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Schweizerisches Bundesblatt.

43. Jahrgang. III.

Nr. 28.

8. Juli 1891.

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Druck Expedition der Karl & de. in Bern.

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Bundesrathsb eschluß über

die Rekursbeschwerde betreffend die Gemeinderathswahlen in Locarno vom 1. Mai 1887.

(Vom

8. Juni 1891.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s rat h hat in Sachen der Rekursbeschwerde betreffend die Gemeinderathswahlen in Locamo vom 1. Mai 1887 nach dem Bericht des Justizund Polizeidepartements folgenden Thatbestand gefunden:

I. Auf Sonntag den 1. Mai 1887 war in Locarno die Wahl dreier Mitglieder und eines Ersatzmannes der dortigen Munizipalität {des Gemeinderathes) durch die Aktivbürgerschaft der Gemeinde angesetzt.

Am Nachmittage vor der Wahl, Samstag den 30. April, hielt die Munizipalität eine Sitzung, aus deren vom Sindaco G. Volonterio und vom Sekretär A. Lotti unterzeichneten Protokoll sich Folgendes ergibt: Es wurden der Munizipalität vorgelegt : A. Das Begehren des Domenico Rigola um Streichung von 16 Bürgern im Stimmregister.

B. Das Begehren des Albino Gianatelli um Aufnahme von 22 Bürgern.

C. Das Begehren des Giuseppe Bianchetti um Streichung von 8 Bürgern.

Bundesblatt. 43. Jahrg. Bd. III.

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D. Das Begehren des Albino Gianatelli um Streichung von 2 Bürgern.

E. Das Begehren des Attilio Balli, daß er in das Stimmregister aufgenommen werde.

F. Bin Antrag einer von der Munizipalität aus ihrer Mitte zur Prüfung dieser, sowie früher gestellter Begehren bestellten Subkoramission über einen Theil derselben. · Die Munizipalität faßte daraufhin folgende Beschlüsse: A. A u f n a h m e folgender Namen in das Stimmregister: 1. Danzi, Vincenzo fu Calimero.

2. Alliata, Guglielmo fu Giulio.

3. Marazzi, Carlo fu Giovanni.

4. Rossi, Antonio di Luigi.

5. Bernaseoni, Amadeo di Giov.

6. Bezzola, Modesto di Giacomo.

7. Caporgno, Pietro fu Pietro.

8. Engeli, Natanael fu Giov.

9. Muralti, Vittore fu Gasp.

10. Pagauetti, Giuseppe fu Giac.

11. Paganetti, Salvatore di Gius.

12. Pellanda, Maurizio.

13. Pessina, Aurelio fu Amanzio.

14. Schaffner, Moritz fu Ignaz.

15. Aebi, Jost fu Jost.

16. Nicora, Giov. di Gius.

17. Respini, Carlo fu Carlo.

18. Nessi, Giac. fu Pietro.

19. Materni, Gius, di Gasp.

20. Adamina, Giac. fu Giac.

21. Adamina, Luigi fu Giac.

22. Beltrami, Giov. di Giov.

23. Frey, Victor di Franz.

24. Pedrazzi, Domenico fu Domenico.

25. Pedrazzi, Giuseppe di Domenico.

26. Pedrazzi, Domenico di Domenico.

27. Decarli, Gius. Ant.

28. Decarli, Gio'rgio, genannt Ciapüsc.

29. Canova. Giuseppe fu Bernardo.

30. Rusconi, Adamo fu Lorenzo.

31. Soldati, Giov. fu Tobia.

32. Vanenti, Giov. fu Carlo.

33. Tarchini, Rocco fu Pietro.

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Biseara, Giov. fu Giacomo.

Chiesa, Costante.

Nicora, Francesco di Vittore.

Jelmorini, Ermenegildo di Gottardo.

Fantoni, Luigi fu Pietro.

Fantoni, Gio. fu Pietro.

Gobbi, Costantino fu Cari' Ant.

Jacmolli, Gioach. di Pietro.

Galli, Iginio di Ant.

Minoli, Andrea di Andiv Ceschi, Giov. fu Andr.

Ciseri, Vino, fu Frane.

Ciseri, Frane, di Vinc.

Ciseri, Gius, di Vinc.

Ciseri, Cesare di Vinc.

ßusconi, Davide di Maria.

Giulieri, Frane, fu Giac.

B. A b w e i s u n g des Begehrens um Aufnahme von 1. Balli Attilio.

2. Barassi Natale.

3. Barassi Antonio.

C. S t r e i c h u n g von 1. Bacchi, Angelo di Vinc.

2. Bacchi, Pietro di Vino.

3. Decarli, Ant., genannt Tonasela.

4. Madonna, Cirillo fu Fedele.

5. Filippelli.

6. Bettoli, Rodolfo fu Angelo.

7. Gi'igolli, Carlo fu Luigi.

8. Griu-olli, Ant. di Carlo.

9. Grigolli, Luigi di Carlo.

10. Barboni, Giov. di Gius.

11. Rusca, Prospero di Frane.

12. Arnoldi, Gius, fu Frane.

13. Buffi, Giov. di Melchiorre.

14. Franzooi, Giov. Batt. fu Frane. Ant.

15. Fraazoni, Gugl. fu Frane. Ant.

16. Bustelli, Èrcole fu Michele.

Ferner 7 Verstorbener.

D. V o r l ä u f i g e E i n t r a g u n g von 1. Cappella. Cristoforo fir Giacomo, 2. Marcolli, Giov. fu Gius.,

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3. Negri, Griov. fu Matleo, 4. Zimbelli, Luigi di Andrea, 5. Vittori, Natale fu Domenico, und v o r l ä u f i g e A b w e i s u n g der S t r e i c h u n g von 1. Giugni, Pietro fu Gottardo, 2. Bustelli, Felice fu Michele, mit dem Auftrage an den Sindaco, sie zu streichen, wenu die Mitglieder der Munizipalität Magoria, Rusca und Pioda ihm noch berichten sollten, daß sie nicht stimmberechtigt seien.

Daraufhin ordnete noch am 1. Mai selbst der Sindaco die S t r e i c h u n g an von IT. Cappella Cristoforo.

Die Eintragung der Uebrigeii wurde aufrecht erhalten.

II. Am Wahltage gab Rusca, Prospero, dem Sindaco einen von ihm und Anderen unterzeichneten Protest gegen ihre Streichung ab mit dem Beifügen, daß sie sich die Wahrung aller ihrer Rechte bei den eidgenössischen und den kantonalen Behörden vorbehalten.

III. Die Eröffnung der Urne ergab 395 Stimmzettel, wovon keiner leer, absolutes Mehr 198; es erhielten Stimmen: Magoria, Luigi 222. Simona, Luigi 208. Rusca, Giov. 20B.

Pioda, Alfr. (bish.) 188. Roggero, Vittorio 184. Balli, Attilio 182.

Für die Stelle eines Ersatzmannes Bacchi, Vincenzo 261.

Der Sindaco erklärte daraufhin die Herren Magoria, Simona und Rusca zu Mitgliedern und Bacchi z,um Ersatzmann der Munizipalität gewählt.

IV. Am nämlichen Tage protestirte Barassi, Natale, telegraphiscli beim Bundesrathe gegen seine Sireichung, gestützt auf Art. 5 der Bundesverfassung, uad verlangte schleunigst Anweisung au den Gemeiuderath, ihn zur heutigen Abstimmung zuzulassen. Ferner erhielt der Buudesrath von R u s e a , Zolleinnehmei' in Luiuo, B u f f i , Giovanni, Zollinspektor daselbst, A r n o l d i, Giuseppe, ,, ,, G r ig o l i i , Carlo, Zolleinnehmer in Maccagno, eine Depesche aus Locamo folgenden Inhaltes: Die unterzeichneten Bürger von Locamo, die auf dem dortigen gemäß Art. Tl des Gemeindegesetees vom 13. Juni 1854 öffentlich ausgestellten Stimmregister erscheinen, sind heute nach Locarne gekommen, um an den heutigen Wahlen in den Gemeinderath Theil

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Die Unterzeichner, ausgenommen Grigolli, fügen ihren Unterschriften bei, daß sie ihr Stimmrecht bei den vorigen Gemeinderathswahlen vom 15. Mai 1886 ausgeübt haben.

V. Auf Antrag des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements wurde zufolge Verfügung des Bundespräsidenten noch am nämlichen Tage der Wortlaut dieser beiden Telegramme an die Regierung in Bellinzona telegraphirt mit dem Zusätze: ,,Veuillez faire rapport. Lettre suit."

VI. Unter gleichem Datum reîchten R u s e a , Prospero, di Francesco, und Streitgenossen dem Bundesrathe eine Abschrift des Protestes ein, welchen sie dem Bureau der Wahlversammlung abgegeben hatten. Sie erklären darin, daß sie bis gestern Samstag Abend 5 Uhr auf dem Stimmregister gestanden haben, welches dem Gesetze gemäß im vorigen Januar öffentlich ausgestellt worden sei, ohne daß weder die Munizipalität, noch irgend ein Dritter dagegen Einsprache erhoben hätte, heute aber, zur Theilnahme an der Wahlverhaodlung erschienen, haben erfahren müssen, daß sie vom Gemeinderathe in letzter Stunde gestrichen worden seien, daß sie sich dagegen auf Art. 79 des Gemeindegesetzes und Art. 4 der Bundesverfassung berufen.

VII. Mit Datum vom 10. Mai 1887 wurde dem Regierungskommissär isorni in Locamo ein gedruckter ,,Rekurs gegen die Gemeindeversammlung von Locamo vom 1. Mui 1887a eingereicht, unterzeichnet von Bacilieri, Ettore, und Andern.

Da der genannte Kommissär selbst an der angefochtenen Wahlversammlung Theil genommen hatte, wurde ihm der Entscheid darüber anheimgegeben, ob er als Rekursinstanz funktioniren könne oder nicht.

Die Rekurrenten verweisen auf Art. 4 und 5 der Bundesverfassung und bezüglich der schweizerischen Niedergelassenen auf Art. 43 daselbst. Es wird Folgendes ausgeführt:

782 Zufolge des letztgenannten Artikels erließ der Große Rath des Kantons Tessin ein Gesetz vom 12. Mai 1878, dem jedoch der Bundesrath die Genehmigung versagte. Ein zweites Gesetz wurde erlassen den 15. Juli 1880 (Raccolta Bd. I, p. 87 und 88) und vom Bundesrathe mit Vorbehalt der Bestimmungen der Art. 43 und 45 der Bundesverfassung genehmigt. Unterm 28. Januar 1881 richtete das kantonale Departement des Innern an die Gemeinderäthe ein Circular, welches das Verständnis und die Anwendung des Gesetzes erleichtern sollte. Dazu kommt das Gemeindegesetz vom 13. Juni 1854, welches im Art. 79 bestimmt: ,,Das Stimmregister und seine Einträge können nach Ablauf eines Monates seit der Publikation nicht mehr angefochten werden."

In thatsächlicher Beziehung wird hervorgehoben: 1. Das Stimmregister für das Jahr 1887 ist ordnungsgemäß angefertigt und drei Sonntage hintereinander im Monat Januar öffentlich angeschlagen worden, wie das Gemeindegesetz es vorschreibt.

Es ist den Rekurrenten nicht bekannt, daß während dieser Zeit irgend welche Reklamationen betreffend Aufnahme oder Streichung eines Bürgers gemacht worden seien ; es war also jeder eingeschriebene Bürger berechtigt, seine Befugniß zur Ausübung der verfassungsmäßigen Rechte während des Jahres 1887 als sicher anzunehmen.

2. Einige Tage vor der Gemeindeversammlung vom 1. Mai wurde das Stimmregister neuerdings, und zwar mit einigen Modifikationen, neuen Aufnahmen und Streichungen, publizirt, so daß den Bürgern noch die Möglichkeit blieb, ihre Rechte zu wahren.

3. Erst am Samstag den 30. April, Abends 1/2 7 Uhr, ordnete der Gemeinderath von Locamo eine Reihe von Eintragungen und Streichungen an; und zwar strich er eine Reihe von Bürgern, ohne sie auch nur gehört zu haben, und substituirte ihnenn anderò, welche die gesetzlichen Requisite nicht erfüllen. Diese Modifikationen des Stimmregisters konnten auch nirgends mehr angeschlagen werden, und so hatte auch keiner der Gestrichenen mehr die Möglichkeit, selbst auf telegraphischem Wege nicht, sich zur Geltend m achung seines Stimmrechtes an die kompetenten Behörden zu wenden.

Es wird gesagt, daß die drei gewählten Gemeinderäthe Mago ria, Simona und Rusca die ultramontanen, die drei unterlegenen Pioda, Roggero, Balli die liberalen Kandidaten gewesen seien, während die Wahlen des Jahres 1886 auf 2 Ultramontane und 2 Liberale gefallen waren.

Es wird eine Untersuchung durch den Kommissär verlangt gemäß Art. l, § 2, des Dekretes vom 27. April 1880. Angerufen

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werden die Artikel 194 und 195 des Gemeindegesetzes, und das Begehren geht auf Annullirung der getroffeneu Wahlen und Anordnung einer neuen Wahlverhandlung, nach vorgenommener Richtigstellung der Stimmregister, und zwar so, daß Jeder zur rechten Zeit erfahre, ob er beim Erscheinen an der Urne auch wirklich .zur Abgabe seiner Stimme werde zugelassen werden oder nicht.

In einem Annex werden die einzelnen Bürger bezeichnet, mit Bezug auf welche die Verfügung der Munizipalität angefochten ·wird. Es sind folgende: A. U n g e r e c h t f e r t i g t e r W e i s e g estr i c h e n : 1. Dettoli, Stefano fu Angelo, von Lugano, in der Fremde 20 Jahre alt geworden, mit seiner Familie seit lange in Locamo domizilirt.

2. Grigolli, Carlo fu Luigi, 3. Grigolli, Antonio di Carlo, 4. Grigolli, Luigi di Carlo.

Ihr letztes Domizil war Locamo ; sie verließen die Stadt, um ins Ausland zu gehen. Der Rekurs a.n den Bundesrath, pag. 17, Anm. 4, fügt bei : ,,Der Vater Grigolli ist Zolleinnehmer in Maecagno (Italien), hat 1884 in Locamo gestimmt und hat dort immer auf dem Stimmregister gestanden, wie auch die beiden Söhne. Sie haben immer ihr Schweizer- und Tessinerbürgerrecht bewahrt und kein anderes erworben.tt 5. Rusca, Prospero di Francesco, von Locamo, seit 1882 als schweizerischer Hauptzolleinnehmer in Luino etablirt, seit Jahren bis zum 30. April auf dem Stimmregister von Locamo gestanden, hat Theil genommen an den Gemeindewahlen von 1885 und 1886.

6. Arnoldi, Giuseppe fu Francesco, von Locamo, und 7. Buffi, Giovanni fu Melchiorre, von Locamo. Diese Beiden, seit 1880 als schweizerische Zollbeamte in Luino wohnhaft, 1881 neuerdings auf das Stimmregister genommen, laut Brief des Geineinderathes vom 26. Februar 1882, haben an allen früheren Wahlen Theil genommen.

8. Bustelli, Èrcole fu Michele, von Locamo, am 30. April, Abends Va 7 Uhr, gestrichen auf die Behauptung eines Unbekannten hin, daß er im Stimmregister von Contra erscheine und dort seine bürgerlichen Rechte ausübe. Er wurde hievon benachrichtigt, als er an der Wahlurne erschien, um seine Stimme abzugeben, und bestritt jene Angabe sofort des Entschiedensten

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in offener Versammlung; sein Domizil ist und bleibt bei seiner Familie in Locamo; gleichwohl wurde er nicht zugelassen.

