20.047 Botschaft zur Genehmigung des Abkommens zwischen der Schweiz und Bosnien und Herzegowina über soziale Sicherheit vom 5. Juni 2020

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf zu einem Bundesbeschluss über die Genehmigung des Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und Bosnien und Herzegowina über soziale Sicherheit.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

5. Juni 2020

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Simonetta Sommaruga Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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Übersicht Das vorliegende Abkommen über soziale Sicherheit mit Bosnien und Herzegowina ist das letzte in einer Reihe von Abkommen, welche das mit der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien abgeschlossene Sozialversicherungsabkommen durch separate Abkommen mit den Nachfolgestaaten ersetzen.

Ausgangslage Bosnien und Herzegowina ist ein Nachfolgestaat der ehemaligen Föderativen Volksrepublik Jugoslawien. Die Beziehungen zwischen der Schweiz und diesem Staat im Bereich der sozialen Sicherheit werden heute nach wie vor durch das Abkommen mit der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien aus dem Jahr 1962 geregelt.

Der Abschluss eines neuen Abkommens ist notwendig, da der Abkommenstext veraltet und die Abkommensbestimmungen nicht auf die aktuelle Gesetzgebung der Vertragsparteien zugeschnitten sind.

Mit den übrigen Nachfolgestaaten der ehemaligen Föderativen Volksrepublik Jugoslawien wurden bereits neue Abkommen abgeschlossen. 2019 sind die Abkommen mit Serbien und mit Montenegro (1. Januar) sowie mit Kosovo (1. September) in Kraft getreten.

Inhalt der Vorlage Das Abkommen folgt dem Muster der von der Schweiz bislang abgeschlossenen Sozialversicherungsabkommen und richtet sich nach den im internationalen Sozialversicherungsrecht allgemein geltenden Grundsätzen. Dazu gehören insbesondere Bestimmungen über die Gleichbehandlung der Staatsangehörigen der Vertragsstaaten, die Auszahlung der Renten im Ausland, die Anrechnung von Versicherungszeiten sowie über die Unterstellung von Erwerbstätigen und die gegenseitige Verwaltungshilfe. Ausserdem enthält das Abkommen eine Grundlage für die Bekämpfung von Missbrauch und Betrug.

Das Abkommen erfasst schweizerischerseits die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung sowie die Unfallversicherung und die Familienleistungen in der Landwirtschaft. Ausserdem sieht das Abkommen gewisse Regelungen über die Koordinierung der Krankenversicherung vor.

Im ersten Teil befasst sich die Botschaft mit der Entstehung des Abkommens; sie beschreibt dann das Sozialversicherungssystem von Bosnien und Herzegowina und enthält schliesslich einen Kommentar zu den einzelnen Bestimmungen des Abkommens.

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Botschaft 1

Ausgangslage

1.1

Handlungsbedarf und Ziele

Bosnien und Herzegowina ist ein Nachfolgestaat der ehemaligen Föderativen Volksrepublik Jugoslawien, der 1992 seine Unabhängigkeit erklärte. Gestützt auf Erklärungen von Bosnien und Herzegowina und der Schweiz wurde das Abkommen vom 8. Juni 19621 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien über soziale Sicherheit weiterhin zwischen den beiden Staaten angewandt.

Die Schweiz verfügt über neue Vertragswerke mit den Nachfolgestaaten Slowenien, Kroatien, Mazedonien, Serbien, Montenegro sowie Kosovo. Auf Slowenien und Kroatien finden inzwischen das Freizügigkeitsabkommen vom 21. Juni 19992 beziehungsweise die EU-Verordnungen (EG) Nr. 883/20043 und Nr. 987/20094 für die Koordinierung der sozialen Sicherheit Anwendung.

Das Abkommen mit der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien entspricht nicht mehr den aktuellen Gesetzgebungen der Vertragsstaaten. In Bezug auf Bosnien und Herzegowina sind insbesondere die Verweise auf das Recht der ehemaligen Föderativen Volksrepublik Jugoslawien bedeutungslos. Seitens der Schweiz ist unter anderem eine Anpassung an die Gesetzesänderungen in der Invalidenversicherung notwendig, da die Mindestbeitragszeit im Rahmen der 5. IV-Revision von einem auf drei Jahre angehoben wurde.

Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zur Motion der Fraktion der Schweizerischen Volkspartei vom 24. September 2009 (09.3887) festgehalten, dass die Abkommen mit den Balkanstaaten nur erneuert oder neu abgeschlossen werden sollen, sofern ein funktionierendes Dispositiv zur Aufklärung von Betrugsfällen vorliegt.

Zu diesem Zweck wurden Bestimmungen zur Bekämpfung von Missbrauch und Betrug in den Abkommenstext aufgenommen. Sie erlauben u. a. die Beauftragung von anerkannten Stellen mit weiteren Abklärungen vor Ort.

Mit dem neuen Abkommen sollen die sozialversicherungsrechtlichen Beziehungen mit Bosnien und Herzegowina weitergeführt und aktualisiert werden.

