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Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung betreffend Konzession einer Eisenbahn von Interlaken nach Brienz (Brienzerseebahn).

(Vom 24. Dezember 1891.)

Tit.

Mit Eingabe vom 9. Juli 1890 stellten die Herren Oberst D e s g o u t t e s und E. P u m p i n , in Bern, ersterer als Präsident des Verwaltungsrathes und letzterer als Betriebsunternehmer der Bödelibahn, zu deren Händen das Konzessionsgesuch für den Bau und Betrieb einer meterspurigen B r i e n z e r s e e b a h n , welches sie begründen, wie folgt: Die Einmündung der Berner Oberland bahnen an der Station Zollhaus der Bödelibahn und die Erstellung der linksufrigen Thunerseebahn hätten die Dampfschifffahrtsgesellschaft auf dem Thunerund Brienzersee veranlaßt, der Bödelibahn den seit 1874 bestehenden Verkehrsvertrag zu kündigen, um wieder, wie vordem, mit den Schiffen des Brienzersee's im Zollhaus landen zu können. Dadurch werde in erster Linie die Ortschaft Bönigen in ihren Verkehrsverhältnissen schwer geschädigt, in zweiter Linie habe die Strecke Zollhaus-Bönigen der Bödelibahn nur noch untergeordnete Bedeutung und endlich sei die Strecke Interlaken-Zollhaus bloß mehr als Verbindungsbahn zweier Bahnhöfe ein und desselben Ortes zu betrachten.

Diese Umstände hätten die Petenten veranlaßt, die Konzession für eine Schmalspurbahn längs dem linken Ufer des Brienzersee's nachzusuchen, mit gleichzeitigem Umbau der Bödelibahn von Inter-

858 laken bis Bönigen in Meterspurweite. Dadurch werde Interlaken, das bereits durch die normalspurige Thunerseebahn in direkte Verbindung mit dem europäischen Eisenbahnnetz gelange, auch der natürliche Mittelpunkt eines ganzen Netzes von Schmalspurbahnen im Berner Oberland und der Ausgangspunkt der Brünigbahn.

Das engere Oberland werde dadurch, wie durch die linksufrige Thunerseebahn, der Bundesstâdt erheblich näher gebracht, und gleichzeitig erhalten auch die Ortschaften am linken Ufer des Brienzersee's eine direkte Verbindung mit Interlaken. Iseltwald mit seinen landschaftlichen Schönheiten und Gießbach mit den weltberühmten Wasserfällen, Hotels und der immer mehr in Aufschwung kommenden Wasserheilanstalt werden durch diese Linie bedeutend gewinnen und erhielten den längst gewünschten direkten Anschluß an die Brünigbahn einerseits und au das normalspurige Eisenbahnnetz der Schweiz anderseits. Auch werde diese durchgehende Schienenverbindnng Bern via Brünig nach Luzern in militärischer Beziehung von Bedeutung sein.

Die Länge der umzubauenden Strecke der ßödelibahn beträgt circa 4000 m. Von der Station Bönigen wendet sich die Linie dem See zu, läuft zwischen Straße und See stets dem Ufer entlang, erreicht, allmälig ansteigend, die sogenannte Senggfluh, durchbricht diese Landzunge mittelst eines Tuonels von circa 420 m. Länge, um bei km. 10 (von Interlaken aus gerechnet) zur Station Iseltwald, etwas oberhalb des Dorfes an der Straße von Interlakeu, zu gelangen. In dieser Höhe zieht sich nun das Tracé dem Ahhang entlang bis km. 14, steigt von hier mit 12 %o auf die Höhe der Station Grießbach, überschreitet den Gießbach unter der Brücke der bestehenden Drahtseilbahn und durchbricht mittelst eines weitern Tunnels von circa 500 m. Länge den Pelskopf rechts von Gießbach. Beim sogenannten Rauft aus dem Tunnel herauskommend, gebt die Linie nun mit einem konstanten Gefall von 15 °/oo den felsigen Ufern des Sees nach hinunter, um bei km. 18 wieder die Ebene zu erreichen und, in einem großen Bogen die Aare überschreitend, sich bei Brienz-Kienholz mit der Brünigbahn zu vereinigen.

Die Gesammtlänge der Bahn, ohne die 4 km. der umgebauten Bödelibahn, beträgt circa 15 kin., die Spurweite l m., die Steigung 15 eventuell 20 °/oo, der Minimalradius 150m.

Als Zwischenstationen sind Zollhaus, Bönigen, Iseltwald
und Gießbach vorgesehen; es ist Dampfbetrieb mit Adhäsionslokomotiven in Aussicht genommen.

Das Terrain biete durchwegs einen soliden, festen Baugrund, zum großen Theil festen Kalkstein, und es sei namentlich der

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Mangel an größern Wildbächen und Lawinenzügen ein besonderer Vortheil gegenüber dem rechten Ufer des See's.

Die summarische Kostenberechnung veranschlagt für: 1. Verwaltung und Kapitalbeschaffung . . . Fr. 180,000 2. Projoktverfassung und Bauleitung . . . .

,, 80,000 3. Grunderwerb ,, 300,000 4. Unterbau incl. Uferschutzbauten . . . .

,, 1,400,000 5. Oberbau ,, 420,000 6. Hochbauten 100,000 T 7. Telegraph, Signale, Abschlüsse etc. . . .

,, 35,000 8. Rollmaterial ,, 340,000 9. Mobiliar und Gerätschaften ,, 30,000 10. Unvorhergesehenes ,, 105,000 Total Fr. 2,990,000 oder rund Fr. 200,000 per km. der neuen Bahnstrecke.

Die Rentabilitätsberechnung veranschlagt, unter Berücksichtigung der Verkehrsfrequenz auf den Bahnstrecken Meiringen-Brieuz und Bönigen-Interlaken, die jährlichen kilometrischen Betriebseinnahmen auf circa Fr. 18,000 und die bezüglichen Betriebsausgaben .auf Fr. 7000, sofern die projektirte Bahnstrecke mit derjenigen von Interlaken bis Scherzligen gemeinsam betrieben werde, so daß «in jährlicher Nettoertrag für Reservefonds und Kapitalverzinsung von 15 X 11,000 = Fr. 165,000 verbleiben würde.

Zu diesem Konzessionsgesuch kam unterm 10. August gì. J.

