20.054 Botschaft zur Genehmigung und Umsetzung des Protokolls zur Änderung des Abkommens über strafbare und bestimmte andere an Bord von Luftfahrzeugen begangene Handlungen (Änderung des Luftfahrtgesetzes) vom 27. Mai 2020

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf eines Bundesbeschlusses über die Genehmigung und die Umsetzung (Änderung des Luftfahrtgesetzes) des Protokolls vom 4. April 2014 zur Änderung des Abkommens über strafbare und bestimmte andere an Bord von Luftfahrzeugen begangene Handlungen (Abkommen von Tokio).

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

27. Mai 2020

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Simonetta Sommaruga Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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Übersicht Das Protokoll zur Änderung des Abkommens vom 14. September 1963 über strafbare und bestimmte andere an Bord von Luftfahrzeugen begangene Handlungen (Abkommen von Tokio) wurde am 4. April 2014 in Montreal abgeschlossen. Es modernisiert und verbessert das Abkommen von Tokio, welches für die Schweiz am 21. März 1971 in Kraft getreten ist.

Ausgangslage Fluggäste, die sich unbotmässig verhalten, sind ein wachsendes Problem für die internationale Luftfahrt. Eine Modernisierung der einschlägigen Vorschriften ist daher notwendig. Die Zahl der gemeldeten Fälle von unbotmässigem oder störendem Verhalten von Passagieren, die die Verhaltensregeln an Bord von Luftfahrzeugen und die Anweisungen der Besatzungsmitglieder missachteten, hat sich in den vergangenen Jahren erhöht.

In mehreren Fällen wurde dabei die Sicherheit des Luftfahrzeugs unmittelbar gefährdet, und zuweilen mussten ungeplante Zwischenlandungen eingelegt werden, um Fluggäste, die sich unbotmässig verhielten, aus Sicherheitsgründen abzusetzen.

Oftmals, hauptsächlich mangels gerichtlicher Zuständigkeit des Staates, in dem das Luftfahrzeug landete, können solche Personen gerichtlich nicht belangt werden,.

Inhalt der Vorlage Abgesehen von der Einführung der zusätzlichen obligatorischen Gerichtsbarkeit des Halter- wie auch des Landestaates beinhalten die wesentlichen kraft des Protokolls am Abkommen von Tokio vorgenommenen Änderungen eine Aufzählung der Handlungen, die strafrechtlich verfolgt werden, sowie eine Präzisierung des Status der begleitenden Sicherheitsbeamten.

Die Ratifizierung des Protokolls durch die Schweiz erfordert eine Änderung der schweizerischen Gesetzgebung, welche die neu eingeführte Gerichtsbarkeit der Landestaaten abdeckt.

Das Protokoll wird der Bundesversammlung zur Genehmigung unterbreitet. Der Bundesbeschluss über die Genehmigung und Umsetzung des Protokolls unterliegt dem Referendum für Staatsverträge.

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Botschaft 1

Ausgangslage

1.1

Handlungsbedarf und Ziele

Gegenstand dieser Botschaft ist das am 4. April 2014 in Montreal angenommene Protokoll zur Änderung des Abkommens vom 14. September 1963 über strafbare und bestimmte andere an Bord von Luftfahrzeugen begangene Handlungen (Abkommen von Tokio)1.

Das Abkommen Abkommen von Tokio, welches für die Schweiz am 21. März 1971 in Kraft getreten ist, gehört zu den multilateralen Rechtsinstrumenten der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation (International Civil Aviation Organization, ICAO), welcher die Schweiz als Mitglied angehört. Das Abkommen wurde von 182 Staaten ratifiziert.

Das Abkommen von Tokio definiert die Verfahren bei strafbaren Handlungen sowie bei anderen Handlungen, die zwar nicht strafbar sind, aber die Sicherheit des Luftfahrzeugs oder der Personen oder Sachen an Bord gefährden können. Das Abkommen ist anwendbar auf strafbare und andere Handlungen, die an Bord eines in einem Vertragsstaat eingetragenen Luftfahrzeugs begangen werden, während sich das Luftfahrzeug im Flug oder auf der Oberfläche der hohen See oder eines anderen Gebiets ausserhalb des Hoheitsgebietes eines Staates befindet.

