbesondere folgende Massnahmen: Seit dem 1. Januar 2018 müssen vorläufig Aufge7484

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nommene keine Sonderabgabe (10 % des Einkommens) mehr bezahlen und seit dem 1. Januar 2019 ist für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit nur noch eine einfache Meldung erforderlich. Zudem werden mit der Integrationsagenda Schweiz 51 die Massnahmen zur Integration in den Arbeitsmarkt wesentlich verstärkt.

Die bisher vorgesehenen Möglichkeiten für einen Kantonswechsel bei einem Anspruch auf Einheit der Familie und bei einer schwerwiegenden Gefährdung der vorläufig aufgenommenen Person oder anderer Personen (Art. 85 Abs. 3 AIG i. V. m. Art. 21 VVWAL und Art. 22 Abs. 2 AsylV 1) sollen beibehalten und neu ebenfalls auf Gesetzesstufe geregelt werden. Zudem soll bei einer Ablehnung des Kantonswechsels neu auch bei diesen beiden Gründen der Rechtsweg offenstehen.

Auf die bisherige Möglichkeit des Kantonswechsels bei einer Zustimmung beider Kantone soll neu verzichtet werden, da davon in der Praxis bisher kaum Gebrauch gemacht wurde und die fehlende Zustimmung eines Kantons nicht justiziabel ist.

Obwohl die Motion 18.3002 «Punktuelle Anpassungen des Status der vorläufigen Aufnahme» die Kategorie der vorläufig aufgenommenen anerkannten Flüchtlinge nicht erwähnt, ist es sinnvoll, auch den Kantonswechsel für diese Personengruppe zu regeln. Es sollen die gleichen Regelungen gelten wie für Personen mit einer Aufenthaltsbewilligung (Ausweis B). Demnach besteht ein Anspruch auf einen Kantonswechsel, wenn die betroffenen Personen nicht arbeitslos sind und keine Widerrufsgründe (z. B. längerfristige Freiheitsstrafe) vorliegen (Art. 37 Abs. 2 AIG). Das BVGer leitete bisher aus der Flüchtlingskonvention einen weitergehenden Anspruch auf den Kantonswechsel von vorläufig aufgenommenen Flüchtlingen ab (siehe Ziff. 2.2.2).

Das SEM wird die Auswirkungen dieser Neuregelung regelmässig überprüfen. Bei Bedarf wäre etwa eine Anpassung bei der Verteilung der Asylsuchenden und der vorläufig Aufgenommenen auf die Kantone möglich (Art. 85 Abs. 2 AIG und Art. 27 AsylG). Zuständig dafür sind in erster Linie die Kantone (Art. 27 Abs. 1 und 3 AsylG).

Mit dieser Vorlage soll zudem die Bestimmung über das Meldeverfahren bei einer Erwerbstätigkeit von vorläufig Aufgenommenen präzisiert werden, die am 1. Januar 2019 in Kraft getreten ist (Art. 85a AIG). So soll gesetzlich geregelt werden, dass auch selbstständig erwerbstätige vorläufig
Aufgenommene der Meldepflicht unterstehen. Eine solche Regelung besteht bereits auf Verordnungsstufe (Art. 65 Abs. 3 der Verordnung vom 24. Oktober 2007 über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit [VZAE]).

4.1.2

Einschränkungen für Reisen ins Ausland

Gemäss geltendem Recht können vorläufig aufgenommene Personen ein Reisedokument oder ein Rückreisevisum erhalten, beispielsweise zur Erledigung von wichtigen und unaufschiebbaren höchstpersönlichen Angelegenheiten in ihrem Heimatoder Herkunftsstaat (Art. 9 Abs. 1 Bst. b RDV). Zur Umsetzung der Motion 15.3953 51

Siehe auch www.integrationsagenda.ch

7485

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«Keine Reisen ins Heimatland für vorläufig Aufgenommene» soll im AIG eine neue Regelung geschaffen werden, wonach für vorläufig aufgenommene Personen Reisen in deren Heimat- oder Herkunftsstaat analog zur Regelung für anerkannte Flüchtlinge untersagt sind (vgl. auch Ziff. 1.1: Motion 15.3953). Dies soll auch für asylsuchende und schutzbedürftige Personen gelten (Art. 59d Abs. 1 E-AIG). Im Einzelfall soll das SEM vorläufig aufgenommenen und schutzbedürftigen Personen eine Reise in den Heimat- oder Herkunftsstaat bewilligen können, allerdings nur, wenn dies zur Vorbereitung der selbstständigen und definitiven Ausreise und Rückkehr in den Heimat- oder Herkunftsstaat notwendig ist (Art. 59d Abs. 2 E-AIG). Die Voraussetzungen für die Bewilligung einer solchen Reise sollen durch den Bundesrat auf Verordnungsstufe festgelegt werden.

Neben der eigentlichen Umsetzung der Motion 15.3953 «Keine Reisen ins Heimatland für vorläufig Aufgenommene» sollen im AIG aus Gründen der Rechtssicherheit neu auch die geltenden Regelungen für Reisen in einen anderen Staat als den Heimat- oder Herkunftsstaat für asylsuchende, vorläufig aufgenommene und schutzbedürftige Personen verankert werden (Art. 59e E-AIG). Diese sind heute lediglich auf Verordnungsstufe festgelegt. Reisen in diese Staaten sollen grundsätzlich ausgeschlossen sein. Der Bundesrat soll aber auf Verordnungsstufe festlegen, unter welchen Voraussetzungen solche Reisen für vorläufig aufgenommene und schutzbedürftige Personen im Einzelfall aus besonderen persönlichen Gründen, insbesondere auch zu Integrationszwecken, weiterhin ausnahmsweise bewilligt werden können (Art. 59e Abs. 3 E-AIG). Zu diesem Zweck sollen die heute geltenden Reisegründe einer kritischen Prüfung unterzogen werden (vgl. Art. 9 RDV).

Asylsuchenden Personen soll eine Reise in einen anderen Staat als den Heimat- oder Herkunftsstaat nur noch dann bewilligt werden können, wenn dies für die Durchführung des Asyl- oder Wegweisungsverfahrens, insbesondere für die Durchführbarkeit der Wegweisung, notwendig ist (z. B. zur Papierbeschaffung auf einer ausländischen Vertretung in einem Nachbarstaat der Schweiz, Art. 59e Abs. 2 E-AIG).

Werden Reisen in den Heimat- oder Herkunftsstaat oder in einen anderen Staat unerlaubt unternommen, sollen die betroffenen Personen zur Verantwortung gezogen werden
können. Aus diesem Grund sollen im AIG und im AsylG entsprechende Regelungen vorgesehen werden (Art. 84 Abs. 4 Bst. c und d, 84a Abs. 2 und 3, 120 Abs. 1 Bst. h und 122d E-AIG sowie Art. 53 Bst. d und 79 Bst. e E-AsylG). So soll beispielsweise die vorläufige Aufnahme oder der vorübergehende Schutz bei einer Heimatreise automatisch erlöschen, wenn die betroffene Person nicht glaubhaft machen kann, dass die Reise aufgrund eines Zwanges erfolgte (Art. 84 Abs. 4 Bst. c E-AIG und Art. 79 Bst. e E-AsylG; diese Regelung gilt analog auch für anerkannte Flüchtlinge, vgl. Art. 63 Abs. 1bis AsylG). Kann die Wegweisung der betroffenen Person aufgrund von Vollzugshindernissen dennoch nicht vollzogen werden und wird diese vorläufig aufgenommen, soll diese Person grundsätzlich während zehn Jahren ab der Erteilung der vorläufigen Aufnahme keine Aufenthaltsbewilligung wegen eines schwerwiegenden persönlichen Härtefalls erhalten (Art. 84a Abs. 2 und 3 E-AIG). Weiter sieht die Vorlage insbesondere vor, dass eine unerlaubte Reise in den Heimat- oder Herkunftsstaat oder in einen anderen Staat auch mit Busse bestraft werden soll (Art. 120 Abs. 1 Bst. h E-AIG).

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Zudem sollen auch die bisherigen Grundsätze zur Erteilung von Bewilligungen zur Wiedereinreise in Form von Rückreisevisa, die bis anhin lediglich auf Verordnungsstufe geregelt sind, neu im AIG ausdrücklich geregelt werden (Art. 59 E-AIG).

Weiter sollen neu alle Gründe, die zum Erlöschen der vorläufigen Aufnahme führen, einheitlich im AIG verankert werden (Art. 84 Abs. 4 E-AIG).

4.2

Abstimmung von Aufgaben und Finanzen

Ziel der Vorlage ist es, die vom Parlament angenommenen Motionen 18.3002 «Punktuelle Anpassungen des Status der vorläufigen Aufnahme» und 15.3953 «Keine Reisen ins Heimatland für vorläufig Aufgenommene» umzusetzen. So sollen insbesondere Regelungen vorgeschlagen werden, um die arbeitsmarktliche Integration von vorläufig Aufgenommenen durch Erleichterungen beim Kantonswechsel zu fördern und Auslandreisen von asylsuchenden, vorläufig aufgenommenen und schutzbedürftigen Personen zu begrenzen und zu kontrollieren. Da die bisherigen Zuständigkeiten für die Genehmigung eines Kantonswechsels oder einer Auslandreise auch mit den vorgeschlagenen Anpassungen beibehalten werden sollen, entstehen für den Bund und die Kantone keine neuen Aufgaben in diesen Bereichen. Auch wird davon ausgegangen, dass Bund und Kantone aufgrund der neuen Regelungen keine wesentlichen finanziellen und personellen Ressourcen aufzuwenden haben (vgl. Ziff. 6.1 und 6.2).

4.3

Koordinationsbedarf

Es besteht ein Koordinationsbedarf mit der Vorlage 19.032 «Polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus»52, die derzeit im Parlament behandelt wird.

