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Bundesrathsbeschluss über

die Rekursbeschwerden betreffend die Großrathswahlen vom 3. März 1889 im tessinischen Wahlkreise Cevio (Vallemaggia).

(Vom 29. Juli 1891.)

Der schweizerische Bundesrath hat in Sachen der Rekursbeschwerden betreffend die Großrathswahlen vom 3. März 1889 im tessinischen Wahlkreise Cevio (Vallemaggia) nach dem Bericht des Justiz- und Polizeidepartements folgenden T h a t b e s t a n d gefunden : A. Betreffend die Gemeinde Campo., I. Dem Wahlbüreau dieser Gemeinde für die Großrathswahlen vom 3. März 1889 wurde am Wahltage selbst eine von den Bürgern Pedrazzini, Beniamino, di Gaspare Angelo, und Balocchi, Agostino, di Domenico, unterzeichnete Urkunde eingereicht, durch welche Folgendes erklärt wird : Die Unterzeichneten sind gestern von-Paris zurückgekommen, um an der bevorstehenden Wahl Theil zu nehmen ; sie haben Pedrazzini, Gaspare Angelo, beauftragt, bei der Munizipalität ihre sofortige Eintragung in das Stimmregister nachzusuchen, und sind an der Wahlurne erschienen, jedoch wegen Verspätung zurückgewiesen worden. Sie protestiren gegen ihre Ausschließung.

54 Unterm 4. März, ,,auf dem Punkte, nach Paris zu verreisen", wiederholten sie in einem gedruckten Formular diesen Protest mit dem Beifügen, daß sie für die radikalen Kandidaten gestimmt haben würden, und daß sie mit keinen Steuern im Rückstand seien.

Der Vater des Erstem schreibt unterm 8. März, sie seien mit einem Retourbillet wieder abgereist; in den frühern Stimmregistern haben alle Emigranten gestanden, so auch diese Beiden, dieses Mal Alle nicht.

B. Betreffend die Gemeinde Giumaglio.

II. Mit Telegramm vom 28. Februar rief Lafranchi, Maurizio, den Schutz des Bundesratb.es an gegen den Ausschluß von Muscio, Giacomo, Bonetti, Giuseppe, Pozzi, Giovanni, die bis dahin im Besitze des Aktivbürgerrechtes gewesen seien, die Steuern bezahlt und immer Domizil in Giumaglio gehabt haben.

III. Die Untersuchung des Bundesdelegirten ergab Folgendes: Muscio, Giacomo, fu Giacomo, von Someo, Bauer, seit vielen Jahren in Giumaglio wohnhaft und früher daselbst im Stimmregister eingeschrieben, unverheirathet, zahlt als Nichtgemeindsbürger eine Steuer von Fr. 15 per Jahr, genannt mensuale, worin testatico und focatico Inbegriffen seien, war im Stimmregister vergessen worden, hat aber weder an den Kommissär noch an den Staatsrath rekurrirt; der Sindaco erklärt, daß er nicht zur Abstimmung erschienen sei.

In einem Briefe an den Bundesdelegirten erklärt er, daß er für die liberale Liste gestimmt haben würde.

Bonetti, Giuseppe, Bauer, von und in Giumaglio, früher im Stimmregister, unverheirathet, zahlt seit 2 oder 3 Jahren keine Steuern. Lafranchi erklärte, daß der Mann, weil er mit seiner Schwester zusammenlebe, kein focatico und des Alters wegen kein testatico mehr z-u zahlen habe. Der Sindaco bestreuet jedoch, daß er mit seiner Schwester zusammen gemeinsamen Rauch führe. Er hat sich, weder an die Munizipalität noch an den Regierungskommissär gewendet. Brieflich erklärte Bonetti selbst dem Bundesdelegirten, daß er bis dahin immer gestimmt und auch die Steuern bezahlt habe, und legte die Quittungen für die Jahre 1886 und 1888 ein.

