Bericht des Bundesrates über die Aktivitäten der schweizerischen Migrationsaussenpolitik 2019 vom 24. Juni 2020

Sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Wir unterbreiten Ihnen den Bericht über die Aktivitäten der schweizerischen Migrationsaussenpolitik 2019 und bitten Sie, davon Kenntnis zu nehmen.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Nationalratspräsidentin, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

24. Juni 2020

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Die Bundespräsidentin: Simonetta Sommaruga Der Bundeskanzler: Walter Thurnherr

2020-1043

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Bericht 1

Einleitung

Nebst den innenpolitischen Massnahmen ist die Migrationsaussenpolitik ein wichtiges Instrument, um die Interessen der Schweiz im Migrationsbereich zu wahren. Sie fusst auf drei Prinzipien1: Erstens verfolgt die Schweiz einen umfassenden Ansatz, bei dem sowohl die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Chancen der Migration als auch deren Herausforderungen (z. B. irreguläre Migration, Rückkehr, Menschenhandel) beachtet werden. Zweitens fördert die Schweiz die enge partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Herkunfts-, Transit- und Zielländern und die ausgewogene Berücksichtigung der Interessen aller Akteure. Drittens stellt die Schweiz eine enge interdepartementale Zusammenarbeit sicher, um eine kohärente Migrationspolitik zu gewährleisten.

Diese interdepartementale Koordination ist zentral, weil die aussenpolitischen Aktivitäten der Schweiz im Bereich der Migration vielfältig sind und unter anderem Ämter des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD), des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA), des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) sowie des Eidgenössischen Finanzdepartements (EFD) betreffen. Vor diesem Hintergrund hat der Bundesrat im Februar 2011 die bundesinterne Zusammenarbeit durch die Schaffung der interdepartementalen Struktur zur Koordination der internationalen Migrationszusammenarbeit (IMZ-Struktur) weiter verstärkt. Die IMZ-Struktur, die 2017 im Nachgang zu einer externen Evaluation angepasst wurde, umfasst drei Stufen:

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Verantwortlich für die strategische Ausrichtung der schweizerischen Migrationsaussenpolitik und deren Prioritäten ist der IMZ-Vorsitz, in dem der Staatssekretär des Staatssekretariats für Migration (SEM) sowie die Staatssekretärin des EDA die Co-Leitung haben und dem die Staatssekretärin des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) und der Direktor der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) angehören.

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Dem Vorsitz untersteht der IMZ-Ausschuss, der über die operativen Aspekte der interdepartementalen Zusammenarbeit und über die verschiedenen Instrumente der Migrationsaussenpolitik berät. Der Ausschuss, dessen Sitzungen allen interessierten Bundesämtern offensteht, wird gemeinsam vom Vizedirektor des SEM und dem Botschafter für Entwicklung, Flucht und Migration des EDA geleitet.

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Die dritte Ebene der IMZ-Struktur bilden die für prioritäre Regionen, Länder und Themen eingesetzten Arbeitsgruppen, die die konkrete Umsetzung der eingeleiteten Projekte und Massnahmen koordinieren.

Bericht über die internationale Migrationszusammenarbeit zuhanden des Bundesrates (Februar 2011), Kapitel 3, abrufbar unter: www.sem.admin.ch > Internationales > Bericht des Bundesrates über die Aktivitäten der schweiz. Migrationsaussenpolitik 2011­2012.

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Für die Jahre 2017­2020 hat sich die IMZ-Struktur drei Ziele gesetzt: ­

Erstens die Umsetzung der strategischen Verknüpfung von Migrationspolitik und der internationalen Zusammenarbeit (IZA) der Schweiz. Die strategische Verknüpfung dieser zwei Politikfelder entspricht dem Bestreben des Bundesrates nach mehr Politikkohärenz, nach einem systemischen Ansatz im Umgang mit den Chancen und Herausforderungen der Migration und der Wahrung der Interessen der Schweiz. Der Bundesrat hat entschieden, das Mandat zur strategischen Verknüpfung in der Botschaft zur Strategie der internationalen Zusammenarbeit 2021­2024 (IZA-Strategie 2021­2024) weiter zu stärken.

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Zweitens der Abschluss von neuen Migrationspartnerschaften und ­abkommen, und

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drittens die Teilnahme an der internationalen Flucht- und Migrationssteuerung.

Die im vorliegenden Bericht erläuterten Aktivitäten der Schweiz sind vor dem Hintergrund dieser drei Zielsetzungen zu verstehen.

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Zusammenfassung der Schwerpunkte im Jahr 2019

Der wie in den letzten Jahren auch 2019 registrierte Rückgang der irregulären Migration nach Europa zeichnet ein trügerisches Bild: Auf der östlichen Mittelmeerroute war ab Sommer 2019 eine Zunahme von Anlandungen zu verzeichnen. Ebenfalls hat die Zahl der Asylgesuche von Personen aus visumsbefreiten Staaten europaweit zugenommen. Die dadurch an der europäischen Aussengrenze ­ namentlich im Mittelmeerraum und im Westbalkan ­ resultierenden Herausforderungen haben einmal mehr deutlich gemacht, dass die Entwicklung einer gemeinsamen europäischen Migrationspolitik dringlich ist. Aufgrund ihrer Assoziierung an Schengen und Dublin hat sich die Schweiz ­ nebst der bilateralen Unterstützung besonders geforderter Partnerstaaten ­ auch 2019 an den entsprechenden Diskussionen beteiligt und sich für eine Dublin-Reform eingesetzt, die auf eine ausgewogene Verteilung der Verantwortung für schutzbedürftige Menschen unter den europäischen Staaten abzielt.

Im Schengen-Bereich war im Berichtsjahr der Schutz der europäischen Aussengrenze inklusive der Stärkung der Informationssysteme und die damit verbundene Eindämmung der irregulären Migration prioritär.

Entgegen den kontinuierlich rückläufigen Zahlen in Europa nahmen die weltweiten Fluchtbewegungen, die namentlich durch Menschenrechtsverletzungen und bewaffnete Konflikte verursacht werden, weiter zu. Das UNO-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) zählt erstmals über 70 Millionen Menschen auf der Flucht, davon rund 26 Millionen Flüchtlinge und über 40 Millionen intern Vertriebene. Das UNHCR und die Schweiz waren 2019 vor dem Hintergrund der Umsetzung des UNOFlüchtlingspakts Gastgeber des ersten Flüchtlingsforums in Genf. An diesem wurden Massnahmen diskutiert, um den internationalen Schutz sicherzustellen, den Druck auf die Aufnahmeländer zu verringern, die Selbstständigkeit der Flüchtlinge vor Ort zu stärken und nachhaltige Lösungen zu finden, einschliesslich der Rück6115

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kehr in Sicherheit und Würde. Die Schweiz präsentierte die vom Bundesrat im Berichtsjahr beschlossene Weiterführung der Beteiligung am Resettlement-Programm des UNHCR auf der Basis eines von Bund, Kantonen, Städten, Gemeinden und weiteren Akteuren erarbeiteten Umsetzungskonzepts. Der UNO-Flüchtlingspakt sowie das daraus entstandene globale Flüchtlingsforum sind Instrumente, mit welchen gemäss dem dritten IMZ-Ziel die internationale Zusammenarbeit im Flüchtlingsbereich gestärkt wird.

Schwerpunkte des Berichtsjahrs waren West- und Zentralafrika, der Mittlere Osten, Nordafrika und der Westbalkan; ein besonderer Fokus lag auf der Migrationsroute vom Horn von Afrika nach Libyen. Das Schweizer Engagement in diesen regionalen Kontexten zielte neben der Rückkehrzusammenarbeit auch 2019 darauf ab, im Sinne der strategischen Verknüpfung und mit verschiedenen Instrumenten den Schutz und die Integration vor Ort zu verbessern und gleichzeitig längerfristig auf die vielschichtigen Ursachen irregulärer Migration und Flucht einzuwirken. Insgesamt wurden über 200 Millionen Franken der IZA in migrationsrelevante Kontexte investiert. Konkret wurde im Berichtsjahr u.a. ein interdepartementales Programm lanciert, mit welchem die Schweiz nachhaltige Lösungen für Flüchtlinge und Binnenvertriebene vor allem in Somalia und Äthiopien unterstützt. Ebenfalls trugen 2019 die Guten Dienste der Schweiz und weitere Aktivitäten im Bereich der Friedensförderung zur Umsetzung der strategischen Verknüpfung bei. In Libyen zum Beispiel unterstützte die Schweiz Projekte zur Förderung des Dialogs und zugunsten einer Dokumentierung der Verletzung von Menschenrechten von Migrantinnen und Migranten.

