20.072 Botschaft zur Genehmigung einer Gebietsveränderung zwischen den Kantonen Bern und Freiburg (Kantonswechsel der bernischen Gemeinde Clavaleyres) vom 11. September 2020

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf zu einem Bundesbeschluss über die Genehmigung einer Gebietsveränderung zwischen den Kantonen Bern und Freiburg betreffend den Wechsel der Gemeinde Clavaleyres vom Kanton Bern zum Kanton Freiburg.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

11. September 2020

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Simonetta Sommaruga Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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Übersicht Der Bundesversammlung wird beantragt, mit Bundesbeschluss die Gebietsveränderung zwischen den Kantonen Bern und Freiburg betreffend den Wechsel der Gemeinde Clavaleyres vom Kanton Bern zum Kanton Freiburg zu genehmigen.

Die Gebietsveränderung erfüllt die bundesrechtlichen Anforderungen. Die Genehmigung kann somit erteilt werden.

Die bernische Gemeinde Clavaleyres plant, mit der freiburgischen Gemeinde Murten zu fusionieren. Dazu muss Clavaleyres zunächst vom Kanton Bern zum Kanton Freiburg wechseln. Im Hinblick darauf haben die Kantone Bern und Freiburg die entsprechenden kantonalgesetzlichen Grundlagen geschaffen und ein Gebietsänderungskonkordat geschlossen. Sie beantragen dem Bund, den Kantonswechsel von Clavaleyres zu genehmigen.

Die Bundesverfassung regelt in Artikel 53 Absatz 3 die Voraussetzungen für Gebietsveränderungen zwischen Kantonen. Erforderlich ist demnach die Zustimmung der betroffenen Stimmberechtigten und der betroffenen Kantone sowie die Genehmigung durch die Bundesversammlung in der Form eines Bundesbeschlusses. Sowohl die Stimmberechtigten der Gemeinde Clavaleyres als auch die Kantone Bern und Freiburg haben dem Kantonswechsel von Clavaleyres zugestimmt. Somit ist für den Kantonswechsel von Clavaleyres noch die Genehmigung durch die Bundesversammlung erforderlich. Diese erfolgt mit einem dem fakultativen Referendum unterstehenden Bundesbeschluss.

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Botschaft 1

Ausgangslage

Die Gemeinde Clavaleyres ist eine Exklave des Kantons Bern, die an die Kantone Freiburg und Waadt grenzt. Clavaleyres hat eine Wohnbevölkerung von rund 50 Personen und ist einen Quadratkilometer gross. Seit dem Jahr 2013 verfolgt die Gemeinde den Plan, mit der freiburgischen Gemeinde Murten zu fusionieren. Dazu muss Clavaleyres zunächst vom Kanton Bern zum Kanton Freiburg wechseln.

Im Hinblick auf den Wechsel haben der Kanton Bern das Gesetz vom 7. Juni 20171 betreffend den Kantonswechsel der Einwohnergemeinde Clavaleyres im Rahmen eines Zusammenschlusses mit der freiburgischen Gemeinde Murten (ClavaleyresGesetz, ClaG) und der Kanton Freiburg das Gesetz vom 23. März 20182 über die Aufnahme der bernischen Einwohnergemeinde Clavaleyres durch den Kanton Freiburg und ihren Zusammenschluss mit der Gemeinde Murten (ClaZG) erlassen. Die Stimmberechtigten der Einwohnergemeinde Clavaleyres haben an der Abstimmung vom 23. September 2018 dem Kantonswechsel zugestimmt. Die Kantone Bern und Freiburg haben anschliessend das Gebietsänderungskonkordat vom 13. beziehungsweise 12. März 20193 über den Wechsel der bernischen Einwohnergemeinde Clavaleyres zum Kanton Freiburg geschlossen. Schliesslich haben der Kanton Bern den Grossratsbeschluss vom 9. Februar 20204 betreffend den Beitritt zum Gebietsänderungskonkordat über den Wechsel der bernischen Einwohnergemeinde Clavaleyres zum Kanton Freiburg und der Kanton Freiburg das Gesetz vom 25. Juni 20195 über den Beitritt zum Gebietsänderungskonkordat über den Wechsel der bernischen Einwohnergemeinde Clavaleyres zum Kanton Freiburg erlassen. Die Kantone Bern und Freiburg haben an den Volksabstimmungen vom 9. Februar 2020 dem Kantonswechsel von Clavaleyres zugestimmt.