1 2

3 4

SR 0.831.109.818.1 SR 0. 142.112.681; Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit SR 0.831.109.268.1; Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit SR 0.831.109.268.11; Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit

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1.2

Verlauf der Verhandlungen und Verhandlungsergebnis

Die Verhandlungen mit Bosnien und Herzegowina wurden im September 2002 aufgenommen. Es folgten in längeren zeitlichen Intervallen verschiedene Verhandlungsrunden. Unter anderem verursachte die 5. IV-Revision einen Unterbruch im Fortgang des Dossiers. Der Ausgang der Referendumsabstimmung 2007 musste abgewartet werden, weil die Erhöhung der Mindestbeitragsdauer für IV-Renten Auswirkungen auf den Abkommenstext hatte.

Die Einleitung des Unterzeichnungsverfahrens wurde in der Folge durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts in Bezug auf Kosovo verzögert, die eine Weiteranwendung des alten Jugoslawienabkommens statuierte und somit zu Unsicherheiten in Hinblick auf das weitere Vorgehen bezüglich der neuen Abkommen mit den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien führte. Nach Klärung dieser Fragen durch das Bundesgericht genehmigte der Bundesrat das Abkommen aufgrund des ersten Unterzeichnungsantrags des EDI am 7. Juni 2013.

In der Folge traten bei der Übersetzungskontrolle der drei bosnisch-herzegowinischen Sprachversionen (bosnisch, serbisch, kroatisch) erhebliche Schwierigkeiten zutage. Die beiden Delegationen trafen sich deshalb nach zahlreichen Schriftwechseln im Oktober 2017 erneut. An diesem Treffen wurden von beiden Seiten nochmals materielle Änderungen eingebracht und die Sprachversionen bereinigt. Die Texte konnten Anfang Mai 2018 definitiv bereinigt werden.

Der Bundesrat hat die vorliegende Fassung des Abkommens am 15. Juni 2018 genehmigt. Das Abkommen wurde am 1. Oktober 2018 in Sarajevo unterzeichnet.

Der Inhalt des Abkommens entspricht anderen in letzter Zeit abgeschlossenen Sozialversicherungsabkommen. Die neuen Regelungen enthalten insbesondere die aus schweizerischer Sicht wichtige Grundlage für die Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Missbräuchen und Betrug. Überdies sind die weitgehende Gleichbehandlung der Vertragsstaatsangehörigen sowie der Leistungsexport gewährleistet.

1.3

Verhältnis zur Legislaturplanung und zu Strategien des Bundesrates

Das vorliegende Abkommen ist weder in der Botschaft zur Legislaturplanung 2015­ 20195 noch im Bundesbeschluss über die Legislaturplanung 2015­20196 angekündigt, da es sich im Hinblick auf die anderen von der Schweiz abgeschlossenen Sozialversicherungsabkommen um ein Geschäft mit Wiederholungscharakter handelt.

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2

Verzicht auf ein Vernehmlassungsverfahren

Gestützt auf Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c des Vernehmlassungsgesetzes vom 18. März 20057 (VlG) findet ein Vernehmlassungsverfahren statt bei der Vorbereitung von völkerrechtlichen Verträgen, die nach Artikel 140 Absatz 1 Buchstabe b oder nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 der Bundesverfassung 8 dem Referendum unterliegen oder wesentliche Interessen der Kantone betreffen.

Auf ein Vernehmlassungsverfahren kann jedoch gemäss Artikel 3a Absatz 1 VlG unter anderem verzichtet werden, wenn keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind, weil die Positionen der interessierten Kreise bekannt sind, insbesondere weil über den Gegenstand des Vorhabens bereits eine Vernehmlassung durchgeführt worden ist (Art. 3a Abs. 1 Bst. b VlG). Gemäss Artikel 3a Absatz 2 VlG muss der Verzicht auf ein Vernehmlassungsverfahren sachlich begründet werden.

Das vorliegende Abkommen unterliegt gemäss Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 der Bundesverfassung und der jüngsten Änderung der Praxis dem fakultativen Referendum (vgl. Ziff. 7.2). Deshalb wäre grundsätzlich ein Vernehmlassungsverfahren durchzuführen.

Anlässlich ihrer Sitzung vom 24. Februar 2020 wurde die Eidgenössische Kommission für die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung zum Abkommen mit Bosnien und Herzegowina konsultiert. In der Kommission sind die Versicherten, die schweizerischen Wirtschaftsverbände, die Versicherungseinrichtungen, der Bund und die Kantone sowie Vertreter der Behinderten und der Invalidenhilfe vertreten (Art. 73 AHVG, Art. 65 IVG). Die Kommission bildet somit die interessierten Kreise bezüglich Sozialversicherungsabkommen umfassend ab. Im Rahmen der Konsultation wurden Erläuterungen zum Abkommen vorgelegt. Die Kommission hat das Abkommen positiv aufgenommen und ohne Einwände gutgeheissen. Die Positionen der interessierten Kreise sind entsprechend bekannt und belegt. Gestützt auf Artikel 3a Absatz 1 Buchstabe b VlG konnte deshalb auf eine Vernehmlassung verzichtet werden.

