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Bundesblatt

Bern, den 28. Juli 1975 127. Jahrgang Band II

Nr. 29 Eischeint wöchentlich. Preis: Inland Fr. 75.-im Jahr,Fr 42.50im Halbjahr; Ausland Fr. 91.imJahr,zuzüglich Nachnahme-undd Postzustellungsgebühr Inseratenverwalmng ·

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75.056 Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend eine schweizerisch-italienische Vereinbarung über die Besteuerung der Grenzgänger (Vom 2. Juli 1975) Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren.

Am 3. Oktober 1974 ist in Rom eine Vereinbarung zwischen der Schweiz und Italien über die Besteuerung der Grenzgänger und den finanziellen Ausgleich zugunsten der italienischen Grenzgemeinden unterzeichnet worden. Diese Vereinbarung unterbreiten wir Ihnen hiemit zur Genehmigung.

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Übersicht

In unseren Beziehungen mit Italien ist die steuerliche Stellung der Grenzgänger mangels eines umfassenden Doppelbesteuerungsabkommens zur Zeit nicht geregelt. Die vorliegende Vereinbarung zielt darauf ab, diese Lücke zu schliessen, indem sie die ausschliessliche Besteuerung der Grenzgänger am Arbeitsort vorsieht. Den finanziellen Lasten, welche die italienischen Gemeinden aufgrund der auf ihrem Gebiet ansässigen und in der Schweiz arbeitenden Personen zu tragen haben, wird dadurch Rechnung getragen, dass ein Teil der schweizerischen (eidgenössischen, kantonalen und kommunalen) Steuern, die auf den Löhnen der italienischen Grenzgänger in der Schweiz erhoben werden, den italienischen Wohnsitzgemeinden erstattet wird. Die betreffenden Kantone und deren Gemeinden werden die Kosten dieser Erstattung selbst tragen ; eine finanzielle Hilfe des Bundes ist nicht vorgesehen. Die Vereinbarung soll einen Bestandteil eines umfassenden Doppelbesteuerungsabkommens bilden, über welches zwischen der Schweiz und Italien noch verhandelt wird.

1975-423

Bundesblatt 127 Jahig

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Schweizerisch-italienische Steuerfragen 21

Allgemeines

Italien ist neben dem Fürstentum Liechtenstein das einzige Nachbarland und neben Belgien das einzige wichtige Land Westeuropas, mit dem die Schweiz noch kein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung abgeschlossen hat.

Zwar hat die Schweiz nach ersten Verhandlungen in den Jahren 1928/29, vor allem aber nach dem Zweiten Weltkrieg wiederholt (1950, 1957, 1961/62, 1968/69 und seit 1973) versucht, Italien zum Abschluss eines solchen Abkommens zu bewegen.

Seit Juli 1974 hegt ein gemeinsamer Vorentwurf zu einem solchen Abkommen vor; wichtige Fragen harren aber noch der endgültigen Bereinigung. Lagen die Gründe für die italienische Zurückhaltung, zu einer staatsvertraglichen Regelung der Doppelbesteuerungsprobleme mit der Schweiz Hand zu bieten, früher hauptsächlich in den wesentlichen Unterschieden der beiden Steuersysteme, von denen das italienische vom Territorialitäts- und Quellenprinzip beherrscht war, so sind es seit der italienischen Steuerreform, die auf 1. Januar 1974 in Kraft getreten ist, vor allem Bedenken und Befürchtungen finanzpolitischer Art (einseitige Interessenlage, grössere Steuereinbussen auf italienischer Seite, Vergrösserung der Kapitalflucht aus Italien), die die italienische Bereitschaft zum Abschluss eines Doppelbesteuerungsabkommens immer wieder hinauszögerten. Dazu kommt die Tatsache, dass Italien in seinem Verhältnis zur Schweiz sich stets weniger an der Regelung der allgemeinen Doppelbesteuerungsprobleme als an den Steuerfragen interessiert zeigte, die seine Arbeitskräfte in der Schweiz betreffen.

