#ST#

Schweizerisches Bundesblatt.

46. Jahrgang. III.

Nr. 49.

# S T #

21. November 1894.

Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Petition des Centralvorstandes der schweizerischen Tierschutzvereine, betreffend Erlaß eines Vollziehungsgesetzes zu dem das Verbot des Schlachtens der Tiere ohne vorherige Betäubung enthaltenden Artikel der Bundesverfassung.

(Vom 16. November 1894.)

Tit.

Durch Schlußnahme vom 5. Juni 1894 haben Sie uns eine Petition des Centralvorstandes der schweizerischen Tierschutzvereine vom 14. Februar 1894 zur Berichterstattung überwiesen, welche folgendes Gesuch enthält: ,,1. Es möchte die h. Bundesversammlung den h. Bundesrat beauftragen, ein für alle Kantone gleichmäßig geltendes Vollziehungsgesetz (sc. betreffend das Schächtverbot) zu entwerfen und der h. Bundesversammlung zur Annahme vorzulegen.

,,2. Es möchten in diesem Gesetze die zur Zeit bewährten Betäubungsarten der Schlachttiere für Christen und Juden verbindlich erklärt werden."

Diesem Gesuche wird von dem petitionierenden Centralvorstande die Andeutung beigefügt, daß mit einem solchen Gesetze vielleicht passend längst gewünschte Bestimmungen über Fleischschau verbunden werden könnten.

Bundesblatt. 46. Jahrg. Bd. III.

69

966 Zur Begründung des Gesuches wird bemerkt: Es haben sieb Erscheinungen gezeigt, denen die Tierschutzvereine und ihre Organe unmöglich ihre Zustimmung geben und die sie noch viel weniger ignorieren können; es seien dies die Versuche, welche die Israeliten in verschiedenen Kantonen vornehmen, um Schlachttiere mit Alkohol,, Äther etc. zu betäuben. Beim Mangel eines einheitlichen eidgenössischen Ausführungsgesetzes würde die Durchführung der Verfassungsbestimmung (Art. 25bis) sehr ungleich in Art und Zeit herauskommen, beziehungsweise in einzelnen Kantonen allzulange oder gar nicht zu stände kommen. Ist es ja -- sagen die Petitionäre -- eine offenkundige Thatsache, daß keineswegs in allen Kantonen und bei allen Kantonalbehörden vorab guter Wille für die Durchführung dieser Verfassungsbestimmung herrscht.

Es ist Ihnen, Tit., bekannt, daß der Bundesrat durch Kreisschreiben vom 9. Februar 1894 sämtliche Kantonsregierungen eingeladen hat, dafür zu sorgen, daß die neue Verfassungsvorschrift in ihrem Gebiete befolgt werde, und ihm mit thunlicher Beförderung über die Anordnungen Bericht zu erstatten, welche sie getroffen haben, um dem bundesverfassungsmäßigen Verbote des Schächtens.

Nachachtung zu sichern.

Mit Ausnahme von Genf haben alle Regierungen mit anerkennenswerter Beförderung die Maßnahmen uns kundgegeben, welche sie zu dem angeführten Zwecke getroffen haben, sei es durch Erlaß besonderer Verordnungen oder Einschaltung einer besondern Bestimmung in bereits bestehende Gesetze oder Verordnungen betreffend Tierschutz, Schlachthauspolizei u. s. w., sei es durch besondere Weisungen an die Polizeibehörden, Schlachthausaufseher u. s. f.

Diese sämtlichen Erlasse enthalten auch oder nehmen ausdrücklich Bezug auf Strafandrohungen gegen Übertretungen des Schächtverbotes. Einzig bei Nidwaiden und Freiburg ist von einer Straffolge nicht die Rede. Wir haben deshalb die Regierungen der beiden Kantone eingeladen, diese Lücke auszufüllen.

Der Staatsrat von Genf hat mit Schreiben vom 15. Juni 1894 angezeigt, daß er eine Specialkommission mit der Behandlung der Frage betraut habe. Unterm 16. Oktober teilte er mit, daß die erwähnte Kommission ein neues, von einem Herrn Gramer (Calarne?)

in Ste-Croix (Waadt) empfohlenes System, mit welchem bereits auch in Neuenburg Versuche gemacht worden seien, praktisch
erprobe. ,,Wir werden also", fügt der Staatsrat bei, ,,hinnen kurzem in der Lage sein, Ihnen die Vorkehrungen bekannt zu geben, diewir zum Behuf der Anwendung des neuen Artikels der Bundesverfassung getroffen haben.a

967 Wir haben an Genf die erneuerte Aufforderung ergehen lassen, die zur Nachachtung des verfassungsmäßigen Verbotes erforderlichen Verfügungen ohne Zögern zu erlassen.