3

Grundzüge des Vertrags

Aufbau und Inhalt des Abkommens mit Bosnien und Herzegowina entsprechen den bilateralen Abkommen, welche die Schweiz in letzter Zeit auch mit anderen Nachfolgestaaten Jugoslawiens abgeschlossen hat, sowie den internationalen Standards der Koordinierungsregeln für soziale Sicherheit. Es bezweckt die Koordinierung der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherungen sowie der Unfallversicherung der Vertragsstaaten, um mögliche Nachteile oder Diskriminierungen von Angehörigen des anderen Staates zu vermeiden. Das Abkommen bezieht sich in sachlicher Hinsicht auf die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung, auf die Unfallversicherung sowie ­ in eingeschränktem Masse ­ auf die Krankenversicherung. Der sachliche Geltungsbereich erstreckt sich schweizerischerseits hinsichtlich der Fami7 8

SR 172.061 SR 101

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lienzulagen lediglich auf die Zulagen im Bereich der Landwirtschaft. Dies entspricht dem ursprünglichen Geltungsbereich des Abkommens mit dem ehemaligen Jugoslawien. Die gleiche Lösung sieht auch das neue Abkommen mit Montenegro vor.

Das Abkommen richtet sich nach folgenden Grundsätzen: möglichst umfassende Gleichbehandlung der Staatsangehörigen beider Vertragsstaaten; Unterstellung am Erwerbsort; Regeln für die Ermittlung des zuständigen Staates, wenn die Erwerbstätigkeit beide Vertragsstaaten betrifft; erleichterter Zugang zu den Leistungen der Vertragsstaaten, insbesondere durch die Anrechnung der im anderen Staat zurückgelegten Versicherungszeiten für die Eröffnung der Ansprüche; ungekürzte Auszahlung der Leistungen ins Ausland; Zusammenarbeit der Behörden der Vertragsstaaten. Es sieht zudem eine umfassende Klausel zur Missbrauchsbekämpfung vor, und es regelt die Wiedererlangung von zu Unrecht gezahlten Leistungen.

Der Abschluss des Sozialversicherungsabkommens nach dem bewährten Muster zahlreicher anderer Verträge erlaubt die Fortführung der sozialversicherungsrechtlichen Beziehungen mit Bosnien und Herzegowina und stellt sie auf eine modernisierte Basis.

3.1

Sprachfassungen des Abkommens

Das Abkommen wurde in deutscher, bosnischer, kroatischer und serbischer Sprache abgeschlossen. Alle Versionen sind in gleicher Weise verbindlich.

4

Überblick über die soziale Sicherheit in Bosnien und Herzegowina

4.1

Allgmeines

Das aktuelle Sozialversicherungssystem in Bosnien und Herzegowina gründet auf dem System der ehemaligen jugoslawischen Republik gleichen Namens. Die heutige Struktur des Landes widerspiegelt sich auch im Pensionssystem. Das Land besteht aus den zwei Entitäten der Föderation von Bosnien und Herzegowina und der Republik Srpska sowie aus dem selbstverwalteten Distrikt Brcko. Die beiden Entitäten führen je einen eigenen Pensionsfonds nach ihren jeweiligen gesetzlichen Regelungen. In den nach dem Umlageverfahren gestalteten Fonds sind die Selbstständigund Unselbstständigerwerbenden sowie die Bauern und die Personen in kirchlichen Diensten obligatorisch versichert. Die Pensionsfonds werden finanziert durch Beiträge, Einnahmen aus der freiwilligen Versicherung und aus anderen Aktivitäten des Fonds sowie durch staatliche Beiträge. Die Versicherung deckt die Risiken Alter, Invalidität und Tod. Im Distrikt Brcko, der keinen eigenen Fonds führt, können sich die Betroffenen nach ihrer Wahl einem Fonds der Entitäten anschliessen.

In der Föderation belaufen sich die Lohnbeiträge auf 24 Prozent, wobei die Arbeitnehmenden 17 Prozent und die Arbeitgebenden 7 Prozent bezahlen.

In der Republik Srpska beträgt der Beitragssatz 18,5 Prozent. Die Arbeitnehmenden bezahlen die Beiträge vollumfänglich.

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4.2

Alter

Anspruch auf Altersrente in der Föderation besteht, wenn das 65. Altersjahr erreicht ist und mindestens 20 Versicherungsjahre vorliegen. Unabhängig vom Alter besteht zudem ein Rentenanspruch, wenn mindestens 40 Versicherungsjahre zurückgelegt wurden. Männer können die Rente mit 60 Jahren bei 35 Versicherungsjahren vorbeziehen, Frauen mit 55 Jahren bei 30 Versicherungsjahren. Der Vorbezug führt zu einer dauernden Kürzung der Renten. Die Rentenhöhe basiert grundsätzlich auf dem durchschnittlichen Einkommen, das den Beiträgen zugrunde lag, sowie auf der Versicherungsdauer.

In der Republik Srpska besteht Anspruch auf eine Altersrente mit 65 Jahren, sofern 15 Versicherungsjahre zurückgelegt wurden. Männer können ausserdem die Altersrente mit 60 Jahren beziehen, wenn sie mindestens 40 Beitragsjahre aufweisen, und Frauen mit 58 Jahren, wenn sie über 35 Beitragsjahre verfügen. Die Höhe der Renten hängt wie in der Föderation von der Beitragsdauer sowie vom erzielten Einkommen ab.

4.3

Tod

Anspruch auf Todesfallleistungen haben grundsätzlich die überlebende Ehegattin oder der überlebende Ehegatte sowie die Kinder. In der Republik Srpska haben auch Eltern, die von der verstorbenen Person unterstützt wurden, einen Leistungsanspruch.

Die verstorbene Person muss im Zeitpunkt des Todes Anspruch auf eine Altersrente oder eine Invalidenrente gehabt haben. Ist der Tod infolge eines Berufsunfalls oder einer Berufskrankheit eingetreten, so gelangt diese Voraussetzung nicht zur Anwendung.