·ein Konkurrenzgesuch der Herren U. W y ß, Gemeindepräsident in Ringgenberg, P. K ü s t e r , Großrath in Brienz, und J. von Berge u, Gemeindepräsident in Oberried, welche durch die Seitens der Interessenten der Bödelibahn unternommenen Schritte sich veranlaßt sahen, auf die Erstellung einer Eisenbahn von Interlaken nach Brienz auf dem r e c h t e n Ufer und mit direktem Anschlüsse an die Brünigbahn hinzuarbeiten, weil das Gesuch für eine linksufrige Bahn nur die Sanirung der Bödelibahn beabsichtige, den Interessen und Anschlußverhältnissen sowohl der verschiedenen Landestheile als auch der bestehenden und im Werden begriffenen andern Transportanstalten so gut wie gar keine Rechnung trage.

Der Hauptsitz der oberländischen Holzschnitzerei, sowie die staatlich subventionirte Schnitzlerschule, sei in Brienz. Diese Industrie ziehe sich längs des rechten Seeufers in ununterbrochener Reihe bis Interlaken. Auf dieser Linie sei das industrielle Großkapital engagirt und liegen die Fabriken mit ihren ausgedehnten Handelsverbindungen. Auch liege es sowohl im Interesse der

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Brünig- als der Brienzerrothhorn-Bahn, eine direkte und schnelleVerbindung mit Interlaken anzustreben.

Alle diese Umstände wiesen die Anlage einer Brienzerseebahn unzweifelhaft auf das rechte Ufer.

Die demgemäß projektirte Bahn beginnt bei der Station Zollhaus in Interlaken, biegt mit einer Kurve von 100 m. nordwärts über die Aare ab, durchschneidet den Fuß des Hohbühls, erreicht allmälig steigend Goldswyl und setzt sich in gleicher Höhenlage fort bis Ringgenberg, der ersten Station. Von der dortigen Säge (km. 4,6) an wird die Bahn direkt dem Ufer entlang geführt, sei es durch Anschneiden des Ufers, durch Einbau in den See oder durch Verlegung der Straße landeinwärts. Diese absolute Seelinieerstreckt sich bis Ebligen (km. 12), zweigt dort vom Ufer ab, theils um die richtige Höhe hinter Brienz zu gewinnen, theils zur Ueberschreitung der Bachrunsen zwischen Ebligen und Brienz.

die 100 sind soll

Die Länge der Bahn beträgt total 17 km., die Spurweite \ m., Maximalsteigung 10,5 %0 der Minimalradius ausnahmsweise m., der gewöhnliche Radius 200 m. Als Zwischenstationen Ringgenberg, Niederried und Oberried vorgesehen. Der Betrieb mittelst gewöhnlichen Adhäsionslokomotiven vor sich gehen.

An Kunstbauten sind mehrere kleine Tunnels, sowie die durch die zahlreichen Bäche, welche theils überbrückt, theils unterfahren werden sollen, nothwendig werdenden Arbeiten, zu erwähnen.

Die Anlagekosten werden summarisch berechnet wie folgt: 1. Verwaltung, Vorstudien, Bauleitung . . . Fr. 102,000 2. Finanzirung und Verzinsung ,, 170,000 3. Expropriationen ,, 255,000 4. Unterbau ,, 1,530,000 5. Oberbau ,, 425,000 6. Hochbau ,, 170,000 7. Rollmaterial ,, 510,000 8. Mechanische Einrichtungen ,, 85,0009. Telegraph, Signale etc ,, 20,400 10. Inventar, Mobiliar ,, 34,000 11. Unvorhergesehenes ,, 198,600 Total

Fr. 3,500,000

oder per km. rund Fr. 206,000.

Die Rentabilitätsberechnung legt den Einnahmen einfach den Verkehr der Dampfschiffffahrtsgesellschaft pro 1889 mit 117,600 Reisenden zu Grunde, was bei einer mittleren Fahrtaxe von Fr. 1. 50

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einen Betrag von ergibt, und macht für Frequenzvermehrung infolge der Bahnanlage und für Gepäck- und Waareutransport einen Zuschlag von

Fr. 175,500 ,,

45,000

Diesen Einnahmen von Fr. 220,500 stehen die auf ,, 120,000 veranschlagten Betriebskosten gegenüber, so daß zur Verzinsung des Baukapitals von Fr. 3,500,000 rund Fr. 100,000 oder circa 3 % verbleiben würden.

Die Regierung des Kantons Bern, welcher die beiden Konzessionsgesuche zur Vernehmlassung mitgetheilt wurden, erklärt, daß sie gegen die Konzessionirung der b e i d e n Linien nichts einzuwenden habe, daß aber für den Fall der Konzessionsertheilung bloß an eine Linie ihre Meinung dahin gehe, der r e c h t s u f r i g e n Bahn den Vorzug zu geben, indem dieselbe, ihrer Ansicht nach, einer großem Summe berechtigter Interessen diene, als die linksufrige.

Das Konzessionsgesuch für die linksufrige Bahn wurde inzwischen durch eine vom März 1891 datirte, uns unterm 27. April gì. J.

zugegangene Eingabe der Gemeinderäthe von Iseltwald und Bönigen und der Herren Gebr. Hausei' zum Gießbach unterstützt, welcher in der Folge auch die Gemeinderäthe von Aarmühle, Unterseen und Matten beitraten, diese letzteren unter der ausdrücklichen Bedingung,, daß die projektirte Brienzerseebahn bis in den Hauptbahnhof von Interlaken geführt werde.

Da die Ausführungen dieser Eingabe für die Beurtheilung der einschlagenden Verhältnisse nicht ohne Werth sind, so gestatten wir uns, das Wesentliche derselben nachstehend zu reproduziren* Die Petenten erachten es als den Umständen angemessen, daß in erster Linie beide Konzessionsbewerbungen berücksichtigt, d. h.

für jedes Seeufer eine Konzession ertheilt werde. Es sei zwar nicht wahrscheinlich, daß beiden Ufern entlang Bahnen gebaut werden, aber rechtlich und technisch genommen sei dies möglich, jedenfalls aber wäre es verfehlt, beim dermaligen Stand der Dinge eine Konzession zu ertheilen und die andere zurückzuweisen. Denn es würde dies in einem Zeitpunkt geschehen, wo maßgebende Verhältnisse weder der einen noch der andern Linie gekannt und abgeklärt seien. Weder das eine noch das andere Projekt sei technisch und finanziell so vorbereitet, um dem einen oder andern den Vorzug geben zu können, ohne sich der Gefahr auszusetzen, das eine ungerechtfertigter Weise bevorzugt, das andere ungerechtfertigter Weise

882 hintangesetzt zu haben. Es sei wohl richtig, daß für gewöhnliche Fälle im Stadium der Konzessionsbewerbung genauere technische und finanzielle Vorlagen nicht verlangt werden, auch hier gehe es nicht an, solche zu verlangen, aber eben deswegen liege die einzig richtige Lösung der Frage darin, daß kein Projekt vor dem andern bevorzugt, sondern beide mit den gleichen Rechten ausgestattet werden, damit beide sieh für ihre Existenz wehreu können. Das lebensfähige werde kraft seiner Innern Berechtigung Leben erhalten und das andere von selbst hinfällig werden. Jedem aber müsse Gelegenheit gegeben werden, sich als lebensfähig zu erweisen durch seinen innern Werth und nicht durch einen Machtspruch der Behörden, durch einen Werth, den ihm diese vielleicht ganz irriger Weise beilegen.