Fluggäste, die sich unbotmässig verhalten, sind ein wachsendes Problem für die internationale Luftfahrt. In den vergangenen Jahren hat sich die Zahl der gemeldeten Fälle von unbotmässigem oder störendem Verhalten von Fluggästen erhöht, die die Verhaltensregeln an Bord von Luftfahrzeugen und die Anweisungen der Besatzungsmitglieder missachten und so die Ordnung und Disziplin an Bord gefährden.

Das Spektrum der strafbaren und verwerflichen Handlungen, die in diesen Fällen begangen wurden, reicht von Angriffen auf Besatzungsmitglieder und Fluggäste über Raufereien zwischen angetrunkenen Passagieren, sexuelle Belästigungen und Übergriffe, Missachtung des Rauchverbots und Weigerung, auf alkoholische Getränke zu verzichten, bis hin zur unerlaubten Nutzung elektronischer Geräte und sonstigem ungebührlichem und flegelhaftem Benehmen.

In mehreren Fällen wurde dabei die Sicherheit des Luftfahrzeugs unmittelbar gefährdet, und zuweilen mussten ungeplante Zwischenlandungen eingelegt werden, um Fluggäste, die sich unbotmässig verhielten, aus Sicherheitsgründen abzusetzen.

Obgleich in der Regel die Identität dieser Passagiere bekannt ist und aussagekräftige Beweise vorliegen, können solche Personen oft nicht
gerichtlich belangt werden, sei es aufgrund fehlender gerichtlicher Befugnisse insbesondere des Staates, in dem das Luftfahrzeug gelandet ist, oder mangels Anzeigen oder Zeugenaussagen, weil die betreffenden Personen ihre Reise fortgesetzt oder den Flughafen samt Gepäck bereits verlassen haben.

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Diese Zunahme von Zwischenfällen, die durch unbotmässiges oder störendes Verhalten von Fluggästen verschuldet werden, hat auch greifbare Konsequenzen für das Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL). Das Amt ist für die strafrechtliche Untersuchung von Vorfällen zuständig, die von den Fluggesellschaften angezeigt werden, und ist seit einigen Jahren mit einer bedeutenden Zunahme solcher Fälle konfrontiert: Wurden im Jahr 2010 noch 375 Fälle von unbotmässigem Verhalten von Fluggästen beim BAZL angezeigt, waren es im Jahr 2019 bereits knapp 1200.

Die Genehmigung des Protokolls hat zur Folge, dass das Instrumentarium zur Verfolgung von unbotmässigen Handlungen verstärkt wird. Dies bewirkt eine Verbesserung der Flugsicherheit und trägt so zur Gewährleistung eines sicheren und geordneten Flugbetriebs bei.

Es handelt sich dabei um die letzte einer Reihe von Änderungen mit dem Ziel, die sicherheitsrelevanten Übereinkünfte der ICAO zu modernisieren und so den neuen Bedrohungen der Zivilluftfahrt aktiv zu begegnen.

Zur Erinnerung: Das Übereinkommen vom 23. September 1971 zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Zivilluftfahrt 2 sowie das Protokoll vom 24. Februar 1988 zur Bekämpfung widerrechtlicher gewalttätiger Handlungen auf Flughäfen, die der internationalen Zivilluftfahrt dienen, in Ergänzung des am 23. September 1971 in Montreal beschlossenen Übereinkommens zur Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Zivilluftfahrt 3, wurden durch das Übereinkommen vom 10. September 2010 über die Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen mit Bezug auf die internationale Zivilluftfahrt4 ersetzt.

Das Übereinkommen vom 16. Dezember 1970 zur Bekämpfung der widerrechtlichen Inbesitznahme von Luftfahrzeugen5 wurde seinerseits durch das Zusatzprotokoll vom 10. September 2010 zum Übereinkommen zur Bekämpfung der widerrechtlichen Inbesitznahme von Luftfahrzeugen 6 geändert.

Die Schweiz hat diese beiden neuen Instrumente im Jahr 2014 ratifiziert.

1.2

Verlauf der Verhandlungen und Verhandlungsergebnis

Angesichts der Zunahme der Zwischenfälle, die durch unbotmässiges Verhalten von Fluggästen verschuldet werden, beschloss der Rat der ICAO, die Problematik der unbotmässigen Handlungen von Passagieren in das Arbeitsprogramm des Rechtsausschusses aufzunehmen.