Witwen erhalten die Leistungen, wenn sie älter als 50 Jahre sind, Witwer, wenn sie älter als 60 Jahre sind. Zudem wird für beide vorausgesetzt, dass sie für Kinder sorgen, die selber Anspruch auf eine Hinterlassenenleistung haben, oder für behinderte Kinder.

Kinder erhalten die Leistungen bis zum Alter von 15 Jahren bzw. bis 25 Jahre (Föderation) oder 26 Jahre (Republik Srpska), wenn sie Vollzeit studieren. Behinderte Kinder sind ohne Altersbegrenzung anspruchsberechtigt.

Die Höhe der Leistungen hängt von der Anzahl Berechtigter (Ehegattin/Ehegatte und Kinder) sowie von der Höhe der Invaliden- bzw. Altersrente der verstorbenen Person ab. Bei einer oder einem Hinterlassenen beträgt sie 70 Prozent, ab vier Hinterlassenen 100 Prozent.

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4.4

Invalidität

Voraussetzung für eine Invalidenrente ist eine Arbeitsunfähigkeit von mindestens 20 Prozent. Die Höhe der Leistungen hängt von der Beschäftigungsdauer sowie vom Invaliditätsgrad ab.

In der Föderation wird zudem eine Mindestversicherungszeit von einem Jahr vorausgesetzt. Wenn die Invalidität berufsbedingt ist, darf die Rente nicht kleiner ausfallen, als eine Altersrente basierend auf 40 Versicherungsjahren. In anderen Fällen wird die Rente gleich berechnet wie eine Altersrente mit derselben Versicherungsdauer.

4.5

Unfall

Der Versichertenkreis und die Finanzierung decken sich mit der Pensionsversicherung. Gedeckt sind die Risiken Berufsunfall und Berufskrankheiten.

Bei dauernder Invalidität besteht Anspruch auf dieselben Leistungen wie in Ziffer 4.4 beschrieben. Eine Mindestversicherungszeit wird hingegen nicht vorausgesetzt.

Medizinische Sachleistungen werden von der Krankenversicherung übernommen.

Sie wird durch Beiträge und durch den Staat finanziert. Je nach Behandlung müssen die Patientinnen und Patienten 10­25 Prozent der Arzt- oder Spitalkosten selber tragen.

Bei kurzzeitiger Arbeitsunfähigkeit bezahlt der Arbeitgeber den vollen Lohn während 42 Tagen (Föderation und Distrikt Brcko) bzw. während 30 Tagen (Republik Srpska) weiter. Die Krankenversicherung erstattet diese Beträge.

5

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln des Vertrags

Allgemeine Bestimmungen (Titel I) Art. 2 Der sachliche Geltungsbereich umfasst für die Schweiz die Alters- und Hinterlassenenversicherung, die Invalidenversicherung, die Unfallversicherung, die Krankenversicherung (in eingeschränktem Umfang) und die Familienzulagen in der Landwirtschaft. Für Bosnien und Herzegowina erstreckt sich der Geltungsbereich auf die Rechtsvorschriften über die Renten- und Invalidenversicherung, über die Unfallversicherung, die Krankenversicherung sowie über die Kinderzulagen und die Mutterschaftsentschädigung.

Art. 3 Diese Bestimmung regelt den persönlichen Geltungsbereich. Das Abkommen ist anwendbar auf die Staatsangehörigen der Vertragsstaaten und deren Familienangehörige und Hinterlassene sowie auf Flüchtlinge und Staatenlose sowie deren Fami5798

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lienangehörige, sofern diese im Gebiet eines der Vertragsstaaten wohnen. Einige Bestimmungen finden auch auf Drittstaatsangehörige Anwendung. Hierbei handelt es sich insbesondere um die Unterstellungsregeln sowie die Regelungen betreffend die Kranken- und Unfallversicherung.

Art. 4 Das Abkommen garantiert, in Übereinstimmung mit den allgemeinen internationalen Grundsätzen, die weitgehende Gleichbehandlung der Vertragsstaatsangehörigen im Rahmen der vom sachlichen Geltungsbereich erfassten Versicherungszweige. Die Schweiz behält sich aufgrund der Besonderheiten in ihrer Gesetzgebung allerdings gewisse Einschränkungen bei der Gleichbehandlung vor. Dies betrifft insbesondere die freiwillige Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung sowie die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung von schweizerischen Staatsangehörigen, die im Ausland im Dienste der Eidgenossenschaft oder gewisser Institutionen (vgl.

Art. 1a Abs. 1 Bst. c Ziff. 2 und 3 AHVG) tätig sind.

Art. 5 Die Gleichbehandlung erstreckt sich auch auf die Auszahlung von Geldleistungen im Ausland. Artikel 5 garantiert die uneingeschränkte Auszahlung von Geldleistungen an Vertragsstaatsangehörige unabhängig vom Wohnort. Die Schweiz schränkt diesen Grundsatz insofern ein, als IV-Viertelsrenten, ausserordentliche Renten und Hilflosenentschädigungen der schweizerischen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung nur bei Wohnsitz in der Schweiz gewährt werden. Gemäss dem vorliegenden Abkommen werden Haushaltungszulagen für Familienzulagen in der Landwirtschaft für Staatsangehörige von Bosnien und Herzegowina ebenfalls nur ausbezahlt, wenn die berechtigte Person mit ihrer Familie in der Schweiz wohnt.