Im Rahmen der bilateralen Zusammenarbeit wurden die Arbeiten zur Umsetzung der bestehenden Migrationspartnerschaften weitergeführt und Verhandlungen für den Abschluss von Migrations- und Rücknahmeabkommen vorangetrieben. Die mit der Ukraine 2017 unterzeichneten Rückübernahme- und Visaerleichterungsabkommen traten am 1. März 2019 in Kraft. Hingegen musste die Aushandlung eines Migrationsabkommens mit dem Sudan zeitweise und bis Ende 2019 unterbrochen werden.

In Bezug auf Afghanistan konnte das Abkommen im Rückkehrbereich zwischen der Schweiz, Afghanistan und dem UNHCR weiter und erstmals wieder mit unfreiwilligen Rückführungen umgesetzt werden. Mit Bangladesch, schliesslich, wurde die Zusammenarbeit im Bereich der Rückkehr von Personen, die sich irregulär in der Schweiz aufhalten, rechtlich geregelt.

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Migrationskontext im Jahr 2019

Die irreguläre Migration nach Europa ging 2019 insgesamt zurück. Über das Mittelmeer gelangten 118 600 Personen in den Schengen-Raum (Vorjahr 137 000). Die Entwicklung war jedoch nicht im ganzen Mittelmeergebiet dieselbe. Während die Migration sowohl auf der westlichen (von 65 500 auf 32 500) als auch auf der zentralen Mittelmeerroute (von 23 400 auf 11 500) deutlich zurückging, nahm sie auf der östlichen Mittelmeerroute ab Mitte Juli deutlich zu. Diese erreichte im September mit 12 500 Übertritten auf dem Land- und Seeweg von der Türkei nach Griechenland einen Höhepunkt. Insgesamt gelangten auf dieser Route 74 600 Migrantin6116

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nen und Migranten nach Europa (Vorjahr: 50 500). Hintergrund für diese verstärkten Weiterwanderungen in Richtung Griechenland war ein verschärftes Vorgehen gegen irreguläre Migration durch die Türkei, die jedoch ihren Verpflichtungen aus dem EU-Türkei-Abkommen vom März 2016 grundsätzlich weiterhin nachgekommen ist.

In der Folge dieser Wanderungsbewegung geriet das griechische Asylsystem stark unter Druck. Die Unterkünfte auf den Inseln in der Ägäis waren Ende 2019 um mehr als das Vierfache überbelegt. Die griechischen Behörden brachten deshalb über 37 000 Personen auf das Festland, viele davon, bevor deren Asylgesuch entschieden war. Dies führte in den Herbstmonaten zu einer Zunahme der Weiterwanderung über den Balkan. Diese Entwicklung schlug sich bis Ende 2019 jedoch nicht in den Asylgesuchszahlen in Westeuropa und in der Schweiz nieder. Seit einigen Jahren sehen sich die europäischen Staaten vermehrt mit Asylgesuchen von Personen aus visumsbefreiten Staaten konfrontiert (vgl. Kapitel 4.3). Betraf dies vor 2017 primär Staaten des Westbalkans, so kamen ab 2017 Georgien und ab 2018 vermehrt Staaten Lateinamerikas hinzu.

In der Schweiz wurden 2019 insgesamt 14 269 Asylgesuche gestellt. Dies ist die tiefste Zahl seit 2007. Ein nicht unwesentlicher Teil der Asylgesuche ist auf Familienzusammenführungen und Geburten zurückzuführen. So entfielen zum Beispiel von den im Berichtsjahr 2899 registrierten Asylgesuchen von Eritreerinnen und Eritreern 1434 auf Geburten, 1053 auf Familienzusammenführungen und 107 auf Mehrfachgesuche. Die rückläufigen Asylgesuchszahlen des Jahres 2019 stellen eine Momentaufnahme dar. Das Migrationspotenzial in wichtigen Herkunftsregionen rund um Europa ist unverändert hoch. Im Jahr 2019 erhielten 5551 Personen Asyl, die Anerkennungsquote lag damit bei 31,2 Prozent (2018: 25,9 %). Die Schutzquote (Anteil Asylgewährungen plus vorläufige Aufnahmen aufgrund erstinstanzlicher Entscheide) betrug 59,3 Prozent (gegenüber 60,8 % im Jahr 2018. Im Jahr 2019 sind 1631 Personen freiwillig aus der Schweiz ausgereist (2018: 1613). 2985 Personen wurden entweder in ihren Heimatstaat oder einen Drittstaat zurückgeführt (2018: 3266), 1521 Person in einen Dublin-Staat (2018: 1560).

Wichtigste Migrationsrouten nach Europa Routen über das Mittelmeer

östliche

zentrale

westliche

(Türkei-Griechenland)

(primär Libyen-Italien)

(primär Marokko-Spanien)

See

Land

See

See

Land

2016

173 450

3780

181 440

8160

6440

2017

29 720

6590

119 370

22 100

6250

2018

32 500

18 010

23 370

58 570

6810

2019

59 730

14 890

11 470

26 170

6350

Quelle: UNHCR

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Quelle: SEM

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Grafik 2 Asylgesuche in der Schweiz ­ wichtigste Herkunftsstaaten 2019

Quelle: SEM

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Europäische Migrationsaussenpolitik

Die verschiedenen Migrations- und Fluchtbewegungen nach Europa haben die europäischen Staaten im Berichtsjahr vor Herausforderungen gestellt. Im Rahmen ihrer bilateralen Zusammenarbeit mit im Migrationsbereich besonders geforderten europäischen Staaten hat die Schweiz ihre Strukturaufbauhilfe zugunsten robusterer Asylstrukturen, verbesserter Rückkehr- und Wiedereingliederungsverfahren in den Herkunftsländern sowie erhöhter Aufnahmekapazitäten für Flüchtlinge weitergeführt. Gleichzeitig hat sich die Schweiz im Rahmen ihrer Assoziierung an Schengen und Dublin an den Bemühungen beteiligt, eine gemeinsame europäische Migrationspolitik zu entwickeln und den Schutz der Aussengrenzen sicherzustellen.

4.1

Bilaterale Zusammenarbeit mit EU-Mitgliedsstaaten

Im Berichtsjahr hat die Schweiz im Rahmen des Verpflichtungskredits internationale Migrationszusammenarbeit und Rückkehr und über die Mittel der humanitären Hilfe Griechenland und Italien unterstützt. In Griechenland hat die Schweiz zum Aufbau von Strukturen für die Betreuung und Aufnahme von unbegleiteten minderjährigen Personen, zur Unterstützung besonders gefährdeter Frauen und zur medizinischen 6119

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Versorgung der Migrantinnen und Migranten, die in dem auf der Insel Lesbos liegenden Lager Moria untergebracht sind, beigetragen. In einer Direktaktion wurden den griechischen Behörden Hilfsgüter geliefert, um die humanitären Verhältnisse auf den Inseln zu verbessern. Unter anderem hat die Schweiz die Aktivitäten des UNHCR und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Griechenland finanziell unterstützt. In Italien wurde in Zusammenarbeit mit der IOM ein schweizerisch-italienischer Kompetenzenaustausch im Rückkehrbereich ins Leben gerufen.

Zudem fanden 2019 mit unseren Nachbarstaaten ­ namentlich Deutschland, Österreich und Italien ­ regelmässige Treffen auf bilateraler und multilateraler Ebene statt, um die Zusammenarbeit im Migrationsbereich zu vertiefen und auszuweiten.

Im Rahmen des am 3. Dezember 2019 vom Parlament angenommenen zweiten Schweizer Beitrags an ausgewählte EU-Mitgliedstaaten2 wird eine Ausweitung der bilateralen Zusammenarbeit möglich sein. Der Beitrag erstreckt sich über den Zeitraum von zehn Jahren und umfasst 1,302 Milliarden Franken. Davon wird der Bundesrat 1,102 Milliarden Franken für die Stärkung der Kohäsion in den EU-13Ländern und 200 Millionen Franken für Massnahmen zur verbesserten Migrationssteuerung in den von den Migrationsbewegungen besonders betroffenen EU-Mitgliedstaaten einsetzen. Verpflichtungen auf der Grundlage dieser Rahmenkredite können aber nicht eingegangen werden, wenn und solange die EU diskriminierende Massnahmen gegen die Schweiz erlässt.