So konnten denn bisher stets nur Teilaspekte aus dem Gesamtbereich der schweizerisch-italienischen Steuerfragen geregelt werden : - Am 31. Juli 1935 kam durch Notenaustausch ein Abkommen betreffend Steuerbefreiung der schweizerischen Schulen in Italien und der italienischen Schulen in der Schweiz zustande (BS 12 421); - 1957 wurde im Rahmen eines Vergleichs- und Schiedsverfahrens ein Reglement erlassen über die Behandlung der schweizerischen Staatsangehörigen und der in der Schweiz errichteten Gesellschaften mit italienischen Vermögenswerten bei der ausserordentlichen italienischen Vermögensabgabe vom Jahre 1947 (AS 795744); - am 31. Juli 1958 wurde ein Abkommen über die Besteuerung der Unternehmen der Schiff- und Luftfahrt (AS 1961 403) geschlossen.

22 Italienisches Interesse an der Besteuerung italienischer Arbeitskräfte in der Schweiz Die italienischen Behörden haben seit Jahren mimer wieder ihr besonderes Interesse für die Besteuerung italienischer Arbeitskräfte in der Schweiz bekundet,

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sowohl im Zusammenhang mit dem Sozialversicherungsabkommen vom 14. Dezember 1962 (AS 1964 727) und seiner Revision im Jahre 1969 (AS 1973 1185), als auch im Zusammenhang mit dem Auswanderungsabkommen von 1964 (AS 1965 399).

Beim Abschluss dieses Abkommens wurden in beigefügten gemeinsamen Erklärungen (BB1 1964 II 1038) bereits gewisse Steuerfragen der italienischen Arbeitskräfte in der Schweiz erwähnt (Ziff. 4) ; insbesondere wurden. Empfehlungen an die Kantone über die Berechnungsart der Steuer auf den Löhnen der Saisonarbeiter vorgesehen.

Im Jahre 1972 wurde die Besteuerung der italienischen Arbeitskräfte in der Schweiz im Protokoll vom 22. Juni, das unmittelbar nach emer Zusammenkunft der durch das Auswanderungsabkommen von 1964 eingesetzten schweizerischitalienischen Gemischten Kommission abgefasst worden war. von der italienischen Delegation erneut auf die Tagesordnung gesetzt. Diese verlangte, dass eine Kommission von Steuerexperten folgende Punkte prüfe : a. Quellenbesteuerung der Jahresaufenthalter; b. Quellenbesteuerung der Saisonarbeiter; c. Besteuerung der italienischen Lehrkräfte in der Schweiz; d. Besteuerung der Grenzgänger.

Die Schweiz war grundsätzlich damit einverstanden, mit einer italienischen Delegation diese Steuerfragen zu besprechen, doch rief sie mit Nachdruck ihr altes Begehren hinsichtlich eines umfassenden Doppelbesteuerungsabkommens in Erinnerung.

Im Laufe der letzten zwei Jahre (1973 und 1974) fanden in der Schweiz und in Italien nicht weniger als sieben Zusammenkünfte auf verschiedenen Ebenen zur Besprechung dieser Steuerprobleme statt: diese haben zu folgenden Ergebnissen geführt : a. Quellenbesteuerung der Jahresaufenthalter Die Schweiz hat Italien einen eingehenden Bericht über die in den verschiedenen Kantonen angewandten Besteuerungss> steme (25. Juni 1973) zugestellt. Aus verfassungsrechtlichen und politischen Gründen ist es ausgeschlossen, dass der Bund den Kantonen eine Änderung ihrer Praxis aufzwingen kann. Die Schweiz hat sich dagegen bereit erklärt, einzelne ihr von den Steuerpflichtigen oder den italienischen Behörden unterbreitete Härtefälle mit den interessierten Kantonen zu besprechen. Bis heute ist den schweizerischen Steuerbehörden kein derartiger Fall zur Kenntnis gebracht worden.

b. Quellenbesteuerung der Saisonarbeiter Die Schweiz hat das italienische Begehren, wonach den Saisonarbeitern im Hinblick auf das für sie geltende besondere Statut (Verbot des Familiennachzugs

348 usw.) Steuerreduktionen zu gewähren sind, abgelehnt. Die Schweiz ist dagegen bereit, allfallig vorkommende Härtefalle wohlwollend zu prüfen. Bis heute ist den schweizerischen Steuerbehörden kein derartiger Fall zur Kenntnis gebracht worden.