Betroffen sind nur sprachliche Anpassungen der französischen und der italienischen Fassung an die deutsche Fassung von Artikel 31 Absatz 3 AIG und Artikel 61 Absatz 1 AsylG. Der Ausdruck in der geltenden französischen Fassung «sont autorisés à exercer une activité lucrative» und in der geltenden italienischen Fassung «sono autorizzati a esercitare un'attività lucrativa» soll so geändert werden, dass er der geltenden deutschen Fassung «können eine Erwerbstätigkeit ausüben» wörtlich entspricht.

Allenfalls muss die Nummerierung der Übergangsbestimmung (Art. 126e E-AIG) noch angepasst werden. So enthält bereits die Vorlage 20.027 betreffend das ETIAS53 einen Artikel 126e.

52

53

Botschaft vom 22. Mai 2019 zum Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus, BBl 2019 4751, und Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT) (Entwurf), BBl 2019 4851.

Botschaft vom 6. März 2020 zur Genehmigung und Umsetzung des Notenaustauschs zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) 2018/1240 über das Europäische Reiseinformations- und -genehmigungssystem (ETIAS) (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands) und zur Änderung des Ausländer- und Integrationsgesetzes (Unterstellung des Nachrichtendienstes des Bundes unter das Schengen-Datenschutzgesetz), BBl 2020 2885.

7487

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5

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

5.1

Ausländer- und Integrationsgesetz vom 16. Dezember 2005 (AIG)

Art. 21 Abs. 3 zweiter Satz Diese Änderung dient der sprachlichen Präzisierung. Damit soll vermieden werden, dass die Zulassung von Ausländerinnen und Ausländern mit Schweizer Hochschulabschluss zur Stellensuche während sechs Monaten nach dem Abschluss ihrer Ausoder Weiterbildung mit der vorläufigen Aufnahme nach den Artikeln 83­88a AIG verwechselt werden kann.

Art. 31 Abs. 3 erster Satz Diese Änderung ist formeller Natur. Die französische und die italienische Fassung sollen an den Wortlaut der deutschen Fassung sowie an den Wortlaut des geltenden Artikels 85a Absatz 1 AIG (alle drei Amtssprachen) angepasst werden. Der Ausdruck in der geltenden französischen Fassung «sont autorisés à exercer une activité lucrative» und in der geltenden italienischen Fassung «sono autorizzati a esercitare un'attività lucrativa» soll so geändert werden, dass er der geltenden deutschen Fassung «können eine Erwerbstätigkeit ausüben» wörtlich entspricht.

Bei dieser Bestimmung besteht Koordinationsbedarf mit dem Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT; vgl. Ziff. 4.3).

Gliederungstitel vor Artikel 59

9. Kapitel: Reisedokumente, Rückreisevisa und Reiseverbote Unter dem geltenden 9. Kapitel des AIG sollen neu auch Regelungen zur Erteilung von Rückreisevisa aufgenommen werden (siehe unten Kommentar zu Art. 59 Abs. 5 E-AIG). Zudem sollen in diesem Kapitel zwei neue Artikel geschaffen werden, die Reiseverbote für Reisen in den Heimat- oder Herkunftsstaat (siehe Kommentar zu Art. 59d) sowie in andere Staaten (siehe Kommentar zu Art. 59e E-AIG) vorsehen.

Entsprechend muss der Gliederungstitel des 9. Kapitels angepasst werden.

Die nachfolgend erläuterten Regelungen sollen für Reisen von asylsuchenden, vorläufig aufgenommenen und schutzbedürftigen Personen in den Heimat- oder Herkunftsstaat (Art. 59d E-AIG) oder in einen anderen Staat als den Heimat- oder Herkunftsstaat (Art. 59e E-AIG) gelten. Vorläufig aufgenommene Personen, welche die Flüchtlingseigenschaft erfüllen, haben Anspruch auf einen Reiseausweis für Flüchtlinge (vgl. Art. 59 Abs. 2 Bst. a AIG), weshalb die Regelungen von Artikel 59d und 59e E-AIG auf diese Personengruppe keine Anwendung finden.

Art. 59 Sachüberschrift sowie Abs. 4­6 Das geltende AIG enthält punktuelle Vorschriften zur Ausstellung von Reisedokumenten an schriftenlose Ausländerinnen und Ausländer (vgl. Art. 59 Abs. 1­3 AIG).

Die konkreten Voraussetzungen für die Ausstellung eines Reisedokuments an Per7488

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sonen, die keinen Anspruch darauf haben, sind jedoch in der RDV geregelt (Art. 4 Abs. 2 RDV). Aus Gründen der Rechtssicherheit und Transparenz sollen diese Regelungen mit den notwendigen Anpassungen aufgrund der neuen Einschränkungen für Auslandreisen (siehe Kommentar zu Art. 59d und 59e E-AIG) neu ebenfalls auf Gesetzesstufe verankert werden (Art. 59 Abs. 4 E-AIG).

Verfügen ausländische Personen über gültige Reisedokumente ihres Heimat- oder Herkunftsstaates, benötigen sie für Auslandreisen nicht ein Reisedokument, sondern eine Bewilligung zur Wiedereinreise in Form eines Rückreisevisums. Die Grundsätze zur Gewährung von solchen Rückreisevisa sind heute ebenfalls lediglich auf Verordnungsstufe festgelegt (Art. 7 und 9 RDV). Auch diese Regelungen sollen mit den notwendigen Anpassungen aufgrund der neuen Einschränkungen für Auslandreisen (Art. 59d und 59e E-AIG) auf Gesetzesstufe verankert werden. Ein Rückreisevisum soll nur noch dann erteilt werden können, wenn den betroffenen Personen ausnahmsweise eine Reise in den Heimat- oder Herkunftsstaat oder in einen anderen Staat bewilligt wurde und sie ein gültiges und anerkanntes Reisedokument ihres Heimat- oder Herkunftsstaates besitzen (Art. 59 Abs. 5 E-AIG).

Die weiteren Einzelheiten zur Ausstellung von Reisedokumenten und zur Erteilung von Rückreisevisa sollen weiterhin auf Verordnungsstufe geregelt werden. Daher soll im AIG eine entsprechende explizite Delegation an den Bundesrat vorgesehen werden (Art. 59 Abs. 6 E-AIG). Da Artikel 59 E-AIG neu auch Regelungen zur Gewährung von Rückreisevisa beinhalten soll, soll zudem auch dessen Sachüberschrift entsprechend angepasst werden.

Bereits nach geltendem Recht müssen asylsuchende, vorläufig aufgenommene und schutzbedürftige Personen zur Einreichung eines Gesuchs für eine Reise ins Ausland persönlich bei der zuständigen kantonalen Ausländerbehörde vorsprechen. Die kantonale Ausländerbehörde leitet das Gesuch sowie allfällige Gesuchsunterlagen an das SEM weiter. Dieses entscheidet basierend auf den zugestellten Gesuchsunterlagen über die Ausstellung eines Reisedokuments oder die Erteilung eines Rückreisevisums und stellt die entsprechenden Dokumente für Auslandreisen aus (Art. 14 und 15 RDV). An diesen Abläufen soll auch mit den vorgeschlagenen Anpassungen festgehalten werden.

Art. 59d

Reiseverbot für asylsuchende, vorläufig aufgenommene und schutzbedürftige Personen für Reisen in den Heimat- oder Herkunftsstaat

Durch diese neue Bestimmung soll das Anliegen der Motion 15.3953 «Keine Reisen ins Heimatland für vorläufig Aufgenommene» umgesetzt werden (zum Inhalt der Motion vgl. Ziffer 1.1). Zu den Reisen von anerkannten Flüchtlingen mit Asyl oder einer vorläufigen Aufnahme vgl. oben Ziffer 1.1.

Zu Absatz 1 Zur Umsetzung der Motion 15.3953 «Keine Reisen ins Heimatland für vorläufig Aufgenommene» soll neu im AIG festgehalten werden, dass es vorläufig aufgenommenen Personen nicht erlaubt ist, in ihren Heimat- oder Herkunftsstaat zu reisen. Ein solches Verbot soll ebenfalls für asylsuchende und schutzbedürftige 7489

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Personen gelten. Auch diese Personen haben die Schweiz um Schutz ersucht und könnten bei einer Rückkehr in den Heimat- oder Herkunftsstaat einer asylrechtlich relevanten Verfolgung ausgesetzt sein.

Zu Absatz 2 Das SEM soll vorläufig aufgenommenen und schutzbedürftigen Personen eine Reise in den Heimat- oder Herkunftsstaat im Einzelfall bewilligen können, wenn dies zur Vorbereitung ihrer selbstständigen und definitiven Ausreise und Rückkehr notwendig ist. Im Rahmen einer solchen durch das SEM kontrollierten Reise sollen die betroffenen Personen bei einem ausgewiesenen Bedarf vor Ort abklären, ob eine freiwillige Rückkehr tatsächlich möglich ist, und die dafür notwendigen Vorkehrungen treffen. Solche Abklärungen können insbesondere bei der Rückkehr von Familien mit minderjährigen Kindern erforderlich sein. Bereits nach Beendigung des Kosovokonflikts gewährte das damalige Bundesamt für Flüchtlinge in Einzelfällen Reisen zur Vorbereitung der Rückkehr, die in der Praxis eine positive Wirkung hatten. Mit der vorliegenden Regelung soll an diese bewährte Massnahme angeknüpft werden. Der Bundesrat soll die Voraussetzungen für entsprechende Reisen auf Verordnungsstufe näher präzisieren.

Eine solche Ausnahme soll jedoch nicht für asylsuchende Personen gelten. Diese Personen befinden sich noch in einem hängigen Asylverfahren. Sie haben jederzeit die Möglichkeit, ihr Asylgesuch zurückzuziehen und freiwillig in den Heimat- oder Herkunftsstaat zurückzukehren.

