1008

# S T #

Bundesrathsbeschluss über

die Rekursbeschwerden betreffend die Großrathswahlen vom 3. März 1889 im tessinischen Wahlkreise Intragna.

(Vom 22. Juni 1891.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s rat h hat in Sachen der Rekursbeschwerden betreffend die Großrathswahlen vom 3. März 1889 im tessinischen Wahlkreise Intragna nach dem Bericht des Justiz- und Poliztidepartements folgenden Thatbestand gefunden:

A. Betreffend die Gemeinde Intragna.

I. Mit Schreiben vorn 2. Februar 1889 an den Regierungs kommissar des Distrikts Locamo verlangten Maggetti Luigi, Kanzleichef des Staatsrathes, und Madonna, Cirillo tu Fedele Zeichnungslehrer in Cresciano, ihre E i n t r a g u n g in das Stimmregister von Intragna, wo sie domizilirt seien und ihre Steuern zahlen. Für den Fall aber, daß sie ausgeschlossen bleiben sollten, verlangten sie, dass ebenfalls ausgeschlossen werden Pedrotta, Giuseppe, fu Vittore, Professor am Technikum von Locarno und Tosetti Patrizio di Gaspare Privatlehrer in Faido, Beide in ganz gleicher Lage wie die Potenten.

Der Kommissär entschied, daß alle 4 Genannten vom Stimmregister von Intragna ausgeschlossen sein sollen. Die Munizipalität

1009 telegraphirte am 14. Februar Abends dem Professor Pedi-otta : ,,Heutiges Dekret des Kommissärs befiehlt Eure Steichung Stimmregister, theilt uns Eure Gründe mit."

Mit Eingabe vom 15. Februar, eingereicht Montag den 18., appelliate die Munizipalität von Intragna an den Staatsrath gegen den Ausschluß von Pedrotta und Tosetti. Sie erklärte: Pedrotta hat stets sein Aktivbürgerrecht hier ausgeübt und alle seine Steuern hier bezahlt. Hier übernachtet er allwöchentlich zwei Mal und hier bringt er seine Ferien zu ; in Locamo steht er nicht auf dem Stimmregister und zahlt keine Steuern.

Tosetti ist in gleicher Lage und wohnt erst seit dem 1. Januar d. J. ständig in der Gemeinde, in der er Lehrer ist.

Unterm nämlichen Datum wandte sich Pedrotta an den Staatsrath. Seine Eingabe enthält im Wesentlichen Folgendes: Ich will nicht die Schande erleben, mich, wie schon seit etwa 2 Jahren, auch dieses Mal wieder der Ausübung meines Aktivbürgerrechtes beraubt zu sehen, entgegen dem Gesetz, und bitte daher, das Dekret des Kommissärs aufzuheben. Ich bin Professor in Locamo, wenig mehr als eine Stunde von meiner wirklichen und politischen Wohngemeinde Intragna entfernt; ich gehe regelmäßig jeden Samstag heim, bleibe dort über alle Vakanzen, die Weihnachts-, Fastnachts-, Ostern- und beständig auch über die langen Herbstferien, bin dort über die Pesttage, also auch gerade zu der Zeit, da der Bürger seine politischen Rechte ausübt, und könnte sie also gar nicht anderswo ausüben. Ich habe auch bis jetzt meine Rechte in Sachen des Burgergutes, der politischen, der Kirch'gemeinde, des Kantons und der Eidgenossenschaft stets in Intragna, niemals irgend anderswo, ausgeübt. Ich habe in Intragna meine Familie, meinen Haushalt, mein Vermögen, dort auch stets pünktlich und regelmäßig meine Steuern bezahlt, nie in Locamo mein Stimmrecht ausgeübt, glaube auch nicht, daß ich dort jemals auf dem Stimmregister gestanden hahe, es wurde dort auch niemals eine Steuer von mir gefordert. Ich bitte daher um meine Wiedereintragung als einen Akt der Gerechtigkeit.

Das Departement des Innern lud den Rekurrenten brieflich ein, das appellirte Dekret des Kommissärs innerhalb 24 Stunden in Original einzusenden bei Strafe der Präklusion. Dieser erhielt den Brief am 17. Februar, Vormittags 8 Uhr, und antwortete darauf um 11 Uhr desselben
Vormittags von Locamo aus: ,,Ich sende Ihnen hier die Mittheilung, welche ich von der Munizipalität meiner Gemeinde erhallen habe, mit Abschrift meines Antworttelegramms an dieselbe; etwas Anderes besitze ich nicht. Wenn Sie den WortBundesblatt. 43. Jahrg. Bd. III.

67

1010 laut des Dekretes wünschen, so bitte ich, es von der Munizipalität Intragna oder vom Kommissär einzuziehen." Am 16. Februar rief Pedrotta auch den Bundesrath um den Schutz seines Stirn mrechtes an, indem er ihm mittheilte, daß er sich auch an den Staatsrath des Kantons Tessin gewandt habe und die vor diesem vorgebrachten Gründe wiederholte.

Mit Eingabe d. d. Bellinzona vom 19. Februar erklärte dagegen der Staatsrathsseretär Luigi Magget dem Staatsrath: ,,Ich habe erfahren, daß gestern der Professor Pedrotta in Locarno und die Munizipalität von Intragna an Sieappellirtihaben..

Ich bleibe bei dem, was ich am 2. d.Mts. dem Kommissarge-schrieben habe. Die Munizipalität hat Pedrotta undTosettii immer noch nicht gestrichen. I c h habe keine Abschrift d e r beantrage ich Abweisung desRekurses." Als Beilage warange b geben ,,Dekret des Kommissärs in genannter Sache" ; das wurde dann aber wieder durchgestrichen.

Der Staatsrath erkannte am 26. Februar (mitgetheilt am 1. MärzV. Da Herrn Maggetti keine offizielle Mittheiluug von den beiden Appellationen gemacht worden ist, Rekurrenten auch dus Dekret weder in Original, noch in beglaubigter Abschrift eingereicht haben, im Uebrigen aus den von Herrn Maggetti angeführten Gründen sind die beiden Appellationen abgewiesen.