2001 verabschiedete die ICAO-Versammlung eine Resolution (A33-4), mit welcher alle Vertragsstaaten mit Nachdruck aufgefordert wurden, nationale Gesetze und Regelungen zur wirksamen Bekämpfung des Problems des unbotmässigen Verhaltens von Fluggästen zu beschliessen. Dabei seien nach Möglichkeit die Bestimmun2 3 4 5 6

SR 0.748.710.3 SR 0.748.710.31 SR 0.748.710.5 SR 0.748.710.2 SR 0.748.710.21

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gen einzuarbeiten, welche im Anhang zur genannten Resolution aufgeführt waren.

Es handelte sich dabei um eine Aufzählung von spezifischen strafbaren Handlungen, die durch die nationale Gesetzgebung abgedeckt werden sollten, sodann um eine Ausweitung der Zuständigkeiten auf die genannten strafbaren Handlungen sowie um Mechanismen für die Bewältigung solcher Handlungen.

In der Zwischenzeit sprachen sich zahlreiche Vertragsstaaten ­ von denen nicht alle innerstaatliche Vorschriften zur Schliessung der Lücken des Abkommens von Tokio beschlossen haben ­ für eine Modernisierung des genannten Abkommens aus, da sie ein kohärentes völkerrechtliches Regime für unverzichtbar hielten. Ein solches Regime würde dazu beitragen, gewisse Lücken zu schliessen, namentlich in Bezug auf die Gerichtsbarkeit und die Definition strafbarer Handlungen.

2011 wurde eine Arbeitsgruppe des Rechtsausschusses eingesetzt, der auch die Schweiz angehörte, und damit beauftragt, zu prüfen, ob die Problematik des unbotmässigen Verhaltens von Fluggästen im Rahmen einer Änderung des Abkommens von Tokio behandelt werden könne. Auf der Grundlage der Vorbereitungsarbeiten setzte sich der Rechtsausschuss im Mai 2013 mit dem Entwurf einer Änderung des Abkommens von Tokio auseinander und vertiefte diesen. In Anbetracht der erzielten Fortschritte gelangte der ICAO-Rat zum Schluss, der Entwurf sei genügend ausgereift, um einer diplomatischen Konferenz vorgelegt zu werden. Diese Konferenz tagte vom 26. März bis zum 4. April 2014 in Montreal.

Zum Abschluss dieser Konferenz am 4. April 2014 wurde das Protokoll zur Änderung des Abkommens über strafbare und bestimmte andere an Bord von Luftfahrzeugen begangene Handlungen genehmigt.

Das Protokoll trat nach Hinterlegung der 22. Ratifikationsurkunde am 1. Januar 2020 in Kraft (Art. XVIII Abs. 1 des Protokolls).

1.3

Verhältnis zur Legislaturplanung und zu Strategien des Bundesrates

Die Vorlage ist weder in der Botschaft vom 27. Januar 2016 zur Legislaturplanung 2015­20197 noch im Bundesbeschluss vom 14. Juni 2016 über die Legislaturplanung 2015­20198 angekündigt. Sie ist jedoch Teil der aktiven Rolle der Schweiz beim Schutz der Zivilluftfahrt.

1.4

Vorverfahren, insbesondere Vernehmlassungsverfahren

Wie bereits erwähnt, wurde der Entwurf des Protokolls, welcher der diplomatischen Konferenz vorgelegt wurde, unter der Schirmherrschaft der ICAO verfasst. Der Entwurf wurde zunächst von einer Arbeitsgruppe des Rechtsausschusses geprüft, welche sich aus Sachverständigen zusammensetzte und in der auch die Schweiz 7 8

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vertreten war. Danach wurde er dem Rechtsausschuss der ICAO unterbreitet. Dieser genehmigte im Mai 2013 den definitiven Text, welcher der diplomatischen Konferenz vorgelegt wurde.

In der Schweiz fanden informelle Konsultationen mit Swiss International Air Lines, den Polizeibehörden und der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich statt. Dabei zeigte sich, dass die im Protokoll vorgeschlagenen Änderungen sich grundsätzlich mit den Erwartungen der konsultierten Stellen decken. Es wurden keine weiteren Kommentare zum Protokollentwurf formuliert.