c. Besteuerung der Lehrkräfte (Notenaustausch vom 27. Nov.118. Dez. 1973, AS 1974 261) Nach Anhörung der Kantone und mit deren Zustimmung hat die Schweiz auf die Besteuerung der Gehälter der italienischen Lehrkräfte, die das italienische Aussenministerium in unser Land entsendet und bezahlt, verzichtet (Ziff. l des Notenaustausches), sofern auch die schweizerischen Lehrkräfte an den Schweizerschulen in Italien von den italienischen Einkommensteuern auf ihren Gehältern befreit werden (Ziff. 2 des Notenaustausches). Diese Vereinbarung ist ausdrücklich als Vorwegnahme der Regelung anzusehen, wie sie in ein abzuschliessendes Doppelbesteuerungsabkommen aufzunehmen sein wird ; sie ist nur für die Steuerjahre 1973 bis 1976 anwendbar (Ziff. 3 des Notenaustausches).

d. Besteuerung der Grenzgänger Die in der Vereinbarung vom 3. Oktober 1974 enthaltene Lösung, die Gegenstand dieser Botschaft bildet, wird in den Ziffern 24 und 3 hienach behandelt.

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Doppelbesteuerungsabkommen

Indem die Schweiz einwilligte, die von Italien im Protokoll der Gemischten Kommission vom Juni 1972 aufgeworfenen Fiskalfragen nicht nur zu prüfen, sondern für sie auch eine ausgewogene Lösung zu finden, durfte sie erwarten, dass Italien auch zur Lösung des seit Jahrzehnten anstehenden Doppelbesteuerungsproblems Hand biete. Zwar lehnte Italien ein formelles Junktim zwischen der Doppelbesteuerungsfrage und dem Abschluss einer Vereinbarung über die Besteuerung der Grenzgänger ab und verlangte eine getrennte Verhandlung über diese beiden Probleme, welchem Wunsch die Schweiz entsprach. Dagegen erklärte sich Italien im November 1973 zur Aufnahme offizieller Doppelbesteuerungsverhandlungen mit der Schweiz bereit.

An den Verhandlungen vom April und Juli 1974 wurde ein sehr weit gediehener Entwurf für ein umfassendes Doppelbesteuerungsabkommen (Einkommen- und Vermögensteuern) ausgearbeitet ; schweizerischerseits hoffte man, diesen Entwurf an einer letzten, für Ende November 1974 vorgesehenen Verhandlungsrunde endgültig bereinigen zu können. Auf italienischen Wunsch wurden indessen an dieser Zusammenkunft lediglich Nebenfragen behandelt; die eigentlichen Verhandlungen wurden vertagt, ohne dass zwischen den beiden Delegationen ein i neuer Termin vereinbart werden konnte.

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In der Folge versicherte der italienische Aussenminister, dass die Verhandlungen im Juli 1975 in Rom weitergeführt werden können.

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Die Besteuerung der Grenzgänger

Schweizerischerseits war man zunächst der Ansicht, dass die beiden Probleme, Besteuerung der Grenzgänger und Doppelbesteuerung, gemeinsam behandelt werden sollten. Indessen musste der immer eindringlicher vorgebrachten italienischen Forderung nach Trennung der beiden Fragen schliesslich nachgegeben werden; es waren vorwiegend politische Gründe, die uns zu diesem Entscheid veranlassten: Wahrung der guten Beziehungen zu unserem südlichen Nachbarstaat, Vermeidung einer Benachteiligung italienischer Grenzgemeinden wegen der Verschiedenheit der Auffassungen in der Doppelbesteuerungsfrage, Beweis für den Schweizerischerseits vorhandenen guten Willen. Die schweizerische Verhandlungsdelegation wurde deshalb angewiesen, getrennt aber parallel über eine besondere Vereinbarung über die Besteuerung der in der Schweiz arbeitenden Grenzgänger einerseits und über ein umfassendes Doppelbesteuerungsabkommen anderseits zu verhandeln.

