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Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend die Sicherung der Vollziehung des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs auf den 1. Januar 1892.

(Vom 24, Juli 1891.)

Tit.

Das Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs tritt, wie dessen Art. 318 besagt, am 1. Januar 1892 in Kraft.

Mit der Vollziehung des Gesetzes, wie überhaupt aller Bundesgesetze, ist die vollziehende Behörde des Bundes, der Bundesrath, betraut. Nach Art. 15 soll derselbe für die gleichmäßige Anwendung des Gesetzes sorgen und die zu dessen Vollziehung erforderlichen Verordnungen und Réglemente erlassen.

Die Vollziehung des Gesetzes ruht indessen nicht allein auf den Schultern des Bundesrathes. Das Gesetz selbst ruft bekanntlich der Mitwirkung der Kantone, indem es den letztern die Regelung verschiedener Punkte überträgt, welche einen wesentlichen Bestandtheil des Betreibungswesens bilden, und ihnen außerdem frei stellt, gewisse Materien, welche mit dem Betreibungsrechte in Beziehung stehen, nach ihrem Ermessen zu ordnen.

Die Kantonsbehörden sind, so viel an ihnen lag, der ihnen vom Bunde auferlegten staatsrechtlichen Verpflichtung nachgekommen.

In allen Kantonen sind Gesetze oder Verordnungen ausgearbeitet worden, welche die der kantonalen Gesetzgebung überlassenen Punkte regeln und die Ausführung des Gesetzes auf dem Kantons-

23 gebiete ermöglichen und erleichtern sollen. Die meisten dieser Arbeiten haben die für die kantonale Gesetzgebung vorgesehenen Stadien durchlaufen und, sei es vor, sei es unmittelbar nach dem l;Juli 1891, Gesetzeskraft erlangt. Bekanntlich sollten, laut Art. 333 des Bundesgesetzes, bis zum genannten Zeitpunkte die in Frage stehenden Bestimmungen dem Bundesrathe theils einfach mitgetheilt, theils zur Genehmigung unterbreitet werden.

Einzelne Kantone befinden sich indessen mit der Erfüllung ihrer Verpflichtung noch im Rückstande, und bei einigen derselben ist dieser Verzug einzig dem Umstände zuzuschreiben, daß der von den Behörden zu richtiger Zeit fertig gestellte Entwurf in der Volksabstimmung verworfen wurde.

Wenn es auch zu hoffen steht, daß eine neue Vorlage bei nochmaliger Volksabstimmung Annahme finde, so gebietet die Vorsicht immerhin, auf einen solchen Ausgang nicht mit allzu großer Sicherheit zu bauen, sondern auch den Fall einer nochmaligen Verwerfung vorauszusehen.

Diese Möglichkeit in's Auge fassend, müssen wir schon jetzt darüber in's Reine kommen, was zu geschehen hat, wenn in diesem oder jenem Kanton die zur Ausführung des Bundesgesetzes erforderlichen Einführungsbestimmungen nicht rechtzeitig erlassen werden sollten.

So viel steht von vorneherein außer Frage, daß von einer Verschiebung der Ausführung des Bundesgesetzes in dem betreffenden Kantone keine Rede sein kann. Das Gesetz muß am 1. Januar 1892 auf dem ganzen Gebiete der Schweiz zur Vollziehung gelangen ; denn in der allgemeinen Gültigkeit liegt ja gerade dessen Werth und Bedeutung. Die Mehrheit der Bürger unserer 25 Kantone und Halbkantone hat dasselbe wesentlich auch darum angenommen, weil dadurch für das ganze Gebiet der Eidgenossenschaft ein einheitliches Verfahren geschaffen wurde, und dieser Einheit zu Liebe wurden die kantonalen Gesetze geopfert, trotzdem sich dieselben in dem Volke eingelebt hatten und nicht selten dem eidgenössischen Gesetze vorgezogen wurden. Das Opfer wäre umsonst gebracht, wenn nicht durch dasselbe alle kantonalen Betreibungsschlagbäume mit einem Male beseitigt würden.