Bosnien und Herzegowina seinerseits behält sich vor, seine als Bedarfsleistung ausgestalteten Mindestrenten nicht zu exportieren.

Anwendbare Rechtsvorschriften (Titel II) Art. 6­9 Ein wesentlicher Punkt, der in den Abkommen über soziale Sicherheit geregelt wird, ist die versicherungsrechtliche Unterstellung von Staatsangehörigen des einen Vertragsstaats, die im Gebiet des anderen Staates eine Erwerbstätigkeit ausüben. Im vorliegenden Vertrag gilt, wie in allen anderen bilateralen Abkommen, der Grundsatz der Unterstellung am Erwerbsort. Dies bedeutet, dass Personen, die in beiden Staaten erwerbstätig sind, in jedem Staat nur
für die dort ausgeübte Tätigkeit dem Versicherungssystem unterstellt werden. Diese Bestimmung erfasst auch Drittstaatsangehörige (Art. 6).

Die Artikel 7­10 enthalten besondere Vorschriften, die vom Grundsatz der Unterstellung am Erwerbsort abweichen. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die vorübergehend zur Arbeitsleistung in das Gebiet der anderen Vertragspartei entsandt

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werden, unterstehen während 24 Monaten den Rechtsvorschriften des entsendenden Vertragsstaats (Art. 7).

Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die bei einem Transport- oder einem Luftverkehrsunternehmen mit Sitz in einem Staat angestellt sind, ihre Tätigkeit aber in beiden Vertragsstaaten ausüben, unterstehen den Rechtsvorschriften des Landes, in dem das Unternehmen seinen Sitz hat. Hat die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer Wohnsitz im anderen Vertragsstaat oder ist sie bzw. er im anderen Vertragsstaat bei einer Zweigniederlassung oder ständigen Vertretung beschäftigt, so ist die betreffende Person den Rechtsvorschriften dieses Vertragsstaates unterstellt (Art. 7 Abs. 2 und 3).

Im Herkunftsland unterstellt bleiben auch Personen, die im öffentlichen Dienst des einen Staates stehen und in den andern Staat entsandt werden (Art. 7 Abs. 4).

Die Mitglieder der Besatzung eines Seeschiffes, das die Flagge eines Vertragsstaates führt und die in einem Vertragsstaat wohnen, unterstehen den Rechtsvorschriften des Wohnstaats (Art. 7 Abs. 5).

Für das Personal der diplomatischen Missionen, ständigen Missionen und konsularischen Posten erlauben die Wiener Übereinkommen9 über diplomatische und konsularische Beziehungen die Fortführung der Unterstellung unter die Sozialversicherung des entsendenden Staats (Art. 8).

Personen ohne diplomatischen oder konsularischen Status aus einem Vertragsstaat, die bei einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung dieses Staates im anderen Vertragsstaat angestellt sind, sind unabhängig von der Staatsangehörigkeit grundsätzlich am Erwerbsort unterstellt. Es steht ihnen allerdings die Möglichkeit offen, für die Unterstellung unter die Gesetzgebung des Staates der diplomatischen oder konsularischen Vertretung zu optieren (Art. 8 Abs. 2 und 3).

Die diplomatischen und konsularischen Vertretungen der Vertragsstaaten werden in ihrer Funktion als Arbeitgeber verpflichtet, ihr Lokalpersonal gemäss den Bestimmungen der Sozialversicherungsgesetzgebung des Vertragsstaats, in dem sich die Vertretung befindet, zu versichern (Art. 8 Abs. 4).

Staatsangehörige des einen Vertragsstaates, die als technisches Personal oder Dienstpersonal bei einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung eines Drittstaats im anderen Vertragsstaat angestellt sind, werden der Gesetzgebung des zweiten
Vertragsstaats unterstellt, wenn sie weder im Heimatstaat noch im Drittstaat des Arbeitgebers versichert sind. Mit dieser Bestimmung sollen Versicherungslücken vermieden werden (Art. 9).

Art. 10 Die Bestimmungen über die anwendbare Gesetzgebung werden durch eine sogenannte Ausweichklausel ergänzt, die es den zuständigen Behörden der beiden Ver-

9

SR 0.191.01; Wiener Übereinkommen vom 18. April 1961 über diplomatische Beziehungen; SR 0.191.02: Wiener Übereinkommen vom 24. April 1963 über konsularische Beziehungen

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tragsparteien erlaubt, in besonderen Fällen im Interesse der betroffenen Personen abweichende Regelungen zu vereinbaren.

Art. 11 Artikel 11 regelt die Rechtsstellung des Ehegatten und der Kinder einer Person, die von einem Vertragsstaat in den anderen entsandt wird. Die Familienmitglieder, die die Arbeitnehmerin oder den Arbeitnehmer begleiten, bleiben mit ihr bzw. ihm während der vorübergehenden Tätigkeit im Ausland den Rechtsvorschriften des Herkunftslands unterstellt, sofern sie im Ausland nicht selber eine Erwerbstätigkeit ausüben (Abs. 1). In der Schweiz sind in diesen Fällen die Ehegatten und die Kinder in der AHV/IV versichert (Abs. 2).