Die Grenzgängervereinbarung wurde nach drei Verhandlungsrunden, welche in den Jahren 1973 und 1974 teils in der Schweiz und teils in Italien stattfanden, abgeschlossen. Schweizerischerseits wurden die Verhandlungen durch die Eidgenössische Steuerverwaltung in Zusammenarbeit mit dem Eidgenössischen Politischen Departement geführt; die drei an dieser Vereinbarung interessierten Kantone (Graubünden. Tessin und Wallis) nahmen regen Anteil an den Verhandlungen und waren in der schweizerischen Verhandlungsdelegation vertreten. Schliesslich wurden auch die industriellen und gewerkschaftlichen Kreise des Kantons Tessin (welche durch die Vereinbarung in erster Linie berührt werden) angehört.

Zu Beginn der Verhandlungen verlangte die italienische Delegation, dass die Vereinbarung vom Grundsatz der Besteuerung der Grenzgänger im Wohnsitzstaat auszugehen habe, da die Grenzgänger in erster Linie der Wohnsitzgemeinde und nicht dem Staat des Arbeitsortes zur Last fallen. Die ausdrückliche Opposition der Schweiz, für die eine solche Lösung den Verlust sämtlicher von den Grenzgängern bezahlten Steuern bedeutet hätte, veranlasste die italienische Delegation, in der Folge die sogenannte «Genfer Lösung» vorzuschlagen, die darin besteht, in der Vereinbarung den Grundsatz der Besteuerung am Arbeitsort zu verankern und im übrigen vorzusehen, dass die Schweiz einen Teil der so erhobenen Steuern an Italien erstattet. » Um den Erstattungsbetrag zu bestimmen, stellte man jedoch nicht auf den Bruttobetrag der Löhne der Grenzgänger ab (was aufgrund der

D Diese Lösung wurde zum erstenmal in der Vereinbarung vom 29. Januar 1973 zwischen dem Kanton Genfund Frankreich verwendet: sie sieht vor. dass der Kanton Genf Frankreich zugunsten der Wohnsitzgemeinden der Grenzgänger 3.5 Prozent des Bruttobetrages der von den Grenzgängern bezogenen Löhne erstattet.

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Verhältnisse, wie sie in den drei schweizerischen Grenzkantonen herrschen, zu unbefriedigenden Ergebnissen geführt hätte), sondern auf den Bruttobetrag der Steuern (des Bundes, der Kantone und der Gemeinden), welche von den Kantonen bezogen werden. Es wurde deshalb vereinbart, dass die Schweiz Italien zugunsten der Wohnsitzgemeinden der Grenzgänger 40 Prozent der von den Grenzgängern bezahlten Steuern erstattet. Um den Budgetschwierigkeiten der betroffenen Kantone und der rückwirkend auf den 1. Januar 1974 vorgesehenen Anwendung der Vereinbarung Rechnung zu tragen, war Italien indessen bereit, die Erstattung für das Jahr 1974 auf 20 Prozent und für das Jahr 1975 auf 30 Prozent zu beschränken.

Im weiteren wurden, in Anlehnung an die Vereinbarung zwischen Frankreich und dem Kanton Genf, Bestimmungen aufgenommen, um sicherzustellen, dass die von der Schweiz erstatteten Beträge tatsächlich den italienischen Wohnsitzgemeinden zugute kommen, und um die Überweisungsmodalitäten zu regeln.

Auf schweizerischen Wunsch wurde schliesslich ausdrücklich festgehalten, dass diese Vereinbarung mit dem in Verhandlung stehenden schweizerisch-italienischen Doppelbesteuerungsabkommen zusammenhängen soll. Die Vereinbarung wurde für eine begrenzte Dauer von fünf Jahren abgeschlossen; wenn vor Ablauf dieser Frist ein Doppelbesteuerungsabkommen abgeschlossen werden kann, wird die Grenzgängervereinbarung automatisch zum Bestandteil dieses Abkommens, was bedeutet, dass sie ebensolange in Kraft bleiben wird wie das Doppelbesteuerungsabkommen selbst.

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Inhalt der Vereinbarung

Wie bereits erwähnt, lehnt sich die Vereinbarung in ihrer Struktur zum Teil an die ähnliche französisch-genferische Vereinbarung vom Januar 1973 an.