1.5

Bedeutung des Protokolls für die Schweiz

Die Schweiz hat eine Modernisierung des Abkommens von Tokio stets befürwortet, welche den Anliegen der Fluggesellschaften in Bezug auf die wachsende Zahl von Zwischenfällen, die durch unbotmässiges Verhalten von Fluggästen verursacht werden, Rechnung trägt.

Ergänzend zur Zuständigkeit des Staates, in dessen Hoheitsgebiet die fragliche Handlung stattgefunden hat, sieht das Abkommen von Tokio lediglich die Gerichtsbarkeit desjenigen Staates vor, in dem ein Luftfahrzeug eingetragen ist (Eintragungsstaat). Kraft des Protokolls wird die Gerichtsbarkeit auf den Halterstaat und ­ in geringerem Umfang ­ auf den Landestaat ausgedehnt. Die Einführung zusätzlicher obligatorischer Gerichtsbarkeiten stärkt den rechtlichen Rahmen des Abkommens von Tokio, denn sie verhindert, dass gewisse strafbare und andere an Bord von Luftfahrzeugen begangene Handlungen unbestraft bleiben. Zudem entfaltet sie eine dissuasive Wirkung.

Durch die ausdrückliche Nennung der schwerwiegendsten Handlungen (Ausübung oder Androhung körperlicher Gewalt; Weigerung, einer von der Kommandantin oder vom Kommandanten zur Gewährleistung der Sicherheit des Luftfahrzeugs oder der Personen oder Sachen an Bord erteilten Anweisung Folge zu leisten) werden den Staaten gewisse Handlungen zur Kenntnis gebracht, die verfolgt werden müssen.

Dies verbessert die Universalität des Regimes des Abkommens von Tokio.

Die Staaten werden aufgefordert, Massnahmen zu treffen, um Verfahren gegen jede Person einzuleiten, die eine im vorherigen Absatz genannte besonders schwerwiegende Handlung begangen hat.

Weiter sieht das Protokoll vor, dass künftig gegenüber einer Person, die infolge einer unbotmässigen Handlung abgesetzt wurde, Schadenersatzansprüche geltend gemacht werden können. Diese Bestimmung dient als juristische Absicherung für Luftfahrtgesellschaften, die durch das unbotmässige Verhalten eines Fluggastes einen Schaden erleiden (Umleitungen, Verspätungen usw.).

Die höchste Autorität an Bord ist nach wie vor die Kommandantin oder der Kommandant. Gemäss dem Protokoll können die Kommandantinnen und Kommandanten jedoch künftig begleitende Sicherheitsbeamte auffordern oder ermächtigen, sie bei Zwangsmassnahmen gegen Personen, die sich unbotmässig verhalten haben, zu unterstützen. Zudem können begleitende Sicherheitsbeamte auch von sich aus vorbeugende Massnahmen treffen.

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Im Anbetracht des universellen Charakters des Abkommens von Tokio, welches von 182 Staaten ratifiziert wurde, sollte im Interesse der Zivilluftfahrt der von der diplomatischen Konferenz genehmigte Text von einer möglichst grossen Anzahl Staaten genehmigt und anschliessend ratifiziert werden. Mit der Ratifizierung des Protokolls wird die Sicherheit von Personen und Gütern an Bord von Luftfahrzeugen gestärkt.

Die Ratifizierung des Protokolls durch die Schweiz erfordert eine Änderung der schweizerischen Gesetzgebung, welche die neu eingeführte Gerichtsbarkeit der Landestaaten abdeckt. Zu diesem Zweck muss Artikel 97 des Luftfahrtgesetzes vom 21. Dezember 19489 (LFG) um einen neuen Absatz ergänzt werden, welcher die Behörden zur Verfolgung von Taten ermächtigt, die ausserhalb der Schweiz an Bord eines ausländischen Luftfahrzeugs verübt wurden, welches mit der Täterin oder dem Täter an Bord in der Schweiz landet (vgl. Kap. 3).

2

Grundzüge des Protokolls

Im Folgenden werden die wichtigsten Artikel des Abkommens von Tokio erläutert, welche durch das Protokoll geändert oder hinzugefügt wurden. Ausserdem werden die Schlussbestimmungen des Protokolls erörtert.

