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Bericht des

Bundesrathes an die Bundesversammlung über die Beschwerde der "Versammlung der schweizerischen Bahnhofrestaurateure betreffend die Vollziehungsverordnung zum Bundesgesetz über die Arbeitszeit beim Betrieb der Eisenbahnen und anderer Transportanstalten.

(Vom 22. Juni 1891.)

Tit.

Die Versammlung schweizerischer Bahnhofrestaurateure verlangt mit Eingabe an die h. Bundesversammlung vom 10. März d. J. die Streichung der folgenden zwei Bestimmungen aus der Vollziehungsverordnung zum Bundesgesetz betreffend die Arbeitszeit beim Betrieb der Eisenbahnen und anderer Transportanstalten vom 6. November 1890: a. Zum Stationspersonal gebort auch das Dienstpersonal der Restaurationen in den Bahnhöfen (Art. l, Absatz 2).

b. Das Dienstpersonal der Restaurationen auf den Dampfschiffen ist dein Kursdienstpersonal zuzuzählen (Art. 2, Absatz 2).

Diese Bestimmungen stehen, wie die Versammlung der schweizerischen Bahnhofrestaurateure ganz richtig annimmt, unter der Voraussetzung, daß das Personal der bei den Transportanstalten eingerichteten restaurationen als dem Betriebsdienst der ersteren angehörend betrachtet werden müsse. Die Versammlung der Bahnhofrestaurateure anerkennt dies zwar auch am Schluß ihrer Eingabe, wo sie sagt, daß die Behörden auf den sichern und guten Betrieb der Bahnhoferstaurationen, ,,wie bei Post, Telegraph und Telephon, ihr Haupt-

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,,augenmerk zu lenken haben. Die Bahnhofrestaurationen richten sich ,,nach den Fahrplänen der Bahnen, nach dem reisenden Publikum. ; a (S. 3, Abs. 4 der Tsie sind nicht frei, wie andere Wirtschaften Eingabe).

Die Bahnhofrestaurateure wollen aber frei sein in ihren Verhältnissen zu den Angestellten, welche den Dienst besorgen. Wenn die kantonalen Polizeibehörden sich einmischen wollen, so werden ihnen die unter der Bundesaufsicht stehenden Einrichtungen des Fahrplans, die Bedürfnisse des reisenden Publikums entgegengehalten ; der Aufsichtsbehörde des Bundes über den Betrieb der Transportanstalten gegenüber wird die kantonale Wirthschaftspolizei ausgespielt.

Die Bahnhofrestaurateure scheinen auch wirklich dringend zu wünschen, daß es dabei sein Verbleiben habe ; sie haben sich, wie in der Eingabe selbst angeführt ist, alle Mühe gegeben, sowohl beim Eisenbahndepartement, als dann auch beim Bundesrath die Aufhebung der ihnen rnißbeliebigen Vorschriften zu erlangen. Wir haben uns nicht entschließen können, diesem Drängen Folge zu geben, da uach unserer Ansicht die Kestaurationen einen Theil der Bahnhofs- (und auch der Dampfschiffs-) Einrichtungen bilden, und der Zweck und der Betrieb derselben mit dem Eisenbahn- und Dampfschiffsbetrieb in der That im engsten Zusammenhang steht, und dieses Verhältniß durch die Verpachtung des Wirthschaftsbetriebs an Drittpersonen in keiner "Weise sich ändert. Gleichzeitig ist den Potenten bemerkt worden, daß der Bundesrath bereit sei, auf Ansuchen, im einzelnen Fall, in Anwendung von Art. 6 des Gesetzes, Ausnahmen zu gestatten, sobald dargethan sei, daß die besondern Verhältnisse bestehen, welche solche Ausnahmen nöthig machen können, wie dies von Anfang an auf den Antrag der Bahnhofrestaurateure in Ölten und Bern geschehen sei, denen wir gestattet haben, mit 52 halben Ruhetagen sich abzufinden, in der Meinung, daß dem Personal daneben5" noch 14 ganze Tage urlaubsweise und ohne Abzug des Lohnes freigegeben werden.