9. Respini, Pompeo, Dr. jur., von Cevio (V. Maggia), seit mehreren Monaten im Advokaturbüreau des Sindaco vou Locamo.

B.Bürger, welche u n r i c h t i g e r Weise in das S t i m m r e g i s t e r a u f g e n o m m e n w u r d e n und an der Abstimmung Theil genommen haben: 1. Antognini, Teodoro fu Giacomo, von Magadino, ein Vagabund ohne festes Domizil, der nicht in Locamo wohnt und keine Steuern bezahlt.

2. Togni, Giuseppe fu Giuseppe, von Brione-Verzasca, 3. Togoi, Giuseppe, di Giuseppe, von Brione-Verzasca, 4. Togni, Gaetano, di Giuseppe, von Brione-Verzasca, 5. Guesa, Giuseppe fu Giovanni, von Brione-Verzasca.

Diese Vier wechseln ihre Wohnung zwischen Locamo und ßrione Verzasca; sie sind im Stimmregister ihrer Hoimatgemeinde eingeschrieben und seit mehr als 3 Monaten von Locamo abwesend. Die 3 Erstem befanden sich um diese Zeit auch in ihrer Heimat- und Wohngemeinde Bvione; ultramontane Wahlagenten aber holten sie am Wahltage 2 Uhr des Morgens im Wagen (wie der Rekurs an den Bundesrath, pag. 19, Anm. 3, sagt, des Kandidaten Magoria selbst) ab.

6. Fantoni, Luigi fu Pietro, von Ascona, im diesjährigen Stimmregister der Gemeinde Ascona eingeschrieben, in Locamo erst am Samstag, 30. April, Abends llsl Uhr, aufgenommen.

7. Mercolli, Giovanni fu Giuseppe, von Vezio, nach seiner unter 5 b bei den Akten liegenden Erklärung erst seit dem 6. Mary, d. J. in Locamo wohnhaft; er hat an den diesjährigen Muniidpalrathswahlen seiner Heimatgemeinde Theil genommen und gar nicht verlangt, in Locamo eingeschrieben zu werden, und das ist in letzter Stunde doch geschehen.

8. Zenettini, Giovanni fu Giuseppe, von Ascona, eingeschrieben im diesjährigen Stimmregister von Ascona.

9. Ceschi, Giovanni fu Andrea, von Palagnedra, ebenso in seiner Heimatgemeinde eingeschrieben, in Locamo erst in der letzten Stunde.

10. Consolascio, Giuseppe fu Giovanni, von ßrione s/M., 11. Consolascio, Giuseppe di Giuseppe, von Brione s/M., in ihrer Heimatgemeinde eingeschrieben.

785 12. Rusconi, Davide di Maria, von Russo, erst am Abend des 30. April eingeschrieben.

13. Materni, Giuseppe di Gaspare, von Ronco, in Ronco eingeschrieben und erst in letzter Stunde auch in Locamo.

14. Ciseri, Vinceozo fu Francesco, von Ronco, 15. Ciseri, Cesare di Vincenzo, VOD Ronco, 16. Ciseri, Giuseppe di Vincenzo, von Ronco, Alle 3 in Ronco eingeschrieben, wo der erste von ihnen auch gestimmt hat; die beiden Söhne sind im Ausland domizilirt.

17. Pedretti, Giuseppe di Eliseo, von Anzonico, seit mehr als sechs Monaten im Seminar von Lugano.

18. Canova, Giuseppe fu Bei-nardo, Gendarme, 19. Rusconi, Adamo fu Lorenzo, Gendarme, 20. Soldati, Giovanni fu Tobia, Gendarme, 21. Vanauti, Giovanni fu Carlo, Gendarme, 22. Tarchini, Rocco fu Pietro, Gendarme, Alle ohne festes Domizil, erst in letzter Stunde eingeschrieben; Soldati hat zudem an den Gemeinderathswahlen seiner Heimatgemeinde Theil genommen. Der Rekurs an den - Bundesrath, pag. 22, Anm. l, fügt hinzu:, ,,Nr. 18, 21 und 22 sind erst kurze Zeit vor dem 1. Mai nach Locamo versetzt worden"-.

23. Galli, Tginio di Antonio, 24. Minolli, Andrea di Andrea, 25. Jacmolli, Gioachino di Pietro.

Diese drei Zöglinge des Lehrerseminars, ohne gesetzliches Domizil in Locamo, erst am Abend des 30. April eingetragen.

,,Ihre Eintragung vom Jahre 1885a, fügt der Rekurs an den Bundesrath, pag. 22, hinzu, ,,und ihre Theilnahme an der Abstimmung über das Kirchengesetz vom Jahre 1886 hat schon zu Reklamationen Veranlassung gegeben; aber die Oberbehörden haben diese nicht erledigt."

26. Biscara, Giovanni fu Giacomo, von Minusio, eingeschrieben iu Solduno, wo er auch dieses Jahr an den Gemeinderathswahlen Theil genommen hat.

27. Pedrazzini, Martino, Staatsrath, von Campo (V. Maggia), als Justiz- und Polizeidirektor des Kantons gemäß Art. 2 dos Gesetzes vom 22. März 1855 im Hauptorte des Kantons domizilirt.

786 28. Adamina, Giacomo fu Giacomo, von Orselina, 29. Adamina, Francesco fu Giacomo, von Orseliua, 30. Adamina, Giuseppe fu Giacomo, von Orselina, im Stimmregistev von Orselina 1887 eingeschrieben, der erste erst am 30. April, Abends, in Locamo.

31. Balli, Federico fu V. A., von Cavergno (V. Maggia), wechselt sein Domizil zwischen Locamo und Cavergno und ist auch in Cavergno eingesehrieben, wo er nach dem Rekurs an den Bundesrath das ,,Hôtel des Glaciers" besitzt.

32. Beltrami, Giovanni di Giovanni, von Cavergno, sein Angestellter, in Locamo angekommen den 20. Dezember 1886, wieder abgereist am 13. Mäi-z 1887, kam am 1. Mai von Caverguo nach Locamo, um daselbst an der Wahl Theil zu nehmen und kehrte am gleichen Tage wieder nach Cavergno zurück; erst am Abend des 30. April eingeschrieben.

33. Imperatori, Luigi di Defendente, von Pollegio, eingeschrieben im Stimmregister von Pollegio, wo er an den Wahlen der Gemeinde Theil genommen haben wird.

34. Zambelli, Luigi di Andrea, 35. Vittori, Natale fu Domenico.

Beide haben in ihrer Heimatgemeinde Toricella an> den Gemeinderathswahlen vom 16. Januar und 13. Februar, wo sie noch zur Stunde eingeschrieben sind, ohne ihr Domizil zu verändern, dieses Jahr Theil genommen; sie sind am 19. März d. J. nach Locamo gekommen uüd noch am 30. Abends daselbst eingeschrieben worden.

36. Negri, Giovanni fu Matteo, voa Fescoggia, laut seiner unter Nr. 5 a bei den Akten liegenden schriftlichen Erklärung in Locamo am 2. März d. J. angekommen, hat in seiner Gemeinde an den Gemeinderathswahlen des Jahres 1887 Theil genommen, in Locamo dagegen keineswegs verlangt, in das Stimmregister aufgenommen zu werden; er ist gleichwohl am Abend des 30. April aufgenommen worden.

37. Bacchi, Pietro di Vincenzo, mit seiner Familie in Ascona domizilirt, ohne Domizil in Locamo und daselbst auch nicht in das Stimmregister aufgenommen, hat gleichwohl an der Wahl des 1. Mai Theil genommen und seine Stimme ist auch gezählt worden.

38. Gianatelli, Giuseppe fu Gaspare, seit mehreren Jahren in Orselina domizilirt, wo er im Hause der Familie Isorni wohnt.

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39. Pedrazziui, Giuseppe fu Guglielmo, von Campo (V. Maggia), war in Genf domizilirt und ging von da direkt nach Intra (Italien), wo er gegenwärtig wohnt.

40. Cappella, Tommaso fu Tommaso, von Mergoscia, ist nach dem Amtsblatte vom 11. November 1887, pag. 1339, geboren den 8. November 1867, hat also das gesetzliehe Alter noch nicht erreicht und ist dennoch in das Stimmregister von Locamo aufgenommen worden. Er steht im Register der Bevölkerung von Muralto, pag. 61, in welcher Gemeinde er auch in der That sein Domizil hat.

41. Muralti, Vittore fu Gaspare, von Muralto, in Muralto eingeschrieben und Gemeindeschreiber, gleichwohl am 30. April, Abends, in Locamo eingeschrieben.

42. Barboni, Pietro fu Francesco, von Locamo, 43. Decarli, Giorgio, genannt Ciapüsc, 44. Decarli, Francesco, genannt Davidin, Alle 3 seit Jahren von der Gemeinde unterhalten, also nach dem Gesetz vom 15. Juli 1880 nicht wahlfähig.

'oC. Bürger, denen die A u f n a h m e in das Stimmregister verweigert wurde: 1. Gianoni, Alberto, von Brione s./Min. Postmeister, seit mehr als einem Jahre in Locamo dornizilirt.

2. Rusch, Fortunato di FJoriano, von Mayenfeld, seit letztem Dezember im Postbureau Locamo angestellt und in Locamo domizilivt.

3. Allidi, Giuseppe, von Ascona, Zollwächter, lange in Locamo domizilirt, wenige Tage vor dem 1. Mai versetzt; sein Stimmrecht war weit besser als dasjenige der Gendarmen.

4. Rossi, Achille, von Brissago, Hausknecht im Hotel zur Krone und daselbst wohnhaft seit letztem Oktober.

5. Gagliardi, Giuseppe, von Prato (V. Maggia), seit mehr als 3 Monaten in Locamo wohnhaft, gerade so gut berechtigt wie Materni, Vincenzo Ciseri u. A.

6. Balestra, Agostino, von Gerra (Gambar.), hat seinen festen Wohnsitz in Locamo, wo er seit mehr als 3 Monaten den Beruf eines Malers ausübt.

7. Balli, Attilio fu Giacomo, von Locamo, seit September (im Rekurs an den Bundesrath, pag. 17, Anni. 2, steht November) 1886 mit seiner Familie in seinem eigenen Haus in Locamo

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wohnhaft, hat persönlich seine Aufnahme in das Stimmregister nachgesucht.

Pessina, Abelardo di Aurelio, von ? , mit seinem Vater in Locamo domizilirt seit letztem Januar und bei der Douane angestellt.

Candolfi, Antonio, von Comologno, seit mehreren Jahren in Locamo domizilirt.

Barassi, Natale fu Pietro, von Locamo, Barassi, Antonio di Natale, Bürger von Locamo, wohnhaft in Intra. Sie sollten laut dem Gesetz von Amtes wegen im Stimmregister eingetragen sein, haben sich aber auch noch speziell dafür verwendet.

Als sie an der Stimmurne erschienen, wurden sie nicht zugelassen. Barassi, Antonio hat in den letzten Jahren regelmäßig seinen Militärdienst geleistet. ,,Der Kreiskommiindaut Bizzinia, fügt der Rekurs an den Bundesrath, pag. 17, Anm. 3, bei, ,,hat ihm für ein Jahr die Erlaubniß ertheilt neuerdings ins Ausland zu gehen.tt

Dazu kommen nächstens : 12. Barboni, Giovanni di Giuseppe, von Locamo, daselbst seit mehr als 4 Monaten domizilirt, in keinem andern Stimtnregister eingetragen und erst am Abend des 30. April in Locamo gestrichen.

13. Giacometti, Giov. Batt. fu Giacomo, von Minusio, blinder Berufsbettler, ohne Domizil, am Weg nach der Madonna del Sasso, wurde am 1. Mai zur Stimmurne geführt, zahlt keine Sleuern in Locamo.

Die Rekurrenten fügen hinzu : Im Anfang des Jahres, als es sich darum handelte, das Stimmregister von Louarno für 1887 aufzustellen, setzte der Gemeinderath dafür eine Spezialkommission nieder, bestehend aus den Herren G-aspare Franzoni und Luigi Magoria ; der Erstere, ein Liberaler, schlug dafür bestimmte Wegleitungen vor zur Vermeidung der sonst beständig auftauchenden Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und dem ultramoutanen Magoria, und der Gemeiderath stimmte zu.

Daraufhin fertigte die Kommission das Stimmregister an, der Stadtrath genehmigte es, stellte es öffentlich aus, und Niemand reklamirte.

In der Stadtrathssitzung vom 22. April legte der genannte Herr Franzoni eine Liste von Aktivbürgern vor aur Ergänzung des Stimmregisters, auf welcher theils solche Bürger eingetragen waren, O

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welche unterdessen das gesetzliche Alter erreicht, theils solche, welche die gesetzlich vorgeschriebene Dauer des Domizils in der Gemeinde, 3 Monate, vollendet hatten; dagegen sollten diejenigen gestrichen werden, welche gestorben waren oder ihr Stimmrecht verloren hatten, ohne Ansehen ihrer politischen Parteiangehörigkeit.

Die Angelegenheit sollte Montag den 25. April im Gemeinderath zur Behandlung kommen; aber der ultramontane Gemeinderath Magoria blieb unter nichtigen Vorwänden von der Kommissionssitzung aus; man wollte noch nicht entscheiden, urn keine Zeit mehr zum Rekurs an die- Oberbehörden zu lassen.

Unterdessen hatten die Parteien bereits Listen solcher Bürger eingereicht, für welche das Stimmrecht noch reklamirt wurde; es war Pflicht des Gemeinderathes, darüber zu entscheiden, um auch den Bürgern, welche sich allenfalls in ihrem Stimmiecht verletzt glauben sollten, Zeit zum Rekurse zu lassen. Das paßte jedoch nicht in den Plan der ultramontanen Partei und darum verschob der Sindaco die Gemeinderathssitzung auf Donnerstag Abend, mit der Begründung, daß die Kommission, wie wenn sie eine Untersuchungskommission wäre, verschiedene thatsächliche Angaben noch verifiziren könne. Die Kommission sollte zu diesem Zwecke am Donnerstag Vormittag sich im Stadtrathssaale einfinden.

Franzoni erschien auch in der That pünktlich daselbst; er erwartete jedoch Herrn Magoria vergeblieh; er sandte ihm den Weibel, allein Magoria war nicht zu Hause und auch nicht anderswo aufzutreiben. So konnte von der Kommission am Donnerstag Abend kein Bericht erstattet werden. Der Gemeinderath verschob aufs Neue jeden Entscheid über das Stimmrecht^ er setzte dafür eine neue Sitzung an auf den nächsten Samstag, Nachmittags halb 3 Uhr, und bat die Herren Franzoni und Magoria, sich am Samstag Vormittag auf dem Stadthause einzufioden, um ihren Bericht über die verschiedenen Begehren um Aufnahme in das Stirnmregister zu vollenden.

Diesmal erschien Magoria in der Komrnissionssitzung und die Kommission konnte am Nachmittage ihren Bericht dem Gemeinderathe vorlegen, welcher bis halb 7 Uhr Abends Sitzung hielt.

Man hätte erwarten dürfen, daß die Berathung dieser Behörde sich nur mit dem Berichte der Kommission beschäftige; allein dies entsprach nicht den Absichten der ultramontanen Mehrheit. Der Gemeindeschreiber legte eine
von dem Advokaten A. Gianalelli unterzeichnete Eingabe vor, welche die Aufnahme von 24 ultramontanen, fast durchweg gemeindefi-emden Individuen in das Stimmregister von Locamo verlangte. Trotz dem Widerspruche der Minderheit ging die Liste fast vollständig durch. Noch mehr:

790 Der Gemeindeschreiber legte eine zweite Eingabe vor, unterzeichnet ,,Bianchetti"', in welcher die Streichung von 9 liberalen Bürgern von Locamo, die bis dahin im Sümmregister standen, verlangt wurde, und sie wurden sämrntlich gestrichen.

So sicherte sich die ultramontane Partei den Sieg auf den folgenden Tag.

