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Bundesrathsbeschluß über

den Rekurs des Herrn A. Spörry in Baden betreffend ein Urtheil des Obergerichtes des Kantons Aargau wegen Uebertretung der Art. 11 und 7 des Bundesgesetzes über die Arbeit in den Fabriken.

(Vom 13. April 1891.)

Der s c h w e i z e r i s c h e Bundesrath, auf den Antrag seines Industrie- und Landwirthschaftsdepartements und nach Einsicht der Akten, aus welchen sich ergibt: Den 9. April 1889 wurde Albert Spörry, Fabrikant in Baden, vom Bezirksgerichte Baden wegen Uebertretung der Art. 11 und 7 des Bundesgesetzes betreffend die Arbeit in den Fabriken zu Fr. 200 Buße und zu den Kosten verurtheilt: ,,1. weil in der Fabrik des Beklagten Tag für Tag eine Ueberschreitung des Normalarbeitstages stattfinde, indem Vor- und Nachmittags vorzeitig mit der Fabrikarbeit begonnen werde (Art. 11 des Bundesgesetzes); ,,2. weil die den Arbeitern auferlegten Bußen, entgegen der Bestimmung des Art. 7, Abs. 3, des Bundesgesetzes, nicht im Interesse der Arbeiter verwendet, sondern dem Betriebsunternehmer zugeschrieben werden."

Eine gegen dieses Urtheil beim Obergericht des Kantons Aargau erhobene Rekursbeschwerde wurde mit Entscheid vom 19. Juli gl. Js. abgewiesen und das erstinstanzliche Urtheil bestätigt.

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Ebenso ist auch das Bundesgericht, an welches sich der Rekurrent gewendet hatte, wegen Inkompetenz auf dessen Beschwerde nicht eingetreten, und wurde derselbe zu der Bezahlung der Ausfertigungsgebühren angehalten (20. Dezember 1889).

In Folge dessen gelangte Herr Spörry in einer am 13. Dez.

1890 eingegangenen Rekursschrift an den Bundesrath rnit dem Ansuchen, Ties wolle derselbe das Urtheil des Obergerichtes des Kantons Aargau vom 19. Juli 1889, sowohl was die angebliehe Ueberschreitung des Normalarbeitstages, als auch die gesetzwidrige Verwendung der Bußengelder betrifft, weil im Widerspruche stehend mit dem Sinn und Geiste des Bundesgeset/es betreffend die Arbeit in den Fabriken, aufheben".

Das antragstellende Departement hat diese Eingabe dern Regierungsrath des Kantons Aargau zur Begutachtung übermittelt, der mit Zuschrift vom 29. Januar a. c. im Wesentlichen mittheilt, daß er nach erfolgter Durchsicht der Akten und nach Einvernahme der Staatsanwaltschaft von einer eingehenden materiellen Vernehmlassnng Umgang nehme und vollständig die Auffassung des Obergerichts theile.

Das Gutachten der eidgenössischen Fabrikinspektoren vom 20. Februar a. c. schließt sich den Ausführungen des obergerichtlichen Urtheiles ebenfalls an und beantragt Abweisung des Rekurses.

Der Fabrikinspektor des III. Kreises wurde zudem beauftragt, die Betriebsverhällnisse des Etablissements Spörry zu untersuchen; derselbe erstattet darüber mit Schreiben vom 17. März a. c. einläßlich Bericht; in E r w ä g u n g : Ad i. Artikel 11 des eidgenössischen Fabrikgesetzes sagt in seinem Absatz l : ,,Die Dauer der regelmäßigen Arbeit eines Tages darf nicht mehr als 11 Stunden, an den Vorabenden von Sonn- und Festtagen nicht mehr als 10 Stunden betragen'1 etc. Wenn nun der Beschwerdeführer zur Rechtferligung seines Verhaltens bezüglich der Arbeitszeit die Betriebs Verhältnisse seiner Fabrik auseinandersetzt und die technische Nothwendigkeit der bis anhin tagtäglich in gleicher Weise praktizirten Ingangseizung der Maschinen nachzuweisen versucht, so ist dem doch entgegenzuhalten, daß kein Etablissement bekannt ist, in welchem auch nur annähernd so viel Zeit (10--15 Minuten) beansprucht 'wird, um die ganze Maschinenthätigkeit zu erstellen.