Sollten aber die Bundesbehörden sich grundsätzlich auf den Standpunkt stellen, es sei nur eine Konzession zu ertheilen, so sehen sich die Petenten veranlaßt, die Gründe darzulegen, welche ihnen ausschlaggebend für eine linksufrige Bahn zu sprechen scheinen.

Von maßgebender Bedeutung seien bei einer Bahnanlage: Die Zweckbestimmung der Bahn und die Verkehrsinteressen, welchen sie zu dienen berufen sei. Die projektirte Bahn diene vor Allem aus dem Touristenverkehr. Nicht die Bedürfnisse der anwohnenden Bevölkerung der Ufer machen die Bahn wünschenswert!! und nothwendig, dieselben würden durch die Dampfschiffe ausreichend befriedigt.

Mit Bezug auf den Touristenverkehr habe man am linken Ufer vor Allem die große Fremdenstation Gießbach, welche von mehr als der Hälfte der in Brienz Ein- und Aussteigenden, deren Zahl pro 1889 114,437 betragen habe, besucht werde.

An weitern Fremdenstationen am linken Ufer seien Iseltwald und Bönigen zu nennen.

Dem gegenüber sei der Touristenverkehr der rechten Seito verschwindend, was die nachstehende Tabelle, in welcher der durchgehende Verkehr Bönigen-Grießbach-Brienz weggelassen sei, am besten charakterisire : Stationen von nach und umgekehrt Ringgenberg-Brienz Niederried-Brienz

Iseltwald-Brienz Oberried-Brienz Ringgenberg-Niederried

Zahl der Billets.

1126 431

2163 1058 37

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Stationen von nach und umgekehrt

Ringgenberg-Iseltwald Ringgenberg-Oberried Ringgenberg-Gießbach Niederried-Iseltwald Niederried-Oberried Niederried-Gießbach Iseltwald-Oberried Iseltwald-Gießbach Oberried-Gießbach Bönigen-Iseltwald

Zahl der Billets.

· .

389 169 307 134 23 71 468 · 731 .

116 4353

Nach dem Berichte der Dampfschiffgesellschaft pro 1891 habe die Zahl der ein- und ansteigenden Personen betragen in : Iseltwald 8229 Ringgenberg 3446 Oberried 2778 Niederried 1022 7246 Also in Iseltwald einzig mehr als an allen Stationen d e s rechten Ufers . . . .

983 Aus der vorstehenden Verkehrsstatistik gehe überdies nicht nur hervor, daß der longitudinale Verkehr des linken Ufers viel größer sei als der des rechten, sondern dass auch der transversale Verkehr der beiden Ufer fast ebenso groß sei als der Verkehr der rechtsufrigen Stationen unter sich, ein neuer Beweis dafür, daß der Schwerpunkt des Verkehrs auf dem linken Ufer liege und nicht auf dem rechten.

Ueberdies werden noch folgende Vortheile dieses Projektes hervorgehoben: Mit der Einmündung der linksufrigen Brienzerseebahn in Bönigen auf die Bödelibahn würde diese letztere bis in den Hauptbahnhof Interlaken schmalspurig umgebaut, so daß alle Züge von und nach Luzern im Hauptbahnhof Interlaken ein- und ausgehen würden. Auch den Thalbahnen nach Lauterbrunnen und Grindelwald würde damit die Möglichkeit geboten, in den Hauptbahnhof einzufahren, wodurch sich der jetzt in unnatürlicher Weise in zwei Bahnhöfe auseinandergeworfene Verkehr in einen Bahnhof sammelte. Durch Erstellung der Murren-, Wengernalp- und Schynige Platte-Bahn werde der Verkehr auf den Thalbahnen bedeutend zunehmen, um so nothwendiger wäre ihr Anschluß im Bahnhofe Interlaken.

8fi4 Mit einer rechtsufrigen Brienzerseebahn blieben die bisherigen Uebelstände bestehen: Die Bödelibahn habe in diesem Falle keinen Grund zum schmalspurigen Umbau, die Einmündung einer rechtsufrigen Bahn sei mit allerlei Schwierigkeiten und Komplikationen verbunden und überdies bleibe sie beim Zollhaus stehen und gelange nicht in den Hauptbahnhof loterlaken.

Schließlich seien noch die speziellen Verhältnisse von Brienz und Bönigen kurz zu erörtern.

WHS Brienz anbelange, so sei für diese Ortschaft wesentlich, daß alle Züge der linksufrigen Bahn in den dortigen Brünigbahnhof ein- und von dort ausfahren, und die Konzessionsbewerber seien bereit, eine derartige Verpflichtung rechtsverbindlich zu übernehmen.

Seien die Interessen von Brienz in dieser Richtung gewahrt, so sprächen von seinem Standpunkte aus nur Gründe für eine linksufrige Bahn.

Die Bedeutung von Brienz als Fremdenplatz trete infolge der Erstellung der Rothhornbahn wieder mehr in den Vordergrund, es habe deshalb ein Interesse, namentlich den Gießbach gehoben und mit den besten Verkehrsmitteln nach Brienz hin ausgestattet zu sehen, da vom Gießbach aus, als der nächsten Station bei der Rothhornbahn, diese jedenfalls auch besonders gerne werde besucht werden.

Brienz und die Rothhornbahn können nichts Besseres wünschen, als in unmittelbarer Nähe eine mögliehst frequentirte Fremdenstation zu haben. Den Verkehr durch eine rechtsufrige Bahn vom Gießbach ablenken, hieße nichts Anderes, als Brienz und die Rothhornbahn selbst schädigen. Auch könnte es wohl nicht als weise Gemeindefinanzpolitik angesehen werden, Hand dazu zu bieten, ein in der Gemeinde gelegenes Steuerobjekt in seiner Ertragsfähigkeit herabzusetzen.

