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Bericht des

schweizerischen Bundesgerichtes an die Bundesversammlung Über seine Geschäftsführung im Jahre 1890.

(.Vom 20. März 1891.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Gemäss Art. 24 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege vom 27. Juni 1874 erstatten wir Ihnen hiemit Bericht über unsere amtliche Thätigkeit im Jahre 1890.

I. Allgemeiner Theil.

Mit Ende des Jahres schied Herr Bundesrichter Dr. Roguin aus dem Amte und wurde von der hohen Bundesversammlung durch Herrn Soldan, Staatsrath des Kantons Waadt, ersetzt. Herr Roguin war seit 1875 Mitglied des Gerichts.

Wir müssen auch dieses Jahr auf die stetig sich mehrende Geschäftslast des Bundesgerichtes hinweisen. Die Zahl der Sitzungen ist zwar von 92 (1889) auf 88 zurückgegangen; dafür hat aber die Dauer der Sitzungen zugenommen; Nachmittagssitzungen bilden keine Ausnahme mehr. Einen sicherern Maßstab zur Beurtheilung aber als die Zahl der Sitzungen bietet Ihnen ein Vergleich der Anzahl der erledigten Civilfälle mit derjenigen des Vorjahres. Im Jahre 1889 wurden von direkt beim Bundesgerichte eingelangten Civilfällen (Expropriationsfälle inbegriffen) erledigt 81, im Jahre 1890 aber 138, Weiterziehungen gemäß Art. 29 des Organisationsgesetzes im Jahre 1889 96, im Berichtsjahre aber 127. Und hiebei muß ferner berücksichtigt werden, daß die Civilprozesse aus

97 ·dem Obligationenrecht, die mangels zeitlicher Anwendung des Obligationenrechtes wegen Inkompetenz abgewiesen werden müssen und daher weniger Arbeit erfordern, nun selbstverständlich immer seltener werden. Auch die Zahl der staatsrechtlichen Rekurse hat zugenommen : 1889 183, 1890 213. Es ist denn auch für das Jahr 1891 die Anstellung eines vierten Kopisten in Aussicht genommen und der hiefür nöthige Kredit bewilligt worden.

Bezüglich der Rechtsprechung verweisen wir im Allgemeinen auf die gedruckte Sammlung der Entscheidungen, sowie auf die im II. Theil dieses Berichtes folgenden statistischen Angaben. Hier wollen wir bloß Folgendes anführen: Von den 236 behandelten staatsrechtlichen Rekursen betreffen wieder eine sehr große Zahl, nämlich 74 (1889 77), Rechtsverweigerung bezw. ungleiche Behandlung vor dem Gesetze (Art. 4 der Bundesverfassung). Die Qualität dieser jedes Jahr in so erheblicher Zahl erscheinenden Rekurse bleibt sieh gleich. Eia großer Theil derselben will, wenn der civilrechtliche Weiterzug an das Bundesgericht ausgeschlossen ist. auf dem Wege des staatsrechtlichen Rekurses eine Aufhebung des angefochtenen Civilentscheides wegen angeblicher Rechts Verweigerung sc. willkürlicher Gesetzesanwendung zu erlangen suchen. Rechtsvervveigerung im engern Sinne, Verweigerung der Anhandnahme oder Beurtheilung des Falles bildet eine höchst seltene Ausnahme. Von den 74 in Behandlung gekommenen Rekursen wegen Rechtsverweigerung wurden bloß 4 für begründet erklärt. Auch in diesem Jahre wurde in zwei Fällen gegen Entscheide der Prud'homanes-Gerichte wegen Rechtsverweigerung rekurrirt und mußten wir aus den daherigen Akten wahrnehmen, daß diese Gerichte in einigen Kantonen oft etwas oberflächlich verfahren und speziell in Zulassung und Würdigung der Beweismittel ganz sonderbare Wege gehen. Wir wissen zwar wohl und wollen dieses gerne anerkennen, daß diese Gerichte ihr Gutes haben, daß sie populär sind und daß sie namentlich als Sühneg'ericht große Dienste leisten. Sollen sie aber ihre Aufgabe ganz erfüllen und den Erwartungen der Rechtsuchenden entsprechen, so ist zum Wenigsten nothwendig, die Rechte der Parteien in prozessualischer Hinsicht organisatorisch genau und bestimmt zu fixiren und auch bezüglich Beweis bindende Vorschriften aufzustellen. Auch dürften betreffend die Qualifikation des
prozeßleitenden Richters etwas größere Anforderungen gestellt und die durch den Streitwerth bedingte Kompetenz etwas beschränkt werden.