Durch Telegramm vom 1. März gab Pedrotta dem Bundesrathe hievon Kenntniß und wiederholte sein dringendes Gesuch um Schutz seines Wahlrechts. Das Nämliche that die Munizipalität mit Bezug auf Pedrotta und Tosetti. Mit Brief vom 15. März »à den Bundeskommissär erneuerte Pedrotta seine eindringlichen Vorstellungen.

Auch Tosetti sandte am 1. März einen telegraphischen Protest gegen seinen Ausschluß an den Bundesrath, sowie einen brieflichen Rekurs. Er erklärt, daß er seine Familie in Intragna habe und alle Bürgerpflichten dort erfülle.

Die Untersuchung des Bundesdelegirten ergab folgende Resultate : Die Angaben des Professors an der technischen Schule Locamo Pedrotta Giuseppe, wurden in allen Theilen bestätigt.

Tosetti, Patrizio, hat seine Familie und zahlt seine Steuern in Intragna, ist in Faido noch nicht in das Stimmregister vom 3. März aufgenommen worden, wie die dortige Munizipalität bezeugt.

1011 Er legte ein Urtheil des Appellationsgerichtes des Kantons Tessin vom 17. Oktober 1888 zu den Akten, in welchem unter Bezugnahme auf ein Präjudikat (Race, gen., Bd. I, p. 116) ausgeführt wird, daß das Domizil eines solchen Lehrers am Wohnorte seiner Familie sei.

Nachdem dem Staatsrathe von der Beschwerde betreffend den Ausschluß dieser beiden Bürger Kenntniß gegeben worden war, erschien beim Bundesdelegirten auch Maggetti, Luigi, und brachte theils mündlieh, theils schriftlich Folgendes vor: Seit 1881 bin ich Kanzleichef der Staatskanzlei in Bellinzona; ich ließ aber stets und habe noch meine Familie in Intragna, meinem Bürgerrechts- und Geburtsort; da habe ich auch bis jetzt a l l e meine bürgerlichen und politischen Rechte ausgeübt. Ueber jeden Sonntag, jeden andern Festtag und über die Ferien kehre ich in den Schooß meiner Familie zurück; da h'äbe ich auch a l l e meine bürgerlichen Pflichten und Lasten erfüllt. Die Munizipalität von Intragna hat mich nun aber gestrichen, dagegen Pedrotta und Tosetti, die ganz in gleicher Lage sind, aufgenommen. Wenn diese Beiden zugelassen werden, was ich für richtig halten würde, so verlange ich das auch für mich.

Die Munizipalität von Intragna, hierüber angefragt, antwortete: ^Der Ausschluß Maggetti1 s ist schon vor mehreren Jahren erfolgt, weil Maggetti in Bellinzona eingeschrieben ist, wo er s t i m m t u n d d i e G e m e i n d e s t e u e r b e z a h l t . Seine Stellung verlangt auch seine beständige Anwesenheit in Bellinzonaa, u. s. w.

Dabei legte sie ein Zeugniß der Munizipalität von Belliuzooa vom 5. Februar 1888 ein, welches bezeugt, daß Maggetti in ihrem Stimmregister als regelrecht in Bellinzona domizilirt eingeschrieben sei und die Gemeindesteuer bezahle.

B Betreffend die Gemeinde Verscio.

II. Durch Dekret vom 13. Februar 1889, mitgetheilt den 15. desselben Monats, erklärte der Regierungskommissär: Mit Eingabe vom 5. dieses Monate verlangte Maestretti, Benedetto, daß vom Stimmregister von Verscio 18 Bürger gestrichen werden, weil entweder nicht daselbst domizilirt oder mit Steuern im Rückstande; die Munizipalität anerkennt, daß Cavalli, Ernesto, fu Isidoro, Decarli, Giuseppe, fu Lorenzo, Decai'li, Giuseppe, di Giuseppe,

1012 mit Steuern im Rückstaade sind, während die Andern alle ihre Steuerrückstände bezahlt haben.

Ferner hat sich entgegen den Erklärungen der Munizipalität ergeben, daß: Ramazzina, Abbondio, Bürger von Avegno, seit mehr als 3 Monaten in einem andern Kanton wohnt, während sein letzter Aufenthalt in Verscio nicht 3 Monate dauerte; Leoni, Giuseppe, von Cevio nach Riva San Vitale gegangen, jetzt in Bellinzona ist und sein Domizil in Verscio noch nicht erworben hat; Decarli, Guglielmo, seit Jahren in Valle Maggia ist, wo er sein Domizil erworben, und daß er in Verscio niemals Steuern bezahlt hat; Decarli, Antonio, di Giuseppe, in Muralto domizilirt und dort bereits auf das Stimmregister genommen worden ist.

Aus diesen Gründen sind alle Obgenannten zu streichen.

Mit Eingabe vom 16. Februar, eingereicht den 18., appellirte hiegegen die Munizipalität an den Staatsrath. Sie führt darin Folgendes an : Ramazzina, Abbondio, reiste von Verscio ab den 26. Dezember vorigen Jahres, ist also bis zum 3. März noch nicht 3 Monate lang abwesend. Er hat auch in Zürich sein Domizil in Verscio beibehalten, da er hier den Hauptsilz seiner Geschäfte, seinen Haushalt und seine Familie hat. Es ist ganz unrichtig, daß er von Verscio weggezogen sei und daß sein letzter Aufenthalt daselbst nicht 3 Monate gedauert habe. Er steht auch schon seit mehr als 12,Jahren auf unserem Stimmregister, da er schon seit der Zeit, da er von Avegno kam, immer sein hiesiges Domizil beibehalten hat. Es iet wahr, daß seine Geschäfte ihn oft in andere Kantone rufen wie im vorigen Jahre; aber Anfangs August ist er in die Gemeinde zurückgekehrt; am 30. ging er wieder fort, am 8. September kehrte er wieder heim ; von da an blieb er hier bis zum 26. Dezember.

Auch die kantonale Steuerkommission hat ihn als hier domizilirt betrachtet.