Darauf aufmerksam gemacht, daß verschiedene der neu Eingeschriebenen noch nicht seit drei Monaten in der Gemeinde domiailirt seien, wie es das Gesetz vom Juli 1880 verlange, erwiderte der Sindaco, dieses Gesetz sei nicht anwendbar, weil es die Genehmigung der Bundesbehörden nicht erhalten habe.

Bürger, welche ausgewandert sind, um in der Fremde ihr Glück zu machen, sich dort niederzulassen, verheirathe.u, aber ihre alten Tage wieder in der Heimat zuzubringen gedenken, dürfen nicht vom Stimmregister gestrichen werden. So Barassi, Vater und Sohn. Sie wurden nicht aufgenommen unter dem Vorwande, daß ihre Unterschrift nicht durch Notar oder zwei Zeugen beglaubigt sei.

Nach dem Gesetze sollte ferner das Bureau der Wahlversammlung unmittelbar nach Proklamiruug des Wahlresultates die Stimmzettel in ein Paket legen und dieses versiegeln. Dies ist nicht geschehen.

Das Protokoll der Gemeinderathssitzung vom 30. April, welches nach dem Gesetze in der Sitzung selbst abgefaßt werden sollte, war am 5. Mai noch nicht gemacht.

In der Sitzung vom 30. April erklärte der Sindaco formell, daß, wenn auch der liberale Kandidat Attilio Balli die Mehrheit der Stimmen erhalten sollte, er ihn gleichwohl nicht als gewählt proklamiren würde.

Die ultramontane Mehrheit im Gemeinderath sah ein, daß sie das Vertrauen des Volkes nicht mehr besitze ; die Wahlen vom 6. Mai 1886 und die letzten Abstimmungen über die Kirchengesetne hatten ihr dies bewiesen. Sie wollte jedoch um jeden Preis siegen und sie hat gesiegt.

Es werden endlich eine Reihe Thatsachen angeführt, welche, wenn richtig, beweisen, daß Behörden unc[ Private von der ultra,montanen Partei nach der Wahl sich an Lehrern und Angestellten, welche für die liberale Liste stimmten, durch deren sofortige Entlassung rächten. Davon fällt indessen hier nur Folgendes in Betracht : Giugni, Giuseppe fu Battista, angestellt in dem Hause Quattrini & Cie., welchem auch der Regierungskommissär Isorni selbst

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angehört, wurde am Morgen nach der Wahl von Enrico Pedrazzini, dem Bruder des Staatsrathes, unter Drohungen fortgejagt, weil er einen kontrolirten Stimmzettel refüsirt habe.

VIII. Mit Datum vom 17./18. Mai 1887 antwortete der Staatsrath des Kantons Tessin dem Bundesrathe, daß, da über die fraglichen Wahlen der regelmäßige Administrativ weg eingeschlagen worden sei, er sich außer Stande sehe, die gewünschte Auskunft zu geben, so lange er nicht auf dem Wege der Appellation zur Bildung eines eigenen Urtheils über die Angelegenheit gelangt sei (Act. ö).

IX. Unterm 21. Mai 1887 würde dem Regierungskommissär von Locamo die Rekursbeantwortung der Munizipalität, d. d. 20. desselben Monats, eingereicht. Dieselbe führt Folgendes aus: Es ist richtig, daß Ende Dezember 1886 die Gemeinderäthe Magoria und Franzoni, den beiden politischen Parteien des Landes angehörend, mit der Revision des von Letzterem als sehr defekt bezeichneten Stimmregisters betraut wurden und daß sie in einer folgenden Sitzung des Gemeinderathes grundsätzliche Wegleitungen wünschten. Der Gremeinderath behielt das Traktandum eine Woche lang auf der Liste, um allen ^seinen Mitgliedern Gelegenheit zu dessen reiflicher Ueberlegüng zu geben, und stellte dann einstimmig die gewünschten Grundsätze fest. Daraufhin legte die Kommission das bereinigte Stimmregister in der Sitzung vom 2. Januar 1887 der Munizipalität vor. Diese fand sich, da die beiden Mitglieder der Kommission durchaus mit einander übereinstimmten, zu weiterer Prüfung der Vorlage nicht veranlaßt und beschloß die sofortige öffentliche Ausstellung derselben, die dann auch an den drei ersten Sonntagen des Januars stattfand.

Dieses Register sollte zweifellos, abgesehen von den Bürgern, welche erst nachher das gesetzliche Alter der Stimmberechtigung erhalten würden, maßgebend sein für die Gemeindeversammlungen des Jahres 1887.

Aber gemäß Art. 78 des Gerneindegesetzes und der konstanten Praxis konnte die Munizipalität sich der Pflicht nicht entziehen, in den zehn letzten Tagen vor der Wahl das Stirnmregister wiederum öffentlich auszustellen, und die Folge waren verschiedene Begehren um Aufnahme und um Streichung von Bürgern, Begehren, welche die Munizipalität der schon erwähnten Kommission zur Antragstellung überwies. Diese, am Donnerstag vor der Wahl mit ihrem Bericht nicht zu Ende, beantragte, das Stimmregister Samstag den 30. April, Mittags 12 Uhr, zu schließen; die Munizipalität stimmte

792 einstimmig zu und trat um 2 1/2 Uhr in die Berathung des Berichtes der Kommission ein. Sie nahm zuerst auf den einstimmigen Antrag der Kommission die Aufnahme von 28 und die Streichung von 16 Bürgern vor und trat dann auf diejenigen Punkte e i n b e z ü g lich welcher die beiden Mitglieder der Kommission verschiedener Meinung oder wenigstens nicht beide entschieden der nämlichen Ansieht waren, sowie auf die von beiden Parteien kurz vor Mittag gemachten Eingaben, welche die Kommission nicht mehr hatte prüfen können. Ohne jeden Verzug wurde jeweilen die Prüfung vorgenommen und der Entscheid getroffen, und alle Entscheidungen wurden einmüthig getroffen, bis auf die über Attilio Balli und einige Andere.

Art. 79 cit. ist stillschweigend aufgehoben durch die Bundesverfassung von 1874, welche jedem Bürger nach dreimonatlichem Domizil das Stimmrecht in der Gemeinde garantirt, und durch die betreffenden Gesetze. Er kann auch gar nicht ausgeführt werden, da an Sielle des Heimatrechtes (attinenza) und des politischen Domizils das bloße dreimonatliche faktische Domizil aller Tessinerund Schweizerbürger gesetzt worden ist. Der Interpretation der Rekurrenten steht auch Art. 4 des Gesetzes vom 15. Juli 1880 entgegen. Uebrigens hat die eidgenössische und die kantonale Praxis in sehr vielen Fällen Wahlen kassirt wegen Theilnahme nicht stimmfähiger Bürger, auch wenn sie im gehörig ausgestellten Stimmregister standen, oder wegen Ausschlusses Stimmfähiger, welche sich nach Ablauf der in Art. 79 angesetzten Frist gemeldet hatten.

In Locamo wie anderwärts ist das Stimmregister stets zehn Tage vor einer Abstimmung ausgestellt worden, damit noch Aenderungen verlangt werden können. Uebrigens sieht Art. 8 des Gesetzes vom 15. Juli 1880 sowohl für kantonale als auch kommunale Abstimmungen ein Dringlichkeitsverfahren vor, wonach der Kommissär provisorisch zu entscheiden bevollmächtigt ist, was unbegreiflich sein würde, wenn Art, 79 cit. in Kraft bestände. Vgl. das Gesetz vom 10. Februar 1877, Art. l, in Verbindung mit dem Gesetze vom 19. September 1872, Art. 5 und 6.

Eine Aufnahme oder Streichung vom Stimmregister, welche von Niemandem angefochten worden ist, kann übrigens nach der Abstimmung nicht zu deren Kassirung führen, da sie von Allen stillschweigend gewollt ist.

O Endlich kann eine Beschwerde auch nicht
angenommen werden mit Bezug auf solche Bürger, welche am 1. Mai weder die Zulassung verlangten, noch auch in der Gemeinde anwesend waren.

Zu den einzelnen in der Beschwerdeschrift angeführten Bürgern ist zu bemerken :

793 Ad A. V o m S t i m m r e c h t a u s g e s c h l o s s e n : 1. Bettoli. -- Niemand hat seit der Zeit, da er 20 Jahre alt wurde (3. April 1885), jemals seine Eintragung verlangt; er stand nie im Stimmregister von Locarno. Seit 7 oder 8 Jahren ist er abwesend und hatte sein Domizil nicht mehr hier.

2--4. Grigolli. -- Der Vater Carlo Grigolli wohnte vor einigen Jahren während kurzer Zeit in Locarno, ging dann nach Dirinella, Gemeinde Caviano, wo er über 2 Jahre lang sein Domizil hatte,undl wanderte alsdann aus. Er ist nicht Bürger von Locamo, steht nicht auf dem Einwohnerverzeichniß und zahlte nie Steuern. Seine Streichung hat einem Mißbrauche oder Versehen ein Ende gemacht.

Die Söhne, von denen der eine in Frankreich lebt, hatten nie Domizil in Locamo. Schon in sehr frühem Alter gingen sie von der Familie weg nach Bellinzona oder Umgebung; auch sie standen niemals weder auf einem Steuer-, noch auf einem Stimm- oder Bevölkerungsregister.

5. Rusca.

6. Arnoldi.

7. Buffi.

> Ersterer hat seit einigen, die beiden Letzteren haben seit sehr vielen Jahren kein Domizil mehr in Locarno, sondern in andern Gemeinden des Kantons; s. Art. 2 und 3 des Gesetzes vom 15. Juli 1880. Sie standen allerdings vor dem 30. April d. J. im Stimmregister, gesetzwidriger Weise, und wurden gestrichen iü Anwendung des auf Antrag der Spezial kommission aufgestellten Grundsatzes,, daß nach dreimonatlichenm Domizil i n einer andern Gemeinde 8. Bustelli. -- Gestrichen, weil er schon seit Oktober 1886 sein Domizil in der Gemeinde Contra hat.

9. Respini. -- Weder er, noch sonst Jemand verlangte seine Eintragung; übrigens hat er in Loearno erst seit wenigen Monaten Wohnung.

O Ad B. E i n g e t r a g e n e B ü r g e r : 1--5, -10--12, 14-16, 17, 27--31, 33, 38, 39.

Alle bis auf Drei sind Bürger, seit Jahren in unserm Stimmregister eingetragen, die andern Drei wurden es eiustimmig. Alle sind in Loearno domilizirt. Der Gemeindenah kann nicht wissen, ob der eine oder andere von ihnen auch Bundesblatt. 43. Jahrg. Bd. III.

53

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auf einem andern Stimmregister stehe oder in einer andern Gemeinde an einer Abstimmung Theil genommen habe odor nicht, es müßte unberechtigter Weise geschehen sein.

42--44. -- Bürger von Locamo, hatten niemals Domizil oder Aufenthalt anderswo, seit 30--40 Jahren eingetragen, nahmen immer unwidersprochen Theil an den Abstimmungen.

6 und 8. -- Seit mehreren Jahren in Locarnodomilizirt,Ersterer,, Fantoni, dieses Jahr nach Erreichung des gesetzlichen Allers eingetragen, Letzterer, Zenettini, ohne Widerspruch schon 1886 eingetragen.

9. Ceschi. -- Seit mehr als zwei Jahren in Locamo domizilirt.

13. Materni. -- Im Dezember 1886 zum Professor, der Literatur am hiesigen Gymnasium gewählt, nahm mit einem Bruder zusammen im Januar, da er seine Lehrstelle antrat, sein eigenes Domi/il in Locamo.

26, 32, 41. -- Der Letztere, Muralti, kam mit seiner ganzen Familie nach Locarno, wo er das früherBacilieri'schee Geschäft auf eigene Rechnung betreibt ; die beiden Andern sindd Angestellte bei Federico Balli, der Eine seit 1886, derAnderee seit vielen Jahren, gehören also zu seiner Familieund ttheilenn sein Domizil.

40. Cappella. -- War im Dienste des Gemeinderathes Alfred Pioda und wurde auf Verwendung des Gemeinderathes Prauzoni Ende Dezember 1886 im Stimmregister eingetragen: der Eintrag wurde niemals angefochten; er hatte seit Dezember sein eigenes Domizil inLocarno.. Im März 1887 wurde or 20 Jahre alt. Bei den Akten liegt ein -- übrigens erst im Amtsblatt vorn 11. November 1887 erschienenes -- Eheaufgebot für Cappella, domizilirt in Muralto, erlassen von der dortigen Munizipalität.

23 -- 25. -- Seminaristen; Jacmolli und Galli standen schon im Stimmregister von 1885, ohne daß Jemand Einsprache erhob, und nahmen an den Abstimmungen von 1886 Theil; Minoli ist erst seit Anfangs Oktober 1886 hier domizilirt. Zu der Abstimmung über das Gesetz betreffend die Freiheit der katholischen Kirche wurde ein über die Alpen hergekommener Student aus Locamo nicht zugelassen, in Anwendung des nämlichen Grundsatzes, und die Rekurrenten waren damit einverstanden.

10 und 20. -- Diese Gendarmen sind seit langer Zeit in Locarno domizilirt; sie sind schon im Stimmregister von 1885 ein-

795 getragen und haben 1886 an den Abstimmungen Theil genommen.

18, 21, 22. -- Die andern drei Gendarmen haben hier ihr Domizil aufgeschlagen und sind seit Ende vorigen Jahres nicht mehr weggegangen, wie die obgenannte Kommission berichtet hat.

7, 34, 35, 36. -- Ihre Eintragung wurde am Samstag verlangt; die Kommission war nicht im Stande, einen Antrag zu stellen ; es wurde daher einstimmig beschlossen, sie einzutragen, der Sindaco jedoch bevollmächtigt, Diejenigen wieder zu streichen, die nach den durch die Gemeinderäthe Magoria, Pioda und Rusca einzuziehenden Erkundigungen das Stimmrecht nicht hätten. Diese Herren gaben dem Sindaco ihren Bericht ;im Morgen des i. Mai ab und dieser strich demselben zufolge Cappella und ließ die Andern stehen.

Aus spätem Informationen ergab sich, daß Zambelli und Vittori (34 und 35) irn Jahre 1886 nach Locamo gekommen sind, wie eine Citation vor den hiesigen Friedensrichter betreffend Arrest beweist.

37. Bacchi. -- In Locamo schon aus einer etwa ein Jahrhundert lang daselbst domizilirten Familie geboren, stand immer daselbst auf dem Stimmregister und übte sein Aktivbürgerrecht daselbst aus. Er war im Register von 1887 weggelassen worden und man verlangte seine Eintragung am Samstag; der tìemeinderath wies jedoch das Begehren ab auf die Bemerkung eines seiner Mitglieder hin, daß er sein Domizil in Ascona habe. Später erfuhr der Gemeinderath, daß dies nicht richtig sei, daß Bacchi sein Domizil nicht nach Ascona verlegt habe.

Als Beweis hiefür wird angeführt, daß bei den bestrittenen Wnhlen von Aseona (April 1887) es bei dem Wahlakte auch Niemandem, selbst seinem Schwiegervater nicht, der thätigen Antheil am Wahlkampfe nahm, in den Sinn kam, daß er in Ascona eingetragen und stimmberechtigt sein könnte. Nichts wissend von dem Entscheide des Gemeinderathes erschien er an der Urne und legte seinen Stimmzettel ein gerade in dem Augenblicke, a]s der Sindaco ihm mittheilte, daß er, weil nicht eingetragen, nicht stimmen könne; er gab dann für alle Fälle seine Stimme zu Protokoll.

Ad C. B ü r g e r , d e r e n E i n t r a g u n g v e r w e i g e r t w u r d e : 1. Gianoni. -- Die Rekurrenten verwechseln die Pferde mit dem Postmeister; jene allerdings übernachten in Locamo, dieser aber mit seiner Familie behielt immer sein Domizil in Brione

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und stimmte dort, auch noch im April 1887, hielt sich auch etwa iu Miuusio auf.