Art. 1 Abs. 3 (geändert durch Art. II des Protokolls) Mit dem neuen Artikel 1 Absatz 3 des Abkommens von Tokio wird die Definition des Zeitraums, während dessen ein Luftfahrzeug als im Flug befindlich gilt, aktualisiert und an unlängst beschlossene Regelungen angepasst. Zu Letzteren zählen namentlich das Übereinkommen über die Bekämpfung widerrechtlicher Handlungen mit Bezug auf die internationale Zivilluftfahrt und das Zusatzprotokoll zum Übereinkommen zur Bekämpfung der widerrechtlichen Inbesitznahme von Luftfahrzeugen, welche am 10. September 2010 in Peking angenommen und 2014 von der Schweiz ratifiziert wurden.

Ein Luftfahrzeug gilt demnach als im Flug befindlich von dem Augenblick an, in dem alle Aussentüren nach dem Einsteigen geschlossen worden sind, bis zu dem Moment, in dem eine dieser Türen zum Aussteigen geöffnet wird (Bst. a). Die Dauer der Flugphase wird damit ausgedehnt, denn bisher begann der Flug mit dem Start und endete mit der Landung.

Buchstabe b präzisiert, dass der Begriff «Eintragungsstaat» auch den Halterstaat bezeichnet, wenn der Halterstaat nicht gleichzeitig der Eintragungsstaat ist.

Art. 2 (geändert durch Art. III des Protokolls) Durch die Ergänzung dieses Artikels werden die Kriterien der Diskriminierung erweitert, sodass deren strafrechtliche Verfolgung gewährleistet ist.

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Art. 3 (geändert durch Art. IV des Protokolls) Der neue Wortlaut von Artikel 3 ist eine der wichtigsten Änderungen, die mit dem Protokoll vorgenommen werden. Bisher war einzig der Eintragungsstaat eines Luftfahrzeugs für die Verfolgung von an Bord begangenen strafbaren und anderen Handlungen zuständig. Künftig wird diese Zuständigkeit unter gewissen Voraussetzungen auf den Halter- und den Landestaat ausgedehnt. Damit wird verhindert, dass strafbare und andere Handlungen, die an Bord begangen wurden, unbestraft bleiben.

Art. 3bis (hinzugefügt durch Art. V des Protokolls) Artikel 3bis gewährleistet die Koordination zwischen Staaten, wenn mehrere Staaten dieselben strafbaren Handlungen verfolgen.

Art. 5 Abs. 2 (aufgehoben durch Art. VI des Protokolls) Diese Aufhebung ergibt sich durch die neue Definition des Zeitraums, während dessen ein Luftfahrzeug als im Flug befindlich gilt (vgl. Art. 1 Abs. 3).

Art. 6 (geändert durch Art. VII des Protokolls) Hierbei handelt es sich um eine weitere wesentliche Änderung des Abkommens von Tokio. Mit dem neuen Absatz 2 werden die Möglichkeiten der Kommandantin oder des Kommandanten ausgeweitet, Unterstützung einzufordern, namentlich wenn die Sicherheit des Luftfahrzeugs oder der Personen an Bord gefährdet ist. Bisher konnten Kommandantinnen und Kommandanten lediglich von anderen Besatzungsmitgliedern oder von Fluggästen verlangen, sie bei angemessenen Zwangsmassnahmen zu unterstützen. Künftig können sie auch die Hilfe begleitender Sicherheitsbeamter in Anspruch nehmen.

Kraft des neuen Absatzes 3 werden begleitende Sicherheitsbeamte befugt, auch ohne Ermächtigung der Kommandantin oder des Kommandanten angemessene vorbeugende Massnahmen zu treffen, um die Sicherheit des Luftfahrzeugs oder der Personen an Bord vor einem widerrechtlichen Eingriff oder der Begehung einer strafbaren Handlung zu schützen.

Art. 9 (geändert durch Art. VIII des Protokolls) Mit der Änderung werden alle Verweise auf den Eintragungsstaat gestrichen. Dies ist eine Konsequenz der mit dem neuen Artikel 3 eingeführten zusätzlichen Gerichtsbarkeiten.