Mit gemeinsamem Gesuch vom 1. beziehungsweise 21. April 2020 beantragen der Regierungsrat des Kantons Bern und der Staatsrat des Kantons Freiburg dem Bund, die Gebietsveränderung zwischen ihren Kantonen betreffend den Wechsel der Einwohnergemeinde Clavaleyres vom Kanton Bern zum Kanton Freiburg zu genehmigen. Sie planen den Kantonswechsel von Clavaleyres auf den 1. Januar 2022.

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BSG 105.41 SGF 112.7 BAG 20-020, ASF 2019_056 BSG 105.42 ASF 2019_056

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Kantonswechsel von Clavaleyres

2.1

Bundesrechtliche Anforderungen

Nach Artikel 53 Absatz 3 der Bundesverfassung (BV)6 bedürfen «Gebietsveränderungen zwischen den Kantonen (...) der Zustimmung der betroffenen Bevölkerung und der betroffenen Kantone sowie der Genehmigung durch die Bundesversammlung in der Form eines Bundesbeschlusses.» Diese Bestimmung beinhaltet eine Neuerung gegenüber der Bundesverfassung vom 29. Mai 1874. Anders als z. B. beim Kantonswechsel der Gemeinde Vellerat am 1. Juli 1996 unterliegen Gebietsveränderungen nach Artikel 53 Absatz 3 BV nicht der obligatorischen Abstimmung von Volk und Ständen.7

2.2

Gebietsveränderungen

Die Anwendbarkeit von Artikel 53 Absatz 3 BV setzt zunächst voraus, dass es sich beim Kantonswechsel von Clavaleyres um eine Gebietsveränderung im Sinne dieser Bestimmung handelt. Gebietsveränderungen nach Artikel 53 Absatz 3 BV stehen im Gegensatz einerseits zu den Änderungen im Bestand der Kantone nach Artikel 53 Absatz 2 BV und andererseits zu den Grenzbereinigungen zwischen den Kantonen nach Artikel 53 Absatz 4 BV. Mit den Änderungen im Bestand der Kantone wird insbesondere die Schaffung oder Aufhebung von Kantonen erfasst. 8 Gebietsveränderungen schlagen sich demgegenüber nicht in der Anzahl der Kantone nieder, sondern betreffen vorab die Frage der politischen Zugehörigkeit des betreffenden Gebiets zu einem bestimmten Kanton. Unter Artikel 53 Absatz 3 BV fällt z. B. der Kantonswechsel von einzelnen Gemeinden.9 Demgegenüber handelt es sich bei der Grenzbereinigung zwischen Kantonen in erster Linie um einen technischen Vorgang, dem keine politische Relevanz zukommt. Grenzbereinigungen zielen darauf ab, eine bestehende, nicht strittige Grenze, die ungünstig verläuft, z. B. durch ein Haus, zu korrigieren.10 Der Kantonswechsel einer ganzen Gemeinde könnte nicht als blosse Grenzbereinigung ohne politische Bedeutung angesehen werden.11 Beim Kantonswechsel von Clavaleyres handelt es sich um eine Gebietsveränderung im Sinne von Artikel 53 Absatz 3 BV, da entsprechende Gebietsveränderungen insbesondere den Kantonswechsel von Gemeinden umfassen. Artikel 53 Absatz 3 BV ist somit anwendbar auf den Kantonswechsel von Clavaleyres.

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SR 101 Vgl. BBl 1997 I 1, 220 ff., AS 1996 1493, BBl 1995 III 1432, 1436 ff.

BBl 1997 I 1, 221 Vgl. Eva Maria Belser / Nina Massüger, in: Bernhard Waldmann / Eva Maria Belser / Astrid Epiney (Hrsg.), Basler Komm. BV, Basel 2015, Art. 53 Rz. 37.

Vgl. dies., Art. 53 Rz. 42.