Selbst wenn die Behauptungen des Firmainhabers als richtig anerkannt werden müßten, so kann daraus gleichwohl kein Grund

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für die Notwendigkeit abgeleitet werden, Arbeiter vor Beginn der gesetzlichen Arbeitszeit zum ^Anlassen" der Maschinen zu verwenden. Sofern es sich nur um allmälige Einkehrung der Transmissionen handelt, genügt das Aufsichtspersonal, welches zu dieser Thätigkeit vor Beginn des Normalarbeitstages befugt ist, vorausgesetzt, daß nicht ganz besondere Mängel der Einrichtung bestehen.

Sind aber solche technische Mängel in Wirklichkeit vorhanden, welche das sonst in allen derartigen Etablissementen übliche Verfahren verunmöglichen, so ist es nicht nur angezeigt, sondern geradezu geboten, denselben abzuhelfen.

Es ist nun thatsächlich konstatirt worden, daß jeweilen zirka 10 Minuten vor der für den Beginn der Arbeit festgesetzten Stunde die Turbinen in Bewegung gesetzt werden und daß von da an bis zum vollständigen Heben der Fallen eine Zeitdauer von 10 Minuten nöthig ist. Rekurrent verlangt deßhalb von seinen Arbeitern, daß sie mindestens 5 Minulen vor der Zeit an ihren Plätzen sich befinden, um das suecessive Einkehren der Maschinen zu bewerkstelligen. Allerdings wird, wie aus den Akten zu ersehen ist, Niemand gebüßt, der nicht nach 6 resp. l Uhr sich an der Arbeit befindet, wohl aber werden die nicht vor der Zeit kommenden Arbeiter getadelt. Darnach werden die Arbeiter der Spinnerei A. Spörry in Baden faktisch täglich zur Ueberschreitung des Normalarbeitstages um 10--15 Minuten angehalten. Die Einrede des Rekurrenten, daß gleichsam, als Ersatz Vor- oder Nachmittags Pausen von je 15 Minuten eingeräumt werden, ist nicht stichhaltig, indem gar keine eigentlichen Pausen stattfinden, sondern den Leuten nur geslattet wird, w ä h r e n d d e r A r b e i t Erfrischungen zu sich zu nehmen.

Die Untersuchung des Fabrikinspektors hat im Weitern ergeben, daß, nachdem 10 Minuten vor l Uhr mit dem Anlassen der Turbinen begonnen worden war, 4 Minuten vor l Uhr, d. h. nach Verlauf von 6 Minuten, fast sämmtliehe Maschinen sich in Thätigkeit befanden. Es war demnach nach 6 Minuten schon genügende lebendige Kraft in der Transmission vorhanden, um die durch Einschaltung sämmtlicher Maschinen sieh bietenden Widerstände zu überwinden. Wenn also mit dem Anlassen der Turbinen erst 5 Minuten vor der Zeit begonnen würde, wie in andern Elablissementen es geschieht, so kämen die pünktlich aur Stunde die Arbeitsräume betretenden
Arbeiter früh genug, um, der Entfernung ihrer Arbeitsplätze vom Fabrikeingang entsprechend, die ihnen zur Bedienung zugewiesenen Maschinen suecessive einzukehren.