Art. 15bis (hinzugefügt durch Art. X des Protokolls) Im neuen Artikel 15bis werden die an Bord begangenen strafbaren und anderen Handlungen aufgezählt, die Gegenstand eines strafrechtlichen oder verwaltungsrechtlichen Verfahrens im zuständigen Staat
sein können. Dazu gehören insbesondere die Ausübung oder Androhung körperlicher Gewalt gegen Besatzungsmitglieder sowie die Weigerung, einer Anweisung Folge zu leisten, die von der Kommandantin oder dem Kommandanten oder in ihrem oder seinem Namen erteilt wurde, um die 5130

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Sicherheit des Luftfahrzeugs oder der Personen oder Sachen an Bord zu gewährleisten.

Art. 16 Abs. 1 (geändert durch Art. XI des Protokolls) Mit der Änderung werden im Wesentlichen alle Verweise auf den Eintragungsstaat gestrichen. Dies ist eine Konsequenz der mit dem neuen Artikel 3 eingeführten zusätzlichen Gerichtsbarkeiten.

Art. 18bis (hinzugefügt durch Art. XIII des Protokolls) Der neue Artikel 18bis trägt den Anliegen der Luftfahrtgesellschaften in Bezug auf sich unbotmässig verhaltende Fluggäste Rechnung. Die Fluggesellschaften können neu Schadensersatzansprüche gegen Personen geltend machen, die mit ihrem Verhalten der Gesellschaft einen Schaden zugefügt haben (Umleitungen, Verspätungen usw.).

Art. XIV bis XX des Protokolls Diese Artikel betreffen die formalen Schlussbestimmungen in Bezug auf die verschiedenen Sprachfassungen, die Unterzeichnung, das Inkrafttreten, die Kündigung und allfällige Notifikationen.

Das Protokoll tritt am ersten Tag des zweiten Monats nach Hinterlegung der 22. Ratifikations-, Annahme-, Genehmigungs- oder Beitrittsurkunde in Kraft.

Jeder Vertragsstaat kann das Protokoll durch schriftliche Notifikation an den Verwahrer kündigen. Die Kündigung wird ein Jahr nach Eingang der Notifikation beim Verwahrer wirksam.

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Änderung des Luftfahrtgesetzes

Laut Artikel 97 LFG sind die Schweizer Strafverfolgungsbehörden und Gerichte zuständig für strafbare Handlungen, die an Bord eines schweizerischen Luftfahrzeugs ausserhalb der Schweiz begangen werden. Kraft der ebenfalls anwendbaren allgemeinen Bestimmungen des schweizerischen Strafgesetzbuchs (StGB) 10 sind die Schweizer Gerichte namentlich zuständig für Verbrechen und Vergehen im Inland, für Verbrechen und Vergehen im Ausland gegen den Staat sowie für solche, die von Schweizer Staatsbürgern verübt oder gegen Schweizerinnen und Schweizer begangen wurden (Art. 3 ff. StGB). Die im Protokoll vorgesehene Ausdehnung der Gerichtsbarkeit auf den Halterstaat ist demnach mit dem schweizerischen Strafrecht vereinbar, weil sie durch Artikel 97 LFG bereits abgedeckt wird.

Bereits heute ist das BAZL zuständig für die Ahndung von Übertretungen, die ihm von den Fluggesellschaften angezeigt werden, beispielsweise das Rauchen auf Flugzeugtoiletten. In solchen Fällen werden Bussen verhängt, deren Höhe sich nach dem Schweregrad der Übertretung richtet (die Busse fällt beispielsweise höher aus, 10

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wenn die Person beim Rauchen auf der Toilette versucht hat, den Rauchmelder abzudecken). Handelt es sich bei der angezeigten Tat um ein Vergehen, so leitet das BAZL die Anzeige an die Bundesanwaltschaft weiter, welche anschliessend die zuständige kantonale Instanz bezeichnet.

