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Bundesraths beschl uss über

den Rekurs des K. Jost, Bäcker im Bruchenbühl (Bern) betreffend Wirtschaftspatentverweigerung.

(Vorn 6. Juni 1891.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s rat h hat in Sachen des Rekurses von Karl Jost, Bäcker und Negotiant im Bruchenbühl, Gemeinde Buchholterberg (Bern), gegen den Entscheid der Regierung des Kantons Bern vom 24. Dezember 1890, betreffend Verweigerung eines Wirthschaftpatentes auf den Bericht und Antrag des Justiz- und Polizeidepartementes und nach Feststellung folgender aktenmäßiger Verhältnisse: I.

Am 3. Mai 1890 wies die bernische Direktion des Innern ein Gesuch des Rekurrenten Karl Jost Backer und Negotiant im Bruchenbühl, um Ertheilung eines Wirthschaftspatentes ab, weil die projektirte Wirthschaft blos 75 m. vom Schulhause entfernt gewesen wäre und die für die Wirthschaft bestimmte Räumlichkeit in Bezug auf ihre Höhe den Vorschriften des bernischen Wirthschaftsgesetzes vom 4. Mai 1879 und der dazu gehörigen Vollziehungsverordnung nicht entsprochen hätte. Nachdem der Gesuchsteller durch bauliche Veränderungen die Höhe des Lokales auf 2,37 bis 2,40 m., d. h. annähernd auf die vorgeschriebene Minimalhöhe von 2 m. 40 cm. gebracht hatte, erhielt er auf ein am 9. September 1890 eingereichtes Gesuch von der gleichen Behörde wiederum einen abschlägigen Bescheid. Die Direktion des

535 Innern stützte denselben, indem sie den Bericht des Regierungsstatthalters von Thun ihren Erwägungen zu Grunde legte, a u f die zu gross Nähe des S c h u l h a u s e s und die Schwierigk e i t der p o l i z e i l i c h e n A u f s i c h t ü b e r d i e z u e r r i c h tende Wirthschaft.

Karl Jost rekurrirte gegen diesen Entscheid an den Regierungsrath des Kantons Bern, welcher indessen unterm 24. Dezember 1890 die Schlußnahme der Direktion des Innern bestätigte und die von dieser aufgestellten Motive guthieß. Außerdem zog der Regierungsrath noch in Betracht: ,,Daß zwar die vom Getneinderathe von Buchholterberg gegen die Ertheilung des Wirthschaftspatentes geltend gemachten Gründe des öffentlichen Wohles nach dem Urtheile des Bundesgerichtes vom 12. April 1889 im Falle Niederhäusern zu Steffisburg auf Grund des gegenwärtigen Wirthschaftsgesetzes nicht geltend gemacht werden können ; ,,daß es jedoch angezeigt erscheine, an den übrigen Bestimmungen des Gesetzes hinsichtlich der an eine Wirthschaft zu stellenden Forderungen festzuhalten, um die Gemeindebehörden in ihrem Streben nach Verhinderung solcher neuer Wirtschafte a, welche voraussichtlich schädlich wirken würden, wenigstens so weit zu unterstützen, als es nach den geltenden Gesetzesvorschriften möglich ist."

Mit Eingabe vom 10. März 1891 richtete Namens des Karl Jost.Herr Fürsprecher Ritschard in Thun an den Bundesrath einen Rekurs mit dem Antrage, es sei der angefochtene Entscheid des Regierungsrathes des Kantons Bern vom 24. Dezember 1890 ,,als dem verfassungs- und staatsrechtlichen Grundsatze der gleichmäßigen Behandlung zuwiderlaufend" aufzuheben und ungültig zu erklären.

n.

In seiner Eingabe führt der Rekurrent an, es stütze sieh die abweisende Verfügung des bernischen Regierungsrathes ,,hauptsächlich" auf das Argument, ,,daß laut eingeholtem Bericht des Gemeinderathes von Buchholterberg und des Regierungsstatthalteramtes Thon die polizeiliche Aufsicht über eine Wirthschaft im Bruchenbühl wegen der großen Entfernung des l bis 1 1/2 Stunden weit liegenden nächsten Landjägerpostens eine schwierige und mangelhafte wäre". Dieser Begründung sueht der Rekurrent irn Wesentlichen in folgender Weise zu begegnen : Wohl bestimmt das bernische Wirtschaftsgesetz vom Jahre 1879, öffentliche Wirtschaften müßten leicht zugänglich sein..

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Allein damit gibt das Gesetz keineswegs gegründeten Anlaß, beim Vorhandensein aller sonstigen gesetzlichen Bedingungen aus der größeren oder geringeren Entfernung vom nächsten Landjägerposten einen Grund für die Verweigerung des Wirthschaftspatentes abzuleiten. Zweck der angeführten Gesetzesbestimmung ist vielmehr, eine polizeiliche Kontrole dadurch zu erleichtern, daß verlangt wird, das Haus und die Wirthschaftslokalitäten selbst müssen leicht zugänglich sein.