Besondere Bestimmungen (Titel III) 1. Kapitel: Krankheit und Mutterschaft Art. 12 und 13 Die beiden Bestimmungen regeln den Übertritt vom Krankenversicherungssystem des einen Landes in dasjenige des anderen Vertragsstaates. In der Schweiz ist ausschliesslich die Taggeldversicherung nach KVG betroffen. Versicherungszeiten in der bosnisch-herzegowinischen Versicherung für Taggeld werden von schweizerischen Versicherern auf einen allfälligen Vorbehalt angerechnet. Für die Aufnahme in die obligatorische Grundversicherung gemäss KVG dürfen keine Gesundheitsvorbehalte gemacht und keine Vorversicherungszeiten verlangt werden. Umgekehrt erleichtern die Bestimmungen auch den Übertritt in die bosnisch-herzegowinische Krankenversicherung.

2. Kapitel: Invaliden-, Alters- und Hinterlassenenversicherung Art. 15 und 18 Ist für die Geltendmachung eines Anspruchs eine Mindestversicherungsdauer vorgesehen und reichen die Versicherungszeiten, die in einem Vertragsstaat zurückgelegt wurden, nicht aus, um einen Leistungsanspruch zu begründen, so werden Versicherungszeiten, die im anderen Vertragsstaat zurückgelegt wurden, angerechnet. Dies gilt neu auch für die Erfüllung der dreijährigen Mindestversicherungszeit für den Anspruch auf eine schweizerische Invalidenrente, wenn mindestens ein Beitragsjahr in der Schweiz vorliegt (Art. 18 Abs. 1). Es werden nicht nur die Versicherungszeiten des anderen Vertragsstaates angerechnet, sondern es werden auch Versicherungszeiten berücksichtigt, die in einem Drittstaat zurückgelegt wurden, mit dem die Vertragsstaaten ein zweiseitiges Abkommen abgeschlossen haben (Art. 15 Abs. 2 und 18 Abs. 2).

Eine Anrechnung von ausländischen Zeiten erfolgt in der Invalidenversicherung lediglich für die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzung. Für die Berechnung der 5801

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schweizerischen Invalidenrente werden jedoch ausschliesslich schweizerische Versicherungszeiten berücksichtigt (Art. 18 Abs. 4).

Art. 16 Diese Bestimmung regelt die Details der Rentenberechnung in Bosnien und Herzegowina, wenn eine Anrechnung von ausländischen Zeiten erforderlich ist, nach dem Prinzip der Totalisierung und Proratisierung.

Art. 17 Beitragspflichtige bosnisch-herzegowinische Staatsangehörige, die in der Schweiz eine Erwerbstätigkeit ausüben oder ihren Wohnsitz haben, haben gleichermassen Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen wie Schweizerinnen und Schweizer, solange sie in der Schweiz wohnen. Nichterwerbstätige Staatsangehörige von Bosnien und Herzegowina, die aus Altersgründen zwar in der AHV/IV versichert, aber nicht beitragspflichtig sind (nichterwerbstätige Personen zwischen 18 und 20 Jahren und minderjährige Kinder), haben erst Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen, wenn sie mindestens ein Jahr in der Schweiz gewohnt haben. Für invalide Minderjährige gelten erleichterte Anspruchsbedingungen (Art. 17 Abs. 4).

Art. 19 Die Zahlung einer ordentlichen Altersrente, die nicht mehr als 10 Prozent der Vollrente ausmacht, ins Ausland, wird durch die Zahlung einer einmaligen Abfindung ersetzt. Diese entspricht dem Barwert der im Versicherungsfall nach der schweizerischen Gesetzgebung geschuldeten Rente. Beträgt der Anspruch auf die schweizerische Rente mehr als 10 Prozent, aber höchstens 20 Prozent der entsprechenden ordentlichen Vollrente, so kann der Vetragsstaatsangehörige zwischen der Rente und der einmaligen Abfindung wählen. Im Falle von Ehepaaren wird die Abfindung nur dann ausbezahlt, wenn der andere Ehegatte ebenfalls rentenberechtigt ist.

Die gleichen Bedingungen sind auf ordentliche Renten der Invalidenversicherung anwendbar, sofern die rentenberechtigte Person das 55. Altersjahr überschritten hat und keine Überprüfung der Anspruchsvoraussetzungen mehr vorgesehen ist.

Art. 20 Bosnisch-herzegowinische Staatsangehörige haben unter den gleichen Voraussetzungen wie Staatsangehörige anderer Staaten, mit denen die Schweiz ein Abkommen über soziale Sicherheit abgeschlossen hat, Anspruch auf ausserordentliche Renten der AHV/IV. Der Anspruch setzt voraus, dass sie unmittelbar vor dem Zeitpunkt, von dem an die Rente verlangt wird, mindestens fünf Jahre ununterbrochen in der Schweiz gewohnt haben.

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3. Kapitel: Versicherung gegen Unfälle und Berufskrankheiten Art. 21­27 Durch die gegenseitige Leistungsaushilfe hat eine in einem Vertragsstaat versicherte Person, die im anderen Vertragsstaat einen Unfall erleidet, dort Anspruch auf die notwendige Heilbehandlung, ohne dass sie selbst für die Kosten aufkommen muss.