Pozzi, Giovanni, Bauer, von und in Giumaglio, zahlt seine Steuern, war im Stimmregister vergessen, hat sich weder an die Munizipalität noch an den Regierungskommissär gewendet.

55 Pozzi, Anchise, fu Celestino, von OHumaglio, seit 1883 in Amerika, ohne bis jetzt zurückgekehrt zu sein, unverheirathet, zahlt kein testatico, hatte vor seiner Abreise sein Domizil stets in Giumuglio. Auch für ihn wurde kein Rekurs eingelegt bei den kantonalen Behörden.

C. Betreffend die Gemeinde Someo.

IV. Am 7. März schrieb R. Righetti an das liberale Kornite in Lugano, in dieser Gemeinde seien auch alle diejenigen Bürger derselben auf das Stimmregister genommen worden, welche sich in überseeischen Ländern befinden; aber es sei keiner von ihnen zur Wahl erschienen.

D. Beireffend die Gemeinde Linescio.

V. Am 8. März schrieb Bolla, Raffaele, an das liberale Romite in Lugano, es haben daselbst an der Wahl Theil genommen Calanchini, Alessandro, fu Battista, Calanchini r Battista, di Battista, welche Beide im Stimmregister von Zürich eingeschrieben gewesen seien, der Erstere vom 7. Oktober vorigen Jahres bis zum 11. Februar, der Letztere vom nämlichen Tage an bis zum 5. Januar dieses Jahres.

E. Betreffend die Gemeinde Menzonio.

VI. Es wird berichtet, hier seien 7 liberale Stimmzettel, weil von 2 Handschriften geschrieben, ungültig erklärt worden.

F. Betreffend die Gemeinde Lodano.

VII. Am 21. Januar 1889 sandte die Munizipalität ein Exemplar des Stimmregisters an den Regierungskommissär und fügte bei, sie habe die im Auslande befindlichen Gemeindebürger nicht aufgenommen, bitte aber um Wegleitung, ob das noch zu geschehen habe.

Am 19. Februar wandte sie sich neuerdings an denselben.

Sie schrieb : Wir glauben, wir haben einen Fehler gemacht, indem wir unsere abwesenden Mitbürger nicht eintrugen; wir sehen, daß in den Gemeinden Moghegno, Maggia und Giumaglio und ändern auch alle abwesenden Bürger, die sich in gleicher Lage befinden wie die unsrigen, aufgenommen worden sind. Wir wünschten daher,

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unsere abwesenden Bürger auch noch eintragen zu können ; es ist möglich, ja wahrscheinlich, daß der eine oder andere von ihnen auf deu 3. März zurückkommt, und wir möchten uns nicht dem Vorwurf aussetzen, einen solchen seines Stimmrechtes beraubt zu haben. Wir bitten also um die Erlaubniß, unser Stimmregister in der angegebenen Weise ergänzen zu dürfen.

Am 25. schrieb die Munizipalität an den Staatsrath : Der Kommissär hat uns auf die Anfrage vom 21. Januar keine Antwort gegeben und uaser Brief vom 19. Februar kam zu spät.

Im kantonalen Amtsblatt Nr. 184, datirt 18. Januar, sehreiben Sie : .,,Das Kriterium des Heimatrechtes ist vollständig verschwunden; an seine Stelle ist für das Wahlrecht einzig das effektive Domizil getretentt. Danach sind wir verfahren. Allein wir finden nun auch die Abwesenden in den Stimmregistern von Moghegno, Aurigeno, Maggia, Coglio, Giutnaglio und vielen ändern Gemeinden. Wir halten für nothwendig, daß hier Gleichheit hergestellt werde. Wenn der Bundesrath in ändern Gemeinden die Abwesenden zur Wahl zuläßt, sollten auch alle unsere Abwesenden zugelassen werden, selbst wenn sie gegenwärtig nicht auf dem Stimmregister stehen.

Wir bitten, dies zu gestatten.