Leoni, Giuseppe, fu Antonio, Bürger von Verscio, ist in der nämlichen Lage. Er hat sein Domizil in Verscio behalten, nämlich seine Wohnung und seinen Haushalt, seine Familie; erst seit dem 1. Januar ist er nach Bellinzona gegangen als Postangestellter, und kann also dort am 3. März sein Aktivbürgerrecht noch nicht ausüben. Gegenüber dem Dekret des Kommissärs können wir versichern, daß Leoni ini vorigen Juli von Maggia, nicht von Cevio,

1013

seinen Wohnsite hieher, in seine Heimatgemeinde, verlegt hat; dort war er aber nie im Stimmregister eingeschrieben und darum wurde er auf sein ausdrückliches Verlangen in das unsrige aufgenommen.

Kur provisorisch und in Erwartung der Anstellung, die er nun erhalten hat, war er als Diener zu einer Familie nach Riva San Vitale gegangen; er wollte sich dort nicht auf das Stimmregister setzen lassen, weil er wußte, daß er dort nur vorübergehend sich aufhalte und sein hiesiges Domizil keineswegs aufzugeben beabsichtigte.

Decadi, Ani, di Giuseppe, lebt in Muralto nur als Bursche ; seine Eltern, mit denen er in Vermögensgemeinschaft lebt, sind Bürger von Verscio und ständig hier domizilirt. Die Munizipalität von Muralto halte ihn auf ihr Stimmregister gesetzt, ohne ihn zu fragen; er verlangte, daselbst wieder gestrichen zu werden, und das geschah, weil er eben hier domizilirt ist.

Decarli, Guglielmo, hat in der That in Verscio nie Steuern bezahlt und wir anerkennen daher seine Streichung.

Bezüglich der 3 Andern aber bitten wir um Wiederaufnahme in das Stimmregister.

Hierauf erwiderte Mastretti mit Brief vom 20. Februar Folgendes : Ramazzin ist seit langer Zeit in andern Kantonen domizilirt, hat dort sein Domizil und seinen hauptsächlichen Handel; bei seinem letzten Besuch war er nur 2 Tage lang da, 2S./26. Dezember mit Retourbillet.

Leoni von Maggia war in Riva San Vitale eingeschrieben bis Ende vorigen Jahres, ging dann nach Bellinzona und war nie 3 Monate lang in Verscio.

Decarli ist in Muralto domizilirt, übrigens mit den Steuern im Rückstände wie sein Vater, dessen Steuerrückstand die Munizipalität, zugegeben hat.

Darauf replizirte die Munizipalität unterm 21. Februar, daß die Behauptungen Maestretti' unwahr seien und mit seiner eigenen Eingabe vom 5. Februar im Widerspruch stehen. Sie fragte die Munizipalitäten von Muralto und Riva San Vitale an, ob Decarli, Antonio, bezw. Leoni, Gius. bei ihnen eingeschrieben sei; die die cratere erwiderte, sie gebe keine Antwort; die letztere antwortete sofort, Leoni Giuseppe, fu Antonio, habe nie auf ihrem Stimmregister gestanden. Die Munizipalität von Versciogab hievon dem Staatsrath Kenntnis Der Staatsrat wies den Rekurs wegen Verspätung ab; in der gesetzlichen Frist von 3 Tagen für den Rekurs

lOH sei sowohl der Tag des Empfangs als auch der der Erreichung des Rechtsmittels inbegriffen ; denn wenn der Gesetzgeber das anders gewollt hätte, würde er es gesagt habet» wie im Gesetz vom 27. November 1863.

Schon mit Eingabe vom 16. Februar hatte sich die Munizpalität von Verscio um Schutz der Rechte ihrer Bürger auch au den Bundesrath gewandt und ihm eine Abschrift ihres Rekurses geschickt. Am 1. März, nach Empfang des Entscheides des Staatsrathes, wiederholte sie dieses Gesuch telegraphisch. Es wurde dein Bundesrath auch ein vom 4. März datirter, durch Ausfüllung eines gedruckten Formulares erklärter Protest von Ramazzina Leoni Decadi und einem in Neuveville wohnendenLeoni, "Antonio, eingesandt.

Die Untersuchung des Bundesdelegirten hat ergeben : Ramazina Unternehmer (Impresario), gegenwärtig in Zürich, war immer in Verscio eingetragen, hat da seine Familie uud zahlt seine Steuern, war über den ganzen Sommer 1888 in Verscio.

Leoni, seit 1. Januar Festangestellter in Bellinzona, wohnte im Juli und August 1888 in Verscio dann bis Ende des Jahres in Riva San Vitale, hat seine Familie in Verscio und zahlt dort seine Steuern.

Decarli Ant., seit acht Monaten Metzgerbursche in Muralto, hat Vater und Brüder in Verscio, ist unverheiratet, war in Muralto eingeschrieben, wurde aber auf sein Gesuch daselbst gestrichen, um in Verscio eingeschrieben zu werden, zahlt keine Steuern.

C. Betreffend die Gemeinde Borgnone.

III. Mit Eingabe vom 4. Februar 1889 verlangte beim Regierungskommissär Porta, Giuseppe, daß auf das Stimmregister der Gemeinde e i n g e t r a g e n werden: Garbani, Patrizio, wohnhaft in Italien, und Garbani, Giacomo, sein Sohn, wohnhaft in Paris.

Durch Dekret vom 10. Februar ,· vom Weibel auf die Tust gelegt am 14., laut Vormerk in die Hand des Potenten gelangt am 16., Abends, wies der Kommissär das Begehren ab, weil es ihm nicht gesetzmäßig eingereicht worden sei.

Durch Eingabe vom 19. Februar, mittelst der Post dem Staatsrathe zugekommen den 20., appellirt Porta hiegegen. Er sagt: Meine Eingabe wurde rechtzeitig von mir persönlich der Munizipalitä überbracht und eine Abschrift davon dem Kommissär ein-

1015 gehändigt ; es ist unbegreiflich, wie der Kommissär über eine so wichtige Frage in solcher Weise sich auf den formellen Standpunkt stellen konnte, während die Munizipalität von Borgnone keine Opposition erhob. Die beiden Garbani haben bis jetzt immer auf dem Stimmregister von Borgnone gestanden, zahlen da ihre Steuern, und der Sohn leistet den Militärdienst. In der nämlichen Eingabe beschwert sich Porta darüber, daß eingetragen worden seien: Maggetti, Bibbiano, seit vielen Jahren niedergelassen in Craveggio, Italien, und Rizzoli, Battista, niedergelassen in Vocogna, Italien, welche ihre Steuern nicht zahlen.