Die Ortschaft Bruchenbühl, ziemlich im Centrum der Gemeinde Buchholterberg und an einer öffentlichen, stark frequentirten Landstraße gelegen, bildet für sich eine besondere Schulgemeinde mit eigenem Schulhaus. Das Haus des Rekurrenten ist keineswegs in isolirter Lage. An der Landstraße befindlich, kann es von dem auf dem Posten Schwarzenegg stationirten Landjäger, der auf seinen Touren öfters beim Bruchenbühl vorbeikommt, leicht kontrolirt werden. Es befinden sich in der Nähe mehrere andere Gebäude und in einiger Entfernung das Schulhaus. Die Gegend wird des Sommers von Kurgästen und Passanten von der Falkenfluh und dem Schlegelwegbad häufig besucht ; im Winter wird die Straße von Holzfuhrleuten viel befahren.

Die Eintheilung der Landjägerbezirke ist eine reine Verwaltungsaugelegenheit der kantonalen Polizeibehörden; es kann und soll dieselbe nicht maßgebend sein für die Frage, ob eine Wirthsehaft betrieben werden dürfe oder nicht.

Die Entfernung der vom Rekurrenten projektirten Wirthschaft im Bruchenbühl vom Landjägerposten in Schwarzenegg mag 5/4 Stunden betragen; allein sowohl im Amtsbezirke Thun als auch in anderen Landesgegenden bestehen viele Wirthschaften, welche noch bedeutend weiter vom nächsten Landjägerposten entfernt sind.

Jedem Schweizerbürger steht das verfassungsmäßig garantirle Recht der gleichmäßigen bürgerlichen Behandlung zu. Mit diesem Grundsatze steht aber der angefochtene Entscheid des bernischen Regierungsrathes vom 24. Dezember 1890 im Widerspruch. Die ungleichmäßige Behandlung findet der Rekurrent in dem Umstände, daß ihm wegen allzu großer Entfernung seiner Wirthschaft vom nächsten Landjägerposten die Bewilligung zur Ausübung des Wirthschaftsgewerbes durch die bernischen Behörden verweigert wird, während an anderen Orten und zum Theil in nächster Nähe Wirthschaftspatente ertheilt wurden und thatsächlich auch
Wirthschaften bestehen, welche mit Bezug auf leichtere und bequemere Führung der polizeilichen Aufsicht wegen großer Entfernung ganz bedeutend ungünstigere Verhältnisse aufweisen, als dies beim Rekurrenten der Fall ist.

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III.

Der Regierungsrath des Kantons Bern betont in seiner Antwort vom 15. April 1891, daß die beträchtliche Entfernung des Polizeipostens von der Wirthschaft und die damit verbundene Schwierigkeit der polizeilichen Aufsieht nicht das einzige Motiv für die Verweigerung des Wirthschaftspatente gewesen sei. Die Verweigerung sei ebensowohl wegen der allzu großen Nähe des Schulhauses erfolgt.

Den Vorwurf der ungleichen Behandlung der Bürger weist der Regierungsrath trotz der vom Rekurrenten aufgestellten Vergleichung mit anderen ebenfalls mehr oder weniger abgelegenen Wirthschaften des Oberlandes zurück. ,,Denn der Behörde, welche über die Wirthschaftspatentgesuche zu entscheiden hat, muß vorbehalten bleiben, in jedem einzelnen Falle zu prüfen, in welchem Maße mit der Lage des betreffenden Lokals auch der Nachtheil einer ungenügenden polizeilichen Aufsicht verbunden sei. Dieser Nachtheil bemißt sich nicht einzig nach der Entfernung, sondern oft noch mehr nach anderen sozialen und Verkehrsverhältnissen.

Gerade in Bezug auf die vom Beschwerdeführer beabsichtigte Wirthschaft wäre in ihrer abgelegenen Lage der Mangel einer polizeilichen Aufsicht für die Führung derselben und für die zunächst liegende Bevölkerung von Nachtheil gewesen" ; in Erwägung: 1. Unzweifelhaft ist das bernische Wirthschaftsgesetz vom 4. Mai 1879 insoweit rechtskräftig, als seine Bestimmungen weder dem Art. 31 der Bundesverfassung vom Jahre 1874, unter dessen Herrschaft das Gesetz erlassen worden ist, noch dem Art. 31 in der Fassung, welche er durch die Revision von 1885 erhalten hat.

widersprechen.

2. § 5 des erwähnten bernischen Gesetzes schreibt nun unter Ander vor, daß die zu Wirthschaften ausersehenen Lokale "eine zweckmäßige, gesunde u n d v o n d e r Polizei l e i c h t z u b e aufsichtigend L a g e " haben sollen und daß sie insbesondere sich nicht ,,in s t ö r e n d e r Nähe" einer Kirche, eines S c h u l h a u s es, eines Spitale oder ähnlicher Anstalten befinden dürfen.

Schon vor der Revision des Art. 31 der Bundesverfassung war d e n Kantonen gestattet, i m öffentlichen Interesse die Erlaubniss polizeilichen Beaufsichtigung, ihre Lage etc. z u knüpfen.

Bandesblatt. 43. Jahrg. Bd. V.

