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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über den. Anstand betreffend die Art der Zollzahlung in Italien.

(Vom 20. Juni 1894.)

Tit.

Bei der Beantwortung der in der Märzsession dieses Jahres erfolgten Interpellation des Herrn Nationalrat Gobat über den Anstand betreifend die Art der Zollzahlung in Italien wurde diese Angelegenheit bereits zum Gegenstande einer mündlichen Auseinandersetzung gemacht. Ferner haben wir dieselbe seither auch im Geschäftsbericht zur Darstellung gebracht. Das Wesentliche darüber findet sich daselbst in folgendem zusammengefaßt : In unserem Handelsvertrag mit Italien ist für eine Reihe von Artikeln das Maximum der Zollansätze vereinbart, welches während der Dauer dieses Vertrages nicht überschritten werden darf. In der Natur dieser Vereinbarungen liegt es, daß die kontrahierenden Teile keine Maßregeln ergreifen dürfen, welche direkt oder indirekt eine Erhöhung der Zölle bewirken, da es sonst im Belieben jeder Partei stünde, den Zweck des Vertrages illusorisch zu machen.

Eine solche Maßregel ist nun aber durch ein italienisches Dekret vom 8. November · vergangenen Jahres ergriffen worden. Beim Abschluß des Vertrages konnten nämlich die Zölle nicht nur in Metallgeld , sondern auch in Staatsnoten entrichtet werden, welche zum italienischen Münzsystem gehören, indem sie gesetzliches Zahlungsmittel sind, d. h. von jedermann zum Nennwert an Zahlungsstatt angenommen und vom Staate jederzeit ebenfalls zum Nennwert eingelöst werden müssen. Die erwähnte Freiheit in der Wahl der Valuta.

75 für die Zollzahlung bestand beim Vertragsabschluß, obwohl die Noten schon damals ein Disagio von cirka 3 °/o verzeichneten. Der Importeur konnte die italienischen Zölle in Papiergeld,entrichten, ohne etwas darauf einzubüßen. Auf dieser Basis wurden die im Handelsvertrag figurierenden Zollansätze stillschweigend vereinbart. Durch das genannte italienische Dekret ist die Sachlage zu unsern Ungunsten alteriert worden. Nach diesem Dekrete*) sind die Staatsnoten nur noch in der Weise zur Zahlung der Zölle verwendbar, daß mittelst derselben eigens zu diesem Zweck erstellte Bankcertitikate erworben werden, wobei dus Disagio der Noten aufzuzahlen ist. Letzteres war seit dem Abschluß des Vertrages nach und nach bis auf 16 °/o gestiegen. Um z. B. Fr. 100 Zoll zu entrichten, mußte der Importeur Fr. 116 in Staatsnoteu befahlen, was auf das Gleiche herauskommt, wie wenn die im Handelsvertrag festgesetzten Zollansatze auf direktem Wege um 16 °/o erhöht worden wären.

Wir hatten die italienische Regierung schon bei der Ankündung der fraglichen Finanzmaßregel in der Programmrede des Ministerpräsidenten Giolitti, im Oktober 1893, darauf aufmerksam gemacht, daß wir dieselbe als dem Handelsvertrag widersprechend betrachten müßten. Nach Erlaß des Dekrets setzten wir in einer neuen Note die Gründe für unsere Anschauungsweise auseinander und schlugen die Entscheidung durch ein Schiedsgericht vor, sofern die italienische Regierung dieselben nicht als richtig anerkennen und auf der weitern Ausführung des Dekrets mit Bezug auf die*) Der Wortlaut desselben ist folgender : * Art. 1. Vom Tage nach der Publikation des gegenwärtiges Dekretes an sind die Einfuhrzölle, gemäß den Bestimmungen des Art. 14 des Gesetzes vom 7. April 1881, in Metallwährung zu entrichten.

Art. 2. Die Emissionsinstitute sind gehalten, auf den Namen lautende Certifikate zum Zwecke der Zahlung der Einfuhrzölle abzugeben.

Diese Certificate werden an jedermann auf Verlangen gegen Entrichtung des Betrages des gewüuschten Certifikates in Staats- oder Banknoten unter Hinzufügung des Agios (,,Cambio"), reduziert um 25 Cemtimes für je 100 Franken, abgegeben.