Am 28. antwortete der Staatsrath: Jetzt kann gar keine Aenderung mehr unter irgend einem Titel am Stimmregister vorgenommen werden, da der 5. Februar der letzte Tag für die Einreichung der Rekurse war.

Am 2. März beschwerte sich das liberale Komite hierüber telegraphisch beim Bundesrathe ; die Munizipalität habe immer auf eine Antwort vom Kommissär gewartet, schließlich recharchirt und sich an den Staatsrath gewendet, nun sage man ihr, sie sei verspätet ; so werde hier mit dem Stimmrecht des Bürgers umgegangen.

VIII. Am 3. März bevollmächtigte Tunzi, Luigi, fu Castriziano, seinen Bruder, gegen seine Ausschließung vom Stimmregister von Lodano an die Bundesbehörden zu rekurriren, was Letzterer am nämlichen Tage unter Einlegung der Vollmacht und des Stimmzettels seines Bruders Luigi that.

Er erzählte, wie die Munizipalität vom Kommissär keine Antwort erhalten habe und vom Staatsrath abgewiesen worden- sei.

Luigi Tunzi selbst reichte dem Wahlbüreau am 3. März einen Protest gegen seinen Ausschluß ein und erklärte, daß, wenn zugelassen, er für die liberal-radikale Liste gestimmt haben würde.

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Die Untersuchung des ßundesdelegirten ergab, daß dieser Bürger, seit fünfzehn Jahren Kaminfeger in Paris, vor vier Jahren einmal zurückkam, und so auch wieder auf die Wahlen vom 3. März. Er war niemals im Stimmregister von Lodano eingeschrieben, weil er schon im Alter von elf Jahren auswanderte, ist unverheirathet und zahlt in Lodano die Steuern. Der Sindaco erzählte, wie er trotz zweimaliger Anfrage vom Kommissär keine Antwort habe erhalten können u. s. w. Von den auswärts Domizilirten erschien nur dieser zur Wahl.

Der B u n d e s r ath zieht in E r w ä g u n g : 1. Der Bundesrath ist nicht in der Lage, über die Berechtigung der einzelnen im Vorstehenden genannten Bürger zur Theilnahme an den angefochtenen Wahlen zu entscheiden, weil keiner derselben den ordentlichen Insfanzenzug bis zur obersten kantonalen Verwaltungsbehörde hinauf durchgeführt hat. Immerhin mag zur Kennzeichnung des Standpunktes, welchen der Bundesrath in den vorwürfigen Fragen einnimmt, zu Händen des Kommissärs und der Munizipalitäten und behufs künftiger Vermeidung der so bedauerlichen und der Bundesverfassung direkt zuwiderlaufenden Ungleichheit der Behandlung der Schweizerbürger in den verschiedenen Gemeinden das Folgende bemerkt werden.

2. Was die Frage des Domizils betrifft, so kann als solches nur derjenige Ort angesehen werden, an welchem der Bürger thatsächlich wohnt. Weder die Bundesverfassung noch die tessinischen Gesetze berechtigen zu1 der Ansicht, daß ein fiktives Domizil anzunehmen sei. Diese Ansicht müßte auch zu großer Unsicherheit und unter Umständen weitläufigen Untersuchungen führen. Nur das Eine ist zuzugestehen, daß, da bei einem Wechsel des Domizils das Stimmrecht am neuen Niederlassungsorte erst nach Ablauf von drei Monaten erworben ist, der Bürger aber nicht unterdessen lediglich dieses Wechsels wegen seines Aktivbürgerrechtes beraubt sein kann, während dieser Zeit noch sein Stimmrecht am alten Domizi fortdauern muß. Dagegen ist die Ansicht zu verwerfen, daß der im Auslande befindliche Tessiner Bürger, der seinen heimatlichen Wohnsitz aufgegeben hat, noch ein politisches Domizil an seinem Heimatorte habe; im Gegentheil hat das Getetz vom 15. Juli 1880 grundsätzlich gerade im Gegensatz zum Heimatorte den Ort des Domizils für das politische Stimmrecht maßgebend erklärt.