Bei diesem Stande der Dinge kann nicht davon die Rede sein, daß die Kantone es an gutem Willen, den Verfassungssatz praktisch durchzuführen, fehlen lassen ; es kann bloß die Frage aufgeworfen werden, ob mit den von den Kantonen ergriffenen Maßnahmen dem Schächtverbote die gehörige Nachachtung 1 gesichert sei.

In dieser Beziehung glauben wir nun, es sollte doch einige Zeit zugewartet werden, bevor ein Urteil gefällt wird.

Sollten in einem Kantone die unteren Polizeibehörden in der Durchführung des Verbotes lässig oder gar widerstrebend sich verhalten, so steht ja der Weg der Besehwerde an die Kantonsregierung und von dieser weg an den Bundesrnt offen.

Bis jetzt ist uns eine einzige Beschwerde dieser Art zur Kenntnis gekommen; sie stammt aus dem Kanton Neuenburg und betrifft das Schlachtverfahren in La Chaux-de-Fonds. Aus der Vernehmlassung des neuenburgischen Stnatsrates geht hervor, daß den israelitischen Kultusgemeinden in diesem Kantone bis Ende August verstattet worden war, nach ihrem Ritus zu schlachten, um inzwischen mit gewissen Schlachtapparaten praktische Versuche zu machen. Im Monat September haben die Israeliten nicht mehr nach ihrem Ritus geschlachtet.

Dagegen kamen sie Ende September beim Staatsrate mit dem Gesuche um abermalige provisorische Gestattung des Schächtens ein.

Dabei beriefen sie sich darauf, daß in den Kantonen Waadt und Genf die Israeliten noch nicht genötigt worden seien, dem neuen Verfassungsartikel nachzuleben. Überdies stellten sie in Aussicht, daß der Erfinder Calarne seinen Sehlachtapparat in Bälde derart werde verbessert haben, daß dessen Anwendung nichts mehr werde im Wege stehen. Irn Auftrage des Staatsrates wohnte der Chef des kantonalen Sanitätsdienstes den von den israelitischen Gemeinden veranstalteten Proben bei. Er erstattete dem Staatsrate hierüber einen Bericht, aus dem sich ergiebt, daß der Apparat Calarne nach einigen Abänderungen den Erfordernissen des Art. 25bis der Bundesverfassung genügen werde. Hierauf beschloß der Staatsrat, den israelitischen Genossenschaften ein l e t z t e s Mal die Frist zur Befolgung der Vorschrift des Art. 25bls bis Ende laufenden Monats (Oktober) zu
erstrecken, wobei er die Petitionäre wissen ließ, daß dieser Termin unter keinem Vorwande überschritten werden dürfe.

Als der Staatsrat trotzdem auf ein nochmaliges Fristverlängerungsgesuch der Israeliten sich geneigt zeigte, den Termin bis I.Januar 1895 hinauszuschieben, haben wir ihn wissen lassen, daß die Bundesbehörde hierauf unter keinen Umständen eingehen könne.

968 Am Schlüsse seiner Vernehralassung macht der Staatsrat von Neueuburg die Bemerkung, daß die Vollziehungsmaßregeln, welche zur Ausführung des Art. 25bia der Bundesverfassung getroffen werden müssen, einen allgemeinen Charakter haben sollen, nicht bloß die Israeliten betreffen dürfen, weshalb es vielleicht, zweckmäßig wäre, wenn der Bund zur Erleichterung der praktischen Durchführung des Art. 25bh reglementarische Bestimmungen für das ganze Gebiet der Eidgenossenschaft erlassen würde.

Wir wollen hier gleich bemerken, daß wir nicht gezögert haben, die Regierung des Kantons Waadt unter Bezugnahme auf die im Schreiben der Neuenburger Regierung erwähnte Behauptung der neuenburgischen Israeliten zur Berichterstattung über die Vollziehung des Art. 25bis einzuladen.

Die Regierung des Kantons Neuenburg wirft, wie wir gesehen haben, in ihrer Vernehmlassung vom Zweckmäßigkeitsstandpunktü aus eine Frage auf, welche der Centralvorstand der schweizerischen Tierschutzvereine von vorneherein bejaht hat.

Dagegen vertritt die Regierung des Kantons Thurgau in ihrem Berichte an den Bundesrat vom 10. März 1894 die entschiedene Ansicht, daß der baldige Erlaß eines in Ausführung des gedachten Verfassungsartikels auszuarbeitenden einheitlichen Gesetzes dringend wünschbar sei, da das eingeschlagene Vorgehen nicht im Interesse eines gleichmäßigen Verfahrens der Kantone liege.