2. Rusch. -- War in Locamo nur etwa 30 Tage, als provisorischer Stellvertreter wahrend der Krnukheit des verstorbenen Festangestellten Komerio Ludmilla, ging wieder fort lange vor der Wahl und kam nicht wieder.

3. Allidi. -- War nie in Locamo domizilirt, kam dahin 10 oder 12 Tage vor dem 1. Mai; gleich wie vorher andere Grcn/.wächter würde auch er eingetragen worden sein, weuii er früher nach Locamo gekommen wäre und daseihst sein Domi/al aufgeschlagen hatte.

4. Rossi. -- War nie in Locamo domizilirt, darum weder im Stimm- noch im Steuerregister eingetragen, treibt sieh im Dienste der Gasthöfe herum, bald in Locamo, bald in Bis>,n:isco, ist, aber in Mura Ito domizilirt mit Frau und Tochter und häuslicher Einrichtung.

5. Gagliardi. -- Ging mit seiner Familie 1878 nach Prulo, war dort Gemeindeschreiber bis vor wenigen Monaten, hält einen Gasthof' daselbst und knm diesen Winter zu vorübergehendem Aufenthalt nach Locamo, um die auf einem Grundstück sc'iior.

Frau auszuführenden Arbeiten zu leiten, und ging am 2. Mai wieder in sein Domizil Prato zurück.

6. Balestra. -- Hat mit seiner Familie sein beständiges Domizil in Gt-rra, reist im Locarnesischen und dem Maggiathiil herum, um die Häuser anzustreichen, kehrt jede Woche wieder nach Gerra zurück und bleibt dort, so lange er nicht auswärts A r hei t hat.

7. Balli. -- Als sein Vater, Advokat Balli, im Juli 187(5 stari», siedelte er mit seiner Filmili" nach Orselina ühi'r und auisste dies wegen der Steuerpflicht dem hiesigen Gemeinderathe un, wurde daher 1877 auf den Listen von Locamo gestrichen und in Orseliua eingeschrieben und hat auch immer dort wein Aktivbürgerrecht ausgeübt. Wie andere Jahre, so kamen auch im Jahre 1886 die Herren Balli vor Weihnachten nach Locamo, um da den Winter zuzubringen ; steht nicht auf den Steuerlisten von Locamo.

8. Pessina. -- War nie in Locamo (lotnmlirt. Sein Vater, seit einigen Jahren eidgenössischer Zollbeamter, wohnte in Muralto und seine ganze Familie in Castagnola. Erst im Januar
siedelte er nach Locamo über, und sein Sohn Abelardo, welcher seit einigen Jahren iu die Schweiz geht, um Arbeit zu suchen, kam her und blieb einige Tage bei ihm, verreiste

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aber lange vor der Abstimmung wieder nach der innern Schweiz, verlangte auch gar nicht eingetragen zu werden.

9. Candolfi. -- War vor Jahren einmal eine Zeit lang hier, ging aber wieder fort und kam erst ganz kurz vor der Wahl wieder, hat nie Steuern bezahlt, würde also auch deßwegen auszuschließen sein.

10, 11. Barassi, Vater und Sohn. -- Eingebürgert in Locamo 1852, gingen 1860 wieder in ihre frühere Heimat Intra zurück, haben seither hier keine Bürgerpflichten mehr erfüllt; der Sohn hat vor wenigen Tagen geheirathet, ohne die Vorschriften unserer Gesetze zu erfüllen, ist also wohl als italienischer Bürger anerkannt worden. Dem Gemeinrierath ist kein Begehren ihrer Eintragung zugekommen. Seit 26 Jahren haben sie keine Steuern bezahlt.

Wenn sich aber auch herausstellen sollte, daß infolge unrichtiger Informationen der Gemeinderath vier oder fünf Bürger irrthümlich eingetragen oder gestrichen habe, so würde dies doch nicht genügen zur Kassirung der Wahl, nach konstanter sowohl eidgenössischer als auch kantonaler Praxis, da das Wahlresultat dadurch nicht geändert worden ist. Auch selbst die unberechtigte Theilnahme von 16 Individuen an der Wahl würde dazu nicht hinreichen. Für die Wahl des Herrn Magoria würde sogar die unberechtigte Theilnahrne von 33 Individuen gleichgültig sein.

Der Gemeinderath stellt seine Protokolle und alle bezüglichen Akten zur Verfügung der Oberbehörden.

X. Am 30. Juni 1887 richteten die genannten Eekurrenten an den Staatsrath ihres Kantons eine Eingabe, in welcher sie sich darüber besehwerten, daß der Kommissär Isorni über ihren Rekurs noch immer nicht entschieden habe, obgleich er ja schon am 21. Mai in den Besitz der Rekursbeantwortunü; gekommen sei und nach Art. l des Gesetzes vom 27. April 1880 (vgl. Art. 189 dos Gemeindegesetzes) innerhalb 10 Tagen hätte entscheiden sollen.

XI. Auf Einladung vorn 27. Juni hin erschienen am 2. Juli vor dem Kommissär Vertreter der Rekurrenlen zusammen mit dem Sindaco von Locamo, "Volonterio, als Delegirten der Munizipalität, zu einem Vergleichsversuclie, der jedoch resultatlos blieb. Daraufhin erklärte der Kommissär, daß er aus den im Eingang des Rekurses angeführten Gründen die Entscheidung einem andern Kommissär überlasse.

Damit blieb die Sache vor der Hand liegen, bis am 19. Oktober der Bundesrath den tessinischen Staatsrath anfragte, was in Sachen

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geschehen sei. Die angefragte Behörde antwortete, der Kommissär von Locamo habe die Entscheidung des Rekurses dem des Maggiatbales übergeben und dieser sei um die Vollmacht zur Untersuchung der Angelegenheit eingekommen.

Unterm 26. November wandten sich die Rekurrenten neuerdings an den Staatsrath. Sie erklärten, ihre Eingabe vom 30. Juni sei leider unbeantwortet geblieben, seit der Verhandlung vom 2. Juli haben sie überhaupt gar nichts mehr über ihren Rekurs gehört trotz, allen Aufforderungen in der Presse und sonst, einmal vorwärts zu machen. Sie hatten gehört, daß der Kommissär von Bellinzona mit der Sache betraut worden sei, und baten nun, diesen zur endlichen Erfüllung seiner Pflicht anzuhalten.

Auch diese Eingabe scheint unbeantwortet geblieben zu sein, wenigstens enthalten die Akten keine Spur von einer gegebenen Antwort, und die Rekurrenten behaupten auch, keine erhalten zu haben.

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XII. Der Bundesrath forderte am 8. Februar 1888 den Staatsrath des Kantons Tessin neuerdings zum Berichte über die Angelegenheit auf. Dieser antwortete unterm 16. Februar, er habe am 24. Januar den Kommissär in Vallemaggia aufgefordert, sich über die von Rusca und Genossen gegen die Munizipalwahlen von Locamo ergriffene Beschwerde auszusprecheu ; der habe am 25. geantwortet, er habe theils wegen anderweitiger Arbeiten, theils gesundheitshalber die bezügliche Untersuchung noch nicht beginnen können, aber hoffe, sie, wenn nichts dazwischen komme, im Februar vornehmen zu können ; heute werde eine neue Recharge an ihn erlassen werden.

XIII. Am 18. Februar 1888 reichte Attilio Balli Namens und mit Vollmacht von 12 Bürgern ,,als Vertreter der bei der Wahl vom \. 'Mai 1887 ausgeschlossenen 21 Bürger" eine Beschwerde an den schweizerischen Bundesrath. Im Eingang suchen sie den Umstand zu rechtfertigen, daß sie nicht zuerst die kantonalen Instanzen durchlaufen haben. Nach einer Verordnung des Großen Rathes vom 27. Api-il 1880 (Bollett. delle leggi e decr. del Cant.

Tic., vol. VI, 1881), p. 73), Art. 2 , sollen die durch das Wahlbilreau als gewählt Proklamirten trotz einer Anfechtung ihrer Wahl einstweilen in Funktion treten und so lange darin verbleiben, bis ihre Wahl rechtskräftig kassirt ist. Die kantonalen Behörden haben nun solche Anfechtungen bisher immer nur vom Standpunkte der gegenwärtig herrschenden Partei aus betrachtet und daher Beschwerden, welche gegen die Wahl ihrer Parteigänger gerichtet

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waren, regelmäßig mit endloser Langsamkeit behandelt, während im umgekehrten Fall rasch entschieden wurde. Dafür werden Beispiele angegeben. So auch jetzt wieder: bis zur Stunde ist noch nichts geschehen, und so ist zu riskiren, daß mit Ablauf der Amtsdauer der Gewählten, im Frühjahr 1890, die Beschwerde einfach für gegenstandslos erklärt werde.

Nach Erzählung der rechtlich hier nicht in Betracht fallenden Vorgeschichte der Wahlen vom 1. Mai wird das Wahlresultat selbst mitgetheilt, wie oben, und beigefügt, daß demselben zufolge die konservative Partei nunmehr sieben und die liberale zwei Mitglieder im Gemeinderathe sitzen habe.

Das zur Zeit in Kraft bestehende Gemeindegesetz vom 13. Juni 1854 bestimmt in Art. 77: ,,Der Gemeinderath bereinigt alljährlich das Stimmregister und stellt dasselbe an den drei ersten Sonntagen des Januars aus."

Dies ist auch durch den Art. 43 der Bundesverfassung nicht abrogirt worden. Der Gemeinderath von Locamo hat auch in der That im Anfange des Jahres 1887 dieser Vorschrift gemäß gehandelt.

In Art. 78 bestimmt das angeführte Gesetz : ,,Wenn im Laufe des Jahres ein Bürger das stimmfähige Alter erreicht oder sonst der Grund seiner bisherigen Stimmunfähigkeit wegfällt, so hat der Gemeinderath auf gestelltes Begehren und geleisteten Nachweis dieses Wegfalls ihn im Stimmregister einzutragen und diese Eintragung während dreier auf einander folgender Sonntage zu publiziren."

Abgesehen von solchen neueintretenden Thatsachen aber bildet das im Beginn des Jahres ausgestellte Stimmregister nach dem Gesetze die Richtschnur für die Theilnahme an den Wahlen des Jahres, vgl. Art. 79 des zitirten Gesetzes : ,,. . . . weder das Stimmregister noch auch die gemäß Art. 78 vorgenommenen Eintragungen können nach Ablauf eines Monats von ihrer Publikation an mehr angefochten werden."

Die Register vom Januar 1887 waren von keiner Seite angegriffen worden. Gleichwohl legte in der Gemeinderathssitzung vom 22. April 1887 der Gemeinderath Gaspare Franzoni eine Liste von Bürgern aller politischen Farben theils zu deren Ergänzung, theils zur Streichung von Eingetragenen vor. (Es folgt hierauf die Erzählung des weiteren Verlaufes der Wahlangelegenheit, wie im Rekurse an den Regierungskommissär.) Am Nachmittag des 30. April erfolgte die Eintragung fast aller 24 von Advokat Grianatelli prä-

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sentirten konservativen Bürger und auf die Eingabe von Brianchetit hin die Streichung von 10 liberalen Bürgern. So erhielten die Wahlen ein Resultat, welches nicht dem Willen der wirklichen Wählerschaft von Locamo entspricht.

Es werden sodann mit Bezug au die einzelnenNeuaufgenommenen oder Gestrichenen diejenigen Behauptungen wiederholt, welche sich schon in dem an HerrnRegierungskommissäär Isorni gerichteten Rekurse finden. Es erscheinen darunter auch Barboni (s. hievor Er. 12) und Giacometti (Nr. 13). Die bloße Nichtzahlung der Steuern berechtigt nach tessinischem Rechtee nicht zur Streichung aus dem Stimmregister (Race. gen. I, p. 107).

Der Rekurs stützt sich im Wesentlichen auf Art. 43, Art. 4 und 5 der Bundesverfassung und Art. 4 der Verfassung des Kantons Tessin, ferner mit Bezug auf die Kompetenz des Bundesrathes auf Art. 113, Abs. 2, der Bundesverfassung und Art. 59, Ziff. 5, des Bundesgesetzes vom 27. Juni 1874 über die Bundesrechtspflege.

Die Gleichheit der Bürger ist verletzt durch die verschiedene Behandlung von Rusca, Arnoldi, Buffi, der Barassi und Grigolli auf der einen, der Cesare und Giuseppe Ciseri und des Giuseppe Pedrazzini auf der andern Seite, welche Letzteren zudem nicht Bürger von Locamo sind und deren Wohnung im Ausland nicht durch ihren Dienst in der öffentlichen Verwaltung nothwendig gegeben ist.

Der Ausschluß der erstgenannten Bürger von der Wahl ist ferner eine Verletzung der Grundlagen und konstauten Praxis des tessinischen Wahlrechtes. Diesfalls sind maßgebend : 1. Ein Beschluß vom 26. Januar 1848, wonach die Streichung eines Bürgers, welcher bis dahin ohne Unterbruch auf dem Stimmregister gestanden ist, wegen mangelnden Domizils nur durch Dekret des Staatsrathes, und nach 20 Jahren gar nicht m e h r , geschehen darf (Nuova Race. I, p. 90).

2. Dus Gesetz über die Organisation der Gemeinden vom 13. Juni 1854, Art. 5 und 7, über das Stimmregister (Roll, delle leggi, Band XXX, p. 43 ff.).

3. Das Gesetz über die Gemeindesteuern vom 7. Dezember 1861, Art. 12, welches zur Herdsteuer (focatico) alle in der Gemeinde Heimatberechtigten heranzieht, auch wenn sie seit langer Zeit im Auslande wohnen. (Das. XXXVII, p. 54 ff.)

4. Das Gesetz über die geheime gemeindeweise Abstimmung vom '10. Februar 1877, Art. 15:

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,,Jeder Kantons- oder Schweizerbürger, welcher seit 3 Monaten in einer Gemeinde domizilirt ist, hat das Recht auf die Eintragung in das Stimmregister gleich den Bürgern der Gemeinde" (Nuova Race., Bd. I, p. 95).

Auch die Armenunterstützungspflicht lastet auf der Heimatgemeinde.

5. Gesetz über das Stimmrecht der Niedergelassenen und Aufenthalter vom 24. Mai 1878, Art. l : ,,Das Wahlrecht bei eidgenössischen, kantonalen und Getneindewahlen wird der Regel nach in der Heimatgemeinde ausgeübt; es kann aber auch in der Wohngemeinde ausgeübt werden, falls der Bürger die in diesem Gesetze vorgeschriebenen Formalitäten erfüllt hat."

Dieses Gesetz wurde indessen vom Bundesrathe durch Beschluß vom 8. Oktober 1878 aufgehoben, weil es mit dem eidgenössischen Prinzip des Domizils in Widerspruch stehe. In Folge dessen erließ der Große Kath 6. Neues Gesetz über dieses Stimmrecht vom 3. Februar 1879: 1) Bis zum Erlaß neuer gesetzlicher Bestimmungen über die Stimmregister und die Wahlen der Gemeinden gellen die bestehenden kantonalen Vorschriften.

2) Das Stimmrecht in der Niederlassungsgemeinde wird nach einem Domizil von 3 Monaten erworben.

7. Vom Bundesrathe genehmigtes Gesetz vom 15. Juli 1880 über die Ausübung des Aktivbürgerrechts, Art. l : ,,Der Tessiner und der Schweizerbürger üben ihre politischen Rechte in kantonalen und Gemeindeangelegenheiten in der Gemeinde aus, in welcher sie ihr Domizil haben.

,,§ 1. Das Domizil ist der Wohnsitz in einer Gemeinde, aufgeschlagen in der offenbaren Absicht, daselbst seine häusliche Oekonomie und seinen hauptsächlichen Sitz zu haben."