Gualzatta, Giovanni, Professor in Bellinzona, daselbst domizilirt, im Stimmregister eingetragen, zahlt daselbst seit fünf Jahren seine Steuern und hat dort auch an den Abstimmungen theilgenommen.

Es wird die Streichung dieser drei Bürger verlangt.

Die Munizipalität antwortete mit Eingabe vom 24. Februar: Garbani, Patrizio, ist dauernd niedergelassen in Re (Italia) seit sehr langer Zeit.

Garbani, Giacomo, sein Sohn, ist in Paris, zahlt seine Steuer nicht.

Maggetti, Bibbiano, und Rizzoli, Batt., beide von Borgnone, haben bisher hier gestimmt und sind in gleicher Lage wie die beiden Garbani.

Gualzatta, Giov., ist in Borgnone ständig domizilirt, wohnt nur augenblicklich in Bellinzona, während der Schulzeit.

Der Staatsrath wies den Rekurs wegen Verspätung (14.--19.

Februar) ab.

Mit Telegramm vorn 1. März besehwerte sich hierüber Porta beim Bundesrathe.

^

D. Betreffend den ganzen Wahlkreis.

IV. An der Wahl nahmen Theil Absolutes Mehr Stimmen erhielten : Simoni, doit. Geremia . .

Vaghetti, Bartolomeo . . .

Fallola, Saturnino . . . .

Maggetti, Ing., Carlo . . .

Pellanda, Luigi Gillà, Pietro . . . . . . .

548 Votanten. · 275.

296, gewählt.

292, ,, 281, ,, 255.

240.

244.

1016 Die Munizipalität von Verscio ließ die drei Bürger ihrer Gemeinde, deren Stimmrecht nach dem Obigen bestritten ist, ihre Stimmen in eine besondere Urne legen; dieselben sind in obigen Zahlen nicht mit inbegriffen.

Der B u n d e s r ath z i e h t in E r w ä g u n g : 1. Was die Kompetenz des Bundesrathes zur Entscheidung der vorliegenden Rekurse betrifft, so ist vor Allem zu beachten, daß eine Reihe von Bürgern, deren Stimmrecht hier streitig ist, schweizerische Niedergelassene sind. Nach der Bundesverfassung, Art. 102, Ziff. 2, zusammengehalten mit Art. 113, ferner nach Art. 59, Ziff. 5, des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 27.Junii 1874 ist die Entscheidung von Rekursen betreffend Rechte der Niedergelassenen, welche sich auf Art. 43 der Bundesverfassung stützen, Sache des Bundesrathes.

Der eitirte Art. 43 bestimmt in Absatz 5, daß der niedergelassene Schweizerbürger in kantonalen Angelegenheiten das Stimmrecht nach einer Niederlassung von 3 Monaten erwerbe. Da gerade dieses Stimmrecht denhierortign Streitgegenstand bildet, so ist damit die Kompetenz d e s Bundesrathes begründet. D a ß unter d e n sondern auch die im Niederlassungskanton selbstverbürgertenn zu verstehen sind, ist von den Bundesbehörden von jeher angenommen und festgehalten worden, vergleiche den Entscheid desBundesrathess betreffend die Munizipalwahlen vonLocarnoo vom 1. Mai 1887, Erwägung 1.

o 2. IQ Bezug auf die Anwendung des kantonalen Rechts bei kantonalen Wahlen ist Folgendes in Betracht zu ziehen : Den Kantonsbehörden gehört allerdings die Handhabung des kantonalen Rechts ; sie haben dasselbe auszulegen und festzustellen.

Wenn aber in einem Gebiete, dessen Schutz der Bund übernommen hat, von den kantonalen Behörden bei gleichen Verhältnissen ungleiches Recht angewendet, das einmalfestgestellte Recht nicht überall gleichmäßig gehandhabt wird, so haben die davon betroffenen Bürger laut Art. 4 der Bundesverfassung das Recht, den Schutz des Bundes anzurufen, und der Bund hat die Aufgabe, die Kantonsbehörde zur Handhabung des von ihr in gleichartigen Fällen festgestellten Rechtes zu verhalten. Es haben übrigens die Bundesbehörden auch für das kantonale Stimmrecht bindende Grundsätze aufgestellt, welche die Kantonsbehörden nicht mißachten dürfen (vergleiche Entscheid des Bundesrathes in Sachen Dürnten Bundesblatt 1876, Bd. I, p. 437).

1017 Nun wird von den ßekurrenten gerade das behauptet, daß die Gleichheit der Bürger durch die Entscheidungen der Munizipalitäten, des Regieruugskommissärs und des Staatsratlies des Kautons Tessin verletzt worden sei, und ihre Beschwerden stützen sich gerade auf Art. 4 der Bundesverfassung und Art. 5 derselben, durch welchen der Bund die verfassungsmäßigen Rechte der Burger gewährleistet.

Es ist also in der That die Aufgabe des Bundes, zu prüfen, ob die Beschwerden begründet sind oder nicht.

Und zwar fällt diese Prüfung in die Kompetenz des Bundesrathes, da laut Art. 102, Ziff. 2, der Bundesverfassung, zusammengehalten mit Art. 59, Ziff. 9, des Bundesgesetees über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 27. Juni 1874, Beschwerden gegen die Gültigkeit kantonaler Wahlen dem Entscheide des ßundesrathes unterliegen (vergleiche Entscheid betreffend Sessa, Bundesblatt 1875, Bd. IV, p. 429, bestäligt von der Bundesversammlung; betreffend Caneggio, Bundesblalt 1877, Bd. IV, p. 133, ebenfalls von der Bundesversammlung bestätigt).

3. Gegen die Behandlung dieser Angelegenheit durch den Bundesrath wendet nun aber der Staatsrath des Kantons Tessin vor Allem ein, daß von den Rekurrenten nicht alle kantonalen Instanzen durchlaufen worden seien, daß dense! beB vielmehr noch die Appellation gegen den Entscheid des Staatsrathes an den Großen Ruth offen gestanden wäre, und daß daher nach feststehender eidgenössischer Praxis die Rekurreuten angebrachter Maßen abzuweisen seien.