Wir geben zu, daß die Handhabung des Schächtverbotes, soweit dieselbe der Bundesbehörde als Rekursinstanz obliegen kann, sich vielleicht einfacher gestalten würde, wenn die Schweiz ein einheitliches Gesetz über die zulässigen Schlachtarten besäße. Einfacher, aber mehr nicht. Denn nach unserm Dafürhalten kann die bundesmäßige Kontrolle über die Befolgung des Satzes: ^Das Schlachten der Tiere ohne vorherige Betäubung vor dem Blutentziige ist hei jeder Schlachtart und Viehgattung ausnahmslos untersagt"1, sehr genau und wirksam auch dann ausgeübt werden, wenn die Kantone und Gemeinden die gesetzlichen und reglementansehen Vorschriften über das Verfahren in den Schlachthäusern und beim Schlachten der Tiere überhaupt aufstellen. Die Erfahrung wird dies lehren. Sollte, was uns ganz unwahrscheinlich ist, in der Folge sich herausstellen, daß das Verbot des Art. 25bi8 der Bundesverfassung ohtfe ein eidgenössisches Vollziehungsgesetz nicht zur vollen und
wirksamen Geltung und Durchführung gelangen k a n n , dann allerdings würden auch wir dem Erlaß eines Bundesgesetzes das Wort reden. Denn in d i e s e m Falle wären die Kompetenz und die Pflicht des Bundes, der Verfassungsvorschrift durch legislative Bestimmungen die Vollziehung zu sichern, unzweifelhaft begründet.

969 Aber auch dann hätte sich unseres Erachtens der Bundesgesetzgeber auf diejenigen Bestimmungen zu beschränken, welche geeignet und notwendig wären, um die Handhabung des verfassungsmäßigen Verbotes des Schächtens zu erleichtern und wirksam zu machen.

Zu positiven, mit dem Verbote nur in indirektem Zusammenhange stehenden polizeilichen Vorschriften über das Schlachten der Tiere, zum Erlaß eines Gesetzes über das Schlachthauswesen, die Fleischschau u. s. w., wie es der Centralvorstand der Tierschutzvereine sich wünscht, halten wir den Bund auf Grundlage des Art. 25bis und der gegenwärtigen Bundesverfassung überhaupt für so wenig kompetent, als zum Erlaß eines Gesetzes über die Lebensmittelpolizei.

Diese unsere Anschauungsweise wird, wie oben erwähnt, von der Regierung des Kantons Thurgau nicht geteilt. la ihrem Schreiben an uns vom 10. März bemerkt die thurgauische Behörde: ,,In grundsätzlicher Beziehung glauben wir zunächst darauf aufmerksam machen zu sollen, daß nach unserer Auffassung der Erlaß bezüglicher Vollziehungsanordnungen nicht sowohl Sache der Kantone als vielmehr der Bundesbehörden wäre, wie dies auch der Wortlaut des Alinea 2 von Art. 25bta deutlich besagt, und erscheint es rein theoretisch höchst fraglich, ob eine solche Delegation des dem Bundesrat verfassungsgemäß erteilten Mandates an kantonale Instanzen so ohne weiteres zulässig sei."

Die h. Regierung des Standes Thurgau befindet sich in einem Irrtum. Art. 25bis der Bundesverfassung enthält kein zweites Alinea, sondern nur den einen Satz, daß das Schlachten der Tiere ohne vorherige Betäubung vor dem Blutentzuge bei jeder Schlachtart und Viehgattung ausnahmslos untersagt sei. Dagegen enthält der Bundesbeschluß vom 22. Dezember 1893 betreffend die Erwähnung dee Volksabstimmung vom 20. August 1893 mehrere, durch römische Ziffern markierte Verfügungen, und die letzte derselben (Ziff. III) beauftragt den Bundesrat ,,mit der Veröffentlichung und weitern Vollziehung dieses Beschlusses", der in seinem ersten Teile, unter Ziff. I, das Resultat der Abstimmung konstatiert und das Inkrafttreten des neuen Verfassungsartikels festsetzt, in seinem zweiten Teile, unter Ziff. II, den Inhalt des Art. 25bis authentisch feststellt.