Das bezieht sich indessen, sagen die Rekurrenten, nur auf diejenigen, «eiche ein Domizil i m K a n t o n haben; ein Locarner, der in Bellinzona doilizilirt ist, sollte von nun an in Bellinzona und nicht mehr wie früher in Locamo stimmen; dagegen wurde die rechtliche Stellung der im Auslande domizilirten Tessiner nicht verändert. ,,Es ist also nicht richtig, wenn das vom kantonalen Departement des Innern mit Datum vom 28. Januar 1881 an die Gemeinderäthe gerichtete Zirkular (Nuova Race, gen., Bd. I, p. 89) erklärt, mit diesem Gesetze verschwinde das Domizil der Heimat,

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das gewählte fiktive Domizil u. s. w., welche bis dahin bestanden haben ; auch widerspricht es der weitem Behauptung, daß die bloßen Aufenthalter noch ihre politischen Rechte in der Gemeinde der Heimat oder des früheren Domizils ausüben. Vielmehr üben die im Ausland befindlichen und die im Kanton sich bloß aufhaltenden Bürger nach wie vor ihr Stimmrecht in der Heimatgemeinde aus."

Dafür werden angerufen Art. 3 des Gesetzes von 1880 : ,,Der seit 3 Monaten in einem andern Kauton domizilirte Tessiner Bürger erwirbt die politischen Rechte im Kanton Tessin 3 Monate nachdem er sein Domizil in demselben wieder erlaugt hat", -- wo nur von dem in andern Kantonen, nicht von dem im Ausland domizilirten Tessiner die Rede sei.

Art. 4 daselbst: ,,Vom Aktivbürgerrecht ausgeschlossen sind : ti O O ,,a. Die durch Strafurtheil desselben verlustig Erklärten.

,,b. Die gerichtlich erklärten Verschwender.

,,c. Die wegen betrügerischen oder einfachen Bankerottes Verurtheilten.

,, d. Die seit einem Jahre vom Armengut der Gemeinde oder einer andern öffentlichen Wohlthätigkeitsanstalt Unterstützten.

,,?. Diejenigen, die seit 2 Jahren die kantonalen und Gemeindesteuern nicht bezahlt haben.

,,Diese Ausschliessungsgründe hören mit ihrem Wegfall auf zu wirken", wo unter den Ausschliessungsgründen die Niederlassung imAuslandee nicht aufgeführt werde.

Daraus folgt, fährt die Beschwerde weiter, daß im Kanton Tessin neben dem b ü r g e r l i c h e n D o m i z i l der Art. 18 und 19 des codice civile vom 1. Dezember 1882: ,,Das bürgerliche Domizil einer Person ist der Ort. wo sie den Hauptsitz ihrer Geschäfte und Interessen hat. ,,Die Verlegung des Wohnsitzes an einen andern Ort in der Absicht, dort den Hauptsite aufzuschlagen, bewirkt eine Veränderung des Domizils", noch ein anderes, das p o l i t i s c h e D o m i z i l , existirt, das bald mit jenem zusammenfallt, bald in der Heimatgemeinde besteht, wie nach dem italienischen Wahlgesetz. So ist auch Respini selbst Wähler und sogar Sindaco in Cevio und lebt dabei das ganze Jahr hindurch mil seiner Familie und seinem Advokaturbüreau in Locamo.

Er hat darum dem Großen Rathe auch eine Resolution zu beantragen lì

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für nöthig gefunden, welche den im Auslande Niedergelassenen, die ja auch in der Heimatgemeindesteuerpfliehtig und unterstützungsberechtigt sind, erst jetzt das politische Domizil aberkennen sollte.

Der Staatsrath hatte bei der Berathung des Gesetzes einen Zusatz beantragt, wonach als auswärts doraizilirt nicht nur diejenigen Bürger betrachtet werden sollten, welche aus dem Auslande wahrscheinlich nicht mehr zurückkehren werden, sondern auch diejenigen, welche 10 Jahre lang nicht mehr zurückgekehrt sind, und Respini hat sich dem letzteren energisch widersetzt.

Damit stimmen auch die im Kanton Tessin bestehenden Bevölkerungs- und Militärtabellen und die Stimmregister jeder Gemeinde überein; auf dem Register von Locamo erscheinen ohne Widerspruch diejenigen Bürger der Gemeinde, welche schon lange im Auslande niedergelassen sind, und einige von ihnen haben auch wirklich an der Wahl vom 1. Mai d. J. Theil genommen. So kommen auch die Brüder und Neffen des neuen apostolischen Vikars Molo, seit sehr Janger Zeit in Mailand domizilirt, bei jedem lebhafteren Wahlkampf am Wahltage selbst oder am Abend vorher in ihre Geburtsstadt Bellinzona, um an der Wahl theilzunehmen, ohne daß Jemand ein Wort dagegen sagt. Das Stimmregister von Olivone enthält ungefähr 350 Aktivbürger, während kaum 150 in der Gemeinde wohnen, und Niemand stößt sieh daran, wenn der eine oder andere nach jahrelanger Abwesenheit im Auslande zu einer Abstimmung erscheint.

Ferner werden zur Berechnung der Zahl der Vertreter eines Wahlkreises im Großen Rath auch die im Ausland befindlichen, im Kreise heimatberechtigten Bürger mitgezählt und dieselben auch in den Militärtabellen mitaufgenommen.

Es wird bestritten, daß irgend welche der ausgeschlossenen Bürger vor ihrer Auswanderung ihr Domizil in einer andern Gemeinde des Kantons gehabt haben; sie sind auch immer auf dem Stimmregister von Locarne gestanden. Uebrigens würden sie an diesem letzten kantonalen Domizil ja erst nach 3 Monaten haben stimmen können. Aber auch, wenn sie erst nach Ablauf dieser Frist ausgewandert wären, würde mit der Auswanderung das Stimmrecht in ihrer Heimatgemeinde wieder begründet gewesen sein.

Wenn nun Rusca, Buffi und Konsorten ausgeschlossen würden, so wäre damit die von der Verfassung garantirle Gleichheit vor dem Gesetze verletzt. Das ist überhaupt bei den
Bürgern der liberalen Partei geschehen, anders bei denen der ultramontanen.

Die ausgeschlossenen Bürger Bustelli, Barboni, A. Balli, Bettoli, Respini, Gianoni, Allidi, Rossi, Gagliardi, Balestra, Pessina, Candolfi und Rusch waren am 1. Mai seit mehr als 3 Monaten in Locamo domizilirt -- die eingetragenen Bürger Togni, Gnesa,

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F. Balli, Beltrami, Bacchi, Grianatelli, Muralto, Adamina, Fantoni, Zenettini, Ceschi, Conclascio, Rusconi, Materni, Mercolli, Negri, Ciseri Vine., Biscara, Imperatori, Zambelli. Vittori, Pedretti hatten während der 3 Monate vor dem 1. Mai ihr rechtliches Domizil nicht in Locamo, sondern in einer andern Gemeinde des Kautons.

Mit, Bezug auf die 3 Zöglinge des Lehrerseminars ist zu beachten, daß in seinem Gesetzesentwurf vom 23. April 1880, Art. 6, lit. b, der Staatsrath selbst unter den Personen, welche nur als Aufenthalter, nicht als Doimizilirte, erscheinen, die Schüler aufgenommen hat; sie stehen auch schon in den heimatlichen Stimmregistern, übrigens ist die Frage ihres Stimmrechtes ohnehin schon vor den kantonalen Behörden pendent.

Das Gleiche gilt von den Gendarmen.

,,Die Aufenthalter müssen am Aufenthaltsorte ausgeschlossen sein," so sagte auch Respini im Großen Rathe am 14. Juli 1880, ,,nur das Stimmrecht der Domizilirten hat uns die Eidgenossenschaft aufgedrängt", und die große Mehrheit des Großen Rathes stimmte ihm zu.

Dem Allem entgegen wurden 21 liberale Bürger ausgeschlossen, 45 konservative eingetragen. Auf alle diese Gründe gestützt geht das Begehren der Rekurrenten: Ï. Auf Kassation der Gemeinderathswahlen von Locamo vom 1. Mai 1887; eventuell: 2. auf Bereinigung des Stimmregisters von Locamo, weiter eventuell : 3. auf vorläufige Aufnahme der 21 gestrichenen und Streichung der 45 aufgenommenen Bürger, weiter eventuell : 4. auf alle weiteren zum Schutze der Rechte und Gleichheit der Bürger am geeignetsten erscheinenden Schritte.

XIV. Am 21. Februar übermittelte das eidgenössische Justizdepartement der Tessiner Regierung den ihm am 18. desselben Monats eingereichten Rekurs sammt 14 Beilagen mit der Bitte, ihre Gegenbemerkungen so schnell als möglich einzureichen.

Am 28. Februar wurde flieser Rekurs dem Gemeinderath von Locamo zur Beantwortung mitgetheilt; diese Behörde reichte ihre Antwort am 37. März dem Regierungskommissär .und er dieselbe am 23. März dem Staatsrathes ein.

Vor Allem wird darin die Kompetenz des Bundesrathes bestritten. Nach Art. 8 des Gesetzes vom 15. Juli 1880 findet die Erledigung von Streitigkeiten über aktives und passives Wahlrecht

805 auf dem einfachen Administrativwege statt. Die Rekurrenten selbst haben auch in der That diesen Weg durch ihren Rekurs an den Regierungskommissär vom 10. Mai betreten, und so ist die Sache sub judice und darf diesem nicht entzogen werden. Das geht hervor aus Art. 3 und 58 der Bundesverfassung. Die vorhandene Verzögerung des Entscheides der kantonalen Organe ändert hieran nichts. Es wird ferner behauptet, daß die in dem Rekurse gestellten Begehren, soweit sie nicht mit denen des Rekurses au den Regierungskommissär übereinstimmen, verspätet seien. Auf das Materielle der Sache wird gar nicht eingetreten. Mit Schreiben vom 6. April gab der Staatsrath dein Bundesrathe von dieser Eingabe Kenntniß und fügte bei, daß er, weil er möglicherweise als zweite Instanz in Sachen noch zu entscheiden haben werde, gegenwärtig nicht in der Lage sei, irgend welche Bemerkungen bezüglich des eingereichten Rekurses zu machen. Zugleich theilte er mit, er habe mit Beschluß von heute dem Regierungskommissär des Maggiathales als letzten Termin für seinen Entscheid den 20. April angesetzt. Das Schreiben gelangte übrigens erst am 11. April in die Hand des Bundesrathes, nachdem am 10. das eidgenössische Justizdepartement neuerdings an den Staatsrath von Tessin rechargirt hatte.

XV. Am 14. März 1888 schrieb der Commissär von Locamo an Bacilieri für sich und Streitgenossen, er möge ihm zum Behufe der Untersuchung des Rekurses weitere Angaben und Beweise liefern. Ihm antwortete am 19. desselben Monats Prospero Rusca für sich und Mitrekurrenten : Sie anerkennen Herrn Isorni nicht mehr als kompetent in der Sache, nachdem er dieselbe an den Kommissar des Maggiathales abgegeben habe; übrigens sei nach der unqualitizirbaren Verschleppung der Angelegenheit durch die kantonalen Behörden dieselbe nun bei den Bundesbeörden anhängig gemacht und ö dadurch in eine neue Phase getreten; Vertrauen könnten die Rekurrenten nunmehr nur noch in eine von der Bundesbehörde oder unter ihrer Kontrole geführte Untersuchung hüben. Uebrigens seien die näheren Angaben im Rekurse an die Bundesbehörde gemacht, von welchem hier eine Kopie beigelegt werde.

Am 22. März gab Rusca dem Bundesrathe Kenntniß von dieser Korrespondenz zwischen dem Kommissär Isorni und den Reklirrenten. Er bat den Bundesrath, dafür zu sorgen, daß die Angelegenheit, die nun schon
fast ein Jahr pendent sei, nicht noch weitere Verzögerung erleide, worauf wahrscheinlich das plötzliche Wachwerden des Kommissärs hinauslaufen solle, es klopfen schon die Großrathswahlen vom nächsten Frühjahr an die Thür. In gleicher Weise wie die vorliegende Angelegenheit werde auch eine

806 andere betreffend Mißbräuche in der Führung der Bürgerrei;isler verschleppt; die Rekursbeantwortung des Gemeinderathes Locamo sei ohne die Zuziehung der liberalen Mitglieder der Behörde abgefaßt und versandt worden.

XVI. Mit Verfügung, d. d. 13. April 1888, den Kekum>uteu mitgetheilt am 19. April, entschied endlich der Regierungskonmiiäsär des Maggiathales den hei ihm anhängigen Rekurs. Er führt aus: ,,Durch die Bundesverfassung und die bezüglichen Gesetze-'- ist Art. 79 des Gemeindegesetzes stillschweigend 'aufgehoben. Der tìemeinderath ist am 30. April ohne irgend eine Verzögerung /.ur Behandlung der ihui eingereichten Begehren um Abänderung des Stimmregisters geschritten.

Die S t r e i c h u n g von Bettoli, Grigolli Carlo, Antonio und Luigi, Rusca Prosp., Arnoldi, Buffi, Bustelli und die N i c h t a u f n a h m e von Respini, Gianoni, Rusch, Allidi, Rossi, Gagliardi, Balestra, Balli Attilio, Candolfi, Barassi Natale und Antonio sind aus lieu vom Gemeindenith in der Rekursbeantwortung angegebenen Gründen gerechtfertigt. Die Rekurrenten haben kein gesetzliches Aktenstück vorgelegt, welches den gesetzlich geforderten Ausweis eines dreimonatlichen Domizils der Genannten in Locamo geleistet häile.

Betreffend die A u f n a h m e von Antognini, Togui Giuseppe, nebst 2 Söhnen, Gnesa, Zenettini, Cousolascio Giuseppe und Sohn, Ciseri Vino., Ruseoni, Soldati, Galli, Jacmolli, Pedrazzini M., 3 Brüder Adamina, Balli Feder., Imperatori, Gianatelli, Pednwzini Gius., Barboni, Decarli Giorgio und Francesco fällt in Betracht, daß dieselben schon im Stimmregister von 1886 eingetragen sind, daß keine Anzeigen von Domiziländerungen noch auch Begehren um Streichung derselben eingegangen waren; Pedretti und Capella hatten das g e s e t z l i c h g e f o r d e r t e A l t e r bereits zurückgelegt.

Das Domizil hatten e r w o r b e n Materni, Canova, Beltraini, Muralti, Vananti, Tarchini, Biscara.

Bezüglich Ciseri Giuseppe und Cesare ist deren A u f n a h m t : schon durch den Umstand allein gerechtfertigt, daß ihr Vater stimmberechtigt ist, da sie als seine Farnilienglieder stets dessen Domizil in der Heimat getheilt haben.

Es handelt sich nicht darum, zu untersuchen, oh die S t r e i c h u n g von Bacchi Pietro zu kassiren sei, da derselbe an der Wahl Theil genommen hat.

Ob endlich die E i n t r a g u n g von Fantoni, Cieschi, Ruseoni, Minoli, Mai-colli, Zambelli, Vittori, Negri, über welche die Speziai-

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kommission des Gemeinderathes keinen Antrag mehr hatte stellen können, gerechtfertigt gewesen sei oder nicht, fällt nicht in Betracht, da die Stimmen dieser 8 Bürger das Wahlresultat nicht haben ändern können. Aus diesen Gründen wurde der Rekurs gänzlich abgewiesen und die Kosten den Rekurrenten auferlegt.

XVII. Am 20. April gab der Staatsrath von Tessin dem Bundesrathe Kenntniß, daß nunmehr der Regierungskommissär in Sachen entschieden habe.