Es ist richtig, daß der Bundesrath erklärt hat, daß nach konstanter Praxis die in Art. 59, Ziff. 9, des Bundesgesefzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vorgesehenen Beschwerden gegen die Gültigkeit kantonaler Wahlen erst dann beim Bundesrathe angehoben werden können, wenn die zuständigen kantonalen Behörden entschieden haben. So lehnte der Bundesrath seine Intervention auf eine Beschwerde hin ab, welche dahin ging, daß die Regierung des Kantons Luzern die Kassation stattgefundeuer Richterwahlen, bei denen die Kantonsverfassung verletzt worden sei, abgewiesen hatte, gestützt darauf, daß nach § 51 der Luzerner Verfassung über diesfäilige Entscheide des Regierungsrathes die Beschwerdeführung an den Großen Rath vorbehalten ist (Bundesbl. 1878, Bd. II, p. 496), und ebenso wurde entschieden in Sachen Gruyère am 15. Dezember 1881
(vergi. Entscheid i. S. Escholzmatt, Bundesbl. 1884, II, 760 ff.).

Die hier zur Anwendung kommenden Artikel 6 und 7 des tessinischen Gesetzes über das Verfahren in nicht streitigen Verwaltungssachen vom 27. November 1863 bestimmen ausdrücklich :

1018 ,,Gegen den Entscheid des Staatsrathes können die Parteien den Rekurs an den Großen Rath ergreifen, der in seiner nächsten ordentlichen Sitzung zu entscheiden hat. Dieser Rekurs ist innerhalb der peremtorischen Frist von 15 Tagen von der Mittheilung des Entscheides der Regierung beim Regierungskommissär einzreichen, der ihn dem Staatsrat übermittelt."

Es steht fest, daß ein solcher Rekurs von den Rekurrenten nicht eingereicht worden ist.

4. Allein der Bundesrath hat im Geschäftsberichte über das Jahr 1875, welcher von der Bundesversammlung genehmigt worden ist, hinwieder grundsätzlich erklärt, die Durchlaufung aller kauto-nalen Instanzen bilde nicht für alle Fälle eineVoraussetzungg seiner Kompetenz. Er spricht sich nämlich daselbst folgendermaßen aus (Bundesbl. 1876, Bd. II, p. 258): ,,Wir müssen darauf halten, daß die höhern kantonalen Behörden nicht ohne Weiteres umgangen werden. Wo es sich um Verletzung k a n t o n a l e r Verfassungsvorschriften handelt, müssen alle kantonalen Instanzen angerufen sein und entschieden haben, bevor ein Rekurs angenommen werden kann. Wenn es sich dagegen um Verletzung der B u n d e s v e r f a s s u n g oder von Bundesgesetzen, insbesondere um klar und bestimmt aufgestellte Individual rechte der Bürger handelt, so kann zwar ohne Zweifel gegen jede Verfügung kantonaler Behörden, welche eine solche Verletzung bewirkt haben sollen, an die Bundesbehörden rekurrir werden, allein wir fördern eine solche Umgehung der kantonalen Regierungen keineswegs. In der Regel sollte zunächst bei der Kantonsregierun Beschwerde geführt werden und erst gegen eicen solchen Entscheid Rekurs an die Bundesbehörden stattfinden Im vorliegenden Falle handelt es sich in der That um eine Verletzung der Bundesverfassung.

Einige Rekurrenten haben die kantonalen Instanzen nicht ordnungsgemäß bis zur Kantonsregierung hinauf durchlaufen, uud es rechtfertigt sich, diese von vorneherein von der Hand zu weisen, da gar nichts dafür vorliegt, daß dem Betreten dieses regelrechten Weges Schwierigkeiten in den Weg gelegt worden wären. Soweit aber der Instanzenzug in der That bis zur obersten Administrativbehörde des Landes hinauf durchlaufen worden ist, würde eine solche Abweisung durchaus ungerechtfertigt erscheinen, wenn mau bedenkt, daß nach Art. 10 des Gesetzes vom 27. November 1863 der Rekurs
gegen den Enischeid des Staatsrathes die Exekution desselben weder unterbricht, noch aufhebt (non interrompono né sospendono), also nicht als ordentliches, sondern als außerordentliches

1019 Rechtsmittel erscheint, das hier gerade den von den Rekurrentea zunächst verfolgten Zweck, die Theilnahme oder den Ausschluß von den bevorstehenden Wahlen zu erzielen, verfehlt haben würde, und daß es sieh gerade um die Wahlen von Mitgliedern des Großeu Käthes handelte, welche zu der die Mehrheit desselben bildenden politischen Partei gehören.

5. Sobald man davon ausgeht, daß die Rekurrenten bis an den Staatsrath des Kantons gelangt sein müssen, bevor der Bundesrath über ihr Stimmrecht entscheiden kann, versteht es sich von selbst, daß diese Anrufung der kantonalen Behörden gemäß den Bestimmungen der kantonalen Verfassung und Gesetze und innerhalb der von diesen angesetzten Fristen erfolgt sein muß, um eine Einmischung von Bundes wegen zu rechtfertigen ; denn sonst haben ja die kantonalen Behörden mit Fug und Recht die Rekurrenten zurückgewiesen. Der vom Staatsrath gegenüber einigen Rekursen geltend gemachte formelle Abweisungsgrund (motivo d'ordino) besteht in der angeblichen Verspätung der Rekurseingabe. Es fragt sich also, ob diese Einwendung begründet sei.

6. Nun bestimmt Art. 4 des Gesetzes über die Abfassung der Stimmregister für die periodische Wahl des Großen Käthes vom 3. Dezember 1888 Folgendes: ,,Gegen dea Entscheid des Kommissärs steht innerhalb drei Tagen von der Mittheilung an die Appellation an den Staatsrath offen, welchem die Gegenparteien ihre Bemerkungen innerhalb dreier Tage einreichen können. tt Wie ist diese Appellationsfrist von drei Tagen zu berechnen ?