4.2

Entwicklungen im Schengen- und Dublin-Bereich

Im Rahmen ihrer Assoziierung an Schengen und Dublin hat die Schweiz auch 2019 aktiv an den Beratungen auf europäischer Ebene zur Weiterentwicklung der Zusammenarbeit teilgenommen. Im Migrationsbereich fokussierte diese insbesondere auf die Reform des Dublin-Systems, den verstärkten Schutz der Aussengrenzen und den Ausbau und die Modernisierung der Informationssysteme. Zudem hat sich die Schweiz finanziell am europäischen Fonds für die innere Sicherheit (ISF) 3 beteiligt und auch davon profitiert. Und sie hat die Arbeiten im Hinblick auf ihre künftige Beteiligung an seinem Nachfolgeinstrument, dem europäischen Fonds für integriertes Grenzmanagement IBMF-BMVI)4 fortgeführt.

2 3

4

Bundesbeschlüsse über den zweiten Schweizer Beitrag an ausgewählte EU-Mitgliedstaaten (Rahmenkredite Kohäsion und Migration), BBl 2020 757 759.

Verordnung (EU) Nr. 515/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 zur Schaffung eines Instruments für die finanzielle Unterstützung für Außengrenzen und Visa im Rahmen des Fonds für die innere Sicherheit und zur Aufhebung der Entscheidung Nr. 574/2007/EG, OJ L 150 vom 20.5.2014, S. 143.

Proposal for a Regulation of the European Parliament and of the Council establishing, as part of the Integrated Border Management Fund, the instrument for financial support for border management and visa vom 24. April 2020.

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Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) Im Asylbereich blieb der Vorschlag für eine Reform der Dublin III-Verordnung5, welcher die Einführung eines Mechanismus zur Verteilung asylsuchender Personen in der EU in Krisenzeiten vorsieht, auch 2019 unter der rumänischen und der finnischen Ratspräsidentschaft blockiert. Für die Schweiz steht die Dublin-Reform weiterhin im Fokus, weil nur eine ausgewogene Verteilung der Verantwortung unter den europäischen Staaten im Migrationsbereich ein krisenresistentes System gewährleistet und zu einer langfristigen und dauerhaften Stabilisierung des DublinSystems führt. Ob die neu konstituierte Europäische Kommission den aktuellen Reformvorschlag6 weiterführen oder durch einen neuen ersetzen wird, blieb im Berichtsjahr offen.

Die Schweiz hat die Arbeit des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (European Asylum Support Office, EASO)7 auch 2019 unterstützt, unter anderem durch die Entsendung von Asylexpertinnen und -experten nach Italien (insgesamt fünf dreimonatige Einsätze) und Zypern (ein dreimonatiger Einsatz).

Fonds für die innere Sicherheit im Bereich Aussengrenzen und Visa Das nationale Programm zum Fonds für die innere Sicherheit im Bereich Aussengrenzen und Visa (ISF-Grenze, Laufzeit 2014­2020) wurde 2019 weiter umgesetzt.

Die Schweiz beteiligt sich seit 2018 offiziell am Fonds8. Mit den bisherigen Zuweisungen in Höhe von rund 30 Millionen Franken (26,4 Mio. Euro) werden diverse Projekte innerhalb der Zielvorgaben des Fonds gefördert. Im Berichtsjahr wurden der Schweiz zusätzlich rund 7 Millionen Franken (6,4 Mio. Euro) für diverse ITSysteme zur Verwaltung der Schengen-Aussengrenzen aus dem Fonds zugewiesen.

Grenzverwaltung und Schutz der Aussengrenze Im November 2019 verabschiedete die EU die revidierte Verordnung über die Europäischen Grenz- und Küstenwache (EBCG)9 (Frontex). Bis 2027 soll eine ständige Reserve von bis zu 10 000 Einsatzkräften aufgebaut werden. Die Ausweitung des 5

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Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist; COM(2016) 270 final, 04.05.2016.

Seit dem 1. März 2016 nimmt die Schweiz am EASO teil; Vereinbarung vom 10. Juni 2014 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Union zur Festlegung der Modalitäten ihrer Beteiligung am Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen, SR 0.142.392.681.

Zusatzvereinbarung über die Beteiligung der Schweiz am Fonds für die innere Sicherheit und des Notenaustauschs zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) Nr. 514/2014 (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands).

Verordnung (EU) 2019/1896 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2019 über die Europäische Grenz- und Küstenwache und zur Aufhebung der Verordnungen (EU) Nr. 1052/2013 und (EU) 2016/1624, ABl. L 295 vom 14.11.2019, S. 1.

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Mandats von Frontex beinhaltet auch eine Unterstützung der Schengen-Staaten in allen Phasen des Rückführungsverfahrens; dazu gehören die Vorbereitung von Rückkehrentscheiden und die Beschaffung von Ersatzreisedokumenten. Auch die Schweiz beteiligt sich an Frontex-Operationen. Im Jahr 2019 wurden 1300 Einsatztage geleistet. Die Einsätze erfolgten auf französischen, italienischen, georgischen und spanischen Flughäfen, an der Seegrenze in Griechenland, Italien und Spanien, und an der Landgrenze zwischen Albanien und Montenegro, zwischen Bulgarien und Serbien, zwischen Kroatien und Montenegro sowie zwischen Griechenland und Albanien/Nordmazedonien.

Anpassung der Rückführungsrichtlinie Die Anpassung der Rückführungsrichtlinie10, die den Vollzug von Wegweisungen bei gleichzeitiger Gewährleistung der Grundrechte durch hohe Standards effizienter ausgestalten soll (u. a. durch die Anpassung der Beschwerdefristen, das Verhängen einer Pflicht zur Kooperation und das obligatorische Anbieten von Rückkehrhilfeprogrammen), ist im Berichtsjahr vorangetrieben worden.

Revision des Visakodex Auch betroffen ist die Schweiz von der 2019 erfolgten Revision des Visakodex. Zu den wichtigsten Änderungen des neuen Visakodex11 gehört die Verknüpfung von Visum- und Rückkehrpolitik auf europäischer Ebene: Gegenüber Drittstaaten, deren Zusammenarbeit im Bereich der Rückübernahme als nicht ausreichend erachtet wird, sollen restriktive Massnahmen bei der Visumerteilung ergriffen werden können. Der Bundesrat hat am 14. August 2019 beschlossen, das Schweizer Recht dem geänderten europäischen Visakodex anzugleichen.

4.3

Herausforderungen beim Schutz der Aussengrenze

Seenotrettung im Mittelmeer Aufgrund der nach wie vor blockierten Reform des Dublin-Systems und der restriktiven Politik, die Italien und Malta mit der Schliessung ihrer Häfen verfolgen, wurden in der EU Anstrengungen unternommen, um einen Mechanismus zur Verteilung der aus dem zentralen Mittelmeer geretteten Personen einzuführen. So schlug die Europäische Kommission im Januar 2019 eine temporäre Regelung vor, die einen Umsiedlungsmechanismus und die Einführung von beschleunigten Asyl- und Rückkehrverfahren an den Anlandeorten vorsieht. Diesem Vorschlag wurde nicht gefolgt, da die Mehrheit der europäischen Staaten sich dem vorgeschlagenen Verteilmechanismus widersetzten.

10

11

Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (Neufassung), COM(2018) 634 final.

Verordnung (EU) 2019/1155 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (Visakodex), OJ L 188/25 vom 12.7.2019, S. 25.

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Die Diskussion erhielt neuen Schwung, als Frankreich, Deutschland, Italien und Malta an der Ministerkonferenz in Malta vom 23. September 2019 eine Übergangslösung zur Verteilung der aus Seenot geretteten Migrantinnen und Migranten vorschlugen Jedoch erhielt diese Initiative nicht genügend Zuspruch von den SchengenStaaten. Die Schweiz war zurückhaltend in Bezug auf die Einrichtung eines Ad hoc Mechanismus zur Verteilung der aus dem Mittelmeer geretteten Personen. Für den Bundesrat könnte eine Umsiedlung von Migrantinnen und Migranten ohne Aussicht auf Asyl falsche Anreize setzen. Seiner Ansicht nach muss die strukturelle Reform des Dublin-Systems das vorrangige Ziel auf europäischer Ebene bleiben. Die Schweiz ist dennoch bereit, konstruktiv zur Debatte über die Einrichtung eines solchen Mechanismus beizutragen. Sie möchte ihre Verantwortung im Rahmen einer europäischen Lösung für die Herausforderungen, die irreguläre Migration und Flucht mit sich bringen, wahrnehmen. Für den Bundesrat ist entscheidend, dass dieser Mechanismus in keiner Weise den Anstrengungen zur Reform des DublinSystems entgegenwirkt. Er muss eine dauerhafte Lösung ermöglichen, die die Mängel des bestehenden Systems beseitigt.