Der Erlaß der fraglichen Einführungsbestimmungen bildet offenbar für die Kantone dem Bunde gegenüber, der in Sachen unbestrittenermaßen das Gesetzgebungsrecht hat, eine staatsrechtliche Verpflichtung, deren Erfüllung sie sich
unter keinem Verwände entziehen können ; die Kantonsbürger haben in die.ser Beziehung dem Bunde gegenüber genau die nämlichen Pflichten, wie die Kantonsbehörden.

24 Wenn der Satz, das Bundesrecht stehe über dem kantonalen Rechte, Geltung behalten soll, so darf die Vorschrift des Art. 318, wonach das Gesetz am 1. Januar 1892 in Kraft tritt, in keinem Kantone auch nur einen Augenblick todter Buchstabe bleiben, und zwar auch dann nicht, wenn das Hinderniß in dem Ergebniß einer Volksabstimmung liegt, denn wie über dem kantonalen Recht das Bundesrecht, so steht über dem Willen der Kantonsbevölkerung der Wille des Schweizervolkes.

Der Kanton, welcher das Bundesgesetz am Tage seines Inkrafttretens nicht ausführen sollte, würde übrigens einem Zustand völliger Anarchie im Betreibungswesen anheimfallen, welchen die bisherigen kantonalen Gesetzesvorschriften nicht zu beseitigen vermöchten, da Art. 318 des Bundesgesetzes, welcher einfach Art. 64 der Bundesverfassung ausführt, dieselben auf den 1. Januar 1892 förmlich außer Kraft setzt.

Es ist demnach unumgänglich geboten, daß das Bundesgesetz gegebenen Falles auch in Ermangelung eines kantonalen Einführungsgesetzes zur Ausführung gelange, und wir haben zu untersuchen, durch welche verfassungsmäßige Mittel sich dies erreichen läßt.

Vergegenwärtigen wir uns zunächst die Punkte, bezüglich welcher das Bundesgesetz eine Mitwirkung der kantonalen Gesetzgebung vorgesehen hat. Wir müssen in dieser Beziehung unterscheiden zwischen solchen Bestimmungen, zu deren Erlaß die Kantone verpflichtet sind, und solchen, deren Erlaß ihnen einfach freigestellt ist.

A. Obligatorische Bestimmungen.

1. Bestimmung der Betreibungs- und Konkurskreise (Art. i und 28).

2. Organisation der Betreibungs- und Konkursämter; Bezeichnung der Betreibungs- und Konkursbeamten, ihrer Stellvertreter und, wenn nöthig, ihrer Gehülfen (Art. 2, 3 und 28).

3. Bezeichnung einer Aufsichtsbehörde (Art. 13).

4. Bezeichnung der zuständigen Behörden : a. Für die Bewilligung von Arresten, b. für die Ausweisung von Miethern und Pächtern, c. für das Nachlaßverfahren (ArJ;. 23).

5. Feststellung : a. Der Bestimmungen über das beschleunigte Prozeßverfahren, b. der Bestimmungen über das summarische Prozeßverfahren,

25 c. der zur Vollziehung des Gesetzes erforderlichen Strafbestimmungen (Art. 25).

6. Bezeichnung der kantonalen Betreibungshandlung, welche dem Zahlungsbefehle des Bundesgesetzes entspricht (Art. 22).

B. Fakultative Bestimmungen.

1. Bestellung unterer Aufsichtsbehörden für einen oder mehrere Kreise (Art. 13).

2. Organisirung der gewerbsmäßigen Vertretung der Gläubiger (Art. 27}.

3. Erlaß von besondern Vorschriften über die Betreibungen für Forderungen der Pfandleihanstalten (Art.' 45).

4. Zulassung der Forderungen aus dem ehelichen, elterlichen oder vormundschaftlichen Verhältnisse zur Theilnahme an einer Pfändung ohne vorgängige Betreibung (Art. 1111.

5. Abkürzung der Fristen, binnen welcher die nach kantonalem Recht auszutragenden Betreibungen erledigt sein müssen (Art. 320).

6. Zeitweilige Beibehaltung des Privilegs der Obligation im Kanton Bern und der Handschrift im Kanton Solothum (Art. 327).

7. Zeitweise Beibehaltung eines Minimalpreises für den Zuschlag von Liegenschaften (Art. 329).

8. Uebertragung der von den bisherigen Beamten zu erledigenden Verrichtungen an die neuen Behörden und Beamten (Art. 332).