BBl 1995 III 1432, 1437

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2.3

Zustimmung der betroffenen Stimmberechtigten

Artikel 53 Absatz 3 BV nennt als erste Voraussetzung, dass die betroffene Bevölkerung der Gebietsveränderung zustimmt. Die deutsche Fassung von Artikel 53 Absatz 3 BV weicht dabei im Normtext von der französischen und der italienischen Fassung ab. Nach diesen Fassungen bedarf die Gebietsveränderung der Zustimmung der betroffenen Stimmberechtigten («corps électoral») beziehungsweise des betroffenen Volkes («Popolo») im Sinne des Stimmvolkes.12 Artikel 53 Absatz 3 BV geht auf Artikel 44 Absatz 3 des Verfassungsentwurfs von 199613 zurück. Diese Bestimmung sah in allen Sprachfassungen vor, dass Gebietsveränderungen der Zustimmung der betroffenen Bevölkerung bedürfen. Aus der Botschaft ergibt sich aber der Hinweis, dass mit der betroffenen Bevölkerung die betroffene stimmberechtigte Bevölkerung gemeint ist.14 Die französische und italienische Fassung von Artikel 53 Absatz 3 BV stellen dies jetzt im Normtext klar. Diese Fassungen geben deshalb den Inhalt der Norm besser wieder als die deutsche Fassung. Erforderlich ist somit die Zustimmung der betroffenen Stimmberechtigten.

Wer stimmberechtigt ist, richtet sich ­ im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben ­ nach kantonalem Recht.15 Den Stimmberechtigten der Einwohnergemeinde Clavaleyres wurde am 23. September 2018 folgende Frage zu Abstimmung unterbreitet: «Wollen Sie dem Zusammenschluss der Einwohnergemeinde Clavaleyres mit der Gemeinde Murten und dem für den Vollzug des Zusammenschlusses notwendigen Wechsel der Einwohnergemeinde Clavaleyres zum Kanton Freiburg zustimmen?»16 Von 39 Stimmberechtigten haben 35 an der Abstimmung teilgenommen; eine Stimmberechtigte oder ein Stimmberechtigter enthielt sich dabei der Stimme. Mit 28 Ja gegen 6 Nein haben die Stimmberechtigten von Clavaleyres dem Zusammenschluss mit Murten und dem Wechsel vom Kanton Bern zum Kanton Freiburg zugestimmt.

Am gleichen Tag haben auch die Stimmberechtigten von Murten dem Zusammenschluss mit Clavaleyres zugestimmt. 17 Dies wird hier nur deshalb erwähnt, weil die Kantone Bern und Freiburg den Kantonswechsel von Clavaleyres von der Zustimmung der beiden Gemeinden zum Zusammenschluss abhängig gemacht haben.18 Artikel 53 Absatz 3 BV stellt aber keine diesbezügliche Anforderung auf. Der Zusammenschluss von Clavaleyres und Murten ist deshalb nicht Gegenstand der vorliegenden Genehmigung, sondern Sache der Kantone Bern und Freiburg; er fällt somit hier ausser Betracht.

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18

Die Bundesverfassung verwendet an anderer Stelle (in allen Sprachfassungen) den Begriff «Bevölkerung» (franz. «population», ital. «popolazione») nicht nur für die Stimmberechtigten, sondern für die Bevölkerung im Allgemeinen; vgl. z. B. Art. 57 Abs. 1, 58 Abs. 2, 65 Abs. 1, 94 Abs. 2, 104 Abs. 1 Bst. a und 149 Abs. 4 BV.

BBl 1997 I 1, 597 BBl 1997 I 1, 221 Vgl. Eva Maria Belser / Nina Massüger, a. a. O., Art. 53 Rz. 38.

Art. 7 ClaG Vgl. www.murten-morat.ch/de > Politik > Abstimmungen und Wahlen > Termine und Resultate > 23.09.2018 Eidgenössische Volksabstimmung > Gemeindeabstimmung Fusion Murten ­ Clavaleyres > Volksabstimmung_vom_23.9.18_zur_Fusion_Clavaleyres_ und_Murten_Protokoll_Murten.pdf.

Art. 8 ClaG bzw. Art. 2 Abs. 2 und 3 ClaZG

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Mit der Zustimmung der Stimmberechtigten von Clavaleyres zum Kantonswechsel ist die erste Voraussetzung für eine Gebietsveränderung nach Artikel 53 Absatz 3 BV erfüllt.