Westbalkan An den Grenzen entlang der sogenannten Balkanroute ­ die von Griechenland und Bulgarien auf verschiedenen Subrouten über den Westbalkan und Rumänien bis nach Ungarn und Slowenien führt ­ wurden 2019 rund 100 000 irreguläre Migrantinnen und Migranten aufgegriffen. In Bosnien und Herzegowina sowie in Serbien reisten 2019 etwa gleich viele Migrantinnen und Migranten ein wie im Vorjahr, wobei sich insbesondere in Bosnien und Herzegowina die Zahl der Personen, die sich längerfristig im Land aufhalten, erhöhte. Da eine Weiterreise in den SchengenRaum in vielen Fällen nicht mehr möglich und eine Rückkehr aus Sicht der Migrantinnen und Migranten keine Alternative ist, stellte das Migrationsmanagement für Serbien sowie Bosnien und Herzegowina eine grosse Herausforderung dar; gemäss verschiedenen Quellen bestanden unter anderem Hürden beim Zugang zum Asylverfahren. Die Schweiz setzte sich mit Nachdruck dafür ein, dass ein effektiver Grenzschutz nicht zu Lasten der internationalen und europäischen Menschenrechtsnormen gehen darf.

Kosovo war von der Transitmigration wenig betroffen, wobei die Zahl der
durchreisenden Personen sich 2019 mit 1000 Personen im Vergleich zu 2018 verdoppelt hat.

Eine weitere bestehende Herausforderung im Berichtsjahr für die Westbalkanstaaten war die Rückkehr und Reintegration von eigenen Staatsangehörigen.

Asylgesuche aus visumsbefreiten Staaten Aufgrund ihrer Schengen-Assoziierung ist die Schweiz bei der Regelung von kurzfristigen Aufenthalten an die Visumpolitik der Europäischen Union gebunden.

Visaliberalisierungen können unerwünschte Auswirkungen haben. Mehrere Mitgliedstaaten des Schengen-Raums verzeichnen seit einigen Jahren einen Anstieg der Asylgesuche von Drittstaatsangehörigen, die seit Kurzem nicht mehr visumpflichtig sind. Im Jahr 2019 stellten rund 185 000 Personen aus visumsbefreiten Staaten ein Asylgesuch (Vorjahr: 115 000). Mit Venezuela (45 000 Gesuche), Kolumbien, (32 200 Gesuche), Albanien (22 800 Gesuche) und Georgien (21 900 Gesuche) zählten 2019 vier visumsbefreite Staaten zu den elf wichtigsten Herkunftsländern 6123

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von Asylsuchenden in Europa. Insgesamt am stärksten von der Zunahme von Asylgesuchen aus visumsbefreiten Staaten betroffen war Spanien, das für rund 90 Prozent aller lateinamerikanischen Asylsuchenden Zielland war. Trotz verschiedener Massnahmen gelang es den Schengen-Staaten nicht, eine deutliche Reduktion der Asylgesuche aus Albanien und Georgien zu erreichen. Allerdings war die Rückführung von abgewiesenen Asylsuchenden in beide Länder in den allermeisten Fällen problemlos möglich. Für die Schweiz bestanden weiterhin Herausforderungen mit Georgien, dessen Staatsangehörige seit März 2017 von der Visumpflicht befreit sind. Im Jahr 2019 stellten 601 georgische Staatsangehörige ein Asylgesuch in unserem Land. Sie sind damit die siebtgrösste Gruppe von Asylsuchenden in der Schweiz (2018: fünftgrösste Gruppe mit 873 Asylgesuchen). Die meisten dieser Asylsuchenden können keine asylrelevanten Gründe vorbringen. Die Anerkennungsquote beträgt null. Im Rahmen der Dienstreise von Staatssekretär Mario Gattiker nach Tbilisi im September 2019 haben die Schweiz und Georgien ihre beidseitigen Bemühungen gegen die irreguläre Migration bestärkt und eine entsprechende gemeinsame Erklärung unterzeichnet. Die Zusammenarbeit mit der georgischen Regierung im Rückkehrbereich verlief auch im Berichtsjahr einwandfrei.

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Schwerpunktregionen der schweizerischen Migrationsaussenpolitik

5.1

Fokus: Migrationsroute vom Horn von Afrika nach Libyen

Kontext und Herausforderungen Seit Jahren ist das Horn von Afrika ein Epizentrum bedeutender Flucht- und Migrationsbewegungen, die sich mehrheitlich innerhalb der Region abspielen, aber auch in andere Regionen Afrikas, in die Golfstaaten und teilweise bis nach Europa führen.

Die irreguläre Migration und die Fluchtbewegungen werden durch anhaltende bewaffnete Konflikte, schwere Menschenrechtsverletzungen, Auswirkungen des Klimawandels, Naturkatastrophen, Armut, Ressourcenknappheit und fehlende Perspektiven ausgelöst oder verschärft. Dabei bewegen sich Flüchtlinge, intern Vertriebene sowie Migrantinnen und Migranten teilweise auf denselben Routen, nehmen die Dienste derselben Schlepperinnen und Schlepper in Anspruch und sind oft denselben Gefahren ausgesetzt.

Die grosse Mehrheit der Menschen auf der Flucht sucht innerhalb der Region Schutz. Die Länder der Region sind sowohl Herkunfts-, Transit- als auch Aufnahmeländer: Äthiopien zählt, abgesehen von den 2,8 Millionen intern vertriebenen Personen, 900 000 Flüchtlinge. In Kenia sind es 500 000 und im Sudan 1 Million Flüchtlinge sowie 2 Millionen Binnenvertriebene. Somalia hat seit Jahren eine interne Vertreibungskrise (2,6 Mio. Binnenvertriebene) zu bewältigen. Die wirtschaftliche und politische Krise im Sudan ­ die die sudanesische Migration nach Libyen erhöht hat ­ hat sich 2019 weiter verschlimmert. Trotz der Friedensdeklaration von 2018 zwischen Eritrea und Äthiopien waren in Eritrea keine Reformen zu beobachten. Die Hauptgründe der Emigration aus Eritrea bleiben die Menschenrechtsverletzungen,

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die unbegrenzte Dauer des Nationaldienstes, das Fehlen von Zukunftsperspektiven sowie der Druck auf die Meinungsfreiheit.

Die Grosszahl der Flüchtlinge wie auch der Binnenvertriebenen können teils seit Jahrzehnten keine nachhaltige Lösungen für ihre Situation finden. Verlassen die Flüchtlinge und Migranten das Horn von Afrika, führt die wichtigste Migrationsroute östlich auf die arabische Halbinsel nach Jemen und in den Mittleren Osten.

Weitere Routen führen südlich durch Kenia, Tansania bis nach Südafrika oder nördlich durch den Sudan nach Ägypten oder nach Libyen. Durch verstärkte Grenzkontrollen und eine strengere Gesetzgebung hat Ägypten in den vergangenen Jahren die gefährlichen Überfahrten übers Mittelmeer von seinen Küsten aus gestoppt.

Seither ist es primär zu einem Zielland von Migration geworden. Ostafrikanische Migrantinnen und Migranten versuchen deshalb immer noch von Libyen aus über die sogenannte zentrale Mittelmeerroute nach Europa zu gelangen. Gegenüber dem Vorjahr nahm die Zahl der Überfahrten auf dieser Route indes signifikant ab.

Die weitere Verschlechterung der Situation der Flüchtlinge und Migranten in Libyen wurde durch die Wiederaufnahme der Gefechte im April 2019 zusätzlich verschärft.

Schätzungen der UNO zufolge leben heute rund 680 000 Migrantinnen und Migranten, Asylsuchende und Flüchtlinge in Libyen, wobei lediglich rund 45 000 beim UNHCR registriert sind. Rund 4500 Personen werden unter meist menschenunwürdigen Umständen in Haftzentren festgehalten, wo sie Folter, Vergewaltigungen, Lösegelderpressungen und Zwangsarbeit bis hin zur Sklaverei ausgesetzt sind. Ein grosser Teil der Flüchtlinge und Migranten in Libyen stammt aus den Ländern des Horns von Afrika (einschliesslich dem Sudan) sowie aus Westafrika.

Weiter zählte das Land Ende 2019 rund 345 000 intern Vertriebene.