Wenn es zu bestimmen gilt, welche der obigen Bestimmungen für die Ausführung des Bundesgesetzes unentbehrlich sind, so fallen selbstverständlich die blos fakultativen von vorneherein außer Betracht. Indem der Gesetzgeber dieselben als fakultativ bezeichnete, hat er sich bereits dahin entschieden, daß sie für die Anwendung des Gesetzes nicht nothwendig seien. Der Bundesgesetzgeber wollte damit lediglich den Kantonen gewisse Freiheiten einräumen ; ob sie davon Gebrauch machen wollen, steht ausschließlich bei ihnen zu entscheiden, und der Bund hat sich damit nicht zu befassen.

Bleiben die obligatorischen Bestimmungen. Doch auch bei diesen gilt es, zwischen dem bloß Nützlichen und dem unumgänglich Notwendigen zu unterscheiden.

Die an dem Civilprozeßverfahren anzubringenden Vereinfachungen, wodurch dasselbe zu einem beschleunigten oder summarischen im Sinne des Bundesgesetzes werden soll, bilden keine

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wesentliche Vorbedingung der Durchführung des Bundesgesetzes' in seinem Haupttheile, nämlich dem Betreibungsverfahren. Die Verkürzung der Dauer der bei Anlaß einer Betreibung auftauchenden Prozesse ist eine Aufgabe für sich, welche den Gang der eigentlichen Betreibung, d. h. die Zwangsvollstreckung für rechtlich feststehende Forderungen, nicht direkt berührt. Die Bundesgesetzgebung hat sich mit dieser Aufgabe nur nebenbei befaßt, und es ist um so weniger geboten, auf die sofortige Erfüllung der diesbezüglichen Vorschriften zu drängen, als die ßundesbehörden dermalen keineswegs in der Lage wären, den Kantonen mit Sachkenntniß diejenigen Verbesserungen zu bezeichnen, durch deren Einführung sie ihrem so vielgestaltigen Civilprpzeßverfahren die vorgeschriebene Beschleunigung oder den Charakter eines summarischen Verfahrens verleihen würden.

Aehnlich verhält os sich mit den Strafbestimmungen. Das gegenwärtige Strafrecht der Kantone gibt denselben zweifellos schon reichliche Mittel an die Hand, um gegen die Verletzung der Vorschriften des Bundesgesetzes wirksam einzuschreiten. Der betrügerische Bankerott, die Beseitigung gepfändeter Gegenstände und die ändern Vergehen dieser Art sind in allen bestehenden kantonalen Strafgesetzgebungen vorgesehen. Die Lücken, welche die letztern noch enthalten mögen, werden bei der Anwendung des Gesetzes schon zu Tage treten, und es wird alsdann immer noch Zeit sein, von Bundeswegen Abhülfe zu schaffen, wenn dies von kantonaler Seite nicht geschehen sollte.

Die Bezeichnung derjenigen Betreibungshandlung des bisherigen kantonalen Rechts endlich, deren bereits erfolgte Vornahme von der Zustellung eines bundesrechtlichen Zahlungsbefehls dispensirt, ist eine einfache Angabe von übrigens ganz vorübergehendem Werthe, deren Fehlen lediglich zur Folge hat, während der Uebergangszeit die Betreibungen um einige Tage zu verlängern.

Haben wir alle diese Punkte ausgeschieden, so erübrigt nur die Regelung der o r g a n i s a t o r i s c h e n Bestimmungen. Diese freilich sind zur Vollziehung des Gesetzes unumgänglich nothwendig ; aber selbst in den Kantonen, welche ein Einführungsgesetz nicht zu Stande brächten, werden solche Bestimmungen nicht gänzlich fehlen, indem schon die bisherige Gesetzgebung dieselben enthalten wird. Ist doch schon gegenwärtig das Gebiet jedes Kantons für
die Betreibung und den Konkurs in Kreise eingetheilt, oder es bildet der Kanton in dieser Beziehung einen einzigen Kreis, womit dem neuen Gesetze ebenfalls Genüge geschieht. Desgleichen besteht schon jetzt in jedem Kantone eine Behörde, welche für die Bewilligung eines Arrestes oder die Ausweisung von Miethern und Pächtern zuständig ist. Und sollte etwa in diesem oder jenem

27 Kantone der Nach l aß vertrag sich als eine Neuerung darstellen, so werden zur Anwendung der einschlägigen Bestimmungen des Bundesgesetzes, in Ermangelung einer besondern Vorschrift, offenbar die Gerichte zuständig sein.