Der Bundesrath theilte darauf den Rekurrenten Attilio Balli und Streitgenossen mit, es scheine ihm, daß damit vor der Hand seine weitere Einmischung in die Angelegenheit wegfalle, da es nun zunächst Sache der Rekurrenten sein werde, sich an den Staatsrath zu wenden, wenn sie Grund zu haben glauben, wobei ihnen vorbehalten bleibe, gegen einen allfälligen ungünstigen Entscheid des Staatsrathes neuerdings den Bundesrath anzugehen.

Am 2. Mai antwortete Balli für sich, Rusca Prospero und Streitgenossen, ihre Beschwerde sei nicht nur gegen die unqualifizirbare Verzögerung der Justiz gerichtet, sondern auch gegen die Verletzung der Bundesverfassung; und nach dem Geschäftsberichte des Bundesrathes über das Jahr 1875 können solche Beschwerden beim Bundesrathe direkt gegenüber jeder kantonalen Behörde eingelegt werden, während allerdings, wo es sich um Verletzung kantonaler Verfassungsbestimmungen handle, zuerst der ganze kantonale Instanzenzug durchlaufen werden müsse. Der Rekurs werde daher auch gegenüber dem Entscheide des Regierungskommissärs (welcher Entscheid beigelegt wird) aufrecht erhalten. Gleiche Beschwerden hätte übrigens die liberale Bevölkerung von Locamo auch gegenüber dem Stimmregister von l' 88 vorzubringen; allein da noch nicht einmal die über das Register von 1887 erledigt seien, habe sie sich damit begnügt, gegen die willkürliche Aufnahme von 250 Bürgern bei der Gemeindeversammlung zu protestiren und sich der Theilnahme an den Wahlen zu enthalten. Die diesfällige Protestation wurde dann von Rusca Felice am 6. Mai auch dem Bundesrathe übermittelt, unterzeichnet von 103 Bürgern.

Am 4. Mai fügte Prospero Rusca für sich und Streitgenossen bei, daß sie, um allen formellen Einreden vorzubeugen, nunmehr auch an den Staatsrath von Tessin eine Appellationsschrift gegen den Entscheid des Regierungskommissärs eingereicht haben.

XVIII. In der That erklärten mit Eingabe vom 4. Mai die Rekurrenten beim Staatsrathe die Appellation ,,gegen den Entscheid dea Kommissärs vom 19. April", und zwar mit der nämlichen Be-

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gründung und den gleichen Begehren wie schon in ihrem Rekurs an den Bundesrath vom 3l. Dezember 1887. Der Staatsrath forderte die Munizipalität von Locamo zur Vernehmlassung auf, und diese antwortete mit Eingabe vom 17. Mai Folgendes: 1. Der Entscheid des Kommissärs wurde von allen Rekurrenten selbst angenommen und ist also für sie alle, außer Prospero Rusca, res judicafa; eine Vollmacht, für die Andern zu handeln, hat er nicht produzirt. (Das wird sodann sehr breit getreten.)

2. Wir kennen ein Dekret des Regierungskommissärs vom 19. April nicht; dasjenige, welches wir erhalten haben, ist vom 13. April datirt; nun ist gegen ein Dekret vom 13. nicht appellirt, ein Dekret vom 19. existirt nicht, also kann auf die Appellation nicht eingetreten werden, anuli wenn nur ein lapsus calami vorliegen sollte: dura lex sed lex.

3. Die Beschwerde an den Bundesrath, auf welche die Appellanten sich in ihrer Appellationsschsrift beziehen, ist dein Kommissär v o r seiner Entscheidung nicht mitgetheiltl worden, nach d e m G e rufen wollen, schon in erster Instanz vorgelegt werden, es ist also auch aus diesem Grunde auf die Appellation nicht einzutreten.

4. Zum Ueberfluß und auf alle Fälle beziehen wir uns auf die dem Kommissär eingereichte Rekursbeantwortung XIX. Unterm 8. August, 1888 schrieb Prospero Rusca an den Bundesrath, daß den Rekurrenten bis zur Stunde noch keine Mittheilung über dus Schicksal ihrer Appellation an den Staatsrath zugekommen sei, und hat, doch dafür zu sorgen, daß die schon so lange verschleppte Angelegenheit von der tessinischen Behörde, endlich einmal erledigt werde.

Der Bundesrath schrieb sofort unter Uebersendung dei- Akten an den Staatsrath von Tessin, es sei ihm durchaus erwünscht, daß, info gr der Berufung dar Rekurrenten, diese Behörde nun in die Lage komme, über den Rekursgegenstand zu urtheilen ; denn es werde damit der im Rekursverfahren gegen Verfügungen «1er kantonalen Ad ministrati vbehörden in der Regel eingeschlagene Modus befolgt, wonach die Bundesrekursinstanz auf die Sache nicht eintrete, bevor die oberste kantonale Verwaltungsbehörde darüber gourtheilt habe. ,,Nur müssen wir", fährt das Schreiben fort, ,,im vorliegenden Falle wegen der g a n z u n v e r h ä l t n i s m ä ß i g l a n g e n D a u e r der Rechtsanhängigkeit dieses Beschwerdefa lies uns erlauben, Ihnen zu sagen, daß wir dringend wünschen, es möge Ihr Entscheid b i n n e n k ü r z e s t e r F r i s t erfolgen, da-

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mit die Klage der Rekurrenten über Rechtsverzögerung gegenstandslos wird.a Der Staatsrath antwortete unverzüglich den 17. August desselben Jahres, Prospero ßusca habe mit Schreiben vom 4. Mai eine AppellatioQsschrift eingereicht, es habe aber das angefochtene Dekret des Kommissärs nicht dabei gelegen; man könnte daher nach den -elementarsten Rechtsbegriffen die Appellation als dahingefallen erklären ; nachdem aber jetzt dieses Dekret vom Bundesrathe über- ° saadt worden sei, werde der Staatsrath in Bälde dem erhaltenen Auftrage nachkommen.

Am 6. Oktober mahnte der Bundesrath neuerdings den tessiuischen Staatsrath an seine Pflicht5 am 26. Oktober wiederholte er diese Mahnung, und fügte das Gesuch bei, sofern der Staatsrath nicht demnächst seinen Entscheid treffen wolle, ihm die Akten noch im Laufe dieses Monats zurückzuschicken, da er entschlossen aei, in diesem Falle von sich aus Beschluß zu fassen.

Am 29. desselben Monats telegraphirte der Staatsrath an den Bundesrath, daß er am 25. den Rekurs entschieden habe.

XX. Der Staatsrath führt in seinem Entscheide nach eingehendem Bericht über die demselben zu Grunde liegenden Thatsachen Folgendes aus: Das zu beobachtende Verfahren wird normirt durch die Art. 186 u. ff. des Gesetzes vom 13. Juni 1854, das Gesetz vom 27. November 1863 betreffend das Verfahren in Verwaltungsangelegenheiten, und dasjenige vom 1. März 1874. Danach hat ·der Appellant alle bezüglichen Akten, welche er besitzt, zu produziren ; das Dekret des Kommissärs vom 13. April d. J. ist aber nicht rechtzeitig vom Appellanten Rusca produzirt worden; denn ·das in der Appellationsschrift enthaltene Gesuch, eine Kopie des Dekretes vom Kommissär der Valle Maggia einzuziehen, kann nicht als eine gehörige Produktion angesehen werden: die Beschwerde ist also als dahingefallen zu betrachten.

Indessen mag doch, da der Bundesrath 3 Monate nach Ablauf der Appellationsfrist das -- übrigens schon vorher vom Gemeinderath von Locamo produzirte -- Dekret dem Staatsrathe mitgetheilt hat, und die Rekurrenten so großen Lärm machen, auf die Sache selbst eingetreten werden, immerhin das Recht des Großen Käthes vorbehalten, die bezeichnete Rechtslage der Sache geltend zu machen und sich daher einzig und allein auf die Ordnungsfrage zu beschränken.

Bundesblatt.

43. Jahrg. Bd. III.

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Dabei fallen nun folgende Akten in Betracht: 1. Die Beschwerdeschrift von Prospero Busca d. d. 4. Mai 188H.

2. Deren Beantwortung durch den Gemeinderath von Locamo d. d. 17. desselben Monats.

3. Der Rekurs von Bacilieri und Genossen d. d. 10. Mai 1887.

4. Dessen Beantwortung durch den Gemeinderath von Locamo d. d. 20. desselben Monats.

5. Das Dekret des Kommissärs d. d. 13. April 1888.

Dagegen nicht der von Attilio Balli und Streitgenossen mit Datum vom 31. Dezember 1887 an den Bundesvath gerichtete Kekurs und andere bezügliche Akten, weil sie dem Kommissär bei seiner Verfügung nicht vorgelegen haben, zum Theil sogar erst spätem Ursprungs sind.

Der Gemeinderath von Locamo bemerkt mit Recht, daß das Dekret des Kommissärs vom 13. April 1888 fUr Bacilieri und alle anderen Rekurrenten mit einziger Ausnahme von Prospero Rusca .

res judicata geworden ist, weil keine Vollmacht jener Rekurrenteu für Rusca vorliegt.

Das in der Appellationsschrift der Verfügung des Kommissärs beigelegte Datum 19. April statt 13. April kann als ein bloßer Schreibfehler betrachtet werden, welcher, da über das gemeinte Dekret kein Zweifel möglich ist, der Beschwerde nicht schadet.

Nach der Bundesverfassung und dem Kantonalgesetz vom 15. Juli 1880 erwirbt jeder des Aktivbürgerrechtes nicht beraubte Schweizerbürger von 20 Jahren das Stimmrecht in kantonalen und: Gemeindeangelegenheiten in der Gemeinde, in welcher er seit 3 Monaten domizilirt ist, und behält es daselbst, auch wenn er in eine andere Gemeinde übersiedelt, so lange, bis in dieser wiederum 3 Monate seines Domizils verflossen sind. Schlägt er aber seine Wohnung außerhalb des Kantons auf, und kommt er in denselben zurück, um seine politischen Rechte auszuüben, so hat er dies am Orte seines' letzten Domizils im Kanton zu thun und nirgends anderswo; alle andern Entscheidungen, speziell die Anweisung seiner Heimatgemeinde oder die Gestattung eines elektiven Domizils, würde« in direktem Widerspruch stehen mit den angeführten Rechtsnormen.

Aus den gleichen Gründen kann Art. 79 des Gemeindegesetzes vom 13. Juni 1854 nicht in dem Sinne verstanden werden, daß v wenn einmal das Stimmregister in einer Gemeinde festgestellt sei, es eine bestimmte Zeit hindurch unveränderlich bleibe; vielmehr muß es für diejenigen Bürger noch offen stehen, welche nachher das Stimmrecht in der Gemeinde erwerben, und müssen diejenigen, die es verlieren, gestrichen werden.

811 Im Uebrigen wird aus den vom Kommissär apgeführten Gründen (ohne daß auf die einzelnen Bürger eingetreten würde) das Begehren um Kassirung der getroffenen Wahlen verworfen, das Dekret des Kommissärs aufrecht erhalten.

XXI, Mit Schreiben vom 31. Oktober ersuchte der ßundesrath den Staatsrath um die Uebersendung sämmtlicher Akten des Prozesses. Diesem Verlangen kam der Staatsrath sofort am 2. November nach. Im Begleitschreiben fügte er bei, daß den Rekurrenten noch in letzter Linie die Appellation an den Groiien Rath offen stehe, deren Frist noch nicht abgelaufen sei.

P. Rusca und Attilio Balli erklärten durch Zuschrift vom 23. desselben Monats für sich und Mithafte dem Bundesrathe, daß sie ihren Rekurs vom 31. Dezember in allen Theilen aufrecht halten.

XXII. Durch Beschluß vom 17. Dezember 1888 gab der Bundesrath hievon dem Staatsrathe des Kantons Te.«sin Kenntniß.

Er fügte bei, daß er übrigens auch sonst im Hinblick auf Art. 102, Ziff. 2, und Art. 5 der Bundesverfassung den Staatsrath ersucht haben würde, wie das jetzt geschehe, über gewisse im Kanton Tessin bestehende Verhältnisse des Stimmrechts, die in diesem Rekursfalle von Bedeutung seien, Auskunft zu ertheilen : 1. Bestehen im Kanton Tessin gesetzliehe oder reglementarische Vorschriften betreffend die öffentliche Auflegung und den Schluß der Stimmregister bei kantonalen und kommunalen Wahlen, oder können die Gemeindebehörden hiebei ganz nach ihrem Ermessen handeln? (Vgl. das Bundesgesetz über eidgenössische Wahlen und Abstimmungen, Art. 6.)

2. Ist mit Bezug auf Tessiner, welche nicht im Kanton wohnen, nicht ein Unterschied zu machen zwischen denjenigen, welche io der Schweiz, und denjenigen, welche im Auslande wohnhaft sind ?

Zugleich wurde die Uebersendung der beiden Rekursbeantwortungen des Gemeinderathes Locamo verlangt.

Da bis zum 9. Januar 1889 keine Antwort erfolgte, erneuerte der Bundesrath an diesem Tage sein Gesuch.

Der Staatsrath antwortete am 16. Januar: Die Rekurrenten hätten nach dem Gesetz vom 27. November 1863 und nach Art. 8 des Gesetzes vom 15. Juli 1880 an den Großen Rath rekurriren sollen, haben also mit dem Rekurs an Sie offenbar das Gesetz verletzt, darum haben wir auch nicht auf den Rekurs vom 31. Dezember 1887 geantwortet. Zum Bericht

812 aufgefordert, wahren wir vor Allem unsere Rechte und protestiren gegen dieses Ueberspringen des Großen Käthes, die Sache ist res judicata.

Nach dem Gesetze vom 30. November 1843 war, in Uebereinstimmung mit dem vorhergehenden vom 10. Dezember 1819, in der Hauptsache für das Stimmregister der Heimatort maßgebend.

Die Bundesverfassung von 1874 machte zur Voraussetzung des Stimmrechts in kantonalen und Gemeindeangelegenheiten das Domizil von 3 Monaten; damit war das Gesetz von 1843 aufgehoben.

Der Große Rath versuchte darüber klare Normen aufzustellen durch Gesetz vom 24. Mai 1878; allein diesem wurde die eidgenössische Genehmigung auf Betreiben der Partei, welcher die Rekurrenten angehören, versagt. Daraufhin wurde das Gesetz vom 15. Juli 1880 erlassen, welches die Bundesgenehmigung erhielt.

Zur Ausführung desselben wurde von unserm Departement des Innern ein Zirkular vom 28. Januar 1881 erlassen. Danach verschwand die Bedeutung des Heimatortes gänzlich, nur das Domizil blieb von Bedeutung. Zu entscheiden, ob im einzelnen Falle Domizil oder nur Aufenthalt vorliege, ist in erster Linie Sache der Gemeinderäthe.

Wir können demgemäß auch keinen Unterschied machen zwischen Tessinern, die in einem andern Kantone der Schweiz, und solchen, die im Auslande wohnen; wer in den Kanton zurückkehrt, sei es aus einem andern Kanton, sei es aus dem Auslande, hat am Orte seines letzten tessinischen Domizils zu stimmen, so lange er nicht ein anderes Domizil von 3 Monaten erlangt hat. Ob ein Tessiner in einem andern Kanton ein Domizil habe, ist leicht zu konstatiren, ob im Auslande, schwieriger. Kommt er auf einen Theil des Jahres zurück, so behält er sein letztes Domizil. Im Uebrigen richtet sich die Sache nach den Umständen des einzelnen Falles.

Mit Schreiben vom 5. Februar 1889 fragte ferner der Bundesrath den tessinischen Staatsrath an: Aus früheren Akten ergibt sich, daß etwa 12,000 Tessiner mehr auf den Stimmregistern stehen, als iin Lande wohnen; stehen diese alle auf den Registern des letzten Domizils, nicht der Heimatsgeuieinde, und sind den Gemeinden diesfällige Weisungen ertheilt worden ?

