zu 13.468 Parlamentarische Initiative Ehe für alle Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates vom 30. August 2019 Stellungnahme des Bundesrates vom 29. Januar 2020

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates vom 30. August 20191 betreffend die parlamentarische Initiative 13.468 «Ehe für alle» nehmen wir nach Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

29. Januar 2020

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Simonetta Sommaruga Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Am 5. Dezember 2013 reichte die Grünliberale Fraktion die parlamentarische Initiative «Ehe für alle» mit folgendem Text ein: «Die Bundesverfassung ist wie folgt zu ändern: Art. 14 Recht auf Ehe, Lebensgemeinschaft (neu) und Familie Abs. 1 Das Recht auf Ehe, Lebensgemeinschaft (neu) und Familie ist gewährleistet.

Abs. 2 Die gesetzlich geregelten Lebensgemeinschaften stehen Paaren unabhängig von ihrem Geschlecht oder ihrer sexuellen Orientierung offen.

Art. 38 Abs. 1 erster Satz Der Bund regelt Erwerb und Verlust der Bürgerrechte durch Abstammung, («Heirat» streichen) gesetzlich geregelte Lebensgemeinschaft (neu) und Adoption. ...» Am 20. Februar 2015 gab die Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates (RK-N) der Initiative mit 12 zu 9 Stimmen bei 1 Enthaltung Folge. Die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates (RK-S) stimmte diesem Beschluss am 1. September 2015 mit 7 zu 5 Stimmen bei 1 Enthaltung zu. Am 16. Juni 2017 hat der Nationalrat die Frist zur Ausarbeitung eines Erlassentwurfs bis zur Sommersession 2019 verlängert.

Am 5. Juli 2018 traf die RK-N den Grundsatzentscheid, die Öffnung der Ehe für Personen gleichen Geschlechts auf dem Wege der Gesetzesänderung vorzunehmen.

Zudem sprach sie sich dafür aus, die Gesetzesrevision für die Öffnung des Rechtsinstituts Ehe nicht in einer einmaligen Revision, sondern in Etappen anzugehen. Die Verwaltung wurde in der Folge beauftragt, zusammen mit externen Expertinnen und Experten eine «Kernvorlage» auszuarbeiten.

Am 14. Februar 2019 stimmte die RK-N der von der Verwaltung erarbeiteten Kernvorlage zu. Weiter beschloss sie, auch eine Änderung der Bestimmungen über die Entstehung des Kindesverhältnisses im Zivilgesetzbuch als eine «die Kernvorlage ergänzende Variante» in die Vernehmlassung zu schicken. Mit dieser Änderung würde gleichgeschlechtlichen weiblichen Ehepaaren der Zugang zur Samenspende ermöglicht. Die Vernehmlassung dauerte vom 14. März bis zum 21. Juni 2019. Am 30. August 2019 hat die RK-N von den Ergebnissen des Vernehmlassungsverfahrens Kenntnis genommen.2 2

Der Bericht über das Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens ist abrufbar unter www.parlament.ch > Organe > Kommissionen > Sachbereichskommissionen > Kommissionen für Rechtsfragen > Berichte und Vernehmlassungen > Vernehmlassungen > 13.468.

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Angesichts der Stellungnahmen in der Vernehmlassung hat die Mehrheit der Kommission entschieden, auf die Öffnung des Zugangs zur Samenspende für gleichgeschlechtliche weibliche Ehepaare zu verzichten und die Thematik der Fortpflanzungsmedizin erst in einem nachfolgenden Schritt anzugehen.

In der Folge hat die RK-N an der Sitzung vom 30. August 2019 den vorliegenden Erlassentwurf und Bericht mit 17 zu 7 Stimmen bei 1 Enthaltung verabschiedet.

Eine Minderheit verlangt hingegen nach wie vor die Öffnung des Zugangs zur Samenspende für gleichgeschlechtliche weibliche Ehepaare. Eine zweite Minderheit beantragt Nichteintreten.

Gestützt auf Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 2002 3 wurden Erlassentwurf und Bericht dem Bundesrat zur Stellungnahme überwiesen.