Das Gebiet, auf welchem positive Neuerungen unumgänglich geboten sind, ist daher, wie man sieht, ein äußerst beschränktes. Es umfaßt sozusagen nur die Bezeichnung der Betreibungs- und Konkursbeainten und der Aufsichtsbehörden. Ja, auch diese Behörden und Beamten bestehen zur Zeit schon in einer Reihe von Kantonen.

In ändern Kantonen freilich bilden diese Organe eine Neuerung, für welche sich in der bisherigen Gesetzgebung keinerlei Anknüpfungspunkte finden. Solche Kantone allerdings müssen etwas Neues schaffen,i sollen sie im\^. Stande sein,t das Bundesaesetz zu vollziehen.

O Und wenn es ihnen nicht gelingt, auf dem normalen Wege der Gesetzgebung dies zu Stande zu bringen, so muß auf anderm Wege dafür gesorgt werden.

Nach unserm Dafürhalten sollte der Bundesrath im Hinblick auf jene Möglichkeit mit besondern Vollmachten ausgestattet werden, und zwar ist es die Bundesversammlung, welcher die §>rtheilung dieser Vollmachten zukommt; denn nach Art. 85, Ziff. 8, der Bundesverfassung fallen in ihren Geschäftskreis die ,,Maßregeln, welche die Erfüllung der bundesmäßigen Verpflichtungen zum Zwecke haben".

Der Bundesrath wird selbstverständlich -- die bisherigen Ausführungen werde Sie hierüber wohl genügend beruhigt haben -- sich mit den allernothwendigsten Verfügungen begnügen und überhaupt nur soweit einschreiten, als die bisherige kantonale Gesetzgebung nicht ausreicht. Seine etwaigen Anordnungen werden unter vollem Vorbehalt der Rechte der kantonalen Gesetzgebung getroffen werden und einen rein provisorischen Charakter tragen. Er wird nur im Einverständniß mit den kantonalen Behörden handeln und deren Wünsche und Ansichten möglichst zur Richtschnur nehmen. Und der Kanton wird es jederzeit in der Hand haben, durch Erlaß eines Gesetzes die bundesräthliche Verfügung sofort dahinfallen zu lassen.

Der Beschluß, durch welchen Sie uns die nöthigen Vollmachten ertheilen sollten, unterliegt unseres Erachtens als Spezialmaßregel zur Vollziehung eines allgemein verbindlichen Gesetzes nicht dem Referendum. Derselbe ist zudem dringlicher Natur, denn wenn das Gesetz am 1. Januar 1892 in
Wirksamkeit treten soll, so müssen die mit dessen Vollziehung betrauten Beamten mindestens zwei Monate zuvor berufen worden sein, damit sie Zeit finden, sich auf ihre Amtsthätigkeit gehörig vorzubereiten.

28 Wir empfehlen Ihnen aus obigen Gründen die Annahme des beiliegenden Beschlusses-Entwurfes und benutzen den Anlaß, Sie, Tit., unserer vollkommenen Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 24. Juli 1891.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d espräsid en t:

Welti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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(Entwurf.)

Bnndesbeschluß betreffend

die Vollziehung des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs vom 11. April 1889.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, auf Grund des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs vom 11. April 1889, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrathes vom 24. Juli 1891, kraft Art. 85, Ziff. 8, der Bundesverfassung, beschließt: 1. Der Bundesrath wird ermächtigt, nach Anhörung der betheiligten Kantonsregierungen, provisorisch diejenigen Maßregeln anzuordnen, welche 'ihm nothwendig erscheinen werden, um das Inkrafttreten des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs auf den 1. Januar 1892 auch in solchen Kantonen zu sichern, in welchen die für den Vollzug des Gesetzes erforderlichen kantonalen Verfügungen auf den genannten Zeitpunkt nicht bestehen werden.

2. Dieser Beschluß tritt als nicht allgemein verbindlich sofort in Kraft.

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Botschaft des Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend die Sicherung der Vollziehung des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs auf den 1. Januar 1892. (Vom 24. Juli 1891.)

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05.08.1891

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