Was sodann Bönigen anbelange, so würde dasselbe durch eine rechtsufrige Bahn nur geschädigt. Mit der Erstellung der Bahn sei die Dampfschifffahrtsgesellsehaft in die Lage versetzt, möglichst viel direkte Fahrten auf dem See einzurichten, um der Bahn so weit möglich Konkurrenz machen zu können. Diese direkten Fahrten würden Bönigen wohl nicht berühren. Das Gleiche gelte übrigens auch für Iseltwald. Die Bödelibahn sodann würde auf der Strecke Zollhaus-Bönigen lediglich auf den lokalen Verkehr zwischen Böuigen und Interlnken reduzirt, was zur Folge hätte, daß nur ein Minimum von Zügen eingerichtet würde. Nun verdiene aber Bönigen,
als große Ortschaft und als Frerndenplatz, mit circa acht großem und kleinern Fremdenetablissementen, eine solche Hinfansetzung im Verkehr nicht, ganz abgesehen von der s. Z. von ßönigen an die Bödelibahn geleisteten Subvention à fonds perdu von wenigstens

865 Fr. 60,000, welche s. Z. in der Meinung verabfolgt worden sei, daß die Strecke Intei'laken-Bönigen den Anfang einer Brienzerseebahn bilden werde.

Auch für die rechtsufrige Bahn erfolgte eine ähnliehe Kundgebung, indem Seitens der Gemeinden Brienz, Oberried, Ebligen, Niederried und Ringgenberg eine vom 6. Mai 1891 datirte und unterm 30. gl. M.

übermittelte Eingabe eingereicht wurde, welche die Ertheilung der Konzession nur für das rechte Ufer wünscht.

Sie bestritten keineswegs, daß die Fremdenindustrie eine eingehende Berücksichtigung verlange, wohl aber, daß die linksufrige Bahn mit Rücksicht auf den Touristenverkehr den unbedingten Vorzug vor der rechtsufrigen verdiene. In erster Linie sei die rechtsufrige Linie kürzer, noch mehr falle aber der Umstand in's Gewicht, daß eine Reise auf dem rechten Ufer des See's, wo beständig die kühnen Formen der Faulhornkette und meistens die Firnen und Gletscher des Oberhasle im Hintergrund sich zeigen, ungleich mehr landschaftliche Reize biete als eine auf dem linken Ufer, wo der Gesichtskreis durch die weit weniger imposunte Kette des Brienzergrates beschränkt werde. Wolle man also die Eisenbahn zunächst um der Reisenden willen, so solle sie wenigstens da gebaut werden, wo die Leute auch am meisten von den Schönheiten unserer Gegend genießen können, nicht umgekehrt. Freilich werde dem gegenüber von den Befürwortern des linken Ufers auf den Gießbach hingewiesen. Aber zunächst ersetze ein einzelner schöner Punkt denn doch nicht die dafür geopferten Sehenswürdigkeiten einer ganzen Linie von nahezu vier Stunden. Zudem bleibe ja auch bei der Erstellung einer Eisenbahn die Dampfschifffahrt, und werde durch dieselbe hinlänglich für die Möglichkeit, jederzeit ohne alle Mühe zu den berühmten Wasserfällen zu kommen, gesorgt werden, abgesehen · davon, daß die Distanz zwischen Brienz und dem Gießbach eine auch für Fußgänger höchst geringe sei. Endlich und vor Allem dürfen den Schönheiten des Gießbaches gegenwärtig diejenigen der rasch ihrer Vollendung entgegengehenden Rothhornbahn gegenübergestellt werden. Das Rothhorn, mit seiner ganz hervorragenden, noch viel zu wenig gewürdigten Fernsicht, werde seinen Besuchern einen Naturgenuß ersten Ranges bieten, und liege es darum keineswegs bloß im Interesse der bezüglichen Bahngesellschaft, sondern sieher auch in dem des
reisenden Publikums, daß der Besuch dieses Berggipfels nunmehr nicht etwa durch eine linksufrige Bahn erschwert und vertheuert, sondern durch eine rechtsufrige erleichtert und Jedermann nahegelegt werde.

Aber nicht die Rücksichten auf fremde Leute, sondern die auf das eigene Land und Volk veranlasse die Petenten vor Allem zu der Empfehlung der rechtsufrigen Linie.

866 Iseltwald und Bönigen hätten nach der letzten Volkszählungzusammen 2000 Einwohner, dagegen Brienz, Bbligen, Oberried, Niederried, Ringgenberg mit Goldswyl total 4465, also 2465 mehr.

Eine Bevorzugung des linken Ufers würde sieh deshalb nur rechtfertigen, wenn diese kleinere Bevölkerung sich durch regern Handel und industrielle Entwicklung auszeichnen würde. Dies sei aber nicht der Fall.

Auf der ganzen rechten Seite des Brienzersee's finde sich zunächst eine rege Landwirthschaft und Viehzucht, welche das ganze Jahr hindurch, namentlich im Herbst bei Anlaß der großen Viehmärkte in Interlaken, einer künftigen Eisenbahn ungleich mehr Frequenz verspreche, als dies auf der andern Seite des See's zu erwarten stehe. Zudem sei Brienz am rechten Ufer die anerkannte Metropole der oberländischen Holzschnitzlerei mit vielen großen und kleinen Exportgeschäften und mit einer blühenden, von Kanton und Bund ansehnlich unterstützten Schnitzler- und Zeichnungsschule, und was die übrigen rechtsufrigen Gemeinden anbetreffe, so werde in allen diese Kunstindustrie fortwährend so lebhaft betrieben, daß sie neben der Landwirthschaft als das Hauptsubsistenzrnittel derselben gelten dürfe. Eine solche Industrie, die nach fachmännischer Berechnung in den letzten Jahren einen Export von Fr. 1,100,000 aufweise (siehe Bericht des schweizerischen Handels- und Industrievereins pro 1889), müsse bei Erstellung neuer Verkehrslinien berücksichtigt werden. Auch führen die Petenten noch die klimatischen Verhältnisse zu Gunsten einer rechtsufrigen Bahn an, da dem linken Ufer durch die Faulhornkette das Sonnenlicht längere Zeit entzogen werde, während dies beim rechten Ufer nicht der Fall sei, so daß hier eine Bahn im Winter ungleich weniger mit der nicht zu unterschätzenden Schwierigkeit von Eis und Schnee zu kämpfen haben werde.

