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Schweizerisches

Jahrgang VII. Band il«

Nro- 2*.

Samstag, den 2. Juni 1855.

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Bericht des

Schweiz. Bundesgerichtes an die hohe Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Jahr 1854.

(Vom 23. April 1855.)

Zii.

Wir geben uns hiemit die Ehre, Ihnen über unsere Amtsthätigkeit während des Iahres 1854 den nachstehen.-1 den Bericht zu erstatten.

Die Zahl und der Umfang der Geschäfte veranlaßte unsere Behörde zu fünfmaligem Zusammentritt. In drei Malen versammelten wir uns zu B e r n , einmal in Z ü r i c h und einmal in S o l o t h u r n , an welchen Orten wir, -- die für das Akten-Studium bestimmten Tage nicht eingerechnet, -- 29 Sitzungen hieltert. Es -.fi .idesblatt. Jahra. VII. Bd. n.

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waren vorzugsweife Reeurse über Entscheidungen der schweizerischen Schatzungs-Kommissionen in Expropria« tions * Angelegenheiten, welche die Thätigkeit unserer Behörde in Anspruch nahmen. Im Ganzen kamen 30 solcher Reeurse, wobei 605 Personen betheiligt waren, zur gerichtlichen Verhandlung. In 14 Fällen traten 26 Personen gegenüber der Direktion der Nordostbahn, beschwerdeführend auf; in 4 Fällen 20 Perfonen gegen.» ' über der Westbahn, und in l Fall 15 Perionen gegen-

über der St. Gallisch-Appenzellischen Eisenbahn-Gesell-

schaft. Die übrigen Reenrfe giengen größtentheils von der Direktion der Central-Bahn aus, und es betheilig* ten sich dabei in 11 Fällen 544 Personen. Von dm anhängig gemachten Streitigkeiten erledigten wir 16 so* fort durch richterlichen Spruch, indem wir die Entscheidüngen der Schatzungs-Kommisfionen einfach bestätigten oder von uns aus die für angemessen erachteten Modifieationen eintreten ließen; 14 Befchwerden verwiesen.

wir zu neuer Untersuchung, wobei wir in 12 Fällen für nothwendig fanden, zum Zwecke der Leitung des Exper* ten-Verfahrens eine Abordnung aus unferer Mitte zu bestellen. Nur in einem der zurückgewiefenen .galle blieb es beim Entscheid der Schatznngs-Kommisfion.

Sie haben unserm lezten Amtsberichte entnommen, daß wir das provisorische Proces-Gesetz vom 22. No»ember 1850 nicht für geeignet hielten, um in Expropriations-Streitigkeiten zur Anwendung gebracht zu wer* den, und daß wir dem Bundesrathe die Wünfchbarkeif: der Bearbeitung eines befondern Gesetzes über das Verfahren in solchen Proeeß-Fällen zu erkennen gaben» Einer Mittheilung des Bundesrathes vom 16. Januar l. I. entnahmen wir, daß derselbe für reifliche Berathung dieser Angelegenheit eine ErperternKommiffion unter dem

Vorfitze des Chefs des eidgenössischen Iustiz-Departements niedergefetzt habe, daß jedoch das Resultat der gepflogenen einläßlichen Diskussionen darin bestanden sei, für einmal von jeglicher Abänderung des Bundesgesetzes «her Abtretung von Privat«Rechten zu abstrahiren, indem es für mißlich erachtet wurde, bei kaum beginnender Anwendung des Gesetzes und zu einer Zeit, in welcher zahlreiche Expropriationen bereits im Gange sich befanden, die hiefür bestehenden Vorschriften in Frage zu stellen. Dabei wurde die Anficht ausgesprochen, es möchte unsere Behörde einerseits zu Erzielung der erforderlichen Ordnung und Einheit im Schatzungsverfahren eine Instruktion für [ämmtliche Schatznngs-Kommisfionen bearbeiten, anderseits den hinsichtlich des Proccß-Verfahrens wahrgenommenen Uebelständen ebenfalls durch Aufstellung eines befondern Regulativs Abhilfe zu verschassen suchen. Wir haben nun wirklich, indem wir dem ersten der ausgesprochenen Wünsche Rechnung trugen, dasjenige Reglement erlassen, welches Sie unterm Datum des 22. April 1854 im IV. Bande der amtlichen Sammlung der Bundesgefetze auf Seite 214 ss. veröf.« fentlicht finden. Werden die Bestimmungen dieses Regle* ments sorgfältig und gewissenhaft inne gehalten, fo glauben wir uns hievon versprechen zu dürfen, daß die Reeurfe nicht mehr eine so große Ausdehnung erlangen werden, wie dieses namentlich im Berichtsjahre der Fall war. Der gemachte Versuch dagegen, durch ein Regulativ für das Proceß-"Verfahren eine einfachere und wohlfeilere Grundlage z« gewinnen, scheiterte an der Wahrnehmung, daß solches nicht möglich fein würde, ohne in's Gebiet der Gesetzgebung hinüberzugreifen. Der Entscheid über die Erheblichkeit vorgebrachter Beschwerden gegen eine Abschätzung ist so wichtig, daß derselbe