Der Betrag des den Emissionsinstituten zu bezahlenden Agios soll dem Mittel der Notierungen, welche an den Börsen von Rom, Genua, Turin, Mailand, Venedig, Florenz, Neapel und Palermo zwei Tage vor
Abgabe der Certifikate für Check-Anweisungeu auf das Ausland gemacht worden sind, entsprechen.

Art. 3. Die Zollämter werden die genannten Certifikate als Metallwert in Zahlung der Zölle annehmen.

Art. 4. Durch Ministerialdekret werden die Beziehungen zwischen dem Fiskus und den Emissionsinstituten, welche aus den Bestimmungen des Art. 2 des gegenwärtigen Dekretes sieh ergeben, normiert werden.

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jenigen Zölle, welche in unserem Vertrage stipuliert sind, bestehen sollte. Im Art. 14 des Handelsvertrages ist diese Lösung von Meinungsverschiedenheiten ausdrücklich vereinbart worden. Derselbe lautet wie folgt: ,,Die hohen vertragschließenden Teile sind übereingekommen, vorkommenden Falls Fragen betreffend die Auslegung und Anwendung des gegenwärtigen Vertrages, welche nicht zur gemeinsamen Zufriedenheit auf dem direkten Wege eiuer diplomatischen Unterhandlung sollten erledigt werden können, auf schiedsrichterlichem Wege zu lösen.tt Diese Vertragsbestimmung wurde seiner Zeit auf den Vorschlag der i t a l i e n i s c h e n Unterhändler in den Vertrag aufgenommen.

In ihrer Antwort hielt uns die italienische Regierung entgegen, daß die Angelegenheit mit dem Handelsvertrag in keiner Beziehung stehe, sondern interner Natur sei und sich der Diskussion mit einem andern Staate, sowie der Beurteilung durch ein Schiedsgericht entziehe; daß die Bezeichnung ,,Lire", die am Kopf der Kolonne steht, welche die im genannten Vertrag vereinbarten Zollansätze enthält, Metallgeld bedeute. Der Vertragstarif könne sich in Ermanglung einer gegenteiligen Vertragsbestimmung nur auf die nationale Münze beziehen, das Papiergeld könne aber nicht als solche, d. h.

nicht als zum italienischen Münzsystem gehörend betrachtet werden.

Die Angelegenheit ist seither in ein Stadium getreten, das uns veranlaßt, Ihnen den gegenwärtigen Bericht mit den zwischen den beiden Regierungen ausgetauschten Noten zu unterbreiten.

Trotz der bis dahin vom Kabinett in Köm sowohl mit Bezug auf die Frage selbst als bezüglich des Vorschlages eines Schiedsgerichts beobachteten ablehnenden Haltung hatten wir die Hoffnung nicht aufgegeben, daß die Schiedsgerichtsklause), welche auf den Vorschlag Italiens dem Vertrage einverleibt und von der Schweiz in gutem Glauben angenommen wurde, bei einer Meinungsverschiedenheit wie die vorliegende, die augenscheinlich alle im Artikel 14 vorgesehenen Eigenschaften an sich trägt, nicht vergeblich angerufen würde.

Da die italienische Regierung sich über diesen Punkt nie in bestimmter Weise ausgesprochen, sondern in einer jeden ihrer Antworten und namentlich auch noch in derjenigen vom 6. Mai im wesentlichen darauf beschränkt hatte, auf den Grund der Frage selbst zurückzukommen, so legten wir in einer Note vom
19. Mai einen ganz besondern Nachdruck auf dieses Mittel zur Erledigung des Anstandes und ersuchten die Regierung, uns mitteilen zu wollen, ob sie mit der Einsetzung eines Schiedsgerichts einverstanden sei oder dasselbe endgültig ablehne.

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Der Antwort auf diesen letzten Schritt mußten wir zu unserm Bedauern entnehmen, daß die italienische Regierung darauf beharrt, ihr Dekret als eine Maßnahme interner Natur zu erklären und deshalb jede Berufung an ein Schiedsgericht zurückzuweisen.