Aufgrund von Artikel l wird ab I.Januar 1974 eine doppelte Besteuerung der Löhne der italienischen und schweizerischen Grenzganger durch den Staat ihres Arbeitsortes und den Staat, in dem sie ihren Wohnsitz haben, vermieden, indem das ausschliessliche Besteuerungsrecht dem Staat des Arbeitsortes zugewiesen wird. Diese Regel, Einkünfte aus unselbständiger Arbeit am Arbeitsort zu besteuern, entspricht der internationalen Doppelbesteuerungspraxis. Einige unserer umfassenden Doppelbesteuerungsabkommen mit Nachbarstaaten [mit Deutschland, Frankreich (ausgenommen für den Kanton Genf) und Österreich] sehen allerdings für Grenzgänger gewisse Ausnahmen von der Besteuerung am Arbeitsort vor. Die Vereinbarung mit Italien kennt keine solchen Ausnahmen. An ihre Stelle tritt aber eine teilweise Erstattung der am schweizerischen Arbeitsort von Grenzgängern auf ihren schweizerischen Arbeitseinkünften bezogenen Steuern an ihre italienischen Wohnsitzgemeinden (Art. 2).

Es stellte sich die Frage, ob eine Definition des Begriffes «Grenzgänger» nötig sei. Da es sich jedoch als schwierig erwies, eine befriedigende Definition zu

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finden und da Bedenken bestanden, dass eine solche Definition möglicherweise ein unerwünschtes Präjudiz für andere Abkommen schaffen könnte, wurde darauf verzichtet.

Artikel 2 regelt in Absatz l den Grundsatz des finanziellen Ausgleichs, der von den schweizerischen Grenzkantonen an Italien zu leisten ist; anders als im Vertrag zwischen dem Kanton Genf und Frankreich, ist die direkte Bundessteuer ausdrücklich einbezogen worden. Der zweite Absatz legt die Höhe des Erstattungsbetrages fest, der, wie unter Ziffer 24 erwähnt, von 20 Prozent des Bruttobetrages der Steuern im Jahre 1974 auf 30 Prozent im Jahre 1975 und 40 Prozent ab 1976 steigen wird.

Artikel 3 präzisiert die Abwicklung und den Zeitpunkt der jeweiligen jährlichen Zahlung.

Artikel 4 regelt ebenfalls gewisse Verfahrensfragen und hält in Absatz 2 fest, dass die Erstattungsbeträge den italienischen Wohnsitzgemeinden der Grenzgänger zugute kommen sollen.

Artikel 5 setzt eine gemischte Kommission ein. die von den italienischen Behörden über die Verwendung der Erstattungsbeträge jeweils zu informieren ist.

Artikel 6 schliesslich sieht einerseits die rückwirkende Anwendung der Vereinbarung auf den I.Januar 1974 vor, anderseits wird das Verhältnis zwischen dieser Vereinbarung und einem,künftigen Doppelbesteuerungsabkommen festgelegt. Die Vereinbarung ist für eine Dauer von fünf Jahren abgeschlossen (Abs. 1), wird jedoch Bestandteil eines künftigen Doppelbesteuerungsabkommens; mit dem Abschluss eines solchen Abkommens wird die Grenzgängervereinbarung somit gleich lang in Kraft bleiben wie das Abkommen; kommt dagegen kein Doppelbesteuerungsabkommen zustande, so wird die Vereinbarung mit Ablauf der Frist von fünf Jahren automatisch hinfällig.

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Finanzielle Auswirkungen

Für die Kantone (und ihre Gemeinden)

Die finanziellen Auswirkungen der Vereinbarung werden besonders für die betroffenen Kantone (Graubünden, Tessin und Wallis) sowie für ihre Gemeinden von Bedeutung sein. Für das Jahr 1974 hat der Kanton Tessin auf den Löhnen der Grenzgänger gesamthaft ungefähr 17 Millionen Franken an Steuern eingenommen. Im Kanton Wallis haben die 2200 Grenzgänger ungefähr 2,25 Millionen Franken an Steuern bezahlt, während der Kanton Graubünden rund 1,3 Millionen Franken bezog. Aufgrund dieser Steuereinnahmen für 1974 (die möglicherweise wegen der Verschlechterung der Wirtschaftslage eine sinkende Tendenz aufweisen werden), werden sich die Kosten der Grenzgängervereinbarung (praktisch gleichbedeutend mit Steuerausfällen) wie folgt gestalten (m Franken) :

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1974 1975 1976

.

.

.

.

..