Engagement der Schweiz in der Herkunftsregion und entlang der Migrationsrouten Am Horn von Afrika setzt die Schweiz, im Sinne der strategischen Verknüpfung, verschiedene Instrumente ein. Dies erlaubt möglichst umfassend und koordiniert auf die Herausforderungen reagieren zu können. Zu den Instrumenten zählen die Entwicklungszusammenarbeit, die humanitäre Hilfe, die Friedens- und Menschenrechtspolitik sowie das Migrationsmanagement. Kurzfristig kann hierdurch der Schutz in den Herkunftsregionen
verbessert, mittelfristig die Integration in den Erstaufnahmeländern gestärkt und längerfristig die Ursachen irregulärer Migration und Flucht reduziert werden. Durch den verbesserten Schutz in den Herkunftsregionen sollen einerseits die Menschenrechte der betroffenen Menschen gewahrt werden. Andererseits sollen die vertriebenen Menschen möglichst nahe an ihrem Herkunftsland bleiben können, ohne sich zu einer häufig gefährlichen Weiterreise gezwungen zu sehen. Ein Schwerpunkt der Schweiz liegt deshalb bei der Verbesserung der regionalen Lenkungsformen der Migrations. Sichere und reguläre Migration innerhalb der Region fördert die regionale Integration und die wirtschaftliche Entwicklung, was wiederum Perspektiven schafft und längerfristig zu einer Reduktion der irregulären Migration führen kann.

Um die Koordination der Aktivitäten weiter zu verbessern, hat die DEZA gemeinsam mit der Abteilung Menschliche Sicherheit (AMS) und dem SEM im Jahr 2019

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ein Programm lanciert, das nachhaltige Lösungsansätze für die Flüchtlingskrise und Binnenvertreibung vor allem in Somalia und Äthiopien unterstützen wird.

Entlang der Migrationsrouten hat die Schweiz 2019 eine Reihe von regionalen Projekten in Koordination der IMZ-Partner initiiert und umgesetzt. Das Projekt «East African Migration Routes» soll Staaten entlang der ostafrikanischen Migrationsroute unterstützen, den Schutz von Kindern und Jugendlichen zu gewährleisten.

Die schweizerische Unterstützung der Intergovernmental Authority on Development (IGAD) im Migrationsbereich wurde ergänzt durch den Einsatz eines Schweizer Experten der Plattform zu Flucht vor Naturkatastrophen (Nachfolgeinstrument der Nansen Initiative). Diese soll den Mitgliedstaaten der IGAD helfen, Fluchtbewegungen infolge von Naturkatastrophen oder Klimawandel vorauszusehen und die betroffenen Menschen besser zu schützen.

Äthiopien Die Schweiz unterstützt Äthiopien bei der Out-of-Camp Policy, durch welche die Flüchtlinge Zugang zum äthiopischen Bildungssystem und Arbeitsmarkt erhalten und die Integration gefördert wird, ohne die lokale Bevölkerung zu benachteiligen.

Zu einer Stärkung der sozialen Kohäsion kann ebenfalls Schweizer Entsendung eines Experten an das Büro des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen in Addis Abeba beitragen. Ein wichtiger Bereich des Schweizer Engagements in Äthiopien (sowie in Somalia) sind die Binnenvertriebenen. Mit der Unterstützung der Durable Solutions Initiative trägt die Schweiz zu einem Paradigmawechsel von ausschliesslich humanitären zu vermehrt nachhaltigen Entwicklungsansätzen für die Bewältigung der internen Vertreibungskrise bei. Mit Unterstützung des UNOSondermandats zur internen Vertreibung, ausgeübt durch den Schweizer Völkerrechtler Walter Kälin, werden längerfristige Lösungsansätze mit der Regierung und der internationalen Gemeinschaft erarbeitet. Dieses Zusammenspiel der humanitären Hilfe und der Entwicklungszusammenarbeit soll den Millionen Binnenvertriebenen in der Region Perspektiven schaffen.

Im Rückkehrbereich wurde Anfang 2019 mit dem Austausch von Verbalnoten die Anwendung der Rückkehrvereinbarung zwischen der EU und Äthiopien im Verhältnis Schweiz­Äthiopien formalisiert. Im Rahmen der politischen Konsultationen hat die Schweiz ihre Erwartungen im Bereich der
Rückkehrzusammenarbeit thematisiert. Um diese konkret zu verbessern, setzte das SEM im Juni 2019 einen Rückkehrspezialisten mit Sonderaufgaben ein. Die Zusammenarbeit im Bereich Identifikation hat sich seither verbessert. Im Oktober 2019 reiste eine äthiopische Delegation nach Bern, um Identifizierungsinterviews durchzuführen. Trotz dieser Fortschritte bleibt die Zusammenarbeit schwerfällig und muss 2020 weiter verbessert werden.

Eritrea Hauptherkunftsland von asylsuchenden Personen in der Schweiz war im Berichtsjahr Eritrea mit 2899 Asylgesuchen. Eine Aufschlüsselung neuer Asylgesuche zeigt, dass Personen, die nach selbstständiger Einreise ein neues Asylgesuch eingereicht haben, lediglich 10 Prozent aller neuen Gesuche ausmachen. Bei der Mehrheit der Gesuche handelt es sich um Geburten, Familienzusammenführungen und Mehrfachgesuche. Damit war Eritrea betreffend die Zahl «neuer Asylgesuche» im Jahr 2019 6126

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im Vergleich zu den anderen Herkunftsländern an zehnter Stelle. Obwohl sich die grundsätzliche Haltung der eritreischen Regierung in Migrationsfragen und spezifisch betreffend Rückführungen nicht geändert hat und nach wie vor aus keinem europäischen Staat zwangsweise Rückführungen möglich sind, konnte 2019 eine verbesserte Zusammenarbeit im Bereich der Identifikation von Einzelfällen verzeichnet werden.

Die Schweiz sucht den regelmässigen Dialog mit Eritrea, um das gegenseitige Verständnis zu fördern und die bilateralen Beziehungen zu intensivieren. Sie nutzt dazu auch systematisch multilaterale Foren: Anlässlich der UNO-Generalversammlung im September 2019 vereinbarten Bundesrat Cassis und der eritreische Aussenminister Osman Saleh einen bilateralen technischen Dialog, und Bundesrat Cassis erneuerte die Einladung für ein Treffen in der Schweiz. Im Rahmen des Khartum-Prozesses, in dem Eritrea 2019 den Vorsitz innehatte, organisierten die Schweiz und Eritrea gemeinsam einen Workshop zum Thema «Migration for Development: Harnessing the Potential of Diaspora». Die zwei Veranstaltungen zu wirtschaftlicher Entwicklung und regionaler Sicherheit in Eritrea, an deren Vorbereitung sich die Schweiz zusammen mit Deutschland, Schweden und Norwegen beteiligt hatte, ermöglichten einen Austausch mit hochrangigen eritreischen Regierungsvertretern.

Schliesslich finanziert die Schweiz seit 2016 Pilotprojekte im Bereich Berufsbildung, um vor Ort wirtschaftliche Perspektiven zu schaffen. Diese wurden 2019 durch externe Expertinnen und Experten evaluiert. Dieses Engagement soll für die kommenden drei Jahre weitergeführt werden.

Südsudan und Sudan Die Schweiz hat sich für eine nachhaltige Wirksamkeit des Friedensabkommens im Südsudan eingesetzt. Damit trägt sie zur Stabilität in der Region bei. Sie hat auch Projekte durchgeführt, die sich mit dem Umgang mit natürlichen Ressourcen und mit der Förderung der Gesundheit von Mensch und Tier befassen. Diese Projekte begünstigen die wirtschaftliche Entwicklung in der Region. Im Sudan unterstützte die Schweiz die über acht Millionen humanitär bedürftigen Menschen (darunter rund zwei Millionen intern Vertriebene) mit Finanzbeiträgen in der Höhe von rund 10 Millionen Franken an die Programme der UNO, des IKRK und von Nichtregierungsorganisationen. Aufgrund der politischen
Instabilität musste die Aushandlung eines Migrationsabkommens zeitweise und bis Ende 2019 unterbrochen werden. Die Zusammenarbeit mit dem Sudan im Rückkehrbereich verlief jedoch auch ohne Abkommen weiterhin sehr gut.

Libyen Der Schwerpunkt des Schweizer Engagements im Migrationsbereich lag auf Schutzmassnahmen. Diese reichten von medizinischer Versorgung in den Haftzentren über Unterstützungsleistungen in den städtischen Aufnahmegemeinschaften bis zur Beteiligung an Kampagnen zur Sensibilisierung für die Risiken und die Alternativen zur irregulären Migration. Zudem hat sich die Schweiz im April 2019 bereit erklärt, eine Gruppe von bis zu 50 aus Libyen evakuierten UNHCR-Flüchtlingen zu übernehmen. Eine Auswahlmission zur Überprüfung der vorgeschlagenen UNHCRFlüchtlinge fand im Berichtsjahr im Transitland Niger statt. Weiter hat die Schweiz 6127

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ein Projekt zur Stärkung der libyschen Zivilgesellschaft lanciert und sich zusammen mit dem UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte dafür eingesetzt, dass die Verletzungen der Rechte von Migrantinnen und Migranten dokumentiert werden und das Völkerrecht eingehalten wird. Schliesslich hat die Schweiz durch ihren Migrationsdelegierten Libyen/Nordafrika die in Tunis koordinierten internationalen Bestrebungen für ein Ende der automatischen und willkürlichen Inhaftierung von Flüchtlingen sowie von Migrantinnen und Migranten in Libyen unterstützt. Im Rahmen ihrer Friedensförderungspolitik unterstützte die Schweiz Projekte zum Dialog und zur Konflikttransformation sowie den UNO-Prozess.