Zu Absatz 3 Da für vorläufig aufgenommene Personen, welche die Flüchtlingseigenschaft erfüllen, für Reisen in den Heimat- oder Herkunftsstaat besondere Regelungen gelten, soll auf die entsprechende Bestimmung hierzu im AIG verwiesen werden (Art. 59c AIG).

Art. 59e

Reiseverbot für asylsuchende, vorläufig aufgenommene und schutzbedürftige Personen für Reisen in andere Staaten

In Ergänzung zur Regelung zu den Reisen in den Heimat- oder Herkunftsstaat von asylsuchenden, vorläufig aufgenommenen und schutzbedürftigen Personen (Art. 59d E-AIG) soll aus Gründen der Rechtssicherheit auch eine gesetzliche Grundlage für Reisen dieser Personen in andere Staaten als den Heimat- oder Herkunftsstaat geschaffen werden. Auch diese Regelung findet auf vorläufig aufgenommene Flüchtlinge keine Anwendung, da diese einen Anspruch auf einen Reiseausweis für Flüchtlinge haben (vgl. Art. 59 Abs. 2 Bst. a AIG).

Nach geltendem Recht können asylsuchende, vorläufig aufgenommene (ohne Flüchtlingseigenschaft) und schutzbedürftige Personen unter bestimmten Voraussetzungen nach einer Bewilligung durch das SEM und unter Berücksichtigung der Einreisebestimmungen des Zielstaates ins Ausland reisen. So können vorläufig aufgenommene Personen vom SEM ein Reisedokument oder ein Rückreisevisum erhalten, um beispielsweise an Aktivitäten teilzunehmen, die dem Zweck der gesellschaftlichen und beruflichen Integration dienen. Dies insbesondere zur aktiven 7490

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Teilnahme an Sport- oder Kulturanlässen im Ausland oder an grenzüberschreitenden Reisen zu Schul- oder Ausbildungszwecken (Art. 9 Abs. 1 Bst. c und d RDV). Ein weiterer wichtiger und häufiger Reisegrund gemäss heutiger Praxis ist eine schwere Krankheit oder der Tod naher Familienangehöriger im Ausland (Art. 9 Abs. 1 Bst. a RDV). Die entsprechenden Voraussetzungen für solche Reisen sind heute lediglich auf Verordnungsstufe festgehalten (vgl. Art. 9 RDV).

Zu den Absätzen 1, 2 und 3 Wie einleitend ausgeführt, sind Reisen für asylsuchende, vorläufig aufgenommene (ohne Flüchtlingseigenschaft) und schutzbedürftige Personen in einen Staat, der nicht ihr Heimat- oder Herkunftsstaat ist, bereits heute bewilligungspflichtig, und es ist den betroffenen Personen schon heute nicht erlaubt, ohne Bewilligung des SEM eine solche Reise zu unternehmen. Neu soll aus Gründen der Rechtssicherheit auf Gesetzesstufe ausdrücklich festgehalten werden, dass solche Reisen untersagt sind (Abs. 1). Jedoch ist darauf hinzuweisen, dass vorläufig aufgenommene Personen nach einem Aufenthalt von mehr als fünf Jahren in der Schweiz grundsätzlich ein Gesuch um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung einreichen können (Art. 84 Abs. 5 AIG). Wird eine Aufenthaltsbewilligung erteilt, sind Reisen ins Ausland mit heimatlichen Reisedokumenten oder einem Pass für ausländische Personen ohne zusätzliches Rückreisevisum möglich. Dies gilt auch für schutzbedürftige Personen, die fünf Jahre nach der Gewährung des vorübergehenden Schutzes eine Aufenthaltsbewilligung erhalten (Art. 74 Abs. 2 AsylG). Vorbehalten bleiben jedoch auch in diesen Fällen die Einreisebestimmungen der Zielstaaten; für Reisen innerhalb der Schengen-Staaten ist für Personen mit Aufenthaltsbewilligung kein Visum erforderlich.

Basierend auf dem neu im AIG verankerten Reiseverbot (Abs. 1) soll das SEM asylsuchenden Personen eine Reise in einen anderen Staat als den Heimat- oder Herkunftsstaat nur noch dann ausnahmsweise bewilligen können, wenn dies für die Durchführung ihres Asyl- oder Wegweisungsverfahrens notwendig ist (Abs. 2). Dies kann insbesondere für die Beschaffung von Reisedokumenten auf der heimatlichen Vertretung in einem anderen Staat notwendig sein.

Für vorläufig aufgenommene und schutzbedürftige Personen hingegen soll der Bundesrat auf Verordnungsstufe festlegen,
unter welchen Voraussetzungen im Einzelfall aus besonderen persönlichen Gründen ausnahmsweise eine solche Reise weiterhin bewilligt werden kann (Abs. 3). Als besonderer persönlicher Grund sollen dabei insbesondere Reisen beim Tod oder bei Krankheit von Familienangehörigen gelten sowie Reisen, die der Förderung der Integration in der Schweiz dienen, beispielsweise Schul- oder Ausbildungsreisen oder Reisen aus beruflichen Gründen.

Hat das SEM jedoch für einen bestimmten Staat ein Reiseverbot für Flüchtlinge erlassen (Art. 59c Abs. 1 zweiter Satz AIG), soll eine Reise in diesen Staat trotz Vorliegen besonderer persönlicher Gründe auch für vorläufig aufgenommene und schutzbedürftige Personen nicht erlaubt sein. Eine solche Reise kann ausnahmsweise nur dann bewilligt werden, wenn dafür wichtige Gründe vorliegen (Art. 59e Abs. 3 dritter Satz). Ein wichtiger Grund liegt einzig bei einer schweren Erkrankung, einem schweren Unfall oder beim Tod eines Familienangehörigen vor (vgl. Verweis in Art. 59e Abs. 3 dritter Satz E-AIG auf Art. 59c Abs. 2 AIG sowie die Regelung in 7491

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Art. 9a Abs. 1 RDV). Ein Reiseverbot für Flüchtlinge in andere Staaten als den Heimat- oder Herkunftsstaat (Art. 59c Abs. 1 zweiter Satz AIG) kann durch das SEM dann verhängt werden, wenn der begründete Verdacht besteht, dass Flüchtlinge über Drittstaaten (insbesondere Nachbarstaaten) in ihren Heimat- oder Herkunftsstaat reisen und damit das generelle Verbot für solche Reisen umgehen (Art. 59c Abs. 1 erster Satz AIG). Für asylsuchende Personen findet diese Regelung keine Anwendung, weil diese Personen nur aus dem abschliessend in Artikel 59e Absatz 2 E-AIG genannten Grund ­ Durchführung des Asyl- oder Wegweisungsverfahrens ­ ausnahmsweise in einen anderen Staat als den Heimat- oder Herkunftsstaat reisen dürfen.

Zu Absatz 4 Da für vorläufig aufgenommene Personen, welche die Flüchtlingseigenschaft erfüllen, für Reisen in einen anderen Staat als den Heimat- oder Herkunftsstaat besondere Regelungen gelten, soll auf die entsprechende Bestimmung hierzu im AIG verwiesen werden (Art. 59c AIG).

Art. 84 Abs. 4 und 5 Zu Absatz 4 Neu sollen die Regelungen zu Auslandreisen für asylsuchende, vorläufig aufgenommene und schutzbedürftige Personen auf Gesetzesstufe verankert werden (vgl.

Art. 59d und 59e E-AIG). Aus Gründen der Rechtssicherheit und Transparenz ist es angezeigt, dass auch die Konsequenzen bei Verstössen gegen diese Vorschriften im AIG verankert werden; diese sind im geltenden Recht teilweise nur auf Verordnungsstufe geregelt. Eine Regelung auf Gesetzesstufe soll auch für die übrigen Gründe, die zu einem Erlöschen der vorläufigen Aufnahme führen, vorgesehen werden.

Nach geltendem Recht erlischt eine vorläufige Aufnahme mit der definitiven Ausreise, bei einem nicht bewilligten Auslandaufenthalt von mehr als zwei Monaten oder bei Erhalt einer Aufenthaltsbewilligung (Art. 84 Abs. 4 AIG). Liegen weiterhin Vollzugshindernisse vor, die dem Vollzug der Wegweisung entgegenstehen, kann die zuständige kantonale Behörde beim SEM die Anordnung einer neuen vorläufigen Aufnahme beantragen (Art. 83 Abs. 6 AIG). Wann eine definitive Ausreise gemäss dem AIG vorliegt, wird im geltenden Recht in der VVWAL präzisiert (vgl.

Art. 84 Abs. 4 AIG i. V. m. Art. 26a VVWAL).

Zu Buchstabe a Heute gilt die Einreichung eines Asylgesuchs in einem anderen Staat als definitive Ausreise. Sie führt bereits heute zum Erlöschen der
vorläufigen Aufnahme (Art. 84 Abs. 4 AIG i. V. m. Art. 26a Bst. a VVWAL). Aus Gründen der Rechtssicherheit soll die Einreichung eines Asylgesuchs in einem anderen Staat neu als eigener Erlöschensgrund auf Gesetzesstufe verankert werden. Um die Praxistauglichkeit der entsprechenden Regelung zu erhöhen und den administrativen Aufwand für das SEM und die zuständigen Behörden der Kantone zu verringern, soll die bisherige Regelung ergänzt werden. Demnach soll die vorläufige Aufnahme bei Einreichung eines Asylgesuchs in einem anderen Staat dann nicht erlöschen, wenn die Schweiz 7492

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aufgrund internationaler Verpflichtungen, namentlich jener der Dublin-Assoziierungsabkommen, zur Rückübernahme der betroffenen Personen verpflichtet ist (vgl.

hierzu auch Ausführungen unter Ziff. 2.3).