Die Leistungen und Tarife richten sich nach der Gesetzgebung dieses Staates; die Versicherung, der die betreffende Person angehört, muss der ,,aushelfenden" Versicherung die Kosten vergüten (Art. 23). Der Grad der Erwerbsunfähigkeit als Folge von Berufskrankheiten und Arbeitsunfällen, die nacheinander in beiden Staaten eingetreten sind, ist aufgrund beider Ereignisse zu beurteilen (Art. 24). Ausserdem wird die Zuständigkeit für Leistungen bei Berufskrankheiten geregelt, die durch eine Tätigkeit in beiden Vertragsstaaten verursacht oder verschlimmert wurden (Art. 27).

4. Kapitel: Familienzulagen Art. 28 Die Staatsangehörigen der Schweiz und von Bosnien und Herzegowina haben unabhängig vom Wohnsitz der Kinder Anspruch auf Kinderzulagen im Rahmen der im sachlichen Geltungsbereich (Art. 2; für die Schweiz Familienzulagen in der Landwirtschaft) aufgeführten Rechtsvorschriften.

Durchführungsbestimmungen (Titel IV) Art. 29­40 Wie alle bilateralen Sozialversicherungsabkommen der Schweiz mit anderen Staaten enthält auch das vorliegende Abkommen einen Abschnitt über Durchführungsbestimmungen mit ähnlichen Vorschriften.

Sie sehen unter anderem den Abschluss einer Vereinbarung zur Erleichterung der Durchführung der Abkommen durch die zuständigen Behörden vor und delegieren die Kompetenz zum selbstständigen Abschluss dieser Vereinbarung an das Bundesamt für Sozialversicherungen (Art. 29 Ziff. 1). Sie bestimmen ferner, dass die Behörden der Vertragsstaaten Dokumente in den Amtssprachen der beiden Staaten gegenseitig anerkennen (Art. 39 Abs. 1) und einander bei der Durchführung des Abkommens Amtshilfe leisten (Art. 30 Abs. 1). Zudem wird die Überweisung von Geldbeträgen im Zusammenhang mit der Durchführung der Abkommen auch im Falle von Einschränkungen des Devisenverkehrs seitens eines der Vertragsstaaten gewährleistet (Art. 37 Abs. 4).

Das Abkommen enthält eine umfangreiche Bestimmung zur Verhinderung von unrechtmässigem Leistungsbezug (Art. 31). Sie ermöglicht die Durchführung von zusätzlichen
Kontrollen auf dem Gebiet des anderen Vertragsstaats. So kann die schweizerische Invalidenversicherung eine anerkannte Stelle (z. B. eine Schadenregulierungsfirma) in Bosnien und Herzegowina damit beauftragen, weitergehende 5803

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Ermittlungen und Überprüfungen vorzunehmen (Abs. 3). Umgekehrt hat die bosnisch-herzegowinische Sozialversicherung auch die Möglichkeit, das schweizerische Dispositiv zur Betrugsbekämpfung in der Invalidenversicherung über die IV-Stelle für Versicherte im Ausland in Anspruch zu nehmen. Der Austausch von Angaben betreffend exportierte Renten zum Zwecke des Abgleichs mit den Sterbedaten im anderen Staat soll ebenfalls die unrechtmässige Zahlung von Leistungen verhindern (Abs. 4). Die Betrugsbekämpfungsklausel erlaubt zudem den zwischenstaatlichen Austausch von Informationen, um den ungerechtfertigten Bezug von schweizerischen Ergänzungsleistungen zu verhindern (Abs. 5).

In Artikel 34 ist ein Verfahren zur Wiedererlangung von zu Unrecht gezahlten Leistungen vorgesehen. Artikel 35 regelt den Regress. Die Beilegung von Streitigkeiten hat in erster Linie durch die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten zu erfolgen. Nötigenfalls ist ein Schiedsgericht einzusetzen (Art. 40).

Auch der Datenschutz bei der Übermittlung von Personendaten ist detailliert geregelt (Art. 36). Insbesondere dürfen übermittelte Daten nur für die Zwecke des Abkommens verwendet werden und müssen insbesondere gegen unberechtigten Zugang und Verwendung geschützt werden. Auf die übermittelten Daten finden die Datenschutzbestimmungen des Empfängerstaates Anwendung.

Schluss- und Übergangsbestimmungen (Titel V) Art. 41­44 Das Abkommen ist ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens anwendbar. Es gilt auch für Versicherungsfälle, die vor dem Inkrafttreten eingetreten sind; die entsprechenden Leistungen werden jedoch erst ab dem Inkrafttreten ausgerichtet.

Mit dem Inkrafttreten des vorliegenden Abkommens tritt das mit dem ehemaligen Jugoslawien abgeschlossene Sozialversicherungsabkommen ausser Kraft.

Der Austausch der Ratifikationsurkunden erfolgt nach Abschluss des innerstaatlichen Genehmigungsverfahrens in beiden Vertragsstaaten. Das Abkommen tritt am ersten Tag des zweiten auf den Austausch der Ratifikationsurkunden folgenden Monats in Kraft.

Der Vertrag ist auf unbestimmte Zeit abgeschlossen, kann aber von jedem Vertragsstaat unter Einhaltung einer Frist von sechs Monaten zum Ende eines Kalenderjahres auf diplomatischem Weg gekündigt werden. Die in Anwendung des Abkommens erworbenen Ansprüche werden durch die Beendigung nicht tangiert (Besitzstandsgarantie).