Endlich wird noch die Frage erörtert, ob bei genügendem Ausweis nicht beiden Linien die Konzession zu erlheilen sei. Es handle sich aber bei der Brienzerseebahn im Grunde nicht um zwei verschiedene Linien, sondern nur um eine, um das noch nicht gebaute Theilstück der ßrünigbahn Brienz-Interlaken, und es sei nur fraglich, auf welche Seite dieses Stück kommen solle. Wenn diese eine Linie gebaut werde, könne sich dieselbe rentiren, von einer Rendite beider Linien aber, namentlich, da die Dampfschifffahrt
weiter betrieben werde, keine Rede sein, und es müßte also die Konzessionirung beider Linien entweder das Fallenlassen beider, oder dann deren künftigen Ruin, zum großen Nachtheil der dabei betheiligten Korporationen und Privaten, zur Folge haben. Diese Erwägungen veranlaßten sie, nicht nur um eine Konzession für die

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rechte Seite, sondern um eine Konzession für die rechte Seite a l l e i n einzukommen.

In diesen durch das Konkui-renzverhältniß der beiden Projekte veranlaßten Eingaben ist die beidseitige Stellungnahme bereits in grundsätzlicherWeise zur Geltung gelangt; wir haben es aber für angemessen erachtet, die beiden Richtungen auch bei den gesetzlieh vorgeschriebenen konferenziellen Verhandlungen zu Worte kommen zu lassen, um nach der gemeinsamen Berathung der Konzessionsbedingungen in voller Würdigung aller in Betracht fallenden Fragen die Entscheidung treffen zu können, ob die Konzession für beide Linien oder nur für eine, eventuell für welche, zu ertheilen sei.

Die konferenziellen Verhandlungen fanden unterm 5. Dezember statt und ergaben allseitige Zustimmung zu dem nachfolgenden Konzessionsentwurf, mit Ausnahme der Bestimmung des Sitzes der Gesellschaft, wo die Petenten für die rechtsufrige Linie Brienz als Sitz bezeichneten, während von der andern Seite Bern vorgeschlagen wurde.

In Art. 12 ist der voraussichtlich bescheidenen Frequenz der Bahn im Winter dadurch Rechnung getragen worden, daß für diese Jahreszeit bloß drei, im Sommer dagegen vier Züge im Minimum nach beiden Riehtungen zu verkehren hätten.

Bei den Personen- und Gepäcktaxen (Art. 15) ist mit Rücksicht auf die verhältnißmäßig hohen Anlagekosten und den Charakter der Bahn eine Erhöhung gegenüber den Normaltaxen zugestanden, dagegen der Gesellschaft die Verpflichtung auferlegt worden, für die zweite und dritte Wagenklasse Familienabonnementsbillete ohne Zeitbeschränkung /u 250 Kilometer-Nummern auszugeben, welche einen Rabatt von 50 °/o der gewöhnlichen Taxen gewähren. Da zudem die Vieh- und Waarentaxen die normalen Ansätze nicht überschreiten, so glauben wir die Interessen der einheimischen Bevölkerung in ausreichendem Maße gewahrt und zugleich den Konzessionspetenten die zur Verwirklichung des Projektes nöthige finanzielle Grundlage gesichert zu haben.

Die übrigen Artikel geben zu besondern Bemerkungen keinen Anlaß.

Was nun die Entscheidung der vorliegenden Konkurrenzfrage betrifft, so leiten uns bei dem hierseitigen Antrage Erwägungen, welche von den bei dem Präzedenzfalle der Jungfraubahn als maßgebend bezeichneten in einigen Puükten abweichen.

Wir haben in unserer Botschaft vom 17. Juni 1890 betreffend Konzession einer Jungfraubahn bei gänzlichem Mangel anderer Gründe auf die zeitliche Priorität des einen Projektes abzustellen

868 uns genöthigt gesehen. Beide Gesuche waren den gesetzlichen Vorschriften gemäß belegt, und weder der Inhalt der summarischen Projekte, noch die Persönlichkeiten der Bewerber und ihrer Mitarbeiter, noch die vorläufigen finanziellen Garantien boten einen Anlaß, von dem einen oder andern Petenten eine Superiorität anzunehmen, welche von vornherein zu dessen Gunsten gesprochen hätte. Die Konzession an beide Bewerber zu ertheilen, eventuell an denjenigen, welcher zuerst den Finanzausweis leisten würde, ging aber nicht an, weil dadurch eine Ueberstiirzung in der Bauvorbereitung hervorgerufen worden wäre, welche, wenn irgendwo, speziell bei diesem aus dem Rahmen gewöhnlicher Verhältnisse heraustretenden Projekte vermieden werden mußte.

Da überdies diese Bahn ein wirthschaftlich sozusagen unberührtes Gebiet durchzieht, so konnten auch nicht die durch verschiedene Traceführung allfällig berührten Interessen einzelner Bevölkerungskreise gegen einander abgewogen werden.

So blieb, wollte man nicht willkürlich entscheiden, nur der, wenn auch mehr, zufällige und äußerliche, Prioritätsgrund übrig, ·daß das eine Konzessionsgesuch etwas früher eingereicht worden war als das andere.

Bei der B r i e n z e r s e e b a h n liegen die Verhältnisse wesentlich anders. Hier kommt in hervorragendem Maße, ja beinahe ausschließlich, der Kampf zweier Interessengruppen in Frage; auf der «inen Seite verlangen die Bödelibahn und die Hotelindustrie des linken Ufers, auf der andern Seite flie Landwirtschaft und Holzsehnitzlerei des rechten Ufers Berücksichtigung, und es geht deshalh nicht au, hier kurzerhand dem ersteingereichten Gesuch die Konzession zu ertheilen. Diese Interessenfragen verlangen im Gegentheil eine sorgfältige, in's Einzelne gehende Abwägung, sowohl mit Bezug auf die Linienführung, als namentlich mit Bezug auf die Anschlußverhältnisse in Brienz und Interlaken.

So wenig der von dem Projekt Desgouttes und Theilhaber ursprünglich bei Kienholz in Aussicht genommene Anschluß an die Brünigbahn den berechtigten Interessen von Brienz zu entsprechen vermöchte, so wenig würde der für die rechtsufrige Bahn projektirte Ausgangspunkt bei Station Zollhaus die Interessen des allgemeinen Verkehrs und diejenigen von Interlaken im Besondern befriedigen.