Für die im Protokoll vorgesehene Ausdehnung der Gerichtsbarkeit auf den Landestaat hingegen fehlt in der schweizerischen Gesetzgebung die erforderliche Grundlage. Gegenwärtig ist die Schweiz nicht zuständig für strafbare Handlungen, die ausserhalb der Schweiz in einem ausländischen Luftfahrzeug begangen werden und an denen keine Schweizerbürgerinnen und -bürger beteiligt sind, selbst dann nicht, wenn das fragliche Luftfahrzeug in der Schweiz landet. Um diese Lücke zu schliessen, wird vorgeschlagen, Artikel 97 LFG um einen zusätzlichen Absatz zu ergänzen, welcher vorsieht, dass das schweizerische Strafgesetzbuch auch auf Verbrechen und Vergehen sowie auf Übertretungen nach Artikel 91 Absatz 1 Buchstabe g LFG anwendbar ist, die an Bord eines ausländischen Luftfahrzeugs ausserhalb der Schweiz begangen werden, wenn das Luftfahrzeug in der Schweiz landet und die Täterin oder der Täter sich noch an Bord befindet.

Wird eine strafbare Handlung an Bord eines ausländischen Luftfahrzeugs im Schweizer Luftraum oder an Bord eines Schweizer Flugzeugs ausserhalb des Schweizer Luftraums begangen, so kann die zuständige schweizerische Behörde gemäss Artikel 98 Absatz 3 LFG von einem Verfahren absehen. Nach Abwägung wurde beschlossen, den Geltungsbereich dieser Bestimmung nicht auf Fälle auszudehnen, die unter die neu eingeführte Gerichtsbarkeit des Landestaates fallen. In Anbetracht des mit dem Protokoll verfolgten Zwecks und der bedeutenden Rolle, welche die Schweiz in den internationalen Verhandlungen im Vorfeld der Genehmigung des Protokolls gespielt hat, aber auch aus praktischen Erwägungen ­ die vermutliche Täterin oder der vermutliche Täter befindet sich auf Schweizer Territorium und wird den Behörden übergeben ­ ist es gerechtfertigt, den Verzicht auf ein Verfahren zu unterbinden.

In diesem Zusammenhang ist jedoch auch auf Artikel 52 StGB zu verweisen. Dieser ist ­ im Rahmen der im LFG definierten Zuständigkeit und damit auch der neu eingeführten Gerichtsbarkeit des Landestaates ­ auf die im LFG vorgesehenen strafbaren Handlungen
anwendbar11. Gelangt die zuständige Strafverfolgungsbehörde zum Schluss, dass die Schuld der Täterin oder des Täters und die Folgen der Tat geringfügig sind, sieht sie von einer Strafverfolgung, einer Überweisung an das Gericht oder einer Bestrafung ab. Damit haben die zuständigen Behörden auch weiterhin die Möglichkeit, im Einzelfall auf eine Strafverfolgung zu verzichten, wenn sie eine solche für unnötig erachten.

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Siehe auch Art. 333 StGB.

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Auswirkungen

4.1

Finanzielle und personelle Auswirkungen

4.1.1

Auswirkungen auf den Bund

Die Ratifizierung des Protokolls durch die Schweiz hat weder personelle noch finanzielle Auswirkungen auf den Bund.

4.1.2

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden

Die Ratifizierung des Protokolls durch die Schweiz hat weder personelle noch finanzielle Auswirkungen auf die Kantone und die Gemeinden.

4.2

Auswirkungen auf die Informatik

Die Ratifizierung des Protokolls durch die Schweiz hat keine Auswirkungen auf den Informatikbereich.

4.3

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Die Ratifizierung des Protokolls durch die Schweiz hat keine Auswirkungen auf die Wirtschaft.

5

Verhältnis zum europäischen Recht

Die Europäische Union hat an der Ausarbeitung des Protokolls mitgewirkt und war an der diplomatischen Konferenz von Montreal im Jahr 2014 vertreten. Sie hat sich vergewissert, dass die mit dem Protokoll vorgeschlagenen Änderungen mit dem europäischen Recht vereinbar sind. Seit seiner Genehmigung haben bereits mehrere Mitgliedstaaten der Europäischen Union, nämlich Frankreich, Spanien und Italien, das Protokoll unterzeichnet. Zudem steht die Ratifizierung durch Frankreich, die Niederlande und Rumänien kurz bevor.

Die Vereinbarkeit des Protokolls mit den einschlägigen Bestimmungen des europäischen Rechts ist folglich gegeben.