Im Monat Dezember sind der Anklagekammer die Untersuchungsakten betreffend die Unruhen im Tessin vom März 1889 und September 1&90 zugegangen. Da die Akten vorerst übersetzt werden müssen, Bnndesblatt. 43. Jahrg. Bd. II.

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98 hat die Anklagekammer einen Beschluß im Sinne des Art. 3l der eidgenössischen Strafprozeßordnung bisher nicht fassen können. Die Untersuchung betreffend die Vorfälle vom März 1889 gibt uns zu folgenden Bemerkungen Veranlassung: Während über das Verhältniß des Bundesanwaltes zum Untersuchungsrichter und die Befugnisse und Obliegenheiten dieser beiden Beamten das Gesetz die nöthigen Bestimmungen enthält, spricht sich dasselbe dagegen nicht klar darüber aus, welcher Behörde, ob dem Bundesrath oder dem Bundesgerichte resp. der Anklagekammer, die Kontrole und Feststellung darüber zustehen, ob Untersuchungsrichter und Bundesauwalt in der Ansicht, daß die Sache auf sich beruhen solle, einig gehen und daher die Verfolgung, ohne daß die Anklagekammer sich mit der Sache zu befassen hat, aufzugeben sei (Art. 29 bis 31 leg. cit.). Nach dem Gesetze (Art. 29 i. f.) ist ganz klar, daß im letztern Fade, wenn Untersuchungsrichter und Bundesanwalt, bei politischen Vergehen .auch der Bundesrath, übereinstimmend die Einstellung der Untersuchung für geboten erachten, diese Einstellung ohne Mitwirkung der Anklagekammer erfolgen darf, in allen übrigen Fällen dagegen der Entscheid der Anklagekammer, ob Anklage stattfinden soll oder nicht, nicht umgangen werden kann.

Nun hat aber nach dem Gesetze (Art. 29) der Untersuchungsrichter die Akten dem Bundesanwalte zuzustellen, und es ist nach Art. 30 ibidem Sache des Letztern, den Entscheid der Anklagekammer mittelst Uebersendung der Akten und Einreichung eines schriftlich motivirten Antrages zu veranlassen. Der Bundesanwalt steht nun aber nicht unter der Aufsicht und Leitung der Anklagekammer, sondern des Bundesrathes (Art. 6 ibidem), und jene ist daher nicht io der.Lage, denselben zur Einsendung der Akten anzuhalten und sich darüber zu vergewissern, ob die Voraussetzungen einer Sistirung ohne Mitwirkung dei- Anklagekammer vorhanden seien und daher die Beschlußfassung dieser letztem Behörde über weitere Verfolgung der Sache ausgeschlossen sei. In Rücksicht auf Art. 5 leg. cit., wonach eine einmal beim Untersuchungsrichter anhängig gemachte Verfolgung durch die Vollziehungsbehörde nicht mehr aufgehalten werden kann, ist dies kein befriedigender Zustand, und wir wollten daher nicht unterlassen, Sie darauf aufmerksam zu machen.

Mit Ende des Jahres ist der Untersuchungsrichter
für die deutsche Schweiz, Herr Dedual, Advokat in Chur, auf seinen Wunsch entlassen und durch Herrn Dr. jur. F. L. Calonder in Chur ersetzt worden. Die Untersuchung über die Tessiner Wirren, September . 1890, führte als außerordentlicher Untersuchungsrichter Herr Professor Schneider von Zürich, da Herr Dedual seine Entlassung schon eingereicht hatte.

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Im Dezember hat Herr Dr. Colombi infolge seiner Wahl zum Staatsrath des Kantons Tessin seine Stelle als Kanzleisekretär des Bundesgerichtes niedergelegt. Dieselbe ist bis jetzt nicht neu besetzt worden.

Herrn Gerichtsschreiber Dr. de Weiss mußte wegen Krankheit ein mehrmonatlicher Urlaub ertheilt werden. Die Herren Gerichtsschreiber Dr. Rott und» Sekretär Dr. Colombi übernahmen es, Herrn de Weiss zu vertreten, was namentlich Herrn Rott urn so höher anzurechnen ist, als derselbe jetzt schon als deutscher Gerichtsschreiber übermäßig stark in Anspruch genommen ist. Infolge der steten Zunahme der Geschäfte ist überhaupt die Arbeitslast des Herrn Rott eine so gewaltige geworden (man sehe namentlich die Zahl und Qualität der deutschen Civilprozesse in der Sammlung der bundesgerichtlichen Entscheidungen), daß es für geboten erscheint, die Frage zu untersuchen, ob dem deutschen Gerichtsschreiber nicht ein Substitut beigegeben werden solle. Der Zeitpunkt wird nicht mehr lange auf sich warten lassen, wo auch ein Herr Rott die ihm zufallende Arbeit nicht mehr zu bewältigen im Stande sein wird.