3. Nach diesen Ausführungen ist ohne Weiteres klar, daß in Campo die beiden Bürger Pedrazzini und Balocchi, weil nicht daselbst domizilirt, mit Recht ausgeschlossen worden sind, ebenso

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Pozzi in Giurnaglio und Tunzi in Lodano, daß dagegen in den übrigen Gemeinden die auswärts Domizilirteu mit Unrecht zugelassen wurden, so auch die beiden Calanchini in Linescio, falls sie, wie behauptet wird, noch nicht drei Monate lang ihr Domizil daselbst hatten. Die Beschwerde der Munizipalität Lodano ist also materiell nicht begründet.

"o1 e. Was die beiden in Giumaglio Vergessenen, Muscio und Pozzi, betrifft, so ist zu bedauern, daß ihnen nach der bestehenden tessinischen Gesetzgebung auf dem von ihnen eingeschlagenen Wege nicht mehr geholfen werden konnte; der richtige Weg wurde der gewesen sein, daß sie selbst, oder ein Anderer, z. B. die Munizipalität in ihrem Namen, sich an den Kommissär und nöthigenfalls an den Staatsrath gewendet hätten mit dem Begehren, ihre Eintragung noch anzuordnen.

5. Bonetti hat die kantonalen Instanzen übergangen und es kann daher auf diese Beschwerde nicht eingetreten werden.

6. Auf die Notiz betreffend die Gemeinde Menzonio, wenn das überhaupt ein Rekurs sein soll, kann, ganz abgesehen von ihrem unbestimmten Wortlaut, schon deßvvegen nicht eingetreten werden, weil diese Angelegenheit vor Allem Sache der Wahlaktenprüfungskommission des Großen Käthes gewesen wäre, bei welchem nach dem Berichte über die Verhandlungen des Großen Käthes keine diesfällige Beschwerde erhoben worden ist.

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Demnach hat der Bundosrath beschlossen:

1. Auf die vorliegenden Beschwerden wird nicht eingetreten.

2. Mittheilung an den Staatsrath des Kantons Tessiti für sich und zu Händen dei1 betheiligten Behörden und Bürger.

B e r n , den 29. Juli 1891.

Im Namen des Schweiz. Bundésrathes, Der Bundespräsident:

Welti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bundesrathsbeschluss über

die Rekursbeschwerden betreffend die Großrathswahlen vom 3. März 1889 im tessinischen Wahlkreise Agno (Vezia).

(Vom 4. August 1891.)

Der schweizerische Bundesrath hat

in Sachen der Rekursbeschwerden betreffend die Großrathswahlen vom 3. März 1889 im tessinischen Wahlkreise Agno (Vezia) nach dem Bericht des Justiz- und Polizeidepartements folgenden T h a t b e s t a n d gefunden: A. Betreffend die Gemeinde Vezia.

I. Am 5. Februar 1889 verlangten Arrigoni, Michele, und Streitgenossen beim Regierungskommissär die Streichung folgender Bürger aus dem für die Großrathswahlen vom 3. März ausgestellten Stimmregister dieser Gemeinde : Pianezzi, Giovanni, fu Antonio, Pianezzi, Giacomo, di Giovanni, da dieselben seit 11. November 1888 in Sigrino niedergelassen seien.

Die Munizipalität antwortete, so viel sie wisse, seien die Genannten nicht schon seit dem 2. Dezember von Vezia weggezogen.

Der Kommissär wies darum den Rekurs ab.

Die Petenten rekurrirten hiegegen an den Staatsrath unter Wiederholung ihrer Behauptung.

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Bundesrathsbeschluss über die Rekursbeschwerden betreffend die Großrathswahlen vom 3. März 1889 im tessinischen Wahlkreise Cevio (Vallemaggia). (Vom 29. Juli 1891.)

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