Zu Buchstabe b Nach geltendem Recht erlischt eine vorläufige Aufnahme bei Erhalt einer Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz (Art. 84 Abs. 4 AIG) oder bei einer definitiven Ausreise. Die Ausreise gilt gemäss geltendem Recht unter anderem dann als definitiv, wenn die betroffene Person eine Aufenthaltsregelung in einem anderen Staat erhalten hat (Art. 84 Abs. 4 AIG i. V. m. Art. 26a Bst. b VVWAL). Neu soll auch dieser Erlöschensgrund eigenständig auf Gesetzesstufe geregelt werden.

Zu Buchstabe c Eine vorläufige Aufnahme erlischt gemäss geltendem Recht bei einer definitiven Ausreise, die aufgrund einer Reise in den Heimat- oder Herkunftsstaat ohne gültiges Rückreisevisum oder ohne gültigen Pass für eine ausländische Person erfolgt ist (vgl. Art. 84 Abs. 4 AIG i. V. m. Art. 26a Bst. d VVWAL). Auch dieser Erlöschensgrund soll neu ausdrücklich im AIG verankert werden. Demnach soll die vorläufige Aufnahme dann erlöschen, wenn eine Person unerlaubt in den Heimatoder Herkunftsstaat gereist ist. Wurde eine solche Reise zur Vorbereitung der selbstständigen und definitiven Ausreise und Rückkehr vorgängig durch das SEM bewilligt (vgl. Art. 59d Abs. 2 E-AIG), kommt es nicht zum Erlöschen der vorläufigen Aufnahme. Dies gilt auch dann, wenn die betroffene Person glaubhaft machen kann, dass die Reise in den Heimat- oder Herkunftsstaat aufgrund eines Zwangs erfolgte.

Ein solcher Zwang kann beispielsweise beim Besuch der schwer erkrankten Mutter gegeben sein. Analoges gilt auch für anerkannte Flüchtlinge, die in ihren Heimatoder Herkunftsstaat gereist sind (Art. 63 Abs. 1bis AsylG).

Zu Buchstabe d Nach geltendem Recht erlischt die vorläufige Aufnahme bei einem nicht bewilligten Auslandaufenthalt von mehr als zwei Monaten (Art. 84 Abs. 4 AIG). Diese Regelung soll grundsätzlich im AIG beibehalten werden. Da neu ein expliziter Erlöschensgrund für unerlaubte Reisen in den Heimat- oder Herkunftsstaat im AIG vorgesehen werden soll (vgl. Kommentar zu Bst. c), sollen Reisen in den Heimatoder Herkunftsstaat vom geltenden Erlöschensgrund eines nicht bewilligten Auslandaufenthaltes ausgenommen werden. Der Begriff
«Auslandaufenthalt» soll deshalb durch «Aufenthalt in einem anderen Staat als dem Heimat- oder Herkunftsstaat» ersetzt werden.

Bei einem unerlaubten Aufenthalt handelt es sich um einen Aufenthalt, der ohne gültiges Reisedokument oder ohne Rückreisevisum erfolgt ist. Wurde die Reise vorgängig bewilligt und verbleibt die betroffene Person länger als erlaubt in einem anderen Staat, soll dies zwei Monate nach Ablauf des Reisedokuments oder des Rückreisevisums ebenfalls zum Erlöschen der vorläufigen Aufnahme führen. Um die Praxistauglichkeit der entsprechenden Regelung zu erhöhen und den administrativen Aufwand für das SEM und die zuständigen Behörden der Kantone zu verringern, soll die vorläufige Aufnahme, wie bei der Einreichung eines Asylgesuchs in einem anderen Staat (vgl. Bst. a), nicht erlöschen, wenn die Schweiz aufgrund internationaler Verpflichtungen zur Rückübernahme der betroffenen Personen 7493

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verpflichtet ist (vgl. hierzu auch Kommentar zu Bst. a und Ausführungen unter Ziff. 2.3).

Zu Buchstabe e Gemäss geltendem Recht erlischt eine vorläufige Aufnahme bei einer definitiven Ausreise, die bei einer Abmeldung und Ausreise aus der Schweiz vorliegt (Art. 26a Bst. f VVWAL). Auch diese Regelung soll aus Gründen der Rechtssicherheit materiell unverändert als eigener Erlöschensgrund im AIG verankert werden.

Zu Absatz 5 Die bisherige Regelung des vorliegenden Absatzes soll neu aus systematischen Gründen in Artikel 84a Absatz 1 geregelt werden. Da bei vorläufig aufgenommenen Flüchtlingen für Reisen in den Heimat- oder Herkunftsstaat und in andere Staaten besondere Regelungen gelten (Art. 59c AIG), soll neu in Absatz 5 ausdrücklich festgehalten werden, dass die Massnahmen in Absatz 4 Buchstaben c und d auf diese Personengruppe keine Anwendung finden.

Reist ein anerkannter Flüchtling in den Heimat- oder Herkunftsstaat, führt dies grundsätzlich zur Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft. Die Aberkennung unterbleibt nur dann, wenn die betroffene Person glaubhaft machen kann, dass die Reise aufgrund eines Zwangs erfolgte (Art. 63 Abs. 1bis AsylG). Besteht hingegen ein Reiseverbot für einen anderen Staat und reist ein anerkannter Flüchtling ohne Bewilligung in diesen Staat, wird ihm das Asyl widerrufen (Art. 63 Abs. 2 Bst. b AsylG; vgl. hierzu auch Ziff. 1.1).

Art. 84a

Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung an vorläufig aufgenommene Personen

Aufgrund der Rückmeldungen im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens sollen die Regelungen des Vorentwurfs, wonach im Anschluss an eine Reise in den Heimat- oder Herkunftsstaat während drei Jahren keine vorläufige Aufnahme angeordnet werden kann (Art. 83 Abs. 9bis und 9ter VE-AIG), nicht weiterverfolgt werden (vgl. hierzu Ziff. 2.2.3). Neu soll stattdessen vorgesehen werden, dass bei einer unerlaubten Reise in den Heimat- oder Herkunftsstaat während zehn Jahren keine Aufenthaltsbewilligung wegen eines schwerwiegenden persönlichen Härtefalls mehr erteilt werden kann. Besteht ein Anspruch auf eine Aufenthaltsbewilligung von Gesetzes wegen, muss auch in diesen Fällen eine solche erteilt werden. Dies ist beispielsweise bei der Heirat einer vorläufig aufgenommenen Person mit einer Schweizerin oder einem Schweizer der Fall (Art. 42 Abs. 1 AIG). Folglich soll im AIG eine neue Bestimmung zur Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung an vorläufig aufgenommene Personen geschaffen werden.

Zu Absatz 1 Die bisherige Regelung von Artikel 84 Absatz 5 AIG soll aus systematischen Gründen ebenfalls in die vorliegende Bestimmung aufgenommen werden. Aus Gründen der Vollständigkeit soll der Wortlaut der bisherigen Regelung jedoch angepasst werden, indem neu nicht nur die Zumutbarkeit der Rückkehr in den Herkunftsstaat,

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sondern auch die Zumutbarkeit der Rückkehr in den Heimatstaat geprüft werden soll.

Zu Absatz 2 Vorläufig aufgenommene Personen, die sich seit mehr als fünf Jahren in der Schweiz aufhalten, können nach geltendem Recht bei den zuständigen kantonalen Behörden ein Gesuch um Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung einreichen. Dieses wird unter Berücksichtigung der Integration, der familiären Verhältnisse und der Zumutbarkeit einer Rückkehr in den Herkunftsstaat vertieft geprüft (Art. 84 Abs. 5 AIG; vgl. hierzu auch Kommentar zu Abs. 1). Reist eine vorläufig aufgenommene Person unerlaubt in ihren Heimat- oder Herkunftsstaat, soll ­ wie bereits heute ­ ihre vorläufige Aufnahme grundsätzlich erlöschen (vgl. Kommentar zu Art. 84 Abs. 4 Bst. c). Bestehen nach dem Erlöschen der vorläufigen Aufnahme jedoch weiterhin Vollzugshindernisse, die einer Wegweisung in den Heimat- oder Herkunftsstaat entgegenstehen, kann der betroffenen Person auf Antrag der zuständigen kantonalen Behörde vom SEM erneut eine vorläufige Aufnahme erteilt werden (Art. 83 Abs. 6 AIG). Neu sollen diese vorläufig Aufgenommenen bei einer unerlaubten Reise in den Heimat- oder Herkunftsstaat während zehn Jahren keine Aufenthaltsbewilligung wegen eines schwerwiegenden persönlichen Härtefalls erhalten können. Die Frist von zehn Jahren soll dabei ab der Erteilung der erneuten vorläufigen Aufnahme nach einer Reise in den Heimat- oder Herkunftsstaat beginnen.

Zu Absatz 3 Reist eine asylsuchende Person während ihres hängigen Asylverfahrens in ihren Heimat- oder Herkunftsstaat, wird ihr Asylgesuch in der Regel abgeschrieben (Art. 8 Abs. 3bis AsylG). Kehrt sie während des laufenden Asylverfahrens jedoch wieder in die Schweiz zurück, kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass sie den Schutz der Schweiz nicht benötigt, und ihr Asylgesuch wird in der Regel abgelehnt.

Kann die Wegweisung in einem solchen Fall aufgrund von Vollzugshindernissen nicht vollzogen werden, werden die Betroffenen vorläufig aufgenommen und können weiterhin in der Schweiz verbleiben (Art. 83 Abs. 1 AIG). Damit auch diese Personen für ihre unerlaubte Reise zur Verantwortung gezogen werden, soll auch in diesen Fällen die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung wegen eines schwerwiegenden persönlichen Härtefalls aufgeschoben werden.