II. Spezieller Theil.

Statistische Angaben.

Gattung und Gang der Geschäfte.

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Art der Geschäfte.

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3%

Davon erledigt in 88 Sitzungen

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durch durch TJrtheil. Beschluss.

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a Total. t)a M

Civilstreitigkeiten Staatsrechtl. Fälle Strafreeht . . .

Freiwillige Gerichtsbarkeit .

144 178 322 23 '213 236 1 2 3 2

1

Total

168 395 563

334

143 477

-- 86

Direkte Civilfälle . 19 14 33 113 38 151 Expropriationen .

Weiterziehungen , . 12 126 138

11 4 121

4 15 119 123 6 127

18 28 11

.136

129 265

57

A.

B.

C.

D.

--

2

136 196 1

129 265 13 209 1 -- 1

2

57 27 2

Ad A.

144 178 322

100

Herkunft der Geschäfte.

-y ,, , ,, ,, ,, Kantone.

Aargau Appenzell A. Rh Appenzell I. Rh Baselstadt Baselland Bern Freiburg Genf Glarus Graubünden Luzern Neuenburg Nidwaiden Obwalden Schaffhausen Schwyz Solothurn St. Gallen Tessin .

Thurgau Uri Waadt Wallis Zug Zürich

Staatsrechtliche Streitigkeiten.

25 -- 5 12 2 23 17 9 3 10 24 9 l 5 4 10 l 6 10 8 2 17 4 3 15

Civilrechtliche Weiterziehungen.

TotaL

3 4 -- 19 2 12 5 14 l l 17 8 l 3 -- 3 6 l 2 5 2 12 l l 15

28 4 5 31 4 35 22 23 4 11 41 17 2 8 4 13 7 7 12 13 4 29 5 4 30

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A. Civilrechtliche Streitigkeiten.

Die 322 in Behandlung gewesenen civilrechtlichen Streitigkeiten vertheilen sich wie folgt: 4 Prozesse gegen den Bund, von denen l durch Vergleich erledigt ist und 3 sich noch in Instruktion befinden. Davon gehen l gegen das Militärdepartement (Festungsbau), l gegen das Eisenbahndepartement (Nachtzüge) und 2 gegen das Finanzdepartement (Steuerfrage und Alkoholamt).

25 Prozesse zwischen Kantonen einerseits und Korporationen oder Privaten anderseits. Davon wurden 11 durch Urtheil, 3 durch Beschluß erledigt und 11 gingen aufs folgende Jahr über.

29 üebertrag.

101

29 Uebertrag.

Sie vertheilen sich auf folgende Kantone: Freiburg 5, Solothurn 4, Schaffhausen 3, Bern, Graubünden, Waadt und Wallis je 2, Baselstadt, Genf, Glarus, Neueoburg und Thurgau je 1.

2 noch nicht erledigte Heimatlosenfälle ; in dem einen geht die Klage gegen dea Kanton Tessin, im andern gegen Freiburg eventuell Neuenburg.

150 aus dem Expropriationsgesetze sich herleitende Prozesse. Es sind zum größern Theil aus dem Vorjahre übergegangene, die Linie Visp-Zermatt betreifende Beschwerden; weiter sind betheiligt : Die Landquart-Davosbahn, die Lauterbrunnen-Mürrenbahn, die Nordostbahn und die Südostbahn. Davon wurden 4 durch Urtheil, 118 durch Beschluß erledigt und 28 gingen aufs folgende Jahr über.

1 Beschwerde, auf das Alkoholgesetz bezüglich, war nur eventuell eingelegt und wurde zurückgezogen, als keine Gegenbeschwerde einging.

15 Weiterziehungen betreffend das Gesetz über Haftpflicht der Eisenbahnen und Dampfschiffunternehmungen, vpn denen 13 durch Urtheil erledigt, 2 übergetragen sind. Einer davon betraf eine Dampfschiffunternehmung, eine andere den Eisenbahnbau.