4 nicht einem einzelnen Instruftions-Richter überlassen werden kann, sondern von dem gesammten Bundesgerichte ausgehen muß. Ebenso ist begreiflich, daß nach veranstaltetcm neuen Untersuche der Endentscheid dem Tribunale vorbehalten bleiben muß. Eine Vereinfachung des Verfahrens läßt fich demnach lediglich dadurch erzielen, daß die Partheien für Würdigung der zweiten Expertise nicht eontradiktorische Verhandlungen verlangen, sondern die Prüfung des gesammten Akten-Materials dem Gerichte anheimstellen. Wir werden darauf hinwirken, diefe Vereinfachung zu erzielen, ohne inzwifchen dem Willen und den Rechten der Partheien Zwang anzuthun.

, Neben den Recurfen in Erpropriations-Sachcn hatten wir uns nur noch mit der Beurtheilung von zwei bürgerlichen Rechtsftreitigkeiten zu befassen. Die eine betraf einen Anstand zwischen der Regierung des Kantons N e u e n b u r g und dem B u n d e s r a t h e über Entfchädigung aus dem Post-Regal, und ward zu Gunsten der Erster« entschieden ; die andere beschlug eine Forderung der Regierung v o n N i d w a l d e n gegen diejenige von O b w a l d e n , für Zölle und Weggelder, wobei die von der Klägerin erhobene Ansprache als grundlos abgewiesen wurde.

Ein von Ihnen erhaltener spezieller Auftrag macht

es uns zur Pflicht, über die praktische Zweckmäßigkeit des bisherigen provisorischen Gesetzes, betreffend das Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, unser Gutachten abzugeben. Die Zahl der hiernach behandelten Fälle war sehr gering; wenn wir nämlich die Erpropriations - Streitigkeiten, bei welchen das gewohnliche ·.Proeeß - Verfahren nicht in Anwendung gebracht werden konnte, und die vom Bundesrathe uns überwiesenen Heimathlosen-Fälle, wobei der Entscheid aus Grundlage

eines vorausgegangenen polizeilichen lîntersuchs statt fand, nicht in Anrechnung bringen, so waren es feit dem Bestand des Bundesgerichts nicht mehr als 13 Rechtsfälle, in welchen die Vorschriften des Proeeß-Gefetzes strenge inne gehalten wurden. Von bewährten Erfahrungen läßt es fich daher überhaupt nicht fprechen, und es ist begreiflich, daß, in Hinsicht auf viele Bestimmunget.1 des Gefetzes der Fall gar n i c h t eintrat, die* selben in ihrer Zweckmäßigkeit zu erproben. So weit unsere Wahrnehmungen reichen, hat fich aber das Gesetz in seiner systematischen Anlage und in der Durchführung des demselben zu Grunde liegenden Prinäps als gut bewährt. Darsselbe enthält die erforderlichen Garantien für den Schutz des materiellen Rechts, wodurch die Vortrefflichkeit eines Proeeß- Gesetzes wesentlich bedingt ifl, und für diejenige Schnelligkeit des Verfahrens, Kelche der Zusammensetzung und der Aufgabe des ©e*

richt.?hofs entspricht, find ebenfalls die geeigneten Bejh'mmungen in's Gesetz niedergelegt. Es ist einleuchtend,, daß im Infirnktions-Proeesse Manches der Persönlichkeit des handelnden Richters anheim gestellt bleiben muß; wir erachten nun, es seien im provisorischen Oefctze die ®r«ndaüge des z« beobachtenden VerfahreKs so scharf und mit folcher Klarheit gezeichnet und hervorgehoben, daß ein guter und geroandter Richter bei der ihm er-* theilten Richtfchnnr immer sich zurecht finden wird. Aus allen den entwü'elten Rükfichten sind wir zu tem Schlüsse gelangt. Ihnen zu empfehlen, daß Sie den Entwurf in globo zum definitiven Proeeß-Gesetze erheben möchten.