Stellt sich nach der unerlaubten Reise in
den Heimat- oder Herkunftsstaat im Rahmen der Wiederaufnahme des Asylverfahrens heraus, dass eine Person die Flüchtlingseigenschaft dennoch erfüllt, soll diese Person für ihre unerlaubte Reise in den Heimat- oder Herkunftsstaat von der Asylgewährung ausgeschlossen werden (vgl.

hierzu Kommentar zu Art. 53 Bst. d E-AsylG). Sie wird als Flüchtling vorläufig aufgenommen (Art. 83 Abs. 8 AIG) und soll ebenfalls von der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung während zehn Jahren ab Erteilung der vorläufigen Aufnahme ausgeschlossen werden. Dies ist gerechtfertigt, da diese Person während des laufenden Asylverfahrens eine unerlaubte Reise in den Heimat- oder Herkunftsstaat getätigt hat und sie sich während des Asylverfahrens den Behörden zur Verfügung stellen muss.

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Reist eine schutzbedürftige Person unerlaubt in ihren Heimat- oder Herkunftsstaat, soll ihr vorübergehender Schutz erlöschen, wenn die Reise nicht aufgrund eines Zwangs erfolgt ist (vgl. Kommentar zu Art. 79 Bst. e E-AsylG). Obwohl diese Personen immer noch unter die vom Bundesrat bezeichnete Gruppe von Schutzbedürftigen fallen würden, sollen sie von der erneuten Gewährung vorübergehenden Schutzes ausgeschlossen werden (Art. 73 Bst. a AsylG i. V. m. Art. 53 Bst. d E-AsylG). Dies soll auch für Personen gelten, die ein Gesuch zur Gewährung vorübergehenden Schutzes eingereicht haben, jedoch aufgrund einer unerlaubten Reise in den Heimat- oder Herkunftsstaat von der Gewährung vorübergehenden Schutzes ausgeschlossen werden (Art. 73 Bst. a AsylG i.V.m. Art. 53 Bst. d E-AsylG). Demnach müssen diese Personen die Schweiz verlassen. Bestehen jedoch Vollzugshindernisse hinsichtlich der Wegweisung in den Heimat- oder Herkunftsstaat, werden auch diese Personen vorläufig aufgenommen (Art. 83 Abs. 1 AIG).

Daher soll auch diesen Personen im Falle einer unerlaubten Reise in den Heimatoder Herkunftsstaat während zehn Jahren ab der Erteilung der vorläufigen Aufnahme keine Aufenthaltsbewilligung wegen eines schwerwiegenden persönlichen Härtefalls gewährt werden können.

Art. 85 Abs. 3, 4, 7­8 Die Absätze 3 und 4 zum Kantonswechsel sollen geändert und in einem separaten Artikel geregelt werden (Art. 85b E-AIG). Die in Absatz 4 vorgesehene Überprüfungsbeschränkung soll aufgehoben werden, da mit dem neuen Anspruch auf den Kantonswechsel unter bestimmten Voraussetzungen (vgl. Ausführungen zu Art. 85b E-AIG) kein Anlass mehr besteht, wie bisher die verfassungsmässigen Ansprüche auf rechtliches Gehör und auf ein gerichtliches Verfahren einzuschränken. Die Verfügung des SEM über den Kantonswechsel soll daher neu beim BVGer angefochten werden können (Art. 31 des Verwaltungsgerichtsgesetzes vom 17. Juni 200554). Beschwerde können die betroffenen Personen sowie die Kantone erheben.

Auch die Absätze 7­8 sollen neu in einen separaten Artikel zum Familiennachzug überführt werden (Art. 85c E-AIG).

Art. 85a Abs. 1, 2 Einleitungsteil und 3bis Zu den Absätzen 1 und 2 In Absatz 1 zweiter Satz und in Absatz 2 wird präzisiert, dass es sich hier um eine unselbstständige Erwerbstätigkeit handelt. Zur selbstständigen Erwerbstätigkeit
siehe Absatz 3bis.

Zu Absatz 3bis Es soll auf Gesetzesstufe präzisiert werden, dass die Meldepflicht auch bei einer selbstständigen Erwerbstätigkeit gilt. Eine entsprechende Regelung besteht bereits auf Verordnungsstufe (Art. 65 Abs. 3 VZAE). Der Begriff «Erwerbstätigkeit» umfasst generell selbstständige und unselbstständige Tätigkeiten (Art. 11 Abs. 2 AIG).

Aufgrund dieser Ergänzung wird auch die Strafbestimmung in Artikel 120 Absatz 1 54

SR 173.32

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Buchstabe f um diesen Absatz ergänzt (Busse bei Verletzung der Meldepflicht).

Durch die vorliegend vorgenommene Präzisierung im Gesetz entstehen den Vollzugsbehörden keine zusätzlichen Kosten.

Art. 85b

Kantonswechsel

Da vorläufig aufgenommene Personen und anerkannte Flüchtlinge seit dem 1. Januar 2019 in der ganzen Schweiz eine Erwerbstätigkeit aufnehmen können und diese nur noch gemeldet werden muss (Art. 85a AIG; Abschaffung des früheren Bewilligungsverfahrens), ist die heutige restriktive Regelung des Kantonswechsels in der Praxis zu einer grösseren Hürde geworden. Neu soll daher auf Gesetzesstufe gemäss der Motion 18.3002 «Punktuelle Anpassungen des Status der vorläufigen Aufnahme» (vgl. auch Ziff. 4.1.1) ein Anspruch auf Kantonswechsel zur Erleichterung der Erwerbstätigkeit in bestimmten Fällen geschaffen werden. Die bestehenden Gründe für einen Kantonswechsel, nämlich die Wahrung der Einheit der Familie und eine schwerwiegende Gefährdung der vorläufig aufgenommenen Person oder anderer Personen, sollen beibehalten werden (Art. 85 Abs. 3 AIG i. V. m. Art. 21 VVWAL und Art. 22 Abs. 2 AsylV 1).

Bereits nach geltendem Recht entscheidet das SEM nach Anhörung der Kantone abschliessend über den Kantonswechsel (Art. 85 Abs. 3 AIG).

Zu Absatz 1 Dieser Absatz entspricht im Grundsatz der heute geltenden Regelung von Artikel 85 Absatz 3 AIG, wonach ein Gesuch um Kantonswechsel beim SEM einzureichen ist.

Die bisher vorgesehene Anhörung der betroffenen Kantone ist mit dem vorgeschlagenen Anspruch auf den Kantonswechsel in den genau umschriebenen Fällen sowie dem neu in allen Fällen beschreitbaren Rechtsweg nicht mehr erforderlich und soll daher gestrichen werden.

Zu Absatz 2 Die bestehenden Gründe für einen Kantonswechsel, nämlich die Wahrung der Einheit der Familie und eine schwerwiegende Gefährdung der vorläufig aufgenommenen Person oder anderer Personen, sollen beibehalten werden (vgl. Art. 85 Abs. 3 AIG sowie Art. 21 VVWAL i. V. m. Art. 22 Abs. 2 AsylV 1). Eine schwerwiegende Gefährdung liegt gemäss der Praxis des SEM bei einer aussergewöhnlichen medizinischen Situation vor, die beispielsweise den raschen Zugriff auf spezifische ärztliche Angebote erfordert, die im bisherigen Wohnsitzkanton nicht zur Verfügung stehen. In der Praxis wird ein Kantonswechsel jedoch nur in seltenen Fällen mit einer solchen Situation begründet. Neu soll präzisiert werden, dass hier eine schwerwiegende Gefährdung der Gesundheit vorliegen muss. Ein solcher Grund kann auch bei schwerer häuslicher Gewalt vorliegen, wenn das Opfer durch
die räumliche Distanz besser vor weiteren Angriffen auf die physische und psychische Integrität geschützt werden kann.

Zu Absatz 3 Die Regelung für den Kantonswechsel in Artikel 22 AsylV 1 wurde ursprünglich für Asylsuchende geschaffen (BBl 1996 II 1, hier 54 f.), sie findet aber durch einen 7497

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Verweis in der VVWAL auch Anwendung für vorläufig Aufgenommene. Da sich die Situation von Asylsuchenden und vorläufig Aufgenommenen insbesondere im Hinblick auf die Möglichkeit der Erwerbstätigkeit und die Anforderungen an die Integration unterscheidet, sollen auch unterschiedliche Voraussetzungen für einen Kantonswechsel gelten. Neu soll der Kantonswechsel von vorläufig Aufgenommenen auf Gesetzesstufe geregelt werden. Im Hinblick auf die berufliche Integration soll ein Anspruch auf den Kantonswechsel geschaffen werden, wenn die betroffene Person ausserhalb des Wohnkantons erwerbstätig ist. Voraussetzung dafür ist, dass: ­

die Person weder für sich noch ihre Familienangehörigen Sozialhilfe bezieht;

­

ein Verbleib im Wohnkanton aufgrund des Arbeitsweges oder der Arbeitszeiten nicht zumutbar ist oder das Arbeitsverhältnis seit mindestens zwölf Monaten besteht; und

­

keine Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder der inneren und äusseren Sicherheit vorliegen, die zu einer Verweigerung der vorläufigen Aufnahme führen (Abs. 4).

Nicht zumutbar ist insbesondere ein sehr langer Arbeitsweg oder ein Arbeitsweg, der mit den öffentlichen Verkehrsmitteln nicht oder nur sehr schwer zu bewältigen ist. Zudem kann aufgrund von Nacht- oder Schichtarbeit sowie unregelmässiger oder langer Arbeitszeiten ein regelmässiges Pendeln zwischen dem Wohn- und Arbeitsort unzumutbar sein. Die massgebenden Kriterien werden auf Verordnungsstufe festgelegt.