Das Gesetz selbst sagt hierüber lediglich in Art. 10 : ,,Die iu diesem Gesetz bestimmten Fristen sind ununterbrochene (sogenanntes tempus continuum)' 1 . Das Gesetz vom 15. Juli 1880 über die Ausübung des Aktivbürgerrechts enthält gar keine direkte Bestimmung hierüber. Dagegen sagt dasselbe in Art. 8, daß alle Fragen betreffend seine Anwendung gemäß dem Gesetze über das Administrativverfahren vom 27. November 1863 zu behandeln seien. In diesem .letzteren Gesetze spricht Art. 2 vom Rekurs an den Staatsrath, und Art. 12 lautet: ,,Die Fristen dieses Gesetzes sind tempus continuum, ohne Ausschluß der Festtage; jedoch werden in die Frist weder der Tag der Zustellung noch derjenige des Ablaufes mit eingerechnet (non computandosi però nel termine uè quello dell'intimazione né quello della scadenza}.a

1020 Danach ist also nicht nur der Tag der Zustellung der Verfügung des Kommissärs, sondern auch derjenige der Einreichung der Rekursschrift an die Munizipalität zu Händen des Staatsrathes nicht mitzurechnen. Wenn dem gegenüber in den Dekreten des Staatsrathes betont wird, daß das Gesetz ausdrücklich sage ,, i n n e r t drei Tagen" ("entro tre giorni), so kann dieser Umstand hiegegen nicht ins Gewicht fallen; denn auch das zitirt Gesetz vom 27.

November 1863 selbst, welches bestimmt, daß die Fristen in der angegebenen Weise berechnet werden sollen, bedient sich für deren Bezeichnung des nämlichen Ausdruckes (so art. l § l : entro 10 giorni; art. 2: entro giorni quindici dalla comunicazione ; art. 7: entro il perentorio termine di 15 giorni), der eben nur sögen will ,,vor Ablauf der Frist" Noch weniger gerechtfertigt aber und kaum zu begreifen ist die Argumentation der Dekrete des Staatsrathes, daß der Gesetzgeber in der F'rist von drei Tagen beide Tage, den der Insinuation des appellirten Entscheides und den der Einreichung der appellationsschrift, mit inbegriffen haben müsse, weil er, wenn er etwas Anderes gewollt hätte, das gesagt haben würde, wie in dem Gesetz von 1863; denn derStaatsrath erklärt ja selbst mit Recht, das Gesetz vom Jahre 1880 stehe noch in Kraft, und dieses verweist ja gerade auf jenes von 1863. Uebrigens wenn das nicht der Fall wäre, so dürfte daraus gewiß nicht geschlossen werden, daß nun gerade dasGegentheill gelte. Berechne!

dochauchh das schweizerischeObligationenrechtt Art. 88, das gemeine Recht Deutschlands, der Codice diProc. Civ.Ital. art. 43, wie, das Gesetz von 1863 bei Fristen den Tag der Zustellung nicht, und sagt doch das tessinischeCivilprozessgesetzz in Art. 56ausdrücklich,hdass.i in die Fristewederer der Tag der Zustellung noch derjenige des Auslaufes der Frist einzurechnen sei.

7. Eine Anzahl Rekurse sind vom Staatsrath deswegen ohne Weiteres abgewiesen worden, weil denselben das appellirt Dekret nicht beigelegt war. Nun ist klar, daß ordnungs gemäß ein solche Dekret stets der Appellationssehrift beigelegt werden sollte; allein es fragt sich, ob in der That die Unterlassung dieser Beilegung die Ungültigkeit des ganzen Rechtsmittels zur Folge haben könne, und, wenn ja, ob sie die Ungültigkeit immer zur Folge habe.

Der Staatsrath selbst beruft sich dabei
nicht Huf eine gesetz liche Bestimmung. Das Gesetz vom 3. Dezember 1888 spricht sich hierüber nicht aus; ebensowenig dasjenige vom 15. Juli 1860 und dasjenige vom 27. November 1863. Unter diesen Umstanden erscheint es als durchaus unzulässig, au jene Unterlassung eine so weit gehende Folge zu knüpfen, zumal es ja für den Staatsrath ein Leichtes gewesen wäre, sich von dem Kommissär oder der

1021 Munizipalität das Dekret zu verschaffen. Daß der Gesetzgeber das nicht gewollt hat, ergibt sich wohl auch sohon daraus, daß nach Art. 3 des Gesetzes vom 3. Dezember 1888 das Dekret des Kommissärs nur dem Petenteu und der Munizipalität mitgetheilt werden muß, dagegen eine Mittheilung an diejenigen Bürger, welche nach dem Begehren des Ersteren gestrichen worden sind und nun a n d e n S t a a t s r a t h g e l a n g e n m ü s s e n , wenn sie ihr Stimmrecht behalten wollen, gar nicht vorgeschrieben ist. Der Staatsrath scheint das auch selbst gefühlt zu haben; denn er hat keineswegs in allen Fällen einfach den Rekurs als dahingefallen erklärt, sondern ist ganz verschieden vorgegangen, hat bisweilen bei den Rekurrenten das fehlende Dekret reklamirt, bisweilen ihnen auch für dessen Einreichung eine peremtorische Frist angesetzt unter der Androhung, daß sonst der Rekurs als dahingefallen erklärt würde. Handgreiflich ungerecht aber war diese Abweisung dann, wenn der Rekurrent ausdrücklich erklärt hatte, daß er gar kein solches Dekret erhalten habe. Wenn der Staatsrath, der sieh in seinen Dekreten um dieses Vorbringen einfach nicht kümmert, es nicht glauben wollte, hatte er doch wenigstens die Pflicht, die Munizipalität zu einem Berichte hierüber aufzufordern. Indessen ereibt sich in den vorliegenden Fällen schon aus den vorhandenen Akten, daß jene Angabe der Rekurrenten in der That wahr ist; denn es sind die Briefe eingelegt worden, durch welche die Munizipalität ihnen von ihrer Streichung Kenntniß gab, und darin steht nichts von der Mittheilung einer Abschrift des Dekretes, ja es ist vielfach das geradezu Absurde vorgekommen, daß dem Bürger nicht einmal mitgetheilt wurde, warum er gestrichen worden sei.