In Prozenten

Tessm

Willis

Grdubunden

20 30 40

3,4 Mio.

5,1 Mio.

6,8 Mio.

450 000 675 000 900 000

260 000 390000 520 000

Wie schon erwähnt, ist diese Vereinbarung in enger Zusammenarbeit mit den Kantonen (einschl. der Industrie- und Gewerkschaftskreise des Tessins) getroffen worden ; der schweizerischen Verhandlungsdelegation haben stets auch Vertreter der Kantone angehört. Auf deren ausdrückliches Verlangen wurde der Schweiz von Italien für die ersten Anwendungsjahre eine Staffelung der Vergütungen zugestanden, um die öffentliche Hand dieser Kantone nicht unvermittelt vor die Notwendigkeit zu stellen, fast die Hälfte der von den Grenzgängern entrichteten Steuern erstatten zu müssen. Um sich ein Bild über die Bedeutung des Problems zu machen, sei daraufhingewiesen, dass die von Grenzgängern gezahlten Steuern in gewissen grenznahen Gemeinden des Tessins bis zu 30 Prozent ihres Budgets ausmachen.

Die Finanzdirektoren der drei Kantone sind jedoch weiter gegangen und haben verlangt, dass der Bund mithilft (zumindest während der ersten 3 Anwendungsjahre), den Fehlbetrag zu tragen, indem er wenigstens einen Teil (z. B. 50%) der Erstattungen zu seinen Lasten übernimmt. Wie anhand der oben angeführten Zahlen festgestellt werden kann, würde eine solche Entschädigung den Bund für das Jahr 1974 ungefähr 2, l Millionen Franken und für 1976 4,1 Millionen Franken kosten. Zur Begründung dieser Beanspruchung von Bundesmitteln machen die Kantone geltend, die Vereinbarung reihe sich in die allgemeine, von der Schweiz gegenüber Italien betriebene Politik ein; mit der Vereinbarung solle in erster Linie der Abschluss eines umfassenden Doppelbesteuerungsabkommens begünstigt werden, aus dem die gesamte schweizerische Wirtschaft Nutzen ziehe ; die Vereinbarung bringe der Gesamtheit des Landes Vorteile, nicht aber den interessierten Kantonen.

Wir haben diesem Begehren nicht entsprechen können. Einmal ist die finanzielle Lage des Bundes unbefriedigend ; zudem bemühen sich die eidgenössischen Behörden um die Wiederherstellung des Gleichgewichts sowohl durch Beschränkung der Ausgaben als auch durch Erhöhung der Fiskaleinnahmen. In diesem Zusammenhang kommt das Entschädigungsbegehren ungelegen; ihm zu entsprechen könnte von der öffentlichen Meinung der übrigen Kantone schlecht verstanden werden. Ferner darf nicht vergessen werden, dass die übrigen Grenzkantone (ohne Genf) zum Teil seit Jahrzehnten auf die gesamten Einkommensteuern der Grenzgänger
verzichten, weil besondere Vereinbarungen die Besteuerung dieser Lohnempfänger an ihrem (französischen, deutschen, österreichischen) Wohnsitz vorsehen. Schliesslich ist daran zu erinnern, dass die Tätigkeit der Grenzgänger zu einer wirtschaftlichen Entwicklung beiträgt, die sich auf die Finanzen der Kantone und Gemeinden günstig auswirkt.

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Fur den Bund

Fur den Bund wird die Anwendung der "V ereinbarung den \ erzieht auf 20 bis 40 Prozent der direkten Bundessteuer zur Folge haben Aufgrund der Zahlen v on 1974 wird sich dieser Steuerausfall jährlich auf 0 2 bis 0 4 Millionen Franken belaufen Dieser Betrag wird möglicherweise m der nächsten Zeit sinken, wenn die Verschlechterung der Wirtschaftslage zu einem Abbau des Grenzgangerbestandes fuhrt