Die zeitliche Voraussetzung einer mindestens seit zwölf Monaten bestehenden Erwerbstätigkeit ergibt sich aus dem Arbeitslosenversicherungsgesetz vom 25. Juni 198255, da nach mindestens zwölf Monaten Beitragszeit innerhalb der letzten zwei Jahre (Rahmenfrist für die Beitragszeit) vor der Erstanmeldung ein Recht auf Arbeitslosenentschädigung besteht. Mit dieser Voraussetzung wird das Risiko vermindert, dass die vorläufig aufgenommene Person nach dem Kantonswechsel im neuen Kanton sozialhilfeabhängig wird.

Beendet die vorläufig aufgenommene Person nach dem Kantonswechsel selbstverschuldet das Arbeitsverhältnis, können nach geltendem Recht Sozialhilfeleistungen gekürzt oder ganz entzogen werden (Art. 86 Abs. 1 AIG i. V. m. Art. 83 Abs. 1 Bst. e AsylG).

Der Kantonswechsel ist auch möglich, wenn die vorläufig aufgenommene Person eine berufliche Grundbildung absolviert. Die berufliche Grundbildung ist im Berufsbildungsgesetz vom 13. Dezember 200256 (BBG) definiert. Sie schliesst an die obligatorische Schule oder eine gleichwertige Qualifikation an und dauert zwei bis vier Jahre (Art. 15­19 BBG). Eine vorläufig aufgenommene Person, die über einen Lehrvertrag nach Artikel 14 BBG verfügt, kann somit auch einen Kantonswechsel beantragen, sofern die Voraussetzungen nach den Buchstaben a und b erfüllt sind.

55 56

SR 837.0 SR 412.10

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Zu Absatz 4 Bei allen drei anspruchsbegründenden Konstellationen nach den Absätzen 2 und 3 dürfen auch keine Gründe für eine Aufhebung der vorläufigen Aufnahme nach Artikel 83 Absatz 7 Buchstabe a oder b AIG vorliegen. Es darf somit keine Verurteilung zu einer längerfristigen Freiheitsstrafe im In- oder Ausland oder ein erheblicher oder wiederholter Verstoss oder eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder eine Gefährdung der inneren oder äusseren Sicherheit vorliegen. Dies entspricht auch der Regelung beim Anspruch auf Kantonswechsel von Personen mit Aufenthalts- und Niederlassungsbewilligung (Art. 37 Abs. 2 und 3 AIG).

Zu Absatz 5 Absatz 5 regelt den Kantonswechsel von vorläufig aufgenommenen Flüchtlingen.

Dieser richtet sich nach dem Anspruch auf Kantonswechsel von Personen mit Aufenthaltsbewilligung (Art. 37 Abs. 2 AIG). Somit besteht ein Anspruch auf Kantonswechsel, wenn die Person nicht arbeitslos ist und keine Widerrufsgründe nach Artikel 62 Absatz 1 AIG vorliegen. Dies trägt den Anforderungen der Flüchtlingskonvention (Art. 26 FK) Rechnung, wonach die Regelung für den Kantonswechsel für Flüchtlinge gleich sein muss wie die Regelung, die «unter den gleichen Umständen für Ausländer im Allgemeinen» gilt. In der Flüchtlingskonvention bedeutet der Ausdruck «unter den gleichen Umständen», dass «eine Person alle Bedingungen (vor allem diejenigen über Dauer und Voraussetzungen von Aufenthalt und Niederlassung) zur Ausübung eines Rechts erfüllen muss, gleich wie wenn sie nicht Flüchtling wäre» (Art. 6 FK). Damit wird auch ein Entscheid des BVGer (BVGE-2012/2) gesetzlich konkretisiert, der davon ausging, dass hier die Regelung des Kantonswechsels für Personen mit Niederlassungsbewilligung zur Anwendung kommen sollte. Mit der vorgeschlagenen Regelung wird der Tatsache Rechnung getragen, dass die vorläufige Aufnahme von anerkannten Flüchtlingen näher beim Status der Aufenthaltsbewilligung als der Niederlassungsbewilligung liegt (vgl. auch Ziff. 2.2.2 zu den Ergebnissen der Vernehmlassung).

Art. 85c

Familiennachzug

Der Familiennachzug für vorläufig Aufgenommene ist heute in Artikel 85 in den Absätzen 7­8 AIG geregelt. Aus systematischen Gründen und zur besseren Lesbarkeit sollen diese Absätze in einen neuen Artikel überführt werden. Der Inhalt des bisherigen Absatzes 7bis von Artikel 85 AIG, nämlich die Ausnahme vom Erfordernis, sich in der am Wohnort gesprochenen Landessprache verständigen zu können, wenn sich der nachzuziehende Ehegatte oder die Ehegattin zu einem Sprachförderungsangebot angemeldet hat, wird in die Aufzählung der Voraussetzungen für einen Familiennachzug integriert (Abs. 1). Der Inhalt dieser Bestimmungen ändert sich nicht. Die vorläufig aufgenommenen Flüchtlinge werden jedoch nicht mehr separat erwähnt, da für sie die gleichen gesetzlichen Voraussetzungen für den Familiennachzug gelten.

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Art. 120 Abs. 1 Bst. f und h Zu Buchstabe f Da die Meldepflicht für eine selbstständige Erwerbstätigkeit von vorläufig Aufgenommenen in Artikel 85a Absatz 3bis präzisiert wird, muss dieser neue Absatz auch in die bestehende Strafbestimmung zu den Sanktionen für eine Meldepflichtverletzung aufgenommen werden.

Zu Buchstabe h Das geltende AIG enthält bereits Strafbestimmungen für vorsätzliche oder fahrlässige Widerhandlungen, die mit Busse bestraft werden (Art. 120 AIG). Zu diesen Widerhandlungen zählen beispielsweise Verletzungen der An- oder Abmeldepflichten sowie ein nicht bewilligter Stellen- oder Kantonswechsel (Art. 120 Abs. 1 Bst. a, b und c AIG). Für die Anordnung solcher Bussen sind die Kantone verantwortlich.

Neu soll auch eine unerlaubte Reise ins Ausland mit Busse bestraft werden können.

Als unerlaubte Auslandreisen sollen grundsätzlich alle Reisen in den Heimat- oder Herkunftsstaat gelten. Ausgenommen hiervon sind Reisen, die zur Vorbereitung der selbstständigen und definitiven Ausreise und Rückkehr durch das SEM im Einzelfall ausnahmsweise vorgängig bewilligt worden sind (Art. 59d E-AIG). Zusätzlich sollen auch Reisen in andere Staaten als den Heimat- oder Herkunftsstaat, die ebenfalls nicht vorgängig genehmigt wurden, als unerlaubte Auslandreisen gelten und mit Busse bestraft werden können (Art. 59e E-AIG). Die entsprechende Massnahme soll auf asylsuchende, vorläufig aufgenommene und schutzbedürftige Personen Anwendung finden, unabhängig davon, ob bereits weitere Massnahmen angeordnet worden sind. So kann beispielsweise die vorläufige Aufnahme einer Person aufgrund einer unerlaubten Reise in den Heimatstaat erlöschen (Art. 84 Abs. 4 Bst. c E-AIG) und die Person kann gleichzeitig mit einer Busse belangt werden. Kann die betroffene Person in einem solchen Fall hingegen glaubhaft machen, dass die Reise in den Heimatstaat aufgrund eines Zwangs erfolgte, erlischt die vorläufige Aufnahme nicht.

Da diese Personen gegen die Einschränkungen für Reisen in den Heimatstaat verstossen haben, sollen sie aber dennoch mit einer Busse belangt werden können.

Art. 122d

Verweigerung der Ausstellung von Reisedokumenten und der Erteilung von Rückreisevisa

Bei unerlaubten Reisen in einen anderen Staat als den Heimat- oder Herkunftsstaat soll das SEM auch die Möglichkeit haben, asylsuchenden, vorläufig aufgenommenen und schutzbedürftigen Personen die Ausstellung eines Reisedokuments oder die Erteilung eines Rückreisevisums für drei Jahre zu verweigern. Die Frist für die Verweigerung soll dabei ab der Wiedereinreise in die Schweiz zu laufen beginnen.

Um dem Verhältnismässigkeitsprinzip angemessen Rechnung zu tragen, soll es im Ermessen des SEM liegen, im Einzelfall zu entscheiden, ob diese administrative Massnahme ergriffen werden soll. So kann eine Reise in einen Nachbarstaat der Schweiz beispielsweise zu Ausbildungszwecken oder zum Besuch von minderjährigen Kindern notwendig sein.

7500

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Art. 126e

Übergangsbestimmungen zur Änderung vom ...

Zu Absatz 1 Reicht eine asylsuchende, vorläufig aufgenommene oder schutzbedürftige Person vor dem Inkrafttreten der vorliegenden Änderung des AIG ein Gesuch um Ausstellung eines Reisedokuments oder um Erteilung eines Rückreisevisums ein und ist das Gesuch noch hängig, soll das bisherige Recht anwendbar bleiben (Art. 59 AIG, Art. 4, 7 und 9 RDV). Wird ein entsprechendes Gesuch hingegen erst nach dem Inkrafttreten der vorgeschlagenen Änderung des AIG eingereicht, sollen die neuen Regelungen nach den Artikeln 59, 59d und 59e E-AIG Anwendung finden.

Zu Absatz 2 Die neuen Sanktionsmassnahmen für unerlaubte Reisen ins Ausland (Art. 84 Abs. 4, 84a Abs. 2 und 3, 120 Abs. 1 Bst. h und 122d E-AIG, Art. 53 Bst. d und 79 Bst. e E-AsylG) sollen aus Gründen der Rechtssicherheit und wegen des Rückwirkungsverbots von neuen Strafbestimmungen nur für Reisen, die nach dem Inkrafttreten der vorliegenden Änderung des AIG angetreten wurden, anwendbar sein.