O

O

8. Was die Frage des Domizils betrifft, so kann als solches nur derjenige Ort angesehen werden, an welchem der Bürger thatsächlich wohnt. Weder die Bundesverfassung noch die tessinischen Gesetze berechtigen zu der Ansicht, daß ein fiktives Domizil anzu nehmen sei. Diese Ansicht müßte auch zu großer Unsicherheit und unter Umständen weitläufigen Untersuchungen führen. Nur das Eine ist zuzugestehen, daß, da bei einem Wechsel des Domizils das Stimmreeht am neuen Niederlassungsorte erst nach Ablauf von drei Monaten erworben ist, der Bürger aber nicht unterdessen lediglich dieses Wechsels wegen seines Aktivbürgerrechtes beraubt sein kann, während dieser Zeit noch sein Stimmrecht am alten Domizil fortdauern muß. Dagegen ist die Ansicht zu verwerfen, daß der im Auslande befindliche Tessiner Bürger, der seinen heimatliehen Wohnsitz aufgegeben hat, noch ein politisches Domizil an seinem Heimatorte habe; im Gegentheü hat das Gesetz vom 15. Juli 1880

1022 grundsätzlich gerade im Gegensatz zum Heimatorte den Ort des Domizils für das politische Stimmrecht maßgebend erklärt.

9. Dem Professor P e d r o t t a war keine andere Mittheilung gemacht worden, als die, daß er durch Dekret des Kommissärs gestrichen worden sei. Er konnte nicht wissen, daß dies auf Be-treiben desKanzleichefss Maggetti geschehen sei, also auch diesem keine Mitteilung von seinem Rekurse machen -- ganz abgesehen von der Frage, ob, wenn ein Bürger sich fil r sein Stimmrecht wehrt, nicht eher die Behörde, die es ihm verweigert, sein Gegner ist, als derjenige, welcher die Behörde dazu veranlaßt hat und der ja als Privatmann über ein Gut des öffentlichen Rechtes fürAnderee gar nicht verfügen kann. Auch das Dekret des Kommissäs einzu-ureichen war er nicht in der Lage, da er kein solches erhalten hatte, und er hat ja auch der Wahrheit gemäß davon sofort dein Staatsrathe Kenntniß gegeben. Diesem war es ein Leichtes, das Dekret einzuziehen, wenn nicht etwa sein Kanzleichef es schon besaß.

Fügt man hinzu, daß deStaatsratth in materieller Beziehung ganz einfach auf das unbelegte Vorbringen des Gegners voPedrottatn abgestellt und die Angaben Pedrotta's keines Wortes gewürdigt hat, u n d zwar i m Gegensatz z u d e r i m Kanton Tessin m i t Bezug a u f lichen Eindruckes nicht erwehren, daß es sich in vorliegender Sache u in nichts Anderes als die schlechte Bemäntelung einer brutalen Rechtsverweigerung handelt.

10. Was nun das Materielle der Sache betrifft, so kann wohl kein Zweifel darüber herrschen, daß als das wahre Domizil Ped rottas nicht Locamo, sondern Intragna, der Ort, wo seine Familie wohnt und wohin er immer wieder zurückkehrt, sobald seine Berufsgeschäfte es gestatten, erscheint, wie ja auch die tessinischen Gerichte mit Bezug auf andere Lehrer dies wiederholt erklärt haben.

Es ist daher P e d r o t t a , Giuseppe, in Intragna e i n z u t r a g e n .

11. Was T o s e t t i , Patrizio, betrifft, so ist allerdings anzunehmen, daß die gegen seinen Ausschluß rekurrirend Munizipalität in der Lage gewesen wäre, von ihrem Rekurs dem Kanzleichef dea Staatsrathes Kenntniß zu geben und das rekurrirt Dekret einzreichen; allein die Unterlassung dieser beiden Handlungen darf um so weniger die Nichtigkeit des Rekurses herbeiführen, als der Staatsrath nir:ht etwa unter der Androhung der
Präklusion dio Munizipalität aufgefordert hat, das Dekret einzureichen, und, wie, schon in Erwägung 8 bemerkt, als der wahre Rekursbeklagte nicht Magetti, sondern der Kommissär erscheint.

1023 12. In materieller Beziehung ist wohl anzunehmen, daß Tosetti seit dem 1. Januar 1889 nicht mehr in Intragna domizilirt war, sondern in Faido. Allein da sein Domizil an letzterm Orte noch nicht 3 Monate lang gedauert hatte, konnte er dort auch noch nicht auf das 8 ti m m regist r genommen werden und hatte dasselbe daher in der That noch in Intragna auszuüben. Diese Tatsachen sind von Maggetti gar nicht in Abrede gestellt worden, und es ist daher schwer mit der von einer Landesregierung einzunehmenden unparteiischen Stellung vereinbar, daß der Staatsrath des Kantons Tessin ihr einfach das Gehör verweigerte. Tosetti ist also auf das Stimmregister von Intragna für die Wahl vom 3, März 1889 a u f zunehmen.

13. Was das Begehren von M a g g e t t i , Luigi, des Kanzleichefs des Staatarathes, betrifft, daß auch er auf das Stimmregister von Intragna gesetzt werde, so kann auf dasselbe desswegen nicht eingetreten werden, weil es nicht au denStaatsrath gerichtet worden ist, sondern Maggetti sich beim Entscheide des Regierungskommissärs beruhigt hat. Uebrigens hat nach den amtlichen übereinstimmenden Zeugnissen der Munizipalitäten von Bellinzona und Intragna dieser Regierungsangestellte demBundesdelegirten die Unwahrheit gesagt, als er schrieb, daß er a l l e seine politischen Rechte und Pflichten in Intragna erfülle und ausübe, und macht überhaupt sein Benehmen nicht den Bindruck, als ob es ihm wirklich um sein Stimmrecht inIntragnaa zu thun gewesen wäre ; denn gegenüber dem Begehren vonPedrottaa führt er dem Staatsrath aus, daß der Mann, gleich wie er selbst, nicht auf jenes Stimmregister gehöre, und dem Bundesdelegirten erklärt er, daß nach seiner Ansicht sie Beide hätten auf dasselbe genommen werden sollen; auch steht er ja auf dem Stimmregister von Bellinzona, doch wohl nicht ohne seine dortige Anmeldung, zahlt dort seine Steuern und wird doch wohl nicht an 2 Ortenauff dem Stimmregister stehen wollen.

lé. Den mit Bezug auf das Stimmregister von V e r s ciò erhobenen Rekurs hat der Staatsrath wegen Verspätung abgewiesen.