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Verfassungsmässigkeit

Die vorliegende Vereinbarung mit Italien betrifft drei Kantone und schliesst die direkte Bundessteuer mit ein (was bei der weiter oben genannten Vereinbarung des Kantons Genf mit Frankreich nicht der Fall war) A.US diesem Grunde schien es uns angezeigt, die Vereinbarung durch den Bund abzuschliessen Seme Zuständigkeit ergibt sich aus Artikel 8 der Bundesverfassung, der ihm die Befugnis verleiht, Staatsvertrage mit dem Ausland abzuschliessen Die Bundesversammlung ist für die Genehmigung der Verembaiung nach Artikel 85 Ziffer 5 der Bundesverfassung zustandig Die Vereinbarung ist auf eine beschrankte Zeit (5 Tahre) abgeschlossen Der Genehmigungsbeschluss unterliegt daher nicht dem Staatsvertragsreferendum nach Artikel 89 Absatz 4 der Bundes\ erfassung

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Schlussfolgerungen

Mit dem Abschluss und der Unterzeichnung der v orliegenden Vereinbarung über die Besteuerung der Grenzganger hat die Schweiz einmal mehr einem von Italien besonders eindringlich vorgetragenen Wunsch entsprochen Damit wird für italienische Gienzganger die Doppelbesteuerung beseitigt und überdies dem An liegen der italienischen Grenzregionen, einen Beitrag an die durch den Wohnsitz von m der Schweiz arbeitenden Grenzgängern verursachten erhöhten Infrastrukturkosten zu erhalten, entsprochen Die Veiembarung soll zu einem Bestandteil eines umfassenden Doppelbesteuerungsabkommens v\ erden, über welches die Verhandlungen eingeleitet sind, die nach den Zusicherungen des italienischen Aussenmimsters Mitte Juli 1975 m Rom weitergeführt und möglichst mit der Paraphierung und nachhengen Unterzeichnung abgeschlossen w erden sollen Wir werden m den Kommissionen über den Stand der Doppelbesteuerungsverhandlungen im einzelnen Bericht erstatten Dadurch wollen wir den eidgenössischen Raten ein Urteil darüber ermöglichen, inwieweit sich die schweizerischen Erwartungen hinsichtlich einer Losung der allgemeinen Doppelbesteuerungsprobleme im Verhältnis zu Italien erfüllen

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Antrag

Gestutzt auf diese Ausführungen beantragen wir Ihnen, die Vereinbarung nach beiliegendem Entwurf zu einem Bundesbeschluss zu genehmigen und den Bundesrat zu ihrer Ratifizierung zu ermächtigen

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Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

Bern, den 2. Juli 1975 Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident : Graber

Der Bundeskanzler : Huber 4304

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Bundesbeschluss über die Vereinbarung zwischen der Schweiz und Italien betreffend die Besteuerung der Grenzgänger

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf Artikel 8 der Bundesverfassung, nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 2. Juli 1975 D, beschliesst: Einziger Artikel 1

Die am 3. Oktober 1974 in Rom unterzeichnete Vereinbarung zwischen der Schweiz und Italien über die Besteuerung der Grenzgänger und den finanziellen Ausgleich zugunsten der italienischen Grenzgemeinden wird genehmigt.

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Der Bundesrat wird ermächtigt, diese Vereinbarung zu ratifizieren.

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Dieser Beschluss untersteht nicht dem Staatsvertragsreferendum.

» BEI 1975 II 345

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Übersetzung aus dem italienischen Originaltext

Vereinbarung zwischen der Schweiz und Italien üher die Besteuerung der Grenzgänger und den finanziellen Ausgleich zugunsten der italienischen Grenzgemeinden

Der Schweizerische Bundesrat und die Regierung der Italienischen Republik, vom Wunsche geleitet, die Doppelbesteuerung zu beseitigen, die die Anwendung der Steuergesetzgebung der beiden Staaten auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen für die Grenzgänger hervorrufen kann, in Anbetracht der Tatsache, dass eine bedeutende Zahl von in Italien ansässigen Grenzgängern in der Schweiz eine unselbständige Arbeit ausüben, unter Berücksichtigung der Aufwendungen für öffentliche Werke und Dienste, die einigen italienischen Grenzgemeinden wegen der dort ansässigen Personen entstehen, die als Grenzgänger in den Kantonen Graubünden, Tessin und Wallis arbeiten, in Anbetracht des bedeutenden Beitrags, den die italienischen Grenzgänger auf verschiedener Ebene an die Wirtschaft der Kantone leisten, in denen sie arbeiten, in Anbetracht der Wünschbarkeit, dass die Schweizerische Eidgenossenschaft und die Kantone Graubünden, Tessin und Wallis in einem Geiste der wirtschaftlichen und sozialen Zusammenarbeit den in Rede stehenden italienischen Gemeinden einen angemessenen finanziellen Ausgleich leisten, haben folgendes vereinbart:

Art. l Gehälter, Löhne und andere Bestandteile der Vergütung, die ein Grenzgänger aus unselbständiger Arbeit bezieht, können nur in dem Staat besteuert werden, in dem diese Arbeit ausgeübt wird.