Inwiefern und in welcher Weise diesfälligen Forderungen seitens der
beiden Konzessionspetenten Rechnung getragen würde, läßt sich hierseits erst an Hand der Detailpläne mit voller Sachkenntniß beurtheilen, und die Lösung dieser Detailfragen entscheidet auch zum guten Theile darüber, welche Linie die technisch und wirthschaftlich .bessere sein werde.

869 Wir halten aus diesen Gründen die Ertheilung der Konzession an beide Konkurrenten, wodurch denselben gleichmäßig die rechtliche Grundlage zur Vorbereitung der entscheidenden technischen Vorlagen gewährt würde, im vorliegenden Fall für das Richtige. Damit sollte aber nicht der Möglichkeit Raum gegeben werden, daß unter Umständen b e i d e Linien zur Ausführung gelangen, denn die Existenzberechtigung einer Bahn von Interlaken nach Brienz beruht in erster Linie und hauptsächlich auf ihrem Charakter als Verbindungsstück der Linie Bern-Brünig-Luzern ; die doppelte Erstellung, welche zwar nicht wahrscheinlich ist, aber immerhin im Bereich der Möglichkeit liegt, würde sich deßhalb als eine nicht zu rechtfertigende volkswirthschaftliche Verschwendung qualifiziren, der nicht Vorschub geleistet werden sollte.

Wir beantragen Ihnen deßhalb die Ertheilung der Konzession an die Petenteu, sowohl für die linksufrige als auch für die rechtsufrige Bahn, jedoch mit der dem Art. 5 beigefügten Einschränkung, daß mit der Genehmigung der vorgeschriebenen Vorlagen betreffend die eine der Linien die Konzession für die andere dahinfalle.

Mit Bezug auf den Sitz der Gesellschaft (Art. 3), über welchen divergirende Anträge vorliegen, empfehlen wir Ihnen, Brienz als Sitz zu bezeichnen, da es der Natur der Sache entspricht, daß die Oesellschaft an einem von der Bahn berührten Orte domizilire.

Genehmigen Sie, Tit., die erneute Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 24. Dezember 1891.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Welti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft Ringier.

Bnndesblatt. 43. Jahrg. Bd. V.

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(Entwurf.)

Bnndesbeschluß betreffend

Konzession einer Eisenbahn von Interlaken nach Brienz.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht 1. einer Eingabe der Herren Oberst Desgouttes und E. Pümpin in Bern, vom 9. Juli 1890; . 2. einer Eingabe der Herren U. Wyß, Gemeindepräsident in.

Einggenberg, und Mithafte, vom 10. August 1890; 2. einer Botschaft des Bundesrathes, vom 24. Dezember 1891, beschließt: 1. Den Herren Oberst D e s g o u t t e s und E. P ü m p i n in Bern^ zu Händen der Bödelibahn, wird die Konzession für den Bau und Betrieb einer Eisenbahn von I n t e r l a k e n nach B r i e n z, dem l i n k e n Ufer des Brienzersees entlang, 2. den Herren U. W y ß , Gemeindepräsident in Ringgenberg, P. K ü s t e r , Großrath in Brienz, und J. von B e r g e n , Gemeindepräsident in Oberried, zu Händen einer zu bildenden Aktiengesellschaft, wird die Konzession für den Bau und Betrieb einer Eisenbahn von I n t e r l a k e n nach B r i e n z , dem r e c h t e n Seeufer entlang, unter den in den nachfolgenden Artikeln enthaltenen Bedingungen ertheilt: Art. 1. Es sollen die jeweiligen Bundesgesetze, sowie alle übrigen Vorschriften der Bundesbehörden über den Bau und Betrieb der schweizerischen Eisenbahnen jederzeit genaue Beachtung finden.

Art. 2. Die Konzession wird auf die Dauer von 80 Jahren, vom Datum des gegenwärtigen Beschlusses au gerechnet, ertheilt.

Art. 3. Der Sitz der Gesellschaft ist in Brieoz.

Art. 4. Die Mehrheit der Direktion und des Verwaltungsralhes oder weitern Ausschusses soll aus Schweizerbürgern, welche ihren Wohnsitz in der Schweiz haben, bestehen.

871 Art. 5. Binnen einer Frist von 24 Monaten, vom Datum des Konzessionsaktes an gerechnet, sind dem Bundesrathe die vorschriftsmäßigen technischen und finanziellen Vorlagen nebst den Statuten der Gesellschaft einzureichen.

Mit der Genehmigung dieser Vorlagen für die eine Linie fällt die Konzession für die andere dahin.

Innert 6 Monaten nach stattgefundener Plangenehmigung ist der Anfang mit den Erdarbeiten für die Erstellung der Bahn zu machen.

Art. 6. Binnen 2^2 Jahren, vom Beginn der Erdarbeiten an gerechnet, ist die ganze konzessionirte Linie zu vollenden und dem Betriebe zu übergeben.

Art. 7. Der Bundesrath ist berechtigt, auch nach Genehmigung der Pläne eine Abänderung derselben zu verlangen, wenn eine solche durch Fürsorge für die Sicherheit des Betriebes geboten ist.

Art. 8. Die Bahn wird mit Spurweite von \ m. und einge1 eisig erstellt.

Art. 9. Gegenstände von wissenschaftlichem Interesse, welche durch die Bauarbeiten zu Tage gefördert werden, wie Versteinerungen, Münzen, Medaillen u. s. w., sind Eigenthum des Kantous Bern und an dessen Regierung unentgeltlich abzuliefern.

Art. 10. Den Bundesbeamten, welchen die Ueberwachung der Bahn hinsichtlich der Bauten oder des Betriebes obliegt, hat die Bahnverwaltung behufs Erfüllung ihrer Aufgabe zu jeder Zeit Einsicht von allen Theilen der Bahn, der Stationen und des Materials zu gestatten, sowie das zur Untersuchung nöthige Personal und Material /ur Verfügung zu stellen und die unentgeltliche Benutzung eines geeigneten Lokals zu gewähren.

Art. 11. Der Bundesrath kann · verlangen, daß Beamte oder Angestellte der Gesellschaft, welche in der Ausübung ihrer Funktionen zu begründeten Klagen Anlaß geben und gegen welche die Gesellschaft nicht von sich aus einschreitet, zur Ordnung gewiesen, bestraft oder nöthigenfalls entlassen werden.

Art. 12. Die Beförderung von Personen soll täglich im Sommer mindestens viermal und im Winter mindestens dreimal nach beiden Richtungen, von einem Endpunkt der Bahn zum andern und unter Anhalt bei allen Stationen erfolgen.