Das Dekret des Regierungskommissärs ist der Munizipalität am 15. Februar mitgetheilt worden, der Rekurs gelangte am 18. in die Hand des Staatsrathes; nach dem in Erwägung 6 Gesagten war dies rechtzeitig, und es muß daher materiell auf den Rekurs eingetreten werden.

Streitig ist diesfalls nur noch das Stimmrecht von 3 Bürgern, nämlich :

1024 1. Ramazzina Abbondio. Da er sein Domizil anerkanntermaßen in Verscio begründet hat, fragt es sieh nur, oh er dasselbe wieder aufgegeben habe. Bedenkt man nun aber, daß er seine Familie stets daselbst gelassen hat, daß er als Impresario Reisen zu machen hat, aber immer wieder nach Verscio zurückkehrt, so erscheint doch dieser Ort auch jetzt noch als das Zentrum seiner Lebensverhältnisse und er ist daher daselbst in das Stimmregister e i n z u t r a g e n .

2. L e o n i , Giuseppe. Es steht fest, daß er im Juli sein Domizil nach Verscio verlegt hat. Wenn er nachher als Diener nach Riva San Vitale gegangen ist -für die Zeit bis zum Antritt seiner Poststelle, so kann darin nicht ein Aufgehen jenes Domizils gefunden werden, da er ja seine Familie in Verseio ließ, seinen Aufenthalt in Riva San Vifale nur als einen vorübergehenden betrachtete und demgemäß auch nicht auf (las dortige Stimmregister genommen worden ist. Sollte man auch annehmen, d a ß e r seit d e m 1 . Januar 1889 i n in Verscio für die Wahl vom 3. März nicht untergangenu sein, da er nicht schon 3 Monate in Bellinzona domizilirtt war, also dort auch noch nichtstimmberechtigtt sein würde.

3. D e c a r l i , Ant. Der Umstand, daß er in Verscio seinen Vii ter und Brüder hat, genügt nicht, um sein dortiges Domizil zu konstatiren er ist daher auch richtiger Weise in Murulto eingetragen worden; es hängt aber nicht von seinem Belieben ab, sich an einem Orte streichen und am andern wieder eintragen zu lassen. Es war freilich ein Fehler, daß der Kommissär nicht der Munizipalität von Muralto Kenntniss von seiner Streichung in Verscio gegeben hat, und die bedauerliche Folge davon ist, daß er nun gar nirgends hat stimmen können; allein die rechtliche Wirkung davon kann selbstverständlich nicht sein, daß nun seine Eintragung au einem Orte angeordnet werden dürfte, an welchem er nicht als domizilirt erseheint.

15. Wenn eine Behörde einer Partei eine Verfügung durch die Post zustellt, so ist im Zweifel anzunehmen, daß die Frist zur Anfechtung der Verfügung erst vom Empfang der letztern an laufe, zumal bei einer Frist von nur 3 Tagen, da die Partei ja sonst um einen guten Theil derselben, ja sogar um die ganze Frist gebracht sein könnte. Es muß ferner der Angabe der Partei über die Zeit des Empfanges Glauben beigemessen werden, wenn nicht die Be-

1025 hörde für Konstatirung dieses Zeitpunktes gesorgt hat oder jene Angabe sonst sich als unrichtig erweist. Da das Dekret betreffend das Stimmregister von Borgnone dem Petenten laut seiner Angabe am 16. Februar durch die Post übergeben, sein Rekurs durch dieselbe am 20. Februar der Behörde zugekommen ist, so war letzterer nach dem in Erwägung 6 Gesagten nicht verspätet.

Der Kommissär hat erklärt, daß das Gesuch des Petenten ihm nicht gehörig eingereicht worden sei; er hat aber keine Thatsachen angegeben, aus denen folgen würde, daß die Einreichung nichtig und darum auf die Eingabe gar nicht einzutreten war. Es muß daher hierorts auf die Eingabe materiell eingetreten werden.

Nun erscheint aber von vornherein das Begehren um Eintragung der beiden Garbani als unbegründet, da dieselben offenbar nicht in Borgnone domizilirt sind. Aus dem nämlichen Grunde sind aber auch M a g g e t t i , Bibbiano, und R i z z o I a, Battista, auf dem Stimmregister zu s t r e i c h e n .

Dagegen hat Rekurrent keine genügenden Anhaltspunkte dafür gegeben, daß Gualzatta in Wirklichkeit nicht in Borgnone domizilirt sei.

16. Aua den Erwägungen 10, 12, 14 und 15 ergibt sich, daß 4 Bürger in diesem Wahlkreise mit Unrecht ausgeschlossen, 2 mit Unrecht aufgenommen worden sind. Bei Aufnahme der erstem und Streichung der letztern würde sich, in dem für die Aufrechthaltung des Wablresultates ungünstigsten Falle, dasselbe folgendermaßen gestaltet haben: Votanten 550 Absolutes Mehr 276 Da alle Gewählten, auch wenn man die 2 zu streichenden Stimmen bei ihnen abzieht, dieses Mehr überstiegen haben, die Gegenkandidaten aber auch mit Hinzurechnung der 4 aufzunehmenden Stimmen dasselbe nicht erreichen, so würde dadurch das Wahlresultat nicht geändert werden.

D e m n a c h hat der B u n d e s r ath beschlossen: 1. Die Rekurse betreffend das Wahlrecht einzelner Bürger des Wahlkreises werden im Sinne vorstehender Erwägungen entschieden; die getroffenen Wahlen werden aufrecht erhalten.

Bundesblatt. 43. Jahrg. Bd. III.

68

1026

2. Mittheilung an den Staatsrath des Kantons Tessin für sich und zu Händen der betheiligten Behörden und Bürger.

B e r n , den 22. Juni

1891.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident: Welti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Bingier.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesrathsbeschluss über die Rekursbeschwerden betreffend die Großrathswahlen vom 3. März 1889 im tessinischen Wahlkreise Intragna. (Vom 22. Juni 1891.)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1891

Année Anno Band

3

Volume Volume Heft

29

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

15.07.1891

Date Data Seite

1008-1026

Page Pagina Ref. No

10 015 356

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.