Wir dürfen nicht unterlassen, in erster Linie auf eine Konsequenz aufmerksam zu machen, welche sich ergeben könnte, wenn die Bahnhofrestaurationen als Pächter der Bahnverwaltungen außer das Gesetz vom 27. Juni 1890 gestellt würden. Es ist anzunehmen, daß den Eisenbahngesellschaften nicht verboten werden könnte, diese Kestaurationen nach ihrem Belieben in
Kegie zu betreiben. Dann würde das von den dermaligen Restaurateuren vorgeschützte Pachtverhältniß nicht mehr entgegenstehen, und dürften die Woblthaten des Gesetzes unbestritten auch dem Wirthschaftspersonal zu gut kommen.

Nun, es wäre nichts Neues und es ist zum Theil auch bei schweizerischen Eisenbahnverwaltungen schon vorgekommen, daß der Bahnunterhaltungsdienst oder der Dienst in den Güterexpeditionen insgesammt Dritt-

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personen übergeben, d. h. verpachtet wurde, und es ist nicht ausgeschlossen, daß dies theilweise noch geschieht oder neuerdings geschehen oder, soweit bloß Beispiele aus dem Auslande vorliegen, von den schweizerischen Eisenbahnen nachgeahmt werden wird. Sollten dann die Angestellten des Bahnunterhaltungsdienstes oder in den Güterexpeditioneu, w e i l s i e v o n d e m P r i v a t u n t e r n e h m e r a n g e s t e l l t u n d b e l o h n t s i n d , v o n d e m gesetzlichen Recht auf die Ruhetage oder von der Zusicherung genügender Nachtruhe ausgeschlossen sein? Wir denken, nein; aber dieselben Eechtsfolgen, welche für die Angestellten des Bahndienstes und im Güterdienst gelten, müssen auch anerkannt werden für diejenigen der Eestaurationen.

Die Bahnhofrestaurateure hahen zwar behauptet, daß ihre Angestellten selbst mit ihnen einverstanden seien. Es liegen ihrer Eingabe in der That auch Erklärungen der Angestellten in den Eestaurationen zu Bellinzona, Göschenen, Romanshorn und Basel bei, von denen die ersteren gar nichts vom Gesetz wissen wollen, während diejenigen in Gesehenen, Basel und Eomanshorn die 52 halben Kuhetage und daneben angemessenen Urlaub vorziehen würden. Wir wissen nicht, wie diese Erklärungen zu Stande gekommen sind, und erinnern nur daran, wie oft auch die Bahnverwaltungen der Bundesversammlung vorgeführt haben, daß ihre Angestellten überhaupt das Gesetz nicht wollen und wie vielfach s. Z. dem Fabrikgesetz derselbe Einwand entgegengehalten worden ist. Das Abhängigkeitsverhiiltniß zum Brodherrn äußert sich ehen in verschiedenen Formen. Wir denken gar nicht daran, zu hehaupten, daß dasselbe gerade mit einem direkten Zwang verbunden sein muß; schon die Thatsache der Abhängigkeit an sich und die hergebrachte Gewohnheit können auf die Beurtheilung der Verhältnisse durch die Angestellten bestimmend einwirken. Es ist auch durchaus denkbar, daß bei den Angestellten der Bahnhofrestaurationen ein selhstständiges Interesse in der Kichtung besteht, daß ihre Zahl nicht vermehrt und daß nicht zufolge dessen ihre Einnahmen verkürzt werden.

Jedenfalls wird angenommen werden müssen, daß die Angestellten mit ihren Ansprüchen an der Grenze stehen bleiben, wo dieselben weder ihnen noch ihren Brodherren zum Nachtheil gereichen. Diese Grenze ist, wenn man von der hinsichtlich des Ausmaßes der
Ruhetage unbestimmt gehaltenen Eingabe von Bellinzona absieht, genau auf dem Punkt, auf welchen die Bahnhofrestaurateure von Ölten und Bern, welche die Beschwerdeschrift nicht unterzeichnet haben, von Anfang an dem Gesetz und ihren Angestellten entgegengekommen sind und womit der Bundesrath sich einverstanden erklärt hat.