2.4

Zustimmung der betroffenen Kantone

Artikel 53 Absatz 3 BV nennt als weitere Voraussetzung, dass die betroffenen Kantone der Gebietsveränderung zustimmen. Betroffen sind der abtretende und der aufnehmende Kanton. Welche kantonalen Organe für die Zustimmung zuständig sind, bestimmt sich nach kantonalem Recht.19 Von der Gebietsveränderung betroffen sind vorliegend der Kanton Bern als abtretender und der Kanton Freiburg als aufnehmender Kanton. Beide Kantone sehen vor, dass der Kantonswechsel von Clavaleyres der Volksabstimmung unterliegt.20 Die Stimmberechtigten des Kantons Bern haben an der Abstimmung vom 9. Februar 2020 dem Wechsel der Gemeinde Clavaleyres zum Kanton Freiburg mit 249 918 Ja gegen 30 766 Nein zugestimmt. Die Stimmberechtigten des Kantons Freiburg haben an der Abstimmung vom gleichen Tag dem Wechsel der bernischen Gemeinde Clavaleyres zum Kanton Freiburg mit 68 939 Ja gegen 2723 Nein zugestimmt.

Mit der Zustimmung der Kantone Bern und Freiburg zum Kantonswechsel von Clavaleyres ist die zweite Voraussetzung für eine Gebietsveränderung nach Artikel 53 Absatz 3 BV erfüllt.

2.5

Genehmigung durch die Bundesversammlung

Nach Artikel 53 Absatz 3 BV bedarf die Gebietsveränderung schliesslich der Genehmigung durch die Bundesversammlung in der Form eines Bundesbeschlusses. Die vorliegende vom Bundesrat beantragte Genehmigung der Gebietsveränderung zwischen den Kantonen Bern und Freiburg dient dazu, diese Anforderung zu erfüllen.

3

Rechtliche Aspekte

3.1

Bundesrechtskonformität

Die Prüfung hat ergeben, dass die Gebietsveränderung zwischen den Kantonen Bern und Freiburg betreffend den Wechsel der Gemeinde Clavaleyres vom Kanton Bern zum Kanton Freiburg die Anforderungen nach Artikel 53 Absatz 3 BV bezüglich der Zustimmung der betroffenen Stimmberechtigten und der betroffenen Kantone erfüllt. Somit kann ihr die Genehmigung durch die Bundesversammlung erteilt werden.

19 20

Vgl. Jean-François Aubert, in: Jean-François Aubert / Pascal Mahon (Hrsg.), Petit comm.

Cst., Zürich / Basel / Genf 2003, Art. 53 Rz. 13 f.

Art. 10 Abs. 2 ClaG bzw. Art. 20 Abs. 2 ClaZG

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3.2

Zuständigkeit der Bundesversammlung

Die Bundesversammlung ist nach Artikel 53 Absatz 3 BV für die Genehmigung zuständig.

3.3

Erlassform

Die Genehmigung erfolgt nach Artikel 53 Absatz 3 BV in der Form eines Bundesbeschlusses. Der Bundesbeschluss untersteht dem fakultativen Referendum (Art. 141 Abs. 1 Bst. c i. V. m. Art. 163 Abs. 2 BV).21

3.4

Inkrafttreten

In ihrem Gesuch vom 1. beziehungsweise 21. April 2020 führen die Kantone Bern und Freiburg aus, dass beiden Kantonen aus Gründen der Koordination und der Planungssicherheit gedient wäre, wenn der Genehmigungsbeschluss der Bundesversammlung vor dem am 1. Januar 2022 geplanten Kantonswechsel von Clavaleyres in Kraft treten könnte. Zwingende Gründe für ein vorzeitiges Inkrafttreten sind jedoch nicht erkennbar. Auch beim Kantonswechsel des Amtsbezirks Laufen oder von Vellerat sind die entsprechenden Bundesbeschlüsse nicht vorzeitig in Kraft getreten.22 Artikel 2 des Bundesbeschlusses sieht deshalb vor, dass der Beschluss am 1. Januar 2022 in Kraft tritt, wenn zehn Tage nach Ablauf der Referendumsfrist feststeht, dass gegen den Beschluss kein Referendum zustande gekommen ist. Andernfalls bestimmt der Bundesrat das Inkrafttreten.

21 22

AB 1998 N 916, S 65; BBl 1998 I 364, 382 f., 450 AS 1993 3042, 1996 1493

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