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Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung betreffend das Begnadigungsgesuch des Siegfried Schärli, Postaspirant, von Zell (Luzern).

(Vom 26. März 1891.)

Tit.

S i e g f r i e d S c h ä r l i von, Zell (Kanton Luzern), Postaspirant, geb. 1863, hat sich nach seinem eigenen Geständniß und nach Inhalt der Akten von Ende Februar 1890 bis Ende April 1890 der fortgesetzten Unterschlagung von Werthpaketen und Werthbriefen, welche ihm in seiner Eigenschaft als Postbeamter zur Besorgung anvertraut waren, schuldig gemacht. Die frühem Entfremdungen wurden jeweils durch die nachfolgenden Unterschlagungen wieder gedeckt, schließlich blieb aber ein ungedeckter Betrag von Fr. 2138.

Schärli machte sich am 20. April 1890 flüchtig und wurde auf steckbriefliche Verfolgung am 24. April in Messina verhaftet und am 8. August nach Luzern eingeliefert. Bei seiner Verhaftung fand sich noch eine Baarschaft von Fr. 915. 30 bei ihm vor. Der Rest des Schadens muß durch den schweizerischen Bürgschaftsverein vergütet werden.

Gemäß unserm Beschluß vom 2. September 1890 wurde die Untersuchung und Beurtheilung der oben erwähnten Vergehen, nach Anleitung des Art. 74 des Bundesstrafrechts, den Gerichten des Kantons Luzern übertragen. Das Kriminalgericht von Luzern verurtheilte laut Urtheil vom 20, Oktober 1890 den Siegfried Schärli wegen fortgesetzter Unterschlagung in seiner Eigenschaft

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als Postbeamter, in Anwendung des Art. 54 des Bundesstrafrechts, zu einem Jahr Gefängniß, wovon 2 Monate ausgestandener Haft in Abzug kommen, zur Amtsentsetzung, zum Verluste des Aktivbürgerrechts auf 4 Jahre und des Rechtes zur Bekleidung eines öffentlichen Amtes oder einer Anstellung auf die gleiche Zeitdauer, zum Schadenersatz -und zur Tragung der Kosten.

Nach einer Notiz auf der Urtheilsausfertigung gelangte das ürtheil mit dem 23. Oktober 1890 zur Vollziehung.

Mittelst Eingabe an das eidgenössische Justizdepartement, datirt: Luzern, Centralgefängniß, Ende Februar 1891, reicht Schärli ein Begnadigungsgesuch ein und führt zur Begründung, desselben im Wesentlichen Folgendes an : ,,Eine Reihe von Mißverhältnissen, Krankheiten, getäuschten Hoffnungen, die äußerste Noth haben ihn zu dem tief bereuten Schritte verleitet. Ein Bittgesuch an die Postdirektion, ihm seine Lage zu verbessern, namentlich einen ihm infolge Krankheit erlittenen Ausfall an seiner Besoldung im Betrage von Fr. 150, einigermaßen zu ersetzen, sei abweisend beschieden worden. Der Eingebung eines leichtsinnigen Augenblickes folgend, habe er der Noth durch Aneignung fremder Gelder ein momentanes Ende zu machen gesucht, einmal den ersten Schritt gethan, haben ihn die Verhältnisse gezwungen, um die unterschlagenen Gegenstände wieder zu decken, den betretenen Weg zu verfolgen.