Wir sind nun nicht der Ansieht, daß die Bundesversammlung den Bundesrat durch diesen Beschluß ermächtigt und
beauftragt habe, zur Vollziehung des Art. 25bi8 der Verfassung ein Bundesgesetz oder eine Bundesverordnung zu entwerfen und ihr zur Annahme zu unterbreiten oder kurzer Hand von sich aus Vollziehungsvorschriften für die ganze Schweiz zu erlassen, und daß der Bundesrat ein solches, nach thurgauischer Auffassung ihm ,,verfassungsgemäß erteiltes" Mandat auszuführen habe. Vielmehr halten wir dafür,

970

daß der Bundesrat dem ihm von der Bundesversammlung erteilten "Mandate dadurch vollständig nachgekommen ist, daß er die Kantonsregierungen aufgefordert hat, für die zur Vollziehung des Art. 25bi8 erforderliehen Anordnungen sofort besorgt zu sein und ihm hierüber Bericht zu erstatten. Der thatsächliehe Erfolg hat auch bewiesen, daß die Kantonsbehörden diesen Standpunkt der eidgenössischen Exekutive begriffen und respektiert haben. Mit Ausnahme Thurgaus hat keine Kantonsregierung ein Bedenken dagegen geäußert.

Ein solches wäre auch in der That am allerwenigsten dann zutreffend, wenn es als ein ,,grundsätzliches14 geltend gemacht werden wollte.

Die schweizerische Bundesverfassung enthält nebst dem Art. 25bl" noch eine Reihe in der Form von Verboten ausgesprochene Sätze, zu deren Durchführung der Bund berufen ist, ohne daß dafür gesetzliche oder reglementarische eidgenössische Ausführungsbestimmungen bis jetzt erlassen worden wären. Man hat sich damit begnügt, den Bundesrat oder das Bundesgericht als oberste Aufsichtsund Rekursbehörde im Verein mit den zuständigen Kantonsbehörden über die Beobachtung des Verfassuugssatzes wachen zu lassen.

Wir erwähnen beispielsweise die Verbote des Art. 49 der Bundesverfassung betreffend Zwangsmaßregeln in konfessioneller Richtung, Bestrafungen wegen Glaubensansichten, Beschränkungen der bürgerlichen oder politischen Rechte durch kirchliche oder religiöse Vorschriften oder Bedingungen; an Art. 51 betreffend das Jesuitenverbot, Art. 52 betreffend die Errichtung neuer oder Wiederherstellung aufgehobener Klöster oder religiöser Orden; an Art. 58 betreffend das Verbot der Einführung von Ausnahmegerichten und die Abschaffung der geistlichen Gerichtsbarkeit; an Art. 59 betreffend den Gerichtsstand für persönliche Klagen und Arrestlegungen und betreffend den Schuldverhaft; an Art. 65 betreffend die Todesstrafe und die körperlichen Strafen.

In allen diesen Punkten hat der Bund Verbote ausgesprochen, welche die Kantone unter der Aufsicht der Bundesbehörden zu beobachten und praktisch durchzuführen haben. Aber dem Bunde ist damit nicht die Aufgabe und die Befugnis übertragen, in umgekehrter, p o s i t i v e r , Richtung über die einschlägigen Materien gesetzliehe Bestimmungen aufzustellen, also z. B. Prozeßgesetze, Kirchengesetze u. s. w. zu erlassen.

Nicht anders verhält
es sich unseres Erachtens im vorliegenden Falle. Solange die Strafgesetzgebung und das Polizeiwesen im allgemeinen, speeiell die Gesetzgebung im Gebiete der öffentlichen Gesundheitspflege, der Lebensmittelpolizei, der Schlaehthauspolizei, des Tierschutzes, Sache der Kantone und nicht des Bundes

971 «înd, fehlt dem letztern die Kompetenz zur Aufstellung einschlägiger gesetzgeberischer Vorschriften, die über den Rahmen des Verfassungssatzes, d. h. über die Sicherung der Wirksamkeit des verfassungsmäßigen Verbotes, hinausgehen.

So kommen wir denn zum Schlüsse, es sei aus konstitutionellen wie aus praktischen Gründen den Begehren des Centralvorstandes der schweizerischen Tierschutzvereine keine Folge zu geben, und wir beantragen Ihnen, den Gegenstand in diesem Sinne zu erledigen.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 16. November 1894, Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

E. Frey.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Petition des Centralvorstandes der schweizerischen Tierschutzvereine, betreffend Erlaß eines Vollziehungsgesetzes zu dem das Verbot des Schlachtens der Tiere ohne vorherige Betäubung enthalten...

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1894

Année Anno Band

3

Volume Volume Heft

49

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

21.11.1894

Date Data Seite

965-971

Page Pagina Ref. No

10 016 804

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.