5.2

Nordafrika

Im Rahmen des ersten bilateralen Migrationsdialogs mit Ägypten im Januar 2019 wurde ein zusätzliches Engagement der Schweiz in den Bereichen Schutz und lokale Integration thematisiert. Das Interesse dieses wichtigen regionalen Migrationsakteurs an einer Unterstützung der Schweiz wurde auch im Rahmen der Treffen von Bundesrat Cassis mit Präsident Abd al-Fattah as-Sisi und Aussenminister Sameh Shoukry im März 2019 bestätigt. Da dies auch den Interessen der Schweiz entspricht, wurde das Engagement weiter intensiviert. So wurde zum Beispiel ein Projekt zum Kapazitätsaufbau bei der Bekämpfung von Menschenhandel und Menschenschmuggel lanciert, das Beamtinnen und Beamten (der Polizei, des diplomatischen Dienstes, der Gerichte usw.) aus allen afrikanischen Staaten offensteht ­ mit einem Fokus auf der Herkunftsregion Horn von Afrika. Die Schweiz förderte zudem die Beschäftigung der Migrationsbevölkerung, insbesondere von Frauen, im Lebensmittelsektor und unterstützte syrische Flüchtlinge beim Aufbau von kleinen Geschäften. Angesichts der grossen Zahl von Flüchtlingen sowie Migrantinnen und Migranten in Kairo unterstützte die Schweiz die Stärkung von Gemeindeorganisationen, die medizinische, psychologische und rechtliche Hilfe anbieten.

Die Migrationspartnerschaft mit Tunesien wurde im Berichtsjahr um ein Projekt mit dem UNHCR zum Schutz und zur Unterstützung von Flüchtlingen und Asylsuchenden verstärkt. Dabei geht es um Personen, die aus Libyen eingereist sind oder die von der tunesischen Küstenwache aus Seenot gerettet wurden. Weiter haben die DEZA und das SEM ein gemeinsames Projekt angestossen, mit dem die tunesische Diaspora mobilisiert, die zirkuläre Migration von jungen Berufseinsteigerinnen und -einsteigern stimuliert und zu wirksameren Regierungsstrukturen im Bereich Migration beigetragen werden soll. Zudem hat die Schweiz ihr Engagement zur Stärkung der Menschenrechte an den tunesischen Grenzen fortgeführt. Das Engagement des SECO im Bereich des nachhaltigen Tourismus eröffnet jungen Tunesierinnen und Tunesiern neue wirtschaftliche Perspektiven und damit eine Alternative zur Auswanderung. Gemeinsam mit der EU hat das SECO das Tourismusprojekt «Destination Management Organisation» (DMO) der Region Dahar erfolgreich in den übrigen Landesteilen repliziert. Die Schweiz unterstützte zudem Tunesien auch
2019 bei der Transition zu einer demokratischen und pluralistischen Gesellschaft, um insbesondere der jungen Generation Zukunftsperspektiven in ihrem Land zu bieten. Die Zahl der Asylgesuche von Tunesierinnen und Tunesiern war moderat (152 Gesuche im Jahr 2019), und die Rückkehrzusammenarbeit verlief gut.

6128

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Die politischen Umbrüche in Algerien könnten der Schweiz neue Perspektiven zur Verbesserung der operativen Zusammenarbeit im Migrationsbereich eröffnen.

Algerien führt die Statistik der Rückkehrpendenzen seit Jahren an, die Zusammenarbeit hat sich aber insgesamt verbessert, und im Januar 2020 fand ein Migrationsdialog zwischen Algerien und der Schweiz statt.

Die Zusammenarbeit mit Marokko, das Herkunfts-, Transit-, und Zielstaat für Migration ist, hatte auch 2019 Priorität. Die Rückkehrpendenzen konnten erfreulicherweise gegenüber dem Vorjahr weiter gesenkt werden. Die Schweiz hat über die letzten Jahre das humanitäre Engagement der DEZA im Schutzbereich entweder an andere Partner übergeben oder reduziert. Das SEM finanzierte in Marokko ein Projekt zur freiwilligen Rückkehr und zur Wiedereingliederung im Heimatstaat für gestrandete Migrantinnen und Migranten aus Subsahara-Afrika.

5.3

Zentral- und Westafrika

Westafrika gehört zu den Regionen mit dem stärksten Bevölkerungswachstum weltweit. Die Region weist eine hohe Siedlungsdichte und eine sehr junge Bevölkerung auf (Durchschnittsalter 18 Jahre), die oft keine sozioökonomischen Perspektiven hat. Über 70 Prozent der westafrikanischen Migrantinnen und Migranten ziehen in ein Land innerhalb der Region. Die sich verschlechternde Sicherheitslage und der begrenzte Einfluss der Regierungen auf die Randgebiete im Sahel bringen zusätzlich umfassende Zwangsvertreibungen in der Region mit sich.

Die Interessen der schweizerischen Migrationsaussenpolitik in West- und Zentralafrika betreffen einerseits innenpolitische Fragen wie die Asylgesuche oder Personen mit ungeregeltem Status (ein Drittel der irregulär in die Schweiz eingereisten Personen sind Angehörige von westafrikanischen Staaten). Andererseits bestehen aussenpolitische Interessen der Schweiz, beispielsweise die Unterstützung der regulären Migration innerhalb der Region, der Schutz und die sozioökonomische Integration der Migrantinnen und Migranten, die Schaffung von sozioökonomischen Perspektiven sowie die Achtung von Völkerrecht und Menschenrechten. Die strategische Verknüpfung zwischen der Migrationsaussenpolitik und dem Engagement in der internationalen Zusammenarbeit erfolgt auf drei Ebenen: auf politischer Ebene, auf geografischer Ebene über die neuen Kooperationsprogramme und auf operativer Ebene über verschiedene Projekte. In Gambia beispielsweise wird die Diaspora unterstützt. Und in Nigeria werden die Kapazitäten der nationalen Migrationsbehörden gestärkt. In Mali setzte sich die Schweiz auch 2019 für die Umsetzung des Friedenabkommens und die Prävention lokaler Konflikte ein, welche häufig Ursache von Vertreibungen sind. Durch ihre friedenspolitischen Projekte im Tschad förderte die Schweiz die Vielfalt im politischen Dialog, insbesondere eine stärkere Beteiligung der Frauen. Letztere spielen eine massgebliche Rolle in der Bewältigung von Konflikten, sind gleichzeitig aber besonders stark von den Folgen von Flucht und Vertreibung betroffen.

Die Migrationspartnerschaft mit Nigeria ist nach wie vor ein Modell für die Umsetzung der schweizerischen Migrationsaussenpolitik. Sie wurde verstärkt mit der Einführung neuer Projekte in den Bereichen Sensibilisierung und Prävention von 6129

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Menschenhandel, Prävention irregulärer Migration und polizeiliche Zusammenarbeit. Am achten Treffen im Rahmen der Migrationspartnerschaft kamen am 3.

Dezember 2019 die Delegationen der beiden Länder in Bern zusammen, um die Zusammenarbeit in diesen Bereichen zu planen. Ausserdem führte die Eidgenössische Migrationskommission im Berichtsjahr einen Besuch in Nigeria durch zur Evaluation der Migrationspartnerschaft. In Kamerun wurde die Zusammenarbeit verstärkt und ein innovatives Berufsbildungsprojekt ins Leben gerufen. Darüber hinaus hat die Schweiz ihre guten Dienste für eine friedliche Lösung der innenpolitischen Krise zur Verfügung gestellt.

Aufgrund der Bevölkerungsstruktur in westafrikanischen Ländern wird das Hauptaugenmerk auf junge Migrantinnen und Migranten und auf unbegleitete Minderjährige gelegt. In den 15 Ländern der ECOWAS wurde ein Mechanismus für den Schutz und die Reintegration von Migrantenkindern in der Region eingeführt. Im Berichtsjahr wurden so 1700 Kinder unterstützt. Weitere Initiativen zum Schutz von Kindern werden in Mali, Niger und Nigeria umgesetzt. An der Route über das zentrale Mittelmeer werden in Niger Projekte zur humanitären Hilfe für Flüchtlinge und zur Reintegration von Migrantinnen und Migranten realisiert.