,,Obschon er bei seiner Verhaftung sofort ein umfassendes Geständniß abgelegt, habe er drei volle Monate in dem dumpfen, ekelhaften Thurmgefängniß voll Ungeziefer, in Gesellschaft von rohen Verbrechern, der Auslieferung harren müssen; auf schonungslose Weise, mit zugeschraubten Handeisen und Ketten, sei er in die Heimat transportirt worden. Das Gericht habe nur einen Abzug von zwei Monaten Untersuchungshaft gestattet, während er volle sechs Monate in Untersuchungshaft gestanden, und der Gemüth und Gesun'dheit ruinirende Aufenthalt im Thurmgefängniß zu Messina und der Transport müsse an sich schon als eine schwere Strafe betrachtet werden. Nach luzernischer Vorschrift müsse er seine Strafe in Einzelhaft aushalten; diese Strafart schädige seine Gesundheit, abgesehen von der krankhaften Nervosität, die sich bis jetzt in heftigen Zitteranfällen des ganzen Körpers äußere. Er sei bisher gut beleumdet gewesen, und es sei sein fester Wille, nun wieder auf ehrliche Weise sein Brod zu verdienen. tt Nach unserer Ansieht liegen keine zureichenden Gründe vor, um das Strafurtheil im Wege der Gnade abzuändern.

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Mit Rücksicht auf den Charakter des Vergehens, die Fortsetzung desselben, den verhältnismäßig hohen Betrag der unterschlagenen Gelder und die eingetretene Schädigung muß das Urtheil als ein mildes betrachtet werden, und es sind die vom Petenten angeführten Momente und Milderungsgründe bereits vom urtheilenden Gerichte in ausreichendem Maße 'gewürdigt worden.

Nach luzernischem Strafgesetz (§ 219) würde das gleiche Vergehen im Minimum mit 2 Jahren Zuchthaus bestraft.

Bezüglich des Haftabzuges sagt der Richter mit Recht, daß der Beklagte durch seine Flucht die Folgen des Auslieferungsbegehrens und die lange Haft selbst verschuldet habe.

Wenn durch die Art des Strafvollzuges die Gesundheit des Petenten wirklich geschädigt wird, so ist es Sache der luzernischen Straf behörden, Abhülfe zu schaffen und durch Strafumwandlung oder andere geeignete Mittel die nöthige Vorsorge zu treffen.

Wir beantragen, auf das vorliegende Begnadigungsgesuch nicht einzutreten.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 26. März 1891.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Welti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Eingier.

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Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung über die eidgenössische Gewährleistung der Partialrevision der Verfassung des Kantons Tessin vom 9. Februar 1891.

(Vom 31. März 1891.)

Tit.

Mit Schreiben vom 23. März 1891 hat uns der Staatsrath des Kantons Tessin das vom Verfassungsrathe dieses Kantons am 9. Februar angenommene Dekret betreffend Revision einiger Bestimmungen der Kantonsverfassung unter Einbegleitung des kantonalen Amtsblattes vom 13. März übermittelt, aus welch letzterm hervorgeht, daß das neue Verfassungsdekret in der Volksabstimmung vom 8. März mit 11,291 gegen 10,764 Stimmen, also mit einer Mehrheit von 527 Stimmen, angenommen worden ist.

Der Staatsrath unterbreitet in Gemäßheit von Art. 5 der Uebergangsbestimmungen das Dekret dem Bundesrathe, damit dasselbe in der nächsten außerordentlichen Session der eidgenössischen Kammern diesen vorgelegt werden könne, zum Behuf der Erlangung der eidgenössischen Gewährleistung, und er erklärt eine möglichst rasche Erledigung der Sache deßhalb für nothwendig, weil auf 1. Januar 1892 die Bestimmung betreffend die Erneuerung der Gemeindebehörden mit Anwendung des Proportionalwahlsystems in Kraft treten solle, vorher aber der Große Rath noch ein Ausführungsgesetz ausarbeiten müsse.

Demzufolge haben wir uns beeilt, die verfassungsrechtlichen Neuerungen, welche das vorliegende Dekret enthält, auf ihre Ueber-

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Botschaft des Bundesrathes an die Bundesversammlung betreffend das Begnadigungsgesuch des Siegfried Schärli, Postaspirant, von Zell (Luzern). (Vom 26. März 1891.)

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1891

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08.04.1891

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862-865

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