Die Bestimmung der Fahrgeschwindigkeit bleibt dem Bundesrathe vorbehalten.

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Art. 13. Die Gesellschaft hat sich dem Transportreglement der schweizerischen Eisenbahnen zu unterziehen. Soweit sie Aenderungen nöthig findet, können dieselben nur nach vorher eingeholter Genehmigung des Bundesrathes eingeführt werden.

Art. 14. Die Gesellschaft wird zur Personenbeförderung Wagen nach amerikanischem System mit drei Klassen aufstellen. IQ der Regel sind allen Personenzügen Wagen aller Klassen beizugeben; Ausnahmen kann nur der Bundesrath gewähren.

Die Gesellschaft hat stets ihr Möglichstes zu thun, damit alle auf einen Zug mit Personenbeförderung sich Anmeldenden durch denselben, und zwar auf Sitzplätzen, befördert werden können.

Auf Verlangen des Bundesrathes sind auch mit Waarenzügen Personen zu befördern.

Art. 15. Die Gesellschaft wird ermächtigt, für den Transport von Personen Taxen bis auf den Betrag folgender Ansätze zu beziehen : in der ersten Wagenklasse 18 Rappen, in der zweiten Wagenklasse 12 Rappen, in der dritten Wagenklasse 6 Rappen per Kilometer der Bahnlänge.

Die Taxen für die mit Waarenziigen beförderten Personen sollen um mindestens 20 °/o niedriger gestellt werden.

Für Kinder unter 3 Jahren, sofern für solche kein besonderer Sitzplatz beansprucht wird, ist nichts, für solche zwischen dem dritten und dem zurückgelegten zehnten Altersjahre die Hälfte der Taxe in allen Wagenklassen zu zahlen.

10 Kilogramm des Reisendengepäcks sind frei, sofern es ohne Belästigung der Mitreisenden im Personenwagen untergebracht werden kann.

Für das übrige Gepäck der Reisenden kann eine Taxe von höchstens 5 Rappen per 100 Kilogramm und per Kilometer bezogen werden.

Für Hin- und Rückfahrt sind die Personentaxen mindestens 20 °/o niedriger anzusetzen als für einfache und einmalige Fahrten.

Für Abonnementsbillete zu einer mindestens 12maligen Benutzung der gleichen Bahnstrecke für Hin- und Rückfahrt während drei Monaten wird die Gesellschaft einen weitern Rabatt bewilligen.

Die Gesellschaft ist verpflichtet, für die zweite und dritte Wagenklasse Familienabonnementsbillete ohne Zeitbeschränkung zu 250 Kilometernummern auszugeben, welche einen Rabatt von 50 % der gewöhnlichen Taxen gewähren.

873 Art. 16. Arme, welche als solche durch Zeugniß zuständiger Behörde sich für die Fahrt legitimiren, sind zur Hälfte der Personentaxe zu befördern. Auf Anordnung eidgenössischer oder kantonaler Polizeistellen sind auch Arrestanten mit der Eisenbahn zu spediren. Der Bundesrath wird hierüber die nähern Bestimmungen aufstellen.

Art. 17. Für den Transport von Vieh mit Waarenzügen dürfen Taxen bis auf den Betrag folgender Ansätze bezogen werden : Per Stück und per Kilometer für : Pferde, Maulthiere und über ein Jahr alte Fohlen 16 Rp.; Stiere, Ochsen, Kühe, Rinder, Esel und kleine Fohlen 8 Rp. ; Kälber, Schweine, Schafe, Ziegen und Hunde 3 Rp.

Für die Ladung gänzer Transportwagen sind die Taxen um mindestens 20 °/o zu ermäßigen.

Art. 18. Im Tarif für den Transport von Waaren sind Klassen aufzustellen, wovon die höchste nicht über 2 Rappen, die niedrigste nicht über l Rappen per 100 Kilogramm und per Kilometer betragen soll.

Eine ganze Wagenladung (d. h. mindestens 5000 Kilogramm oder 5 Tonnen) hat gegenüber den Stücksendungen Anspruch auf Rabatt.

Die der Landwirthsohaft und Industrie hauptsächlich zudienenden Rohstoffe, wie fossile Kohlen, Holz, Erze, Eisen, Salz, Steine, Düngungsmittel u. s. w., in Wagenladungen sollen möglichst niedrig taxirt werden.

Für den Transport von haarem Gelde und von Kostbarkeiten mit deklarirtem Werthe soll die Taxe so berechnet werden, daß für 1000 Fr. per Kilometer höchstens l Rappen zu bezahlen ist.

Wenn Vieh und Waaren in Eilfracht transportirt werden sollen, so darf die Taxe für Vieh um 40 % und diejenige für Waaren um 100 °/o des gewöhnlichen Ansatzes erhöht werden.

Traglasten mit landwirthschaftlichen Erzeugnissen, welche in Begleitung der Träger, wenn auch in besondern Wagen, mit den Personenzügen transportirt und am Bestimmungsort sogleich wieder in Empfang genommen werden, sind, soweit sie das Gewicht von 25 Kilogramm nicht übersteigen, frachtfrei. Für das Mehrgewicht ist die Taxe für Waaren in gewöhnlicher Fracht zu bezahlen.

Die Gesellschaft ist berechtigt, für den Transport von Fahrzeugen aller Art und außergewöhnlichen Gegenständen besondere Taxen festzusetzen.

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Das Minimum der Transporttaxe eines einzelnen Stückes kann auf 40 Rappen festgesetzt werden.

Art. 19. Bei eintretenden Nothständen, insbesondere bei ungewöhnlicher Theuerung der Lebensmittel, ist die Gesellschaft verpflichtet, für den Transport von Getreide, Mehl, HülseufrQchten, Kartoffeln u. s. w. zeitweise einen niedrigem Spezialtarif einzuführen, dessen Bedingungen vom Bundesrathe nach Anhörung der Bahnver.vraltung festgesetzt werden.

Art. 20. Bei Festsetzung der Taxen werden Bruchtheile eines Kilometers für einen ganzen Kilometer gerechnet. In Betreff des Gewichtes gelten Sendungen bis auf 20 Kilogramm für volle 20 Kilogramm. Das Mehrgewicht wird nach Einheiten von je 10 Kilogramm berechnet, wobei jeder Bruchtheil von 10 Kilogramm für eine ganze Einheit gilt. Bei Geld- und Werthsendungen repräsentiren Bruchtheile von Fr. 500 volle Fr. 500. Ist die genaue Ziffer der so berechneten Taxe keine durch 5 ohne Rest theilbare Zahl, so darf eine Abrundung nach oben auf die uächstliegende Zahl, welche diese Eigenschaft besitzt, erfolgen.