.Diesem unfern Antrage liegt nicht die Ucberzeugung z« Grunde, daß daâ Project nicht noch in manchen Theilen der Verbesserung fähig wäre; wir bezweifeln jedoch, sät} die einläßliche Erörterung desselben in beiden Räthen,,

wo Ieder den als zweckmäßig erfundenen Institutionen seines Kantons Eingang zu »erschassen suchen wird, ein Werk zu .-tage zu fördern vermöchte, welches den Anforderungcn der Eonsequenz entsprechen würde. Die geringe Zahl der Fälle, welche nach bisheriger Erfahrung unter die Herrschaft des Gcfetzes zu stehen kommt, dürfte auch ein Mitbestimmungsgrund sein, demselben nicht größere Aufmerksamkeit zuzuwenden, als der hicbei zu erreichende Endzweck erheischt.

Nach einem fernern Befchlusse Ihrer hohen Behörde sollen wir Ihnen berichten, ob die Bestimmungen über den Bezug der @erichts-©ebühren nicht im finanziellen Interesse des Bundes zu revidieren seien. Wir bemerïen Ihnen dießfallö zunächst, da§ bis zur Stunde ein Gesetz nicht besteht, welches über den Bezug von ©erichtsgeldern maaegebende -.Borschristen enthalten würde.

Die Praxis hat fich dahin gestaltet, daß ein Minimum »on gr. 50 und ein Maximum von Fr. 300 für abWandlung je eines galles gefordert worden ist. Wir glauben nun nic|t, daß ©rund »c'rhanden sei, die Anforderungen an die »or Buntcs-Oericht streitenden Partheicn zu steigern. In den ©.rpropriations-Reeursen stehen ohnehin die Parthei-Kojten gegenüber dem Werthe des Streit-Objekts oft außer -.Öerhültniß; bei der Erledigung der Anstände über Heimathlofigïeit ist der ..Bund înitintresjiert, und i>a immer nur in Frage kommen îann, welchem Kanton die Sinbürgerungspsticht obliegt, [o würde es fich in unfern Augen nicht rechtfertigen, bie Kantone, welchen man oft auf schwache Argumente hin Hcimathlofe zujuihcilen genöthigt ifl, darüber noch mit Kosten zu belästigen. Die weisern Processe hatten grogtentheils in fccn neuen --Bunocecinrichtmiiien ihren (.sntflehungsgrttnd ; auch diepfalls mußten wir es für

gerechtfertigt finden, daß die Bundes'Kasse bei den Kosten gewisser Maßen fich betheilige. Die Zahl der galle, in welchen unfere Behörde als provozierter Gerichtsfiand angerufen ward, befchränkt fich auf z w e i .

Mit Beziehung auf solche Fälle enthält der Art. 102 der Bundesverfassung die kategorische Vorschrift: ,,daß î>ie Kosten ausschließlich auf Rechnung der Partheien fallen müssen." Wir haben nun aber solcher Anstände wegen nie außerordentliche Sitzungen gehalten, sondern .·.Meselben stets in Verbindung mit andern vor unser jjorum gelangenden Rechtsstreitigkeiten erledigt. Dabei wurde das Gerichtsgeld immer in der Weife festgefetzt, daß der eidgenössische giseus für die Kosten des be* treffenden Gerichtstages vollständige Entschädigung erlielt. Wir hoffen daher, nicht in die Nothwendigkeit »ersetzt zu werden, denfi.3ealift.henInteressen des Bunìoes in Zukunft mehr Rückficht angedeihen zu lassen, als ber.

Dagegen mag die definitive Regulierung des Proeeß·Verfahrens, wie wir von derselben bisher die Auffielînng eines Geschäfts-Reglements für unfere Behörde abhängig machten, eine geeignete Veranlassung dafür bieten, daß sowohl für das Gericht, als für dessen Kanzln und für die vor demselben funktionierenden Anwälte ein Sporteln-Tarif aufgestellt werde; fchon zu wiederholten Malen haben wir auf,das Bedürfniß eines folchen hingewiesen, und wir erlauben uns demnach, ben Wunsch zu erneuern, daß dem Bundesrathe ent" sprechende Aufträge ertheilt werden möchten.