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Anderseits dürfte die Annahme gestattet sein, daß auch die beschwerdefuhrenden Bahnhofrestaurateure thatsächlich gewillt sind, dem Gesetz und ihren Angestellten bis zu dieser Grenze Bechnung zu tragen, da ihre Verweisung auf die Meinung und Wünsche ihrer Angestellten sonst keinen Werth hätte. Diese Annahme wird durch die Thatsache unterstützt, daß seither auch einzelne Unterzeichner der Beschwerde vom 10. März beim Eisenbahndepartement um die Bewilligung derselben Ausnahmen nachgesucht haben, in deren Genuß die Bahnhofrestaurateure in Ölten und Bern stehen. Es sind dies speziell der Hauptunterzeichner der Beschwerde, Herr Schultheß-Rüttimann, Bahnhofrestaurateur in Zürich, und Herr E. Rhyner, Pächter der Bahnhofrestauration in Komanshorn, sowie die Inhaber der Bahnhofrestaurationen in Bellinzona, Göschenen, Brugg und Neusolothurn.

Unter diesen Umständen hat die Beschwerde kaum mehr eine thatsächliche Bedeutung und würde zu einer solchen erst dann Grund vorhanden sein, wenn der Bundesrath hei Prüfung der Verhältnisse der einzelnen Eestaurationen ein unbilliges Maß anlegen würde. Dagegen liegt derselben offenbar der streitbare Zweck inné, trotz alledem zu versuchen, der bundesräthlichen Kontrole sich zu entziehen.

Diesem Zweck soll wohl auch die Wendung auf Seite 3 der Eingabe dienen , daß der Bundesrath selbst seine Verordnung als zu weit gehend erachte, ^weil er sich mit den Bahnhofrestaurationen Ölten und Bern auf 52 halbe Freitage verständigt und alles Uebrige fallen lassen habea. Wir setzen Werth darauf, diese Darstellung zu berichtigen. Der Bundesrath hatte sich mit den genannten Bahnhofrestaurationen nicht zu verständigen, sondern deren Gesuche um Anwendung des Art. 6 des Gesetzes zu prüfen und zu erledigen, und er hat n i c h t mit den 52 halben Freitagen sich begnügt und im Weitern auf die Vollziehung des Gesetzes verzichtet, sondern seine Zustimmung zu den halben Freitagen unter der von den Eestaurateuren in Ölten und Bern ausdrücklich zugestandenen Voraussetzung einestheils der Zuwendung von 14 ganzen Ruhetagen über die halben Freitage hinaus und anderseits der Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften über die täglichen Arbeits- und Euhezeiten ertheilt.

Die Versammlung der Bahnhofrestaurateure hat dann noch zu der Argumentation gegriffen, daß ihre Angestellten dem Gesetz fremd bleiben
müssen, weil sie nicht Mitglieder der bei den Eisenbahngesellschaften bestehenden Hülfs- und Pensionskassen und nicht vom Militärdienst befreit seien. Aber auch dies Argument ist ohne Werth. Die Arbeiter (Tagelöhner) im äußern Bahnhofdienst z. B. sind auch nicht im Genuß der Mitgliedschaft der Hülfs- und Pensionskassen; sie unterstehen dem Gesetz über die Dienstzeiten und Ruhetage aber doch, sobald sie nur mit der Verpflichtung zur gewöhnlichen Arbeitszeit

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angestellt sind. Was die Militärpflicht anbetrifft, so dürfte die Entlastung des Restaurationspersonals von derselben koinè besondern Lücken in der Armee hinterlassen. Der Bundesrath wird die Sache prüfen, wenn ein bezügliches Gesuch eingehen sollte; aber eine Konnexität zwischen der Dienstpflicht beim Militär und den Vorschriften über Dienstzeiten und Kuhetage vermöchte derselbe in keinem Fall zu erkennen.