Art. 21. Die in den Artikeln 15, 17 und 18 aufgestellten Taxbestimmungen beschlagen bloß den Transport von Station zu Station.

Die Waaren sind von den Aufgebern an die Stationsladplätze abzuliefern und vom Adressaten auf der Bestimmungsstation abzuholen.

Auf den Hauptstationen hat jedoch die Gesellschaft von sich aus die gehörigen Einrichtungen für das Abholen und die Ablieferung der Güter im Domizil des Aufgebers, beziehungsweise des Adressaten zu treffen. Das Auf- und Abladen der Waareu ist Sache der Gesellschaft, und es darf eine besondere Taxe dafür in der Regel nicht erhoben werden. Ausnahmen hievon sind nur unter Zustimmung des Bundesrathes zuläßig für einzelne Klassen von Wagenladungsgütern, für lebende Thiere und andere Gegenstände, deren Verladung mit besondern Schwierigkeiten verbunden ist.

Art. 22. Für die Einzelheiten des Transportdienstes sind besondere Réglemente und Tarife aufzustellen.

Art. 23. Die sämmtlichen Réglemente und Tarife sind mindestens sechs Wochen, ehe die Bisenbahn dem Verkehr übergeben wird, dem Bundesrathe zur Genehmigung vorzulegen.

Art. 24. Wenn die Bahnunternehmung drei Jahre nach einander einen sechs Prozent übersteigenden Reinertrag abwirft, so ist das nach gegenwärtiger Konzession zuläßige Maximum der Trans-

875 pbrttaxen verhältnißmäßig herabzusetzen. Kann dießfalls eine Verständigung zwischen dem Bundesrathe und der Gesellschaft nicht erzielt werden, so entscheidet darüber die Bundesversammlung.

Reicht der Ertrag des Unternehmens nicht hin, die Betriebskosten, einschließlich die Verzinsung des Obligationenkapitals, au decken, so kann der Bundesrath eine angemessene Erhöhung obiger Tarifansätze gestatten. Solche Beschlüsse sind jedoch der Bundesversammlung zur Genehmigung vorzulegen.

Art. 25. Die Gesellschaft ist verpflichtet, für Aeuffnung eines genügenden Erneuerungs- und Reservefonds zu sorgen und für das Personal eine Kranken- und Unterstützungskasse einzurichten, oder dasselbe bei einer Anstalt zu versichern. Die hierüber aufzustellenden besondern Vorschriften unterliegen der Genehmigung des Bundesrathes.

Art. 26. Für die Geltendmachung des Rückkaufsrechtes des Bundes, oder, wenn er davon keinen Gebrauch machen sollte, des Kantons Bern, gelten folgende Bestimmungen : a. Der Rückkauf kann frühestens auf 1. Mai 1915 und von da an jederzeit erfolgen. Vom Entschluß des Rückkaufes ist der Gesellschaft drei Jahre vor dem wirklichen Eintritte desselben Kenntniß zu geben.

b. Durch den Rückkauf wird der Rückkäufer Eigenthümer der Bahn mit ihrem Betriebsmaterial und allen übrigen Zugehören.

Immerhin bleiben die Drittmannsrechte hinsichtlich des Pensionsund Unterstützungsfonds vorbehalten. Zu welchem Zeitpunkte auch der Rückkauf erfolgen mag, ist die Bahn sammt Zugehör in vollkommen befriedigendem Zustande abzutreten. Sollte dieser Verpflichtuag kein Genüge gethan werden, und sollte auch die Verwendung der Erneuerungs- und Reservefonds dazu nicht ausreichen, so ist ein verhältnißmäßiger Betrag von der Rückkaufssumnie in Abzug zu bringen.

c. Die Entschädigung für den Rückkauf beträgt, sofern letzterer bis 1. Mai 1930 rechtskräftig wird, den 25fachen Werth des durchschnittlichen Reinertrages derjenigen zehn Jahre, die dem Zeitpunkte, in welchem der Rückkauf der Gesellschaft notifizirt wird, unmittelbar vorangehen; -- sofern der Rückkauf zwischen dem 1. Mai 1930 und 1. Mai 1945 erfolgt, den 22Vafachen Werth; -- wenn der Rückkauf zwischen dem 1. Mai 1945 und dem Ablauf der Konzession sich vollzieht, den 20fachen Werth des oben beschriebenen Reinertrages; -- unter Abzug des Erneuerungs- und Reservefonds.

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Bei Ermittlung des Reinertrages darf lediglich die durch diesen Akt konzedirte Eisenbahnunternehmuns; mit Ausschluß aller anderen etwa damit verbundenen Geschäftszweige io Betracht und Berechnung gezogen werden.

d. Der Reinertrag wird gebildet aus dem gesammten Ueberschuß der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben, zu welch' letztern auch diejenigen Summen zu rechnen sind, welche auf Abschreibungsrechnung getragen oder einem Reservefonds einverleibt wurden.

e. im Falle des Rückkaufes im Zeitpunkte des Ablaufs der' Konzession ist nach der Wahl des Rückkäufers entweder der Betrag der erstmaligen Anlagekosten für den Bau und Betrieb oder eine durch bundesgerichtliche Abschätzung zn bestimmende Summe als Entschädigung zu bezahlen.

f. Streitigkeiten, die über den Rückkauf und damit zusammenhängende Fragen entstehen möchten, unterliegen der Entscheidung des Bundesgerichtes.

Art. 27. Hat der Kanton Bern den Rückkauf der Bahn^ bewerkstelligt, so ist der Bund nichtsdestoweniger befugt, sein daheriges Recht, wie es im Art. 26 definirt worden, jederzeit auszuüben, und der Kanton hat unter den gleichen Rechten und Pflichten die Bahn dem Bunde abzutreten, wie letzterer dies von der konzessionirten Gesellschaft zu fordern berechtigt gewesen wäre.

Art. 28. Der Bundesrath ist mit dem Vollzuge der Vorschriften dieser Konzession, welche mit dem Tage ihrer Promulgation in Kraft tritt, beauftragt.

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Botschaft des Bundesrathes an die Bundesversammlung betreffend Konzession einer Eisenbahn von Interlaken nach Brienz (Brienzerseebahn). (Vom 24. Dezember 1891.)

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