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538 ist somit die erwähnte Bestimmung des bernischen Wirthschaftsgesetzes in einer der Bundesverfassung von 1874 entsprechenden Weise erlassen worden und stets rechtsgültig und anwendbar gewesen. Die Revision des Art. 31 der Bundesverfassung im Jahre 1885 aber hat in dieser Richtung keine Veränderung bewirkt, welche die Befugnisse der Kantone vermindert hätte, woraus folgt, daß auch gegenwärtig die Behörden des Kantons Bern sich mit Recht auf dieselbe berufen können.

3. Im vorliegenden Falle erseheint das aus der geringen Entfernung der projektirten Wirthschaft von dem Schulhause abgeleitete Motiv zur Verweigerung der Patenterteilung nicht zutreffend zu sein. Denn bei einer Entfernung von 75 m. wird der Betrieb einer Wirthschaft in der Kegel für den Schulunterricht nicht ^störend" sein.

Mit um so mehr Recht beruft sich dagegen die bernische Regierung darauf, es könne bei der in Frage stehenden Wirthschaft die erforderliche Polizeiaufsicht nicht in gehöriger Weise gehandhabt werden.

Wenn der Rekurrent gegen dieses Motiv einwendet, die Feststeliuug der Landjägerbezirke könne, da dieselbe eine Verwaltungsangelegenheit der Polizeibehörden sei, für die Ertheiluog von Wirtlischaftspatenten nicht maßgebend sein, so könnte diesem Einwand dann ein gewisser Werth beigemessen werden, wenn derselbe mit dem Nachweise verbunden wäre, daß die bestehenden Landjägerbezirke unzweckmäßig eingetheilt seien und daß bei zweckmäßiger Eintheilung die polizeiliche Aufsicht über die Wirthschaft des Rekurrenten in gehöriger Weise ausgeübt werden könnte. Die Gesichtspunkte für eine richtige Feststellung der Landjägerbezirke können nicht vom einzelnen Falle ausgehen, sondern sie sind und müssen naturgemäß allgemeine, umfassende sein. Offenbar kann auch aus dem Rechte des Einzelnen auf Gewerbefreiheit für den Staat nicht die Verpflichtung abgeleitet werden, seine polizeilichen Einrichtungen dem einzelnen Falle anzupassen.

Mit Recht erklärt ferner die bernische Regierung, es sei der Nachweis ungleicher Behandlung damit keineswegs geleistet, daß verschiedene Fälle namhaft gemacht werden, in welchen die Entfernung einer Wirthschaft vom Polizeiposten ebenso groß oder noch größer sei als im Falle des Rekurrenten. Denn die Entfernung einer Wirthsehaft vom Polizeiposten bildet für die Würdigung der Frage, ob die erforderliche
polizeiliche Aufsicht möglich sei, nicht den einzig maßgebenden Faktor.

Im Falle des Eekurrenten ist zu berücksichtigen, daß seine Wirthschaft, wie aus den Anbringen der bernischen Regierung

539 hervorgeht, sich in einer abgelegenen Gegend befinden würde. In unmittelbarer Umgebung der Wirthschaft gibt es nur einige wenige Häuser, darunter das Schulhaus. Die zu diesem gehörige Schulgemeinde Brucheobühl liegt nicht in unmittelbarer Nähe des Schulhauses und bildet nicht eine Ortschaft, ein Dorf im eigentlichen Sinne des Wortes. Sie besteht vielmehr aus .weit umher zerstreuten Häusern und Gehöften. Dadurch würde im Falle der Patenterteilung einerseits die bei dichterer Bevölkerung durch das Publikum selbst schon geübte Kontrole nicht möglich sein und es müßte somit die Kontrole durch die Polizei um so genauer und strenger ausgeübt werden; anderseits legt gerade der Umstand, daß sich in der Nähe ein Schulhaus befindet, wo aus weiten Entfernungen die schulpflichtigen Kinder zusammenkommen, die Gefahr nahe, daß dieselben entgegen dem bestimmten und sehr gerechtfertigten Verbot des § 20 des bernischen Wirthschaftsgesetzes zum Wirthshausbesuch verleitet würden.

Es leuchtet ein, daß diese besonderen Verumständungen auch die Ansprüche an die polizeiliche Aufsicht erhöhen würden. Die weite Entfernung des Landjägerpostens vom Wirthshause würde dadurch als Uebelstand schwerer empfunden. Namentlich des Winters ist eine hinreichende Aufsicht unter solchen Verhältnissen nicht denkbar. Die Erwägung des bernischen Regierungsrathes erscheint daher als gerechtfertigt, beschlossen: 1. Der Rekurs wird als unbegründet abgewiesen.

2. Dieser Beschluß ist der hohen Regierung des Kantons Bern, sowie dem Herrn Fürsprecher Ritschard in Thun zu Händen des Rekurrenten schriftlich rnitzutheilen.

B e r n , den 6. Juni 1891.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B und es p r ä s i d e n t :

Welti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesrathsbeschluss über den Rekurs des K. Jost, Bäcker im Bruchenbühl (Bern) betreffend Wirtschaftspatentverweigerung. (Vom 6. Juni 1891.)

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02.12.1891

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