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Art. 2 Jeder der Kantone Graubünden, Tessin und Wallis wird jedes Jahr zugunsten der italienischen Grenzgemeinden einen Teil des Steuerbetrags überweisen, den die Besteuerung - durch Bund, Kanton und Gemeinde - der an die italienischen Grenzgänger ausgerichteten Vergütungen abwirft, als finanziellen Ausgleich für die Aufwendungen, die den italienischen Grenzgemeinden wegen der Grenzgänger entstehen, die in ihrem Gebiet ansässig sind und auf dem Gebiet eines der genannten Kantone eine unselbständige Arbeit ausüben.

Der finanzielle Ausgleich eines jeden der drei Kantone beläuft sich auf 20% für das Jahr 1974. 30% für das Jahr 1975 bzw. 40% für die folgenden Jahre des Bruttobetrags der Steuern, den die italienischen Grenzgänger auf diesen Vergütungen während eines Kalenderjahres gezahlt haben.

Art. 3 Der finanzielle Ausgleich erfolgt in Schweizerfranken und wird durch eine einmalige Zahlung im Laufe des ersten Halbjahrs des Jahres geleistet, das auf das Jahr folgt, auf das sich der finanzielle Ausgleich bezieht, wobei den Bestimmungen des Artikels 2 Rechnung getragen wird.

Art. 4 Der finanzielle Ausgleich wird von den Finanzbehörden der Kantone Graubünden, Tessin und Wallis auf dem ordentlichen Weg auf ein Konto eingezahlt, das bei der Zentralen Italienischen Staatskasse auf den Namen des Schatzministeriums eröffnet wird und die Bezeichnung trägt : «Compensazioni finanziarie per l'imposizione operata in Svizzera sulle remunerazioni dei frontalieri italiani».

Die italienischen Behörden werden dafür sorgen, dass diese Beträge an die Gemeinden, in denen eine angemessene Anzahl Grenzgänger ansässig ist, weitergeleitet werden; sie tun dies in bezug auf Verteilungsschlüssel und Verwendung im Einvernehmen mit den zuständigen Organen der interessierten Grenzregionen.

Art. 5 Wenigstens einmal im Jahr wird zur Prüfung der mit der Anwendung dieser Vereinbarung zusammenhängenden Fragen eine Zusammenkunft stattfinden, an der italienischerseits die Vertreter der zuständigen Ministerien und der in Artikel 4 erwähnten Regionen sowie Abgeordnete der in Artikel 4 genannten Gemeinden und schweizerischerseits die Vertreter der Kantone Graubünden, Tessin und Wallis sowie des Bundes teilnehmen werden.

Bei dieser Gelegenheit werden die italienischen die schweizerischen Vertreter über die Verwendung der oben erwähnten Beträge unterrichten, die den genannten Gemeinden zur Verfügung gestellt werden.

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Art. 6 Diese Vereinbarung ist für die Dauer von fünf Jahren abgeschlossen.

Sie tritt mit dem Austausch der Mitteilungen, die für jede Seite den Abschluss des für das Inkrafttreten erforderlichen verfassungsmässigen Verfahrens bestätigen, in Kraft; ihre Bestimmungen finden hierauf ab 1. Januar 1974 Anwendung.

Diese Vereinbarung wird einen Bestandteil des Abkommens bilden, das zwischen Italien und der Schweiz zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen abgeschlossen werden soll.

Geschehen zu Rom, am 3. Oktober 1974, im Doppel in italienischer Sprache.

Für den Schweizerischen Bundesrat : A. Marcionelli

Für die Regierung der Italienischen Republik : L. Granelli

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend eine schweizerischitalienische Vereinbarung über die Besteuerung der Grenzgänger (Vom 2. Juli 1975)

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28.07.1975

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