Was die Interpretirung des Rekurrenten betrifft, als sei die Betheiligung seiner Arbeiter bei der täglichen Ingangsetzung der

202 Maschinen eine Hulfsarbeit, so kann dies nur zugegeben werden, sofern es sich um die Thäligkeit des Turbinenwärters oder allenfalls auch des Aufsichtspersonals handelt; jede weitere Ausdehnung des Begriffes fällt jedoch dahin. Das ,,Anlassen" der Maschinen fällt gewiß unter den Begriff Arbeit im Sinne des Gesetzes; die Ingangsetzung jeuer bedingt die Anwesenheit der Arbeiter, und es bildet somit der Beginn dieser ihrer Thätigkeit zugleich auch den Anfang ihres Arbeitstages. Dieser Anschauung entspricht vollkommen das obergerichtliche Urtheil. Demnach steht außer Zweifel, daß sich Rekurrent einer Uebertretung des Art. 11 des Fabrikgesetzes schuldig gemacht hat.

Ad 2. Was die ungesetzliche Verwendung der Bußengelder betrifft, wegen welcher der Beschwerdeführer bestraft wurde, so glaubt derselbe, daß er zur Erhebung einer Geldstrafe wegen Verspätung, unentschuldigten Weggehens oder Wegbleibens von der Arbeit berechtigt sei, und dali dieselbe nicht als eigentliche Buße aufgefaßt werden könne, sondern als ein Schadenersatz Seitens des Arbeiters zu Gunsten des Arbeitgebers im Sinne von § 12 seiner von der Regierung des Kantons Aargau genehmigten Fabrikordnuug.

Vor Allem aus ist hier genau zwischen Buße und Lohnabzug oder Entschädigung zu unterscheiden.

Art. 7 des Fabrikgesetzes bestimmt in Abs. 2, 3 und 4: ,,Wenn in einer Fabrikordnung Bußen angedroht werden, so dürfen dieselben die Hälfte des Taglohnes des Gebauten nicht übersteigen.

,,Die verhängten Bußen sind im Interesse der Arbeiter, namentlich für Unterstüt/.ungskassen, zu verwenden.

,,Lohnabzüge für mangelhafte Arbeit oder verdorbene Stoffe fallen nicht unter den Begriff ,,Bußen"1.a Gemäß § 10 der Fabrikordnung des Etablissements A. Spörry selbst sind die vom Rekurrenten erhobenen Geldstrafen, wie überall, als Ordnungs b u ß e n zu betrachten; solche sind nach dem Gesetze im Interesse der Arbeiter und nicht in demjenigen des Arbeitgebers zu verwenden. Nach den Darlegungen des Rekurrenten müßten fast alle Bußen als Entschädigung in die Kasse des Arbeitgehers fallen, was offenbar nicht die Absicht des Gesetzes ist. Für die Bußen zieht dasselbe bestimmte Grenzen, innerhalb welcher sie der Arbeitgeber beliebig diktiren kann. Dem Begriff ,,Entschädigung" aber entspricht es, daß entsprechende Abzüge widerrechtlich in Frage gestellt und dem Entscheid des Richters unterbreitet werden können.

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Sofern nun also der Beschwerdeführer die für die ersterwähnten Vergehen erhobenen Bußen in seinem Interesse verwendet, umgeht er nicht nur die fui- sein Etablissement aufgestellte und von der kantonalen Behörde genehmigte Fabrikordoung, sondern seine Handlungsweise widerspricht auch Art. 7, AI. 3, des Fabrikgesetzes.

Demnach ist kein Grund vorhanden, den Rechtsspruch der kantonalen richterlichen Behörden aufzuheben ; beschließt: 1. Der Rekurs des Herrn A. Spörry, Fabrikant in Baden, wird abgewiesen.

2. Von diesem Beschlüsse ist dem Rekurrenten unter Zustellung der von ihm erbrachten Akten, sowie dein Regierungsrathe des Kantons Aargau zu Händen des Obergerichts, Kenntniß zu geben.

B e r n , den 13. April 1891.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u u d e s p r ä s i d e n t :

Welti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bundesrathsbeschluß über den Rekurs des Herrn A. Spörry in Baden betreffend ein Urtheil des Obergerichtes des Kantons Aargau wegen Uebertretung der Art. 11 und 7 des Bundesgesetzes über die Arbeit in den Fabriken. (Vom 13. April 1891.)

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