Da die Fälle auswärtigen Wohnsitzes so zahlreich sind, sollte die Frage des Stimmrechtes dieser Auswärtigen nicht lediglich dem Ermessen im einzelnen Fall überlassen bleiben. Was für Normen gedenkt der Staatsrath darüber aufzustellen?

813 Von den beiden Schreiben des Bundesrathes an den Staatsvath und von der Antwort des Staatsrathes d. d. 16. Januar 1889 wurde den Rekurrenten Kenntniß gegeben.

' XXIII. Das eidgenössische Justiz- und Polizeidepartemeut zog sodann von der eidgenössischen Oberzolldirektion einen Bericht darüber ein, welche Beamten und Angestellten der eidgenössischen Zollverwaltung in den auf ausländischem Gebiet gelegenen Zollbüreaux stationirt seien, ob und wo sie ihr Stimmrecht ausüben können. Die Liste derselben wurde am 8. Februar 18S9 eingereicht, sie ergibt 38 Namen. An der deutsehen Grenze ist ihnen die Stimmabgabe ermöglicht in Koblenz, Trasadingen, Ramsen, Egelshofen, an der italienischen in verschiedenen Gemeinden des Kantons Tessin. Hier fallen folgende Einträge in Betracht: Zollstätte.

Stellung.

Name.

Lnino Luino Luino Maccagno

Einnehmer Aufseher Aufseher Einnehmer

Rusca Prosp.

Arnoldi Gius.

Buffi Giov.

Grigolli Carlo

Heimat. Letzter Wohnort Stimmabgabe.

in der Schweiz.

Locamo Locamo Locamo Scareglia

Mnralto f Brissago Gerra-Gambarogno Locamo

-- -- -- --

Der Zolldirektor fügt bei : ,,Die tessinischen Beamten und Angestellten betheiligen sich an den politischen Abstimmungen und Wahlen im Tessin, soweit es der Zolldienst an den betreffenden Festtagen gestattet. Dieser Zolldienst wird so eingerichtet, daß alle Diejenigen sich zu den Abstimmungen wegbegeben können, welchen daran gelegen ist. Die Tessiner figurirten bisher alle in den Wahlregistern ihrer Heimatgemeinde, und es gilt im Allgemeinen die Regel, daß sie daselbst ihr Stimmrecht ausüben können, wenn sie am Abstimmungstage im Orte anwesend sind. Einige der Heimatgemeinden aber verlangen seit einigen Jahren von ihren Angehörigen, die im Ausland wohnen, einen dreimonatlichen Aufenthalt in der Gemeinde selbst für die Zulassung zur Abstimmung und vertreten den Standpunkt, daß ohne denselben die Betreffenden in derjenigen tessinischen Gemeinde ihr Stimmrecht haben, wo sie zuletzt ihren Aufenthalt hatten, bevor sie sich in's Ausland begaben. Wiederum aber wird dieser Standpunkt von der Gemeinde des letzten Aufenthalts nicht anerkannt.

So ist es gekommen, daß Rusca, Arnoldi, Buffi und Grigolli seit I.Mai 1887 an der Ausübung ihres Stimmrechtes verhindert sind; Grigolli hat nie in Scareglia gewohnt, sondern vor 1874 immer in Bignasco (V. Maggia) und von 1874 bis zu seiner Wahl nach Maccagno in Locamo. Bis zum Jahre 1887 hat die Gemeinde Locamo die

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Obigen zur Abstimmung zugelassen und erst dann obigen Standpunkt vorgeschoben, um die Genannten an der Stimmabgabe zu hindern. Alle andern tessinischen Beamten und Angestellten werden immer in ihrer Heimatgemeinde zur Abstimmung zugelassen, nur die Gemeinde Locamo hat auf einmal aus Parteirücksichten eineu andern Standpunkt eingenommen.1* XXIV. Da bis zum 11. Februar noch keine Antwort vom tessinischen Staatsrath eingelaufen war, erließ der Bundesrath eiue neue Mahnung an denselben, indem er beifügte, daß die Reklamationen, welche gegen die für die Großrathswahlen vom 3. März angefertigten Stimmregister bereits angekündigt seien, eine schnelle Beantwortung der gestellten Fragen dringend wünschbar erscheinen lassen.

Der Staatsrath antwortete am 13. Februar: ,,Wir betrachten die Stimmgabe in der Heimatgemeinde als absolut aufgehoben, nur das Domizil entscheidet. Die Partei gerade, die es jetzt nicht will, hat dies zu Stande gebracht. Das Gesetz vom 3. Dezember 1888 ist von beiden Parteien gemeinsam zu Staude gebracht worden.

,,Von unsern Wählern wandern manche periodisch aus für 2--4 Monate, ohne ihr hiesiges Domizil aufzugeben. Trotz dem Lärm der uns feindlichen Zeitungen werden nur wenige ernst gemeinte Streitfragen rücksichtlich des Domizils von Wählern entstehen, mehr wegen Nichtzahlung von Steuern. Im Uebrigen können wir Euch unser tiefes Mißfallen nicht verhehlen über das uns bewiesene unverdiente Mißtrauen."

XXV. Am 3. März 1889 fanden im Kanton Tessili nach dem neuen Gesetze vom 3. Dezember 1888 die Großrathswahlen statt.

Diese Wahlen gaben Anlaß zu Hunderten von Rekursen an den Bundesrath über Aufnahmen und Streichungen in den Stimmregistern, Rekursen, in welchen die nämlichen Fragen zur Untersuchung kamen, wie in dem schwebenden Rekurse betreffend die Getneindewahlen von Locamo vom 1. Mai 18S7. Der Bundesrath beauftragte mit der Untersuchung des diesen Rekursen zu Grunde liegenden Thatbestandes zuerst den eidgenössischen Oberauditor Oberst Eugen Borei, dann, als diesem der Charakter eines eidgenössischen Bundeskommissärs verliehen wurde, den Major im eidgenössischen Justizstabe Albert Schneider und ertheilte diesem zugleich den Auftrag, dabei auch die Verhältnisse des vorliegenden Rekurses in's Auge zu fassen. Die weitern Ereignisse im Kanton Tessin führten theils zu einem bundess;erichtlichen Verfahren,i theils,i nach BeendiO

815 gung der Untersuchung des Bundesdelegirten und abgestattetem Bericht desselben, zu einer Berichterstattung des Bundesrathes an die Bundesversammlung.

XXVI. Die Angelegenheit war noch bei der Bundesversammlung anhängig, als im Kanton Tessiü eine Petition um Revision der KantonalverfassuQg in Umlauf gesetzt, mit über 10,000 Unterschriften versehen und dem Staatsrathe eingereicht wurde. Als dieser mit der Anordnung der von der Kantonalverfassung verlangten Abstimmung des Volkes zögerte, erfolgte der Aufstand vom 11. September 1890, welcher zur bewaffneten eidgenössischen Intervention führte. Nachdem der Bundesrath den Rekurs betreffend die Verzögerung der Volksabstimmung gutgeheißen hatte, wurde letztere auf den 5. Oktober 1890 angesetzt und in dieser die Frage der Revision bejaht. Es war nach den gemachten Vorlagen anzunehmen, daß mit Annahme der revidirten Verfassung alle Behörden neu bestellt werden müßten und daß damit der vorliegende Rekurs wie auch die Rekurse gegen die Großrathswahlen vom 3. März 1889 gegenstandslos werden würden. Allein, es wurden in den neuen Verfassuugsentwurf Uebergangsbestimmungen aufgenommen, nach welchen der bestehenden Munizipalität von Locamo der Fortbestand bis wenigstens zum Jahr 1892 gesichert blieb, und dieser Verfassungsentwurf ist am 8. März 1891 von der Mehrheit des tessinischen Volkes angenommen und den 17. April 1891 von der Bundesversammlung genehmigt worden. Damit ist die Nothwendigkeit für die Bundesbehörden eingetreten, über die vorliegende Beschwerde zu entscheiden.

XXVII. Mittlerweile sind im Jahre 1890 die drei am 1. Mai 1887 gewählten Mitglieder der Munizipalität Magoria, Rusca und Simona in Erneuerung gefallen, da ihre Amtsdauer abgelaufen war.

Für die neue Amtsdauer sind Magoria und Simona wieder gewählt und ist an die Stelle von Rusca, Giovanni der Ingenieur Sornazzi, Ernesto gesetzt worden.

Der Bundesrath zieht in Erwägung: 1. Was vor Allem die K o m p e t e n z des Bundesrathes betrifft, so ist dieselbe von vorneherein klar insoweit, als es sich um die Frage handelt, ob bei der angefochtenen Wahl einem Schweizerbürger trotz seiner Niederlassung von drei Monaten in Locamo das Stimmrecht versagt worden sei. Denn Art. 43, Absatz 5, der Bundesverfassung garantirt ausdrücklich dem Schweizerbürger das Stimmrecht in Genieindeangelegenheiten nach einer solchen Niederlassung. Und zwar

816 ist vom Bundesrathe stets daran festgehalten worden, daß diese Verfassune;sbestimmung sich nicht blos auf die in einem Kanton niedergelassenen Bürger aus andern Kantonen bezieht, sondern auch auf die eigenen Kantonsangehörigen. Denn der ganze Inhalt derselben bezweckt, die politischen Rechte der Bürger im Allgemeinen zu regeln ; es soll daher auch allen Schweizern, ohne Unterschied, ob sie eigene Kantonsbürger oder Angehörige anderer Kantone seien, das Recht gesichert sein, am Wohnorte zu stimmen, sofern sie überhaupt stimmfähig sind und die Bedingung der Niederlassung seit drei Monaten zutrifft. Eine verschiedene Behandlung der eigenen Angehörigen und der Angehörigen anderer Kantone würde auch im Widerspruch stehen mit den Art. 4 und 60 der Bundesverfassung (vergi. Entscheid des Bundesrathes in Sachen Nessi und Genossen betr. die Wahlen von Locamo vom 21. Februar 1875, Bundesbl.

1876, Bd. I, p. 953, Bericht der Kommission des Nationalrathe» daselbst Bd. III, p. 191, bestätigt durch die Bundesversammlung am 1. Juli 1876). Nach Art. 59, Ziffer 5, des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege sind aber Beschwerden, welche sich auf Art. 43, betreffend Rechte der Niedergelassenen, beziehen, als Administrativstreitigkeiten erklärt, deren Erledigung nach Maßgabe der Art. 85, Ziffer 12, und Art. 102, Ziffer 2, der Bundesverfassung dem Bundesrathe, beziehungsweise der Bundesversammlung zusteht, und der Bundesrath hat auch von jeher unbeanstandet dergleichen Rekurse entschieden (vergi, den schon zitirten Entscheid i. S. Nessi, Erw. l ; ferner Entsch. i. S. Orbe, Bundesbl. 1877, Bd. II, p. 529; i. S. Dürnten, Bundesbl. 1876, Bd.I, p. 437, vor die Bundesversammlung gezogen, vergi. Bundesbl. 1877, Bd. IV, p. 759 ff.; i. S. Righi und Grassi, Bundesbl. 1877, Bd. IV, p. 459, bestätigt von der Bundesversammlung, daselbst 1878, Bd. I, Beilage zu Nr. 2, p. 9, u. a. m.). Damit ist die Kompetenz begründet zum Entscheid über das streitige Stimmrecht folgender in der Beschwerde Fact. VII angeführten Bürger : A. 1.

9.

C. 1.

2.

3.

4.

5.

6.

9.

13.

Bettoli, Stefano, von Lugano, Respini, Pompeo, von Cevio, Gianoni, Alberto, voa Brione, Rusch, Fortunato, von Mayenfeld, Allidi, Giuseppe, von Ascona, Rossi, Achille, von Brissago, Gagliardi. Giuseppe, von Prato V.-M., Balestra, Agostino, von Gera-Gambarogna, Candolfi, Antonio, von Comologno, Giacometti, Giov. Batt., von Minusio.

817 2. Allein auch im Uebrigen vindizirt sich der Bundesrath, wie er in seinen Eingaben an das Bundesgericht in Sachen des Kompetenzkonfliktes mit der Tessiner Regierung (vom 7. Juni und 7. September 1889) ausgeführt hat, die Prüfung und Entscheidung von Stimmrechtsbeschwerden auch bei kantonalen Wahlen und Abstimmungen insoweit, als eidgenössische Verfassungsgrundsätze, wie vor allem derjenige der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetze (Art. 4 der Bundesverfassung), in Frage kommen. Den kantonalen Behörden gehört die Handhabung des kantonalen Rechts; sie haben dasselbe auszulegen und festzustellen. Wenn aber in einem Gebiete, dessen Schutz der Bund übernommen hat, von den kantonalen Behörden bei gleichen Verhältnissen ungleiches Recht angewendet, das einmal festgestellte Recht nicht überall gleichmäßig gehandhabt wird, so haben die davon betroffenen Bürger das Recht, den Schutz des Bundes anzurufen, und der Bund hat die Aufgabe, die Kantonsbehörde zur Handhabung des von ihr in gleichartigen Fällen festgestellten Rechtes zu verhalten. Es haben übrigens die Bundesbehörden auch für das kantonale Stimmrecht bindende Grundsätze aufgestellt, welche die Kantonsbehörden nicht mißachten dürfen (vgl. Entscheid des Bundesrathes i. S. Dürnten, Buudesblatt 1876, Bd. I, pag. 437). Nun wird von den Rekurrenten gerade das behauptet, daß die Gleichheit der Bürger durch den vom Regierungskommissär und vom Staatsrath des Kantons Tessin genehmigten Entscheid des Gemeinderathes von Locamo verletzt worden sei, und die Beschwerde stützt sich gerade auf Art. 4 der Bundesverfassung, welcher den Schweizern die Gleichheit vor dem Gesetze garantirt, und auf Art. 5 derselben, wonach der Bund die verfassungsmäßigen Rechte der Bürger gewährleistet. Es ist also in der That die Aufgabe des Bundes, zu prüfen, ob diese Beschwerde begründet ist oder nicht. Und zwar fällt diese Prüfung in die Kompetenz des Bundesrathes, da laut Art. 59, Ziff. 9, des eidgenössischen Gesetzes über die Strafrechtspflege Beschwerden gegen die Gültigkeit kantonaler Wahlen, welche sich auf Bestimmungen der Bundesverfassung stützen, dem Entscheide des Bundesrathes zustehen (vergleiche Entscheid betreffend Sessa, Bundesblatt 1875, Bd. IV, pag. 429, bestätigt von der Bundesversammlung; betreffend Caneggio, Bundesblatt 1877, Bd. IV, pag. 133, bestätigt von der
Bundesversammlung). Denn daß hier unter kantonaler Wahl nicht nur die Wahl einer Kantonsbehörde, sondern- auch die einer Bezirksoder Gemeindebehörde -- im Gegensatz zu eidgenössischen Wahlen -- zu verstehen ist, ist längst festgestellt worden (in Sachen Escholzmatt, Bundesblatt 1884, Bd. II, pag. 760; in Sachen Ettiswyl, Bundesblatt 18»0, Bd. II, pag. 625; in Sachen Avry-devant-Pont, 1882, Bd. I, pag. 33, bestätigt durch die Bundesversammlung).

818 3. Gegen die Behandlung dieser Angelegenheit durch den Bundesrath wendet nun aber der Staatsrath des Kantons Tessiu vor Allem ein, daß von den Rekurrenten nicht alle kantonalen Instanzen durchlaufen worden seien, daß denselben vielmehr noch die Appellation gegen den Entscheid des Staatsrathes au den Großen Rath offen gestanden wäre, und daß daher nach feststehender eidgenössischer Praxis die Rekurrenten angebrachter Mußen abzuweisen seien.

