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Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend das Begnadigungsgesuch des Georg Hösli von Haslen (Glarus).

(Vom27. November 1891.)

Tit.

Arn 29. Juli 1891 wurde während der Mittagsstunde auf der N. 0. B.-Station Dätlwyl (Linie Lenzburg-Wettingen) unter Leitung des Stationsvorstand - Stellvertreters G e o r g H ö s l i von Haslen, Kantons Glarus, geb. 1871, damals auf der Güterexpedition in Zürich beschäftigt, manövrirt.

Dabei geriethen zwei mit 16 Stück Langholz beladene bremslose Wagen in's Rollen und fuhren unaufhaltsam in der Richtung gegen Baden davon. In Baden konnten die entlaufenen Fahrzeuge nicht aufgehalten werden, dagegen gelang es der Sehneiligkeit eines Weichenwärters auf der Station Wettingen, dieselben von dem Hauptgeleise, auf welchem eine Reihe von Personenwagen sich befand, auf das Nebengeleise zu lenken. Daselbst stand eine Reihe von Güterwagen. Der Anprall war ein äußerst heftiger. Das Laqgholz durchbohrte den ersten und zweiten Wagen und zertrümmerte dieselben. Die Stirnwand des dritten Wagens wurde eingedrückt und die Waaren, welche iu dem Wagen sich befanden, wurden arg beschädigt.

Gemäß Art. 74 des Bundesstrafrechts übertrug der Bundesrath am 17. September 1891 die Untersuchung und Beurtheilung dieser Angelegenheit den Gerichten des Kantons Aargau, und am 3. November a. c. wurde daraufhin der Fall vor dem Bezirksgericht Baden verhandelt.

532 Das Gericht nahm an, es sei der Unfall eine Folge der Unvorsichtigkeit des Stationsvorstand-Stellvertreters Hösli, und verurtheilte denselben nach Anleitung des Art. 67, lit. b, des Bundesstrafrechts : 1. Zu einer Gefangenschaftsstrafe von zwei Tageu und einer Geldbuße von Fr. 40, eventuell weiteren 8 Tagen Gefängniß.

2. Grundsätzlich zur Entschädigung an die Geschädigten.

3. Zu einer Spruchgebühr von Fr. 12 und den sämmtlichen Untersuchungskosten.

Die Rekursfrist ist am 26. November 1891 zu Ende gegangen..

Dieselbe ist von keiner Seite benutzt worden.

Dagegen hat Hösli beim Bundosrath ein Begnadigungsgesuch eingereicht, in welchem er um Erlaß der Gefängnißstraf'e bittet.

Zur Unterstützung seines Gesuches bringt er an, daß er wegen des Unfalles vom 29. Juli von der Direktion der N. 0. B. entlassen worden und hierauf während drei Monaten arbeitslos gewesen sei, sowie daß die ihm zur Last gelegte Unvorsichtigkeit in dem Mangel an der nöthigen Zeit ihren Grund gehabt habe.

Die Regierung des Kantons Aargau, welche zur Vernehmlassung über das von Hösli eingereichte Begnadigungsgesuch eingeladen wurde, ist der Ansicht, der Fall sei seitens des Bezirksgerichtes sehr milde beurtheilt worden und es würde sich angesichts der wichtigen Interessen, die in Frage kommen, kaum rechtfertigen, eine weitere Milderung eintreten zu lassen. Es seien die Milderungsgründe, welche in den persönlichea Verhältnissen des Bestraften und in dessen Verhalten liegen, im Urtheil bereits genügend berücksichtigt worden.

Wir theilen diese Ansicht.

Die Behauptung des Hösli, es habe ihm zur Ausführung desbetreffenden Manövers die nöthige Zeit gefehlt, ist unstichhaltig.

Die beiden Langholzwagea entliefen von Dättwyl ungefähr um l Uhr Mittags. Der nächste Zug, in Rücksicht auf welchen das Manöver ausgeführt wurde, war der zwischen Wettingen und SuhrAarau kursirende Güterzug Nr. 576. Dieser traf erst um l Uhr 55 Minuten in Dättwyl ein. Hösli hatte also ungefähr eine Stundefür die Ausführung des nothwendigen Manövers zur Verfügung.

Der Umstand, daß Hösli von der Direktion der N. 0. B. entlassen worden, ist an sich bei der strafrechtlichen Beurtheilung der Angelegenheit nicht in Berücksichtigung zu ziehen, allein trotzdem hat das Bezirksgericht von Baden demselben bei Ausmessung der Strafe bereits als Milderungsgrund Rechnung getragen.

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Die Fahrlässigkeit des Hösli war nicht eine leichte.

Artikel 19 der Vorschriften über den Rangirdienst auf den schweizerischen Normalbahnen vom 1. Januar 1091 schreibt ausdrücklich vor, daß auf Stationen, welche im Gefalle oder unmittelbar an einem solchen liegen, beim Verschieben der Wagen mit größter Vorsicht verfahren werden soll. Ueberdies sollen an solchen Stellen stets geeignete Hemmschuhe oder Unterschlaghölzer bereit liegen, um die Wagen nöthigenfalls sofort unterschlagen und stellen zu können.

Hösli hat nicht nur unterlassen, die Hemmschuhe herbeizuschaffen, respektive herbeischaffen zu lassen, sondern er ließ sogar die Wagen über das Planum der Station in's Gefalle bringen, trotzdem ihm von einem Arbeiter gesagt worden war, bis zu welcher Stelle die Wagen ohne Gefahr gestoßen werden dürften.

Daß durch das Verhalten des Hösli eine erhebliche Gefahr für den Eisenbahnbetrieb herbeigeführt worden ist, beweisen die Folgen seiner Handlung genügend.

Die Strafmilderungsgnlnde, welche allfällig geltend gemacht werden könnten, sind vom urtheilenden Gerichte ausreichend berücksichtigt worden, so daß es nicht am Platze erscheint, dem Hösli die minime Freiheitsstrafe und Buße noch auf dem Gnadenwege zu erlassen.

Wir stellen daher den Antrag auf Abweisung dieses Begnadigungsgesuches.

Genehmigen Sie, Tit, die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

B e r n , den 27. November

1891.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Welti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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Botschaft des Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend das Begnadigungsgesuch des Georg Hösli von Haslen (Glarus). (Vom 27. November 1891.)

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