Mit dieser Antwort tritt die Angelegenheit in ein neues Stadium.

Indem dieselbe einerseits einen Streitfall betreffend die Interpretation des Vertrages unerledigt läßt, stellt sie uns anderseits vor die Thatsache, daß die Anwendung derjenigen Vertragsbestimmung verweigert wird, welche von den Parteien zum Zwecke einer gütlichen Erledigung von Anständen vereinbart worden ist.

Es ist richtig, daß die italienische Regierung ihre Entschließung damit begründet, daß sie den Art. 14 selbst zum Gegenstand einer Interpretation macht, indem sie erklärt, daß er seiner Natur nach auf den- gegenwärtigen Fall nicht anwendbar sei.

Der Bundesrat hat indessen stets geltend gemacht, daß es nicht im einseitigen Belieben einer Partei liegen könne, über diese Vorfrage zu entscheiden, sondern daß es in der Natur des Schiedsspruches liege, in erster Linie über diese letztere zu statuieren.

Es folgt daraus, daß die Antwort der königlichen Regierung sich immerhin als eine Weigerung darstellt, den Vertrag in einer .seiner wesentlichen Bestimmungen zu vollziehen, und diese That·sache legt dem Bundesrate die Verpflichtung auf, in Erwägung zu ziehen, welche Folge der Nichtbeachtung des internationalen Aktes, der die beiden Länder verbindet, zu geben sei.

In erster Linie, und der Prüfung weiterer Schritte vorgängig, haben wir der königlichen Regieruag in einer Note vom 16. Juni unser Bedauern über ihre Entschließung ausgedrückt und in Verbindung damit unseren Vorbehalt mit Bezug auf alle Folgen, welche -diese Lage nach sich ziehen könnte, verknüpft.

Die Erwägungen, die uns nach dieser vorläufigen Wahrung unserer Rechte und Handlungsfreiheit obliegen, sind von ebenso ·ernster und mannigfaltiger als delikater Natur.

Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß nach dem abschlägigen Bescheid von Seiten Italiens die Frage statthaft ist, ob der Vertrag für uns noch bindende Kraft behält und ob die Schweiz nicht zur Kündung desselben vor dem konventionellen Termin, d. h. vor dem 31. Dezember 1897, berechtigt sei. In der Presse und anderweitig ·wurde diese Eventualität bereits zum Gegenstande
von Erörterungen gemacht, ebenso gewisse Maßnahmen zum Zwecke, das italienische Dekret nach dem Grundsatze der Reciprocität zu erwidern, wie z. B. die Erhebung einer Zuschlagstaxe für italienische Erzeugnisse

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entsprechend dem gegenwärtigen Agiozuschlag in Italien für Erzeugnisse aus der Schweiz.

Indem der Bundesrat jetzt schon seinem Zweifel über die Zweckmäßigkeit eines solchen Vorgehens Ausdruck giebt, dessen Berechtigung er weder aus einer Analogie der monetären und finanziellen Verhältnisse der Schweiz, noch aus einer Kompensation für den ihrem Export zugefügten Sehaden herzuleiten vermöchte, ist er indessen nicht im Falle, heute schon mit bestimmten Vorschlägen in der einen oder andern Richtung an die Bundesversammlung zu gelangen. Bei der Vielheit der in Frage stehenden Interessen und der schweren Tragweite jeder Maßnahme, welche die Störung der regelmäßigen Beziehungen zwischen beiden Staaten zur Folge hätte, ist es der Wunsch des Bundesrates, in dieser Angelegenheit ohne jede Übereilung vorzugehen. Aus dem gegenwärtigen Bericht und.den demselben beigedruckten Aktenstücken wird es der Bundesversammlung und dem Volke bereits möglich sein, sich ein genaues Urteil über die Frage bilden zu können. Was weitere Maßnahmen anbetrifft, so behält sich der Bundesrat vor; Ihnen zu gelegener Zeit Vorschläge zu unterbreiten.

Inzwischen benützt derselbe den Anlaß zur Versicherung seiner ausgezeichneten Hochachtung.

B e r n , den 20. Juni 1894.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

E. Frey.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über den Anstand betreffend die Art der Zollzahlung in Italien. (Vom 20. Juni 1894.)

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