Von unfern außer dem Gebiete der richterlichen Entfcheidungen gefaßten Befchlüssen machen wir noch fol* $ende bemerkbar:

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Es ward .in unserer Behörde der Antrag gestellt,, daß bei allen in deutscher Sprache geführten Proeessen die Uebersetzung der Parthei-Schriften und Urkunden in die franzöfifche Sprache stattfinde, um auf solchf.Weise den Mitgliedern der franzofifchen Zunge die Rechtsprechung zu erleichtern. Wir glaubten diefem Be# gehren nicht entsprechen zu können. Bei manchen Processen, wobei ein reichhaltiges Material zu verarbeiten ist, würden die Kosten der Ueberfetzung eine hohe Summe erreichen; ein vielleicht noch größerer Uebelstand läge aber in der eintretenden Notwendigkeit der Proeeß*Verfchleppung. Nach geschlossenem Instruktions-Verfahren müßte nämlich die Hauptverhandlung so lange sistiert bleiben, bis der Uebersetzer der ihm obliegenden Aufgabe ein vollständiges Genüge' geleistet haben würde. Um in«

.zwifchen denjenigen Mitgliedern des Bundesgerichts, welche der deutschen Sprache nicht mächtig find, die

Möglichkeit zu gewähren, ihre Richterpflichten zu er* füllen, sprachen wir zu Gunsten derfelben die Ermächtigung aus, daß sie beim Studium der Proeeß"Akten.

einen Interpreten nach selbsteigener Auswahl auf Kosten der bundesgerichtlichen Kasse beiziehen mögen.

Im Berichtsjahre wurde der Organisation des bundesgerichtlichen Archivs die erforderliche Aufmerksamkeit zugewendet. Also erhielt die Kanzlei den Auftrag, die bei den verschiedenen Bundes- und kantonalen Behörden zerstreut liegenden Akten zu sammeln und den Einband derfelben zu veranstalten; ebenso wurde die Sammlung der von den eidgenösfischen Asfisen abgewandelten Proceduren und der hierauf bezüglichen Wahr- und Rechts* sprüche beschlossen und ausgeführt. Im Gebiete der Civil- und Strafrechtspflege des Bundes hat die Anlage einer ordentlichen Registratur stattgefunden-, es ist nun

zu gewärtigen, daß für Aufbewahrung 'der Protokolle und Akten in der Bundesstadt die erforderlichen Räumlichkeiten angewiefen werden.

Durch die Regierungen der Kantone B e r n und g r e i b u r g wurden wir angegangen, die Rechtsverhält* nisse, betreffend das große Moos im Seelande, zufolge eines unter jenen Ständen abgeschlossenen Concordat....zu bestimmen. Indem wir dem gestellten Begehren entgegenkamen, wurde von uns eine dreigliedrige Kom* mission unter dem Vorfitz eines Mitgliedes unserer Behörfee niedergefetzt, welche sich zunächst mit der Prüfung und dem Entscheide über die streitigen Rechte zu befassen haben wird.

Das Cassations-Gericht des Bundes 'hielt im Berichtsjahre nur e i n e Sitzung, und erledigte ein vorn schweizerischen Zoll- und Handels-Departernente ihr vorgelegtes R..eurs«Begehren gegen ein Urtheil des Appellation.3- und Cassations-Gerichts des Kantons B e r n in bejahendem Sinne.

Der Anklage-Kammer lag ausschließlich ob, über die gegen A n g e l o C o n t i n i von A n g e r a und Complieen,, m&m ©efäbrdung der äußern Sicherheit der Schweig erhobene Anklage zu entfcheiden, und da dieselbe keinen hinreichenden Stoff zu strafrechtlicher Verfolgung der Angeklagten vorfand, fo kamen auch die schweizerischen Asfisen nicht in den Fall, während des Berichtsjahres funktionieren zu müssen.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

Bern, den 23. April 1855.

Der P r ä f i d e n t des Bundesgerichts; S. T r o g .

Der Bundesgerichtsfchreiber: eafchardt.

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Bericht des schweiz. Bundesgerichtes an die hohe Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Jahr 1854. (Vom 23. April 1855.)

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