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Stellungnahme des Bundesrates

In den vergangenen Jahren hat sich der Bundesrat wiederholt für eine Beseitigung der Ungleichbehandlung verschieden- und gleichgeschlechtlicher Paare ausgesprochen, entweder durch eine Angleichung der eingetragenen Partnerschaft an die Ehe oder durch die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. 4 Der Bundesrat begrüsst deshalb den klaren Entscheid der RK-N, die bestehende Ungleichbehandlung zu beseitigen und das Rechtsinstitut der Ehe für alle Paare zu öffnen. Weil die eingetragene Partnerschaft als Pendant zur Ehe geschaffen wurde, erscheint es zudem konsequent, dass künftig keine neuen eingetragenen Partnerschaften mehr begründet werden können. Der Bundesrat begrüsst auch den Vorschlag der RK-N, dass Paare, die bereits in einer eingetragenen Partnerschaft leben, die Möglichkeit erhalten, ihre eingetragene Partnerschaft rasch und unbürokratisch in eine Ehe umwandeln zu können. Die Einführung einer weiteren Partnerschaftsform als Rechtsinstitut ausserhalb der Ehe und unabhängig von der Geschlechterzusammensetzung wird im Rahmen des Berichts zu einem möglichen PACS für die Schweiz geprüft.5 Der Bundesrat schliesst sich auch den rechtlichen Überlegungen der RK-N an, wonach die Öffnung der Ehe auf dem Weg einer Gesetzesrevision erfolgen kann und dazu keine Revision der Bundesverfassung6 erforderlich ist. Als sachgerecht erachtet der Bundesrat schliesslich den Entscheid, die Revision in Etappen umzusetzen und in einem ersten Schritt nur die für die Öffnung der Ehe unbedingt notwendigen Punkte zu regeln. Die Erweiterung der Vorlage auf politisch heikle Fragen ­ wie 3 4

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SR 171.10 Bericht des Bundesrates «Modernisierung des Familienrechts» zum Postulat Fehr (12.3607) vom März 2015, Ziff. 4.2 und Ziff. 9; abrufbar unter www.parlament.ch > 12.3607 > Bericht in Erfüllung des parlamentarischen Vorstosses; vgl. auch die Stellungnahme des Bundesrates vom 18. Dezember 2015 zum Bericht der Staatspolitischen Kommission des Nationalrates vom 5. November 2015 betreffend die parlamentarische Initiative «Gleichstellung der eingetragenen Partnerschaft und der Ehe im Einbürgerungsverfahren, BBl 2016 45.

Siehe Postulat 15.3431 (Caroni) und Postulat 15.4082 (Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrats) «Ein Pacs nach Schweizer Art».

SR 101

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zum Beispiel die Regelung der Hinterlassenenrenten ­ könnte den Erfolg der Vorlage als Ganzes gefährden oder jedenfalls ein Inkrafttreten um Jahre verzögern.

Auch wenn der Bundesrat das Anliegen der Minderheit betreffend die Öffnung des Zugangs zur Samenspende für weibliche Ehepaare nachvollziehen kann, ist er mit der Mehrheit der Kommission der Ansicht, dass es angebracht ist, diese Frage erst in einem nächsten Schritt zu behandeln, damit die Vorlage nicht überladen wird. Zudem wurde die Frage der Notwendigkeit einer Verfassungsrevision noch nicht definitiv geklärt. Weiter sollen die Einwände, die in der Vernehmlassung gegen die Einführung einer Mutterschaftsvermutung der Ehefrau der Mutter vorgebracht wurden, unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls vertieft geprüft werden. Es stellt sich insbesondere die Frage der Vereinbarkeit einer solchen Vermutung mit dem verfassungsrechtlich garantierten Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung, etwa wenn die Samenspende in einem Land durchgeführt wurde, in dem eine anonyme Spende möglich ist, oder wenn die Zeugung auf natürlichem Weg erfolgt ist. In diesem letzten Fall stellt sich zudem auch die Frage nach der rechtlichen Stellung des biologischen Vaters. Der Bundesrat ist der Ansicht, dass diese heiklen Fragen in grundsätzlicher Weise geklärt werden sollten, bevor eine neue Regelung eingeführt wird. Entsprechende Arbeiten sind denn auch bereits am Laufen: Mit der Überweisung des Postulats 18.3714 «Überprüfung des Abstammungsrechts» der RK-S wurde der Bundesrat beauftragt, den Reformbedarf im Abstammungsrecht zu prüfen und dem Parlament in einem Bericht gegebenenfalls Empfehlungen für eine kohärente Gesamtreform zu unterbreiten. Eine externe interdisziplinäre Gruppe von Expertinnen und Experten wurde eingesetzt, die bis zum Sommer 2021 Empfehlungen formulieren wird. Somit können die erwähnten Fragen in einem Gesamtkontext diskutiert und angemessene Lösungen vorgeschlagen werden.

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Antrag des Bundesrates

Der Bundesrat beantragt Eintreten und Zustimmung zur Vorlage der RK-N. Die Anträge der Minderheiten werden zur Ablehnung empfohlen.

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