15 Weiterziehungen aus dem Fabrikhaftpflichtgesetz, 14 durch Urtheil, l durch Beschluß erledigt.

11 Weiterziehungen aus dem Gesetz über Civilstand und Ehe, l durch Beschluß, die übrigen 10 durch Urtheil erledigt.

92 Weiterziehungen aus dem Obligationenrecht, von denen 79 durch Urtheil, 4 durch Beschluß erledigt sind und 9 auf das folgende Jahr übergingen.

2 Weiterziehungen aus dem Markenrecht, durch Urtheil erledigt.

2 Weiterziehungen aus dem Patentgesetz, ebenfalls durch Urtheil erledigt.

1 Weiterziehung mit Berufung auf das Alkoholgesetz und dazu gehörende Verordnung, in welchem Falle sich das Bundesgericht inkompetent erklärt hat.

2 Prozesse schwebten vor Bundesgericht als forum prorogatum, beide noch in Instruktion; der eine waltet zwischen Eisenbahngesellschaften, der andere zwischen zwei Schulgemeinden.

322 Von den 121 durch Urtheil erledigten Weiterziehungen wurde in 32 Fällen auf Nichteintreten erkannt, und zwar in 7 Fällen wegen

102 mangelnden Streitwerthes, in l Falle wegen mangelnden Streitwerthes und zugleich der Zeit nach (Art. 882 des Obligationenrechtes), in 3 Fällen wegen Inkompetenz gestützt auf Art. 882 des Obligationenrechtes, in 7 Fällen, weil es sich um Immobilien handelte" (Art. 831 des Obligationen rechtes), in 3 Fällen nach Art. 889 des Obligationenrechtes, in 4 Fällen lag kein Haupturtheil vor, in 4 Fällen handelte es sich um erbrechtliche Verhältnisse, in 2 war die Weiterziehung verspätet, endlich in l Falle, das Alkoholgesetz betreffend, erklärte das Bundesgericht den Anspruch als einen nicht civilrechtlichen. In den 89 Weiterziehungen, in denen das Bundesgericht ein Urtheil in Hauptsache fällte, wurde das kantonale Urtheil in 17 Fällen abgeändert, wovon 8 sich auf das Obligationenrecht bezogen (in 7 wurde das kantonale Urtheil abgeändert, in l fand Rückweisung an das kantonale Gericht statt), 2 das Gesetz über Haftpflicht der Fabriken (in l Falle wurde das kantonale Urtheil zwar für jetzt bestätigt, dagegen ein Vorbehalt für die Zukunft gemacht), 4 das Eisenbahnhaftpflichtgesetz und 3 das Gesetz über Civilstand und Ehe betrafen.

B. Staatsrechtliche Streitigkeiten.

Die 236 im Berichtsjahre in Behandlung gewesenen staatsrechtlichen Streitigkeiten beziehen sich in 113 Fällen auf Verletzung der Bundesverfassung, und zwar in 74 des Art. 4, Rechtsverweigerung und ungleiche Behandlung:, 4 ,, ,, 31, Gewerbefreiheit; l ,, ,, 44, Ausweisung; 6 ,, ^ 46, Doppelbesteuerung; 1 ,, ,, 49, Kultussteuern; 7 ,, ,, 55, Preßfreiheit;; 16 ,, ,, 58/59, Forumsfragen; 2 ,, ,, 60, Gleichstellung der Schweizerbürger mit Kantonsbürgern ; l des Art. 61, Vollzug rechtskräftiger Urtheile aus. andern Kantonen ; l der Bundesverfassung überhaupt, ohne Spezialisirung. -- Unter diese letzte Rubrik könnten freilich noch eine Anzahl unter Art. 4 der Bundesverfassung gestellter Fälle kommen, in denen die Beschwerdeführer sich ebenfalls allgemein über Ungerechtigkeiten beklagen, denen sie ausgesetzt seien.

_ _ 113. Hievon sind 93 durch Urtheil, 4 durch Beschluß erledigt, 16 übergetragen.

113 Uebertrag.

103

113 Uebertrag.

37 Fälle betreffen Kantonsveifassungen, 28 sind durch Urtheil, 3 durch Beschluß erledigt, 6 übergetragen; in 31 Fällen beschweren sich die Rekurrenten über Verletzung der Bundes- und Kantonsverfassung, darunter 9 Beschwerden gegen die Polizeikammer des Kantons Bern, welche auswärts wohnende Lieferanten wegen Lebensmittelfalschung gebüßt hatte.