6

Rechtliche Aspekte

6.1

Verfassungsmässigkeit

Der Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung des Protokolls vom 4. April 2014 zur Änderung des Abkommens von Tokio stützt sich auf Artikel 54 5133

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Absatz 1 der Bundesverfassung12 (BV), wonach die auswärtigen Angelegenheiten Sache des Bundes sind. Artikel 184 Absatz 2 BV ermächtigt den Bundesrat, internationale Verträge zu unterzeichnen und zu ratifizieren. Die Bundesversammlung ist nach Artikel 166 Absatz 2 BV für die Genehmigung völkerrechtlicher Verträge zuständig, sofern für deren Abschluss nicht aufgrund von Gesetz oder völkerrechtlichem Vertrag der Bundesrat zuständig ist (siehe auch Art. 24 Abs. 2 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 200213 [ParlG] sowie Art. 7a Absatz 1 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 199714 [RVOG]).

Vorliegend ist der Bundesrat weder aufgrund des LFG noch Kraft eines völkerrechtlichen Vertrags zum Abschluss eines solchen Protokolls ermächtigt. Somit ist die Bundesversammlung dafür zuständig.

Gemäss Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c des Vernehmlassungsgesetzes15 (VlG) sind völkerrechtliche Verträge, die nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV dem Referendum unterliegen, Gegenstand eines Vernehmlassungsverfahrens. Gestützt auf Artikel 3a Absatz 1 Buchstabe b VlG wurde auf die Eröffnung eines Vernehmlassungsverfahrens verzichtet. Die interessierten Kreise wurden im Rahmen der Vorbereitungsarbeiten darüber informiert, dass die Schweiz die im Protokoll vorgeschlagenen Änderungen zu genehmigen beabsichtigt. Der Entwurf wurde ausnahmslos begrüsst, da mit den beschlossenen Massnahmen das internationale Strafrecht konsolidiert wird und die Luftfahrtbranche damit künftig über bessere rechtliche Rahmenbedingungen verfügt, um sich vor unbotmässigem Verhalten von Fluggästen zu schützen.

6.2

Vereinbarkeit mit anderen internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Das Abkommen ist mit den Verpflichtungen, welche die Schweiz im Rahmen der ICAO eingegangen ist, sowie mit den anderen internationalen Verpflichtungen der Schweiz vereinbar.

6.3

Erlassform

Das Protokoll ist kündbar (Art. XIX) und setzt keinen Beitritt zu einer internationalen Organisation voraus. Gemäss Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffern 1 und 2 BV untersteht es folglich nicht dem fakultativen Referendum.

Ein völkerrechtlicher Vertrag untersteht nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV dem fakultativen Referendum, wenn er wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthält oder seine Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert. Als rechtsetzend gelten nach Artikel 22 Absatz 4 ParlG Bestimmungen, die in unmittel12 13 14 15

SR 101 SR 171.10 SR 172.010 SR 172.061

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bar verbindlicher und generell-abstrakter Weise Pflichten auferlegen, Rechte verleihen oder Zuständigkeiten festlegen. Wichtige rechtsetzende Bestimmungen sind nach Artikel 164 Absatz 1 BV in Form eines Bundesgesetzes zu erlassen.

Da das Protokoll wichtige rechtsetzende Bestimmungen wie beispielsweise Bestimmungen über die Gerichtsbarkeit enthält und somit die Verabschiedung einer Rechtsgrundlage auf Stufe Bundesgesetz erfordert, untersteht der Bundesbeschluss über die Genehmigung des Protokolls dem fakultativen Referendum bei internationalen Verträgen nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV.

Die Bundesversammlung genehmigt den Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrags, der dem Referendum unterliegt, in der Form eines einfachen Bundesbeschlusses (Art. 24 Abs. 3 ParlG).

6.4

Unterstellung unter die Ausgabenbremse

Mit der Vorlage werden weder neue Subventionsbestimmungen noch neue Verpflichtungskredite oder Zahlungsrahmen beschlossen, die einmalige Ausgaben von mehr als 20 Millionen Franken oder wiederkehrende Ausgaben von mehr als 2 Millionen Franken nach sich ziehen. Die Vorlage ist somit nicht der Ausgabenbremse (Art. 159 Abs. 3 Bst. b BV) unterstellt.

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