6

Finanzielle und personelle Auswirkungen

Derzeit leben rund 29 000 Staatsangehörige aus Bosnien und Herzegowina in der Schweiz und rund 815 Schweizerinnen und Schweizer in Bosnien und Herzegowina.

Das mit der ehemaligen Volksrepublik Jugoslawien abgeschlossene Sozialversicherungsabkommen findet nach wie vor Anwendung auf Bosnien und Herzegowina. Es 5804

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wird durch das vorliegende Abkommen ersetzt und begründet grundsätzlich keine neuen finanziellen Verpflichtungen für die Schweiz. Einzig die Bestimmung zur gegenseitigen Totalisierung, welche neu auch die Anrechnung von bosnischherzegowinischen Beitragszeiten an die dreijährige Mindestbeitragsdauer für die Begründung eines Anspruchs auf eine schweizerische Invalidenrente vorsieht, kann zu Mehrkosten führen. Die entsprechenden Mehrkosten wurden im Falle der Abkommen mit Serbien und mit Montenegro, deren Diaspora in der Schweiz ca. 70 000 Personen umfasst, auf weniger als 100 000 Franken veranschlagt. Im vorliegenden Fall würden die Mehrkosten angesichts der kleineren Diaspora noch geringer ausfallen.

Für den Bund und für die Schweizerische Ausgleichskasse in Genf, die für die Rentenzahlungen ins Ausland zuständig ist, entsteht durch den Abschluss des Abkommens kein zusätzlicher Personalbedarf.

7

Rechtliche Aspekte

7.1

Verfassungsmässigkeit

Die Vorlage stützt sich auf Artikel 54 Absatz 1 BV, wonach der Bund für die auswärtigen Angelegenheiten zuständig ist. Artikel 184 Absatz 2 BV ermächtigt den Bundesrat, völkerrechtliche Verträge zu unterzeichnen und zu ratifizieren. Die Bundesversammlung ist nach Artikel 166 Absatz 2 BV für die Genehmigung völkerrechtlicher Verträge zuständig, sofern für deren Abschluss nicht aufgrund von Gesetz oder völkerrechtlichem Vertrag der Bundesrat zuständig ist (Art. 24 Abs. 2 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 200210; Art. 7a Abs. 1 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 199711).

Da keine Kompetenzdelegation vorliegt, ist die Bundesversammlung im vorliegenden Fall für die Genehmigung zuständig.

7.2

Erlassform

Nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 der Bundesverfassung (BV) unterliegen völkerrechtliche Verträge dem fakultativen Referendum, wenn sie wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder wenn deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert. Nach Artikel 22 Absatz 4 des Parlamentsgesetzes (ParlG; SR 171.10) sind unter rechtsetzenden Normen die Bestimmungen zu verstehen, die in unmittelbar verbindlicher und generell-abstrakter Weise Pflichten auferlegen, Rechte verleihen oder Zuständigkeiten festlegen. Als wichtig gelten Bestimmungen, die auf der Grundlage von Artikel 164 Absatz 1 BV in der Form eines Bundesgesetzes erlassen werden müssten.

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SR 171.10 SR 172.010

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Der vorliegende völkerrechtliche Vertrag ist unmittelbar verbindlich und regelt die Rechte und Pflichten der Vertragsstaatsangehörigen in den vom sachlichen Geltungsbereich erfassten Sozialversicherungszweigen. Das Abkommen legt unter anderem die anwendbare Gesetzgebung fest. Mit der Unterstellung unter ein nationales Sozialversicherungssystem ist in der Regel die Beitragspflicht verbunden.

Ausserdem regelt das Abkommen Rechte der Vertragsstaatsangehörigen wie die Zahlung der Renten ins Ausland oder erleichterte Voraussetzungen für den Anspruch auf Eingliederungsmassnahmen. Solche Bestimmungen müssten innerstaatlich in der Form eines Bundesgesetzes erlassen werden.

Das Abkommen enthält demnach wichtige rechtsetzende Bestimmungen, weshalb der Bundesbeschluss über die Genehmigung des Vertrags dem fakultativen Referendum nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV zu unterstellen ist.

Gemäss der bisherigen Praxis des Parlaments und des Bundesrats wurden Sozialversicherungsabkommen (ebenso wie Freihandelsabkommen und Abkommen zur gegenseitigen Förderung und zum gegenseitigen Schutz von Investitionen), die keine weiter gehenden Verpflichtungen schaffen als zahlreiche ähnliche Verträge, die die Schweiz bereits abgeschlossen hat, als sogenannte «Standardabkommen» behandelt und nicht dem Referendum unterstellt.

Im Rahmen der Revision des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 200012 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) war vorgesehen, in den verschiedenen Sozialversicherungsgesetzen eine neue Bestimmung einzuführen, wonach die Bundesversammlung über die Kompetenz verfügt, Sozialversicherungsabkommen mit einfachem Bundesbeschluss zu genehmigen. Das Parlament lehnte dies jedoch ab. Der Bundesrat hatte bereits in der Botschaft vom 30. November 2018 zum Sozialversicherungsabkommen mit Kosovo (Ziff. 6.2) in Aussicht gestellt, dass er bei künftigen Abkommen die Unterstellung unter das fakultative Referendum empfehlen werde, sofern die Bundesversammlung die vorgeschlagene Kompetenzdelegation im Rahmen der ATSG-Revision nicht genehmigen würde.

12

SR 830.1

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