Die Schweiz hat sich auch 2019 an den regionalen Migrationsdialogen im Rahmen des Rabat-Prozesses beteiligt und war Beobachterin im Migrationsdialog zwischen 15 westafrikanischen Ländern (MIDWA). Ausserdem hat die Schweiz gemeinsam mit der IOM in Dakar die internationale Themengruppe zu Migration in Westafrika geleitet. Diese Informations- und Koordinationsplattform bringt alle zwei Monate die wichtigsten Geberländer und -organisationen zusammen, die sich mit Migrationsfragen in dieser Unterregion befassen. Neben der EU und zahlreichen europäischen Ländern sind die Weltbank, das UNHCR sowie punktuell Nichtregierungsorganisationen vertreten. In dieser Rolle konnte sich die Schweiz als Referenzpartnerin profilieren.

5.4

Mittlerer Osten

Die aufgrund des ungelösten Syrienkonflikts weiterhin angespannte Lage führte auch 2019 zu grossem Leid der Zivilbevölkerung in der Region. Lediglich eine Minderheit der vor dem Konflikt Flüchtenden hat die Schweiz erreicht (1100 neue Asylgesuche von Syrerinnen und Syrern im Jahr 2019 sowie 615 Umsiedlungen im Rahmen von Resettlement). Mehr als 5,5 Millionen Vertriebene harren nach wie vor in den Nachbarländern Syriens aus. In Syrien selbst sind immer noch mehr als 6 Millionen Personen intern vertrieben. Die Voraussetzungen für die freiwillige Rückkehr der syrischen Flüchtlinge in Sicherheit und Würde sind nach wie vor nicht gegeben. Auch der Irak steht mit über 1,6 Millionen intern Vertriebenen weiterhin vor grossen Herausforderungen.

Angesichts des langwierigen Charakters der Krisen in Syrien wie auch im Irak sind zusätzlich zur Nothilfe langfristige Lösungsansätze gefordert. Diese sind insbesondere in nachhaltigen politischen Lösungen zu suchen. Syrien blieb 2019 eine Priorität der Schweizer Friedensförderung ­ auch dies kann als Beitrag zur Umsetzung der strategischen Verknüpfung verstanden werden. Die Schweiz setzt bei der Umset6130

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zung des neuen Kooperationsprogramms Mittlerer Osten 2019­2022 zudem einen verstärkten Schwerpunkt auf Themen wie Schutz, Eigenständigkeit, Resilienz und nachhaltige Lösungen für Flüchtlinge.

Im Jahr 2019 setzte die Schweiz insgesamt 61 Millionen Franken zur Unterstützung der notleidenden Bevölkerung in der Region ein. Ein spezieller Fokus im Bereich Migration und Schutz lag dabei weiterhin auf dem Libanon, dem Land mit dem proportional weltweit höchsten Anteil von Flüchtlingen. Die Vulnerabilität der Flüchtlinge nimmt von Jahr zu Jahr zu. Vor diesem Hintergrund und gestützt auf die Bundesratsbeschlüsse vom 9. Dezember 2016 und 30. November 2018 wurden im Jahr 2019 insgesamt 573 besonders vulnerable syrische Flüchtlinge im Rahmen des Resettlement-Programms des UNHCR aus dem Libanon in die Schweiz umgesiedelt. Ferner finanzierte die Schweiz Projekte zur Registrierung und Dokumentierung syrischer Flüchtlinge in Jordanien, im Libanon und im Irak. Eine lückenlose Dokumentierung ist die Voraussetzung für nachhaltige Lösungen wie Resettlement, freiwillige Rückkehr und lokale Integration. In letzterem Bereich, bei dem zusätzlich die vulnerable lokale Bevölkerung Zielgruppe ist, engagierte sich die Schweiz verstärkt in den Bereichen Bildung, Einkommen sowie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung. Die Türkei beherbergt seit Jahren weltweit die höchste Anzahl Flüchtlinge. Die Schweiz unterstützte über diverse Projekte die Integration der Flüchtlinge in die Gesellschaft und in den Arbeitsmarkt sowie die Stärkung der Kapazitäten der türkischen Behörden im Bereich Migrationsmanagement.

Hinsichtlich Irak steht für die Schweiz insbesondere die Zusammenarbeit im Rückkehrbereich im Vordergrund. Im Jahr 2019 konnte erstmals eine erfolgreiche Mission zur Identifizierung abgewiesener asylsuchender Personen durchgeführt werden.

Zudem versuchte die Schweiz, den bilateralen Migrationsdialog insbesondere im Rückkehr- und Sicherheitsbereich zu vertiefen und Kapazitätenaufbau zu leisten.

Die Zusammenarbeit blieb jedoch herausfordernd.

Schliesslich umfasste das Engagement der Schweiz im Mittleren Osten auch 2019 die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der 37 Millionen Arbeitsmigrantinnen und -migranten in der Region.

5.5

Weitere prioritäre Länder und Regionen

Das Berichtsjahr stand auch im Zeichen der Pflege von zwei seit Längerem bestehenden Migrationspartnerschaften: Mit Bosnien und Herzegowina fand im Oktober in Bern und mit Serbien im November in Belgrad je ein Migrationsdialog zum zehnjährigen Bestehen der Migrationspartnerschaften statt. Die Dialoge erlaubten einen Rückblick auf Erreichtes und einen konstruktiven Austausch zu den aktuellen Herausforderungen. Die Schweiz unterstützte im Berichtsjahr Serbien und Bosnien und Herzegowina (sowie Kosovo) dabei, die Kapazitäten ihres Migrationsmanagements zu stärken, die Rückkehrenden zu reintegrieren und über internationale und Nichtregierungsorganisationen die Situation für Migrantinnen und Migranten vor Ort zu verbessern. In Serbien zum Beispiel konnte die Anzahl und die Qualität der Unterstützungsdienste für minderjährige Migrantinnen und Migranten erhöht und die Kapazitäten der Behörden zur Bekämpfung des Menschenhandels 6131

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gestärkt werden. Über die bestehenden Migrationspartnerschaften hinaus soll der Förderung des regionalen Migrationsdialogs ein wichtiger Platz eingeräumt werden.

Dies wurde in den neuen gemeinsamen Leitlinien für den gesamten westlichen Balkan (2020­2023) festgelegt.

In Bezug auf Afghanistan konnten nach einem 18-monatigen Unterbruch im März 2019 wieder unfreiwillige Rückführungen vorgenommen werden. Im Oktober 2019 fand das zweite Treffen zur Umsetzung des Tripartiten Abkommens im Rückkehrbereich zwischen der Schweiz, Afghanistan und dem UNHCR von 2006 statt.

Bei den Gesprächen ging es in erster Linie um die Verbesserung der operativen Zusammenarbeit im Rückkehrbereich.

Die Schweiz und Bangladesch haben ihre Zusammenarbeit im Bereich der Rückkehr von Personen, die sich irregulär in der Schweiz aufhalten, am 2. April 2019 mittels Notenaustausch rechtlich geregelt. Grundlage für die operationelle Zusammenarbeit ist die «Standard Operating Procedure», die Bangladesch im September 2017 mit der Europäischen Union abgeschlossen hat.

Mit Sri Lanka schliesslich fand am 9. September 2019 unter der Leitung des SEM und mit Beteiligung des EDA das erste Expertentreffen zur Umsetzung der im August 2018 abgeschlossenen Migrationspartnerschaft statt. Im Rahmen dieses Austauschs konnten die laufenden und geplanten Aktivitäten besprochen sowie neue Projektideen in anderen Bereichen identifiziert werden.

6

Multilaterale Migrationsaussenpolitik der Schweiz

6.1

Globale Prozesse

Die Schweiz unterstützt den von der UNO-Generalversammlung Ende 2018 verabschiedeten UNO-Flüchtlingspakt, der sich auf das internationale Abkommen zur Rechtsstellung der Flüchtlinge von 1951 stützt. Im Dezember 2019 war die Schweiz (zusammen mit dem UNHCR) Gastgeber des ersten globalen Flüchtlingsforums in Genf, um den Worten des Paktes Taten im Feld folgen zu lassen. Bundesrat Ignazio Cassis eröffnete das Forum gemeinsam mit UNO-Generalsekretär António Guterres und UNO-Flüchtlingshochkommissar Filippo Grandi. Durch konkrete Massnahmen, die am Forum von der internationalen Gemeinschaft angekündigt wurden, soll der internationale Schutz für Flüchtlinge verbessert und der Druck auf die Aufnahmeländer verringert werden; zudem sollen die Selbstständigkeit der Flüchtlinge gestärkt, die Rückkehr in Sicherheit und Würde ermöglicht und weitere nachhaltige Lösungen gefunden werden. Der Privatsektor hat ebenfalls aktiv am Forum teilgenommen: Es wurden über 250 Millionen Franken sowie Ausbildungsplätze für mehrere Tausend Flüchtlinge zugesichert. Die Schweiz hat den Staaten in den Herkunftsregionen ihre Unterstützung zugesichert, da über 80 Prozent der rund 26 Millionen Flüchtlinge (sowie über 41 Millionen Binnenvertriebene) in Entwicklungs- und Schwellenländer leben. Gleichzeitig bekräftigte die Schweiz, dass sie auch im Inland ihre Verantwortung weiterhin wahrnehmen wird, unter anderem durch ein effizientes Asylverfahren und eine umfassende Integrationsagenda.