5.2

Asylgesetz vom 26. Juni 1998 (AsylG)

Art. 53 Bst. d Reist eine asylsuchende Person während ihres hängigen Asylverfahrens in ihren Heimat- oder Herkunftsstaat, wird ihr Asylgesuch grundsätzlich abgeschrieben (Art. 8 Abs. 3bis AsylG). Kehrt eine Person während des laufenden Asylverfahrens wieder in die Schweiz zurück und stellt sich im Rahmen des Asylverfahrens heraus, dass sie die Flüchtlingseigenschaft erfüllt, soll diese Person für die unerlaubte Reise während des Asylverfahrens von der Asylgewährung ausgeschlossen werden. Dies hat zur Folge, dass der betroffenen Person kein Asyl und damit auch keine Aufenthaltsbewilligung erteilt wird, sondern sie lediglich vorläufig aufgenommen wird (Art. 83 Abs. 8 AIG). Dies ist gerechtfertigt, da diese Person während des laufenden Asylverfahrens eine unerlaubte Reise in den Heimat- oder Herkunftsstaat getätigt hat und sie sich während des Asylverfahrens den Behörden zur Verfügung stellen muss. Zusätzlich sollen auch diese Personen von der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung während zehn Jahren ausgeschlossen werden (vgl. Kommentar zu Art. 84a Abs. 3 E-AIG; Ziff. 5.1).

Art. 61 Abs. 1 und 2 Das Meldeverfahren für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit von anerkannten Flüchtlingen und von vorläufig Aufgenommenen ist gleich geregelt. 57 Es soll auf Gesetzesstufe präzisiert werden, dass die Meldepflicht sowohl für eine unselbstständige als auch für eine selbstständige Erwerbstätigkeit gilt. Eine entspre57

Vgl. dazu die Zusatzbotschaft vom 4. März 2016 zur Änderung des Ausländergesetzes (Integration), 13.030, BBl 2016 2821, hier 2846 f.

7501

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chende Regelung besteht bereits auf Verordnungsstufe (Art. 65 VZAE). Der bisher verwendete Begriff «Erwerbstätigkeit» umfasst generell selbstständige und unselbstständige Tätigkeiten (Art. 11 Abs. 2 AIG).

Für das Meldeverfahren wird auf die Bestimmungen in Artikel 85a Absätze 2­6 AIG für vorläufig Aufgenommene verwiesen, die ebenfalls sowohl die selbstständige als auch die unselbstständige Erwerbstätigkeit umfassen.

Die französische und die italienische Fassung von Absatz 1 soll zudem an den Wortlaut der deutschen Fassung sowie an den Wortlaut des geltenden Artikels 85a Absatz 1 AIG (alle drei Amtssprachen) angepasst werden. Der Ausdruck in der geltenden französischen Fassung «sont autorisés à exercer une activité lucrative» und in der geltenden italienischen Fassung «sono autorizzati a esercitare un'attività lucrativa» soll so geändert werden, dass er der geltenden deutschen Fassung «können eine Erwerbstätigkeit ausüben» wörtlich entspricht.

Bei Absatz 1 besteht Koordinationsbedarf mit dem Bundesgesetz über polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT; vgl. Ziff. 4.3).

Art. 78 Abs. 1 Bst. c und Abs. 2 Nach geltendem Recht kann das SEM den vorübergehenden Schutz widerrufen, wenn sich die schutzbedürftige Person seit der Gewährung des vorübergehenden Schutzes mehrfach oder für längere Zeit im Heimat- oder Herkunftsstaat aufgehalten hat (Art. 78 Abs. 1 Bst. c AsylG). Der vorübergehende Schutz wird nur dann nicht widerrufen, wenn das Einverständnis der zuständigen Behörde für eine Reise in den Heimat- oder Herkunftsstaat vorliegt (Art. 78 Abs. 2 AsylG). Aufgrund der im Rahmen dieser Vorlage neu vorgeschlagenen weitergehenden Sanktionsmassnahme, wonach der vorübergehende Schutz bei einer unerlaubten Reise in den Heimat- oder Herkunftsstaat grundsätzlich automatisch erlischt (vgl. Art. 79 Bst. e E-AsylG), kann die vorliegende Regelung gestrichen werden. Die neu vorgeschlagene Massnahme führt im Gegensatz zur bisherigen Regelung zu einem unmittelbaren Erlöschen des vorübergehenden Schutzes von Gesetzes wegen, ohne dass ein entsprechender Widerruf notwendig ist.

Art. 79 Bst. e Bereits nach geltendem Recht erlischt der vorübergehende Schutz, wenn die schutzbedürftige Person den Mittelpunkt ihrer Lebensverhältnisse ins Ausland verlegt hat, auf den vorübergehenden Schutz verzichtet,
eine Niederlassungsbewilligung erhalten hat oder mit einer rechtskräftigen Landesverweisung belegt ist (Art. 79 AsylG). Damit das grundsätzliche Reiseverbot für schutzbedürftige Personen für deren Heimat- oder Herkunftsstaat tatsächlich durchgesetzt werden kann (Art. 59d E-AIG), soll der vorübergehende Schutz neu auch dann erlöschen, wenn eine schutzbedürftige Person in ihren Heimat- oder Herkunftsstaat gereist ist. Diese Regelung entspricht derjenigen für vorläufig aufgenommene Personen (Art. 84 Abs. 4 Bst. c E-AIG).

Der vorübergehende Schutz erlischt dann nicht, wenn die Reise zur Vorbereitung der selbstständigen und definitiven Ausreise und Rückkehr vorgängig durch das 7502

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SEM bewilligt wurde (Art. 59d E-AIG). Dies gilt auch dann, wenn die betroffene Person glaubhaft machen kann, dass die Reise in den Heimat- oder Herkunftsstaat aufgrund eines Zwangs erfolgte. Ein solcher Zwang kann beispielsweise beim Besuch der schwer erkrankten Eltern gegeben sein.

Obwohl diese Personen immer noch unter die vom Bundesrat bezeichnete Gruppe von Schutzbedürftigen fallen, sind sie von der erneuten Gewährung vorübergehenden Schutzes ausgeschlossen und müssen grundsätzlich die Schweiz verlassen (Art. 73 Bst. a AsylG i. V. m. Art. 53 Bst. d E-AsylG; vgl. auch Kommentar zu Art. 84a Abs. 3 E-AIG; Ziff. 5.1).

6

Auswirkungen

6.1

Auswirkungen auf den Bund

Die Vorlage hat voraussichtlich keine bedeutenden finanziellen und personellen Auswirkungen auf den Bund. Ein allfälliger Mehraufwand könnte daher im Rahmen der eingestellten Ressourcen aufgefangen werden.

Anpassungen des Status der vorläufigen Aufnahme Die Gesuche für einen Kantonswechsel von vorläufig Aufgenommenen nach den vorgeschlagenen neuen Bestimmungen sollen wie bisher vom SEM behandelt werden. Zusätzliche finanzielle oder personelle Mittel sind dafür nicht erforderlich.

Es ist jedoch mit einem gewissen zusätzlichen personellen Aufwand beim BVGer aufgrund der erweiterten Beschwerdemöglichkeit bei Entscheiden über den Kantonswechsel zu rechnen. Die Zahl der möglichen Beschwerden an das BVGer ist nicht abschätzbar. Es ist jedoch nicht mit einem markanten Anstieg von Gesuchen um Kantonswechsel und damit auch nicht von möglichen Beschwerden an das BVGer zu rechnen, da der Kreis der Betroffenen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung in der Schweiz klein ist (per Ende April 2020 waren 33 145 der vorläufig aufgenommenen Personen, inkl. vorläufig aufgenommene Flüchtlinge, in einem erwerbsfähigen Alter) und die Voraussetzungen für einen Kantonswechsel immer noch vergleichsweise hoch sind.

Mit dem Abbau der Hürden bei der Arbeitsmarktintegration durch eine Erleichterung des Kantonswechsels von vorläufig Aufgenommenen soll die Sozialhilfeabhängigkeit dieser Personengruppe vermindert werden. Dies wirkt sich in den ersten sieben Jahren des Aufenthalts in der Schweiz positiv auf die Sozialhilfekosten der Kantone und aufgrund der pauschalen Abgeltungen der Kantone durch den Bund auch positiv auf die Bundesfinanzen aus. Kann sich die vorläufig aufgenommene Person erst nach diesen sieben Jahren in den Arbeitsmarkt integrieren und von der Sozialhilfe lösen, führt dies nur bei den Kantonen und Gemeinden zu geringeren Sozialhilfekosten (siehe auch Ziff. 6.2).

Einschränkungen für Reisen ins Ausland Das SEM entscheidet bereits heute basierend auf den von den kantonalen Ausländerbehörden zugestellten Gesuchsunterlagen über die Ausstellung eines Reisedoku7503

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ments oder die Erteilung eines Rückreisevisums und stellt die entsprechenden Dokumente für Auslandreisen aus (Art. 14 und 15 RDV). Mit den neu vorgeschlagenen Einschränkungen für Auslandreisen (Art. 59d und Art. 59e E-AIG) soll dieser Ablauf unverändert beibehalten werden. Zudem ist nicht davon auszugehen, dass die Gesuchszahlen aufgrund dieser Regelungen ansteigen werden. Folglich werden die vorgeschlagenen Neuregelungen voraussichtlich keine finanziellen und personellen Auswirkungen auf den Bund haben.

Auch die vorgeschlagenen Sanktionsmassnahmen im Zuständigkeitsbereich des SEM (Art. 84 Abs. 4 und 122d E-AIG, Art. 53 Bst. d und 79 Bst. e E-AsylG) können voraussichtlich ohne finanziellen und personellen Mehraufwand umgesetzt werden, da sie grundsätzlich an bereits bestehende Massnahmen im Asyl- und Ausländerbereich anknüpfen. Es ist jedoch festzuhalten, dass sich die Anzahl der Fälle, in denen eine unerlaubte Reise in den Heimat- oder Herkunftsstaat oder in einen anderen Staat unternommen wird und demnach die vorgeschlagenen Regelungen zur Anwendung gelangen, nicht abschätzen lässt.