Dagegen veranlassen uns diese Ausführungen der Beschwerdeführer, darauf zu verweisen, daß die eisenbalmrechtlichen Bestimmungen allerdings anderweit schon von den Bahnhofrestaurateuron als mitwirkende Organe des Eisenbahnbetriebs thatsäclilich in Anspruch genommen sind. So hat z. B. vor einigen Jahren die Direktion der Gotthardbabn für den Herrn Bahnhofrestaurateur in Göschenen die Taxfreiheit für die Depeschen nachgesucht, mit welchen für die Reisenden das Mittagessen in der dortigen Station bestellt werden kann, mit der Begründung, daß von der rechtzeitigen Vorbereitung des Mittagessens die Kegelmäßigkeit des Bahnbetriebs abhängig sei, und die Behörde hat diese Begründung als schlüssig erkannt.

Ein Hauptgewicht ist in der Beschwerde auf die Behauptung gelegt, daß der Bundesrath in den angefochtenen Bestimmungen über das Gesetz hinausgehe und damit in die Souveränität der Kantone eingreife, deren Wirthschaftsgesetze allein für die Bahnhof- und Dampfschiffrestaurationen maßgebend seien. Was den ersten Punkt betrifft, so hat der Bundesrath nichts Anderes gethan, als zum Zweck der Vollziehung die im Art. l des Gesetzes allgemein bezeichneten ,,Personen, welche mit der Verpflichtung zur gewöhnlichen Arbeitszeit im Betriebsdienst stehen", in Klassen eingetheilt und gesagt, zu weleher Klasse er die Angestellten der Kestaurationen rechne. Wenn die Bundesversammlung findet, daß diese Angestellten der Kontrole nicht zu unterwerfen seien, so wird der Bundesrath sich unterziehen. Er glaubt aber, durch die vorstehenden Ausführungen dargethan zu haben, daß seine Auffassung richtig und berechtigt ist. Von einem Einbruch in die Eechte der Kantone vollends kann von keinem Gesichtspunkt aus die Rede sein. Das Gesetz über die Dienstzeiten und Buhetage im Eisenbahndienst und die kantonale Wirthschaftspoli/ei sind Dinge, die sich grundsätzlich nicht berühren, und wenn sie ausnahmsweise zusammentreffen im Bestreben
für das Wohl der Angestellten, so ist es gar nicht nöthig, daß sie in Konflikt kommen.

Entweder, was aber thatsächlich z. Z. wenigstens nicht der Fall ist, gehen die kantonalen Gesetze in der Eegnlirung der Dienst- und Ruhezeiten des Wirthschaftspersonales über die Eisenbahngesetzgebung des Bundes hinaus ; dann ist die Vorsorge der letzteren durch die Vollziehung der kantonalen Vorschriften überholt. Oder die Eisenbahn-

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gesetzgebung geht im Schutz der Angestellten weiter als die kantonalen Gesetze; dann ist der Konflikt ebenso ausgeschlossen; die kantonale Behörde wird konstatiren, daß die Anordnungen ihres Gesetzes erfüllt werden inner dem Maße, welches der Bund postulirt hat. Von einer Aufhebung der kantonalen Wirthschaftsgesetzgebung ist also in keiner Eichtung die Rede; wohl aber füllt das Gesetz vom 27. Juni 1890 und die zugehörige Vollziehungsverordnung überall da in wohlthätigster Weise eine Lücke aus, wo die kantonale Wirthschaftspolizeigesetzgebung einen Schutz der Angestellten des Wirthschaftsbe^triebes nicht kennt.

Schließlich glauben wir darauf aufmerksam machen zu sollen, daß nicht blos die Bahnhofrestaurateure in Ölten und Bern der Beschwerde fremd,' sondern daß die Inhaber der Dampfschiffrestaurationen derselben überall nicht beigetreten sind. Wenn die Bahnhofrestaurateure gleichwohl vom Personal der Dampfscbiffrestaurationen sprechen und die Abrogirung der beanstandeten Bestimmungen auch für diese verlangen, so haben sie dazu kein Mandat nachgewiesen und eine thatsächliche Begründung in dieser Eichtung überhaupt gar nicht versucht.

Wir beantragen, die Beschwerde der Herren Bahnhofrestaurateure überall als unbegründet abzuweisen.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

a

B e r n , den 22. Juni 1891.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident: Welti.

Der Kauzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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01.07.1891

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