Es ist richtig, daß der Bundesrath erklärt hat, daß nach konstanter Praxis die in Art. 59, Ziff. 9, des Buudesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vorgesehenen Beschwerden gegen die Gültigkeit kantonaler Wahlen erst dann beim Bundesrathe augehoben werden können, wenn die zuständigen kantonalen Behörden entschieden haben. So lehnte der Bundesrath seine Intervention auf eine Beschwerde hin ab, welche dahin ging, daß die Regierung des Kantons Luzern die Kassation stattgefundener Richterwahlen, bei denen die Kantonsverfassung verletzt worden sei, abgewiesen hatte, gestützt darauf, daß nach § 51 der Luzerner Verfassung über diesfällige Entscheide des Regierungsrathes die Beschwerdeführung an deu Großen Rath vorbehalten ist (Bundesbl. 1878, Bd. II, p. 496), und ebenso wurde entschieden in Sachen Gruyère ani 15. Dezember 1881 (vergi, den citirten Entscheid i. S. Escholzmatt (Erwägung 1).

Die hier zur Anwendung kommenden Artikel 6 und 7 des tessinischen Gesetzes über das Verfahren in nicht streitigen Verwaltungssachen vom 27. November 1863 bestimmen ausdrucklich : ,,Gegen den Entscheid des Staatsrathes können die Parteien den Rekurs an den Großen Rath ergreifen, der in seiner nächsten ordentlichen Sitzung zu entscheiden hat. Dieser Rekurs ist innerhalb der peremtoiischen Frist von 15 Tagen von der Mittheilung des Entscheides der Regierung beim Regierungskommissär einzureichen, der ihn dem Staatsrath übermittelt."1 Es steht fest, daß ein solcher Rekurs von den Rekurrenten nicht eingereicht worden ist.

Dieser Mangel wird nicht genügend entschuldigt durch den von den Rekurrenten hervorgehobenen Umstand, daß während des Dauer des Verfahrens diejenigen Mitglieder des G-emeinderathes, deren Wahl angefochten ist, im Amte verbleiben und funktioniren, noch auch durch die Behauptung, daß der gegenwärtig in seiner großen Mehrheit aus Anhängern der konservativen
Partei bestehende Große Kath solche Einsprachen gegen Wahlen bisher immer vom konservativen Parteistandpunkt aus betrachtet, daher Beschwerden, welche gegen die Wahl von Parteigängern gerichtet waren, regelmäßig mit endloser Langsamkeit behandelt habe.

819 4. Allein der Bundesrath hat im Geschäftsberichte über' das .Jahr 1875, welcher von der Bundesversammlung genehmigt worden ist, hinwieder grundsätzlich erklärt, die Durchlaufung aller kantonalen Instanzen bilde nicht für alle Fälle eine Voraussetzung seiner Kompetenz. Er spricht sich nämlich daselbst folgendermaßen aus Rekurrenten einfach hingehalten und nachher die leere Ausflucht gebraucht, daß er das angefochtene Dekret nicht gehabt habe, während er sodann selbst erklärt, daß ihm dasselbe vom Rekursgegner mitgetheilt worden sei. Es ist zwar klar, daß das angefochtene Dekret dem Rekurse

820 hätte beigelegt werden sollen ; allein weder das Gesetz über das Verfahren, noch das Gemeindegesetz verlangen dies ausdrücklich ; es kann daher gar keine Rede davon sein, daß dieser Mangel etwa, wie der Staatsrath andeutet, die Nichtigkeit des Rekurse» hätte zur Folge haben können, vielmehr hätte der Staatsrath sich loyaler Weise dadurch veranlaßt sehen solleo, sofort unter irgend einer ihm gut scheinenden Androhung die Nachlieferung des fehlenden Aktenstückes anzuordnen. Sein Verhalten fällt aber um so schwerer in's Gewicht, als, wie bereits bemerkt, die angefochtenen Mitglieder des Gemeinderatb.es unterdessen ruhig weiter amteten.

Dazu kommt noch, daß, wenn auch die Behandlung der Angelegenheit durch die Rekurrenten hie und da eine nicht gerechtfertigte Leidenschaft verräth, die Munizipalität von Locamo darin ihnen nicht nur nicht nachsteht, sondern, weil es eben eine Behörde ist, die spricht, einen noch widerlichem Eindruck erzeugt, indem sie nicht die Sprache einer Amtsstelle führt, sondern die eines Advokaten, und selbst vor offenbar trölerhaften Einreden nicht zurückschreckt. Auch in den Schriften des Staatsrathes fällt unangenehm auf, daß er, statt lediglich als Behörde zu berichten,, wiederholt von der politischen Gegenpartei u. dgl. spricht.

Unter solchen Umständen würde es nicht gerechtfertigt sein, die Rekurrenten vorerst nochmals an eine tessinische Instanz zu weisen, vielmehr ist in Uebereinstimmuug mit dem im Geschäftsberichte von 1875 aufgestellten Grundsätze gleich von Bundes wegen auf die Sache einzutreten.

5. Die Rekiirrenten erheben zunächst die formelle ßeschwerdev daß das Stimmregister noch am Abend vor der Wahl, ja am Wahltage selbst von der Gemeindebehörde verändert worden sei.

Freilich hält ihnen die Munizipalität mit Recht entgegen, daß auch von Seite ihrer Partei selbst am Morgen des 30. April noch Aenderungen des Stimmregisters verlangt worden seien. Allein dies macht selbstverständlich die Handlung der Behörde, wenn sie ungesetzlich war, nicht zu einer gesetzlichen, und es muß diese Frage also nichtsdestoweniger untersucht werden.

Maßgebend sind diesfalls die Artikel 77 ff. des Gemeindegesetzes vom 13. Juni 1854. Danach soll das Stimmregister alljährlich erneuert und an den 3 ersten Sonntagen des Januar ausgestellt werden, wie das auch hier geschehen ist. Ein
im Laufe des Jahres neu eintretender Erwerb des Stimmrechtes soll niu-h gehörig belegter Anzeige nachgetragen und ebenfalls 3 Sonntage nacheinander ausgestellt werden. Alle Einträge aber sind nach Art. 79 mit Ablauf eines Monates seit ihrer Ausstellung -- also

821 wohl seit dem Beginn ihrer Publikation -- unanfechtbar geworden.

Es ist zwar behauptet worden, daß dieser Artikel durch die Bundesverfassung von 1874 aufgehoben worden sei, allein mit Unrecht.

Die Bundesverfassung schließt nicht aus, daß einem mit dem gehörigen Domizil versehenen Schweizerbürger eine Frist zur Geltendmachung seines Stimtnreehtes unter Androhung des Ausschlusses angesetzt werde; und für den Fall, daß der Niedergelassene die 3 Monate des Domizils erst im Laufe des Kalenderjahres erfüllt, ist ja durch Art. 78 desselben Gesetzes bereits hinlänglich für die Geltendmachung seines Stimmrechtes gesorgt.

6. Daraus geht klar hervor, daß allerdings eine nachträgliche Aenderung des Stimmregisters (durch die Munizipalität stattfinden kann, aber keineswegs durch Wiedererwägung des früheren Ein·trages, sondern lediglich infolge n e u e r T h a t s a c h e n , die seit der Januarausstellung eingetreten sind. Als solche werden angeführt : Erwerb des Aktivbürgerrechts, Erwerb von Eigenthum oder Nießbrauch, Erreichung des Alters der Stimmfähigkeit, Wegfall eines rechtlichen Hindernisses derselben. Es ist nach der Bundesverfassung hinzuzufügen: Ablauf der 3 Monate des Domizils in der Gemeinde. Selbstverständlich ist mit diesem Erwerbe des Stimmrechtes der Verlust desselben am bisherigen Stimmrechtsorte verbunden.

Es ist diese Funktion des im Beginn des Jahres angefertigten und ausgestellten Stimmregisters übrigens ganz selbstverständlich ; ·denn es wäre sonst gar nicht einzusehen, was denn jene Anfertigung und Ausstellung nützen sollte, wenn sie vor jeder Wahl wieder einfach über den Haufen geworfen werden könnte. Auch kann ja nicht geleugnet werden, daß nach der Handlungsweise des Gemeinderathes kein Bürger, dessen Verhältnisse nicht ganz notorisch waren, sicher sein konnte, wenn er an der Urne erschien, auch wirklich .stimmen zu können. Solche Fragen werden auch viel ruhiger und unbefangener im Anfang des Jahres erwogen, als jeweilen unmittelbar vor einer Abstimmung.

7. Hieraus folgt, daß die allgemeine Wiedererwägung des .Stimmregisters, welche die Munizipalität von Locamo unmittelbar vor der Wahl vornahm, in der That gesetzwidrig war, und daß ihre dießfalligen Maßnahmen, soweit sie sich nicht auf seit der Januarausstellung eingetretene Thatsachen stützen und soweit sie angefochten sind,
aufgehoben werden müssen.

Da nun das Protokoll der Munizipalität mit Ausnahme der seit Ausstellung des Stimmregisters Verstorbenen bei keinem Einzigen sich auf eine neue Thatsache beruft, so waren alle Aufnahmen

822 neuer Bürger iu dai Stimmregister und alle Streichungen gesetzwidrig, und nur die Verweigerung der Aufnahme von Attilio Balli und der beiden Barassi, die auch ihrerseits sich nicht auf neue Thatsachen zur Unterstützung ihres Begehrens beriefen, bleibt bestehen.

Es ergeben sich so als unrichtiger Weise gestrichen : Bettoli, 3 Grigolli, Bartoni, Rusca Prospero, Arnoldi, , Buffi (über die Streichung von Mordasini und Franzoni liegt keine Beschwerde vor; die Streichung von Bustelli, über welche die Rekurrenten sich beschweren, ist nach dem Protokoll des Gemeinderathes unmittelbar vor der Wahl wieder zurückgenommen worden) . . . .

8 Stimmen.

Als unrichtiger Weise aufgenommen: Fantoni Luigi, Mereolli, Ceschi, 2 Rusconi, 3 Ciseri, Materni, Canova, Soldati, Vananti, Tarchini, Galli, Minoli, Jacmolli, Biscara, Beltrami, Zambelli, Vittori, Negri, Bacchi, 2 Decadi, 2 Adamina ' 26 _.

Zusammen

34 Stimmen.

Nehmen wir den ungünstigsten Fall an, nämlich, daß aie unrichtiger Weise Gestrichenen der Minderheit, die unrichtiger Weise Aufgenommenen der Mehrheit zugekommen wären, so würde sich folgendes Resultat ergeben : Magoria 196 Simona 182 Rusca 180 Pioda 196 Roggero 192 Balli 190 Es bliebe also die Wahl von Magoria, sowie diejenige von.

Bacchi zum Ersatzmann jedenfalls bestehen, während dagegen diejenige von Simona und Rusca zu kassiren wäre.

8. Es ist demnach zweifellos, daß der Staatsrath den Rekurs in diesem Sinne hätte entscheiden sollen ; er mußte dabei nicht, ja er d u r f t e nicht, auf die Frage eingehen, ob dieser oder jener der im Januar Eingetragenen oder Gestrichenen mit Recht eingetragen oder gestrichen worden sei. Allein eine andere Frage ist, ob auch der Buudesrath die Wahlen von Simona und Éusca, kassiren dürfe, da deren Annullirung sich auf ein kantonales Gesetz, nicht auf die Bundesverfassung stützt.

Soweit unter den mit Unrecht Gestrichenen sich Niedergelassene befinden, ist nach dem in Erwägung l Gesagten die Kompeteua

823 des Bundesrathes ohne Weiteres klar. Dies trifft zu mit Bex.ug auf Bettoli, dessen Stimmrecht also jedenfalls wieder herzustellen ist.

Allein die Rechte eines Niedergelassenen sind nicht nur dadurchverletzt, daß er selbst unberechtigter Weise gestrichen wird, sondern auch dadurch, daß bei einer Wahl, bei welcher er hätte zugelassen werden sollen, Andere in gesetzwidriger Weise zugelassen oder gestrichen worden sind. Ueberhuupt aber ist von vornherein anzunehmen, daß, nachdem einmal der Bundesrath innert den Sehranken seiner Kompetenz zum Entscheid über eine Wahl oder Abstimmung angerufen ist, er bei seiner Entscheidung nicht nur die bundesrechtlichen, sondern auch die kantonalen Vorschriften in Anwendung zu bringen hat, um einen durchaus gesetzmäßigen Zustand herzustellen.

9. Die Konsequenz hievon würde nun sein, daß eine Ersatzwahl für die beiden Mitglieder, deren Wahl als nicht ordnungsgemäß zu Stande gekommen erscheint, angeordnet werden müßte; allein davon kann deswegen keine Rede mehr sein, da eine solche Ersatzwahl nur für den Rest der betreffenden Amtsdauer Gültigkeit haben könnte und diese Amtsdauer bereits abgelaufen ist, indem im Jahre 1890 Neuwahlen stattgefunden haben. Der Bundesrath muß sich daher nunmehr damit begnügen, über das Stimmrecht der Bürger, um die es sich handelt, 'und die Gültigkeit der angefochtenen Wahlen einen Entscheid, den die Rekurreoten mit Recht verlangen können, zu treffen ; im Uebrigen aber ist der Rekurs gegenstandslos geworden und eine weitere Folge daher demselben nicht mehr zu geben.

Demnach hat der Bundesrath beschlossen: 1. Von den am 1. Mai 1887 getroffenen Wahlen von Mitgliedern und einem Ersatzmann der Munizipalität von Locamo erscheinen diejenigen des Herrn Magoria Luigi zum Mitgliede und des Herrn Bacchi Vincenzo zum Ersatzmann als rechtsbeständig, diejenige der Herren Simona Luigi und Rusca Giovanni dagegen als nicht rechtsgültig zu Stande gekommen.

2. Die Kostenbestimmung des staatsräthlichen Entscheides wird aufgehoben. Die Kosten des kantonalen Rekursverfahrens hat der Staat Tessin auf sich zu tragen ; im eidgenössischen Verfahren werden grundsätzlich keine Kosten auferlegt.

für

3. Mittheilung einerseits an den Staatsralh des Kantons Tessia sich und zu Händen des Regierungskommissärs der Valle

824

Maggia und der Munizipalität von Locamo, anderseits an Herrn Rusca Prospero di Francesco in Locamo für sich und zu Händen seiner Streitgenossen.

B e r n , den 8. Juni 1891.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Welti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

825

# S T #

Bundesrathsbeschluss über

die Rekursbeschwerde betreffend die Großrathswahlen vom 3. März 1889 im tessinischen Wahlkreise Locarno.

(Vom 18. Juni 1891.)

Der schweizerische Bundesrath hat in Sachen der Rekursbeschwerden betreffend die Großrathswahlen vom 3. März 1889 im tessinischen Wahlkreise Locamo nach dem Bericht des Justiz- und Polizeidepartements folgenden T h a t b e s t a n d gefunden : I. Auf Sonntag den 3. März 1889 waren im Kanton Tessin verfassungsgemäß die Wahlen der Mitglieder des Großen Rathes angesetzt. Zufolge der Bestimmungen des tessinischen Gesetzes vom 3. Dezember 1888 über die Abfassung der Stimmregister für die periodische Erneuerung des Großen Rathes wurden in sämmtlichen Gemeinden des Kantons im Anfang des Jahres 1889 die Stimmregister von den Munizipalitäten angefertigt und am 22. Januar öffentlich ausgestellt. So auch im Wahlkreis Locarno.

A. Betreffend die Gemeinde Locamo.

II. Mit Eingabe vom 26. Januar beschwerte sich Dr. Giuseppe Mariotti beim Regierungskommissär von Locamo darüber, daß in dieses Stimmregister n i c h t a u f g e n o m m e n worden sei: Bundesblatt. 43. Jahrg. Bd. III.

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Bundesrathsbeschluß über die Rekursbeschwerden betreffend die Gemeinderathswahlen in Locarno vom 1. Mai 1887. (Vom 8. Juni 1891.)

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Bundesblatt

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1891

Année Anno Band

3

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28

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08.07.1891

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777-825

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