Von den 31 Beschwerden sind 27 durch Urtheil, l durch Beschluß erledigt, 3 sind übergetragen.

l Fall betreffend den Kompetenzkonflikt zwischen dem Bund und dem Kanton Tessin.

l Fall betrifft einen Kompetenzkonflikt bezw. Frage der Steuerhoheit zwischen den Kantonen Bern und Aargau, der noch hängig ist.

7 Fälle beziehen sich auf das Bundesgesetz über Civilstand und Ehe und waren Forumsfragen, in den meisten Fällen Nichtschweizer betreifend. Sie sind alle durch Urtheil erledigt.

6 Fälle auf das Bundesgesetz über Handlungsfähigkeit bezüglich, davon 5 durch Urtheil, l durch Beschluß erledigt.

1 durch Urtheil erledigtes Begehren um Entlassung aus dem Schweizerbürgerrecht.

S Fälle betreffen das Bundesgesetz über Schufâ der Fabrik- und Handelsmarken, wobei je in einem Falle zugleich die Vereinbarung mit Spanien, Frankreich, Deutschland und Nordamerika in Betracht kam. Sämmtliche sind durch Urtheil erledigt.

2 durch Urtheil erledigte, auf das Obligationenrecht bezügliche Beschwerden, die eine wegen unrichtiger Anwendung desselben, die andere wegen Nichtanwendung erhoben.

4 Fälle betreffen das Bundesgezetz über das Rechnungswesen der Eisenbahnen. Alle sind durch Urtheil erledigt.

3 Fälle bezogen sich auf das Bundesgesetz über das Versicherungswesen, wovon l durch Urtheil, 2 durch Beschluß erledigt.

l Fall Forumsfrage aus dem Gesetz über Bau und Betrieb der Eisenbahnen, duróh Urtheil erledigt; in l Falle wurde allgemein ,,internationales Recht" angerufen, wegen Mißbrauch einer erlangten Auslieferung; der Fall "ist noch nicht erledigt; in l Falle das Bundesgesetz vom 25. Juni 1875 (Kosten in Armensaehen), durch Urtheil erledigt; in 214 Uebertrag.

104

214 üebertrag.

3 Fällen je das Jagdgesetz, die Militärorganisation und das Elternrecht, alle durch Entscheid erledigt; in 4 weitern Fällen wurde weder ein Bundesgesetz noch eine Verf'assungsbestimmung angerufen, alle erledigt.

2 durch Urtheil erledigte Fälle betrafen Konkordate unter Kantonen, der eine das Fallimentskonkordat, der andere das Konkordat über Viehhauptmängel ; endlich 13 Fälle, alle durch Urtheil erledigt, bezogen sich auf Verträge mit dem Ausland, davon 4 auf den Niederlassungsvertrag mit Deutschland, 4 auf den Gerichtsstandsvertrag mit Prankreich, l auf den schweizerisch-französischen Vertrag über Schutz des literarischen und künstlerischen Eigenthums, 4 waren Auslieferungsbegehren, je eines von Frankreich, Oesterreich, Italien und Deutschland.

236T

Es sind folgende Fälle: 1. Die Auslieferung des Florentin Isidor A b r a r d in Orsière, Arrondissement Gap (Hautes Alpes"), vordem sergent-major, verlangt von Frankreich wegen Fälschung in Sachen der Militärverwaltung, bewilligt durch Urtheil vom 22. Februar mit dem Vorbehalte, daß.

er für Desertion nicht verfolgt werden dürfe.

2. Die Auslieferung des Carl M e n n i n g e r , Bauunternehmer aus Stuttgart, vom Kriminalgericht Wladovice in Galizien wegen Betrugs verlangt und durch Urtheils vom 28. Februar bewilligt.

3. Die Auslieferung des Luigi P i o v a n von Montagnana, von Italien wegen Diebstahl verlangt und durch Urtheil vom 26. September bewilligt.

4. Die Auslieferung des Johann R e i t m a i e r aus Baden, vom großherzoglich badischen Staatsministerium wegen schwerer Körperverletzung begehrt und durch Urtheil vom 8. November bewilligt.

Von den 192 (abzüglich der 4 Auslieferungsbegehren) durch Urtheil erledigten staatsrechtlichen Beschwerden wurden 23 gana oder theilweise begründet erklärt, und zwar 3 wegen Rechtsverweigerung (Art. 4 B.-V.); l ,, und Verletzung der Kantonsverfl fassung ; 4 Üebertrag.