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Im Nachgang zum Entscheid des Bundesrates, den Ausgang der parlamentarischen Debatte zum UNO-Migrationspakt abzuwarten, hat sich die Schweiz 2019 im Rahmen der UNO nicht an weiterführenden Diskussionen zur Umsetzung des Migrationspaktes beteiligt. Die Verhandlungen der Resolution zu den Modalitäten für das ab 2022 vierjährlich in New York stattfindende «International Migration Review Forum» wurden nur passiv mitverfolgt. Bei der Verabschiedung der Resolution hat sich die Schweiz der Stimme enthalten. Auch bei weiteren Entwicklungen in Zusammenhang mit dem Migrationspakt, unter anderem dem Aufbau eines internationalen Fonds zur Stärkung der Kapazitäten im Bereich der Migrationssteuerung in Entwicklungsländern, hat sich die Schweiz nicht eingebracht.

Eine ursprünglich von der Schweiz unterstützte Initiative im Rahmen der Verhandlungen zum Migrationspakt betraf die effizientere und koordiniertere Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen UNO-Agenturen sowie die Stärkung der IOM als deren Koordinatorin im neuformierten UNO-Migrationsnetzwerk. Da das Netzwerk mit der Umsetzung des Migrationspaktes verbunden ist, hat die Schweiz diese Entwicklung nur passiv mitverfolgt. Eine definitive Position zum UNO-Migrationsnetzwerk kann erst nach Abschluss der parlamentarischen Debatte erfolgen, die auf der Grundlage eines einfachen Bundesbeschlusses 2020 stattfinden soll. In der Botschaft zum einfachen Bundesbeschluss wird der Bundesrat auch Erfahrungswerte aus Drittstaaten bei deren Umsetzung des Paktes darlegen.

Das globale Engagement der IOM für verbesserte Lebensbedingungen von Migrantinnen und Migranten und eine geordnete, sichere und reguläre Migration ist von grosser Bedeutung. Die Schweiz begrüsst deshalb die institutionelle Führungsreform des Generaldirektors. Die IOM ist für die Schweiz ein wichtiger Partner in der Umsetzung der nationalen Migrationspolitik, beispielsweise im Rahmen von Rückkehr- und Wiedereingliederungsprogrammen, aber auch (in Zusammenarbeit mit dem IKRK) bei der Suche und Identifikation von auf den Migrationsrouten vermissten Migrantinnen und Migranten. Die Schweiz setzt sich für internationale Zusammenarbeitsprotokolle und Standards ein, um Angehörigen Informationen und Gewissheit über das Schicksal ihrer auf den Migrationsrouten verschwundenen Verwandten zu verschaffen. Des Weiteren
hat die Schweiz im Berichtsjahr ein Projekt zur Weiterentwicklung des Migrationsdatenportals12 der IOM zu einem globalen Zugangspunkt für Migrationsstatistiken unterstützt. Dieses ist Teil des Engagements der Schweiz zugunsten verbesserter und vollständigerer Daten zu internationalen Migrationsbewegungen.

6.2

Regionale Prozesse

Die Schweiz hat sich an verschiedenen regionalen Prozessen beteiligt, die den Dialog zwischen den Herkunfts-, Transit- und Zielländern an verschiedenen Migrationsrouten fördern und Gelegenheit bieten, die bilateralen Beziehungen zu vertiefen: An der 6. Ministerkonferenz des Budapest-Prozesses, die im Februar 2019 in Istanbul stattfand, wurde sie von Staatssekretär Mario Gattiker vertreten. Die Konfe12

https://migrationdataportal.org/de?i=stock_abs_&t=2019

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renz mündete in einer ministeriellen Deklaration, die von über 40 Staaten ­ darunter der Schweiz ­ unterzeichnet wurde. Im Rahmen des Khartum-Prozesses organisierte die Schweiz im Oktober 2019 gemeinsam mit der eritreischen Präsidentschaft ein Treffen zum Thema des Potenzials der Diaspora in Migrations- und Entwicklungsfragen. Dabei wurde der Dialog mit einem konstruktiven Ansatz gestärkt. Im Rahmen des Rabat-Prozesses hat sich die Schweiz aktiv an den Umsetzungsarbeiten beteiligt ­ insbesondere im Bereich Schutz und Asyl, für den sie sich bei der Formulierung des Aktionsplans von Marrakesch 2018­2020 verpflichtet hatte.

Die Schweiz hat sich auch in die Konferenz der Generaldirektoren der Einwanderungsbehörden (GDISC) eingebracht. Dieses Netzwerk bietet, sowohl auf der Stufe der Generaldirektoren als auch auf der Stufe der Experten, eine Plattform für den direkten Austausch zwischen den nationalen Migrations- und Asylbehörden auf europäischer Ebene. Die Jahreskonferenz 2019 der GDISC wurde von der Schweiz in Morschach ausgerichtet. Sie befasste sich mit der Frage, wie die individuellen Rückkehrperspektiven in die nationalen Asylsysteme einfliessen können.

Und schliesslich hat die Schweiz als einer der 16 Teilnehmerstaaten der zwischenstaatlichen Konsultationen über Migration, Asyl und Flüchtlinge (Intergovernmental Consultations, IGC), einem informellen Forum für den Informations- und Erfahrungsaustausch sowie die Politikentwicklung in den Bereichen Asyl und Migration, aktiv an den verschiedenen Konferenzen der IGC teilgenommen, beispielsweise an der Konferenz zum Thema «Herkunftsländerinformationen: Innovation und Digitalisierung» vom 4. und 5. Juni 2019. Zudem haben die IGC und die Schweiz im Mai 2019 einen Workshop zum Thema Dolmetschen im Asylverfahren organisiert. Die Schweiz hat sich auch an zahlreichen technischen Konsultationen zu verschiedenen Asyl- und Migrationsthemen beteiligt.

7

Ausblick 2020

Die Perspektiven für 2020 müssen die Auswirkungen der globalen Gesundheits- und Wirtschaftskrise aufgrund von Covid-19 mitberücksichtigen. Es ist davon auszugehen, dass diese globale Krise neue Herausforderungen im Bereich Migration und Flucht schaffen und bestehende akzentuieren wird. Die Schweiz wird auch darauf Antworten entwickeln müssen und ihre migrationsaussenpolitischen Instrumente und Aktivitäten auf die neuen Erfordernisse ausrichten. Mit der IMZ-Struktur ist die Schweiz was flucht- und migrationsrelevante Entwicklungen betrifft, gut aufgestellt, um ein rasches, flexibles und koordiniertes Vorgehen sicherzustellen.

Auf europäischer Ebene werden nach der akuten Phase der Gesundheitskrise wichtige migrationsrelevante Dossiers vorangetrieben werden. Insbesondere wird unter der Leitung der 2019 gewählten EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ein neuer Ansatz in der europäischen Migrationspolitik erwartet, der ein Vorankommen bei der Reform des Dublin-Systems bewirken könnte.

Auf bilateraler Ebene wird die zukünftige Zusammenarbeit ebenfalls von den direkten Auswirkungen der Gesundheits- und Wirtschaftskrise auf die einzelnen Länder beeinflusst werden. Durch die strategische Verknüpfung von internationaler Zusammenarbeit und Migrationspolitik ist die Schweiz bereits in migrationsrelevanten 6134

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Regionen präsent und kann ihr Engagement, wo nötig und möglich, auf neue Herausforderungen ausrichten. Die strategische Verknüpfung soll in der IZA-Strategie 2021­24 weitergeführt werden. Auch die Koordination von der Migrationspolitik mit anderen aussenpolitischen. sicherheitspolitischen und aussenwirtschaftspolitischen Dossiers wird wichtig bleiben, um bei bilateralen Kontakten Schweizer Interessen, beispielsweise im Rückkehrbereich, geltend zu machen. Schliesslich sollen auch weiterhin verschiedene multilaterale Partner wie IOM und UNHCR unterstützt werden, damit sie ihre Arbeit dem neuen Kontext angepasst weiterführen können.

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