6.2

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete

Anpassungen des Status der vorläufigen Aufnahme Durch die Erleichterung des Kantonswechsels von vorläufig Aufgenommenen zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit sinken die Sozialhilfekosten nach sieben Jahren Aufenthalt in der Schweiz auch für die Kantone (siehe Ziff. 6.1). Das Ausmass kann jedoch nicht beziffert werden. Mit dem Kantonswechsel könnte ein Bezug von Sozialhilfe im neuen Kanton verbunden sein, wenn die Erwerbstätigkeit nicht nachhaltig ist. Allerdings führt die vorgeschlagene Änderung dazu, dass in diesen Fällen zunächst die Arbeitslosenversicherung greift, da die betroffenen Personen die dafür erforderlichen Versicherungsbeiträge geleistet haben. Insgesamt ergibt sich daraus kein Mehraufwand für die Kantone.

Einschränkungen für Reisen ins Ausland Bereits nach geltendem Recht müssen asylsuchende, vorläufig aufgenommene und schutzbedürftige Personen zur Einreichung eines Gesuchs für eine Auslandreise persönlich bei der zuständigen kantonalen Ausländerbehörde vorsprechen. Diese leitet das Gesuch sowie allfällige Gesuchsunterlagen an das SEM weiter. Diese Abläufe sollen auch mit den vorgeschlagenen Einschränkungen von Auslandreisen beibehalten werden (Art. 59, 59d und 59e E-AIG). Da es sich demnach um einen bereits bestehenden Prozess handelt, ist nicht davon auszugehen, dass die Gesuchszahlen ansteigen werden. Folglich werden diese Einschränkungen für Auslandreisen voraussichtlich keine finanziellen und personellen Auswirkungen auf die Kantone haben.

Für die Anordnung von Sanktionen im Ausländerbereich sind bereits heute die Kantone zuständig. Es kann davon ausgegangen werden, dass der zusätzliche Vollzug der neuen Sanktionsmassnahmen (Art. 84a Abs. 2 und 3 sowie 120 Abs. 1 7504

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Bst. h E-AIG) keine wesentlichen finanziellen und personellen Auswirkungen auf die Kantone haben wird. Die Kantone sind zuständig für die Ausstellung von Aufenthaltsbewilligungen. Folglich obliegt ihnen auch der Vollzug der neuen Regelung, wonach vorläufig aufgenommene Personen, die unerlaubt in den Heimatoder Herkunftsstaat gereist sind, grundsätzlich während zehn Jahren von der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung ausgeschlossen werden (Art. 84a Abs. 2 und 3 E-AIG). Ein Mehraufwand ist damit nicht verbunden. Es kann allerdings aus heutiger Sicht nicht abgeschätzt werden, in wie vielen Fällen die neuen Sanktionsmassnahmen künftig ergriffen werden müssen.

Auswirkungen auf Gemeinden sowie auf urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete Die Vorlage hat keine spezifischen Auswirkungen auf Gemeinden, urbane Zentren, Agglomerationen und Berggebiete. Auf weitergehende Abklärungen wurde daher verzichtet.

6.3

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft, die Gesellschaft und die Umwelt

Bei den vorgeschlagenen Regelungen sind im Bereich der Volkswirtschaft, der Gesellschaft und der Umwelt keine nennenswerten Auswirkungen zu erwarten. Auf weitergehende Abklärungen wurde daher verzichtet.

7

Rechtliche Aspekte

7.1

Verfassungsmässigkeit

Die Vorlage stützt sich auf Artikel 121 Absatz 1 der Bundesverfassung (BV)58, der dem Bund die Kompetenz zur Gesetzgebung über die Ein- und Ausreise, den Aufenthalt und die Niederlassung von Ausländerinnen und Ausländern sowie über die Gewährung von Asyl gibt.

7.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Anpassungen des Status der vorläufigen Aufnahme Diese Änderungen sind mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar.

Zur Vereinbarkeit mit der Flüchtlingskonvention siehe die Ziffern 2.2.2, 4.1.1 und 5.1 zu Artikel 85b Absatz 5 E-AIG.

58

SR 101

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Einschränkungen für Reisen ins Ausland Die Einschränkungen für Reisen ins Ausland und die entsprechenden Sanktionsmassnahmen der Vorlage sind mit den internationalen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar. Asylsuchende, vorläufig aufgenommene und schutzbedürftige Personen haben im Gegensatz zu anerkannten Flüchtlingen keinen Anspruch auf die Ausstellung von Reisedokumenten oder Rückreisevisa aufgrund völkerrechtlicher Verträge (vgl. Art. 28 FK). Demnach liegt es im Ermessen der einzelnen Staaten zu entscheiden, ob den betroffenen Personen Reisen ins Ausland bewilligt werden oder nicht.

Um dem Verhältnismässigkeitsprinzip angemessen Rechnung tragen zu können, soll insbesondere eine Reise in den Heimat- oder Herkunftsstaat nicht zum Erlöschen der vorläufigen Aufnahme bzw. des vorübergehenden Schutzes führen, wenn die betroffene Person glaubhaft machen kann, dass die Reise aufgrund eines Zwangs erfolgte (Art. 84 Abs. 4 Bst. c E-AIG sowie Art. 79 Bst. e E-AsylG).

Folglich kann mit den vorgeschlagenen Einschränkungen für Reisen ins Ausland und den entsprechenden Sanktionsmassnahmen auch den Vorgaben der Konvention vom 4. November 195059 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und anderen internationalen Übereinkommen entsprochen werden.

7.3

Erlassform

Mit der Vorlage sollen die beiden Motionen 18.3002 «Punktuelle Anpassungen des Status der vorläufigen Aufnahme» und 15.3953 «Keine Reisen ins Heimatland für vorläufig Aufgenommene» umgesetzt werden (vgl. Ziff. 1.1). Im Rahmen dieser Vorstösse wird der Bundesrat beauftragt, gesetzliche Anpassungen bei den Regelungen für vorläufig aufgenommene Personen vorzunehmen. Da folglich beide Motionen dieselbe Personengruppe betreffen, sollen die notwendigen Anpassungen durch dieselbe Vorlage vorgenommen werden. Gemäss Artikel 164 Absatz 1 BV sind alle wichtigen rechtsetzenden Bestimmungen in der Form des Bundesgesetzes zu erlassen.

Anpassungen des Status der vorläufigen Aufnahme Der Kantonswechsel für vorläufig Aufgenommene ist bisher einerseits im Gesetz (AIG) und andererseits in Verordnungen geregelt (siehe Ziff. 1.1). Da der Kantonswechsel für ausländerrechtliche Bewilligungen abschliessend im Gesetz geregelt ist (Art. 37 AIG für Personen mit Kurzaufenthalts-, Aufenthalts- sowie Niederlassungsbewilligung), soll auch der Kantonswechsel für vorläufig Aufgenommene auf Gesetzesstufe geregelt werden. Zudem sollen neue Rechtsansprüche geschaffen werden, für die eine gesetzliche Regelung erforderlich ist.

Die Systematik des AIG soll weiter vereinfacht werden, indem die für die vorläufig Aufgenommenen wichtigen Bereiche der Erwerbstätigkeit, des Kantonswechsels und des Familiennachzugs neu in separaten Artikeln geregelt werden. Die Ausführungsbestimmungen dazu werden weiterhin in der VZAE geregelt.

59

SR 0.101

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Einschränkungen für Reisen ins Ausland Neu sollen die Grundzüge von Auslandreisen für asylsuchende, vorläufig aufgenommene und schutzbedürftige Personen aus Gründen der Rechtssicherheit und in Analogie zu den Regelungen von Reisen von anerkannten Flüchtlingen einheitlich auf Gesetzesstufe geregelt werden (Art. 59d und 59e E-AIG). Dies gilt aus Transparenzgründen auch für die entsprechenden Sanktionsmassnahmen bei Verstössen gegen diese neuen Einschränkungen für Auslandreisen (Art. 84 Abs. 4, 84a Abs. 2 und 3, 120 Abs. 1 Bst. h und 122d E-AIG sowie Art. 53 Bst. d und 79 Bst. e E-AsylG).

7.4

Unterstellung unter die Ausgabenbremse

Mit der Vorlage werden weder neue Subventionsbestimmungen noch neue Verpflichtungskredite oder Zahlungsrahmen beschlossen. Die Vorlage ist somit nicht der Ausgabenbremse (Art. 159 Abs. 3 Bst. b BV) unterstellt.

7.5

Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen

Die Vorlage enthält in den Artikeln 59, 59d und 59e E-AIG Delegationsnormen an den Bundesrat zum Erlass von Verordnungsrecht. Der Bundesrat soll dabei ermächtigt werden, die Modalitäten für die Ausstellung von Reisedokumenten und für die Erteilung von Rückreisevisa festzulegen (Art. 59 Abs. 6 E-AIG). Weiter soll er ermächtigt werden, die Voraussetzungen für die Bewilligung einer Reise in den Heimat- oder Herkunftsstaat für vorläufig aufgenommene und schutzbedürftige Personen festzulegen (Art. 59d Abs. 2 E-AIG). Zudem soll der Bundesrat auf Verordnungsstufe regeln, wann ein besonderer persönlicher Grund vorliegt und eine vorläufig aufgenommene oder schutzbedürftige Person ausnahmsweise in einen anderen Staat als den Heimat- oder Herkunftsstaat reisen darf (Art. 59e Abs. 3 E-AIG). Diese Delegationen enthalten Regelungen, deren Konkretisierungsgrad die Gesetzesebene überschreiten würde. Durch die vorgegebenen Grundsätze in den Artikeln 59, 59d und 59e E-AIG wird die Rechtsetzungsermächtigung des Gesetzes an den Bundesrat hinreichend konkretisiert.

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