105

4 2 3 1 9 2 l l

Uebertrag.

wegen Doppelbesteuerung (Art. 46 B.-V.); Forumsfrageu aus Art. 59 B.-V.; wegen Verletzung der Preßfreiheit (Art. 55) aus Grund mangelnder Aktivlegitimation des vor den kantonalen Gerichten aufgetretenen Klägers; wegen Verletzung der Kantons Verfassung, theils wegen Eingriff in's Eigentumsrecht, theils wegen Uebergriff in richterliche oder gesetzgebende Gewalt ; wegen Verletzung des Markenschutzgesetzes; ,, ,, ,, Bundesgesetzes über Verzicht auf das Schweizerbürgerrecht ; wegen Verletzung des (Bundesgesetzes über Civilstand und Ehe (forum).

23

3 8 9 3

Die durch die 23 Urtheile aufgehobenen Verfügungen rühren her: von gesetzgebenden Behörden ; von administrativen Behörden; von richterlichen Behörden; von Betreibungs- bezw. Arrestverfügungsbeamten.

C. Strafrechtspflege.

Im Berichtsjahre waren 3|die Strafrechtspflege betreffende Fälle in Behandlung, von denen einer vom Kassationsgericht durch Inkompetenzerklärung erledigt wurde. Es betraf eine Beschwerde von Arbeitern, die gebüßt worden waren, weil sie bei Ausbruch eines Strikes die Arbeit ohne Kündigung eingestellt hatten. Die zwei andern Fälle beziehen sich auf die Tessiner Wahlunruhen vom Jahre 1889 und die Tessiner Revolution von^!890. Sie sind beide noch unerledigt.

D. Freiwillige Gerichtsbarkeit.]

Zwei hier einschlagende Beschwerden gelangten an's Bundesgericht. Die eine wurde wegen Inkompetenz ab- bezw. an den Bundesrath gewiesen; die andere, Vornahme einer Schätzung begehrende, wurde gegenstandslos und fiel so dahin.

106 E. Mittlere Dauer der Streitfälle.

I. Civürechtliche Streitigkeiten.

Durchschnittliche Dauer.

Monate. Tage.

a. Civilfälle, welche direkt, und Expropriationsfälle, welche nach vorheriger Entscheidung von Schatzungskommissionen beim Bundesgerichte anhängig gemacht wurden : 1. Von Abgabe der Klage auf die Post bis zum Urtheil 2. Von Erlaß des Urtheils (bezw. Beschlusses) bis zur Zustellung desselben . . . .

b. Fälle, welche nach Art. 29 des Organisationsgesetzes an das Bundesgericht gezogen wurden : 1. Vom Eingang der Akten beim Bundesgericht bis zum Urtheil 2. Vom Erlaß des Urtheils bis zur Zustellung desselben

9

26

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146/r

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5

--

259/io

II. Staatsrechtliche Streitigkeiten.

Durchschnittliche Dauer«

Monate. Tage.

1. Von Post 2. Von lung

Abgabe der Beschwerde auf die bis'zum Urtheil Erlaß des Urtheils bis zur Zusteldesselben

2

6

--

238/*

Man sieht aus obigen Zeitangaben, daß die direkten Civilprozesse verhältnismäßig lange gedauert haben, während sowohl die Weiterziehungen als die staatsrechtlichen Beschwerden sehr rasch erledigt wurden. Die längere Dauer der direkten Civilprozesse hängt damit zusammen, daß einige derselben sich, trotz aller Bemühungen des Instruktionsrichters, außerordentlich lange hingeschleppt hatten. (Ein Prozeß des Staates Freiburg gegen seinen frühem Seminardirektor schwebte nicht weniger als 6 Jahre und 9 Monate vor Bundesgericht und wurde schließlich an ein aus Bundesrichtern zusammengesetztes Schiedsgericht gewiesen.) Im Weitern ergibt sich, daß die Zeit von Ausfallung des Urtheils bis zur Zustellung desselben gegenüber dem Vorjahre wieder zugenommen

107 hat, was theils von der längere Zeit dauernden Vakanz einer Kanzlistenstelle herrührt, theils mit der sich von Jahr zu Jahr mehrenden Zunahme der Arbeit zusammenhängt.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Ver Sicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

L a u s a n n e , den 20. März 1891.

Namens des Schweiz. Bundesgerichtes.

Der Präsident: Bläsi.

Der Gerichtsschreiber:

Rott.

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Bericht des schweizerischen Bundesgerichtes an die Bundesversammlung Über seine Geschäftsführung im Jahre 1890. (Vom 20. März 1891.)

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1891

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16

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

22.04.1891

Date Data Seite

96-107

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10 015 216

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